Von der Kunst, richtig zu sein von Lyndis ================================================================================ Kapitel 38: Annäherung ---------------------- Shinji war noch wach, als die Uhrzeit kam, zu der Nate immer aufwachte. Da sein Freund wahrscheinlich einen furchtbaren Kater haben würde, verließ er sein Arbeitszimmer und ging in die Wohnküche, um nach ihm zu sehen. Nate schlug tatsächlich gerade seine Augen auf, weshalb Shinji ein Glas mit Wasser füllte und sich eine Packung Aspirin schnappte. "Morgen", sprach er sanft, um die Kopfschmerzen nicht noch schlimmer zu machen. Als Antwort bekam er, wie erwartet, ein gequältes Stöhnen. Nachdem er Glas und Medizin auf dem Wohnzimmertisch abgestellt hatte, setzte er sich zu seinem neuen Mitbewohner. "Du hast dich nicht übergeben, das ist schonmal gut. Den Rest regelt die Tablette." In Zeitlupentempo setzte Nate sich auf und griff nach den bereitgestellten Sachen. "Hast du mich jemals kotzen sehen?", fragte Nate und grinste schief, danach folgte ein Fluch, der Randy galt. "Ehrlich gesagt nicht", bestätigte Shinji. "Brauchst du noch was?" "Ja… kannst du Randy anrufen und ihm sagen, er soll seine Kette abholen? Sonst behalte ich sie." Nate sprach das mit einem ungewohnt hinterhältigen Unterton aus, stöhnte dann aber wieder leise, weil seine eigene Stimme ihm wohl Kopfschmerzen bereitete. Am liebsten hätte Shinji 'nein' gesagt, aber er wollte Nate nicht enttäuschen und das Schmuckstück loszuwerden, war ein wirklich netter Nebeneffekt. "Ist dir die Kette wichtig?" Für Shinji war das eine logische Frage, schließlich hätte Nate auch drohen können, die Kette wegzuwerfen, statt sie zu behalten. Hatte Nate die vielleicht Randy geschenkt? Vielleicht war sie ihm aber auch nur wichtig, eben weil sie Randy gehörte. Er hoffte, dass beides nicht zutraf. "Nicht so wichtig wie Randy. Deshalb sollte er sie ja auch wieder bekommen." Shinji seufzte, weil ihn die Antwort auch nicht wirklich weiter brachte, aber noch einmal genauer nachzufragen, wäre dreist und zu aufällig. "Na gut… aber ich brauche dein Handy dafür und du weißt, ich kann nicht gut mit Menschen." "Auch gut", murmelte Nate, während er ihm umständlich das Handy reichte. Der Kater musste echt enorm sein. "Dann lernst du was für's Leben." Shinji suchte die Nummer von Randy raus und ließ es dann Klingeln. Es war ein bisschen schwierig, seine Neugierde im Zaum zu halten, aber er war stolz auf sich, als er es schaffte, wirklich nur die Nummer zu suchen und nicht auch noch WhatsApp zu durchsuchen. "Ganz wichtig ist, es so lange klingeln zu lassen, bis er abhebt." Shinji hätte Mitleid mit Randy gehabt, wenn er irgendwelche Sympathien für ihn empfunden hätte. So war das eher ein wenig Genugtuung, dafür, dass Randy ihm einen Abend mit Nate gestohlen hatte. Woah, war er besitzergreifend. Daran musste er auch arbeiten. Nate hatte durchaus das Recht, auch normale Freunde zu haben. Nach einer halben Ewigkeit verstummte das Tuten in der Leitung und ein zombieähnliches Stöhnen begrüßte ihn. "Randy? Hier ist Shinji. Nate hat deine Kette versehentlich mitgenommen, du sollst sie abholen kommen." "Boah… ey…", nuschelte es am anderen Ende der Leitung. "Shinji? Ah… der Typ, bei dem Nathan abhängt, ja? Ich erinnere mich. Ein alter Schulfreund…" Randy ächzte und auch wenn er erleichtert war über die Beschreibung von sich, wurde die Bezeichnung 'alter Schulfreund' von einem merkwürdigen Beigeschmack begleitet. Doch bei den nächsten Worten verfinsterte sich Shinjis Miene deutlich: "Eeeeh? Klar, der Kerl hat die Kette doch absichtlich mitgenommen, damit wir uns noch mal sehen, bevor er abreist." Randy lachte dreckig und stöhnte dann wieder gequält auf. Geschah ihm nur recht. "Ich… äh… ich komme, wenn ich meine Hose finde… kann etwas dauern." Shinji verdrehte genervt die Augen: "Ja, was auch immer. Bis später." Er legte auf ohne auf eine Reaktion zu warten und warf Nate dann das Handy in den Schoß. "Warum bin ich eifersüchtig, obwohl du mir versichert hast, dass ich alles bin, was du willst? Das ist unlogisch! Was macht man dagegen?" Es wurmte ihn unglaublich, dass er nicht in der Lage war, dieses Gefühl unter Kontrolle zu bekommen. Für die Aussage von Randy gerade, hätte er ihn am liebsten geschlagen und Shinji war normalerweise ganz sicher nicht der gewalttätige Typ. "Hä?", bekam er erst einmal nur von Nate, dem die Frage wahrscheinlich gerade zu komplex war. "Warum solltest du überhaupt eifersüchtig sein?" Nate steckte sein Handy wieder weg und als er zu Shinji sah, sah er anscheinend etwas in dessen Blick, denn er fragte erstaunt: "Oh, du fragst mich das ernsthaft?" Nate lachte leise, um sich selbst nicht weh zu tun und Shinji wusste nicht wirklich, was er davon halten sollte. War das wirklich so absurd? Shinji schnaubte, seufzte dann, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück: "Ich glaube dir, wenn du sagst, dass die Kette aus versehen hier gelandet ist. Aber als Randy gerade behauptet hat, du hättest sie absichtlich mitgenommen, damit ihr euch nochmal seht - ich weiß, dass das Schwachsinn ist, denn Randy ist sofort hier, wenn du ihn anrufst. Du brauchst so einen billigen Trick nicht - hätte ich ihn am liebsten erwürgt." Aber der Satz war wahrscheinlich noch zu kompliziert für Nates Kopf, also winkte er ab, es war ja sowieso nicht das Problem seines Freundes, sondern sein eigenes: "Ist egal… ruh dich noch aus. Randy kommt demnächst… wenn er seine Hose gefunden hat." "Randy erzählt viel, wenn der Tag lang ist", antwortete Nate und brach dann in unkontrolliertes Lachen aus, als er den letzten Teil von Shinjis Satz realisierte. "Das sieht ihm ähnlich", lachte er weiter und setzte sich dann aufrecht hin. Die Schmerztablette schien zu wirken. "Hör mal… mach dir nicht so viele Gedanken. Ich bin nicht an Randy interessiert und er nicht an mir. Du hast absolut nichts zu befürchten, okay?" Shinji war erstaunt, dass Nate doch darauf einging. Warum war er überhaupt so eifersüchtig? … Wenn er ehrlich zu sich war, war die Antwort eigentlich ganz einfach. Er konnte sich zwar sicher sein, dass Nate ihm treu blieb, aber sie waren eben in keiner wirklich richtigen Beziehung. Und das fraß irgendwie an ihm, aber das lag einfach nur an ihm. Nur er konnte das ändern. "Sorry…", sagte er leise, weil Nate heute der war, dem es schlecht ging und er aufhören sollte, sich so anzustellen. "Leg dich noch etwas hin. Das mache ich nachher auch, wenn Randy da war. Ich hab noch nicht geschlafen." Als er wieder näher zu Nate rutschte, um vielleicht noch ein wenig mit ihm zu kuscheln, wurden ihm prompt die Haare verwuschelt. Vielleicht sollte er die Sturmfrisur einfach beibehalten, dann musste er sie nicht fünf mal am Tag wieder richten. "Wenn Randy noch seine Hose sucht, hast du auf jeden Fall noch Zeit, für ein Nickerchen." Und schon wurde Shinji erst an Nates Brust und dann runter aufs Sofa gezogen, sodass er auf seinem Freund, wie auf einem riesigen Kissen lag. Gefühlt hatten sie gerade erst die Augen geschlossen, als irgendein kranker Idiot plötzlich begann, bei ihnen Sturm zu klingeln. Shinji stöhnte genervt, rollte sich von Nate und ging dann mit einem mörderischen Blick zur Tür. Auf dem Weg vorbei an einer Uhr, bemerkte er, dass mehr als zwei Stunden vergangen waren. Randy interessierte der finstere Blick offenbar nicht, der strahlte ihm nur entgegen: "Hey Shinji. Sorry, hat etwas länger gedauert. Habt ihr schon gegessen?" Darauf hielt er eine Plastiktasche hoch: "Wenn nicht, ich hab hier Mexikanisch. Quesadilla und Burritos. Seid ihr dabei?" Nate schlurfte aus dem Wohnzimmer zu ihnen beiden, wollte ihm aber wohl die Entscheidung überlassen. Toll… jetzt musste er auch noch mit dem Idioten essen. Zumindest, wenn er nicht selbst kochen wollte und durch den erneuten Schlafentzug, fehlte ihm wirklich die Lust dazu. Außerdem wäre Randy weg zu schicken, wirklich unglaublich unhöflich und seine Erziehung verbot ihm so ein Verhalten. Also trat er einfach stumm beiseite und ließ ihn ein. Sollte sich Nate um die soziale Interaktion doch kümmern, er sorgte nur dafür, dass der Tisch gedeckt war. "Ist der immer so… ruhig?", hörte er Randy fragen. "Nur, wenn ihm jemand auf die Nerven geht." Woah, seit wann war Nate denn so hart? Na ja, der musste wissen, was er seinem Kumpel zumuten konnte. Er saß schon, als die beiden ankamen und er musste wirklich aufpassen, dass ihm der Magen nicht knurrte, als sie alles auspackten. Als Katerfrühstück war das wahrscheinlich ideal. Vielleicht hätte er auch mal daran denken können, dass Nate etwas in dem Magen bekam. Noch war er es nicht gewohnt, auch die Verantwortung für jemand anderen zu haben. Sein Freund ging zum Wohnzimmertisch und holte die Kette, die er Randy dann unter die Nase hielt: "Hier du Honk" "Aaaah danke!" Randys Stimme war selbst für Shinji unangenehm laut, aber es war wohl ein Ausdruck davon, wie wichtig ihm das Schmuckstück tatsächlich war. Hoffentlich hatte Nate ihm die nicht geschenkt… Shinji musste schon die Zähne zusammenbeißen, als er sah, wie sich Randy ganz selbstverständlich umdrehte, damit Nate ihm die Kette umlegen konnte. Grrrrrr… "Hättest du nicht zu kotzen angefangen…", begann Nate rhetorisch und schaffte es dann nach einer halben Ewigkeit endlich, den winzigen Verschluss zu schließen. Nach Shinjis Meinung, konnte man Kaffee zu allem trinken, weshalb er schon eine Kanne vorbereitet hatte, die gerade noch durchlief. "Danke für das Essen.", sagte er kühl an Randy gewandt. Es war allein seine Erziehung, die da aus ihm sprach. "Das war sehr nett von dir." Er wollte viel lieber mit Nate auf dem Sofa liegen, und den Tag verschlafen. "Ach, keine Ursache", antowrtete Randy, als hätte er sich nicht vollkommen dreist selbst eingeladen. Erst jetzt fiel Shinji so richtig auf, dass sein Gegenüber eine Sonnenbrille trug und das auch nur, weil er sie jetzt abnahm. Wenn Nate schon aussah wie ein Zombie, sah Randy aus, als wäre er schon ein paar Tage begraben. "Ich habe noch nichts gegessen und in Gesellschaft schmeckt es besser." Das sah Shinji anders, aber jetzt konnte er sowieso nicht mehr zurück. Als Nate den Verschluss endlich zu bekommen hatte, wuschelte er Randy tatsächlich durch die Haare, was Shinji zum Erstarren brachte. Irgendwie hatte er immer angenommen, dass Nate das nur bei ihm machte, dass das so ein Beziehungsding oder einfach noch von ihrer alten Freundschaft ein Überbleibsel war. Der Kaffee war durchgelaufen und Shinji nutzte die Gelegenheit, um seinen Todesblick vor Randy zu verbergen. "Noch wer Kaffee?", fragte er in die Runde und zwang sich, seine Stimme ruhig zu halten. "Oder sonst was zu trinken? Ich hab Cola und Bier da." "Bah, kein Bier", würgte Randy nur hervor und gerade deshalb hätte Shinji ihm am liebsten eines vor die Nase gesetzt. "Cola ist gut und Kaffee geht immer.", mischte sich Nate ein, der vielleicht ahnte, dass er kurz davor war, ein Massaker zu veranstalten. "Nur bitte nicht zusammen, ja?" "Dir flöß ich beides gleichzeitig ein", hörte er Nate necken, woraufhin er fast eine Tasse zertrümmert hätte. Er fühlte sich unwohl und etwas überfordert. Er war es nicht gewohnt, dass Nates Aufmerksamkeit nicht voll auf ihm lag und zusätzlich war da auch noch ein anderer Mensch im Raum, mit dem er nichts anfangen konnte. So ganz wusste er deshalb nicht, wie er mit der Situation umgehen sollte, die Eifersucht half ihm da acuh absolut nicht. Schweigen war wohl die beste Alternative, so sagte er auch nichts dummes. Er hoffte einfach, dass Nate sich genug mit Randy unterhielt, dass er selbst sich nicht gezwungen fühlte, ein Gespräch anzufangen. Er war einfach zu müde für so komplizierte Sachen. Er setzte sich wieder, als Cola und Kaffeekanne auf dem Tisch standen und jeder ein Glas und eine Tasse vor sich hatten. Wenn er nervös war, fiel er oft zurück auf seine traditionelle Erziehung, auch wenn er das normalerwiese zu vermeiden versuchte. Er dachte nicht wirklich nach, als er kurz seine Hände faltete und ein leises 'itadakimasu' mit einer leichten Verneigung aussprach. Es fiel ihm erst hinterher auf. Vor Fremden waren ihm diese Rituale immer etwas unangenehm. Sein Vater hatte fest darauf bestanden, aber schon in der Schule hatte er es sich wieder zwanghaft abgewöhnt. Jetzt war es allerdings zu spät und er konnte nur hoffen, dass vor allem Randy es nicht mitbekommen hatte. Nach dem glubschäugigen Blick von Randy zu urteilen, hatte er das Glück aber nicht und auch Nate war in seiner Bewegung erstarrt. "Ita… was? Ist das Japanisch? Das klingt cool, was heißt das? Und die Verbeugung? Das ist auch so ein Japan-Ding, oder?" Die reine Flut an Fragen überforderte Shinji so sehr, dass er erst einmal nur ein "Ehm" rausbrachte. Er kratzte sich unbeholfen an der Wange und musste kurz überlegen, wie er das am Besten erklärte. "Itadakimasu heißt sehr lose übersetzt 'Guten Appetit' und die Verbeugung ist sowas wie eine Respektsbekundung. Die gehört dazu… meistens…" Er wollte nicht zu sehr ins Detail gehen, das interessierte keinen und er käme sehr schnell an seine Grenzen. Dennoch hatte er irgendwie das Gefühl, noch etwas nachschieben zu müssen: "Hier in Amerika wird das oft mit der christlichen Danksagung verglichen. Nur das wir keinem Gott danken… sondern… eh… sorry… ich bin nicht so unglaublich gut darin, das zu erklären. Es ist lange her, dass ich mich mit der japanischen Kultur näher befasst habe. Mein Vater hat sehr auf Tradition bestanden… und ab und zu kommt das noch etwas durch." Das war irgendwie peinlich. Er wusste im Prinzip ganz genau, wo dieses Ritual her kam und was es bedeutete und konnte es trotzdem nicht recht ausdrücken. Seit sein Vater ihn vor die Tür gesetzt hatte, hatte er auch den Kontakt zu seinen Wurzeln verloren und hatte unbewusst mehr darauf geachtet, sich 'amerikanischer' zu verhalten. "Ita… itadi… wie heißt das?", fragte Randy noch einmal nach, der anscheinend fest entschlossen war, das Wort zu lernen. Warum auch immer… "Idari… ikimas? Hä?" "Itadakimasu, du Hornochse.", warf Nate ihm an den Kopf, ehe die Serviette folgte. Sein amerikanischer Akzent klang dabei niedlicher, als wahrscheinlich gewollt. Shinji war ziemlich verwundert und sein Herz schlug ungewöhnlich schnell. Nate wusste das noch? Oh Mann… das… das berührte etwas ganz tief in ihm. Wäre er der Typ dafür gewesen, wäre er jetzt rot geworden, da war er sich sicher. Wie in so einem kitschigen Romance Anime. "Oh, verzeihen Sie, Herr Oberlehrer. Aber ich habe Shinji gefragt." Natürlich musste Randy den Moment vollkommen kaputt machen, was ihn für ihn noch unsympathischer machte. "Wenn ihr 'Danke' sagt, verbeugt ihr euch auch, oder? Und bei 'Entschuldigung'? Beim 'Hallo' und 'Auf Wiedersehen'? Vor oder nach dem Sex? Wie sieht es da aus?" Nate klinkte sich aus dem Gespräch aus und aß einfach weiter, was Shinji vollkommen überfordert zurückließ. Ihm gefiel ganz und gar nicht, wo dieses Gespräch hin lief und es gefiel ihm auch nicht, dass so dermaßen viel Aufmerksamkeit auf ihm lag. Wie kam er da jetzt am Besten wieder raus? Er wollte nicht so unhöflich sein und es einfach ignorieren. Manchmal fiel es ihm schwer, so unsozial zu sein, wie er gerne wäre. "'Ihr' ist nicht ganz richtig. Ich bin Amerikaner." Das war ihm wichtig, sehr wichtig. Es verband ihn nichts mehr mit seinen japanischen Wurzeln. "Ansonsten… ja, bis auf Letzteres ist das in Japan so. Es kommt aber auch sehr auf die Beziehung zwischen den Beteiligten an. Wenn man sich mit Freunden trifft, ist das was anderes, als seinen Chef zu begrüßen." Randy schien endlich genug zu haben, weshalb sich Shinji auch endlich seinem Essen widmen konnte. Es war mittlerweile fast kalt, aber schmeckte immer noch gut. Er musste sich den Laden merken. "Aber du sprichst auch Japanisch, oder? Und lebst nach japanischen Traditionen, wie man sieht. Siehst du dich kein bisschen als Japaner?" Bitte was? Was war das denn plötzlich für eine saudumme Frage? Nur, weil er eine alte Gewohnheit nicht ablegen konnte, lebte er plötzlich traditionell? Standen vor seinem Badezimmer etwa Besucherpantoffeln? "Wie man sieht? Das war eine kleine Angewohnheit, mehr nicht. Traditionelles Leben geht etwas über ein 'Itadakimasu' hinaus. Und ja… ich sehe mich als Amerikaner." Doch der angefressene Tonfall hinderte Randy nicht daran, weiter zu quatschen. "Mann, ich bekomme echt gerade Lust auf einen kleinen, verrückten Urlaub in Japan, um mir das alles selber anzusehen. Nathan, was sagst du? Fliegen wir rüber und schauen uns dort das Nachtleben an? Shinji ist bestimmt auch dabei, oder?" Waren normale Menschen so? Da erfuhren sie eine Kleinigkeit und waren plötzlich Feuer und Flamme für eine ganze Kultur? Das war doch unmöglich tiefgreifendes Interesse, sondern einfach nur oberflächliches Geheuchel. Woah, ging ihm das auf die Nerven. "In diesem Jahr habe ich keinen Urlaub mehr", warf Nate trocken ein. Anscheinend war der auch nicht wirklich begeistert oder wollte sich da einfach raushalten. "Moaaah, das weiß ich doch! Aber wenn du wieder da bist." "Macht was ihr wollt", grummelte Shinji deutlich schlecht gelaunt. "Aber lasst mich da raus." Er hatte besseres zu tun, als das Herkunftsland seines Vaters zu besuchen. "Dann hast du gar keine Verbindung zu Japan? Warst du schonmal da?" Konnten sie nicht endlich das scheiß Thema wechseln? Konnte Randy nicht mit Nate reden? Oder wenigstens umgekehrt? Tatsächlich schien sein Freund eingreifen zu wollen. Wahrscheinlich weil er ein Blutbad verhindern wollte. Besser so, er hatte wirklich schon damit geliebäugelt, Randy einfach die Zunge heraus zu schneiden. Nate nahm diesmal Shinjis Serviette und bewarf ihren Gast abermals damit, der sich lautstark darüber beschwerte. "Sei froh, dass ich dir damit nicht den Mund gestopft habe." Nur sein Freund schaffte es, bei so einem Satz vollkommen unschuldig drein zu blicken. "Wie kann man so früh schon so viele Fragen stellen?" Eine Weile lang lag Shinjis Blick misstrauisch auf Randy, doch der grummelte ein bisschen beleidigt vor sich hin, ehe er in seinen Burrito biss, aus dessen anderem Ende die Soße heraus quoll. Shinji aß auch weiter, doch er kam nicht weit. "Also warst du schon mal in Japan oder nicht?" Konnte er ihn nicht einfach vor die Tür setzen? Bitte? Wenn er nicht ein Kumpel von Nate gewesen wäre und Shinji sich deshalb wenigstens einigermaßen benehmen wollte, hätte er ihm längst ein paar unschöne Worte an den Kopf geworfen. So kaute er nur auffällig lang, ehe er sich dazu herabließ zu antworten: "Nein. Ich habe auch kein Bedürfnis da hin zu reisen. Es interessiert mich wirklich nicht." Nicht mehr, wäre die ehrlichere Antwort gewesen, aber das ging Randy nichts an. Früher hatte er der Kultur wirklich nachgeeifert. Nicht zuletzt auch, um seinen Vater glücklich und stolz zu machen. Er schweifte kurz in die Vergangenheit ab, doch wenige Minuten später war es Nates Handy, dass die endlich eingekehrte Stille wieder unterbrach. Sein Freund stand auf und verließ den Raum. Hoffentlich war es nicht schon wieder Arbeit. Wenn Nate doch früher weg musste, bekäme er die Krise. Er war mental nicht so flexibel… er brauchte die Zeit bis Sonntag noch, dringend. Dann war es aber wieder still im Raum. Zu still. Sie hatten fertig gegessen und tranken jetzt nur noch Kaffee vor sich hin. Der Drang, etwas zu sagen, wurde übermächtig, bis er es nicht mehr aushielt: "Nimm's nicht persönlich… ich kann nicht gut mit Menschen." Warum? Warum konnte er nicht einmal die Klappe halten? Und dann auch noch das? Das war, als würde er zugeben, ein Totalversager zu sein. Zumindest fühlte es sich so an. Doch Randy nutzte sein Geständnis nicht aus, stattdessen nickte er verstehend. "Kein Problem. Ich eigentlich auch nicht. Aber Nathan scheint trotzdem mit uns beiden gut auszukommen. Dann sollte es zwischen uns wohl funktionieren." Randy kam nicht gut mit Menschen klar? Waren nicht eigentlich solche Typen wie er, die, die am meisten Freunde hatten? Typen, die eben einfach redeten, ohne nachzudenken und offen und ehrlich waren? "Warum hat jemand wie du Probleme mit Menschen?", platzte es auch jäh aus ihm heraus. Arg… er sollte bei anderen nicht so direkt sein. "Viele kommen mit meiner Art nicht klar", berichtete Randy in vollkommen gleichgültigem Tonfall. War das gespielt oder machte es ihm tatsächlich nichts, dass er so sehr aneckte? Und warum kam man mit seinem Charakter nicht klar? Randy schien ihm das exakte Gegenteil von sich selbst, wie konnte da keinen Erfolg bei anderen haben? "Kann ich gar nicht nachvollziehen", rutschte ihm unabsichtlich, aber deutlich sarkastisch heraus. Ihm ging Randy ja auch auf die Nerven. Dennoch begleitete diesen Satz ein leichtes Lächeln, das daher rührte, dass er Randy verstehen konnte. Sie waren beide zwei Extreme, aber damit verschreckten sie andere Menschen schnell. Randy grinste zurück, was ihm zeigte, dass er ihm den Spruch tatsächlich nicht übel genommen hatte. Er war, so fies er auch geklungen hatte, nicht böse gemeint gewesen. Aber er konnte nicht weiter darüber nachdenken, denn die nächsten Worte hauten ihn um: "Das mag jetzt vielleicht etwas direkt sein, aber… läuft da was zwischen dir und Nathan?" Shinjis Blick gefror auf der Stelle. "Schließ' gefälligst nicht von dir auf andere!" Er konnte sich gerade noch ein 'Schwuchtel' verkneifen. Fuck, das hatte ihn wirklich erschreckt. Wie kam Randy ausgerechnet jetzt darauf? Warum überhaupt? Sie hatten sich kein bisschen auffällig verhalten. Nate hatte auch einen anständigen Abstand zu ihm gehalten und es war Randy gewesen, dem er durch die Haare gewuschelt hatte, nicht Shinji! "Oh… hat er etwa von uns erzählt? Sieht ihm gar nicht ähnlich. Wenn es um solche Dinge geht, bekommt man normalerweise so gut wie gar nichts aus ihm raus." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)