For the World Is Hollow and I Have Touched the Sky von Morwen ================================================================================ Kapitel 9: Solas ---------------- „Lethallan.“ Er sah, wie sich ihre Schultern anspannten, als sie seine leise Stimme hörte, doch sie drehte sich nicht um. Seine Schritte verlangsamten sich, bis er schließlich einige Meter von ihr entfernt stehenblieb. „Ich hatte gehofft, Ihr hättet einen Moment Zeit für mich“, fuhr er behutsam fort. Unten im Dorf lachten und feierten die Menschen, doch in dem kleinen Garten neben der Kirche war es dunkel und still, und man konnte von hier aus deutlich das schmale, grüne Band sehen, das hoch über den Bergen am Himmel leuchtete – die letzte Erinnerung an den Riss, den sie nicht mal einen halben Tag zuvor endgültig geschlossen hatten. Seit ihrer Rückkehr nach Haven wirkte Lavellan entspannter, als Solas sie seit langer Zeit erlebt hatte, und er hatte sich vorgenommen, die Gelegenheit zu nutzen, um mit ihr zu sprechen. Schon seit Wochen hatte er das Gefühl, dass sie ihm auswich, und nur selten hatte er sie in dieser Zeit auf ihren Reisen begleiten dürfen. Er konnte sich auf ihre plötzlich so abweisende Art keinen Reim machen, und bald begannen ihm ihre Gespräche zu fehlen, sowie die Neugier und Offenheit, die die Heroldin seinen Erzählungen über Magie und seinen Erlebnissen im Nichts anfangs noch entgegengebracht hatte. Er hatte lange überlegt, woher der plötzliche Wandel gekommen war, und schließlich hatte er das kurze Gespräch, das er mit Lavellan über das Mal an ihrer Hand geführt hatte, als Auslöser identifizieren können. Er selbst hatte sich bei seinen Antworten auf ihre Fragen nicht viel gedacht, doch im Nachhinein war ihm aufgefallen, wie betroffen und am Boden zerstört sie gewirkt hatte. Doch dann war es schon längst zu spät gewesen, um die Sache aufzuklären. „Wie kann ich Euch helfen?“, fragte sie schließlich ohne ihn anzusehen. Der Elf hob besorgt eine Augenbraue. Vielleicht hätte er doch einen anderen Zeitpunkt wählen sollen. Er beschloss, ihr die Dinge zu sagen, die er sich vorgenommen hatte zu sagen, und ihre Ruhe dann nicht weiter zu stören. „Ich bin gekommen, um mich zu entschuldigen“, entgegnete er. Er wagte einen kleinen Schritt näher, bevor er erneut stehenblieb. Endlich zeigte Lavellan eine Reaktion. Sie wandte sich zu ihm herum und sah ihn mit undeutbarem Gesichtsausdruck an. „Zu entschuldigen“, wiederholte sie. „Wofür?“ „Für die Dinge, die ich zu Euch gesagt habe.“ Er sah sie ruhig an und hielt ihrem Blick stand. „Es liegt schon eine Weile zurück, doch vielleicht erinnert Ihr Euch an das Gespräch, das wir führten, als ich Euer Mal untersuchte.“ Er sah, wie sie die Lippen zusammenpresste, doch sie nickte und von ihrer Reaktion ermutigt fuhr er fort. „Ihr fragtet mich, ob wir uns schon einmal begegnet seien, und ich verneinte. Danach schient Ihr sehr aufgebracht, und dafür möchte ich mich entschuldigen. Auch wenn es unbewusst war, habe ich Euch mit meinen Worten sehr verletzt, und ich möchte, dass Ihr wisst, dass es mir leid tut. Falls ich etwas tun kann, um Euren Schmerz zu lindern, dann lasst es mich wissen. Euer Wohlergehen liegt mir sehr am Herzen, Ellana, und nichts würde mich glücklicher machen, als mich eines Tages wieder zu Euren Vertrauten zählen zu können.“ Als er schließlich verstummte, war Lavellan still. Seine Offenheit schien sie überwältigt zu haben. Solas starrte auf einen Punkt über ihrer Schulter und wartete für eine Weile auf ihre Antwort... doch es kam keine. Ergeben senkte er den Blick. „Das war alles, was ich sagen wollte“, meinte er schließlich und deutete eine Verbeugung an, bevor er sich zum Gehen wandte. „Bitte entschuldigt die Störung.“ „... wartet“, drang ihre Stimme plötzlich durch die Stille. Solas blieb stehen und sah sie an. Dieses Mal huschten eine Vielzahl von Emotionen über ihr Gesicht, als sie seinen Blick erwiderte. Ihre anfängliche Überraschung wich Unsicherheit, Zweifel, Resignation... und schließlich einer unerschütterlichen Entschlossenheit. „Ihr habt nichts falsch gemacht“, sagte sie nach einem Moment und trat näher. „Ich ging von falschen Annahmen aus, darum sollte ich diejenige sein, die sich entschuldigt, nicht Ihr. Ich habe Euch zu Unrecht gemieden, und ich hoffe, Ihr könnt mir mein furchtbares Benehmen verzeihen.“ Sie senkte den Blick. „Um ehrlich zu sein, würde ich mich freuen, Euch in Zukunft wieder an meiner Seite zu wissen. Euer Rat und unsere Unterhaltungen haben mir in den letzten Wochen oft gefehlt.“ Eine unerwartete Wärme erfüllte ihn bei diesen Worten. „Es wäre mir eine Ehre, lethallan“, entgegnete er sanft. Sie hob den Kopf und sah ihn an, Hoffnung im Blick. „Solas, ich–“, begann sie. Plötzlich fingen in der Ferne die Alarmglocken an zu läuten. Lavellans Kopf fuhr hoch und ihre Hand legte sich auf den Griff ihres Schwertes. Auch Solas sah auf und blickte in Richtung des Dorfes. Angsterfüllte Rufe hallten durch Haven und besorgt tauschte er einen Blick mit der Heroldin. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren liefen sie Seite an Seite los, um zu sehen, was den Aufruhr verursacht hatte.   Solas blieb an Lavellans Seite, als sie Haven gegen die erste Welle von Angreifern verteidigten. Er schützte Cassandra, Varric und sie mit magischen Barrieren und nadelspitzen Eisgeschossen, und für einen Moment fühlte er sich wieder an jene frühen Tage nach der Zerstörung der Tempels erinnert, in denen ihre Gruppe nur aus ihnen bestanden hatte. Wie viel sich seitdem verändert hatte... Während er die Magie mit seinem Stab kanalisierte und den Angreifern mit traumwandlerischer Sicherheit Zauber um Zauber entgegenschleuderte, drehten sich Solas‘ Gedanken unaufhörlich um die dunkle Gestalt, die den Kampf aus der Ferne von einer Anhöhe aus beobachtete. Er hätte schwören können, dass Corypheus‘ brennender Blick auf ihm ruhte, und als er sein Bewusstsein weiter öffnete, konnte er den Hass und die verbitterte Entschlossenheit des Ältesten spüren. Nicht zum ersten Mal bereute er den Moment, in dem er beschlossen hatte, dem wiederauferstandenen Magister seinen wertvollsten Besitz anzuvertrauen. Es war nur einer von vielen Fehlern, die er seit seinem Erwachen begangen hatte, doch es war der mit Abstand schwerwiegendste, und selbst mit Hilfe der Inquisition würde es Jahre dauern, bis er seine Auswirkungen beseitigt hatte. Umso größer war seine Erleichterung darüber, dass Lavellan ihm vergeben hatte. Ohne die Unterstützung der Heroldin würde sich seine Aufgabe sehr viel schwieriger gestalten. Solas schätzte die junge Frau, auch wenn er sich mit manchen ihrer Entscheidungen, wie etwa dem Bündnis mit den Templern, sehr schwer getan hatte. Doch so entschlossen und stur sie manchmal auch war, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, so offen für Neues war sie auch. Und obwohl sie in ihrem bisherigen Leben viele Verluste hatte erleiden müssen, hatte sie sich einen unerschütterlichen Optimismus bewahren können, der nicht nur ihre engsten Freunde, sondern auch die Truppen ansteckte und motivierte, so dass sie ihr in Momenten wie diesen trotz der überwältigenden Übermacht mit grimmiger Entschlossenheit in die Schlacht folgten. Es war Glück im Unglück gewesen, dass der Anker gerade sie gefunden hatte, und Solas war jeden Tag aufs Neue dankbar dafür. Lavellan vertraute ihm weit genug, dass es leicht war, sie zu beeinflussen – auch wenn er sich dabei von Mal zu Mal unwohler fühlte und die Grenze zwischen dem, was getan werden musste, und dem, was er selbst wollte, jeden Tag mehr zu verschwimmen schien...   Der Drache war eine Überraschung, die selbst Solas nicht hatte kommen sehen. Lavellan und Cullen riefen die Truppen zum Rückzug auf, und nach und nach versammelten sich alle Überlebenden in der Kirche. Als sie ihr weiteres Vorgehen besprachen, kam es zu einem kurzen, aber heftigen Meinungsaustausch zwischen dem Neuankömmling – Dorian, erinnerte sich Solas – und Cullen, der angespannter und blasser wirkte, als der Elf ihn je erlebt hatte. Die rettende Lösung verdankten sie schließlich Kanzler Roderick, der sich an einen schon lange nicht mehr betretenen Pfad in die Berge erinnerte, über den die Pilger einst nach Haven geströmt waren. Er würde ihnen die sichere Flucht ermöglichen – vorausgesetzt, sie konnten Corypheus und seinen Drachen lange genug ablenken, um den Überlebenden die nötige Zeit zur Flucht zu verschaffen. Schließlich teilte Lavellan der Runde mit ruhiger Stimme mit, dass sie eines der Katapulte auf die Berghänge oberhalb von Haven richten würde, um das Dorf und sämtliche Angreifer unter einer Lawine zu begraben. „Seid Ihr sicher, dass Ihr das tun wollt?“, fragte Cullen besorgt. „Wenn Ihr Euch nicht rechtzeitig zurückzieht, könnte dies Euer Ende bedeuten.“ „Wenn ich es nicht tue, wird es unser aller Ende bedeuten“, entgegnete sie nur. Dann wandte sie sich an Solas. „Ich möchte, dass Ihr mit Cullen geht, lethallin“, sagte sie. Es war das erste Mal, dass sie ihm gegenüber diesen Ausdruck der Vertrautheit verwendete, und Solas‘ Augen weiteten sich unmerklich. „Wir haben nur wenige Heiler, und für die Verwundeten könnte Eure Unterstützung den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten.“ Solas nickte. Es missfiel ihm, sich vom Kampf zurückziehen zu müssen und den Anker nicht länger beschützen zu können, doch sie hatte Recht. Die Überlebenden gingen vor. Lavellan bat an seiner Stelle Vivienne, sie zu begleiten, und gemeinsam mit Varric und Cassandra verließen sie die Kirche, um ihren Plan in die Tat umzusetzen. Dorian sah ihr auf seinen Stab gestützt nach. „Was für eine bemerkenswerte Frau“, meinte er kopfschüttelnd. „Wenn ich nur wüsste, ob ich ihre Tollkühnheit inspirierend oder besorgniserregend finden soll.“ Cullen warf ihm einen undeutbaren Blick zu, bevor er sich abwandte und einem der Verwundeten auf die Beine half, um sich mit ihm auf den Weg zum Fluchttunnel zu machen. „Ich sehe, ich habe mir bereits Freunde gemacht.“ Dorian seufzte. Auf seinen Stab gestützt folgte er dem Kommandanten. Jeder Schritt schien ihn große Mühe zu kosten, und es war offensichtlich, dass er am Ende seiner Kräfte war. „Braucht Ihr Lyrium?“, fragte Solas, der neben ihm herging, für den Fall, dass der andere straucheln und fallen sollte. „Was ich brauche, mein guter Mann, sind ein warmes Bett und zwei Tage Schlaf“, erwiderte der andere mit erschöpftem Lächeln. Er überlegte für einen Moment und fügte dann hinzu: „Und Wein. Wein ist auch akzeptabel.“ Solas schüttelte nur den Kopf, doch er konnte nicht verhindern, dass sein Mundwinkel bei der Bemerkung zuckte. Was für einen Gewaltmarsch der Tevinteraner auch hinter sich haben mochte, seinen Sinn für Humor hatte er noch nicht verloren. Sie erreichten die Treppe, die in die Keller hinunterführte, und Dorian stieg sie vorsichtig hinab, gefolgt von Solas. Auf der vorletzten Stufe verlor er jedoch für einen Moment das Gleichgewicht, und der Elf streckte reflexartig die Hand aus, um ihn festzuhalten. Für einen Moment schien die Welt stehenzubleiben, als eine Welle von Bildern und Eindrücken sein Bewusstsein fluteten. Über ihm spannte sich das Blätterdach eines endlosen Waldes, dessen Bäume schwarz waren und rote Blätter trugen. Hin und wieder konnte er durch sie hindurch den Himmel sehen, der von einer kränklich orangen Farbe war und von dem heiß eine blaue Sonne auf ihn herabbrannte. Im ganzen Wald rührte sich kein einziges Lebewesen, und es herrschte abgesehen vom Rascheln der Blätter eine fast gespenstische Stille. Nur das Rauschen großer Schwingen war zu hören, doch als er suchend emporblickte, war weit und breit kein Vogel zu sehen. Dennoch hätte er schwören können, den fernen Ruf einer Eule vernommen zu haben. Als er seine Aufmerksamkeit wieder dem Weg zuwandte, sah er, wie sich ein roter Bach vor ihm durch das Unterholz wand. Als er nähertrat erkannte er, dass sein Wasser ungewöhnlich dickflüssig war, und ein ekelhaft süßlicher Geruch stieg ihm in die Nase. Solas machte einen Schritt zurück, doch das Wasser schien ihm zu folgen, und der Bachlauf trat über die Ufer und wuchs zu einem breiten Strom heran, der bald seine Füße umspülte. Als er fliehen wollte, stellte er jedoch fest, dass er seine Füße nicht bewegen konnte, so als würde das Wasser sie festhalten. Immer höher und höher stiegen die Wogen und umspülten bald seine Knie, dann seine Hüften und schließlich seine Schultern. Solas öffnete den Mund, um einen Hilfeschrei auszustoßen, doch niemand hörte ihn, und das Wasser drang ihm bald auch in Kehle und Lungen. Es war klebrig und schmeckte bitter, und panisch stellte Solas fest, dass er Blut schluckte. Er schloss die Augen und würgte, während seine Lungen brannten, und als er dachte, er würde endgültig das Bewusstsein verlieren... ... wurde er plötzlich mit aller Macht in seinen Körper zurückgeschleudert. Japsend sank er gegen die feuchte Wand des Kellers und versuchte, seinen Atem wieder unter Kontrolle zu bekommen. Sein Herz pochte rasend schnell und er hätte schwören können, noch immer den ekelhaft süßen Geruch des Blutes in der Nase zu haben. Dorian lehnte einige Meter entfernt an der Wand und musterte ihn besorgt. „Geht es Euch gut?“, fragte er leise, als wollte er den Elf nicht verschrecken. Wer um alles in der Welt SEID Ihr?, wollte Solas fragen, doch als er Dorians verwirrte Miene sah, wurde ihm klar, dass der andere seine Vision nicht geteilt hatte. Was auch immer passiert war, Dorian hatte keine Ahnung, was die simple Berührung bei Solas ausgelöst hatte. „Nur... nur ein kurzer Schwächeanfall“, erwiderte er schließlich, als er wieder halbwegs zur Ruhe gekommen war, und richtete sich auf. „Lasst uns weitergehen.“ Was auch immer er gerade erlebt hatte, dies war weder der richtige Ort noch der richtige Zeitpunkt, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Während sie den restlichen Flüchtenden durch die Tunnel folgten, achtete Solas jedoch darauf, Dorian kein zweites Mal zu berühren. 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