Von der Kunst, richtig zu sein von Lyndis ================================================================================ Kapitel 37: Kette ----------------- Eifersucht, schoss es Shinji plötzlich durch den Kopf und die Erkenntnis traf ihn so hart, dass er sich wohl hätte setzen müssen, wenn Nate ihn nicht gestützt hätte. Gleichzeitig hätte er sich von dem anderen am liebsten weg gestoßen und hätte ihn angeschriien, aber er wollte nicht schon wieder streiten und rief sich deshalb zur Ruhe. Erst einmal abtasten, was das überhaupt für eine Situation war, in der sie sich da gerade befanden. Aber es war schwer, seine Stimme ruhig zu halten. "Hast du ihn gern? Ich meine… anders als einen kleinen Bruder…" Er wollte die Antwort gar nicht hören und er fragte normalerweise nichts, worauf er die Wahrheit nicht haben wollte. Außerdem war die Frage unfair. Nate hatte ihm so oft gesagt, dass er ihn liebte, dass er die Liebe seines Lebens sei und er ihn sofort heiraten würde. Warum fragte Shinji das jetzt also? Das war vollkommen absurd! "Er ist nur ein guter Freund. Das damals hatte auch mehr mit Trauerbewältigung zu tun, als mit tiefergehenden Gefühlen." Man schlief also mit dem Bruder seines toten Freundes um diesem zu gedenken? Was war das denn für ein Schwachsinn? Dass sich Nate jetzt von ihm entfernte, half auch nicht. Aber entgegen Shinjis Erwartung ging er nicht, sondern musterte ihn. Wahrscheinlich erwartete er das Donnerwetter, dass sich gerade in Shinji zusammenbraute und das er mit Gewalt zu unterdrücken versuchte. Nate machte hier nichts falsch. Er konnte ihm nicht verbieten, mit Leuten zu verkehren, mit denen er mal geschlafen hatte. Er musste hier echt rational bleiben. Nate liebte ihn und niemand anderes. Die fiese Stimme in seinem Kopf, die ihm versuchte einzureden, dass ein gesunder Mensch viel besser zu Nate passte, musste er ignorieren. "Tut mir leid", murmelte er deshalb. Er wollte hier keine Szene schieben. Es war ihm peinlich genug, dass er überhaupt so empfand. "Ich bin wohl ein wenig eifersüchtig. Ich hab das Gefühl nicht erkannt, weil ich es nicht kannte, aber es ist da, seit ich Randy kennengelernt hab. Jetzt wo ich weiß, was es ist, kann ich daran arbeiten." Und das würde er, denn er hieß das selbst nicht gut. Eifersucht war nur fehlendes Vertrauen, nicht mehr, und er wollte Nate vertrauen, er musste. Wenn er begann seine Worte zu hinterfragen, ihnen zu misstrauen, dann hätte ihre Beziehung keinerlei Grundlage mehr. Das durfte nicht passieren. Nate schmunzelte seltsam, statt sauer zu sein, dass er sich so anstellte. Aber wenigstens stritten sie nicht schon wieder, das war doch etwas. Er musste jetzt nur noch in seinen Kopf bekommen, dass Nate sich nicht plötzlich Randy schnappte, nur, weil der ein paar psychische Probleme weniger hatte. "Okay", sprach Nate sanft und strich ihm eine Haarsträhne hinters Ohr: "Aber du solltest wissen, dass du nichts zu befürchten hast. Ich habe, was ich will." Es tat wirklich gut, diese Worte zu hören, aber als Nate sein Kinn leicht hoch drückte und ihn so stumm aufforderte, ihn anzusehen, stockte Shinji der Atem. Wie konnte man nur so viele Gefühle in einen einzigen Blick legen? Wenn er je an Nates Gefühlen gezweifelt hätte, hätte er jetzt damit aufgehört. "Steht das Angebot noch, dass wir einfach nur kuscheln? Mir ist nach irgendeiner dummen Serie, die uns beide nicht interessiert, nach einer heißen Schokolade und danach, einfach bei dir zu liegen und mal nicht über meine Probleme nachzudenken." "Klar. Das klingt nach einem perfekten Plan.", stimmte Nate grinsend zu und all die Spannung, die gerade eben noch zwischen ihnen gewesen war, schien verflogen. Zum Glück. Die wenigen Tage, die er noch mit Nate hatte, wollte er ganz sicher nicht mit streiten verbringen. Nur fünf Minuten später saßen sie aneinander gekuschelt auf dem Sofa und sahen irgendeine Serie. Die nächsten eineinhalb Tage verbrachten sie tatsächlich ohne Sex. Nicht, weil sie absichtlich darauf verzichteten, sondern weil es sich einfach nicht ergab. Den Abend an dem Nate dann mit Randy weg war, war Shinji recht unruhig. Zu einem Teil war es Eifersucht, aber es war auch, weil er sich schon daran gewöhnt hatte, dass Nate einfach da war. Deshalb vergrub er sich in einem seiner online Spiele, wo er besorgt von seinen Bekannten begrüßt wurde, weil er so lange nicht online gewesen war. Er sagte ihnen aber nur, dass er wieder in einer Beziehung war, nicht, dass es ein Kerl war. Das ging die auch nichts an, aber sie verstanden, dass er dann seltener online war. Er musste sich dann ein paar Sprüche über Frauen anhören, aber auch das erstarb glücklicherweise bald und sie konnten sich aufs Spielen konzentrieren. Als er früh morgens seine Wohungstür aufgehen hörte, verabschiedete er sich dann auch schnell und ging nach Nate sehen. "Hey", begrüßte er ihn plump, und wartete Nates Reaktion ab um zu sehen, wie betrunken der war. Sein Freund grinste ihn an. Breit. Seine glasigen Augen sprachen ebenfalls Bände. "Hey Kleiner", grüßte Nate zurück und nuschelte dabei nur ein wenig. Als er sich aber die Schuhe nur ausziehen konnte, weil er sich mit dem Rücken an die Wand lehnte, war klar, dass Nate wirklich dicht war. Er kam erst danach auf Shinji zu um ihm durch die Haare zu wuscheln. "Ich seh dich irgendwie doppelt", kommentierte er belustigt und machte sich dann auf den Weg Richtung Wohnzimmer. Shinji richtete sich seine Frisur halbwegs, während er seinem Freund folgte: "Wie liefs?" Normalerweise wäre das wohl eine auffällige Frage gewesen, aber Shinji musste sich nicht einmal die Mühe geben, seinen etwas kritischen Unterton zu verbergen. Nate fiel das sowieso nicht auf. Es gefiel ihm nicht, dass Nate derart betrunken war und die kleine, miese Stimme in seinem Kopf, versuchte ihm zuzuflüstern, dass sich Nate in dem Zustand unmöglich unter Kontrolle gehabt haben konnte und dieser Randy das sicher ausgenutzt hatte. Shinji massierte sich die Nasenwurzel und atmete durch. Bis eben hatte er das wirklich gut im Griff gehabt. Nate holte sich ein Glas aus dem Küchenschrank und lachte dann vergnügt darüber, dass er es nicht schaffte, es ordentlich mit Wasser zu füllen. Oh Mann… "Randy wollte eine Kneipentour machen", begann Nate munter zu erzählen und hatte ein wenig Probleme gleichzeitig etwas zu trinken, weshalb er kurz schwieg. "… und wir haben stündlich das Lokal gewechselt. Wobei wir bei dem letzten vorher rausgeflogen sind und dann im Park weiter getrunken haben." Er fragte sich, warum Nate sich nicht selbst als zu alt für sowas einschätzte, aber vielleicht war das in der Armee ja noch Gang und Gebe. Natürlich nicht während einem Einsatz, aber wahrscheinlich während deren Äquivalent von einem Freigang. "Ihr seid rausgeflogen?" Er fragte sich spontan, ob sie letzte Woche auch so hart gefeiert hatten, aber auch jetzt konnte er sich an nichts mehr erinnern. Diesmal war da aber zum ersten mal irgendein dunkles Gefühl, dass ihm sagte, dass er es sowieso nicht wissen wollte. Merkwürdig, aber da er sich sowieso nicht erinnern konnte, beließ er es einfach dabei. "Man sollte niemandem, der betrunken ist, Dartpfeile in die Hand drücken. Und schon gar nicht Randy", lachte Nate und trank den Rest Wasser. "Er hat den Pfeil versehentlich jemandem in den Rücken geworfen. Und das war ausgerechnet so ein Bikertyp. Der wollte…" Nate bekam sich einen Moment nicht mehr ein vor lachen, ehe er mit Tränen in den Augen fortfuhr: "… der wollte ihn verprügeln. Aber bevor ich auch nur dazwischen gehen konnte… hat der Lokalbesitzer Randy gepackt und vor die Tür gesetzt." Shinji fragte sich, ob es je schon einmal eine Situation gegegeben hatte, in der Nate betrunken und er nüchtern gewesen war, aber zumindest dämmerte ihm langsam, wie es seinem Vater damals ergangen sein musste, wenn er ihn nach so einer Sauftour erwischt hatte. Kein Wunder, dass er danach immer so wütend gewesen war. Für einen Menschen, für den Stolz derart wichtig war, war es natürlich eine Todsünde, wenn sein Sohn sich vor ihm so benahm wie Nate gerade vor Shinji. "Geht's dir gut? Hast du dich übergeben?", fragte Shinji sicherheitshalber. Er wollte wissen, worauf er sich heute Nacht einließ. Wenn Nate die Nacht durch kotzte, lohnte es sich nicht, sich überhaupt ins Bett zu legen. "Mir? Mir geht's gut. Ich bin groß genug, dass sich der Alkohol schön verteilt. Aber ich will nicht wissen, wie es Randy jetzt geht." Wollte Shinji auch nicht, aber bei ihm war das nicht nur eine Redewendung. "Der hat im Park schon gekotzt. Ich hab ja gesagt… so wird der Abend enden. Ich hab es gesagt…" Nate zog ein Gesicht, wie ein Wahrsager, dessen Vorhersage, die er vor Jahrzehnten prophezeit hatte, vollkommen selbstverständlich und zuverlässig eingetroffen war. Es fehlte nur noch unheilvolles Donnergrollen im Hintergrund. Nachdem Nate dann über seinen eigenen Geruch das Gesicht verzogen hatte, kündigte er an zu duschen und machte sich auch prompt auf den Weg ins Bad. Shinji war sich sicher, dass eine Dusche seinem Freund gut tun würde und er es schon ohne Unfall hinbekommen würde, deshalb ließ er ihn gehen. Die Ordentlichkeit, die Nate sonst an den Tag legte, schien mit dem Alkoholpegel aber verloren gegangen zu sein, denn er zog sich schon im Flur aus und warf seine Klamotten einfach überall hin. Weil das Zeug liegen bleiben würde, Shinji sowieso nichts besseres zu tun hatte und er nicht wollte, dass sich der Geruch von Zigaretten in der ganzen Wohnung ausbreitete, sammelte er die Sachen zusammen, um sie später in die Waschmaschine zu bugsieren. Als er bei der Hose ankam, fiel allerdings eine feine Kette heraus, die Shinji verwirrt vom Boden aufhob. Seit wann trug Nate denn Schmuck? Das wüsste er aber… Grübelnd sammelte er die restliche Kleidung in einer Ecke und verzog sich dann ins Wohnzimmer. Auf dem Sofa sitzend betrachtete Shinji dann noch einmal die Kette. Es wäre merkwürdig, wenn Nate die zugesteckt bekommen hätte. Man verschenkte nicht einfach Schmuck an einen Wildfremden, nur, um zu flirten. Ob Randy die ihm vielleicht gegeben hatte? Shinji presste die Lippen missmutig aufeinander. Ob der kleine Giftzwerg wirklich versucht hatte zu flirten? Hatte Nate die Kette nur aus Höflichkeit angenommen, oder weil sie ihm gefiel? Ob es ihm gefiel, dass Randy sie ihm geschenkt hatte? Nein, stoppte Shinji sich selbst. Keine Vorwürfe, keine Schlussfolgerungen. So war er selbst nicht. Er ließ sich in anderen Bereichen viel zu oft von seinen Emotionen übermannen, das hier würde er so rational klären, wie ein Problem beim Programmieren. Als Nate eine halbe Ewigkeit später wieder kam, grinste er immer noch vollkommen übertrieben, aber er schien wieder etwas sicherer auf den Beinen zu sein. Eigentlich hätte Shinji ihn fragen sollen, ob es ihm etwas besser ging, ob er etwas brauchte, aber auf die Idee kam er gar nicht. Stattdessen hielt er Nate die Kette hin: "Die ist aus deiner Hose gefallen. Ist das deine?" Nate setzte sich neben ihn und betrachtete die Kette im ersten Moment verwirrt, ehe er die Schultern zuckte: "Die ist von Randy." Kurz musste Shinji tief durchatmen, um nicht durchzudrehen. Nate liebte ihn. Er hatte ihm noch einmal gesagt, dass er mit ihm allein alles hatte, was er brauchte. Aus Nathans Sicht hatten sie eine feste Beziehung und die war exklusiv, das hieß, es gab für Nate auch niemanden neben ihm. Nate würde niemals fremd gehen. Warum drehte er dann dennoch fast durch, bei dem Gedanken, dass er von einem anderen Mann Schmuck geschenkt bekommen und diesen sogar angenommen hatte? "Ein Geschenk?", presste Shinji noch heraus. Er musste es wissen und zwar ganz genau. Eine Szene konnte er immer noch machen, wenn er alle Infos hatte. "Nah… ich hab sie ihm abgenommen, weil sie mir so gut gefällt." Das ergab nicht wirklich einen Sinn… "Er hat zu kotzen begonnen und bevor dabei die Kette im Weg war, hab ich sie abgenommen. Muss wohl vergessen haben, sie ihm wieder zu geben." Nate hielt ihm die Hand hin, in die er letztendlich die Kette legte. Nates Grinsen wurde schmaler, als er sie betrachtete und sie letztendlich fest umschloss, als wäre es irgendein wertvoller Schatz. Langsam wurde Shinji das echt zu viel. Warum war Nate eine Kette, die Randy gehörte, so wichtig?! Um die Gefühle irgendwie zu kompensieren, drehte er Nates Gesicht zu sich und küsste ihn tief. Es war vielleicht ein bisschen kindisch, aber diese sanfte Erinnerung, zu wem Nate gehörte, beruhigte Shinji etwas. "Ich hab dich vermisst", hauchte er danach. Es war nicht gelogen, aber eigentlich nur ein Themenwechsel und Anhänglichkeit war besser als Eifersucht, zumindest in seiner Welt. "Ooooh", machte Nate und legte die Kette auf den Tisch. Das tat gut. Er zog Shinji auch sofort zu sich. "Nochmal", forderte er wie ein kleines Kind, das um Süßigkeiten bettelte, ehe er die Augen schloss und darauf wartete, dass Shinji ihn erneut küsste. Aber so weit kam es gar nicht mehr. Nate musste plötzlich gähnen und als er erneut um einen Kuss bat, war er schon fast eingeschlafen. Er stupste Shinji noch einmal auffordernd in die Seite, aber dann lehnte er sich nur noch zur Seite, an die Sofalehne und war ganz weg. Shinji warf noch einen letzten Blick auf die Kette, ließ sie aber letztendlich auf dem Tisch liegen. Er legte Nate ordentlich auf die Couch, deckte ihn zu und verschwand dann wieder in sein Zimmer. Auch wenn Nate sich letztendlich für ihn entschieden hatte, wurmte ihn diese Kette immer noch, weshalb er sich wieder an seinen PC setzte und sich bei seinen Bekannten zurückmeldete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)