Als wir uns wieder sahen von Ayakahi (oder, das Problem mit dem Alkohol) ================================================================================ Kapitel 3: Neues aus alten Tagen -------------------------------- Er fühlte sich leer, aber nicht so wie er sich sonst leer fühlte. Es war wie ein Wabern um ihn herum. Sein Innerstes war leer und doch fühlte er sich vollkommen. Tiefe Ruhe, der Hauch von Nichts. Er war zufrieden mit sich, mit seinem Umfeld. War das Glück? Sollte es wirklich vollkommenes, reines Glück sein das ihn umfangen hielt und seinen Verstand einnahm? Es wäre so wunderbar und selbst wenn es kein vollkommenes Glück war, es war das wunderbarste, was er je gefühlt hatte. Sein Körper lag reglos da und sein Atem ging kaum merklich. Tiefe Glückseligkeit – war er selig, beseelt von diesem Gefühl? Wenn es so war würde er am liebsten immer so liegen bleiben, die Augen geschlossen halte. Er fühlte, dass etwas in ihm fehlte. Da war keine Wand aus Eis mehr, hinter der er sich versteckte. Stattdessen schmolz das Eis dahin und verwandelte sich in ein Rinnsal, das seine Herz verließ, ihn verließ und es hinterließ ein Gefühl von Freiheit. Er spürte etwas feuchtes in seinem Gesicht, hielt es für eine Illusion und bemerkte erst, dass er weinte, als er mit der Hand in sein Gesicht fuhr. Unter seinen geschlossenen Lider quollen die Tränen der Jahre hervor, die nun aus reiner Glückseligkeit bestanden. Er fühlte sich frei und ungezwungen. Es schoss ihm in den Kopf seinen Beruf hinzuwerfen, hinzugehen wo immer Rei war. Nichts brauchte er mehr als diesen Mann an seiner Seite. Er war sein Glück - immer gewesen und nun war es in Erfüllung gegangen. Ein Traum war wahr geworden und das für ihn. Es konnte es in diesem Moment des Erwachens kaum glauben und als seine Verstand einsetzte, die letzten Reste des Schlafes dahin gerafft waren und er seitlich liegend die Augen öffnete, da wurde ihm schlagartig schlecht. Er starrte an eine Hotelzimmerwand, gelb – dieses hässlich gelbbraun das sie fast überall hatten, es könnte sogar dotterfarben sein. Aber das war nicht sein Problem. Seine Augen erblickten zwischen sich und der Wand nichts mehr außer leeren Raum. Kein Rei, keine Wärme nichts – ihm wurde eiskalt. Seine Hände griffen nach der Decke, schlangen sie gierig um seinen unbedeckten Körper. Leere - klaffende Leere - abgrundtief – schwarz – bodenlos – haltlos - er fiel, aber leider nicht in Wirklichkeit. Ein dumpfer Körperlicher Schmerz wäre ihm tausend mal lieber gewesen als die Einsamkeit. Die Wärme von Rei war fort, sein Geruch hing wie ein Schleier in der Luft. Es roch noch immer nach schwitzenden Körper, er konnte nicht geträumt haben, nein. Doch die Realität war gnadenlos und ehrlich. Er war alleine. Kein Atem außer seinem, keine Schritte, nichts das sich zu regen schien und es riss ihn hinab, tiefer als es ihn damals hinab gerissen hatte. Er hatte geglaubt nach diesem Kuss vor neun Jahren, hätte er sich nicht schlimmer fühlen können. Es waren neun qualvolle Jahre gewesen und jetzt bemerkte er, dass seelischer Schmerz keinen Boden hatte. Der Körper starb irgendwann, doch der Geist lebte weiter, so wie er gelebt hatte. Stumpf waren die Jahre gewesen, leer und von Arbeit beherrscht. Als sein Handy schrill klingelte brach etwas in ihm. War es sein Herz? Seine Hand schlug wie ein Stein auf das Handy, es lag am Boden neben seinem, nun knittrigem, Jackett. „Hiwatari,“ sprach er monoton in den Hörer. Als er die quirlige Stimme seiner Assistentin erkannte, sie hört, ihre quietschen, wie sie ihm etwas erklärte, da drehte sich sein Magen um. „Es tut mir leid das ich sie stören muss. Ich weiß sie haben sich heute frei genommen, aber da war gestern dieser Besuch, der sie dringend sehen wollte. Ich habe ihnen eine Notiz hingelegt, aber sie haben sie nicht mitgenommen und ich wollte nur -“ „Danke Sayuri, ich habe sie zur Kenntnis genommen. Wir sehen uns morgen.“ Ohne auf eine Antwort zu warten drückte er sie weg und sank rücklings in das Bett zurück. Das Handy glitt aus seiner Hand, gab ein Knacken von sich als es zu Boden fiel. 'Soll es doch kaputt gehen,' dachte er sich müde und starrte an die klinisch weiße Decke. Es machte ihn nicht stutzig, das er sich abgemeldet hatte. Der ganze letzte Abend erschien ihm wie ein fremde Geschichte. Es war nicht er der sie erlebt, sondern jemand der ihm ähnlich sah. Er sah sich selbst an der Bar, sah sich mit Iga reden, einschlafen und hochschrecken. Wie in Zeitlupe hatte er sich übergeben, war mit Rei hierher gekommen, war eingeschlafen, aufgewacht und hatte ihn geküsst, unzählige male geküsst und zum erst mal diese Wärme in sich gespürt. Er hatte ihn geliebt, in genau diesem Moment war es ihm klar geworden, es war ihm klar geworden. Doch jetzt hatte er nichts davon, rein gar nichts. Vor ihm lag ein freier Tag, der mit einer schmerzenden Leere begann. Als wäre es ein Traum gewesen, fuhr er sich über die Lippen, als könne er seine Lippen wieder spüren, ihn wieder berühren. Etwas in ihm verkrampfte sich, ließ ihn schaudern. Er fühlte sich wie ein hilfloses Kind, nur geschützt von seiner Decke. Er zog sich bis zur Nase hoch, winkelte die Knie an. Sie roch nach ihm, diese Decke roch nach Rei. Wie einen Fremdkörper warf er sie von sich weg. Wie dumm war er eigentlich gewesen zu glauben jemand könnte ihn lieben, seine Gefühle erwidern? Es war ein Spiel gewesen und er war in all den Jahren seinen Gefühl gefolgt und in den größten Fehler seines Lebens gelaufen. 'Vielleicht die schönste Dummheit die ich begannen habe', kam es ihm während er noch immer die Decke anstarrte. Er fühlte sich entblößt, körperlich sowie geistig. Die Tatsache, dass er splitterfasernackt in einem Hotelzimmer lag, machte die Situation nicht besser. Sein Herz hatte sich geöffnet, nur einmal hatte er getan, was dieses dumme Herz ihm gesagt hatte. Er wollte weinen, wollte schreien, doch alles was er fühlte war ein eisiger Griff um seinen Herz.'Selber Schuld,' sagte etwas in ihm. 'Das Leben geht weiter.' sprach etwas anderes. Kai raffte sich auf, schob die Beine vom Bett und warf die Decke zurück auf das Bett. Was sollte er tun? Er konnte ihn suchen, ihm eine Szene mache, ihn anschreien, was er sich einbildete ihn so zu benutzen und er wusste im selben Moment, dass er es nie tun würde. Er war zu resigniert, zu stur kalt, oder abweisend. Egal was man ihm alles an den Kopf geworfen hatte, er hatte es geschluckt und er würde auch diesen Schmerz schlucken, so wie damals vor neun Jahren. Heute fühlte er sich noch grausamer, denn es war mehr als nur ein Kuss gewesen, mehr als nur ein paar Sätze. Unbemerkt hatte er die Fäuste geballt. Er war ein Idiot, ein Narr. Er wusste doch, das die Kälte ihn vor so vielem geschützt hatte und nun stand er ohne sie da und sein Herz starb einen qualvollen Tod. Um so länger er stand, um so grausamer wurde es. Die Eindrücke der letzten Nacht vermischten sich mit den Dingen von vor neun Jahren. Es war eine schwere Last, die da über ihn herein brach, ihn zum kapitulieren zwingen wollte. Doch er würde nicht kapitulieren, er würde es wieder ertränken, immer und immer wieder. Ein neues Ziel und doch war es so bekannt. Es war wie früher. Er würde vor dem Problem davon laufen und es ertrinken und er würde jetzt damit anfangen. Von Verzweiflung und Wut über sich selbst gepackt zog er sich an und sammelte was ihm gehört. Aktentasche, Handy, Jackett, alles war da und dann verließ er das Zimmer. Jeder Andere wäre wohl hinaus gestürmt, doch er verließ wie ein Geschäftsmann das Zimmer. Als wäre es nicht sein Leben, als wäre alles nur ein Spiel gewesen, ein bisschen Spaß. Ein Mann in seiner Position vergnügte sich bestimmt oft, dass dachten viele zumindest. Keiner wusste was in ihm vor ging und keiner hätte es erahnt, als Herr Hiwatari geschäftlich wie er bekannt war, durch das Hotel schritt, stolz und unnahbar und die gläserne Eingangstür passierte. Er kam wie jeden Monat aus einem Hotel, in dem er ausgenüchtert war. Nur heute war er nüchtern, hatte er doch den Alkohol hinaus gewürgt. Doch das wusste niemand, würde niemand sehen, niemand ahnen, den niemand kannte sein Privatleben und er redete es sich schön. Seine Füße trugen ihn durch die belebten Straßen Tokyos, hin zu den bunten Cafés und Bars, den Spielhallen und an wartenden Japaner vorüber die auf einen Bus warteten, in einer schlang standen, obwohl der Bus ihn frühstens zehn Minuten kommen würde. Die Seltsamkeit dieser Menschen, im verglich zu seinen russischen Erfahrungen, tat ihm jetzt einmal gut. Es erheiterte ihn ließ ihn müde lächeln und er rief sich in den Kopf, was er noch wusste und was davon seltsam war. Er nahm sich an einer Ecke einen Kaffee mit, trank ihn schwarz und heiß wie er war in zwei Zügen. Es versengte ihm den Mund, den Rachen und breitete sich wie Feuer in seinem Körper aus. Genau das brauchte er jetzt, Ablenkung und Schmerz. Etwas in ihm trug ihn weiter, weiter durch die Stadt, hindurch zu den hohen Komplexen, vorbei an Bänken und Laternen, bis er im Ueno Koen Park stand. In diesem Park war heute nicht viel los, den er war der Hauptpark, wenn sie das Kirschblütenfest feierte. Hier und da fand er ein paar Leute auf Bänken, die meisten gingen herum, schienen mit sich beschäftigt zu sein. Schwer sank er auf eine Bank und starrte voran auf den Shinobazu Teich. Das Wasser wölbte sich leicht im sanften Wind und hier und da schwamm etwas unter der Oberfläche. Doch er sah es nicht, sah diese schöne Natur nicht, hatte keinen Blick für die Bäume oder die Leute. Er saß einfach nur da, unschlüssig was zu tun war, unschlüssig mit sich selbst. Wo sollte er hin? Nach hause konnte er gehen, in diese Einzimmerwohnung, die er nicht mochte, in der er jedoch lebte. Als der Wind eisiger wurde erhob er sich, schleppte sich mit Aktentasche und Jackett in sein zu hause. Er stieg in die Bahn, nach einigen Umstiegen und Gelaufe wieder aus. Alles zog an ihm vorbei. Die Menschen, die Zeit, die Gebäude. Als er vor seiner Tür stand konnte er sich im Nachhinein nicht entsinnen, wie er sie geöffnet hatte. Er stand eine Zeit lang einfach nur da, starrte in die kleine Küchenecke und begann sehr langsam seinen zerknitterten Anzug auszuziehen. Wenig später hatte er sich in eine weiten Pullover gezwungen und sich zu einer Jogginghose überredet. Barfuß tapste er über den Flur des fünf Parteien Flurs und war froh, als das Bad frei war. Er schloss ab, schmiss seine Kleider zu Boden und stellte die Dusche an. Das Wasser war warm, beinahe heiß und trotzdem erschien es ihm dumpf und kalt. Jeder Tropfen schlug gegen seinen verspannten Körper und er hatte die Stirn in Falten gelegt. Tropfen um Tropfen fühlte sich schwer auf seiner Haut an, seine Züge waren angespannt und seine Augen zuckten unkoordiniert durch das kleine Badezimmer. Irgendwann war es ihm zu viel nur dazustehen und sich dem Wasser zuzuwenden. Ein Klopfen an der Tür trieb ihm aus dem Bad. Halb nass zog er sich wieder an und schritt mit einer leisen Entschuldigen und nassen Haaren aus dem Bad, zurück in sein Zimmer. Dort sank er auf sein Schlafsofa. Seine Kleider waren etwas feucht, die Haare tropften und hinterließen Spuren auf seiner Kleidung, die wie Tränen aussahen. Es waren vielleicht zwei Stunden vergangen, zwei lausige Stunden. Seine Uhr zeigte, dass es kurz nach 12 war. Es war früh, viel zu früh. In acht Stunden müsste er erst schlafen gehen. Bereits jetzt wollte er nicht schlafen, wollte nie wieder schlafen. Die Einsamkeit des Morgens ergriff ihn erneut, ließ ihn zittern und er zog sich seine Decke zurecht. Das war nicht er, das wollte er nie sein. Er war nicht so zerstört, war nicht so weich, dass ihn alles aus der Bahn warf. Er war stark gewesen und damit würde er nach diesem Schmerz heute Morgen nicht aufhören. So schwach er sich auch fühlte, er würde es nicht zeigen. Etwas in ihm zitterte noch lange, nach dem sich sein Körper beruhigt hatte. Die Decke wärmte seinen Körper, doch sein Innerstes fühlte sich an wie Eis. Nie hätte er gedacht, das Rei ihm so etwas antun würde. Hatte er nicht gestern noch von Liebe gesprochen? Wieso hatte er ihn dann alleine gelassen, wieso war er alleine aufgestanden und verschwunden. Es konnte nur diesen einen Grund geben und die Erkenntnis tat ihm weh, sie brach ihn. Hätte er Rei gestern nicht getroffen, hätte dieser ihn nicht gesucht, dann wäre das alles nicht passiert. War es Absicht gewesen, war er nur gekommen um ihn zu demütigen? Er fühlte sich so klein und unbedeutend, winzig und schwach. Er war sein Leben lang eine Spielfigur gewesen, die Figur seiner Eltern, die Figur seiner Mannschaften, jetzt war er die Figur seines Chefs und nun hatte auch noch Rei mit ihm gespielt. Sein Blick war leer, die Kühnheit in seinen roten Augen war verschwunden. Er sah aus wie jeder andere Mensch, nicht mehr selbstsicher, nicht mehr Dominant. Es hatte ihn zu stark getroffen, seine Fassade war gefallen und schien nicht wiederkehren zu wollen. Die Zeit in der er nur da saß verstrich langsam, wie Sand der durch eine Uhr rann. Er regte sich nicht, bewegte sich kaum. Nur sei Atem war zu hören, das Ticken der Uhr und die Leute, welche die Treppe hinauf und hinab gingen. War er damals auch so zu Grunde gegangen? Nein damals war es anders gewesen. Er war aufgestanden, hatte trainierte, hatte die Anderen angetrieben zu trainieren. Damals hatte er Rei jenden Tag gesehen und das hatte den Schmerz brennender gemacht. Aber was war schlimmer? Etwas nicht zu bekommen, nicht zu wissen was es bedeutete, oder belogen zu werden. Er hatte ihm Hoffnung gegeben, hatte ihm etwas von Liebe erzählt, hatte ihn benutzt und jetzt war er zerstört. Nie wieder würde er mit ihm reden können, nie wieder ihm in die Augen sehen, nie wieder. Der Gedanke zerfraß ihn, zermürbte ihn und er konnte sich nicht wehren. Er saß einfach da, ließ seine Haare Kleidung und Decke aufweichen und fühlte nichts außer Leere. Nicht die angenehm Leere von heute morgen. Es war eine wütenden Leere, zerstörerisch und kräftezehrend. Hätte sein Magen nicht geknurrt und ihm gesagt, dass der Kaffee kein Essen gewesen war, er wäre wohl nicht aufgestanden. Doch er hatte keine Muße zu kochen, war zu zermürbt sich etwas in den Ofen zu schieben. Als zog er sich Schuhe an und verließ in Pullover und Jogginghose das Haus. Die kalte Luft passte zu dem Gefühl in seinem Herzen, doch sonst schien alles zu normal um sich seinen Gefühlen hinzugeben. Die Leute lachten hier und da, ein Auto hupte, der Zug rasselte irgendwo in eine Station ein. Jeder Schritt den er machte löste etwas seltsames in ihm aus. Frei, war er nicht noch immer frei? Frei zu tun was er wollte? Er wollte ihn hassen, sie alle dafür hassen, was sie ihm angetan hatten. Sein Leben hatten sie zerstört ihn in eine Welt gesetzt, die er nicht wollte, nie hatte haben wollen. Wut stieg in ihm auf, Wut auf Rei, Wut auf seine Arbeit, seine Familie, auf all die Leute, die so tat als wären sie ihm wichtig. Doch jeder hatte ihn stehen lassen, ihm sein Herz gebrochen, schon als Kind hatten man sein Herz mit Füßen getreten. Seine Schritte wurden schneller, die Luft kühler. Er begann schnell zu gehen, um die nächste Ecke joggte er schon fast, doch es reichte nicht. Er lief, rannte, begann zu sprinten, bog um die Erste, dann um die zweite Ecke. Wohin mit ihm, wohin mit dieser Einsamkeit, mit dieser Wut, dieser Enttäuschung. Hass trieb ihn an, Hass auf sich, auf die Anderen. Er musste rennen, rennen bis er sich übergab. Doch das würde nie passieren. Er war außer Form, komplett unsportlich geworden. Nach drei Blocks konnte er nicht mehr, keuchte wie ein Raucher, der gelaufen war. Sein Herz flatterte, seine Beine fühlten sich seltsam an. Es war als würde sein Körper brennen, so wie die kalte Luft in seiner Brust bei jedem Atemzug brannte. Er bog in eine Straße ein, steuerte ein Restaurant an und setzte sich an die Fensterfront um nach draußen zu starren. Seine Hände brannten eigenartig, als er in das warme Lokal trat. Er war abgekühlt und nun wurde er in heißes Feuer getauft, auch wenn es nur ein normaler Raum war. Sein Körper litt, weil sein Geist litt, nicht schön, aber wenigstens war es gerecht. Seine Finger griffen nach der Karte und kurz darauf bestellte er sich eine unverschämt große Portion an Sushi für eine Person. Aber man ließ ihn und man sagte nichts. Er hatte wieder begonnen böse umher zu sehen, wirkte verdrossen und ungehalten, obwohl ihm elend zu mute war. Fühlte sich so ein blutendes Herz an? Er hatte das Gefühl, dass etwas in ihm weinte, sich versteckte und langsam starb. Als das schwere Holzbrett mit Sushi vor ihn gestellt wurde sah er nur kurz auf, griff zu seinen Stäbchen und aß. Erst alles mit Lachs, dann Thunfisch und Krabbe, später alle vegetarischen Makis. Er schlang nicht, doch man sah ihm den Hunger an, es war immerhin früher Abend und bald würden alle Lokale schließen. Verflucht sollte diese Stadt sein, die alles hatte, außer lange Öffnungszeiten. Wie viele Makis er bestellt hatte merkte er erst beim Blick auf die Rechnung. Die Erkenntnis kam wie eine Sinnflut und mit ihr auf seine Magenschmerzen. Frustessen, davon laß man doch immer wieder. Europäer litten stark daran, weil sie viel Fett zu sich nahmen. Der Reis lag ihm trotzdem schwer im Magen. Jetzt war er nicht mehr hungrig, sondern nur noch träge. Wo stand ihm der Kopf heute. Er fühlte sich auf der Flucht, doch er konnte vor diesem Schmerz nicht fort laufen, er konnte ihn nur ertränken, oder es eben versuchen. Mit immer noch nassen Haaren stand er auf, zahlte und ging so sicher es ihm möglich war hinaus. Am dämmrigen Himmel hatte sich derweile eine Wolke geformt, die wohl ansatzweise seine Enttäuschung darstellte, nur im Gegensatz zu ihm konnte diese Wolke voller Regen sich entladen und er war gerade um die erste Ecke, als sie es auch tat. Die ersten Tropfen fielen leise zu Boden und kümmerten ihn nicht. Doch es folgten weitere und bald fiel der Regen so dicht, dass er Kai einfach verschlang. Er gab sich nicht die Mühe zu laufen, dazu war er zu erschöpft. Sein Magen war voll, grollte ihm aufgrund der Nahrungsaufnahme und seine Schritte wurden dadurch schwer. Jeder normale Mensch wäre sitzen geblieben, oder zurück gegangen, er ging weiter. Das graue Haar hing ihm bald wieder in voller Nässe im Gesicht. Sein Pullover weichte auf, und die Jogginghose sog sich an seinen Beinen fest. In seinen Schuhen hatte sich eine Pfütze gebildet und er begann zu frieren. Die Kälte drang in ihn ein wie kleine Nadelstiche. Doch was scherte es ihn heute noch? Sein freier Tag war eine Katastrophe. Er wollte wieder zurück in die Bar, sich wieder betrinken und den Kopf verlieren. Da sollte kein Rei mehr sehen, der ihn zerstörtet und zermürbte. Aber er hatte es getan, hatte ihm sein Herz endgültig genommen und alles was dazu gehörte. Jedes Stück seines Ich's hatte er ihm auf einem Tablett serviert und er hatte es genommen und weggeworfen, nachdem er gekostet hatte. Er fühlte sich aus irgend einem Grund betrogen und verraten. War das so falsch, dass er sich unfair behandelt fühlte? Er fand es nicht falsch, aber was fand er schon? Er hatte immer ein Leben gelebt, in dem er selbst am wenigstens zu sagen hatte. Vielleicht würde es sich ab morgen endlich ändern. Aber weder Regen, noch seine nassen Kleider motivierten ihn dazu etwas anderes zu tun, als nach hause zu kommen. Er fühlte sich so schwer, so belastet und jeder Schritt schien mehr Kraft zu kosten, als irgend ein anderer. Zum Glück bog er um die letzte Ecke, erkannte die Laterne vor seinem zu Hause. Gerade sprangen sie an, alle diese Lampen und knackten dabei leise um mit einem flattern die leeren Straßen zu beleuchten. Er war alleine, fühlte sich zumindest so. Einsam, verlassen 'Wie immer eigentlich,' schoss es ihm durch den Kopf. Nur langsam wurde seine Haus deutlicher, er erkannt Licht in seiner Wohnung, welches er wohl vergessen hatte. Seine Hand lag schon an der Tür zum Flurbereich, als das Knacken der Lampe ihn nach rechts blicken ließ. Was er sah gefiel ihm nicht, ganz und gar nicht. „Kai? Da bist du ja endlich. Wieso hast du?“ Die Stimme brach ab. Sein Fäuste wollten sich ballen, er wollte das Gesicht vor Wut verzerren, doch es ging nicht, nichts ging mehr. Er sah nur leblos zu der am Boden hockenden Gestalt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)