Von der Kunst, richtig zu sein von Lyndis ================================================================================ Kapitel 28: Kleidung -------------------- Als es am Abend klingelte, war Shinji schnell an der Tür. Es war Nate, wie er eigentlich erwartet hatte, aber es verwunderte ihn dennoch. „Hast du deinen Schlüssel vergessen?" Immerhin hatte er ihm den extra dafür gegeben. Aber er trat erst einmal zur Seite, um seinen Kumpel herein zu lassen. Da sie nur zu einem Italiener gingen, trug Shinji ein kurzärmeliges, dunkelgraues Hemd mit schwarzen und roten Tribals. Dazu eine normale, blaue Jeans. Erst jetzt musterte er Nate. Er trag ganz klassisch für ihn ein weißes Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln und eine helle Jeans. Aber was viel interessanter war, war die schwarze Sporttasche, die er dabei hatte. Auch wenn es ein etwas komisches Gefühl war, dass Nate Sachen von sich hier lassen würde, kribbelte es in seinem Magen aufgeregt. Shinji konnte nicht sagen, was sich verändert hatte, aber er vermutete, dass es die alten Gefühle waren, die sein bester Freund schon zum zweiten Mal hatte in ihm erwachen lassen. Einerseits war das wirklich aufregend, andererseits war da auch immer dieser Gedanke, ganz weit hinten in seinem Bewusstsein, der immer wieder leise an eine Tür kratzte und versuchte hindurch zu kommen. Er wusste, dass, sobald sich diese Tür öffnen würde, er da wäre, bereit, ihn wieder dort hin zu bringen, wo er noch vor etwas mehr als einer Woche gewesen war. Er wollte dort nicht wieder hin. Denn dieser Zustand bedeutete, dass auch Nate nicht mehr bei ihm sein würde und das war wirklich etwas, was er nicht wollte. Also musste diese Tür unter allen Umständen zu bleiben, denn auch wenn das alles ein wenig neu für ihn war und etwas plötzlich gekommen war, wollte er weiterhin Zeit mit Nate verbringen. Nate sagte nichts zu der Sache mit dem Schüssel, aber sein entschuldigendes Lächeln hieß wohl, dass er vergessen hatte, ihn zu besitzen. Shinji fragte sich unwillkürlich, wo Nate seinen Kopf hatte, aber vielleicht hatte der sich einfach nur auf ihr Date gefreut. Er sah auch nicht traurig oder so aus, was wohl ausschloss, dass etwas mit seiner Schwester war. Apropos Schwester... „Hast du alles mit deiner Schwester klären können?" „Ich hab's ihr gesagt. Sie freut sich und schweigt." Der kleine Zusatz am Ende beruhigte ihn sehr, auch wenn er sich immer noch nicht ganz sicher war, ob man ihr wirklich vertrauen konnte. Aber es war ihm lieber, als wenn sie sich Sorgen machte und sie beide jeden Morgen aus dem Bett klingelte. Shinji hasste U-Bahn fahren und das wusste offensichtlich auch Nathan, denn der suchte ihnen beiden eine Ecke und stellte sich dann so vor ihn, dass sie beide einen kleinen, privaten Bereich für sich hatten. Noch vor einer Woche hätte Shinji sich über die Rücksichtnahme gefreut, aber irgendwas schien sich verändert zu haben, denn plötzlich fiel es ihm negativ auf. Nate nahm ständig Rücksicht auf ihn und irgendwie... störte ihn das gerade. Es war ein bitterer Beigeschmack, denn es machte ihm bewusst, wie viele Baustellen da noch waren, die auf ihn zu kamen. Und so kam er nicht weiter... kamen sie nicht weiter. „Du musst das nicht machen", sagte er so leise wie möglich, damit auch wirklich nur Nate das hörte. Er führte nicht gerne Gespräche in der Öffentlichkeit, schon gar nicht solche... „Ich weiß, du denkst, du tust mir damit einen Gefallen und du liegst damit auch gar nicht so daneben, aber wenn du mich ständig in meiner Komfortzone belässt und darauf achtest, dass ich mich auch ja nicht unwohl fühle, macht es das auf lange Sicht nur schlimmer." Er gab sich wirklich Mühe das so nett zu formulieren, wie er konnte, denn er war Nate durchaus auch dankbar für seine Zuneigung. Aber er war eben auch schon vor Nate durchs Leben gekommen und in der U-Bahn etwas gedrängt an andere Menschen zu stehen, würde ihn nicht umbringen, egal wie unangenehm es war. Er wollte von Nate nicht bemuttert werden. Außerdem befürchtete er, dass Nate das auch in anderen Bereichen machte. Es war ihm schon mehrmals aufgefallen, dass Nate sich mit Berührungen zurück hielt, selbst wenn sie nur unter sich waren. Er musste immer den ersten Schritt machen und er verstand durchaus, warum Nate das tat aber... so kamen sie nicht vorwärts. Er hatte diesen Deal nicht mit Nathan geschlossen, damit der sich zurück hielt. Aber das tat er. Wenn Shinji genau darüber nachdachte, hatte er das auch vorhin wieder getan. Er hatte ihn nicht mit einem Kuss begrüßt oder ihn damit aufgezogen, dass er sich diesmal offensichtlich Gedanken um sein Outfit gemacht hatte. Nicht einmal umarmt hatte er ihn und das irritierte Shinji unglaublich. Wofür sprang er selbst denn über seinen Schatten, wenn Nate sich dann zurück hielt? Das ergab keinen Sinn! Irgendwie musste er Nate klar machen, dass er das sein lassen sollte. Denn auch wenn Shinji wusste, dass er schwach und hilflos wirkte... er musste nicht beschützt werden. Nicht vor so etwas. Nicht, wenn er sich in den Kopf gesetzt hatte, es zu ändern, weil es da plötzlich einen Menschen gab, mit dem es funktionieren sollte. Er wusste auch, dass er widersprüchliche Signale schickte, dass es durchaus Momente gab, in denen sich Nate zurückhalten musste, aber das hier war keiner. Und wenn er ihn zu einem Date abholte, war das auch kein solcher Moment. Irgendwie musste er es schaffen, Nate das zu sagen. „Ich weiß", sagte Nate dann plötzlich. „Ich weiß, dass du meine Hilfe nicht benötigst, aber..." Nate stockte und auf sein Gesicht legte sich ein Ausdruck, den Shinji nicht zuordnen konnte. Ob da doch etwas war, was Nate beschäftigte? War er deshalb so zerstreut gewesen? „Ich wollte es dir eigentlich erst später sagen, aber ich muss am Wochenende ins Hauptquartier." Was? Nate war auf einen Einsatz gerufen worden? Jetzt schon? Aber... aber sie hatten sich doch gerade erst wieder getroffen und... und... „Ich bin dann wohl erst mal eine Woche nicht da." Oh... eine Woche? Das... das war doch gar nicht so schlimm. Oder? Der Ausdruck in Nates Augen sagte ihm etwas anderes. Irgendwas war da. Nate sagte nichts mehr, bis sie nach fünf Stationen aussteigen mussten. So sehr Shinji auch wollte, dass es funktionierte, es war immer noch ein No-Go für ihn, dass andere von dem, was sie hatten, erfuhren. Deshalb achtete er darauf, nicht zu nah an Nate zu gehen. Das änderte sich erst, als sie in eine Seitengasse einbogen. Aber er änderte es nicht freiwillig. Nate packte ihn plötzlich am Handgelenk und zog ihn etwas näher, was Shinji nur erschrocken die Hand wieder wegreißen ließ, aber er sagte dazu nichts. Er hatte schließlich eben noch darauf bestanden, dass Nate ihn aus seiner Komfortzone holen sollte. „Lass mich dich einfach verwöhnen, solange ich noch da bin." Das klang auch wieder viel zu sehr nach Abschied und nach ‚Ich bin nicht nur eine Woche weg'. „Gut, darfst du. Aber nur, wenn du im Gegenzug aufhörst, dich zurück zu halten. Zumindest, wenn wir allein sind." „Deal", lachte Nate leise. Ob jetzt wegen des Angebots oder deshalb, weil Shinji den eher mürrisch formuliert hatte, war dabei nicht ganz klar. Das Restaurant war klein und gemütlich und fast voll besetzt. Auf den noch leeren Tischen fanden sich ‚Reserviert' Karten, was klar machte, dass es hier in Kürze wirklich brechend voll wäre. Es war aber auch ein Zeichen dafür, dass das Essen dort wirklich gut sein musste. Sie beide saßen an einem Tisch direkt am Fenster, aber dennoch eher mittig im Raum. Es war also keine dunkle Ecke, fern ab der anderen Tische, wie Shinji sonst gesessen hätte. „Entschuldige... ich habe es auch vorhin erst erfahren, sonst hätte ich es dir früher gesagt. Aber es sind ja nur sieben Tage." Shinji brauchte eine ganze Weile, bis er begriff, wovon Nate da eigentlich sprach, was unter anderem auch daran lag, weil er sich fragte, ob es normal für zwei Kerle war, essen zu gehen und wie wahrscheinlich es war, dass er hier auf Arbeitskollegen traf. Er hatte auf beides keine wirkliche Antwort und er hoffte einfach, dass er in der Menge der Menschen hier untergehen würde, falls doch noch jemand herein kam, den er kannte. Warum genau noch mal hatte er hierzu zugestimmt? Ach ja... er war so erleichtert gewesen, dass sie doch noch den Abend zusammen verbrachten, dass er zu allem ‚Ja' gesagt hätte. Dumme Hormone... Nach einigen Sekunden des Schweigens verstand er dann aber, dass es um die Sache mit der Navy ging. „Es gibt keinen Grund, dich zu entschuldigen. Ich habe zu keiner Zeit angenommen, dass du mir das verschwiegen hast." Plötzlich hatte er eine zusammengeknüllte Serviette im Gesicht und Nate grinste wie frecher Schuljunge. „Schau nicht so ernst, hier frisst dich keiner, wenn du ein wenig lächelst." Doch statt der indirekten Bitte nach zu kommen, hatte Shinji nichts weiter als einen skeptischen Blick für seinen Partner übrig. Ihm war nicht nach lächeln und das hatte auch nur zum Teil damit zu tun, dass er nicht wollte, dass das hier nach außen hin wie ein Date wirkte. Da half es auch nicht, dass Nate seine Augenbrauen hüpfen ließ. „Bist du sicher, dass es nur eine Woche ist? Denn dann ist das doch keine große Sache.", knüpfte Shinji an das vorige Gespräch wieder an. Nate lachte nur wieder, trotz des ernsten Themas, als er Shinjis unbeeindruckten Blick sah. Er schnappte sich dann auch einfach Shinjis Serviette, weil er ja jetzt keine mehr hatte. Sehr freundlich. „Ich bin nächste Woche Samstag wieder da.", berichtete er dann und klang nicht halb so ernst, wie er eigentlich sollte. „Aber es ist ziemlich wahrscheinlich, dass ich dann wenig später zurück muss. Ich habe ohnehin jeden Tag damit gerechnet. Ich bin ja schon mehr als drei Monate hier..." Shinji sah auf die Karte, die er in der Hand hielt. Er hatte schon gewählt, aber gerade fiel es ihm schwer, Nate anzusehen. Es war wirklich bitter, dass sie nur noch sie wenig Zeit miteinander hatten. Da war der Andere wie ein Wirbelwind in sein Leben gestürmt und zog genauso schnell auch wieder ab. Es würde hart werden, wenn Nate wieder weg war. Der einzige Lichtblick war, dass Shinji krankgeschrieben war und sie so die Zeit möglichst effektiv nutzen konnte. Wobei da natürlich das Treffen mit Randy war, was sie einen gemeinsamen Abend kosten würde und sicherlich wollte Nate auch noch Zeit mit seiner Schwester verbringen. Das sah nicht besonders gut aus... Dennoch wollte er Nate kein schlechtes Gewissen machen, weshalb er sich anstrengte seine Gesichtszüge etwas zu entspannen, als er aufsah und antwortete: „Dann sollten wir die bleibende Zeit nutzen, oder?" Ehe er sich zu einem Lächeln bringen konnte, kam die Bedienung und er konnte selbst spüren, wie seine Mimik wieder gefror. Sie bestellten erst einmal ihre Getränke, weil Nate noch nicht gewählt hatte. „Das hatte ich durchaus vor. Zumindest werde ich jede freie Minute auf dir hocken, bis du mich freiwillig abschiebst." Alarmiert sah Shinji sich nach dieser unglücklichen Formulierung im Raum um. Glücklicherweise war der Kellner schon weg und die Tische um sie herum waren in tiefe Gespräche vertieft. Es lief ihm kurz ein kalter Schauer über den Rücken, aber er fing sich bald wieder. Es war nichts passiert. „Klingt wie eine Herausforderung.", kommentierte er halb fragend, halb annehmend. Er hoffte wirklich, dass Nate seine Drohung wahr machte, auch wenn er selbst wusste, dass es unangenehm werden würde. Aber das war es ihm wert. Er wollte so viele Erinnerungen an den anderen haben, wie er bekommen konnte. „Das war ein Versprechen", antwortete Nate und vergrub sein Gesicht dann schnell in der Speisekarte. Wahrscheinlich grinste er vor Vorfreude. Gut so. „Ich bin vorbereitet. In der Sporttasche sind genug Klamotten zum Wechseln. Und wenn es dich nicht stört, würde ich die gleich bei dir lassen, damit etwas da ist, wenn ich wieder komme." Im ersten Moment kribbelte sein Bauch aufgeregt. Nicht nur, weil Nate sein Vorhaben mit den Worten untermalte, er gab ihm auch noch ein weiteres Versprechen: Er würde wieder kommen. Nate hielt seine Versprechen, das wusste Shinji. Er wusste auch, dass sein Freund das eigentlich nicht versprechen konnte, aber daran wollte er nicht denken. Im nächsten Moment realisierte er mit Schrecken, was das hieß. „Das klingt, als würdest du bei mir einziehen.", krächzte er und zuckte im nächsten Moment über seine eigenen Worte zusammen. Okay... nein, das hatte auch niemand gehört. Alle redeten noch... alles gut also. Er wusste natürlich, dass ein paar gebunkerte Klamotten noch keinen Einzug ausmachten, aber es war doch ein sehr großer Schritt in diese Richtung. Das ging ziemlich schnell, wenn man bedachte, dass Nate ihn immer noch kaum berührte. Nate fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht, verblieb sogar einige lange Sekunden so. Warum? War das eine Stressgeste? Es war Nate nicht zu verübeln... „Und wenn es so wäre?", fragte der dann, nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte. Shinji fiel erst jetzt auf, dass er gerade saß, als normale Menschen. Ob da die Militärausbildung durch kam? „Ich bin ja ohnehin nicht wirklich da." Meinte Nate das Ernst? „Eh...", begann Shinji vollkommen überfordert. Mussten sie das wirklich hier besprechen? Jetzt? Offenbar schon, auch wenn es ihn wirklich stresste, dass er Nates Gesicht nicht richtig sehen konnte, weil es noch immer halb hinter der Karte lag. Er war sowieso schon schlecht genug darin, anderer Leute Emotionen und Gedanken zu erraten. Man musste es ihm ja nicht noch unnötig viel schwerer machen. Aber damit musste er jetzt leben. Er sollte das Ganze logisch angehen: Wenn Nate wieder kam, würde er sowieso ständig bei ihm sein. Zumindest, wenn dessen Gefühle für ihn sich nicht änderten und die hatten immerhin schon einmal 15 Jahre überdauert, es war nicht davon auszugehen, dass sie jetzt verschwanden. Es war also nur praktisch, wenn Nate schon ein paar Sachen bei ihm hätte. Eigentlich war es tatsächlich unsinnig, die Tasche wieder mit zu nehmen, wenn sie sowieso wieder in seiner Wohnung landen würde. Trotzdem... „Ist dir das bei mir denn nicht zu dunkel? Und zu klein?" Er konnte definitiv nicht viel mehr von Nates Zeug aufnehmen. Obwohl er eventuell das Wohnzimmer ein wenig umstellen könnte, dann wäre noch Platz für einen weiteren Schrank. Nicht, dass Nate in der Wohnküche schlafen sollte, dem würde weiterhin Shinjis Bett zur Verfügung stehen, aber im Schlafzimmer war definitiv kein Platz sonst. Er würde seinen Arbeitsplatz nicht ins Wohnzimmer verlegen, das ging nicht. Er brauchte seinen Rückzugsort. Warum genau plante er eigentlich schon Nates Einzug? Mitten in einem Restaurant? „Wenn du dabei wärst, würde ich sogar in einer Höhle wohnen." Es gab sicherlich Menschen, die so eine Aussage romantisch und süß fanden. Shinji fand sie gruselig, weshalb er beschloss sie zu ignorieren. Wahrscheinlich war sie auch nicht ernst gemeint, denn Nate zögerte nicht, das Thema zu wechseln: „Ist sie dir denn zu klein und zu dunkel?" „Mir?", stieg Shinji sofort darauf ein. „Nein, natürlich nicht. Sonst würde ich nicht da wohnen." Er liebte diese Wohnung, wenn er ehrlich zu sich war. Natürlich würden die meisten sie trostlos finden, aber das war Shinji nicht wichtig. Diese Wohnung war sein persönlicher Bunker, der ihn vor dem Krieg beschützte, den er Leben nannte. Niemand konnte in seine Wohnung sehen. Es drang allgemein kaum etwas von der Außenwelt zu ihm durch und er mochte es etwas dunkler. Das gab ihm zusätzliche Sicherheit. „Aber es geht ja auch nicht um mich.", setzte er noch nach. Er glaubte nämlich zu wissen, dass Nate eher der Typ für eine helle, lebhafte Wohnung war. „Na eben." Nate sagte das, als wäre es vollkommen offensichtlich. „Du magst sie, warum sollte ich dann etwas dagegen haben? Es ist immerhin etwas, womit du dich wohl fühlst. Mir ist es egal, wo ich schlafe. Du könntest meinetwegen auch in der schäbigsten Behausung der Stadt wohnen. Ich würde dir überall hin folgen." Langsam konnte Shinji das nicht mehr ignorieren: „Hör doch auf, immer solche peinlichen Sachen zu sagen... Und ich will auch nicht, dass du dich mir so... unterordnest. Solltest du nicht eigentlich der dominante Part in dieser Bez..." Er brach ab, als er bemerkte, was er da beinahe tatsächlich gesagt hätte. Eine Sekunde lang setzte sein Herz aus. Hatte das jemand gehört? Das musste doch jemand gehört haben! Das war so auffällig gewesen. Sprachen die einen Tisch weiter etwa über sie? Bestimmt... doch als Shinji versuchte zu lauschen, musste er feststellen, dass es bei der Geräuschkulisse unmöglich war, auch nur ein Wort klar zu verstehen. Schnell schüttelte er den Kopf und redete weiter, um dieses drückende Gefühl auf seiner Brust wieder los zu werden: „Du nimmst dich viel zu sehr zurück. Ich weiß, dass du auch anders kannst. Dass du anders bist. Ich hab ständig das Gefühl, dass du es mir möglichst recht machen willst." Wo sie grundlegend wieder am Anfang dieser Diskussion angekommen waren. „Außerdem klingt es gruselig, wenn du solche Sachen sagst. Das klingt so nach Stalking." Das Mienenspiel von Nate war undurchsichtig für Shinji. Er hatte keine Ahnung, was der andere gerade dachte. Das einzige, was Shinji wusste, war, dass Nate gerade nicht traurig oder wütend wirkte. „Ist das wirklich so gruselig? Du hast keinen Sinn für Romantik..." War die Enttäuschung ernst oder gespielt? Er war sich nicht sicher. Nur die Härchen in seinem Nacken stellten sich auf, wegen der Wortwahl. Langsam wurde ihm das echt zu viel. „Außerdem ist dir hoffentlich klar, warum ich mir so viel Mühe um dich gebe, oder? Klar kann ich auch anders, aber du würdest schreiend weglaufen, wenn ich dich gleich dominiere." Shinji presste die Lippen zusammen und nahm einen Schluck von seinem Getränk. Wann zum Teufel war der Kellner wieder gekommen? „Mir ist bewusst, warum du denkst, dir so viel Mühe geben zu müssen. Aber das bringt doch so nichts. Ich will nicht, dass du dich verstellen musst. Ich pushe mich doch auch ständig, obwohl ich die Konsequenzen kenne. Wenn es zu viel war, kümmern wir uns gemeinsam darum. Ich weiß, dass das anstrengend ist - unnötig anstrengend - und zwar für uns beide. Aber es gibt keine Entwicklung, wenn ich nicht mit den Problemen konfrontiert werde. Mal abgesehen davon, dass es mir auch nicht besser geht, wenn ich bemerkte, dass du dich wieder einmal zurück hältst. Das hält mir nur noch mehr vor Augen, wie unfähig ich bin, mich normal zu benehmen." Nate nahm einen Schluck von seinem Bier und sah Shinji geduldig und offen an, als er sagte: „Ich gebe zu, ich halte mich zurück. Aber nur, weil mir dein Wohl am Herzen liegt. Du bist gerade dabei, dich wieder an menschliche Nähe zu gewöhnen. Geh es langsam an, wir haben es ja nicht eilig. Übrigens habe ich mich nicht fern gehalten, als ich dich gefragt habe, ob ich meine Sachen bei dir lassen darf. Hast du mir darauf eigentlich schon eine Antwort gegeben?" Erst bei dem letzten Satz bemerkte Shinji, dass er sich selbst Schachmatt gesetzt hatte. Schon wieder. Alleine, dass er wegen dieser einen Frage so einen Aufstand veranstaltet hatte, zeigte doch schon, dass es wirklich sinnvoll war, dass Nate sich zurück hielt. Das war doch Mist... Er seufzte geschlagen und zuckte dann die Schultern: „Nein, ich habe nichts dagegen. Ich hab genug Platz um den Kram unter zu bringen..." Er kam sich irgendwie dumm vor. Wie war es nur dazu gekommen, dass er sich so hochgeschaukelt hatte? Wo kam diese Hektik plötzlich her? Vermutlich hatte er wirklich angst davor, dass das zwischen ihnen nicht schnell genug ging und Nate vielleicht doch das Interesse verlor. Das war vollkommener Unsinn, das wusste er, aber dennoch konnte er diesen merkwürdigen Druck, den er sich selbst machte, nicht abstellen. „Danke", antwortete Nate sanft, mit einem leichten Unterton, der sich anhörte wie ‚Warum nicht gleich so?'. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)