For the World Is Hollow and I Have Touched the Sky von Morwen ================================================================================ Kapitel 34: Solas ----------------- „Warum eigentlich ‚Lavellan‘...?“ Es war der letzte Nachmittag vor ihrer Reise zum Kammwald, und sie saßen gemeinsam in einem der Zelte der Heiler, nachdem Lavellan Solas gebeten hatte, ihr zu zeigen, wie man Heiltränke zubereitete. Es war eine Arbeit, die die Hände beschäftigte und Solas mit einem inneren Frieden erfüllte, und der entspannten Miene Lavellans nach zu urteilen, empfand auch sie die Stille bei der Arbeit als angenehm. Als sie seine Stimme vernahm, sah die junge Elfe, die gerade dabei war, die Wurzeln mehrerer Heilpflanzen mit dem Messer zu zerkleinern, von ihrer Tätigkeit auf. „Hm...?“ „Warum der Name Lavellan?“, wiederholte Solas seine Frage, während er die Blätter von einem Elfenwurzeltrieb entfernte. „Du erzähltest mir einst, dass du dich mehr mit den Stadtelfen identifizierst, als mit den Dalish. Dennoch hast du den Namen deines Vaters angenommen...“ „Ah.“ Lavellan nickte verstehend und senkte dann den Blick, wobei sie auf das flackernde, grüne Mal auf ihrer Hand herabsah. „Es klingt vermutlich naiv, aber... Ich nahm den Namen damals an, als ich der Stadtwache beitrat. Ich tat es, weil ich... ich hoffte...“ Sie seufzte. „... wenn ich mir nur den Respekt der Bürger erarbeiten und mir einen Namen machen würde, dann würde sich mein Ruf vielleicht eines Tages auch über die Grenzen von Denerim hinaus verbreiten. Würde vielleicht sogar bis zum Clan selbst vordringen...“ Solas verstand. „Du hast gehofft, dein Name würde deinen Vater erreichen“, sagte er leise. „Ich war so jung, als er uns verließ, dass ich keine Erinnerungen an ihn habe“, entgegnete Lavellan. „Doch er ist die einzige Familie, die ich noch habe, und ich dachte... ich dachte, es wäre zumindest einen Versuch wert.“ Ein zaghaftes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. „Furchtbar idealistisch, ich weiß.“ Doch Solas schüttelte nur den Kopf. „Es ist keine Schande, Hoffnung zu bewahren“, sagte er sanft. „Gerade wenn es um Familie geht.“ Lavellan sah ihn an, und dieses Mal erreichte das Lächeln auch ihre Augen. Solas erwiderte es. Und er fühlte sich dabei wie ein Monster. Er hatte einen anderen Grund hinter der Wahl des Namens vermutet. Er hatte nicht erwartet, dass die junge Frau ihn gewählt hatte, um ihren Vater zu erreichen... ... sondern um seiner zu gedenken. Denn Clan Lavellan existierte nicht mehr. Ein Fieber hatte den Großteil des Clans vor wenigen Jahren dahingerafft, und der Rest war den stetigen Anfeindungen durch die Bewohner der benachbarten Dörfer zum Opfer gefallen. Solas hatte auf seinen Reisen nur durch Zufall davon erfahren, und auch wenn er keine hohe Meinung von den Dalish hatte, so hatte ihn der Verlust eines ganzen Clans doch schwer getroffen und ihn einmal mehr in dem Beschluss bestärkt, die Welt der Elfen wiederherzustellen. Dass die Nachricht über die Auslöschung des Clans ihres Vaters die junge Elfe noch nicht erreicht hatte, musste daran liegen, dass der Clan auf seinen jahrzehntelangen Wanderungen bis nach Antiva vorgedrungen war, und die Neuigkeiten bisher schlichtweg noch nicht in den Süden vorgedrungen waren. Doch früher oder später würde Lavellan davon erfahren, und Solas zweifelte nicht daran, dass es ihr das Herz brechen würde. Aber noch bewahrte sie Hoffnung... und Solas brachte es nicht über sich, diesen Funken auszulöschen, wusste er doch besser, als jeder andere, wie sehr Hoffnung motivieren konnte. Und so lächelte er nur und schwieg. „Was ist mit deiner Familie, ma vhenan?“, fragte sie plötzlich, während sie sich wieder ihrer Arbeit widmete. „Du hast mir vieles über deine Reisen erzählt, doch ich weiß nur wenig über dich. Woher du stammst, ob du Geschwister hast...“ Geschwister... Es war Jahrtausende her, seitdem er das letzte Mal an sie gedacht hatte, aber für einen kurzen Moment erinnerte er sich wieder an eine Schwester, die viele Jahre jünger gewesen war, als er, und gerade anfing zu laufen, als er schon Jahre der Wanderung und des Lernens hinter sich hatte. Doch so sehr er sich bemühte, er konnte sich ihr Gesicht nicht mehr in Erinnerung rufen, hatte es schon lange, bevor er sich zu seinem viele Zeitalter andauernden Schlaf niedergelegt hatte, vergessen. Und auch seine Eltern waren nicht mehr als graue Schatten auf der Leinwand seiner Erinnerungen. Er erinnerte sich weder an das Lächeln seiner Mutter, die ihn vieles gelehrt hatte, noch an die Stimme seines Vaters, der ihn stets inspiriert hatte – doch er wusste noch immer, wo er sie begraben hatte, damals, als der anhaltende Krieg zwischen den Vergessenen und den Evanuris das Land verwüstet und zahllose Unschuldige das Leben gekostet hatte. Mittlerweile dachte Solas nur noch selten an jene frühen Jahren zurück, doch manchmal, wenn er im Frühling über die Felder wanderte und der Wind den Duft der ersten Blumen mit sich brachte, musste er für einen Moment innehalten und die Augen schließen, erinnerte er ihn doch an den Geruch seiner Heimat. „Vhenan...?“, fragte Lavellan leise. „Solas...?“ Solas blinzelte, als ihm bewusst wurde, dass er für einen Moment blicklos ins Leere gestarrt haben musste. Er schenkte Lavellan, die ihn besorgt ansah, ein schwaches Lächeln. „Es geht mir gut“, sagte er. „Es... ist nur lange her, dass ich an meine Familie gedacht habe.“ „Verzeih. Ich wollte dir keinen Kummer bereiten“, erwiderte sie sanft und legte eine Hand auf seinen Arm. „Hätte ich geahnt, dass dich die Erinnerung so schmerzen würde, hätte ich nicht gefragt.“ „Das konntest du nicht wissen.“ Er nahm ihre Hand und küsste sie, genau über dem leuchtenden Mal. Sein Anblick versetzte ihm einen Stich. Der Anker war nicht für Sterbliche gedacht, und auch wenn Lavellan bislang keine Beschwerden gezeigt hatte, wusste er, dass das Mal mit der Zeit immer instabiler werden würde... und sie schließlich sogar das Leben kosten würde, wenn er bis dahin keine Möglichkeit fand, es zu entfernen. „... Solas.“ Er hob den Blick und sah sie an. Nicht zum ersten Mal bemerkte er die goldenen Flecken in den grünen Tiefen ihrer Augen. „Ich weiß, wie schmerzhaft es sein kann“, sprach sie leise, „aber solltest du jemals über die Dinge, die dich bedrücken, reden wollen... ich bin für dich da.“ Es war kein Drängen in ihrer Stimme, nur Mitgefühl, und Solas wusste, dass sie es ihm nicht zum Vorwurf machen würde, sollte er ihr Angebot ablehnen. „Ich weiß“, entgegnete er schließlich, seltsam berührt von dem Ausmaß an Vertrauen, das sie ihm entgegenbrachte, und verschränkte seine Finger mit den ihren. „Ma serannas.“ Lavellan ließ den Blick kurz über ihre angefangene Arbeit schweifen, dann schien sie zu einem Entschluss zu kommen und stand auf, wobei sie Solas mit auf die Beine zog. „Komm“, sagte sie. „Du brauchst etwas anderes.“ Und ohne ein weiteres Wort zu sagen, verließ sie das Zelt. Solas zögerte nur kurz, dann folgte er ihr.   Es war eine Routine, die sich noch nicht ganz etabliert hatte, aber immer vertrauter wurde. Jedes Mal, wenn er den Turm der Inquisitorin betrat – in gebührendem, zeitlichem Abstand nach Lavellan, um nicht allzu viele wissende Blicke auf sich zu ziehen – gewann er ein wenig mehr Sicherheit... und schwor sich zugleich, dass dies das letzte Mal sein würde, dass dies niemals zur Routine werden durfte... ... bevor er schlussendlich doch den langen, mühsamen Aufstieg hinauf zum Turmzimmer begann. Lavellan erwartete ihn bereits und saß, der Tür den Rücken zugekehrt, auf dem Bett. Sie hatte ihre Kleidung gegen eine schlichte Robe getauscht. „Für einen Moment war ich mir nicht sicher, ob du kommen würdest“, sagte sie, ohne sich zu ihm herumzudrehen. „Ich bin froh, dass du es getan hast.“ Für einen Moment war ich mir selbst nicht sicher, ob ich kommen würde, dachte er. Hätte er nur widerstanden und wäre auf dem Treppenabsatz wieder umgekehrt. Aber oh, er wollte, er wollte... ... er wollte sie. Es war ein Begehren, das über rein körperliche Anziehung hinausging. In ihren Armen fand er eine Geborgenheit, die er schon lange nicht mehr gespürt hatte, und von der er nicht gewusst hatte, wie sehr er sie gebraucht hatte. Lavellan drängte ihn zu nichts; sie gab ihm die Zeit, die er benötigte, um sich über seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse klar zu werden, und sie akzeptierte ihn, wie er war, mit all seinen Fehlern, Zweifeln und Geheimnissen. Solas hielt nicht viel von Seelennamen, die ein unvorhergesehener Nebeneffekt bei der Erschaffung des Schleiers gewesen waren, und hatte sie immer als Fluch empfunden. Doch in der letzten Zeit hatte er sich hin und wieder die Frage gestellt, ob das Band sich ähnlich anfühlte wie das, was er für Lavellan empfand. (Und manchmal – aber nur manchmal – bedauerte er es, dass er niemals ihren Namen tragen würde.) „Hör auf“, sagte Lavellan sanft, die sich mittlerweile vom Bett erhoben hatte. „Ich kann förmlich hören, wie du dir Vorwürfe machst.“ Es war keine Anklage in ihrer Stimme, doch Solas sah einen Anflug von Sorge in ihren Augen aufflackern. Wortlos ergriff er ihre Hand und zog sie an sich, wobei er das Gesicht in ihren langen, kupferroten Haaren vergrub. Eines Tages würden sie miteinander reden, und er würde ihr die Wahrheit sagen und dabei zusehen, wie die Zuneigung für ihn unwiderruflich aus ihren Augen verschwand... denn wie könnte sie ihn weiterhin lieben, wenn sie wusste, was er war, was er vorhatte...? Doch auch, wenn er spürte, dass jener Tag nicht mehr fern war, war noch etwas Zeit. Noch war es nicht so weit. „Oh, Ellana“, murmelte er und nahm ihr Gesicht in die Hände und küsste sie sacht auf den Mund, einmal, zweimal. „Ella...“ Sie erwiderte seinen Blick. „Was brauchst du, ma vhenan?“, fragte sie leise. Er schloss die Augen und lehnte seine Stirn an die ihre. „Lass mich vergessen...“   Und das tat sie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)