Diary of Levi von Yamato_ (Levi's Tagebuch) ================================================================================ Kapitel 7: September 850, Teil 3 -------------------------------- September 850, Teil 3 (3/6) 15. September 850 Und da ist die Irre wieder. Mit noch mehr Zeichnungen, noch mehr hirnrissigem Geplapper, noch mehr unermüdlichem Optimismus und wenn man alles drei kombiniert, vielleicht sogar mit einer Lösung im Gepäck. Eren’s Begeisterung hält sich in Grenzen, als wir ihm mitteilen, wie diese Lösung aussehen soll. Ich schätze mal, abgehackte Hände und Füße sind nicht so seins. Aber was soll’s, besser als tot ist es allemal. “Tun wir’s.“ Entschlossen blickt er mich an, die Hände zu Fäusten geballt. “Wo gehen wir hin?“ Wir satteln die Pferde und machen uns auf den Weg. Nicht weit vom Wald, auf einer größeren Wiese, befindet sich ein alter Brunnenschacht, der nicht mehr genutzt wird. Günther hat ihn neulich entdeckt, als er mit Orlo auf Patrouille war. Der Schacht hat etwas über zehn Meter, das bedeutet, wenn der Bengel sich darin verwandelt, müsste grad’ sein Kopf rausschauen, so dass Hanji versuchen kann, mit ihm zu kommunizieren. Sein Körper steckt allerdings fest, da der Schacht für ihn zu eng ist, um seine Arme zu bewegen. Insofern ist es relativ sicher. Selbst wenn er als Titan die Kontrolle verliert, kann er in dieser Presswurst-Haltung keinen großen Schaden anrichten. Vielleicht könnten wir sogar abwarten, bis er sich beruhigt hat, und es ist gar nicht nötig, ihn aus dem Titanenkörper rauszuschneiden. Oben am Brunnen befindet sich noch die rostige Zugkette. Wir montieren den morschen alten Holzeimer ab, damit Eren sich in die Kette stellen kann. “Noch irgendwas, was wir wissen müssten, bevor wir dich da runterlassen?“ Eren schüttelt den Kopf. “Ich hab’ Euch alles gesagt, was ich weiß.“ Er hat Angst, das merk’ ich deutlich, doch er versucht mit aller Kraft, sie sich nicht anmerken zu lassen. Seine Hände krallen sich um die Kette, umklammern sie so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortreten. Angst erkennt man immer als erstes an den Händen. Ihre Gesichter haben die Menschen unter Kontrolle. Auf ihre Hände achten sie meistens nicht. Vielleicht sollte ich doch irgendwas Aufmunterndes sagen. Vorgestern erst hat mir Petra eine Predigt darüber gehalten, dass ich den Grünschnabel öfter loben soll. Wozu? Wenn er was richtig gemacht hat, merkt er’s doch daran, dass ich ihn nicht zurechtweise. Aber offenbar hatte Petra was anderes im Sinn. “Er wünscht sich Anerkennung von Euch, Captain. Natürlich würde er das niemals laut aussprechen, aber Ihr seid sein großes Vorbild.“ Nee, bloß nicht. Ich eigne mich nicht zum Vorbild. So überhaupt nicht. Ich kann Leuten zeigen, wie man ein Schwert richtig rum hält oder wie man sein Manövergerät benutzt, aber zum Vorbild tauge ich nicht im Geringsten. Kein Mensch sollte jemals so sein wollen wie ich. Und eigentlich weiß sie das auch. Und überhaupt, was sagt man in so einer Situation? Alles wird gut? Schwachsinn. Wir haben keine Ahnung, ob irgendwas gut wird. Hab keine Angst? Lächerlich. Erstens hat er allen Grund, Angst zu haben, schließlich wird er sich gleich in einen Fünfzehn-Meter-Titanen verwandeln. Zweitens blamiere ich ihn doch nicht vor dem gesamten Team, indem ich laut ausspreche, was er so verzweifelt versucht, zu verbergen. Das wär ’n ziemlich mieser Zug. Ich warte ab, ob Petra irgendwas sagt. Sie kann das besser. Hanji auch, die Frau ist ein einziges Energiebündel. Und Orlo kann zumindest dumme Sprüche klopfen und die Leute damit zum Lachen bringen. Ich kann ... tja, Titanen umlegen. Aber das weiß er schon und es ist nicht unbedingt aufmunternd, wenn ich ihm das jetzt noch mal auf die Nase binde, bevor er sich in einen verwandelt. “Ich pass’ schon auf, dass nichts passiert“, sage ich schließlich. Er nickt langsam und wir fangen an, die Kette runterzulassen. “Captain Levi?“ “Was gibt’s?“ Ich gebe den anderen ein kurzes Handzeichen, die Kette anzuhalten. Eren’s Kopf ist schon fast im Schacht verschwunden, doch er reckt ihn noch mal nach oben, um mir ins Gesicht blicken zu können. Einen Moment lang schweigt er und schaut mich einfach nur an. Sein Blick wandert von meinem Haarschopf über meine Augen, bis hinunter zu meinem Kinn und wieder zu den Augen zurück. Beinahe so, als wolle er sich mein Gesicht ganz genau einprägen, damit er nicht vergisst, wie’s aussieht. “Captain, wenn irgendwas passiert und ich... werdet Ihr dann... ich will niemandem was tun. Es reicht schon, dass ich Mikasa beinahe...“ Richtig, das Mädchen bei der Anhörung. Seine Ziehschwester. Das also ist es, was ihn wurmt. Dem zumindest kann ich Abhilfe schaffen. “Du wirst niemandem was tun, Eren. Selbst wenn du austickst und als Titan hier rumtobst, ich bin schneller. Ich bin immer schneller.“ Er nickt und seine Angst weicht einem Ausdruck grimmiger Entschlossenheit. Er weiß, dass ich die Situation unter Kontrolle habe und er vertraut mir. Das ist gut. Vertrauen ist der Grundstock für alles andere im Team. Verdammt, wann hab’ ich eigentlich angefangen, wie Erwin zu denken? Der Kleine verschwindet im Brunnen und wir gehen auf Position. Es ist so still, dass man ein Stück Stroh fallen hören könnte. Nur das Surren der Bienen klingt deutlich in meinen Ohren und im Dorf hinter den Hügeln läuten die Kirchenglocken. Wir warten. Die Anspannung, die in der Luft liegt, ist so dicht, dass man sie mit Messern schneiden könnte. Nichts passiert. Will der Bengel nicht langsam mal anfangen? Ich gebe meinen und Hanji’s Leuten das Zeichen in Position zu bleiben und nähere mich wieder dem Brunnenrand, um hinunter zu spähen. Ist verflucht dunkel da unten. Doch auf dem Grund kann ich eine zusammengekauerte Gestalt erkennen. Er sitzt reglos an die Wand gelehnt, mit gesenktem Kopf und angezogenen Knien. Sein Gesicht ist nicht zu erkennen, da er mir den dunklen Haarschopf zuwendet, doch es scheint, als würde er seine eigenen Hände anstarren. Ein leichtes Zittern fährt durch seine Schultern. Ist ziemlich klar, dass er heult. “Ihr wartet, ich geh’ nachsehen.“ Entsetzte Gesichter um mich rum, besonders von Orlo und Petra. Doch die sollen sich mal nicht ins Hemd machen. Falls er sich doch noch verwandelt, bin ich in Nullkommanix wieder oben. Ich schieße einen Haken in die Brunnenwand und springe runter, um mich in letzter Sekunde mit dem Stahlseil abzufangen. Sein Kopf fährt hoch, als ich so unerwartet neben ihm auftauche und er rappelt sich auf, um nicht wie ein Häufchen Elend vor mir zu sitzen. Jetzt sehe ich auch die blutigen Hände. Er muss wieder und wieder zugebissen haben, als es nicht funktioniert hat. “Es klappt nicht, Captain. Ich weiß nicht, warum es nicht klappt.“ Aus den Berichten, die uns Pixis freundlicherweise überlassen hat, weiß ich, dass er sich in Trost insgesamt dreimal verwandelt hat. Alle drei Male hat es wohl auf Anhieb funktioniert. Doch jetzt und hier ist offenbar irgendwas anders als in Trost. Wir wissen es nicht, wir waren nicht dabei. Auch Hanji kann nur spekulieren. “Schluss für heute.“ Aus den Taschen meiner Uniform fische ich einen Verband und ein Hexengebräu von Hanji, Standardausrüstung für jeden Soldaten. “Eren. Hände her.“ Er folgt meinem Befehl ohne Murren und streckt die Hände aus, damit ich sie versorgen kann. Ein Taschentuch für seine Tränen muss ich diesmal nicht opfern, er hat meins vom letzten Mal behalten. Offenbar ist er doch lernfähig, zumindest, was Reinlichkeit angeht. Die paar Minuten Zeit haben wir auch noch – er muss ja nicht dem gesamten Team oben mit verheultem Gesicht entgegentreten. Er wischt sich das Gesicht ab. Seine Augen sind glasig, in Gedanken scheint er weit fort zu sein. Auch als er sich wieder in die Kette stellt, gibt er keinen Mucks von sich, obwohl es verflucht weh tun muss, sich mit den verletzten Händen daran festzuhalten. Das geht auch anders. Ich hole ihn aus der Kette, halte ihn mit einem Arm fest und ziehe mit der anderen Hand die Spule an. Das Manövergerät trägt mich und ihn nach oben, wo zwei angespannte Teams auf uns warten. “Wir reiten nach Hause, es macht für heut’ keinen Sinn mehr.“ Enttäuschung spiegelt sich auf den Mienen der anderen wieder, doch das geht mir am Arsch vorbei. Soll’n sie sich doch mal die Hände zerbeißen. Ich habe damit gerechnet, dass der Bengel spätestens auf dem Heimweg seinen Ausraster schiebt, doch stattdessen sitzt er immer noch apathisch in der Gegend rum. Erst auf dem Pferderücken, dann auf der Treppe vor der Burg. Aber Selbstmitleid is’ nich’, das lass’ ich ihm nicht durchgehen. Bis seine Hände wieder verheilt sind, darf er Runden laufen, danach trainieren wir mit den Schwertern. Abwehrtechniken. Links, rechts, Mitte, oben, unten. Und auch wenn er mechanisch wie ein Zinnsoldat im Spieluhr-Modus durchs Training rattert, ist das immer noch besser als die vermaledeite Trübsalblaserei. Irgendwann kehrt seine Wut zurück und dann werd’ ich da sein, um sie in sinnvolle Bahnen zu lenken. 16. September 850 Schon wieder ein Misserfolg auf der ganzen Linie... Selbst unsere Pferde scheinen unsere Enttäuschung zu spüren. Niedergeschlagen und mit gesenkten Köpfen trotten sie in Richtung Schloss. Irgendwas läuft hier ganz gewaltig falsch, aber wir haben keine Ahnung, was. Doch dass wir im Dunkeln tappen, wäre ja auch nicht wirklich neu. Hanji ist ebenso ratlos wie wir anderen, dabei war sie gestern Abend noch so zuversichtlich. Wir hockten klingenputzend in unserer selbsternannten Waffenkammer, während sie dem Grünschnabel eine flammende Aufmunterungsrede hielt. Irgendwas mit ’Entspannen und locker bleiben, sich nicht unter Druck setzen und dass es doch keine Schande sei, wenn’s mal nicht klappt. Dann versucht man es eben noch mal und am besten denkt man zwischendurch an was anderes, sonst will man es zu sehr und dann...' ja, wie auch immer. Gegen sein Selbstmitleid schien’s jedenfalls zu helfen und aus nicht näher bekannten Gründen bekam Orlo einen Lachkrampf, der damit endete, dass er sich wieder mal auf die Zunge biss. Petra rollte nur theatralisch mit den Augen, während Erd und Günther... Ach, du heilige Scheiße! Alles passiert blitzschnell, doch die Zeit reicht mir, den Haken in den nächsten Baum zu schießen und mich aus dem Sattel hochzureißen. Mein Spezialsprung. Keine zwei Wimpernschläge dauert es, bis Team Levi mir Gesellschaft leistet, abgesehen von Erd, der unten weiterreitet und damit unsere Pferde auf dem Weg hält. Der Titan fährt herum, setzt mit einem Sprung über die Tiere hinweg und läuft, ohne sich weiter um uns zu kümmern, zurück in Richtung Wiese. Verflucht, alles bloß das nicht! Wir müssen ihn aufhalten, bevor er das offene Gelände erreicht. Orlo’s Ablenkungsmanöver zieht nicht, der Titan greift nicht nach ihm, selbst als er direkt vor seiner Nase baumelt. Er scheint uns völlig zu ignorieren. Günther und Petra umkreisen seinen Kopf, schlagen jedoch nicht zu. Noch nicht. Sie warten auf meine Anweisungen. “Fällt ihn!“ Ich deute auf seine Beine und springe nach unten, doch ich verfehle knapp, als ich zuschlage. Zwar schneidet meine Klinge in seine Ferse, durchtrennt aber nicht die Sehne. Mit angreifenden Titanen kommen wir klar, aber wenn sie wegrennen, erschwert es die Sache ungemein. Einem fliehenden Titanen die Achillessehnen durchzusäbeln, ist wohl das schwierigste Manöver überhaupt, weitaus heftiger noch als der Nackenschnitt. Wieder ziehe ich die Spule an, schwinge mich hoch, versuche ihm den Weg abzuschneiden. Eren, wo zum Teufel willst du hin? Zwar hat er keinen von uns angegriffen, doch dass er abhauen will, macht die Sache nicht wirklich besser. In den Augen meiner Kameraden kann ich die Enttäuschung sehen, den Schmerz über diesen Verrat. Sie alle haben angefangen, den Bengel zu mögen. Aber darüber können wir uns später noch Gedanken machen. Jetzt gibt’s Wichtigeres. Der letzte Baum kommt in Sicht, jetzt oder nie. Ich lass’ mich möglichst weit nach oben schleudern, um den Schwung mitzunehmen und versenke meinen zweiten Haken im Rücken des Titans. Der sitzt! Orlo fliegt zwischen den Bäumen hindurch, ich seh’, was er vorhat. Er will eins seiner Seile über den Weg spannen, um den Titanen zum Stolpern zu bringen. Petra hat’s auch geschnallt und kopiert sein Manöver. Vergiss es, Kleiner, du kommst hier nicht weg! Mit einem Ruck hole ich meinen ersten Haken vom Baum zurück und mach’ mich auf was gefasst. Wenn er wirklich fällt, muss ich möglichst schnell abspringen. Es reicht, wenn ich dann hinterher wieder auf ihm lande. Doch der Titan ist zu intelligent, um in die Falle zu tappen. Er springt über Orlo’s Seil drüber, duckt sich unter Petra’s hinweg und läuft einfach weiter. Ich stoße meine Klinge in seinen Rücken, um nicht weggerissen zu werden. Jetzt muss ich runter. Von hier aus kann ich seine Fersen gut treffen, das haut hin. Da erscheint wie aus dem Nichts Hanji, die wieder mal alle Vorsicht fahren lässt und sich direkt auf Eren’s Kopf niederlässt. Von dort seilt sie sich ab. Wie eine tollwütige Spinne baumelt sie vor seinem Gesicht herum und gestikuliert wild mit Armen und Beinen. “Eren! Hey, Eren!“ Doch ihr Versuch, mit ihm zu kommunizieren, schlägt fehl. Die riesigen funkelndgrünen Augen unter der wilden schwarzen Mähne scheinen sie nicht einmal wahrzunehmen. Sie sind auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne gerichtet. Und er läuft weiter. In Richtung des Dorfs. Die Menschen dort werden nicht begeistert sein. Und Zackley auch nicht, wenn er unseren Bericht auf dem Tisch liegen hat. Die Augen. Wenn ich ihn blende, kann er nicht mehr fliehen, da er nicht mehr weiß, wohin. Aber das alleine würde ihn nur wütend machen und Hanji hat in ihrer gegenwärtigen Position nicht viele Möglichkeiten zum Ausweichen. Bleiben weiterhin die Fersen. Aber auch wenn er fällt, so ist das nur eine Lösung auf Zeit. Verdammt Hanji, ich hoffe ernsthaft, deine Lösung ist nicht so bekloppt wie du. Ich schieße beide Haken in seinen Kopf. Gleichzeitig. Das Gas katapultiert mich nach oben, hoch hinaus, so dass ich den anschließenden Fall für meinen Schwung nutzen kann. Links passt, rechts ziehe ich vorsichtshalber eine neue Klinge. Captain, wenn irgendwas passiert und ich... werdet Ihr dann... Ich hole tief Luft. Dann versenke ich beide Schwerter in seinem Nacken. Der Titan kippt um wie ein gefällter Baum. ~*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)