For the World Is Hollow and I Have Touched the Sky von Morwen ================================================================================ Kapitel 50: Lavellan -------------------- Ellana wusste nicht, woher sie die Kraft nahm, um den Tag zu überstehen, aber als der Abend schließlich dämmerte, war sie endlich allen Verpflichtungen nachgekommen und konnte sich in ihr Zimmer zurückziehen, um sich auszuruhen. Eine lange Reise stand ihr bevor und sie musste Kraft schöpfen, wollte sie den Weg bewältigen und die an sie gestellten Erwartungen nicht enttäuschen. Solas war nicht da, wofür sie dankbar war. Ellana wusste nicht, ob sie seinen Anblick in diesem Moment ertragen hätte. Nach ihrem Gespräch in der Nacht zuvor hatte sie nur schlecht geschlafen, zu sehr hatten sie die Dinge beschäftigt, die er ihr offenbart hatte. Neben ihm zu liegen und sein im Schlaf entspanntes Gesicht zu betrachten, mit dem Wissen, dass er derjenige war, über den sich die Elfen seit Jahrtausenden Schauermärchen erzählten, war eine bizarre Erfahrung gewesen. Konnte er tatsächlich die Wahrheit gesprochen haben? Es schien ihr undenkbar. Er war nur ein Mann, fehlbar und sterblich. Sie hatte ihn oft genug bluten sehen, um sich dieser Tatsache bewusst zu sein. Dennoch hatte sie nicht verhindern können, dass ihr Blick zu ihrem Nachttisch hinübergewandert war, auf dem ihr Dolch lag, und für einen kurzen Augenblick hatte sie sich gefragt... Doch Ellana hatte entsetzt die Hände vor den Mund geschlagen, als ihr bewusst geworden war, wie grausig ihre Gedankengänge waren. Traute sie ihm tatsächlich so wenig, dass sie ihn bereits als Feind betrachtete, und nicht länger als denjenigen, dem sie ihr Herz geschenkt hatte...? Plötzlich hatte sie ihn nicht länger ansehen können. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt, während Übelkeit in ihr aufgestiegen war, und es hatte lange gedauert, bis sie sich wieder weit genug beruhigt hatte, dass sie schließlich einschlief. Seitdem hatte sie nicht mehr mit ihm gesprochen. Er war bereits fort gewesen, als sie am nächsten Morgen erwacht war, und in ihrer Unsicherheit und Verzweiflung hatte sie zum ersten Mal etwas getan, was sie noch nie zuvor auch nur in Betracht gezogen hatte – sie war in die Kapelle gegangen, um zu beten. Und vielleicht hatte Andraste sie tatsächlich erhört, denn sie hatte ihr Leliana geschickt, mit der sie ihre Ängste und Sorgen hatte teilen können. Später am Morgen hatte sie mit Josephine gesprochen, die ihr einen überraschten Blick zugeworfen hatte, als sie ihr mitgeteilt hatte, wen sie sich als Begleiter auf ihrer Reise wünschte, ohne dabei auch nur ein einziges Mal Solas‘ Namen zu nennen. Doch sie war diplomatisch genug gewesen, um nicht nachzufragen, was Ellana sehr schätzte. Sie brauchte für eine Weile Abstand von ihm, um ihre Gedanken zu ordnen und sich über ihre Gefühle im Klaren zu werden, und die bevorstehende Reise bot eine gute Gelegenheit dazu. Und nun war sie hier, allein in ihrem Zimmer. Alle Vorbereitungen für die Reise waren getroffen, alles, was ihr blieb, war sich hinzulegen und sich auszuruhen. Doch Ellana schaffte es nicht, die Augen zu schließen. Zu sehr beschäftigten sie die Ereignisse der letzten Tage. Und nicht nur sie. Ein Klopfen an der Tür ließ sie erstarren. Sie fragte sich für einen Moment, ob sie sich verhört hatte, doch das Klopfen wiederholte sich nach einer Weile, und Ellanas Herz begann vor Aufregung zu rasen. „Ella...“, erklang eine leise Stimme, die ihr schmerzlich vertraut war. Ellana rollte sich auf dem Bett zusammen und presste die Hände auf die Ohren. Sie wollte ihn nicht sehen. Sie konnte ihn nicht sehen. Nicht jetzt. Sie hatte schlichtweg nicht die Kraft dazu. Minuten vergingen, in denen sie sich nicht rührte und hoffte, dass er die stille Botschaft verstand und sie in Ruhe ließ. Sein Name pulsierte brennend heiß auf ihrem Handgelenk, als wäre er ein schwaches Echo des Gefühlssturms, der in ihr tobte. Doch als sie die Hände schließlich wieder sinken ließ, wusste sie, dass er noch immer da war. „Es tut mir leid.“ Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung. Diese Worte hatte sie nicht erwartet. Ein Rascheln ertönte, dann ein dumpfes Geräusch, als er sich von außen gegen die Tür sinken ließ. „Ich hätte dir niemals dieses Wissen aufbürden sollen“, fuhr er leise fort. „Es war meine Verantwortung, es für mich zu behalten, und ich bin dieser Verantwortung nicht nachgekommen.“ Ellana setzte sich auf. „Ich verstehe, dass du wütend bist und verletzt, und dass du Abstand brauchst.“ Ihr Herz krampfte sich bei diesen Worten zusammen. „Sollte dies jedoch das Ende sein... dann soll es so sein. Ich respektiere deine Entscheidung und werde dich nicht länger behelligen.“ Nein! Das war nicht das, was sie wollte... oder doch? Sie brauchte den Abstand in diesem Moment, doch wollte sie tatsächlich gleich einen Schlussstrich ziehen...? Ellana hasste es, dass er sie so verunsicherte – dass sie ihn so sehr liebte, dass er sie so verunsichern konnte – und sie hasste es, dass er sie so plötzlich zu einer Entscheidung zwang, zu der sie in diesem Moment noch nicht bereit war. Doch wieder blieb sie stumm, und wieder zog sich die Stille dahin. Schließlich ertönte erneut seine Stimme. „Ich verstehe“, sagte er sanft. „Du brauchst Zeit.“ Sie hörte, wie er sich wieder erhob. „Wir sollten reden, wenn du wieder zurück bist. Dareth shiral, vhenan. Ich wünsche dir alles Gute auf deiner Reise.“ Mit diesen Worten ging er schließlich. Als seine Schritte auf der Treppe verhallt waren, sank Ellana zurück auf ihr Bett. Plötzlich brannten Tränen in ihren Augen, die sie sich nicht erklären konnte. Ein leises Schluchzen entrang sich ihrer Kehle, dann ein weiteres. Dann war es, als würde auf einmal ein Damm brechen, als sich ihre Anspannung endlich löste und Tränen über ihre Wangen liefen, während sie schluchzend das Gesicht im Kissen vergrub. Es sollte lange dauern, bis sie wieder zur Ruhe kam, doch als es schließlich vorbei war, fühlte sie sich nicht nur ausgelaugt und erschöpft, sondern auch besser, als vorher, und schlief wenig später endlich ein.   Ellana fühlte sich seltsam ruhig und gefasst, als sie sich am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang in den Sattel ihrer Stute schwang. Die kleine Menschenmenge, die sich versammelt hatte, um sie und ihre Begleiter zu verabschieden, schien zurückhaltender, als sonst, und nur vereinzelt wurden gemurmelte Gespräche geführt. Von Solas fehlte jede Spur, doch das überraschte Ellana nicht. Er hatte ihr mehr Zeit versprochen, und er hielt sich an sein Versprechen. Doch obwohl es genau das war, was sie gewollt hatte, wünschte sie sich für einen kurzen Moment, sie könnte noch ein letztes Mal sein Gesicht sehen, bevor sie die Himmelsfeste abermals verließ. Dorian war der letzte ihrer Begleiter, der eintraf, und er entschuldigte sich mehrmals für die Verspätung, während er auf sein Reittier stieg. Wenig später stieß auch Cullen zu ihnen, atemlos und in voller Rüstung, das gelockte Haar zerzaust. Er verabschiedete sich formell von ihr und ihrem Gefolge, und wünschte ihnen eine sichere Reise. Es wärmte Ellanas Herz, als sie die offene Hingabe und Bewunderung in seinem Blick sah, wann immer seine Augen dabei Dorian streiften, und ihr wurde auf einmal bewusst, wie schwer es ihm fallen musste, den anderen Mann gehen zu lassen. Als sie schließlich gerade aufbrechen wollten, lenkte Dorian sein Pferd noch einmal zu dem Kommandanten hinüber und beugte sich zu ihm hinunter. Ellana konnte die Worte nicht verstehen, die er Cullen ins Ohr flüsterte, doch die Tatsache, dass der andere Mann dabei errötete, sprach Bände. Dann ging ein Raunen durch die kleine Menschenmenge, als Dorian die Hand in Cullens Nacken legte und ihn zu sich zog, um ihn zu küssen. Mit einem Lächeln und einem Zwinkern löste er sich einen Moment später auch schon wieder von ihm und schloss ohne ein weiteres Wort zu verlieren zu Ellana und ihrem restlichen Gefolge auf, das ihn mit teils entsetzten, teils überraschten Mienen erwartete. Nur der Eiserne Bulle grinste unverhohlen, als Dorian an ihm vorbeiritt, doch er verkniff sich jeglichen Kommentar. Ellana war mittlerweile zu weit vorausgeritten, um den Ausdruck auf Cullens Gesicht identifizieren zu können, doch ihr entging nicht, dass der Kommandant wie zur Salzsäule erstarrt war, und ein Lächeln trat auf ihr Gesicht. Sie freute sich für ihn und für das Glück, das er gefunden hatte, und sie nahm sich vor, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit Dorian heil zu ihm zurückkehrte. Mit diesem Gedanken konzentrierte sie sich wieder auf den Weg vor sich. Die einsame Gestalt, die ihnen von der Burgmauer aus nachblickte, bemerkte sie dabei nicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)