Von der Kunst, richtig zu sein von Lyndis ================================================================================ Kapitel 39: Geständnis ---------------------- Irgendwo in Shinjis Kopf ging ein roter Alarm los, aber er war für den Moment zu verwirrt, um ihn wirklich zu bemerken. "Warum bist du nach so einem Kommentar nicht sauer? Warum reagierst du so, als hätte ich ganz normal mit dir geredet?" Jeder andere wäre doch ausgeflippt, wenn man so herablassend mit ihm sprach. Er verstand beim besten Willen nicht, wie Randy ihm so ruhig hatte antworten können. Der Ausspruch war wirklich gemein gewesen. "Welcher von deinen Kommentaren hätte mich denn beleidigen sollen?", statt angefressen klang Randy ehrlich neugierig. Aber war die Frage nicht eher, welcher ihn nicht beleidigt haben sollte? Wenn er genauer darüber nachdachte, hatte er Randy eigentlich von Anfang an nicht gut behandelt und den schien das nicht eine Sekunde gestört zu haben. Das war schon ziemlich merkwürdig… "Alleine der Tonfall gerade, hätte bei normalen Menschen dafür gesorgt, dass sie richtig angepisst sind." "Normale Menschen", wiederholte Randy leicht spöttisch. "Dann bin ich halt nicht normal." Ja, den Eindruck bekam Shinji auch allmählich. Dann aber kratzte sich Randy etwas unbeholfen am Hinterkopf: "Aber entschuldige. Es war wohl wirklich unangebracht zu fragen. Ich möchte nur jede Chance nutzen, bei dem ganzen Chaos, in dem Nathan gerade steckt." "Chaos?", sprang Shinji sofort wieder ein. "Und was meinst du mit Chance?" Chance an Nate heran zu kommen? Eine andere Übersetzung schien sein Hirn nicht produzieren zu wollen. War Randy doch hier, um mit Nate was anzufangen? Hatte er deshalb gefragt, ob sie zusammen waren? Randy aber sah ihn nur fassungslos und unverständlich an, ehe er aufgeregt zu erklären begann: "Na, das mit dieser verrückten Prämie. Das stand doch in der Zeitung. Okay… es sind keine Namen erwähnt worden, aber wenn man mit Nathan zu tun hat, kann man eins und eins zusammen zählen." Dabei gestikulierte der kleine Amerikaner wie ein großer Italiener, was es Shinji schwer machte, sich auf die Worte zu konzentrieren. "Hat er die denn gar nicht gesagt, warum er so abrupt wieder zurück muss?" Hatte er Randy das etwa erzählt!? Sprach er mit ihm über seine Arbeit? "Oh Mann", kam es noch von Randy, der sich danach wieder zurücklehnte. Shinji presste kurz die Lippen aufeinander. Gerade hatte er angefangen Randy tatsächlich ein wenig sympathisch zu finden, aber da war die Eifersucht wieder und mit ihr kamen neue Bedenken. Lag es etwa an ihm, dass Nate nicht über seine Arbeit sprechen wollte? Fiel es ihm mit Randy einfacher, weil der das schon von seinem Bruder kannte? Hatte Shinji in den vergangenen Gesprächen zu viel falsch gemacht? Stop, rief er sich selbst zur Raison. Er musste sich konzentrieren. Es gab jetzt Wichtigeres: "Was für eine Prämie? Ich halte mich von Nachrichten fern und Nate denkt nur, er würde mich belasten, wenn er mir zu viel sagt. Außerdem redet er sowieso nicht gern darüber, deshalb überlasse ich es ihm, wie viel er mir erzählt." Er wollte nicht, dass Randy dachte, Nate würde ihm nicht vertrauen oder was auch immer. Solche dummen Gedanken sollten dem gar nicht kommen, sonst nahm der noch an, er hätte leichtes Spiel damit, Nate für sich zu gewinnen. "Vielleicht sollte ich es dir nicht erzählen, aber… es steht sowieso in den Zeitungen, also… Es gab ein öffentliches Rundschreiben von einigen Personen aus dem terroristischen Lager, so etwas wie ein Kopfgeld. Sie haben explizit Nathans Gruppe erwähnt. Nicht mit einzelnen Namen, aber dennoch. Scheinbar hat er bei seinem letzten Job die Arbeit besser gemacht, als gedacht. Die wollen ihn und sein Team jetzt nur noch beseitigen." Und dann schickten sie Nate wieder da hin? Und sein Team gleich mit? Was war das denn für ein Unsinn? Hatten die vom Militär Angst, dass es sonst hier zu Terroranschlägen kam? Aber Randy gingen seine Sorgen und Ängste nichts an, deshalb bekam er nur ein Nicken von ihm: "Gut, dann weiß ich es jetzt eben." Wenn überhaupt würde er das mit Nate besprechen, aber selbst da war er sich noch nicht ganz sicher. "Was meintest du jetzt mit Chance?" "Sag Nathan nicht, dass du es von mir hast, ja?" Er antwortete schon wieder nicht auf die Frage! Und noch einmal konnte er nicht nachbohren, denn Nate trat wieder an den Tisch heran. Schlechtes Timing… "Alles klar?" Shinji wusste, dass ihn das Telefongespräch an sich nichts anging, aber sich nach dem Befinden seines Partners zu erkunden, war ihm ein Bedürfnis. "Meine Schwester. Sie muss wohl heute eine Doppelschicht schieben und braucht jemanden, der auf Hana aufpasst. Wird wohl heute 23 Uhr." Was? Das hieße ja, sie würden den gesamten Tag verlieren. Damit bliebe ihnen nur noch morgen und vielleicht ein Teil vom Sonntag. Wut kochte so abrupt in ihm hoch, dass er sich wirklich zusammen reißen musste, seine Kaffeetasse nicht einfach gegen die Wand zu werfen. Nates Schwester konnte nichts dafür, dass die Bedingungen in ihrem Job so scheiße waren und natürlich fragte sie ihren Bruder, ob der half und Nate war nun einmal wie er war, der würde seine Schwester niemals im Stich lassen. Und während er in seinem Kopf noch versuchte das Chaos zu ordnen, schien sein Mund ganz von alleine zu arbeiten: "Und wenn ich einfach mit komme?" Dass er dann auch mit verantwortlich war, auf ein Kind aufzupassen, wurde ihm erst danach richtig bewusst. Aber er würde das Angebot nicht zurücknehmen. Wenn es bedeutete noch länger bei Nate sein zu können, war es ihm das wert. Nur ein kurzer Blick auf Randy ließ ihn diesen Satz bereuen. Scheiße, der konnte doch jetzt sicher eins und eins zusammenzählen. "Klar, jemand muss ihr ja die richtige Zierleiste zeigen." Hä? Was war das denn für eine komische Antwort? Wollte Nate ihn etwa aus der Situation retten? Doch als Shinji einen erneuten Blick auf Randy warf, der ihn immer noch ansah, als würde er seine vorige Aussage in Einzelteile zerlegen und analysieren, musste Shinji feststellen, dass er weniger Angst davor hatte, sich vor Randy zu outen, als davor, was der mit 'Chance' gemeint hatte. Wann war das passiert? Er hatte wirklich mehr Angst davor, dass er versuchen würde, ihm Nate auszuspannen - was vollkommen dämlich war, wenn man bedachte, dass Nate in zwei Tagen weg wäre. Trotzdem, er konnte dieses drängende Gefühl nicht abstellen, das ihm immer wieder zuflüsterte, dass er Nate verlieren würde, wenn er nicht zu ihm stehen konnte. "Randy…", begann er deshalb, "Was hast du mit 'Chance' gemeint?" Der Nachdruck in seiner Stimme war deutlich, denn Nate hatte keine Zeit für Spielchen, was bedeutete, dass er das hier und jetzt klären musste. Er konnte die nächsten Monate nicht damit leben, sich ständig zu fragen, ob Nate tatsächlich zu ihm zurück käme. "Wieso bist du da so hartnäckig?" Das Lachen, das Randy nachschickte, wirkte in seinen Ohren hämisch und herausfordern. "Was denkst du denn, welche Chance ich würde nutzen wollen?" Nate sah etwas verwirrt zwischen den beiden hin und her, offensichtlich vollkommen überfragt. War ja auch kein Wunder, der hatte das vorher nicht mitbekommen. "Könnt ihr das auch später austragen? Ich muss wirklich los." "Nein", war die gepresste Antwort von Shinji. Er nahm den Blick nicht von Randy. Er musste es wissen, aber der Zwerg schien ihm nichts preisgeben zu wollen. Er musste das klären. Er stemmte die Handflächen auf den Tisch und stand auf, lehnte sich zu Randy herunter. Sein Herz raste. Es war das erste Mal… aber er musste… er musste… er konnte Nate nicht verlieren. "Lass die Finger von ihm, wenn du sie nicht verlieren willst und wenn du deine Zunge behalten willst, rate ich dir, niemandem hiervon zu erzählen." Er knurrte die Worte förmlich, während er innerlich zitterte, aber er musste jetzt stark sein und irgendwie tat es gut. Seit er Randy kennengelernt hatte, war da diese unbestimmte Angst, egal was Nate ihm gesagt hatte, jetzt begriff er, dass nur er selbst sich von dieser Last befreien konnte. "Würdest du dir also endlich den Rest deines Frühstücks einpacken, damit ich mit meinem Freund zu seiner Schwester kann?" Und während er mit seiner Angst kämpfte und Randy ihn nur vollkommen perplex anstarrte, legte sich plötzlich eine Hand auf die von Shinji. Ganz behutsam und ihre Wärme durchströmte seinen ganzen Körper, kämpfte diese eisige Kälte zurück, die seine Angst auslöste. "Schon okay", wurde ihm sanft zugeraunt, aber es war nicht genug, um diese Anspannung zu vertreiben. Er wartete noch immer auf die Reaktion seines Gegenübers, die erst einige Sekunden später kam: "Oh… ooooh! Ihr seid zusammen?" Immer noch verwirrt, zeigte er abwechselnd auf ihn und auf Nate. "Mann, wieso sagst du das nicht gleich? Woher soll ich das denn schmecken?" Beleidigt sah Randy zu Nate. "Boah ist das peinlich." Also doch? Hatte Randy doch etwas von Nate gewollt? Würde er jetzt aufgeben? Kopfschüttelnd sah er dann aber zu Shinji und schenkte ihm einen kampfeslüsternen Blick: "Und nur damit du es weißt, Shinji: Wenn es mal nicht gut zwischen euch läuft, schnapp' ich ihn dir weg. Also streng dich lieber an." "Du wirst keine Chance haben." Und das meinte er so. Er wollte Nate nicht wieder her geben. Er hatte fünfzehn Jahre auf ihn verzichten müssen, er würde ihn den Rest seines Lebens nicht mehr loslassen. Und wenn er dafür gegen Randy ankämpfen musste, dann war das eben so. Als Randy endlich zusammen packte, konnte er sich etwas entspannen. Die Schlacht hatte er gewonnen. "Nate bringt dich sicherlich zur Tür, ich muss mich kurz umziehen." Damit löste er jetzt sogar ihre Hände voneinander, aber er sah Nate nicht an. Schließlich hatte er gerade einen Freund von ihm angegiftet und ihn vor die Tür gesetzt. Auf dem Flur sprachen die anderen beiden zu leise, als dass er es durch das Rauschen in seinen Ohren hören könnte, deshalb zog er sich einfach nur um. Es dauerte nicht lange, da öffnete Nate vorsichtig die Tür und fragte, ob er fertig sei. Noch stand Shinji mit dem Rücken zu ihm, er hatte wirklich etwas Angst, dass Nate sauer wäre. Sie hatten so oft gestritten die letzte Zeit, er wollte die letzten beiden Tage nicht auch noch damit zubringen. Aber das hatte er sich wohl selbst zuzuschreiben. "Sorry…", murmelte er. "Das hab ich nicht gewollt." Das hätte man sicher auch anders regeln können, aber mit ihm war einfach sein Temperament durchgegangen, dass er aus der realen Welt gar nicht kannte. Das zeigte sich normalerweise nur beim Spielen, aber das konnte man wohl nicht trennen. Zwei starke Hände legten sich auf seine Schultern und drehten ihn langsam um. Es kostete ihn einiges an Überwindung, aber als er seinen Freund ansah, war er erleichtert. Er war nicht sauer, im Gegenteil. Nate wirkte gerade wirklich glücklich. "Du warst ja richtig besitzergreifend.", sagte er und küsste ihn auf die Nasenspitze. "Und ein wenig barsch. Aber du weißt gar nicht, wie sehr ich mich darüber gefreut habe." Nate grinste ihn strahlend an und zog ihn dann in seine Arme. Erst jetzt bemerkte Shinji, dass er noch immer etwas zitterte. Aber wenn er in sich hinein horchte, lag das eher an der Aufregung, als an seiner Psychose. Irgendwas sagte ihm, dass Randy ihn nicht verraten würde, auch wenn er wirklich nicht sagen konnte, warum. Vielleicht, weil sie sich im Grunde gar nicht so unähnlich waren. Als er sein Gesicht in Nates Brust vergrub, machte seinen Herz einen heftigen Sprung, doch das schlechte Gewissen blieb. Nicht einmal Randy gegenüber, sondern sich selbst gegenüber. "Ich verstehe, warum du dich freust, aber das solltest du nicht, wenn ich mich so benehme. Ich hab wirklich versucht mich zusammen zu reißen… aber das war einfach nur… nur pubertäres Alphatier-Gehbabe. Das ist doch furchtbar!" Er wollte so nicht sein. So… so… menschlich. Er hasste Menschen, die sich so benahmen und jetzt war er selbst nicht besser. Doch Nate lachte nur und knuddelte ihn, als wäre er ein Stofftier. "So furchtbar ist das nicht. In Maßen ist Eifersucht nur ein anderer Ausdruck von Zuneigung. Du hast Randy ja nicht zur Sau gemacht. Im Prinzip warst du bei deinem Rauswurf sogar noch ziemlich höflich." Shinji war sich nicht sicher, ob er es gut fand, dass Nate das so herunter spielte. "Ich werde trotzdem versuchen, daran zu arbeiten. Ich mag das so nicht…" Vielleicht würde er irgendwann einsehen müssen, dass das einfach ein Teil von ihm war, aber bis dahin würde er versuchen, das zu ändern. "Ich bin was dich betrifft, auch ziemlich besitzergreifend. Mach dir nicht zu viele Gedanken darum." Nate löste sich leicht von ihm und verwuschelte ihm die Haare, was Shinji diesmal durchaus genoss. Doch gerade als er ihn fragen wollte, ob Nate das bei mehreren Leuten machte, fragte der, ob sie los könnten. "Ja, sicher. Sorry. Ich hab die Zeit ganz vergessen. Ich hoffe für deine Schwester ist es in Ordnung, dass ich mitkomme?" Ihm kam kurz in den Sinn, dass Lily solche wie ihn nicht bei ihrer Tochter haben wollen könnte. Klar, Nate gehörte auch dazu, aber er war ihr Bruder und es war ja doch was anderes, wenn ein schwules Pärchen bei ihrer Tochter war und nicht nur ein einzelner Schwuler. "Du denkst schon wieder zu viel." Nate tippte ihm auf die Stirn, genau da, wo sich immer diese kleine Falte bildete, wenn er zu düster dachte. "Warum sollte das nicht für sie in Ordnung sein?" Doch Shinji konnte darauf nur die Schultern zucken. Er wollte Nates Euphorie nicht wieder zunichte machen, indem sie wieder über seine Phobien sprachen. Also hielt er ausnahmsweise mal die Klappe. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)