For the World Is Hollow and I Have Touched the Sky von Morwen ================================================================================ Kapitel 54: Cullen ------------------ Die erste Nacht war die schlimmste. „Versprich es mir“, hatte Dorian gesagt, als sie sich am Morgen angezogen hatten. „Versprich mir, dass du dir Hilfe holst, wenn die Schmerzen zu groß werden.“ „Dorian...“ „Ich meine es ernst, Cullen. Dein Wohlergehen ist mir wichtig. Wenn es sonst nichts gibt, was dich überzeugen kann, auf dich achtzugeben, dann sollte wenigstens das ein Grund sein.“ „Ich...“ Cullen seufzte. Jeglicher Protest war sinnlos, das erkannte er an Dorians eiserner Miene. Außerdem hatte der andere Recht. „Nun gut. Ich verspreche, dass ich mich nach Möglichkeiten umsehen werde.“ Dorian hatte ihn lange angesehen – abschätzend, als war er sich nicht ganz sicher, wie ernst es Cullen war – doch schließlich hatte er knapp genickt. „Gut.“ Und nun war er hier, zurück in seinem Bett, zum ersten Mal seit Tagen wieder allein. Die Laken rochen immer noch schwach nach dem anderen Mann, und wenn Cullen die Augen schloss und den Geruch einsog, dann war es für einen Moment fast so, als würde er neben ihm liegen. Doch der Augenblick verging bald wieder und Cullen war erneut allein mit sich und seinen Gedanken – das schwache Pulsieren des Namens auf seinem Handgelenk alles, was ihm von Dorian geblieben war. Er wälzte sich fast eine Stunde lang ruhelos auf seinem Bett hin und her, und als ihm vor Müdigkeit endlich die Augen zufielen, war es für ihn wie eine Erlösung.   Mitten in der Nacht erwachte er plötzlich schweißgebadet und mit rasendem Herzen. Ein intensives Gefühl von Panik hatte von ihm Besitz ergriffen und minutenlang rang er keuchend nach Atem, als wäre er mehrere Meilen gerannt. Der Druck, der auf seiner Brust zu lasten schien, ließ nur langsam wieder nach, ebenso wie das Zittern in seinen Gliedern. Geschwächt streckte Cullen schließlich die Hand nach dem Fläschchen aus, das neben seinem Bett stand, und entkorkte es mit verkrampften Fingern. Während er zusammengerollt auf seinem Bett lag und darauf wartete, dass der Heiltrank wirkte, dachte Cullen an die letzte Nacht zurück. Er dachte an die Berührungen von Dorians Händen und die Wärme seiner Küsse, und an die stillen Minuten danach, als er Dorian gehalten hatte, wie etwas unendlich Kostbares. Bisher war sich Cullen nie gänzlich sicher gewesen, ob seine Gefühle für den anderen nicht vielleicht doch dem Seelennamen zu verdanken waren, doch die letzte Nacht und die Intimität, die sie geteilt hatten, hatte seine Zweifel endgültig beseitigt. Nur an Dorian zu denken, erfüllte sein Herz mit Sehnsucht, und er konnte den Moment nicht erwarten, in dem er ihn wieder in die Arme schließen würde. „Ich hoffe, du nutzt meine Abwesenheit gut“, hatte Dorian ihm ins Ohr geraunt, als sie sich auf dem Hof verabschiedet hatte. „Denn wenn ich wiederkomme, will ich in aller Ausführlichkeit hören, was du gedenkst, mit mir zu tun, sobald wir wieder unter uns sind.“ Cullen war so überrascht gewesen, dass ihm keine Antwort eingefallen war, aber die Worte und ihre Implikation hatten eine angenehme Gänsehaut verursacht. Die Wochen bis zu Dorians Rückkehr erschienen ihm schon jetzt wie pure Folter. Doch bevor er weiter über die Worte des anderen nachdenken konnte, begann der Heiltrank endlich zu wirken, und wenige Minuten später war Cullen wieder eingeschlafen.   Er sollte in den nächsten Stunden noch zwei weitere Male panisch und orientierungslos erwachen, so als würden die Attacken nun schubweise aus ihm hervorbrechen, nachdem sie ihn in seinen Nächten mit Dorian verschont hatten. Es wurde eine lange, kräftezehrende Nacht, und als schließlich der Morgen graute, war Cullen so erschöpft, dass seine Beine ihn nicht tragen wollten und er fast eine halbe Stunde lang auf der Bettkante saß, bis sein Kreislauf sich so weit stabilisiert hatte, dass er aufstehen konnte. Als er Cassandra auf dem Weg zum morgendlichen Gebet im Garten traf, warf sie ihm nur einen langen Blick zu, bevor sie den Kopf schüttelte und ihn ein Stück von der Kapelle weg führte, damit sie ungestört waren und niemand ihre Unterhaltung mit anhören konnte. „Nein“, sagte sie. Er blinzelte müde. „Was ‚nein‘?“ „In diesem Zustand wirst du heute keine Truppenmanöver machen“, erwiderte sie streng. „Du würdest es nicht mal ins Tal hinunter schaffen, ohne vor Erschöpfung vom Pferd zu fallen und dir den Hals zu brechen.“ „Aber wer soll-?“, wollte Cullen protestieren, doch Cassandra ließ keine Widerrede zu. „Ich werde den Drill heute übernehmen“, sagte sie. „Ich habe die Truppen schon oft genug befehligt, sie werden auf mich hören.“ Cullen starrte sie an, aber Cassandras Miene war wie eine Mauer aus Granit – er konnte sich nur die Zähne daran ausbeißen. Außerdem hatte sie nicht Unrecht: selbst er war sich nicht sicher, ob er den Ritt hinab ins Tal in seinem momentanen Zustand überleben würde. Und sein Vertrauen in ihre Fähigkeiten war groß genug, dass er wusste, dass sie dieser Aufgabe gewachsen war. Er seufzte. „... na schön.“ Cassandra nickte knapp und ihre Miene wurde etwas weicher. „Danke“, sagte sie. Und dann: „Keine Sorge, ich habe nicht vor, dich zur Untätigkeit zu verdammt. Es gibt noch genug Büroarbeit, die du erledigen kannst. Außerdem...“ Sie zog einen leicht zerknitterten Brief aus ihrer Tasche. „... ist das heute Morgen für dich eingetroffen. Ich bin mir sicher, du wirst Zeit und Ruhe brauchen, um ihn zu lesen.“ Zögernd nahm Cullen den Brief entgegen. Als er das Siegel sah, musste er unwillkürlich lächeln. „Ich danke dir“, sagte er. Plötzlich konnte er es kaum erwarten, ihn zu lesen. Vielleicht war es doch keine schlechte Idee, sich einen Tag lang etwas Ruhe zu gönnen. „Jederzeit“, entgegnete sie und nickte ihm zu. Dann betraten sie gemeinsam die Kapelle.   Nach dem Gebet setzte sich Cullen auf eine Steinbank im Garten und holte den Brief hervor. Cullen Stanton Rutherford, Kommandant der Inquisition war in geschwungener Schrift darauf geschrieben. Mehr nicht. Doch das war auch nicht nötig, halb Thedas wusste mittlerweile, wer sie waren. Vorsichtig brach Cullen das Siegel seiner Schwester und faltete den Brief auseinander.   Cullen,   wir hören so viel über die Inquisition und die heldenhaften Taten ihrer Mitglieder, doch die Erzählungen berichten nie, wie es um euch persönlich steht, darum danke ich dir sehr für deinen Brief und die ehrlichen Worte. Es freut mich, dass es dir in deiner neuen Position jetzt besser geht; ich habe schon immer gewusst, dass Kirkwall und der Orden dir nicht gut tun. Jedem deiner Briefe war anzumerken, wie unglücklich du dort warst, und es hat mir jedes Mal das Herz gebrochen, sie zu lesen. Ich bin so stolz auf dich, und darauf, dass du es geschafft hast, dich von den Templern loszusagen, und dein Leben jetzt der Aufgabe widmest, uns alle zu beschützen. Von klein auf war mir klar, dass du zu Großem bestimmt bist, und die letzten Monate haben es oft genug bewiesen. Der Gedanke, meinen kleinen Bruder nun mit dem Rest der Welt teilen zu müssen, macht mich zwar etwas schwermütig, aber ich vermute, wir müssen alle Opfer bringen.   Cullen lächelte. Er konnte sich das Zwinkern seiner Schwester bei diesen Worten bildlich vorstellen.   Aber ich will nicht länger um den heißen Brei herumreden: Wer ist er?! Ich kann nicht glauben, dass du den Platz auf dem Papier damit verschwendest, kryptische Bemerkungen über Scheunen zu machen ja, ich weiß natürlich, dass du es nur zur Sicherheit tust, aber ernsthaft, Cullen!, anstatt mir mehr über deinen Partner zu erzählen! Wie sieht er aus, wo kommt er her? Wie hat sich der Moment für dich angefühlt, in dem du wusstest, dass ER es ist? Branson und Rosalie sind genauso gespannt, wie ich, und ich muss mit Sicherheit nicht erwähnen, dass wir uns alle sehr freuen würden, wenn ihr beide uns einmal besuchen kommt...   An dieser Stelle musste Cullen innehalten, um ein befreiendes Lachen von sich zu geben. Eine vorbeigehende Schwester warf ihm stirnrunzelnd einen Blick zu, als wollte sie fragen, wie er es wagen konnte, die morgendliche Stille zu stören. Doch er ignorierte sie nur. Mias Brief machte ihn so glücklich, dass er am liebsten die ganze Welt umarmt hätte. Natürlich freute sie sich für Dorian und ihn, wie hatte er jemals daran zweifeln können? So schwer sie ihm das Leben manchmal auch gemacht hatte, als sie noch Kinder gewesen waren, sie liebte ihn doch aus ganzem Herzen und war mehr als alles andere an seinem Wohlergehen interessiert. Nun konnte er Dorians Rückkehr erst recht nicht erwarten. Nach der enttäuschenden letzten Begegnung mit seinem Vater würde es für Dorian eine wunderbare Erfahrung sein, mit offenen Armen von Cullens Familie empfangen zu werden. Cullen stand auf und zog sich in seinen Turm zurück, bevor er den Rest des Briefs las. Auf den drei eng beschriebenen Bögen Papier berichtete Mia des Weiteren von ihrer eigenen Familie und dem Leben auf ihrem Hof, sowie von den Sorgen und Ängsten, die mit dem Erscheinen der Risse einhergingen, und ihrer eigenen Zuversicht, dass die Inquisition sie beschützen würde. Es tat gut, ihre Worte zu lesen und für einen Moment wieder den grenzenlosen Optimismus seiner Schwester zu spüren – einen Optimismus, den auch Cullen einst besessen hatte, damals, bevor er den Templern beigetreten war. Als er den Brief schließlich sinken ließ, war ihm so leicht ums Herz, wie schon seit langem nicht mehr, und er nahm sich vor, seiner Schwester so bald wie möglich eine Antwort zu schreiben.   Die Tage vergingen ohne größere Ereignisse. Die Nächte waren die größte Herausforderung für Cullen, auch wenn keine Nacht mehr so schlimm werden sollte, wie die erste. Meistens quälten ihn nur heftige Kopfschmerzen, die er durch Heiltränke mildern konnte, und hin und wieder hatte er Alpträume, die ihn zurück nach Kirkwall oder – schlimmer noch – den Zirkel von Ferelden versetzten. Doch Cullen hatte sich Dorians Worte zu Herzen genommen, und wann immer er Sorgen hatte, dass er die Nacht nicht allein überstehen würde, schickte er Cassandra oder Leliana eine Nachricht und bat um ihre Unterstützung. Auch das war eines der Dinge, die sich geänderte hatten, seitdem er Dorian kennengelernt hatte: Er war nun eher bereit, um Hilfe zu bitten, wenn er sie brauchte, als noch vor einem Jahr. Dorians Sorge um ihn hatte dazu geführt, dass sich Cullen auch selbst mehr um seine Gesundheit kümmerte. Ihm war nicht länger egal, was mit ihm passierte; zum ersten Mal seit langem lebte er auch wieder für sich, und nicht nur für andere. Denn er wollte noch viele Jahre mit Dorian verbringen, und das konnte er nicht, wenn er nicht für seinen Körper sorgte.   Beinahe täglich trafen neue Nachrichten von der Inquisitorin ein. Meistens waren es kurze, unpersönliche Kommentare zum Verlauf der Reise, die bislang unproblematisch vonstatten ging. Manchmal waren es längere Nachrichten, in denen Lavellan Ideen und Beobachtungen festhielt, die sie in den verschiedenen Dorf- und Stadtgemeinden von Orlais gemacht hatte. Diese leitete Leliana meist an Josephine weiter, die sich sofort daran machte, ihre diplomatischen Fühler auszustreckend und Kontakte zu neuen potentiellen Verbündeten zu knüpfen. Einmal war eine kurze Nachricht dabei, die an Cullen adressiert war. Sie hatte keinen Absender, doch er erkannte die Handschrift sofort.   Hast du schon Ideen?   Cullen war froh, dass der Bote, der ihm die Nachricht überbracht hatte, ihm bereits den Rücken zugewandt hatte und sein gerötetes Gesicht nicht mehr sehen konnte. In dieser Nacht fühlte er sich ganz besonders einsam.   Zwei Tage später erhielt er wieder Neuigkeiten von Dorian, wenn auch auf einem Weg, mit dem er nicht gerechnet hatte. Cullen war gerade auf dem Weg zu Josephine, um mit ihr die politische Situation in Ferelden zu diskutieren, als ihn plötzlich eine Woge von Übelkeit überrollte und er das Gefühl hatte, als würde eine Riesenfaust sämtliche Luft aus seinen Lungen pressen. Keuchend stützte er sich an der Wand ab und für einen Augenblick wurde ihm schwarz vor Augen, während der Name auf seinem Handgelenk in einer Intensität pulsierte, die er noch nie erlebt hatte. Und dann... ... nichts. Kein Brennen, kein Schmerz. Seine Verbindung zu Dorian war mit einem Mal verschwunden, als hätte sie nie existiert. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)