Was Frauen wollen von Calafinwe ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Horn, sieh mal da drüben!“, meinte Chess Belle aufgedreht. Die Angesprochene hob den Kopf. Sie kamen über eine kleine Kreuzung und bogen dann in eine enge Straße ab, die mit Glassplittern übersät war. Schräg gegenüber befanden sich die Reste eines zuvor klassisch japanischen Gebäudes. Nur noch Trümmer waren von dem Tor zu sehen, das einst den Zugang auf das Gelände gewährte. Die belaubten Bäume verbesserten das Bild nicht wesentlich. Die eine Hälfte des Daches fehlte komplett und durch die Vorderfront zog sich ein meterlanger Riss. Das ganze wirkte wie ein Schlachtfeld. Die kleine Gruppe von drei Vampiren war am Nationalen Noh Theater in Tokio angekommen. „Erinnerst du dich noch?“   - flashback -   Die Wände wackelten gefährlich. Horn machte sich von ihrem Gegner los und trat den Rückzug an, als erste Betonbrocken und Holzbalken um sie herum auf den Boden stürzten. Doch es schien zu spät zu sein. Ein riesiges Trümmerteil fiel vor ihr hernieder und versperrte ihr den Rückweg. Sie wollte sich gerade nach einer Alternative umsehen, als der Mensch hinter ihr sie angriff. Horn drehte sich um und musste mit viel Anstrengung einen Fluch unterdrücken. Von Chess war weit und breit nichts zu sehen, sie hatte sich bereits Minuten zuvor aus dem Staub gemacht. „ENDSTATION!“, brüllte der Mensch und stürmte mit erhobenem Katana auf sie zu. Die Vampirin plante, ihm im letzten Moment auszuweichen, wurde aber von einem herab fallendem Holzstück am Kopf getroffen. Sie sank auf die Knie und bekam nur noch verschwommen mit, wie sich ihr Gegner seelenruhig über sie zu beugen schien. Danach wurde alles dunkel vor ihren Augen.   * * *   Schwärze. War das hier der Tod?   ...   Stille.   ...   Es musste der Tod sein. Was sollte diese schwankende Leere sonst sein?   ...   Sie musste sich bereits seit Stunden hier befinden. Allein.   ...   Horn hätte nicht gedacht, dass ihr Leben schon so frühzeitig enden würde. Sie war gerade einmal ein paar Hundert Jahre alt...   ‚Im besten Alter nach Vampirmaßstäben...‘   ...   Nicht mal einen ehrbaren Vampirmann hatte sie für sich finden können.   ...   ‚... die reinste Verschwendung...‘   ...   Immer noch schwankte alles. Horn überlegte, ob sie sich vielleicht auf einem Schiff befand, welches sie auf die andere Seite transportierte. In verschiedenen menschlichen Kulturen existierte diese Vorstellung. Ein Fährmann, der einen gegen einen Obolus ins Nirvana übersetzte. War hier jemand?   ...   Das Schaukeln war gleichmäßig.   ‚Oder muss ich mich am Ende freikaufen...?‘ Horn überlegte, ob sie etwas an sich hatte, das sich als Bezahlung eignete. Musste sie als Vampirin überhaupt ein Entgelt entrichten? Vampire hatten sich nie solchen albernen Überlegungen hingegeben. Jetzt beschlich sie das ungute Gefühl, sich möglicherweise getäuscht zu haben.   ...   ‚Vielleicht kann ich ihn bezirzen...‘   ...   Die Blondine verwarf die Idee wieder. Der Fährmann war bestimmt ein alter Knochen, der sicher schon vor sehr langer Zeit seine Emotionen eingebüßt hatte. Vielleicht handelte es sich sogar um ein Skelett?   ...   Das Schwanken veränderte sich. Plötzlich plumpste ihr Hintern unsanft auf den harten Boden der Tatsachen.   * * *   „Sie öffnet die Augen...!“ War Chess etwa auch tot? Nein, Chess war zu sehr Glückspilz, um zu sterben. Verschwommen sah Horn den lila behaarten Kopf über sich. Jemand legte ihr ihre Hand auf den Bauch und strich ihr dann fast zärtlich über die linke Wange. Die Blondine blinzelte. Neben Chess' schwebte noch der Kopf eines männlichen Vampirs über ihr, braunes Haupthaar, während das Pony feuerrot gefärbt zu sein schien. Ein kindlicher Gesichtsausdruck, der jetzt aber etwas besorgt wirkte. Seine tiefroten Vampiraugen bohrten sich in die ihren. Die Hand verließ ihr Gesicht. Horn blinzelte noch mal. „Bin ich...?“, fing sie an. „Scht!“ „Sie hat einen Dickschädel“, ließ Chess wissen. „Dann fehlt ihr bestimmt nicht viel“, bekundete der Fremde. Horn wollte etwas erwidern, spürte stattdessen jedoch nur einen Finger auf ihren Lippen. Warme Flüssigkeit tropfte auf ihre Zunge und benetzte sie. Der Finger verschwand wieder. Sachte tupfte ihr jemand über Kopf und Stirn. Danach wurde sie von starken Armen hochgehoben. „Wir sind bald in Sanguinem“, erklärte der geheimnisvolle Vampir mit der verträumten Stimme eines Jungen, „Dort seid ihr sicher.“ Horn bekam Herzklopfen. Wollte er sie etwa bis dorthin tragen? Und wer war er überhaupt? Die Blondine kannte die meisten Adligen, die in Japans Vampirhauptstadt lebten, auch wenn sie selbst nur mit den wenigsten persönlich zu tun hatte. Und so ein Feuerkopf wäre ihrer Aufmerksamkeit bestimmt nicht entgangen. Zumal Sanguinem meilenweit weg war. „Ihr solltet nicht so viel nachdenken, ruht euch lieber aus...“ Die Vampirin errötete. „Wer waren die?“, fuhr Chess dazwischen. Horns Freundin hatte die lästige Angewohnheit, sich immer zum falschen Zeitpunkt bemerkbar zu machen. „Wer weiß?“, antwortete der Fremde. „Sie haben auf jeden Fall lecker geschmeckt...“ „...“ ‚War klar, dass du wieder alle aussaugst, ohne mir was zu lassen...‘, dachte Horn missmutig. Obwohl. Sie hatte dafür einen Tropfen des kostbaren Blutes von diesem Fremden bekommen. Wenn sie so darüber nachdachte, war ihr Los doch gar nicht so schlecht. „Euch scheint es besser zu gehen...“ Die Blondine schreckte aus ihren Gedanken hoch. „... Ich kann bestimmt schon wieder alleine laufen...“, murmelte sie ergeben. „Na, wir wollen es mal nicht übertreiben!“ Er trug sie weiter und Horns Herz machte einen Freudensprung. „Wie heißt Ihr eigentlich?“, fragte sie so beiläufig wie möglich. „Crowley Eusford heißt er!“ Chess sprang immer noch neben ihnen her. Konnte sie nicht einfach verschwinden und auf Menschenjagd gehen? Der Fremde, immerhin wusste sie jetzt seinen Namen, warf ihr ein verschmitztes Lächeln zu. „Sieh mal da...“, bemerkte er dann abgelenkt. Prompt setze er Horn auf dem Boden ab. Verdutzt sah sie hoch. Im nächsten Augenblick waren die beiden Vampirdamen allein. ‚Wo ist er hin?!‘, fragte sich die Blondine und stand auf. „Was war das jetzt?“ Chess konnte sich scheinbar ebenfalls keinen Reim darauf machen. Sie warteten geschlagene drei Minuten, bis ihre neue Bekanntschaft wieder auftauchte, bepackt mit etwas, was verdächtig nach einem leblosen Körper aussah. Der Leib plumpste achtlos vor Horn auf den Boden. „Ich wusste nicht, ob Ihr sie lieber tot oder lebendig wollt... Ihr solltet danach wieder laufen können...“ „... Vielen Dank...“ Horn machte sich frustriert über ihre Mahlzeit her.   ~ flashback end ~   Crowley Eusfords breiter Rücken befand sich direkt in ihrem Sichtfeld. Wann war er dort hingekommen? Und hatte sie die ganze Zeit darauf gestarrt? Wie peinlich! „Horn!“ „Was?!“, erwiderte die Angesprochenen gereizt. „Weißt du noch? Das letzte Mal, als wir hier waren, warst du ohnmächtig“, erzählte Chess. „... Erinnere mich nicht daran...“ „Lord Crowley musste dich aus den Trümmern ziehen...“ Horn schwieg entnervt. Ihr Begleiter drehte sich um. Sein kindlich neugieriger Gesichtsausdruck hatte sich in all den Jahren nicht geändert. Die Haare hatten noch dieselbe Farbe, standen noch immer so wild von seinem Kopf ab. Mit der Zeit war er sogar noch stärker geworden, soweit sie es beurteilen konnte. Doch die Ehre, die er ihr damals hatte zuteilwerden lassen, hatte er ihr seitdem nicht noch einmal erwiesen. Horn dachte an den Tropfen seines kostbaren Blutes, den er ihr damals geschenkt hatte, um sie hochzupäppeln. Ihr Herzschlag hatte sich unbemerkt beschleunigt. „Wie eine schlafende Schönheit...“, murmelte Crowley verträumt, drehte sich um und ging weiter. Horn errötete.   ~ FIN ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)