Von der Kunst, richtig zu sein von Lyndis ================================================================================ Kapitel 25: Randy ----------------- Er hatte sich gerade hingelegt, als es an seiner Tür klingelte. Vollkommen verwirrt stand er also wieder auf und zog sich seine Hose an. War Nate doch früher als gedacht und hatte den Schlüssel liegen lassen? Er schloss bei sich auf und sah einem Blondschopf entgegen, der nur ein wenig größer war als Shinji und ähnlich schmal war. Er hätte ihn auf 25 geschätzt. "Ehm...", stotterte Shinji vollkommen irritiert. "Ich denke, Sie haben sich in der Tür geirrt." Der Blick der ihm entgegnet wurde, war genauso perplex wie sein eigener und dann hatte dieser Kerl auch noch die Dreistigkeit, an ihm vorbei in den Wohnraum zu linsen. "Ist Nathan da?" Shinji lief es eiskalt den Rücken runter. Vermutete dieser Kerl etwa, dass sie zusammen wohnten? Warum? Warum suchte er hier nach Nathan und nicht bei dessen Schwester? Die Müdigkeit war schlagartig vergessen, doch das hieß nicht, dass er geistig noch irgendetwas leisten konnte, denn sonst hätte er einfach die Tür wieder zu geworfen und die Sache wäre wahrscheinlich vergessen gewesen. Stattdessen begann er zu reden, großer Fehler: "Was wollen Sie denn von ihm? Wie kommen Sie überhaupt darauf, hier nach ihm zu suchen?" Nachdem der Kerl sich die Handfläche an seiner Jeans abgewischt hatte, streckte er Shinji die Hand hin. "Ich bin Randy. Ich habe Nathan heute Früh zufällig gesehen, wie er aus der Wohnung kam. Wohnt er denn nicht hier?" Bitte was!? Shinji war so sehr damit beschäftigt, die Panikattacke zu unterdrücken, die sich gerade in ihm hoch kämpfte, dass er die Hand gar nicht bemerkte. "Nein!", zischte er abwehrend und wahrscheinlich etwas zu energisch, ehe er sich wieder ein bekam. "Ich meine... wir sind alte Schulfreunde und er ist zu Besuch hier." Das war doch plausibel, oder? Das taten alte Freunde eben so. Kein Grund zur Panik, alles gut. Wobei... nein. Er hätte 'war zu Besuch hier' sagen müssen! Vergangenheitsform! Aber es war zu spät. Der Kerl würde wieder kommen. Randy hieß der... oh. Er hatte sich noch gar nicht vorgestellt: "Ich bin Shinji." Und da war ja auch schon eine Hand, die man schütteln konnte. Überschwänglich wurde seine Hand geschüttelt. "Das heißt, er ist hier?" Wer war dieses Kind? "Er wohnt derzeit hier in der Stadt...", antwortete Shinji vage und hoffte, dass seine Miene so finster aussah, wie sie sich anfühlte. Mehr würde der Kerl auch nicht aus ihm heraus kriegen. Wer wusste schon, wer das war. Am Ende schickte Chris den. Shinji lief es wieder kalt den Rücken hinunter. "Wenn es das dann war..." Und damit wollte er die Tür schon wieder zuschlagen. "Oh, warte, warte... warte!" Shinji hielt inne. "Kannst du ihm meine Nummer geben? Er soll mich unbedingt anrufen! Ich habe mein Handy mit allen Kontaktdaten verloren und es ist verdammt schwer, an ihn ran zu kommen, wenn er seine E-Mails nicht checkt. Der Kerl hat ja nicht mal Facebook oder Twitter! Warte... ich geb dir meine Nummer... Wenn du ihn siehst, sag ihm bitte, er soll Randy anrufen, ja?" Und schon wühlte dieser Wirbelwind in seiner Umhängetasche nach Papier und Stift, während Shinjis Hirn noch versuchte herauszufinden, was ihm gerade mitgeteilt worden war. Wie konnte man nur so viel und schnell reden? "Ich weiß das wirklich zu schätzen, Shinji..." Er kritzelte kurz etwas auf ein Stück Papier. "Und sorry für mein plötzliches Auftreten." Mehr als skeptisch nahm Shinji den Zettel entgegen. "Seid ihr auch alte Freunde?" Er konnte nicht genau sagen warum, aber irgendwas störte ihn. Wahrscheinlich, weil der Kerl gerade mehr wie ein Stalker rüber kam, als sonst irgendwas. "Ja... kann man sagen. Er und mein Bruder haben zusammen gearbeitet." Randy tippte mit dem Zeigefinger noch mal auf den Zettel, als wolle er ihn an seine Existenz erinnern und hob dann die Hand zum Abschied. "Danke nochmals!" Und dann war er weg. Zeit zu schlafen. Natürlich schlief er nicht wirklich viel. Aber er war so fertig, dass er noch bis Abends im Bett lag und hauptsächlich den Zettel auf seinem Nachttisch böse anstarrte. Irgendetwas störte ihn... Schließlich hörte er die Tür, die aufgeschlossen wurde, und war sofort auf den Beinen. So leicht war er schon lange nicht mehr aus dem Bett gekommen. Schnell hatte er sich seine Hose und ein frisches Shirt angezogen und trat dann auf den Flur. Doch da blieb er ein wenig erschrocken stehen. "Regnet's draußen so heftig?" Nate stand da und sah aus wie ein begossener Pudel. Sein Hemd klebte an seinem Oberkörper und er triefte so sehr, dass er sogar eine kleine Wasserspur hinter sich her zog. "Das ist nur Wasser, ich bin nicht aus Zucker." Doch Shinji sah das anders. Er nahm Nate das Essen aus der Hand und schob ihn dann ins Bad. "Geh warm duschen, ich such noch mal frische Klamotten raus." Kurz darauf stand Shinji ein wenig unschlüssig vor dem Bad. Er hatte nicht gehört, dass Nate abgeschlossen hatte, aber sollte er einfach rein? Es war ja eigentlich keine große Sache und auch wenn er mit dem Deal eher Nate die Chance hatte geben wollen, sich ganz natürlich ihm gegenüber zu verhalten, damit er sich an ihn gewöhnen konnte, sollte er vielleicht auch ein wenig die Initiative ergreifen. Mit einem kurzen durchatmen überschritt er also die unsichtbare Grenze und öffnete die Tür. "Ich lass dir die Sachen hier liegen.", sagte er laut genug, dass Nate ihn hören konnte. Wegen des Dunstes konnte er durch die Duschkabine hindurch nur Umrisse sehen und dennoch blieb sein Blick kurz daran hängen. Nate war unglaublich gut gebaut. Die Silhouette war schon nahezu perfekt und er erwischte sich bei dem Wunsch, sich einfach mit unter die Dusche zu stellen. Stattdessen schluckte er einmal trocken und beeilte sich den Raum zu verlassen. Mit klopfendem Herzen griff er nach dem Essen, dass noch auf der Kommode stand und verschwand in der Küche, um alles vorzubereiten. Nate war wohl aus der Dusche gekommen, gleich nachdem Shinji verschwunden war, denn noch ehe er die Ente süß-sauer und Frühlingsrollen auf den Tellern verteilt hatte, spürte er eine Präsenz hinter sich. Er erschauerte heftig. Hoffentlich sah man das nicht. Aber warum legte Nate nicht einen Arm um seine Taille? Versuchte er ihm seinen Freiraum zu lassen oder war ihm wirklich nicht danach? Shinji wünschte sich wirklich er würde es machen, traute sich aber selbst nicht, es einzufordern. "Ich hab echt Hunger..." Shinji konnte Nates warmen Atem in seinem Nacken spüren, wusste aber gleichzeitig, dass er sich das nur einbildete. Sein Freund war viel zu groß, als dass er ihm im Stehen in den Nacken hauchen könnte. "Dann setz dich", antwortete Shinji etwas steif, weil er mit den Gefühlen nichts anfangen konnte. "Ich krieg auch langsam wieder Hunger." Auch wenn er eher Appetit auf etwas anderes bekam. Nate nahm ihm die Teller ab und ging damit zum Esstisch, was Shinji dazu veranlasste, Gläser und Getränke zu holen. "Hast du schlafen können?" Unweigerlich musste Shinji daran denken, dass er die meiste Zeit damit verbracht hatte, auf einen Zettel zu starren: "Schon, aber da fällt mir was ein." Er sah auf um Nate das mit Randy zu sagen, stockte dann aber. Er schluckte wieder. Das T-Shirt war wohl kleiner, als das gestern und spannte sich deshalb ziemlich... aufreizend... über die Brust seines Freundes. "Oh...", murmelte er gedankenverloren. "Das... Shirt ist wohl ein wenig zu klein..." "Ein wenig?", lachte Nate und Shinji fragte sich, ob er wirklich über die Enge lachte oder über ihn. "Ich habe Angst es zu sprengen, wenn ich mich zu sehr bewege." Vor Shinjis innerem Auge riss das Kleidungsstück und gab so den Blick auf die delikate Brust frei. Leider tat ihm das Fabrikat nicht den Gefallen. "Wolltest du mir das sagen?" Er beobachtete wie Nate sich eine der kleinen Frühlingsrollen griff und sie sich komplett in den Mund schob. Beinahe hätte Shinji gewinselt. "Was?", fragte er abgelenkt, realisierte dann aber, dass Nate mit ihm gesprochen hatte. "Eh... nein... da war so ein Kerl... Andy oder so... der hat vorhin hier geklingelt, weil er dachte, du wohnst hier." Seltsamerweise wurde ihm nicht mehr schlecht und bange bei dem Gedanken, dass der andere Kerl etwas absurdes vermuten könnte. Da war ein anderes Gefühl, das sich schwer in seinem Magen ausbreitete. "Er hat seine Nummer hier gelassen und meinte, du hättest mal mit seinem Bruder zusammengearbeitet?" Um sich von dem Anblick vor sich los zu reißen, nahm er sich schnell von der Ente und dem Reis, Nate tat es ihm gleich. "Meinst du vielleicht Randy?" Shinji nickte. "Ja genau, so hieß er. Sorry, ich kann mir Namen nicht so gut merken." Doch Nate überging das einfach: "Ich hab das Tattoo stechen lassen, als sein Bruder fiel. Du erinnerst dich? Wo ist die Nummer?" Shinji hätte jetzt wahrscheinlich Mitgefühl zeigen müssen, aber er war viel zu sehr mit der Frage beschäftigt, wie sein Freund zu Randy stand, wenn er so schnell diese Nummer haben wollte. "Hätte ich dich anrufen und Bescheid geben sollen? Oder ihn aufhalten sollen?" Wenn die Verbindung der Bruder war, könnten die beiden nach seinem Tod recht eng befreundet gewesen sein. So etwas konnte zusammen schweißen. "Nein, ist schon okay. Ich werde ihn später anrufen." Und Nate sah dabei so nachdenklich auf seinen Reis, dass sich automatisch etwas in Shinjis Magen verknotete. "Ich hoffe er hat dich nicht genervt.", fügte Nate eine ganze Weile später hinzu. "Das kann er nämlich sehr gut." Das typische Grinsen fehlte und das besorgte Shinji. Wollte Nate Randy vielleicht gar nicht sehen? Hatte er gerade eben ein falsches Gefühl gehabt? Er war sich wirklich nicht sicher. Manchmal wünschte er wirklich, er wäre empathischer. Dann wüsste er jetzt auch, was dieser Ausdruck auf Nathans Gesicht bedeutete. "Ich war halb am Schlafen, wenn ich ehrlich bin. Er war ein bisschen aufgedreht, aber... freundlich... denke ich." Und er war hübsch gewesen. Nicht sein Typ, aber hübsch. Und das störte ihn. Allerdings ausnahmsweise mal nicht, weil er sich selbst dabei erwischte, wie er Männer kategorisierte. "Entschuldige. Ich weiß, du bist nicht der größte Fan von unangekündigtem Besuch." "Kannst du ja nichts für", antwortete Shinji stirnrunzelnd. War ja wohl kaum so, als hätte Nate den Kerl vorbei geschickt. "Außerdem..." "Das Essen ist ganz schön heiß." Die furchen auf Shinjis Stirn wurden tiefer. "Ist alles in Ordnung? Reißt das Gespräch alte Wunden auf?" Anders konnte er sich das nämlich nicht erklären. Nate war wirklich nicht der Typ der so plötzlich und so eindeutig das Thema wechselte. Es sei denn, er wollte Shinji aufmuntern, aber dann erzählte er irgendeinen Blödsinn und begann nicht über das Essen zu reden. "Ich habe ihn nur seit über einem Jahr nicht gesehen. Das ist alles." Nur ein Jahr nicht? Aber das war doch wirklich nicht die Welt, oder? Was war so schlimm daran? Wahrscheinlich hatte Nate einen Einsatz gehabt und danach hatte seine Schwester ihn sofort zu sich geholt. Das war doch nichts ungewöhnliches und auch nichts verwerfliches. Randy wusste doch, was Nate arbeitete, da würde der wohl doch Verständnis haben. Und er wirkte auch alles andere als sauer. "Ich hätte ihn erst gar nicht aus den Augen verlieren dürfen. Ich habe es seinem Bruder versprochen, da lag er auf dem Sterbebett. Aber... ich muss zugeben... ich habe nicht einmal nach ihm gesucht. Ich habe mir eingeredet, dass es so okay sei und es für ihn an der Zeit wäre, endlich auf eigenen Beinen zu stehen. Aber vielleicht war das falsch... Ich habe Dinge getan auf die ich nicht stolz bin und vielleicht wollte ich einfach nur Abstand dazu gewinnen." Shinji verstand nur Bahnhof. Na gut, nicht nur. Nate hatte ein schlechtes Gewissen, das verstand er. Er verstand ebenfalls, dass das an dem Versprechen lag. Aber den Rest begriff er nicht. Nate war nun wirklich niemand, der andere im Stich ließ und schon gar nicht absichtlich. Was könnte ihn nur dazu getrieben haben? Aber das war jetzt auch nicht wichtig. Wichtig war, Nates Trauermiene wieder aufzuhellen. Also... wie tröstete man? Erst mal Körperkontakt... also legte er die Hand auf Nates Arm. Dann... Worte... positive Worte. Nate hatte Angst, dass es Randy nicht gut ginge, oder? Da konnte er doch ein bisschen entgegenwirken: "Ich denke er sah ganz normal aus. Nicht irgendwie fertig oder so. Und er hat ziemlich intensiv Ausschau nach dir gehalten, schien aber nicht sauer auf dich. Und er hat es auf sich genommen, dass ihr euch aus den Augen verloren habt. Er meinte, er hätte sein Handy mit den Kontaktdaten verloren... oder es wäre kaputt gegangen oder so. Er hat auch nur seine Nummer da gelassen und nicht deine gewollt. Sieht also so aus, als wäre er nicht total verzweifelt oder von dir besessen oder so..." Nates Blick lag eine Weile auf der Hand, die auf seinem Arm lag. Erst dann wanderte er langsam nach oben und traf schließlich Shinjis Augen. Und dann lachte Nate völlig unvermittelt. "Handy verloren", gluckste er. "So ein Idiot." Er hatte ein wenig das Gefühl, dass Nate jetzt nur so locker reagierte, weil er nicht wollte, dass Shinji sich Sorgen machte. Aber er konnte sich da auch irren. Da Nate das Essen wieder aufnahm, tat auch Shinji das und nahm dafür seine Hand auch wieder zu sich. Dennoch lag ihm irgendwas im Magen... "Außer, dass er der Bruder von deinem Kumpel war... ist noch irgendwas... ich weiß nicht... besonderes an ihm? Ich hab so ein komisches Gefühl..." Nate hob irritiert eine Augenbraue: "Also... ein Psychopath wird er nicht sein. Du meintest, er sähe ganz normal aus." Als ob Psychopathen nicht auch ganz normal aussehen. Randy stand ja nicht vor der Tür, mit einem abgetrennten Kopf in der Hand und über und über mit Blut besudelt. Außerdem hatte er keine Angst vor dem Kleinen. "Wieso fragst du?" Doch Shinji schüttelte nur abwehrend den Kopf: "Vergiss es einfach... ich dreh wahrscheinlich nur langsam durch und fange schon an Gespenster zu sehen." "Nach gestern verständlich", sagte Nate da ganz neutral. "Geh es ruhig an, Shinji. Erst wird gegessen, dann wird gezockt. Oder willst du 'nen Film sehen? Für mich egal, ich kann bei beidem Bier trinken." Shinji musste schmunzeln, besonders, als er sah, wie Nate seine Augenbrauen hüpfen ließ. War er nicht eigentlich gerade dabei gewesen, Nate aufzumuntern? Jetzt war es ja doch wieder umgekehrt. Aber sein Arzt hatte ihn schon vorgewarnt, dass das Zeit brauchte und dass er sich ruhig in die Hände seines Freundes begeben solle. Shinji wollte nur aufpassen, dass das nicht Überhand gewann. Er wollte nicht zu einem jammernden Waschlappen verkommen. Er war immer auch selbst klar gekommen, das wollte er auch beibehalten. Dass Nate ihm jetzt durch diese Zeit half, war in Ordnung, aber irgendwann musste das auch wieder aufhören. Irgendwann musste man loslassen. "Mir ist irgendwie nicht nach zocken. Aber wir können ja mal Netflix durchwühlen, da finden wir sicherlich was." "Klingt gut", erwiderte Nate, lächelte dann aber fürsorglich: "Aber lass uns endlich mal essen." Als sie fertig waren ging Nate ans Fenster zum Rauchen und Shinji holte den Zettel mit der Nummer. Er wollte das nicht noch vergessen und Nate sollte auch nicht noch einmal fragen müssen. Das wäre nicht fair. "Ich ruf ihn kurz an, ja? Es dauert nicht lange." Aber Shinji schüttelte schnell den Kopf: "Lass dir Zeit. Ihr habt euch lange nicht gesehen." Er sagte das ganz ehrlich, auch wenn diese Worte einen bitteren Nachgeschmack hinterließen. Was war nur los mit ihm? "Ich geh in der Zeit auch eine Rauchen", erklärte Nate noch und war dann zur Tür raus. In den viel zu engen Klamotten... und draußen war es sicherlich immer noch am nieseln. Dieser Kerl... Dennoch schmunzelte Shinji, als er begann das Geschirr zu spülen. Als er einen Blick auf die Korkplatte warf, fiel das aber. Er hatte Nate noch nicht gesagt, dass er die komplette Woche krank geschrieben war, das sollte er noch nachholen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)