- Familie - von Hasenprinzessin ================================================================================ Kapitel 1: ----------- - Familie - Das Zimmer von Koji Minamoto glänzte in weihnachtlichem Schein. Über seinem Fenster hing eine Girlande in Tannen-Optik, die mit allem Schmuck überladen war, der nicht mehr an den Weihnachtbaum im Wohnzimmer gepasst hatte. Glitzernde Stechpalmenblätter hingen neben goldfarbenen Kugeln, funkelnde Deko-Schlitten hingen neben künstlichen Eiszapfen und kleine Glöckchen gaben bei jedem noch so feinen Windhauch ein feines "Pling" von sich. Und falls das nicht reichen würde, wurde alles von einer Lichterkette in einen beinahe mystischen Schein beleuchtet. Die Stiefmutter von Koji, eine junge Frau namens Satomi Minamoto, betrachtete stolz ihr Werk und wischte sich mit dem Ärmel ihres Pullis, wie nach einer harten Arbeit, den Schweiß von der Stirn. Sie schien zu überlegen, was noch fehlen könnte, um auch der letzten, der sonst so düsteren Ecken dieses Raumes, ein weihnachtliches Flair zu vermitteln. Satomi trat aus dem Zimmer heraus und holte aus der Küche ein silberfarbenes Tablett, auf dem sie allerlei Naschereien um eine große Kerze herum angerichtet hatte. Dicht an dicht drängten sich Zimtsterne, Makronen und Marzipangebäck an Äpfel, Schokolade und herrlich duftendes Lebkuchengebäck. Sie balancierte das vollbeladene Tablett zum Schreibtisch, wo sie es vor den Computer stellte. Ihr Blick fiel auf das Foto von Tomoko, Kojis leiblicher Mutter, und ein wehmütiger Ausdruck schlich sich in ihr Gesicht. Obwohl sie versuchte es Koji rechtzumachen, ihm eine gute Mutter zu sein, gab er stets seiner toten Mutter den Vorzug- obwohl er sich an diese kaum noch erinnern dürfte. Er sah in Satomi wohl immer noch die böse Stiefmutter aus den Märchen, die der Hauptperson den Vater zu stehlen versuchte. Wenn sie den beweglichen Bilderrahmen nur einmal umgedreht hätte, hätte sie das Familienfoto von sich, Kojis Vater und Koji selber gesehen und wüsste so, dass Koji seine Zuneigung ihr gegenüber, blos bisher schlecht ausdrücken konnte. Eine einzige, kleine Handbewegung hätte so das nagende Gefühl der Einsamkeit vertrieben und die wohlige Wärme einer Familie aufkommen lassen können. So jedoch blieb der jungen Frau nichts weiter als zu hoffen, dass Koji auch sie irgendwann als Teil seiner kleinen Familie akzeptieren würde. Das klacken des Türschlosses ließ sie aus ihren Gedanken aufwachen. Ein Blick auf die Armbanduhr verriet ihr, dass es sich nur um Koji handeln könnte, der aus der Schule nach Hause gekommen war, da ihr Mann erst in frühestens einer Stunde nach Hause kommen würde. Sie verließ Kojis Zimmer (und hatte plötzlich das Gefühl, dass ihre Weihnachtsdekoration eine schlechte Idee gewesen sein könnte) und begrüßte Koji an der Türschwelle. Unsicher nestelte sie an ihrer Schürze herum. "Hey... Wie war die Schule? Hast du Hunger? Ich habe Essen gemacht... Wir können auch gerne auf deinen Vater warten und zusammen essen." Koji betrachtete sie mit wachsendem Desinteresse. "Später. Schule war okay..." Ansonsten zog er sich gelangweilt die Stiefel aus und stieg die Stufen zu seinem Zimmer hinauf. Mit klopfendem Herzen betrachtete Satomi jeden Schritt von Koji und zählte in Gedanken die Sekunden, bis er sein Zimmer erreichen und die Weihnachtsdekorationen entdecken würde. "11, 12, 13,..." Schließlich öffnete Koji die Tür und blieb für einen Augenblick still stehen. Fast schon erwartete Kojis Stiefmutter einen Aufschrei, Proteste oder wenigstens einen schiefen Blick. Koji jedoch betrat kommentarlos einfach sein Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Drinnen angekommen seufzte Koji tief und betrachtete die weihnachtliche Dekoration. Er wusste nicht was er sagen sollte. Er schämte sich richtig, dass er nicht wenigstens "Danke" sagen konnte. Er setzt sich auf den Stuhl vor seinen Schreibtisch und tippte gegen den Bilderrahmen, sodass das Bild seiner Familie zum Vorschein kam und das Bild von Tomoko nach hinten gedreht wurde. Er wünschte sich so sehr mit seiner Stiefmutter Frieden zu schließen. Wollte sie so gerne "Mutter" nennen - doch würde er so nicht seine leibliche Mutter verraten? Oder war er einfach nur feige und brachte nicht den Mut auf, seine Stiefmutter zu akzeptieren? Manchmal fragte er sich, wie sein Leben aussehen würde, wenn seine Mutter noch leben würde. Gerade zu Weihnachten malte er sich aus, wie er mit seinen beiden leiblichen Eltern gemütlich vor dem Kamin saß, während sich Schneeblumen am kalten Fenster bildeten. Oder wie er mit ihnen im Schnee spazieren ginge. Vielleicht durch einen Wald - oder besser über ein Feld und alles würde in eine kunterbunte Schneeballschlacht ausarten. Er seufzte und schaute auf das Familienfoto. Andererseits: Warum sollte er all diese Dinge nicht auch mit seiner jetzigen Familie tun dürfen? Doch dann hatte er wieder das Gefühl seine richtige Mutter zu verraten. Geknickt schaute er auf das Foto. Er hatte es sich schon so oft vorgenommen Satomi mit "Mutter" anzureden. Ihr einen Blumenstrauß zu schenken und sich für alles zu bedanken. So oft schon. Zu ihrem Geburtstag, zum Muttertag, jetzt zu Weihnachten. Er war sich sicher, als nächstes würde er es sich für den Hochzeitstag vornehmen. Sechs Buchstaben, die dennoch so schwer über die Lippen kamen. Er griff nach einem sternförmigen Stück Schokolade und schob es sich in den Mund. Während er darauf herumkaute, überlegte er sich, was er nun mit der Zeit bis zum Essen anstellen sollte. Er ließ seinen Blick über die Gitarre schweifen, den Computer, die Spielekonsolen und blieb an der Weihnachtsdeko hängen. Das schlechte Gewissen begann ihn zu plagen, dass er Satomi nicht für ihre Mühe gedankt hatte. Er musste ganz dringend eine Ablenkung finden. Hoffnungsvoll blickte er sich erneut in seinem Zimmer um, mit dem Ziel etwas zu finden, was die düsteren Gedanken vertreiben würde. Schließlich griff er nach seinem Nintendo 3DS und schaltete ihn ein. Notfalls half stupides DV züchten. Der Titelbildschirm von Pokemon X begrüßte ihn und es wurde angezeigt, dass er das letzte Mal in der Kontaktsafari in Batika-City gespeichert hatte. Hatte er ursprünglich vorgehabt sich ein Kronjuwild mit guten Werten zu züchten, so ging dieser Gedanke unter und er sprach die Dame am Schalter der Kontaktsafari an - vielleicht hatte er ja Glück und einen neuen Freund mit einer Pflanzensafari, die ihm die Mühe der Zucht ersparen würde, weil ihm ein Kronjuwild mit guten Werten über den Weg lief. Tatsächlich hatte er scheinbar eine neue Freundschaft geschlossen, die ihm bisher nicht bewusst war. "Koichi" murmelte er den Namen auf dem Bildschirm und lächelte schief. Der Name klang beinahe wie der eines verschollenen älteren Bruders. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, als er den Typen der Kontaktsafari sah. Unlicht. Ausgerechnet Unlicht. Im Gegensatz zu vielen seiner Pokemon-Kontakten war ihm der Unlicht-Typ nie geheuer gewesen - was zu einem Großteil wohl an seiner Nachtangst lag, an die ihn die zumeist dunklen Gestalten erinnerten, die den Typen vertraten. Ohne weiter nachzudenken klappte er den Deckel des Gerätes wieder zu und verließ sein Zimmer. Eine Ablenkung gab es immer: Seinen Schäferhund "Pika" (er war acht, als er ihn bekam, sodass man diesen Namen bitte verzeihen möge!). So zog er sich die Stiefel, Handschuhe und Wintermantel an und wollte mit seinem Hund an der Leine in den nächsten Park gehen. "Willst du jetzt wirklich noch raus? Dein Vater müsste bald nach Hause kommen." Hörte er die besorgte Stimmer seiner Mutter - Stiefmutter. Koji zuckte nur mit den Schultern und hätte sich im nächsten Moment selber dafür ohrfeigen können. Wenn er sie schon nicht mit "Mutter" anredete, so sollte er doch zumindest ein bisschen netter zu der jungen Frau sein. "Will nur kurz mit Pika raus. Bin gleich wieder da..." Er biss sich auf die Unterlippe und presste ein "Danke für oben" hervor, bevor er aus dem Haus spurtete, ohne auf eine weitere Antwort zu warten. Hätte er sich noch einmal umgedreht, hätte er gesehen, wie der Blick von Überraschung zu absoluter Freude auf dem Gesicht von Satomi gewechselt war. Ihr kam der hoffnungsvolle Gedanke, dass sie ihm vielleicht, ganz vielleicht, doch wichtiger war, als er es sonst zeigte. Und vielleicht, ganz vielleicht, würde dieses Jahr das Weihnachtsfest wirklich auch ein Fest der Familie werden. IHRER Familie. - Ende - Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)