Von der Kunst, richtig zu sein von Lyndis ================================================================================ Kapitel 34: Versprechen ----------------------- Schwer atmend lag Shinji danach noch in Nates Armen. Irgendwie war das morgens anstrengender als abends, aber vielleicht lag das am fehlenden Frühstück. "Ich glaube, ich brauch eine Dusche, kommst du mit?" Nate war schon halb aufgestanden, ehe Shinji realisieren konnte, was er gesagt hatte. Erst als Nate schon nach der Unterhose griff, um für den kurzen Weg nicht nackt zu sein, wandte Shinji sich an ihn und grinste leicht. "Wenn ich 'ja' sage, wäschst du mir dann wieder die Haare?" Er wusste natürlich, dass Nate nur wieder versuchte ihn abzulenken, damit er nicht schon wieder in diesem Loch verschwand, das Shinji seine Psyche nannte. "Vielleicht bekommst du dann sogar eine zweite Runde" Er war stolz darauf, dass er das sagen konnte und sein Verstand warnte ihn auch nur leise davor, dass er sich zu weit wagte. Nate lachte und hielt ihm die Hand hin: "Du weißt, wie gut ich im Haarewaschen bin. Die zweite Runde ist mir sowas von sicher!" Und nachdem er ihn aus dem Bett und in eine Umarmung gezogen hatte, grinste er sein so typisches, schalkhaftes Grinsen. "Wir werden heute wohl nicht mehr die Wohnung verlassen, was?" Das leichte Flattergefühl in Shinjis Magen, war wohl eines der seltenen Beweise dafür, dass er tiefere Gefühle für seinen besten Freund empfand. Eine Weile später standen sie gemeinsam in der Küche, während Shinji Kaffee aufsetzte. Noch hatte Nate sich kein Shirt angezogen, was Shinjis Gedanken nicht wirklich zur Ruhe kommen ließ. "Meinst du…", begann er zögerlich, weil es ein unangenehmes Thema für ihn war, aber er konnte gerade an nichts anderes mehr denken. "Meinst du, wenn ich mir etwas sicherer mit der ganzen Sachen bin… können wir mal Rollen tauschen? Wenigstens… damit ich es mal ausprobieren kann?" "Ähm…", antwortete Nate deutlich überfordert. "Dir ist schon klar, dass ich das doppelte wiege und mehr als einen Kopf größer bin, als du?" Etwas verwirrt über diese Antwort, blinzelte er zu Nate: "Ich bin mir ziemlich sicher, dass es da Positionen gibt, wo das dennoch funktioniert." Nate schien das irgendwie nervös zu machen, was Shinji gar nicht nachvollziehen konnte. Er schob sich auch eine Zigarette zwischen die Lippen, zündete sie aber noch nicht an. "Du hast doch schon mit Frauen geschlafen, oder? Ich denke nicht, dass es da einen großen Unterschied gibt. Loch ist Loch…" Was? "Ja, klar da hab ich noch gar nicht drüber nachgedacht." Das kam etwas heftiger raus, als Shinji es gewollt hatte. "Redest da sicher aus Erfahrung, was? Du als Top hast ja da die perfekte Auswahl. Ich bin mir sicher, weil es ja das gleiche ist, hast du mindestens genauso viele Frauen wie Männer gevögelt." Er schüttelte enttäuscht den Kopf und goss sich Kaffee ein. Was ein Schwachsinn. Was war nur mit Nate los? Der redete doch sonst nicht so. Das war doch genau die dumme Scheiße, die er von anderen ständig zu hören bekommen hatte. Er solle sich nicht so anstellen, hatten sie gesagt. Loch wäre doch gleich Loch, wenn er sich nur zusammen reißen würde, würde es mit Frauen genauso gut klappen. "Sag doch einfach 'Nein', statt mit so einem Scheinargument zu kommen! Ich dachte, auf so dumme Ideen, kommen nur verklemmte Heteros." Oder verklemmte Schwule, so wie er selbst. "Okay, dann sage ich eben 'nein'", entgegnete Nate mit deutlich genervtem Unterton und tastete seine Hose nach einem Feuerzeug ab. Danach stellte er sich an das Fenster im Raum und zündete die Zigarette an. "Gut", grummelte Shinji und stand dann etwas ratlos vor dem Kühlschrank. Sollte er jetzt noch Frühstück machen oder nicht? Die Luft zwischen ihnen war gerade so dick, dass man die wahrscheinlich essen könnte. Was war überhaupt passiert? Er hatte doch nur gefragt, wie konnte das so eskaliert sein? Hatte er überreagiert? Hatte er eine Frage gestellt, die man normalerweise nicht stellte? Was hatte er falsch gemacht? Sein Blick flog automatisch kurz zu Nate, blieb dann aber dort hängen. Nate stand an dem einzigen Tor zur Öffentlichkeit und das mit nacktem Oberkörper. Panik ergriff Shinjis Körper und er hatte alle Mühe, diese zurück zu kämpfen. Wenn er jetzt auch noch durchdrehte und Nate damit nervte, würde der wahrscheinlich gleich wutentbrannt aus der Wohnung stürmen und nicht mehr wieder kommen. Das schnürte Shinji noch mehr die Kehle zu, als die Gedanken, die durch seinen Kopf rasten. "Willst du dir nicht was anziehen?", fragte er deshalb nur zaghaft. "Die Morgenluft ist sicher kühl." Er hatte etwas sagen müssen, aber er hoffte, dass es 'gut gemeint genug' war, dass es Nate nicht entgültig auf 180 trieb. Noch ehe er aber eine Reaktion bekommen konnte, wandte er sich von dem anderen ab und goss sich Kaffee ein, sich wie gewohnt hilfesuchend an der Tasse festhaltend. Er hörte wie Nate sich bewegte, spannte sich an, weil er, aus einem nicht vorhandenen Grund heraus, plötzlich angst hatte, dass er zu ihm kam und nahm einen Schluck Kaffee. Aber Nate ging an ihm vorbei und er hörte ihn in seinem Schlafzimmer verschwinden. Danach stand er wieder vor dem Fenster und eine ewig lange Minute verstrich, in der keiner von ihnen irgendwas sagte. Zumindest ist er noch hier, versuchte Shinji sich Mut zu machen. Die Worte wurden schnell zu einem Mantra. Was sollte er nur machen? Sich entschuldigen? Was tat man in so einer Situation? Er wusste ja nicht einmal genau, was er getan hatte. Plötzlich spürte er Arme, die sich um seinen Bauch legten und er erschreckte sich so sehr, dass er fast die wertvolle Flüssigkeit verschüttete. "Entschuldige", murmelte Nate und hauchte ihm versöhnlich einen Kuss in den Nacken. Entschuldigte er sich gerade dafür, ihn erschreckt zu haben oder dafür, was gerade passiert war? Shinji war sich nicht sicher. "Hab ich was falsch gemacht?", fragte er kleinlaut und verfluchte sich gleichzeitig dafür, so offensichtlich Angriffsfläche zu bieten. "Nein, du hast gar nichts falsch gemacht." Nicht nur die Worte, sondern auch die ruhige Tonlage beruhigten Shinji enorm. Als Nates Kinn sich auf seine Schulter legte, hob er die Hand und streichelte seinen Freund leicht hinter dem Ohr. "Deine Frage hat mich etwas überfordert, obwohl sie legitim ist. Ich bin zurzeit nur etwas angespannt, aber das hat nichts mit dir zu tun." Shinji war sich nicht ganz sicher, was Nate meinte. Lag es an dem Anruf gestern? "Willst du darüber reden?", fragte Shinji vorsichtig. Er wusste nicht, ob es angemessen war, zu fragen, aber ihm fiel keine andere Methode ein, um diese Situation zu lösen. Falls er doch einen Fehler gemacht hatte, wollte er den auf keinen Fall wiederholen. Aber dafür musste er erst einmal wissen, was eigentlich los war. Als Nate aufseufze, konnte Shinji förmlich heraus hören, dass er gerade die Augen schloss. Es war seltsam, wie gut man sich in so kurzer Zeit erneut kennenlernen konnte. Es fühlte sich an, als wäre Nate nie weg gewesen und als würde er genau dort hin gehören, wo er gerade war. Das war ein gruseliges Gefühl, aber es machte ihm keine große angst, es ging immerhin um Nate. Er hatte das Gefühl, dass, wenn nur Nate bei ihm war, alles machbar war. Das war ein noch viel befremdlicheres Gefühl. Wann war das passiert? "Ahm…" Es war aber noch so viel komischer, Nate derart herumstottern zu hören. Das war doch sonst sein Part. "Naja… was willst du da groß hören? Ich bin nicht gerne der Passive beim Sex. Ich hatte das, als ich 16 war und die Erfahrung sagt mir 'nein danke' zu einem zweiten Mal." Ein Arm löste sich von Shinji, nur, damit Nates Hand über seinen Bauch fahren konnte. Warum hatte sein Freund ihm das nicht gleich gesagt? … nun ja. Wenn er ehrlich zu sich war, kannte er das Gefühl. Wenn einem etwas unangenehm war, ging man schnell mal in den Angriff über, statt sich einfach zu erklären. Vielleicht hatte Nate angst gehabt, er würde ihn nicht ernst nehmen oder es als Kleinigkeit abtun. Oder war es etwas anderes? Ihm wurde schlecht, als ihm ein furchtbarer Gedanke kam. "A… aber es war nur ein ungeschickter Liebhaber… oder?" Es war mit Worten nicht zu beschreiben, wie viel Hoffnung in diesem Satz lag. Der bloße Gedanke, dass jemand Nate dazu gezwungen haben könnte, war abscheulich. Die Bilder, die das in seinen Kopf pflanzte, musste er viel zu lange ertragen, aber schließlich konnte sich Nate zu einer Antwort durchringen: "Der Typ war sehr von sich überzeugt, aber vielleicht war er wirklich nur etwas ungeschickt. Keine Ahnung… ich will nicht weiter darüber nachdenken." Shinji entspannte sich wieder, auch wenn das nicht ganz gerechtfertigt war. Die eigene Erfahrung, wie es sich anfühlte, wenn da etwas passierte, was man nicht wollte, war noch frisch und es drehte ihm fast den Magen um, wenn er daran dachte, wie Nate sich damals gefühlt haben musste. Er wusste auch wie es war, wenn man den Sex nicht mochte und ihn dennoch durchzog, weil man den anderen nicht verletzen wollte. Wenn man ausharrte und weiter machte, obwohl sich alles in einem dagegen sträubte. Er wusste, wie es war, wenn Berührungen nichts mehr bedeuteten, wenn jede Sympathie für eine Person plötzlich verschwand, weil es sich einfach nur falsch anfühlte. Er kannte diesen Moment, in dem man kalkulierte, ob man genug tat, ob es lang genug war, ob man eine Stelle zu lang berührte und es deshalb für den anderen zu langweilig wurde. Er kannte den Moment, in dem Intimität zu Arbeit wurde. Ein kalter Schauer rann seinen Rücken hinab und hinterließ einen bitteren Geschmack auf seiner Zunge. Er konnte verstehen, warum Nate das so strikt ablehnte. Er würde auch niemals wieder mit jemandem schlafen, den er nicht wirklich liebte. Und er erwischte sich in diesem Moment bei dem Gedanken, dass er das vielleicht nie wieder riskieren müsste, wenn Nate nur bei ihm blieb. Aber es war wirklich kein Wunder, dass Nate so allergisch auf diese Frage reagiert hatte. "Aber im Moment würde ich wohl auf jede Frage aus dem Gleichgewicht gebracht, die nicht alltäglich ist." Las Nate seine Gedanken, oder warum hatte er so perfekt anknüpfen können? Er wurde sanft herum gedreht und konnte in das ungewöhnlich ernste Gesicht seines Freundes sehen. "Shinji… ich weiß nicht, wie lange ich drüben bin. Ich will dir auch nicht wirklich viel darüber erzählen, weil du dir sonst unnötige Sorgen machen würdest. Aber… ahm…" Es war also wirklich wegen des Einsatzes. Na ja, das war wohl auch normal. Er sollte die nächsten Tage vielleicht darauf achten, dass er Nate nicht unnötig reizte, der hatte wirklich mehr als genug eigene Sorgen. Aber warum druckste er denn schon wieder so herum? "Egal, wo ich auch sein mag, in Gedanken bin ich bei dir." Oh Mann… "Du machst mich echt fertig, wenn du so redest.", stieß Shinji eher unfreiwllig aus, aber meinte es durchaus ernst. "Das bist einfach so gar nicht du. Ich mach mir eher Sorgen, wenn du so stotterst und Abschiedsmäßig rumschnulzt. Red lieber über die Zeit da drüben, das macht mir weniger Sorgen…" Das stimmte wahrscheinlich nicht ganz. Er wollte eigentlich nicht wissen, was da drüben so abging. Er wollte weiter in der Traumwelt leben, in der Nate nur der Scharfschütze war, der hunderte Metere von dem eigentlichen Geschehen weg war und der absolut nicht in Gefahr war. Er brauchte das, sonst würde er wahnsinnig werden, in der Zeit, in der Nate nicht da war. Aber wenn es seinem Freund half, würde er es in Kauf nehmen, dass seine Welt risse bekam und vielleicht sogar einstürzte. Letztendlich erntete Shinji das Lachen, auf das er abgezielt hatte. Es war nicht ganz so locker und offen wie sonst, aber es war ein sehr guter Anfang. "Entschuldige, war nicht beabsichtigt", raunte Nate und lehnte sich zu ihm hinunter, um kurz Shinjis Nase mit seiner anzustupsen. Aber dann war die Ernsthaftigkeit auch schon wieder da: "Es gibt ein paar Probleme, mit denen ich mich auseinandersetzen muss. Aber nichts, was nicht zu schaffen ist." "Damit kann ich mehr anfangen, danke." Auch wenn es ihn so unglaublich neugierig auf mehr machte. Was für Probleme? Nate konnte ihm so etwas doch nicht vor die Nase setzen und dann einfach abbrechen. Doch, konnte er wohl. Und er schluckte seine Neugierde einfach hinunter. Vielleicht war es besser, wenn er es nicht wusste. Wahrscheinlich durfte Nate auch nicht darüber reden. "Ich vertraue darauf, dass du wieder kommst. Wann du wieder kommst ist nicht so wichtig. Pass da drüben auf dich auf, ja? Wenn du nicht mehr da bist, habe ich keinen Grund mehr, mich zu ändern." Er grinste erst schief, ehe er leise lachte: "Aber kein Druck!" Nate schnippte ihm darauf nur leicht gegen die Stirn: "Pass du auch auf dich auf. Arbeite nicht so viel. Gönn dir Pausen und geh ab und zu vor die Tür." Das kannte er doch… Shinji wandte kurz den Kopf um einen Blick auf das Korkbrett zu werfen, auf das die kleinen Zettel gepinnt waren. "Ich hab gestern Nacht die Memos gelesen. Ich hoffe, du hältst dich an deine eigenen Ratschläge. Ich will sicher sein, dass es dir gut geht, solange ich weg bin. Und ich will als erstes dein Lächeln sehen, wenn ich wieder durch diese Tür komme." Ein kurzes Streicheln durch seine Haare und ein sanfter Kuss unterstrichen die Fürsorge, die schon aus Nates Worten sprach. "Ich finde, wir sollten uns ein beidseitiges Versprechen geben." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)