Maybe von Ayalaana (Geschichte einer Ersten Liebe) ================================================================================ Kapitel 1: So wie Ich --------------------- Maybe 1. Teil Yun So wie Ich 06:30 Uhr. Schlaftrunken und fernab von jeglicher Realität tastete ich nach meinem Handy um den nervenden Weckrufton zu eliminieren, welcher mich im Abstand von neun Minuten die letzte halbe Stunde regelmäßig aus dem Dämmerschlaf gerissen hatte. Was soll´s, dachte ich mir, richtete mich auf und rubbelte mir mit beiden Händen übers Gesicht. Fahles Licht drängte durch meine Vorhänge und ich blinzelte ihm entgegen. Montagmorgen. Ein elender Morgen, wie ich jetzt schon wusste, denn die Ferien waren vorbei und ab heute würde ich mich, zu meinem Entsetzten, durch den ersten Tag des Abschlussjahres kämpfen. Und kämpfen war definitiv das richtige Wort. Ich sah sie schon vor mir. Horden von Abgängern und Neuankömmlingen, die sich durch die engen und schon lange renovierungsbedürftigen Schulflure drängten, auf der Suche nach dem richtigen Klassenraum, den Schulkammeraden oder einer unbeobachteten Ecke auf dem Schulgelände, welche schon einigen Fünftklässlern als Raucherversteck diente. Und manchmal auch zu anderen Zwecken. Verkommene Welt. Voller Unmut schlug ich die Bettdecke zurück und setzte beide Füße auf den Boden. Fröstelt zog ich sie sofort wieder ein Stück nach oben. Verfluchter Laminatboden. Trotz Sommer, hatten die Temperaturen kaum an der Fünfundzwanziggradmarke gekratzt und in der Nacht konnte es einem vorkommen, wie im späten Herbst. Da meine Mutter darauf bestand, die Fenster in allen Schlafräumen ständig geöffnet zu halten, es war ja so gesund, zeigte mir die Temperaturanzeige ein meinem Multifunktionschronometer knapp siebzehn Grad Celsius, was sich auch auf meinen Holzfußboden niedergeschlagen hatte. Memo an mich selbst: Meine Mutter um einen neuen Teppich, oder wenigsten einen Läufer anbetteln. Mit einer Gänsehaut überzogen, quälte ich mich auf die Beine, betätigte den Lichtschalter und das Licht stach mir in die Augen. Also wieder aus damit. Bis ich aus dem Bad zurück war, würde es hell genug sein, um meine Schulklamotten zu finden, die sich irgendwo in den Weiten meines, zugegebenermaßen, sehr unordentlichen Kleiderschrankes versteckt haben mussten. Im Badezimmer angekommen konnte ich mich nun dem Grauen der Vierzigwattbirne doch nicht mehr entwinden und kleine Sternchen begannen vor meinen Augen zu tanzen. Ich kniff sie für einen Moment zusammen, öffnete sie langsam und gewöhnte mich an das grelle Licht. Nachdem ich mein morgendliches Geschäft erledigt hatte, trat ich an das Waschbecken und das kalte Wasser, was noch immer vor dem warmen kommt, jagte mir einen erneuten Schauer über den Rücken. Genervt sah ich in den Spiegel auf Kopfhöhe und war der Morgen nicht schon deprimierend genug gewesen, so erreichte er jetzt seinen Tiefpunkt. Zwei müde, gerötete Augen starrten mich an, gesetzt in ein Gesicht, das nicht so ganz zu einem siebzehnjährigen Jungen zu gehören schien. Das Gesicht rundlich mit hohen Wangenknochen; eine kleine Stupsnase; schmale, wasserblaue Augen und dazu ein geschwungener Mund, der mir stets einen leicht melancholischen Ausdruck verlieh. Und auch wenn ich den Rest meines Ichs im Spiegel nicht sehen konnte, war mir klar, dass er dort nicht besser aussah. Schmale Schultern, hagerer Oberkörper, dünne Arme und Storchenbeine. Dazu kein Haar an der falschen Stelle, was mich noch unmännlicher machte. Eine gute Freundin nannte mich „die asiatische Schönheit“. Sie redete mir ein, ich solle doch froh sein, mich nicht rasieren zu müssen. Wollte ein Siebzehnjähriger so etwas hören? Wohl kaum. Ein zwei Härchen hier und da hatten doch noch niemandem geschadet. Immer wenn ich mich im Spiegel betrachtete, wurde mir klar, dass ich nicht dem Idealbild der heutigen Jungend entsprach und dass sich das, proportional zu meinem Alter, niemals ändern würde. Ich würde immer der kleine Halbjapaner bleiben, mit den femininen Gesichtszügen und dem unterdurchschnittlichen Körperbau. Mal wieder unzufrieden mit mir und der Welt schwappte ich mir eine Ladung, inzwischen warmgelaufenen, Wassers ins Gesicht, als ich meine Mutter aus dem Erdgeschoss zu mir hoch rufen hörte. „Yun! Bist du wach? Beeil dich, du bist spät dran!“ Ihre glockenhelle Stimme klingelte in meinen Ohren. Ich schaute aus der Badezimmertür die Treppe hinunter und sah sie schon mit dem Fuß auf der ersten Stufen, um zu mir herauf zu kommen. „Schon gut Mama“, sagte ich zu ihr. „Bin gleich unten.“ Sie warf mir einen Blick zu der sagen sollte, sieh zu, und verschwand in Richtung Küche. Leise aber deutlich konnte ich vernehmen wie mein Vater dort zu ihr sagte: „Nicht das die kleine Diva wieder rumzickt, weil Yun noch nicht fertig ist.“ Meine Mutter ermahnte ihn, lachte aber unüberhörbar auf. Verärgert schloss ich die Badezimmertür geräuschvoll. Mit Kleine Diva hatte mein Vater natürlich Raik gemeint, meinen besten Freund. Sicher war Raik anders, aber ihn so herablassend zu betiteln, stank mir gewaltig. Zwanzig Minuten später saß ich mit meinen Eltern in der Küche am Frühstückstisch, ohne einen Happen zu mir zu nehmen. Mein Vater, vertieft in seine Ostseezeitung, so hieß die Tageszeitung in unserer Region, schenkte mir kaum Beachtung, während meine Mutter mich mit endlosen Ermahnungen bezüglich des letzten Schuljahres überschüttete. „Das du mir ja gleich dem Unterricht aufmerksam folgst. Stell dich gut mit den Lehrern und trag dich auch für einige AGs ein. Das macht sich immer gut im Lebenslauf.“ Ich hörte ihr nicht wirklich zu, aber wenn es angebracht war, knurrte ich etwas Zustimmendes. Wiedersprechen hätte sowieso nicht viel gebracht. Diesen Vortrag hielt sie jedes Jahr am ersten Schultag, wobei ihr entgangen zu sein schien, dass ich aufgrund meiner Zensuren dem Unterricht tatsächlich folgte, mit fast allen Lehrern gut konnte und bis jetzt jedes Jahr eine AG besucht hatte. Dieses Jahr sollte sich daran allerding eine Kleinigkeit ändern. „AG geht nicht“, sagte ich knapp. Meine Mutter stutzte. „Wieso nicht?“, fragte sie in leicht entsetztem Ton. Meine Antwort war sowohl simpel, als auch einleuchtend: „Im Abschlussjahr hab ich wohl mehr zu tun, als mich auf eine AG zu konzentrieren. Das ganze Jahr besteht quasi aus Prüfungsvorbereitung. Ich will einen guten Abschluss.“ Meine Mutter wollte gerade etwas erwidern, als mein Vater sich einschaltete. „Ja klar, wenn du schon das Abi nicht machst“, sagte er trocken, ohne seine Zeitung beiseite zu legen. Sofort lag eine Spannung in der Luft, die sich fast greifen ließ. Meine Mutter sah mich mit weiten Augen an, die fast etwas Entschuldigendes hatten, denn es war klar, dass wir bei Dem Thema angekommen waren. „Was willst du damit sagen?“, forderte ich meinen Vater heraus, obwohl mir meine Mutter instinktiv eine Hand beruhigend auf den Arm gelegt hatte. „Yun…“, bat sie, aber es war schon zu spät. Mein Vater legte seine Zeitung nun doch zur Seite, in froher Erwartung auf den Moment, in dem er seinen jüngsten Sohn mal wieder daran erinnern konnte, was für eine Schande er für die Familie doch war. „Sicher“, begann er und es war nicht zu überhören, was für einen ironischen Ton er hatte. „Ein Realschulabschluss ist was wert, wenn man einen Beruf ausüben möchte, den jeder machen kann. Wenn das dein Wunsch für die Zukunft ist, bitte.“ Er sah mich herablassend an. „Mittelklasse ist nichts schlechtes, wenn man aus dieser Klasse kommt.“ Jetzt kam es. „Unsere Familie hingegen ist keine Mittelklassefamilie. Wir sind erfolgreich, in jeglicher Hinsicht und es ist bedauernswert, dass du nicht die gleichen Ziele anstrebst, wie jeder in dieser Familie.“ Meine Hände begannen vor Wut zu zittern und es wunderte mich, dass mich seine Vorhaltungen noch immer so trafen, obwohl ich sie mir doch so oft schon hatte anhören müssen. „Welche Ziele sollen das sein?“, fuhr ich meinen Vater an, der mich mit seinem Blick taxierte. „Erfolg, Geld, Karriere, Familie?“ „So ist es“, entgegnete er und faltete die Zeitung zusammen, sich bereitmachend, für die Diskussion, die nun folgen sollte. „In dieser Reihenfolge, ja?“, fragte ich verächtlich. „Wieso nicht?." „Wieso nicht?!“ Ich war entsetzt, aber nicht sonderlich verwundert. „Vielleich weil Familie nicht an letzter Stelle stehen sollte. Dann müssten wir diese Unterhaltung jetzt nämlich gar nicht führen.“ „Falsch. Wenn für dich mal dein Erfolg an erster Stelle stehen würde, müssten wir diese Unterhaltung jetzt nicht führen, mein Sohn. Dann müssten deine Mutter und ich uns nicht ständig Gedanken über deine Zukunft machen müssen.“ Da musste ich lachen. Als wenn sie sich Gedanken über meine Zukunft machen würden. Die einzige Zukunft die sie interessierte, war das Ansehen der Familie. Mein Vater sah mich scharf an. „Ich weiß nicht, was daran so lustig ist“, sagte er, anscheinend wirklich ahnungslos darüber, was mich so belustigte. „Wenn du es so gemacht hättest wie Satoshi, hätten wir keinerlei Probleme miteinander.“ Da war er also. Der Grund, warum ich meinem Vater so missfiel und warum ich ihm nie genüge tun konnte. Satoshi. Vierundzwanzig Jahre, Informatikstudent, Stolz der Familie und mein älterer Bruder. Es war schon immer so. „Ich BIN aber NICHT Satoshi!“, schrie ich meinen Vater an und meine Mutter nahm augenblicklich ihre Hand von meinem Arm, als hätte sie sich verbrant. „Glaub mir mein Sohn, das weiß ich“, und es klang echtes Bedauern in der Stimme meines Vaters mit. Mir blieb die Luft weg. Ich sah meinen Vater an. Verständnislos, fassungslos und ich wusste nicht, was ich dem noch entgegensetzen sollte. Selbst meine Mutter sagte keinen Ton, auch wenn man ihr ansah, wie erschüttert sie von dieser ganzen Situation war. Stillte trat ein. Beunruhigende Stille und ich kam mir vor, wie ein hilfloses Baby, das weinend in seiner Wiege liegt, aber niemand kommt, um nach ihm zu sehen. Und ich wusste, egal wie jung ich war, oder wie alt ich werden würde, an dem Verhältnis zwischen mir und meinem Vater, aber auch dem zu meiner Mutter, würde sich nie etwas ändern. Nicht solange ich nicht zu dem wurde, den sie wollten: Satoshi. Resignation kam in mir auf. Was sollte ich jetzt noch tun? Langsam schob ich meinen Stuhl zurück und stand auf. „Dann weißt du auch“, sagte ich und versuchte das Beben in meiner Stimme zu unterdrücken. „Dass du niemals einen anderen Sohn bekommen wirst, als den, der ich bin. Durchschnittlich, ohne große Ambitionen. Find dich damit ab, oder lass es. Ist mir egal.“ Und in diesem Moment war es mir tatsächlich egal. Ich hatte schon oft wegen meiner Zukunft mit meinem Vater gestritten, selbst mit meiner Mutter, aber so deutlich wie an diesem Morgen, war die Sache noch nie auf den Tisch gekommen. Vielleicht war es gut so. Ich lächelte meine Mutter an, schnappte mir meinen Rucksack, der neben der Küchentür stand und verließ das Haus. Vor der Tür meinte ich noch die Stimme meiner Mutter gehört zu haben. Was sie geschrien hatte? Ich weiß es nicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)