Von der Kunst, richtig zu sein von Lyndis ================================================================================ Kapitel 12: Vertrauen --------------------- Shinji klappte der Mund auf. "Was? Nein... ernsthaft?" ... fuck. So viel dann dazu, dass er nichts dazu sagen würde. "Das... hat ja nicht gerade lange gedauert", seufzte er schuldbewusst. Aber da nicht zu reagieren, war wirklich unmöglich! Die Navy SEALs. Er hätte mit vielem gerechnet, aber sicherlich nicht damit! Sobald er wieder alleine war, würde er nachsehen, was genau das war. Klar kannte er den Ausdruck, aber mit militärischen Organen hatte er sich nie näher befasst und er wollte nicht am Ende irgendwelchen Vorurteilen erliegen. "Ja, ernsthaft...", antwortete Nate nur und grinste süffisant. Wenigstens war er nicht sauer oder enttäuscht, das wäre schlimmer für Shinji gewesen. "Also? Was willst du wissen?" Shinji stand zu seinem Wort und egal was für unangenehme Dinge Nate jetzt fragen würde, er würde wahrheitsgemäß antworten. Das war er ihm schuldig. Aber Nate überraschte Shinji wieder, weil er auffällig lange überlegte. Konnte er sich einfach nicht entscheiden, was er ihn nun genau fragen sollte, weil es so viel gab, oder wusste er tatsächlich nicht was? Es gab so viele tausend Dinge die man allein über damals fragen könnte. Es gab so viel, das er Nate noch nicht gesagt hatte, dass er ihm definitiv nicht sagen wollte! Und Nate selbst kam wirklich auf keine Frage? Shinji hätte ihm ja fast geholfen, doch dann kam tatsächlich noch etwas von seinem Gast: "Wer hat das Video gemacht?" Das war die Frage? Nathan hatte die Möglichkeit ihn alles zu fragen und er wählte die? Das war ja nicht einmal eine, die er normalerweise nicht beantwortet hätte: "Ich bin mir nicht sicher..." Und das war die Wahrheit. "Ich glaube nur, dass es jemand aus unserer Clique war. Wenn ich raten müsste, würde ich Liz sagen und ich bin mir auch ziemlich sicher, dass sie nichts böses damit vor hatte. Sie hat sich wahrscheinlich gar nichts dabei gedacht. Sie wird's Jake gezeigt haben und dann wird er es verbreitet haben. Aber... ich weiß absolut nicht ob das stimmt. Als es bei mir ankam, wusste es schon die halbe Schule." Aber es war die logischste Konstellation. Jake war damals mit Liz zusammen gewesen und Shinji hatte sich einmal mit ihm angelegt, weil er das Gefühl gehabt hatte, er hätte Liz schlecht behandeln. Wenn er ehrlich war, dachte er das sogar heute noch, er hatte nach der ganzen Sache nur nichts mehr dagegen tun können. Vielleicht war es aber auch ein anderes Pärchen aus der Gruppe gewesen und der Kerl hatte gedacht so einen Konkurrenten ausschalten zu können. Vielleicht war es auch niemand aus der Clique gewesen... er konnte es wirklich nicht sagen. Nate schwieg. Er saß einfach nur da, mit verschränkten Armen und vollkommen emotionslosem Gesicht. Sein Blick war so durchdringend, dass er Shinji einschüchterte. War das der SEAL? War das, was das Militär aus Nathan gemacht hatte? Emotionslos... berechnend... angsteinflößend? "Hast du noch zu jemandem von ihnen Kontakt? Ist das der Grund, weshalb du dich so zurückgezogen hast?" Shinji senkte den Blick auf den Tisch, machte sich automatisch kleiner, als er sowieso schon war und antwortete ganz automatisch: "Ich... nein, hab ich nicht. Sie wollten keinen mehr. Ich bin ihnen zwei Tage lang hinterher gelaufen, vollkommen irritiert, bis sich einer mal erbarmt hat mit zu 'erklären', warum sie mich plötzlich meiden. Wobei das 'erklären' darin bestand, dass mir Mike vor die Füße gespuckt hat und mir sagte, dass sie mit solchen wie mir nicht mehr zu tun haben wollen." Wut und Bitterkeit ließen seinen Körper leicht zittern. Er konnte sich so genau an diese Worte erinnern. An die Abscheu die darin gelegen hatte. Als wäre er kein Mensch mehr... als wäre er Müll. Aber so war es eben, nicht? Man war eben Müll, wenn man auf Männer stand, wenn man nicht normal war. Er brachte es nicht über sich die zweite Frage zu beantworten. Stattdessen presste er unbewusst die Lippen zusammen. Das ging ihm zu weit. Da konnte Nathan ihn so lange in Grund und Boden starren, wie er wollte. Das bekam er nicht aus ihm heraus. Das würde er nicht zugeben. So tief würde er nicht sinken, dass er offen zugab, dass er sich hier in diesem Keller vor der ganzen Menschheit versteckte. "Entschuldige..." Shinji war sich nicht ganz sicher, wofür sich Nathan entschuldigte, doch als er aufblickte und in das, nun wieder offene, Gesicht schaute, die Augen voller Fürsorge und mit einem gezwungenen Lächeln auf den Lippen, wusste es, dass Nate bemerkt hatte, dass er zu weit gegangen war. Dennoch sank sein Blick noch einmal auf den Teller vor sich und er musste kurz durchatmen, um sich wieder zu beruhigen. Vorhin noch war die Stimmung so ausgelassen gewesen, er wollte das nicht kaputt machen, indem er jetzt auf diesem Ausrutscher herum ritt. Er sollte sich zusammenreißen. "Nicht schlimm", murmelte er deshalb, um einen Anfang zu finden. Sich zusammen zu reißen war wirklich einfach gesagt als getan. Die Stimmung im Raum war erdrückend. Irgendetwas musste es doch geben, an das er denken konnte, das ihn fröhlicher stimmte und noch ehe er diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, musste er an das Basketball Spiel erinnern und an Nate, wie er auf ihn aufgepasst und sich um ihn gekümmert hatte. Da kam das sanfte Lächeln ganz allein auf seine Lippen zurück. Etwas schüchtern sah er auf: "Danke... für heute..." In so einer Situation wirkte das erstaunlich fehl am Platz, wie ihm im Nachhinein auffiel. Das mit dem sozialen Umgang war wirklich nicht so seins. Glücklicherweise ging Nate aber auf den Themenwechsel ein und obwohl es noch etwas gestelzt wirkte, lockerte sich die Stimmung doch merklich: "Nichts zu danken. Ich hatte ja auch meinen Spaß." Nate lächelte jetzt viel ehrlicher. "Außerdem hast du eindeutig Glück gebracht, sonst hätte ich heute bestimmt nicht gewonnen." Dann herrschte kurz wieder Schweigen, ehe Nathan wieder ansetzte: "Und du bist dir sicher, dass du die Stadt nicht kennst? Ich würde mich echt gerne von dir rum führen lassen. Und das nicht nur, weil es echt deprimierend ist, dass ich bisher kaum mal weiter als bis zum Supermarkt auf der anderen Straßenseite gekommen bin." Shinji konnte es seinem Gast nicht verdenken, dass er noch einmal nachhakte. Er hatte ihm so viel Mist erzählt, nur um ihn von sich fern zu halten, dass es nahe lag, dass auch das gelogen gewesen war. "Na ja...", begann Shinji langsam und wollte eigentlich gar nicht so recht zugeben, was er im Begriff war zu sagen: "Ich könnte dir den Weg zu meiner Firma zeigen." Er grinste schief. "Das war's dann aber wirklich." Er wohnte ja auch erst ein paar Jahre hier... soviel dann zu 'deprimierend'. Schon wieder fragte er sich, was Nate jetzt von ihm denken musste. Offenbar war das Shinjis neueste Lieblingssportart, die noch viel drängender wurde, jetzt, wo er wusste, dass Nathan SEAL war. Mit Führungsposition! Wie erbärmlich musste Shinji wirken? "Okay..." Doch statt einen komischen Spruch ab zu lassen, grinste Nate einfach nur so typisch wie immer und schnippte ihm dann leicht gegen die Stirn: "Worüber denkst du nach? Es macht mit langsam Sorgen, dass ich ständig hören kann, wie dein Hirn arbeitet." "Sorry...", murmelte Shinji. "Nichts wichtiges..." Und das war es wahrscheinlich wirklich nicht, denn jedes Mal, wenn er Angst bekam, er würde in der Achtung seines Freundes sinken, passierte einfach gar nichts und es ging einfach weiter wie bisher. Shinji war wirklich froh darüber, aber er konnte einfach nicht verstehen warum. Sie waren so unterschiedlich und er so erbärmlich, gerade im Vergleich zu Nate. ... jetzt fing er schon wieder damit an! Schnell fuhr er sich durch die Haare und lehnte sich im Stuhl zurück, um diesen verdammten Gedanken zu entfliehen. "Tut mir leid. Ist wohl so eine dumme Angewohnheit, die man nicht abstellen kann. Hattest du noch was gesagt? Ich hab's nicht mitbekommen." Nathan grinste wieder nur und wiederholte seine Frage: "Ich habe gefragt, ob wir uns nicht zusammen die Stadt ansehen wollen? Ich bin mir sicher, dass sie etwas mehr zu bieten hat als einen Supermarkt, eine Kneipe und eine Firma." Nate sah ihn an wie ein Hund der Gassi geführt werden wollte. Eigentlich fehlte nur noch eine Leine und das klägliche Winseln. Nate wusste genau, dass das bei ihm zog! Das hatte er früher schon so oft gemacht, verdammt! Demonstrativ wandte Shinji den Blick ab und kaute sich nervös auf der Unterlippe herum: "Wir können's ja mal versuchen.", grummelte er etwas unwillig. "Wie lange hast du denn noch Urlaub?" Ugh... das klang als wollte er den Rest des Urlaubs mit Stadterkunden verbringen. Hervorragend. Er fühlte sich wie bei ihrem Wiedersehen in der Küche von Nates Schwester. "Ausgezeichnet! Hast du morgen schon was vor?" Für das unschuldige Lächeln, hätte er Nate erwürgen können. Berechnender Bastard! Aber er konnte ihm nicht böse sein, vor allem, weil es einen besseren Tag zum Auskundschaften als einen Sonntag nicht gab. Da wäre die Stadt wesentlich ruhiger. Als lächelte er versöhnlich und stimmte zu. "Lässt du mich denn ausschlafen?", scherzte Shinji halb und meinte es halb ernst. Nate aß gerade seinen letzten Löffel Curry und stand gleich auf, als er fertig war. "Ich denke, es wird Zeit, dass ich mich auf den Weg mache." Verwirrt stand auch Shinji auf, fragte sich aber, ob er gerade etwas falsches gesagt hatte. Doch Nate grinste so breit, dass das eigentlich nicht sein konnte. Vielleicht musste er wirklich los... allerdings hatte sein Gast nicht einmal auf die Uhr geschaut. Aber beschweren würde sich Shinji nicht, wenn Nate freiwillig abzog. Das ersparte es ihm ihn rauszuwerfen. An der Tür wuschelte ihm sein Gast noch einmal ausgiebig, was Shinji nur genervt die Augen verdrehen ließ. Das war schon das zweite Mal heute. Das war ja schlimm. "Weißt du eigentlich, wie lange du noch in der Stadt wohnst?" Die Frage nach dem Urlaub vorhin hatte Nate nicht wirklich beantwortet, vielleicht weil es ihm zu nah am Thema Arbeit war, vielleicht aber auch, weil er es nicht wusste. Aber Shinji musste wissen, wie sehr er sich an die Anwesenheit des anderen gewöhnen durfte, denn noch war es befremdlich, dass da jemand war, der sich Mühe mit ihm gab. Er war sich nicht sicher, was passieren würde, wenn dem nicht mehr so war und Nathan dann plötzlich wieder umziehen würde. "Warum fragst du? Raub ich dir etwa schon den letzten Nerv?" Wie gerne würde sich Shinji einreden, dass es tatsächlich so war. "Meine Schwester hat den grauenhaften Plan, ihre Wohnung komplett zu renovieren. Handwerker will sie keine rufen, also ruft sie mich. Es dauert wahrscheinlich also tausend Jahre, bis ich fertig bin und hier weg kann. Ich schätze, ich werde eher zurück auf einen Einsatz gerufen, als dass das passiert." Daran hatte er noch gar nicht gedacht. Natürlich musste Nathan auch auf Einsätze. Auch in den Krieg? Er wusste nicht genau, wo SEALs eingesetzt wurden und auch nicht wann oder warum. War Nate schon im Krieg gewesen? War vielleicht gerade aus einem zurück? Zurück auf einen Einsatz, bedeutete ja schließlich, dass er schon einmal auf einem gewesen war, oder? Natürlich musste es so sein... es war ja Nates Job. Irgendwie war das ein Stück Realität, mit dem er nicht gerechnet hatte und das ihn nun besorgte. Das musste doch schwer sein. Er konnte sich nicht mal vorstellen, wie schwer es war. Die ganze Zeit über hatte er nur an sich gedacht, denn Nathan wirkte so ausgeglichen und glücklich, dass er nicht einmal darüber nachgedacht hatte, was er auf seinen Schultern trug, was 'Urlaub' für ihn bedeutete und was es bedeutete, dass er diesen Urlaub ausgerechnet mit ihm verbringen wollte. Shinji schluckte trocken und wusste nicht recht, was er tun sollte. Nate würde nicht wollen, dass er sich anders verhielt, nur, weil er jetzt wusste, was Nate beruflich tat. Dennoch wusste er es jetzt und das beeinflusste ihn, dagegen konnte er nichts machen. "Ich hab angst davor, was passiert, wenn ich mich daran gewöhne, dass du da bist.", sprach Shinji dann plötzlich aus, ohne den Gedanken bewusst gefasst zu haben. "Ich habe angst davor, was passiert, wenn du wieder weg bist..." Nate richtete sich wieder auf. Er hatte sich die Schuhe gebunden. Ein Umstand, der Shinji gar nicht aufgefallen war. "Wenn ich wieder weg bin, hast du wieder mehr Freizeit, das ist alles." Als wäre das wirklich so einfach. "Mach dir keinen Kopf, ich werde dich trotzdem weiter nerven." Was auch immer Nathan damit jetzt meinte. "Ich hol dich morgen um 3 ab!" Und dann war er weg. Shinji wusste nicht wirklich, was er von der ganzen Sache halten sollte und wenn er ehrlich war, war ihm das auch zu kompliziert. Also tat er, was er immer tat, wenn sein Sozialleben ihm zu anstrengend wurde: er schob es ganz weit von sich. Nathan war selbst Schuld, wenn er ausgerechnet Shinji ausgewählt hatte, um seinen Urlaub mit ihm zu verbringen. Shinji hatte sein Bestes getan um ihn davon abzuhalten, also war es definitiv auch nicht Shinjis Problem, wenn Nathan immer noch an diesem Plan fest hielt. Er ging zurück ins Wohnzimmer und sah sich um. Er sollte endlich mal wieder die Zimmerdecke abstauben... und seinen Kühlschrank hatte er auch schon viel zu lange nicht mehr geputzt... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)