The Time We Share von Writing_League ================================================================================ Prolog: I Want To See You ------------------------- Wieder sah Leo auf die Uhrzeitanzeige seines Handys, wieder dieselbe stumme Antwort. Es war noch nicht spät genug. Es kam ihm vor, als starrte er nun schon seit Stunden auf die Uhr, dabei waren es gerade einmal sieben Minuten gewesen. Sieben unerträgliche Minuten, denen noch weitere sechs folgen sollten. Er hatte sich mit Guang-Hong zum Facetimen verabredet, das Warten machte ihn allerdings jedes Mal vorher schon verrückt. Ob es dem Anderen auch so ging? Ob er vielleicht auch schon an seinem Handy hing und es kaum erwarten konnte? Theoretisch war es dann ziemlich albern, noch weitere Minuten totzuschlagen, wenn sie beide längst bereit waren und sehnlichst darauf warteten, die Stimme des anderen zu hören, sein Gesicht zu sehen, das freudige Lächeln. Allein bei dem Gedanken daran wurde Leo unbemerkt ein wenig rot, sein Blick verträumter, bis er sich mit einem entnervten Seufzen aus seiner Trance befreite. Es waren immer noch fünf Minuten zu warten und er benahm sich peinlich.   Ob Guang-Hong schon wach war? Oder stand er gleich erst auf? Es war schließlich Wochenende und nicht einmal acht Uhr morgens bei ihm. Leo selbst, sofern er nicht trainierte, hätte einen Teufel getan als dann so früh schon wach zu sein. Dabei war Training genau das, was er nötig hatte, um ehrlich zu sein, wenn er in ein paar Wochen bei der Weltmeisterschaft gut abschneiden wollte. Es war nicht mehr allzu viel Zeit und er hatte das Gefühl, als gäbe es noch so viel zu tun. Nicht einmal an seiner Performance selbst, denn er lief gut und sein Fahrstil sowie Ausdruck, Interpretation, all das sicherte ihm immer viele Punkte. Aber die Sprünge...Daran mangelte es ihm noch stark mit seinem Programm, das keinen wirklich sicheren Vierfachen beinhaltete, auch wenn er es endlich geschafft hatte, den Toeloop fest darin zu verankern. Andere in seinem Alter wie Jean-Jacques sprangen dagegen schon vier Stück in der Kür. Vier Vierfache. Und er selbst beherrschte nicht einmal einen sicher.   Er wusste selbst, dass er sich so noch lange nicht ausruhen konnte, dass es so nie reichen würde für den großen, internationalen Erfolg. Aber es war nicht leicht.   Sein Handy meldete sich, kündigte einen Anruf von Guang-Hong an und schnell waren die negativen Gedanken mitsamt den Ängsten von sich geschoben. Allein sein Gesicht zu sehen, brachte Leo zum Strahlen und zauberte die Mimik, die bis eben sein eigenes beherrscht hatte, davon.   „Leo-kun, guten Morgen“, sagte Guang-Hong und wenn Leo richtig sah, dann wirkte der Junge noch halb verschlafen. Es war süß.   „Guten Morgen, Guang-Hong“, gab Leo lächelnd zurück. „Hast du gut geschlafen?“   „Mhm.“   Der Chinese rieb sich noch einmal müde lächelnd über die Augen, während das von der Seite eintretende Sonnenlicht sein Haar zum Glänzen brachte und die Röte, die seine Sommersprossen übertönte, noch mehr leuchten ließ. Etwas hilflos auflachend suchte er nach Worten, um das Gespräch voran zu treiben. Doch das war leichter gesagt als getan.   „Und du? Hast du gut geschlafen?“   „Mh... Ja, doch. Ich hab nur was Merkwürdiges geträumt.“   Guang-Hong horchte auf. „Was Merkwürdiges? Was denn?“   „Ich weiß es selbst nicht mehr genau“, merkte Leo an, schließlich war es bei ihm schon Nachmittag, er hatte einen halben Tag gehabt, um zu vergessen. „Was ich noch weiß ist, dass ich auf dem Eis war und unter mir die Eisfläche immer mehr Risse bekam, bis ich einbrach. Als wäre unter dem Eis ein Schwimmbecken gewesen, nur in eiskalt. Und dann bin ich...“   Guang-Hongs Gesicht wurde deutlich besorgt. „Leo-kun“, murmelte er. „Das war nur ein Traum. Sowas hat man manchmal, mach dir keinen Kopf.“ In Guang-Hongs Gesicht konnte Leo allerdings sehen, dass der Chinese weitaus mehr Bange war bei der Vorstellung als er selbst. Wer machte sich jetzt einen Kopf? „Das gilt aber auch für dich, okay?“, befahl er milde lächelnd und rollte sich mit dem Handy in der Hand auf den Rücken. Ihm tat langsam der Nacken weh, der eh schon seit dem Training Muskelkater verkündete.   „Okay.“   „Sag mal...“ Leo wollte es schon eine ganze Weile lang ansprechen. Schon seit Tagen aber ganz besonders schon seit sie dieses Telefonat begonnen hatten. Es sollte aber auch nicht aussehen, als würde er drängen oder wäre verzweifelt. Doch jetzt musste er einfach fragen. „Hat deine Trainerin es sich überlegt? Wegen dem Trainingscamp, meine ich. Kommt ihr auch?“   „Hat sie, aber es war schwer, die Schulleitung davon zu überzeugen. Ich bin in der zwölften Klasse und die Abschlussprüfungen sind super wichtig - und äußerst schwierig“, gestand Guang-Hong und sah dabei erschöpfter aus als erwartet. Und ein wenig niedergeschlagen, wenn Leo es richtig deutete. Er schluckte, es sah nicht gut aus für sie. Dabei hatte er doch gehofft die paar Tage zusätzlich mit ihm verbringen zu können, schließlich war White Day in diesem Zeitraum und Leo hatte sich noch für ein Geschenk zu revanchieren. „Verstehe“, gab Leo zurück und seufzte leise. „Da kann man wohl nichts machen.“ Er versuchte, ein Lächeln aufzusetzen, irgendwo zwischen tröstlich und guter Hoffnung. „Dann sehen wir uns eben zur WM wieder, das ist ja auch nicht mehr lange hin.“   „Mh-Mh“, machte Guang-Hong nur, brachte Leo dazu, überrascht die Augen zu heben.   „Warum nicht? Wirst du nicht fahren?“   Guang-Hong schüttelte den Kopf, bevor er zu grinsen begann. „Weil wir uns vorher sehen. In LA. Zum Trainingslager.“   „Dann kommst du also doch?!“   „Klar! Die Schulleitung und meine Eltern fanden es zwar nicht so gut, aber sie haben Verständnis dafür, schließlich soll es mir doch für die WM helfen. Und danach ist Saisonpause, da habe ich bis Juli noch viel Zeit mich intensiv aufs Lernen zu konzentrieren!“   Er konnte gar nicht in Worte fassen, wie froh er war, dass es doch geklappt hatte. Als seine Trainerin und er es bei der Vier-Kontinente-Meisterschaft angesprochen hatten, wirkte die Chance, dass sie einwilligen würden, noch so gering. Leo hatte es gewusst und sich nicht allzu große Hoffnungen gemacht, sogar einen Plan B hatte er schon ausgeklügelt, aber der war einfach lange nicht so schön wie das, was er wirklich mit Guang-Hong vorhatte. Ein Geschenk vorbei zu schicken war eben doch lange nicht so viel wert wie gemeinsame Zeit. Und manche Dinge konnte man eben nur dann tun, wenn man beieinander war.   „Ich freue mich schon drauf“, gestand Leo und Guang-Hong nickte verstehend. Sie lächelten einander an, ihre Blicke wurden inniger und schließlich begannen sie leise zu lachen – irgendwo zwischen Erleichterung und übermannt vom Glück.   Nicht mehr lange, dann würden sie sich endlich wieder in den Armen halten können. Insurmountable Distance ----------------------- In dem Moment, an dem Guang-Hong endlich aus dem Sicherheitsbereich des Terminals kam und sich ihre Blicke trafen, rutschte Leo kurz das Herz in die Hose. Die ganze Zeit über hatte es aufgeregt in seiner Brust gehämmert, bis es zu flattern begann, so als ob man im freien Fall in Richtung Erdboden sauste. Die Begrüßung, als sie voreinander standen, war sehr schüchtern und zurückhaltend. So richtig wussten beide nicht genau, was sie tun sollten – was sie wollten, war klar, aber ob sie auch durften? Sie waren hier mitten auf dem Flughafen und ihre Beziehung war noch geheim. Fast abwartend, was der jeweils andere tun würde, sahen sie einander an, bis die Stille irgendwie ein wenig peinlich wurde und ihre Augen begannen, gezwungen in alle möglichen anderen Richtungen zu sehen, als wäre da irgendetwas besonders spannend. Ein wenig hilflos begann Leo zu grinsen, dann umarmte er Guang-Hong kurzerhand. Er konnte den überraschten Laut hören, der an seinem Ohr verklang, spürte zögerlich ein Paar Hände, die sich an seinem Rücken in den Stoff des Pullovers krallten.   „Willkommen“, flüsterte Leo und seufzte zufrieden. Längst schlug sein Herz wieder wild vor sich hin und bis sie sich nach einem kurzen Augenblick wieder voneinander lösten, konnte er spüren, dass es Guang-Hong auch so erging. Sie sahen sich noch einmal lächelnd in die Augen, bevor Leo bemerkte, dass natürlich seine Trainerin nicht weit von ihnen stand und wartete.   „Also, wie war der Flug? Soll ich etwas Gepäck abnehmen?“, fragte er höflich auch in Richtung der chinesischen Dame, doch beide verneinten. Als sie an dem Auto von Leos Familie ankamen, das er sich für diesen Anlass ausgeliehen hatte, lud er die Koffer in den Kofferraum und fuhr sie zu ihrem Hotel. Die Route hatte er sich vorher schon mehrfach zuhause eingeprägt, um nicht hilflos zu wirken und sich nicht zu verfahren.   „Es ist nett, dass du uns fährst, aber das wäre doch nicht nötig gewesen. Wir hätten auch ein Taxi nehmen können“, merkte Guang-Hong an und sah zur Seite, Leo konnte seinen Blick auf sich spüren, genauso, wie er die Bewegung wahrgenommen hatte. Selbst sah er auf die Straße, lächelte. Dasselbe hatte er auch schon geschrieben gehabt, als Leo angekündigt hatte, sie abzuholen und zum Hotel zu fahren. Er selbst wollte sich aber nicht davon abbringen lassen und hier waren sie nun.   „Ich weiß, aber ich mache das gerne.“ Damit einher gingen immerhin gemeinsame Zeit mit seinem Freund und ein Grund, bei ihm im Hotel zu bleiben. Leo war froh, dass sie beide eine Trainerin hatten und somit in der Regel Einzelzimmer für sie gebucht wurden. Gemeinsam mit einer Frau ein Zimmer zu teilen wäre äußerst unangenehm gewesen für einen heranwachsenden Mann. So konnte er mit Guang-Hong alleine sein, wann immer er wollte – ungestört in seinem Einzelzimmer.   ***   Leo setzte sich auf das fremde Bett, ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Er war nicht groß, aber sah vernünftig aus. „Nun schau nicht so unzufrieden“, sagte Guang-Hong bestimmend, aber sanft genug, um nicht als Befehl durchzugehen oder klagend. Nachdem er seinen Koffer zum Kleiderschrank bugsiert hatte – was auf dem Teppichboden gar nicht so einfach war, wie Leo aus Erfahrung sagen konnte –, gesellte er sich neben ihm aufs Bett und griff seine Hand aufmunternd. „Sie hat darauf bestanden, im Hotel zu wohnen. Und ich musste eben auch“, seufzte der Chinese hervor und zuckte hilflos mit den Schultern.   „Es wäre schöner gewesen, wenn ihr bei mir untergekommen wärt. Oder zumindest du. Wir könnten-“   Flink, aber dennoch sanft, brachten Guang-Hongs Finger an seinen Lippen ihn zum Schweigen. „Shh...“, hauchte er und lächelte optimistisch. „Wir können auch so genug Zeit miteinander verbringen. Unternehmen wir nach dem Training einfach etwas, okay? Hier gibt es doch so viel zu sehen.“   Natürlich gab es das, aber es war nicht dasselbe. Leo wollte mit ihm zusammen die halbe Nacht wach bleiben, sich Filme angucken, während sie unter der Decke eingekuschelt waren und Chips knabberten. Er wollte mit ihm gemeinsam einschlafen und morgens neben ihm aufwachen. Als aller erstes wollte er sein Gesicht sehen, ihn wachküssen. Doch nichts davon war ihm bisher vergönnt gewesen und würde es auch dieses Mal nicht. Müde verzogen sich seine Mundwinkel zu einem schwachen Lächeln. „Ja. Ja, das gibt es hier wirklich.“   „Ich kann fragen, ob wir sofort losziehen können. Sicher hat meine Trainerin nichts dagegen“, bot Guang-Hong heiter an, wobei es auch ein wenig versöhnlich wirkte, wie Leo fand. Er schüttelte kurz den Kopf als Antwort. „Lass uns...“, begann er ruhig – so ruhig er konnte, denn innerlich war er viel zu nervös gerade. Leo legte seine Hand an Guang-Hongs Wange und strich ihm über die weiche Haut, ihm tief in die Augen sehend. Das nervöse Flackern seiner Pupillen entging ihm nicht, bevor er sich seinem Gesicht näherte. „...noch ein bisschen hier bleiben“, hauchte er noch, bevor seine Lippen Guang-Hongs berührten und ihm die Augen zufielen. Einzuwenden hatte der scheinbar nichts mehr, denn er blieb ruhig und ließ sich auf den Kuss ein, der schnell leidenschaftlicher wurde. Durch die Entfernung stauten sich einfach so viele Gefühle an.   ***   Viel zu schnell musste Leo feststellen, dass ihr Plan vorne und hinten nicht aufging. Das Training war härter als sonst und laugte sie so sehr aus, dass danach kaum noch an großartige Aktivitäten zu denken war. Noch dazu war Jean-Jacques immer dann in der Nähe, wenn man ihn nicht brauchte und ließ sich auch nicht so leicht abschütteln. So wurde aus ihren abendlichen Aktivitäten viel zu oft ein Dreierdate, manchmal sogar ein Gruppenausflug. Genau das war der Nachteil an einem Trainingslager, an dem die besten Läufer der USA und Kanada teilnahmen – und eben Guang-Hong, weil Leo es so gedeichselt hatte. Es war frustrierend. Natürlich waren sie zum Trainieren hier, das war schließlich der Hauptgrund für dieses Treffen, aber Leo hatte sich so viel mehr erhofft von dieser gemeinsamen Zeit. Gemeinsame Zeit eben. Alleine. Als Pärchen. Bis dahin hatte sich nichts von seinen Vorstellungen erfüllt und wieder sah es nicht gut aus, als er sich erschöpft von dem Training an die Bande lehnte und ein paar kräftige Züge aus seiner Trinkflasche nahm.   „Leo, wo bist du nur mit deinem Kopf?“, fragte seine Trainerin und klang nicht erfreut dabei. Wo er war? Die Antwort lag direkt vor ihren Augen – oder besser, fuhr direkt vor ihnen. Kurz schüttelte er den Kopf, als könnte er damit jeden weiteren Gedanken von sich schieben. Es klappte nur bedingt. „Sorry, ich reiß mich zusammen“, war das lose Versprechen, das er ihr gab, bevor er sich wieder zurück ins Sprungtraining warf. Verglichen mit den anderen Läufern um sie herum, war Leo der einzige, der beim vierfachen Toeloop noch immer Probleme hatte. Es war der vermeidlich einfachste der Vierfachen, Guang-Hong hatte ihn erfolgreich im Grand Prix Qualifier gelandet und ohne einen Vierfachen war es kaum möglich auf dem hohen Niveau der Weltspitze mitzumischen. Leo wusste das, umso größer war der Druck, aber auch umso dankbarer war er über das letzte Trainingslager vor der großen Meisterschaft. Er mochte seine Trainerin, aber als ehemalige Eistänzerin war sie nie in der Lage gewesen, ihm wirklich bei seinen Sprüngen zu helfen – das Ergebnis sah man heute. Er war herausragend, wenn es um seinen Laufstil ging, um seine Bewegungen zur Musik und um Choreografie, aber an den Sprüngen haperte es immer noch. Sie waren nicht so sicher, wie sie sein sollten und wenn dann noch sein Selbstbewusstsein flüchtete, wurde es ein Desaster.   Umso wichtiger war es, dass er diese Chance, unter Celestino Cialdini und den anderen Trainern zu trainieren, nutzte und sich hilfreiche Tipps und Verbesserungsvorschläge abholte. Und bloß nicht seine Trainingszeit mit Träumen verwarf.   „Uff, es ist ganz schön hart“, merkte Guang-Hong an, als er erschöpft an der Bande neben Leo zum Stehen kam. Sie bekamen eine Pause, bevor es an Feinheiten für ihre Choreographien ging. „Ist es“, stimmte Leo ihm zu und sah ihn an. Er konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, als er den kleineren seine Wangen aufplustern sah. Offenbar hatte er genug für heute, Leo musste gestehen, dass seine Füße selbst schon schmerzten, seine Beine waren schlapp. „Wir haben uns heute Abend echt was verdient“, merkte er schließlich an und suchte Guang-Hongs Blick. Ein verdattertes Augenpaar traf auf seines, dann begann sich sein Mund zu einem Grinsen zu verziehen. „Haben wir! Wir sollten heute Abend etwas ganz Tolles machen.“   Offenbar fiel ihnen beiden allerdings auf die Schnelle nichts ein, was die plötzliche Stille erklärte. Ihre Augen strahlten noch voller Enthusiasmus, fest hoffend, dass ihnen eine Eingebung in den Kopf kam. Die Stille, die um sie herumgeisterte, war unangenehm, zwang Leo dazu, sich ein wenig umzusehen, zu schlucken, als sich ihre Blicke wieder trafen. „Wir könnten ins Kino gehen. Also...wenn du magst“, fügte Leo noch schnell hinzu und hätte sich Ohrfeigen können für diesen lausigen Vorschlag. Ins Kino zu gehen als Date war so 0-8-15 und eigentlich mittlerweile ein No-Go, dass zu befürchten war, Guang-Hong könnte ihn für einen Langweiler halten. Und vermutlich war er auch genau das – ein Langweiler.   „Ich mag!“   „Wirklich?“   „Ja. Mir ist egal, was wir machen, solange-“   „Guang-Hong! 过来一下!” Mit dem Ruf seiner Trainerin drehte der Chinese den Kopf zur Seite und verlor den Faden, blinzelte kurz nachdenklich und lächelte dann schließlich. „Wie dem auch sei. Wir sprechen nach dem Training.“ Und schon war Guang-Hong verschwunden, um sich von seiner Trainerin eine Predigt anzuhören. Jedenfalls sah es für Leo so aus wie eine, so intensiv wie die Frau sprach und das mit diesem grimmigen Gesicht dazu, das sie viel zu oft aufgesetzt hatte.   „Habe ich da gerade etwas von Kino gehört?“, tönte es plötzlich von der Seite, als Leo sich selbst wieder zu seiner Trainerin begeben wollte und als er den Blick von Guang-Hong losmachte, blickte er in das breit grinsende Gesicht von Jean-Jacques, dem selbsternannten König. Dieses Mal wollte er es nicht so enden lassen wie die Tage zuvor, Jean-Jacques sollte auf keinen Fall wieder ihr Date und damit ihre Zweisamkeit crashen. „Da musst du dich verhört haben.“   „Nein, ich bin mir ganz sicher. Ihr wollt ins Kino“, sagte Jean-Jacques in einer Lautstärke, die Leo unangenehm war und die es möglich machte, dass so gut wie jeder in der Eishalle davon Wind bekam. Zu allem Überfluss klopfte ihm der Kanadier noch auf die Schulter, bevor er selbstbewusst verkündete, dass er wüsste, welcher der momentan beste Film im Kino war und dass er genau den zufällig auch noch gucken wollte. „Ich lad euch ein!“, hatte er noch großzügig verkündet, bevor er bestens gelaunt wieder aufs Eis verschwunden war und einen sehr bedienten Leo allein zurückließ.   Er wollte doch nur Zeit mit seinem Freund. Allein. War das zu viel verlangt?   ***   Seufzend sah Leo an die Decke, unter ihm das viel zu große, einsame Bett, das ihm nochmal bestätigte, wie sehr er Guang-Hong bei sich haben wollte. Ob er wohl auch noch wach lag? Oder war er vielleicht schon vor Müdigkeit schnell eingeschlafen? Passen würde es zu ihm und bedenkend, dass er im Kino schon mitten im Film weggenickt war, während sich Jean-Jacques wieder und wieder an seinem Popcorn bediente... Es klang sehr wahrscheinlich. Trotzdem griff Leo sein Handy und begann zu tippen, angetrieben von der Sehnsucht in seinem Herzen. Er hatte es Guang-Hong eigentlich persönlich sagen wollen, aber geklappt hatte es nicht, also musste nun sein Handy herhalten.   Lass uns morgen nach dem Training gemeinsam weggehen. Ohne Jean-Jacques. Ich hab eine Überraschung für dich.   Ein wenig aufgebracht, ein wenig nervös legte er das Handy neben sich aufs Bett und starrte wieder die Decke an. Der morgige Tag war alles, was er noch hatte, danach würde Guang-Hong zurückfliegen und sie würden sich das nächste Mal zwar auch als Freunde, aber ebenso als Rivalen gegenüberstehen – mit auch nur wenig Zeit zu daten und natürlich nervigen Kanadiern. Leo hatte es schon eine Weile geplant, schließlich war morgen White Day und er hatte vor, sich für Guang-Hongs Geschenk vom Valentinstag zu revanchieren, weil man das so machte, hatte er gelesen. Er wusste nicht, ob sein Freund so etwas erwartete, aber er wollte ihm ein Geschenk machen. Er wollte ihm zeigen, dass er seine Gefühle erwiderte, auch wenn der pinke Pullover mit dem angesagten Monsterprint nicht gerade Leos Fall war, um es beschönigend zu sagen. Aber er war Guang-Hongs Fall und auch wenn er ihn womöglich niemals draußen tragen würde, er würde schon seine Momente finden.   Das plötzliche Aufleuchten seines Handybildschirms neben sich riss Leo aus seinen Gedanken. Ein Blick zur Seite verriet, dass Guang-Hong noch – oder wieder – wach war und ihm geantwortet hatte. Schnell griff er das Handy und las, die süßen Worte des Chinesen zauberten ihm ein Lächeln aufs Gesicht.   Eine Überraschung? Wie gemein! Wie soll ich denn jetzt einschlafen?   Aber ich freue mich drauf! Schlaf schön.   Mit hämmerndem Herzen in seiner Brust und einem halben Schmetterlingsschwarm in seinem Bauch tippte Leo hastig. Seine Autokorrektur half ihm dabei, einige falsche Worte in die richtige Bahn zu lenken.   Du auch. Und zieh morgen am besten was Bequemes an. :-*   Leo brauchte noch eine Weile, durchspielte den morgigen Tag noch mehrmals in seinem Kopf und versuchte die Nervosität in den Griff zu bekommen, bevor er es tatsächlich irgendwann schaffte, einzuschlafen. Date Time --------- Es war erschreckend, wie gut es für ihn lief. Beim Training war er voller positiver Energie, schon seit dem Aufstehen hatte er das Gefühl, er könnte alles erreichen. Seiner Trainerin war auch längst aufgefallen, dass ihr Leo am heutigen Tag anders war. Er war selbstbewusst und zögerte nicht, bei keinem seiner Sprünge – nicht einmal beim vierfachen Toeloop, den er sicher landete. Das Lob von ihr war ihm im Training mehrfach gesichert und sie verkündete ihm, sehr stolz auf ihn zu sein. Er solle dieses Gefühl doch bitte behalten und bei der Weltmeisterschaft alle zum Staunen bringen. Auch die Blicke der anderen waren ihm sicher, er konnte sogar ein paar von Guang-Hong erhaschen.   Leo wollte auch den Nachmittag zu seinem machen und weiterhin mit diesem guten Gefühl durch den Tag gehen. Natürlich hatte er auch darauf gehofft, dass viele der anderen Läufer bald nach dem Training abreisen würden und das Glück sollte weiterhin auf seiner Seite sein, denn Team Kanada saß längst auf gepackten Koffern und würde nach dem Mittagessen direkt zum Flughafen aufbrechen. Der Rest von Team USA scherte sich zu wenig um ihn, als dass sie ihm sein Date kaputt machen wollen würden.   „Also, bringen wir noch kurz deine Sachen zum Hotel und dann gehen wir los?“, fragte Leo schließlich, als er und Guang-Hong sich vom Eis begaben und auf einer Bank Platz nehmend ihre Schlittschuhe aufschnürten.   „Nicht nötig, meine Trainerin wird sie mitnehmen. Nach dem Duschen können wir sofort los zu dir.“   „Zu...mir?“   „Klar, wir müssen doch deine Schlittschuhe ebenfalls wegbringen oder? Und ich will die Chance nutzen.“   „Was für eine Chance? Wovon sprichst du?“, fragte Leo und wurde immer verdutzter. Ehrlich gesagt hatte er keine Ahnung, was sein Freund meinte, immerhin kannte er sein Zuhause doch längst und auch seine Familie hatte er in einer der Sommerpausen schon kennen gelernt.   „Das wirst du schon noch sehen“, gab Guang-Hong geheimnisvoll zurück, hatte dabei ein verschmitztes Grinsen auf dem Gesicht. Leo wusste nicht ganz, was er davon halten sollte, viel zu schnell ging jedes Misstrauen aber darin unter, dass sein Freund in dem Augenblick einfach so süß aussah. Vermutlich hätte er ihn noch mit diesem Grinsen in den brennenden Abgrund rennen lassen.   Das erste Flämmchen in besagtem Abgrund fing an zu lodern, als Guang-Hong sich nach dem Duschen ankleidete und einen pinken Pullover mit Monstergesicht auf dem Bauch über den Kopf zog. Für einen Moment hörte Leo glatt auf zu atmen, musste sich dann selbst fassen und daran erinnern, dass sein Körper Sauerstoff brauchte, wenn er ihr Date noch erleben wollte. Als der Chinese schließlich angezogen und mit gepackter Tasche zu ihm kam, setzte er sein coolstes Grinsen auf und sie brachten seine Sachen zu seiner Trainerin, um sich dann auf zu Leos Zuhause zu machen. Noch immer wusste er nicht, was sie da wollten – oder eher, was Guang-Hong da wollte. Er war freudig neugierig und ängstlich besorgt zugleich.   Er hatte allen Grund dazu.   ***   „Ich möchte, dass du ihn anziehst“, sagte der Chinese, als sie Leos Sachen in dessen Zimmer verstaut und seine Schlittschuhe zum Trocknen aufgehangen hatten. Leo drehte den Kopf, es wäre gelogen, wenn er so tun würde, als hätte er nicht verstanden, worauf sein Freund hinaus wollte. Das konnte unmöglich sein Ernst sein. In den Augen von ihm jedoch konnte Leo sehr leicht sehen, wie ernst es ihm war, das verrieten der bittende Blick und der leicht zu einer Schmollschnute verzogene Mund.   „Meinst du nicht, das sieht etwas komisch aus, wenn wir beide...“   „N-Nein, im Partnerlook herumzulaufen ist doch... süß! Außerdem...“, gab Guang-Hong unsicher von sich, offensichtlich mit sich hadernd. „...so verlieren wir uns ganz bestimmt nicht wieder.“   Leo musste ihm Recht geben. Mit dieser Signalfarbe würden sie sich ganz sicher nicht aus den Augen verlieren können – es war wirklich positiv, wenn man bedachte, wie er ihm einmal verloren ging, als sie in Toronto bei Jean-Jacques gewesen waren. Die Panik brauchte er bei ihrem Date nicht noch einmal, schließlich wollte er den Tag einfach nur genießen. „Okay. Ich zieh ihn an“, gab Leo resignierend von sich. Er konnte gar nicht glauben, dass er das wirklich tun würde, nicht einmal, als er zum Kleiderschrank ging und den pinken Monsterpullover herausholte, um sich vor Guang-Hongs Augen umzuziehen. Wenigstens der Blick in dessen Augen bestätigte ihm, dass er das Richtige getan hatte. Diese vor Glück strahlenden Augen wollte er auf keinen Fall missen.   Die Augen der anderen Leute auf den Straßen waren ebenfalls auf sie gerichtet, als sie sich auf den Weg machten und Leo wollte sich das nächste Erdloch suchen, um sich darin zu verstecken. Er konnte es ihnen nicht einmal verübeln, dass sie so starrten. An Guang-Hong war der Pullover vielleicht noch niedlich, aber an ihm? - Definitiv nicht.   „L-Leo-kun. Ähm... Irgendwie schauen die alle so“, bemerkte auch Guang-Hong, der sein halbes Gesicht und seine Unsicherheit hinter seinen Händen versteckte, die Augen unruhig um sich blickend wie ein aufgescheuchtes Reh. „Ignorier sie. Sie schauen nur, weil du so süß bist.“ Dass das nicht stimmte, war Leo klar, aber er wollte Guang-Hong nicht traurig machen. „M-Meinst du?“, fragte der unsicher und man sah ihm an, dass ihm der Gedanke noch ein wenig unangenehm war. Es war kaum auszumachen, ob er noch ein wenig mehr errötete, wo sein Gesicht schon in normalem Zustand einen Rotschimmer auf Wangen und Nase hatte – es war so normal für Leo geworden, dass er es oft gar nicht mehr bemerkte. Man sah dennoch an seinem Gesicht und seiner Haltung, dass ihn der Gedanke sehr verlegen machte. „Findest du das auch?“   „Natürlich finde ich das auch“, antwortete Leo hastig und sah ihn mit einem intensiven Blick an, der geradezu herausschrie, wie verdammt süß er seinen Freund fand. „Sehr sogar.“ Damit hatte er Guang-Hong vollends verlegen gemacht, sodass es ihm sogar die Sprache verschlug, die Hände immer noch vor seinen Lippen gehalten, die Augen eisern auf den Boden gerichtet.   Den ersten Laut hörte Leo erst wieder von Guang-Hong, als sie an ihrem Ziel ankamen – in Form eines beeindruckten Woahs. Seine Augen wurden groß, größer, dann sah er aufgeregt zu Leo herüber. „Gehen wir- Gehen wir wirklich da rein?“   „Ja. Also...nur wenn du willst“, merkte Leo schmunzelnd an, aber die Antwort sollte klar sein und folgte auch sofort mit einem wilden Nicken. Gemeinsam gingen sie zum kleinen Kassenhäuschen des Pacific Parks – dem berühmten kleinen Vergnügungspark mitten auf einem Pier. Leo bezahlte für sie beide, sehr zum Protest seines Freundes. „Du musst nicht für mich mitbezahlen, Leo-kun!“   „Ich will aber. Es ist mein White-Day-Geschenk für dich.“   Unter einem Lächeln wechselte das Geld in seiner Hand den Besitzer im Tausch gegen zwei Armbänder, die sie dazu berechtigte, mit allen Fahrgeschäften zu fahren, wenn sie wollten. Das selbstsichere Gesicht, mit dem er Guang-Hong ansah, brachte ihn kurz zum Schweigen, als er ihm das Armband umband und danach sich sein eigenes.   „White Day?“, fragte Guang-Hong schließlich, sah erst auf sein Handgelenk, bevor er irritiert zu Leo hoch sah – weit hochgucken musste er dafür allerdings gar nicht. Es irritierte Leo ebenfalls ein bisschen.   „White Day. Dieser Tag, an dem man sich für Valentinstagsgeschenke bedankt und klar macht, dass man die Gefühle erwidert. Ich dachte, das ist so bei euch?“   „Nein... So einen Tag haben wir in China nicht.“   „...Oh.“   Es herrschte Stille zwischen ihnen – eine dieser peinlichen, wo keiner mehr wusste, was er sagen sollte und damit umso mehr den Drang bekam, etwas sagen zu wollen. Leo konnte Guang-Hong ansehen, dass auch er nach Worten suchte. Er war es schließlich auch, der als erster welche fand. „A-aber ich bin dennoch froh, dass du... meine Gefühle erwiderst und mir etwas schenken willst. Danke, Leo-kun.“ Im nächsten Moment spürte er Guang-Hongs Körper an sich gepresst und seine Arme am Rücken. Etwas verdattert erwiderte er die Umarmung und begann zu lächeln, während das Glück durch seinen Körper rauschte wie ein D-Zug. Weil er aber wusste, wie das für die Leute um sie herum aussehen würde, wenn sie noch länger so dastanden, löste er seine Arme wieder von dem Chinesen, seine Augen leuchteten auf, als sich ihre Blicke trafen. „Dann lass uns gehen und einen riesigen Spaß haben.“ Guang-Hong nickte eifrig und sie zogen gemeinsam los.   Es war keiner dieser riesigen, weitläufigen Vergnügungsparks, die man sonst so kannte und in denen es spektakuläre Achterbahnen oder riesige Wasserbahnen gab. Der Pacific Park war kleiner, schließlich befand er sich auf einem Pier direkt an der Pazifikküste von Los Angeles. Aber gerade das machte das Flair aus, das er mit sich brachte und fehlender Nervenkitzel hinderte Leo nicht daran, ein schönes Date mit viel Spaß zu haben. Außerdem hatte er den Nervenkitzel schon, wann immer er Guang-Hong nur ansah oder ihm näher kam. Das hämmernde Herz in seiner Brust kam also von ganz alleine.   Sie kauften eine Tüte Popcorn an einem der Verkaufsstände. Klebrige rosa Zuckerwatte war eigentlich ihr Favorit gewesen, doch rissen sich beide zusammen und entschieden sich für die weniger Kalorienreiche Snackvariante. Die Plastiktüte hatte auch einen Vorteil – sie konnten damit trotzdem noch in die Fahrgeschäfte, wenn sie sie zuhielten. Mit Zuckerwatte wäre das vorerst nicht gegangen. Dabei war die Auswahl an Karussells für Erwachsene oder Teenager sowieso nicht mehr so groß, denn viele waren besonders auch für kleine Kinder geeignet wie zum Beispiel die Flugzeuge, die sich immer wieder ein kleines bisschen hoch und runter bewegten oder das kleine Schiff, das um die eigene Achse hin und her schipperte. Dennoch fanden auch sie genug Interessantes, so fuhren sie zum Beispiel mit der Schiffsschaukel, die es immer wieder schaffte, senkrecht zum Boden in der Luft zu stehen und ihnen das Gefühl gab, zu schweben. Bei der rasanten Fahrt in der Krake wurde es sogar noch ein wenig kuschelig, denn dank der Fliehkräfte wurde Guang-Hong schön gegen ihn gedrückt. Ganz zwangsläufig – Leo war sehr froh darüber, eine Ausrede zu haben – musste er seinen Arm um den Chinesen legen, weil es sonst unangenehm war, wenn Arm gegen Arm und Ellenbogen in Rippe drückte. Er merkte, dass er rot wurde, als sich ihre Blicke kreuzten, sein Herz hämmerte längst freudig in seiner Brust.   Neben den Fahrgeschäften gab es viele Stände, an denen man sein Geschick oder Glück unter Beweis stellen konnte. Popcorn essend schlenderten sie an denen vorbei, bis Guang-Hongs Aufmerksamkeit von einem Stand mit einer bunten Auswahl an Kuscheltieren geangelt wurde. „Lass uns das ausprobieren, Leo-kun!“, schlug er begeistert vor und sah ein paar Kindern zu, wie sie immer wieder einen Ball in ein paar Löcher katapultierten. Leo schmunzelte. „Gerne. Wollen wir einen kleinen Wettkampf draus machen oder einfach nur zum Spaß spielen?“   „Wenn, dann machen wir ein Duell draus!“   Leo spielte jetzt schon mit dem Gedanken, ihn gewinnen zu lassen.   „Gut, wie du willst. Aber ich werde es dir nicht leicht machen.“   „Ich dir auch nicht. Ich muss China vertreten“, sagte er so stolz er konnte – und so dramatisch übrigens auch –, danach lachten sie beide und stellten sich vor die Spielautomaten. Noch ein letzter Blick, der geteilt wurde. „Dann los!“ - „Los!“   Ein Schielen zur Seite verriet Leo, dass Guang-Hong viel weniger strategisch vorging, als erwartet. Eher sah es so aus, als ob er die Bälle wahllos nach vorne warf oder er war nicht in der Lage, das System dahinter zu erkennen. Auch sein Punktestand zeugte kaum von Absicht. Leo war ihm voraus und wenn er gewollt hätte, er hätte ihn ziemlich abgezogen. Mit Absicht schlecht zu sein war anstrengender als erwartet. Nicht nur, weil einer der Jungs neben ihm kommentierte, wie mies Leo spielte, sondern auch, weil ihm oft fast das Herz stehenblieb, als er viel zu nahe an die hoch bepunkteten Löcher kam. Das glückliche Gesicht, so voller Freude über seinen Sieg, machte die Schmach von dem Jungen neben Leo jedenfalls wett, wie er fand. Guang-Hong war süß, wenn er sich über einen Erfolg freute. Er wollte es noch viel öfter sehen.   „Willst du noch weiter Punkte sammeln oder direkt einlösen? Ich vermute, für die Punktzahl bekommen wir noch nichts Großes“, merkte Leo an und sah zu den Preisen. Nein, das, was ihre Punkte wert waren, wollte er nicht haben. Guang-Hong sollte etwas Großes bekommen. „Wie du magst“, murmelte der Chinese unsicher und sah sich die Bude an, vermutlich keine Ahnung habend, was sie nun wirklich davon erhalten würden. „Dann erspiele ich noch ein paar Punkte“, beschloss Leo und ging an die Basketballkörbe, die ebenfalls dazu gehörten. Hätte er plötzlich beim Ski Ball so viel besser abgeschnitten als vorher, wäre es zu auffällig gewesen und Guang-Hong hätte ihn durchschaut. Glück für Leo, dass er im Basketball wirklich gut war, schließlich hatte er es schon so oft mit den anderen Jungs in seinem Viertel auf der Straße gespielt. Und Körbe werfen war für ihn so ungehindert eine Leichtigkeit.   Da staunte auch der Junge nicht schlecht, der ihn eben noch so veräppelt hatte.   „Leo-kun ist so cool“, hörte er Guang-Hong von der Seite sagen und ein Blick in seine Richtung ließ ihn direkt in das verträumt-schwärmende Gesicht blicken, von dem er bislang nur gehört hatte, wann immer ihm Phichit berichtete, dass sein Freund wieder genau so vor dem Fernseher gestanden und seinen Lauf beobachtet hatte. Sogleich es eine sehr liebenswerte Eigenschaft war, war es Leo auch ein wenig unangenehm so angeschmachtet zu werden. Er hatte oft das Gefühl, das gar nicht wert zu sein. Er war nicht so cool, wie andere ihn sahen.   Am Ende hatte er einige Punkte dazugesammelt und überreichte sie gemeinsam mit dem immer noch faszinierten Guang-Hong dem Mann im Austausch gegen ein Plüschtier. Irgendwo zwischen stolz und verlegen überreichte er den weißen Plüschhasen seinem Freund, der ihn völlig verzückt ansah und gleich in die Arme schloss. „Der ist süß! Danke, Leo-kun.“   „Gerne. Er passt gut zu dir“, bemerkte Leo und runzelte dann die Stirn, als Guang-Hong sein Handy zückte. Schnell verstand er und schmunzelte, während Guang-Hong über das Handy zu ihm sah, auffordernd. „Du musst auch mit auf das Bild. Wir haben noch kein einziges von uns gemacht, auf dem nicht JJ drauf ist.“   „Das stimmt. Dafür wird das hier jetzt umso besser.“   Leo sollte Recht behalten – es wurde das schönste Foto der Woche und das lag nicht nur daran, dass der weiße Plüschhase eine bessere Gesellschaft war als ein selbstverliebter Kanadier. Sie sahen ausgelassener und glücklicher aus als auf jedem anderen Bild. Natürlich stellte Guang-Hong es sofort online, woraufhin es nicht lange dauerte, bis Phichit eine Nachricht schrieb, in der er forderte, dass falls sie einen Hamster finden würden, sie den doch bitte mitbringen sollten. Mit dem Neuzugang im Gepäck sowie den ersten Likes für das Bild machten sie sich auf, sich einer ganz neuen Herausforderung zu stellen. Minutenlang standen sie vor der Achterbahn, die Guang-Hong beobachtete, während Leo selbiges bei ihm tat. Er war sich nicht sicher, ob es Angst oder Ehrfurcht war, die den Chinesen sich nicht mehr von der Stelle bewegen ließen. „Und damit wollen wir fahren?“, fragte der unsicher, ein wenig verkrampft in der Stimme.   „Ja, warum nicht? Es ist gar nicht so schlimm, wirklich. Und falls du doch Angst bekommst – ich bin da. Dir wird nichts passieren.“   Ein Zögern, dann ein Nicken. „G-Gut. Wie.....du willst.“   Dass es Guang-Hong tatsächlich durchzog, verdiente sehr viel Respekt, wie Leo fand. Er hatte ihn nicht zwingen wollen – ganz und gar nicht – und er hätte es bleiben lassen, hätte sein Freund gesagt, er wolle nicht. Aber er stellte sich mit ihm an und stieg in einen der Wagen der Achterbahn. Als sich die Sicherheitsbügel schlossen, konnte man förmlich sehen, wie verkrampft er war, so wie sich seine Finger hinein pressten. Leo nahm eine seiner Hände und drückte sie, sah ihn selbstbewusst an und hoffte, dass er ihn etwas beruhigen könnte. Der feste Griff, der seine Hand zerdrückte, als sie losfuhren, war gerade so noch erträglich. Doch schon während der Fahrt wurde er entspannter und irgendwann konnte Guang-Hong sogar lachen. Er hatte Spaß, Leo war sehr froh darüber.   Unglaublich süß – so würde er die Heiterkeit, die Guang-Hong danach ausstrahlte, bezeichnen. Er war erleichtert und stolz zugleich, das war ihm anzusehen und auch anzuhören. Leo erwähnte nicht, dass die Achterbahn im Pacific Park ziemlich langsam fuhr und auch sonst keine große Höhe einnahm und damit tatsächlich ein Baby unter den Achterbahnen war, schließlich wollte er seinem Freund dieses Erfolgserlebnis nicht nehmen. Und wenn es ihm Mut machte, dann war das umso schöner. Er hatte die Angst vor Achterbahnen verloren.   Nach einer Partie Whack-A-Mole, wo sie einen großen Plüsch-Donut ergatterten, holten sie sich einen ausgefallenen Snack an einem der Stände. Sie hätten auch in eines der Imbisshäuschen gehen können, aber der Stand hatte ihre Aufmerksamkeit erlangt. Er verkaufte sehr ausgefallene Hotdogs, die asiatisch angehaucht waren. Während Guang-Hong sich an einen GomaMiso Hot Dog wagte, aß Leo einen Kurobuta TeriMayo. Es schmeckte erstaunlich gut, vielleicht war er aber auch inzwischen einfach an diese Art von Essen gewöhnt und fremdelte deswegen nicht.   Im Meer spiegelte sich die untergehende Sonne, die alles in ein goldiges Orange tauchte, das Guang-Hongs Haar eine ganz neue Farbe verlieh. An einem Geländer lehnend verspeisten sie ihre Hot Dogs und genossen beide wortlos den Anblick, der sich ihnen bot.   „Der Park schließt bald“, merkte Leo irgendwann an, als sie längst aufgegessen hatten. Die Worte ließen Guang-Hong ein wenig betrübt dreinblicken, wehmütig. „Willst du noch auf eine letzte Fahrt mit mir gehen?“   „Gerne.“   „Okay“, sagte Leo und griff nach Guang-Hongs Arm, um ihn mitzuziehen, offensichtlich hatte er ein Ziel vor Augen. Es gab nur einen Ort, der jetzt perfekt für sie war. Er hatte ihnen das Beste bis zum Schluss aufgehoben. Längst kamen die vielen Lichter des Parks dank der nahenden Dunkelheit richtig zur Geltung, vor ihnen erstrahlte das Riesenrad in all seiner leuchtenden Pracht. Trotz dessen, dass es kleiner war als viele Riesenräder, die er bisher gesehen hatte, war es wunderschön und beeindruckend, die Lichter machten so viel her. Gemeinsam mit Guang-Hong stieg er in eine der kleinen Kabinen. Unten hörten sie noch die Musik, doch je höher sie kamen, desto stiller wurde es. Mit zunehmender Höhe erhielten sie aber auch einen immer fantastischeren Ausblick – auf das Meer, auf den Strand, auf die anderen Fahrgeschäfte und die Lichter von LA. Leo griff Guang-Hongs Hand und genoss den Ausblick, schnell wurde aus dem Greifen ein Streicheln, ein Kuscheln. Er drohte vor Glück zu platzen, den Tag hätte er sich kaum besser vorstellen können. Leo wollte noch viele solcher Tage mit Guang-Hong erleben.   „Leo-kun?“, kam es zaghaft von Guang-Hong und zwang ihn damit, seinen Blick vom Horizont zu nehmen. „Danke.“ Nur dieses eine süß gehauchte Wort, dann hatte sich der Chinese zu ihm herüber gebeugt und küsste ihn zaghaft. Einzig ein weißes Häschen und ein großer Stoffdonut waren ihre Zeugen.   Leo hätte sich den Tag definitiv nicht besser vorstellen können. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)