An die Zurückgebliebenen von Felicity (One-Shot-Sammlung) ================================================================================ Kapitel 4: Eren -> ? -------------------- „Eren.“ Langsam hob er den Kopf, als die nur zu bekannte Stimme ihn ansprach. Drei Tage waren seit ihrer Rückkehr vergangen und Eren hatte sich ein wenig beruhigt. Es schmerzte noch immer zurückzudenken und er vermied es, wo es nur ging. Das funktionierte recht gut, nachdem ihm Armin und der Kommandant heute Morgen etwas gänzlich Neues zum Grübeln gegeben hatten. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Aktion, die in etwa drei Stunden starten würde, sobald er offiziell überführt werden würde, auch nicht gerade das war, was er sich wünschen würde. Er hatte sich auf seine Liege gesetzt, die Beine angezogen und den Kopf darauf vergraben, in dem Versuch einfach alles auszublenden und sich nicht immer wieder zu fragen, ob Armin am Ende recht behalten würde. Er konnte es, nein, er wollte es einfach nicht einsehen. Nun aber stand Levi vor ihm und Eren schluckte schwer. Hatte er die Zeit doch vergessen? War es soweit? Er war ziemlich sicher noch nicht bereit dafür! Automatisch beschleunigte sich seine Atmung leicht, doch noch ehe er etwas sagen konnte, hielt Levi ihm etwas entgegen. Eren blinzelte leicht verwirrt und griff dann nach dem flachen, aber länglichen Kästchen. „Was ist das?“ Levi antwortete nicht, aber als Eren den Deckel hob, wusste er auch so Bescheid. Im Inneren lagen ein paar Blätter Papier, Umschläge, eine Schreibfeder und ein kleiner Glasbehälter mit Tinte. Eren seufzte leise und sah wieder auf. „Gehen Sie davon aus, dass ich sterben werde?“, fragte er direkt. Levi musterte ihn einen Moment lang schweigend und unbewegt, dann schüttelte er langsam den Kopf. „Wir alle können jederzeit sterben, darüber solltest auch du dir im Klaren sein. Ich weiß, dass du keinen einzigen Brief geschrieben hast.“ Woher auch immer er das wusste? „Das könnte deine letzte Chance sein. Ich komme in einer Stunde wieder.“ Damit wand er sich ab und gab dem Wachposten ein Zeichen ihn hinauszulassen. Eren sah ihm einen Augenblick hinterher. Das stimmte, ehe sie zu ihrer Expedition aufgebrochen waren, hatte er nicht einmal daran gedacht, dass er vielleicht einen Brief schreiben könnte und nun … Sein Blick wanderte hinunter auf das Papier und er fischte langsam eines heraus, legte es oben auf das Kästchen als Unterlage und tauchte die Feder ein. Er beobachtete, wie ein Tropfen Tinte wieder von ihr herabfiel und für Sekundenbruchteile winzige Wellen auf dem Rest verursachte. Petras Brief hatte ihm irgendwo wehgetan, aber er war lieb und warm und einfach sie gewesen. Es hatte gut getan zu wissen, dass sie an ihn dachte, ihn zu lesen war, als würde sie ein letztes Mal mit ihm reden. Vermutlich waren solche Abschiedsworte wichtig, konnten den Menschen helfen. Aber … was sollte er schreiben? Langsam hob er die Feder über das Papier, zögerte kurz, ließ sie dann noch langsamer sinken.   Armin,   ich weiß, ich bin wirklich schlecht in sowas, aber   mir fällt es schwer in Worte zu fassen, was ich dir sagen will, du warst darin immer besser als ich es jemals sein werde und   ich bin froh, dass wir befreundet waren un   pass auf dich auf   Frustriert gab Eren es nach dem vierten Versuch auf. Es war unmöglich, einfach vollkommen unmöglich Worte für das zu finden, was er Armin sagen wollte. Egal, wie er es auch versuchte, es klang immer falsch und so verdammt nach einem Abschied, dass es Eren einen Stich versetzte. Ja, diese Briefe sollten für den Fall sein, dass es ein Abschied war, dass er starb, aber … einen zu schreiben ließ ihn sich fühlen, als würden sie in den sicheren Tod gehen. Das ging einfach nicht. Er atmete mehrfach tief durch, zwang sich zur Ruhe, griff sich dann das Papier und zerknüllte es, um ein weiteres zu nehmen und es langsam auf der hölzernen Oberfläche glattzustreichen. Armin würde es sicher wissen. Er würde verstehen, wie schwer ihm so etwas viel, aber es hatte nie Worte gebraucht, damit er wusste, was Eren ihm sagen wollte. Und Eren würde einfach darauf vertrauen, dass sein Kindheitsfreund auch diesmal Bescheid wusste. Er tunkte die Feder erneut ein und startete einen neuen, anderen Versuch.   Mikasa,   auch wenn wir uns unter sehr unschönen Umständen kennengelernt   es tut mir leid, dass ich nicht mehr da sein werde, um   ich wollte nicht sterben, ich wollte nicht versagen, ich   bitte, vergiss mich und   Entnervt warf Eren die Feder auf den Boden, riss auch dieses Papier herunter und knüllte es ebenfalls zusammen, ehe es der Feder folgte. Er schnaubte wütend auf sich selbst, nahm sich immerhin die Zeit die Tinte vorsichtig zuzuschrauben und wieder in das Kästchen zu verstauen, ehe er es beinahe sanft auf den Boden legte und sich mit verschränkten Armen mit dem Rücken gegen die Wand sinken ließ. Mikasa würde es sicher ebenso wissen, wie Armin. Alle, denen er einen Brief schreiben konnte, würden es wissen. Er konnte nicht davon ausgehen, dass er versagen und sterben würde, denn dann würde er es tun. Er musste das überstehen und wenn er wirklich nicht mehr leben sollte, dann würde er bei dem Versuch draufgegangen sein und sie alle würden es wissen. Armin würde wissen, wie dankbar er ihm für die Freundschaft war, Mikasa würde wissen, dass er das nicht gewollt hätte und gerne länger für sie da gewesen wäre, Jean würde wissen, dass Eren ihn eigentlich längst als Freund ansah und große Stücke auf ihn setzte und auch seine Vorgesetzten würden wissen, dass er sich alle Mühe gegeben hatte ein guter Soldat zu sein. Er musste es nicht schreiben. Als Levi zurückkam, saß Eren noch genauso da, nur, dass er inzwischen aus dem winzigen Fenster nach draußen zu dem schmalen Streifen Himmel hinaufsah, den es preisgab. Levi sagte nichts, als er die beiden zusammengedrückten Papiere einsammelte und das Kästchen aufhob. Er fragte nicht, erinnerte ihn nur daran, dass es in Kürze losgehen würde. Eren nickte darauf und Levi ging wieder. Offensichtlich hatte er bereits verstanden und ein winziges, trauriges Lächeln huschte über Erens Gesicht. Er durfte einfach nicht versagen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)