Deer In The Headlights von dumm ([HunHan]) ================================================================================ Kapitel 1: Deer In The Headlights --------------------------------- Er glaubt nicht an so etwas wie Liebe auf den ersten Blick. So etwas gibt es nur in lächerlichen Märchen oder in Geschichten, die sich beste Freundinnen erzählen, wenn sie sich in ein Idol verlieben. Aber er weiß es besser. Natürlich weiß er es besser. Weil er logisch denken kann und weil er weiß, dass Liebe nicht plötzlich, von einem Wimpernschlag auf den andren, da ist. Es gibt höchstens das Verlangen nach sexuellen Aktivitäten auf den ersten Blick. Aber nicht Liebe. Sehun sieht aus wie ein Pessimist. Das liegt vielleicht an der Form seiner Augenbrauen, die jeder Antagonist in einem Anime hat, vermutlich auch an der Tatsache, dass sein Gesicht völlig unberührt und desinteressiert aussieht, wenn er nicht lächelt. Aber es gibt Momente in denen er lächelt, in denen er nicht wie ein Mensch aussieht, dessen rationales Denken darauf bestimmt ist, die Personen in seiner nächsten Umgebung umzubringen. In diesen Momenten sieht Sehun genau nach dem aus, was er ist. Nach einem normalen Schüler der Oberstufe, der realistisch denkt. Realistisch und direkt, aber nicht halb so intelligent, wie er behauptet. Das verzeiht man ihm aber, weil er in der Pubertät steckt und sich in ein paar Jahren sicherlich für die eine oder andere Aktion schämen wird, die er durchgezogen hat. Aber das macht ihn nur zu einem normalen jungen Mann, der reifer wirkt, als er eigentlich ist. Außerdem genießt er nur sein Leben. Oder die wenige Freizeit, die er dank des strikten, koreanischen Schulsystems hat. Sehun glaubt also nicht an Liebe auf den ersten Blick. Woran glaubt er dann? Er glaubt daran, dass er seine Schüchternheit und sein Lispeln in den Griff bekommt. Er glaubt, dass seine Oma das beste Sushi der Welt macht und er weiß, dass er davon nie genug haben wird. Er glaubt daran, dass Menschen irgendwann auf dem Mond oder dem Mars leben können und er denkt, dass er das nicht mehr miterleben wird. Er glaubt daran, dass es völliger Quatsch ist, dass Bubbletea krebserregend ist und er glaubt daran, dass er nicht der Antagonist, sondern der gutaussehende und liebenswürdige beste Freund des Hauptcharakters wäre, wäre er Teil eines Animes. Außerdem glaubt er daran, dass er den Bus schon wieder verpasst, wenn er nicht schneller läuft. Aber Sehun läuft nicht schneller. Es reicht schon, wenn alles in seinem Leben immer nur schnell gehen muss. Eilig, hektisch und besonders schnell. Dabei noch sauber, adrett und perfekt. Er ist müde davon. Deswegen läuft er langsam, deswegen verpasst er schon wieder den Bus. Sehun macht das manchmal mit Absicht. Weil er es genießt eine Stunde für sich selbst zu haben, eine Stunde mit laufen zu verbringen und eine Stunde, in der ihn niemand unter Druck setzt. Außerdem kommt er immer an diesem Laden vorbei, in dem er sich hin und wieder seine Lieblingssüßigkeit kauft. Der Gedanke ist immer zu verlockend, als dass er ihm widerstehen kann. Aber er will ihm auch nicht widerstehen. Es hat nur Vorteile, den Bus zu verpassen. Er trägt seinen schweren, schwarzen Rucksack – wie immer – auf dem Rücken und hat die weißen Kopfhörer in den Ohren. Denn ohne Musik ist der Fußmarsch dann doch etwas langwierig und träge. Mit Musik wird für ihn jedoch alles besser. Sehun ist ein ganz normaler Junge. Er ist zwar etwas größer als die meisten in seiner Klasse, aber er ist nicht der Größte. Seine Noten sind durchschnittlich, könnten besser sein, aber Sehun schwänzt die Paukschule regelmäßig, weil er lieber vor dem Computer hängt und das Internet unsicher macht. Manchmal bekommt er Liebesbriefe und meistens verteilt er Körbe. Er hat einen Lieblingslehrer und einen Onkel, mit dem er nicht zurechtkommt. Er steht nicht im Mittelpunkt, hat aber einen besten Freund, der seinen Nachhauseweg sicher schöner gestalten würde, würde er nicht in einem anderen Bezirk wohnen. Es gibt Dinge, die er mag und es gibt Dinge, die er nicht leiden kann. Er hat schwarze Haare, eine moderne Jungenfrisur und eine schlanke Figur. Sehun ist ganz normal. Er ist so wie jeder andere in Korea auch. Nichts Besonderes, aber trotzdem liebenswürdig, wenn man ihn kennenlernt. Heute verpasst Sehun also den Bus, hört seine Lieblingsmusik, während er nach Hause läuft und entscheidet sich spontan, seine Lieblingssüßigkeit zu kaufen. Manchmal braucht er Schokolade. Schokolade macht glücklich, sagt man. Manchmal tut es das tatsächlich. Es ist nicht so, als wäre er im Moment unglücklich. Aber er denkt, dass es nicht schaden kann, wenn er nach dem anstrengenden, langen Schultag glücklich wird. Schokolade verursacht Pickel und macht dick, wenn man zu viel davon isst, aber Sehun kümmert sich darum nicht. Er gibt nicht so viel auf sein Aussehen (was ihm nur wenige Leute glauben würden, weil sein Gesicht angeblich so perfekt ist), vielleicht lächelt er deswegen auch nur dann, wenn er wirklich lächeln will. Und nicht um fremden Menschen sympathisch zu wirken. Er sieht keinen Grund, wieso er auf fremde Personen sympathisch wirken sollte. Eigentlich zumindest. Herbst bedeutet, dass viele Blätter auf den Gehwegen, an denen Bäume stehen, liegen. Herbst bedeutet kaltes Wetter und Herbst bedeutet, dass es früher als nötig dunkel wird. Es ist erst sechs Uhr abends und Sehun findet, dass die Sonne ruhig länger hätte scheinen können. Es dämmert, aber die Stadt denkt trotzdem nicht daran zu schlafen. LED-Schilder leuchten überall, die Laternen brennen bereits und Sehun wird von vorbeifahrenden Autos geblendet. Aber er isst Schokolade und das führt dazu, dass er sich nicht über den Saisonwechsel aufregt. Ändern kann er das eh nicht. Sehun weiß das. Sehun ist ja kein Idiot. Sehun glaubt ja auch nicht an so etwas Lächerliches wie Liebe auf den ersten Blick. Er biegt in eine breite Gasse, in der es ein paar Geschäfte gibt, ein, damit er schneller zu Hause ist. Nicht, dass er schnell zu Hause sein möchte, aber er hat nichts dagegen, wenn er statt sechsundfünfzig Minuten nur einundfünfzig braucht. Sehun registriert die Personen, die an ihm vorbei laufen, oder die vor den Schaufenstern stehen. Er registriert sie am Rande, beachtet sie aber nicht wirklich. Weil seine Schokolade wichtiger ist. Also sieht er das Mädchen mit den kurzen, straßenköterblonden und gebleichten Haaren nur in seinen Augenwinkeln. Sehun reißt urplötzlich seinen Kopf zur Seite, weil er bemerkt, dass dieses Mädchen gar kein Mädchen ist. Für einen Moment haben sie Blickkontakt und Sehun fühlt sich wie ein Idiot. Weil es hier doch kaum Mädchen mit kurzen – und schon gar nicht mit blonden – Haaren gibt. Aber sein Gesicht ist so rund und hat kaum markante, männliche Züge. »Hi«, begrüßt Sehun ihn, einfach nur, weil er ihn so lange angesehen hatte. Und Leute anzusehen und dann nicht einmal zu grüßen war unhöflich. Sehun hat eine gute Erziehung genossen. Eine gute, adrette und koreanische Erziehung. Der junge Mann, dessen Haarfarbe er nicht mehr als straßenköterblond sondern als karamellblond beschreibt, schenkt ihm ein überraschten Blick und wirkt für einen viel zu langen Moment, als wäre er ein Reh im Scheinwerferlicht. Das liegt an seinen dunklen Augen und den kurzen Wimpern, denkt Sehun, und daran dass er unter dem Licht einer Straßenlaterne steht. Der überraschte Gesichtsausdruck verschwindet und ein bezauberndes Lächeln erscheint auf den fremden Lippen. »Guten Abend«, begrüßt er ihn fröhlich. Sehun glaubt nicht an Liebe auf den ersten Blick. Aber Sehun glaubt daran, dass man sich auf den ersten Blick zu einer Person hingezogen fühlen kann. Das Lächeln des anderen lenkt ihn so sehr ab, dass er den Blick nicht abwendet. Er bemerkt, dass er starrt und er bemerkt, dass das dumm ist. Und als er den Blick schnell abwendet, stolpert er über seine eigenen Füße. Die Süßigkeitenpackung rutscht aus seinen schlanken Händen, landet auf den Boden und Sehun leistet ihr ungewollt Gesellschaft. Er möchte den erschrockenen Laut, der ihm aus seinem Mund gekommen war, gern wieder einsaugen, aber er ist ein Realist und weiß, dass das nicht geht. Schnell rafft er sich auf und wenn das Lächeln des fremden jungen Mannes nicht der Grund für das viele Blut in seinen Wangen ist, dann ist es diese peinliche Situation. Er hätte den Bus doch nicht verpassen sollen. »Alles okay? Ist dir was passiert?«, fragt ihn der Fremde, der abrupt neben ihm aufgetaucht ist. »Ja, alles klar«, nuschelt er die Antwort und klopft sich den Dreck von der Schuluniform. Seine Knie pochen ein wenig schmerzhaft, weil sie den Aufprall abgefangen hatten; genau wie seine Hände. Sehun traut sich zu dem anderen zu sehen und sieht das Lächeln, das ihn aus unerklärlichen Gründen aus der Bahn wirft. »Sehun«, stellt er sich dann plötzlich vor. Die kurzen, dunklen Wimpern des jungen Mannes, der etwas kleiner als er war, heben und senken sich für einen Moment viel zu schnell und dann scheint er plötzlich zu verstehen. »Ich bin Lu Han.« »Nein, du bist schön.« Sehun war kein Realist. Sehun war ein absolut peinlicher Volltrottel, der seine Schüchternheit im falschen Moment vergaß. Luhan sieht ihn überfordert an und Sehun muss grinsen, damit ihm seine Aussage nicht all zu peinlich ist. Sein Grinsen steckt Lu Han an. »Danke.« Er hat einen Akzent. Sehun weiß aber nicht, woher er stammen könnte. Er ist im Moment viel zu sehr damit beschäftigt, sein Gegenüber anzusehen. Da ist kein Platz für überflüssiges Wissen, über Sprachen und Dialekte. Luhan bückt sich, greift zu der Packung der Süßigkeiten und reicht sie Sehun. Er nimmt sie entgegen, berührt dabei die Finger des anderen und bedankt sich leise. Sehun glaubt nicht an Liebe auf den ersten Blick. Lu Han schon. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)