Blutige Rose von Moonprincess ================================================================================ Kapitel 17: Planänderung ------------------------ "Bist du dir sicher, daß wir hier lang müssen?" Yugi legte die Arme um sich selbst und musterte den dunkelgrauen Stein, vor dem sich mehrere  dicke Rohre entlangzogen wie metallene Schlangen. Das Licht glitt an ihnen entlang, dann hüllte die Dunkelheit wieder alles ein. "Absolut", antwortete Ryou, der mit einer Taschenlampe vorausging. "Hier findet dich so leicht keiner." "Ich wußte nicht, wie tief und verzweigt der Schulkeller ist..." Stirnrunzelnd betrachtete Yugi, wie Wassertropfen zu Boden fielen. Schnell holte  er zu Ryou auf. Ryou drehte Yugi den Kopf zu und lächelte. "Ich finde es ideal. Bist du sicher, daß Atem nichts gemerkt hat?" "Todsicher. Er hat noch geschlafen, als ich rausgeschlichen bin." Yugi gähnte. "Zum Glück ist Sonntag... Hoffentlich suchen mich nicht auch  noch die Leute, vor denen ich mich nicht verstecken muß." "Ich laß mir schon was einfallen", versprach Ryou. Am Ende des langen Ganges, Yugi konnte dennoch das Tropfen noch hören, öffnete er  eine Tür. Sah aus wie massiver Stahl... Irgendwie beruhigend. Der Raum dahinter wurde in gelbliches Licht getaucht, sobald Ryou den Schalter betätigte. Yugi blinzelte in die Helligkeit. Ein paar alte  Sportgeräte, Matten und Decken nahmen den Großteil des Raumes ein. In einer Ecke lehnte verloren ein Fahrrad, dessen ursprüngliche Farbe  man unter dem Rost nur noch erahnen konnte. "Oh. Es ist ja warm hier." Yugi trat ein. "Deshalb habe ich den Raum auch gewählt. Draußen verlaufen ja die Heizungsrohre. Es ist auch trocken und du kannst es dir halbwegs  bequem machen." Yugi nickte gähnend. Er fragte sich, wie Ryou um drei Uhr morgens noch so fit sein konnte. Oder war das schon? "Danke sehr. Schaffst du  es auch wirklich, Atem abzulenken?" "Vertrau mir." Ryou lächelte und Yugi erwiderte es. "Er ist nicht der erste Vampir, den ich auf eine falsche Fährte locke. Ich werde ihn  beschäftigen und Punkt Mitternacht kannst du wieder aus deinem Versteck kriechen." Yugi blickte nickend auf seine Armbanduhr.  Ryou führte ihn dann hinter einen verschrammten Bock. Zwei dicke Matten und ein paar Decken lagen schon bereit, ebenso eine  Thermoskanne und eine Brotbox. Sogar ein paar Bücher hatte Ryou besorgt. "Ich kann leider nicht ständig nach dir sehen und etwas bringen.  Das muß reichen." Yugi bedankte sich erneut. "Du hast an alles gedacht, außer an eine Toilette." Ryous Wangen wurden rot. "Naja... Draußen auf dem Gang gibt es ein paar Stellen, wo sowas nicht mal mehr auffällt." Yugi verzog das Gesicht. "Dann werde ich mich noch etwas hinlegen." Ryou nickte und reichte Yugi eine zweite Taschenlampe. Sie war schwer und groß. "Du hast meine Nummer, wenn etwas ist?" "Ja. Danke nochmal für alles. Das vergesse ich dir nie." "Ach was... Ach ja, in der Kanne ist Heiße Schokolade. Ich denke, du kannst gerade etwas zur Entspannung brauchen." Damit ging Ryou  wieder zur Tür und zog sie hinter sich zu. Sie fiel mit einem zufriedenstellend schweren Geräusch ins Schloß. Yugi hörte wie auf Knopfdruck auf zu lächeln. Jetzt war er alleine und sein Magen rebellierte, daß er Ryou, der sich solche Mühe gegeben  hatte, so gemein hintergehen wollte. Doch Yugi mußte die Wahrheit herausfinden und das konnte er nicht, wenn er wie eine Ratte in der  Falle saß. Mit einem leisen Seufzen ließ Yugi sich auf Decken und Matten nieder und schob seine Füße unter eine der grauen Decken.  Aber noch war es zu früh. Er blickte auf seine Uhr, dann musterte er den fensterlosen Raum. Er mußte aufpassen. Hier unten würde ihn  kein Licht wecken. Er gähnte ausgedehnt und streckte sich. Etwas trinken klang gut... Danach aber mußte er sich wach halten. Einzuschlafen  konnte er sich nicht leisten. Yugi schraubte die Plastiktasse von der Thermoskanne ab und füllte sie mit dem süßen Getränk. Sobald er den  ersten Schluck trank, verzog er leicht das Gesicht. Oh ja, wirklich süß! Ryou hatte es etwas zu gut gemeint, doch Yugis Durst gewann die  Oberhand und so leerte Yugi die Tasse, wenn auch in kleinen Schlucken. "Puh... Ich hätte mir doch Wasser mitbringen sollen", murmelte Yugi und stellte die Tasse neben sich, dann unterzog er den Bücherstapel  einer näheren Betrachtung. Keiner der Titel kam ihm bekannt vor, also nahm er sich einfach das mit dem, der ihn am meisten ansprach.  Doch schon nach drei Seiten war es Yugi zu langweilig und er legte das Buch beiseite. Gähnend stand er auf und ging in dem Raum auf und  ab. Das sollte die Müdigkeit vertreiben. Eine Weile ging es besser, doch dann wurde Yugi jeder Schritt schwerer als der vorhergehende. Er blieb stehen, streckte sich und machte ein  paar Kniebeugen, doch das machte es nicht besser. "Oh je... Vielleicht sollte ich doch ein Nickerchen machen?" überlegte er laut und sah auf seine Uhr. Gerade vier geworden. Vor sieben  würde Atem sicher nicht aufstehen. Doch Yugi hatte keinen Wecker und er durfte nicht verschlafen. Frustriert rieb er sich die Augen.  Vielleicht brauchte er nur mehr Adrenalin? Ja, das würde es sein!  Also fing Yugi an, hin- und herzurennen. Er keuchte, sein Herzschlag dröhnte in seinen Ohren und er spürte, wie seine Beine sich in Blei  verwandelten. Er hielt inne, um kurz durchzuschnaufen, dann machte er Hampelmann-Sprünge, bis er seine Arme kaum noch heben konnte und seine Beine protestierten. Was war nur mit ihm los? Keuchend ließ Yugi sich wieder  in die Ecke fallen. Ihm war so warm und die Decken waren auch warm, so schön warm... Yugis Lider flatterten. Nur kurz die Augen ausruhen... Ein metallisches Geräusch ließ Yugi hochfahren. Verwirrt sah er sich um. Oh nein! Er mußte eingeschlafen sein. Dennoch fiel es ihm schwer,  die Augen offenzuhalten. Ein Blick auf die Uhr: Sechs. Das ging ja noch... Doch da hörte er Schritte auf dem Betonboden. Ein heller, wirrer  Schopf erschien über dem alten Bock. "Ryou? Was machst..." Yugis Stimme erstarb, als eine zweite Gestalt hinter Ryou erschien. Die beiden  umrundeten den Bock. Yugi versuchte, auf die Beine zu kommen, doch sie wollten ihm nicht gehorchen. Er war noch immer so müde... Yugi schaffte es nur, die  Plastiktasse umzuwerfen, da standen die beiden Gestalten vor ihm. "Atem!?" Yugi konnte es nicht glauben. Sein Herz zog sich reflexartig zusammen. "Es tut mir leid, aber du weißt ja nicht, was alles auf dem Spiel steht." Zu Yugis Überraschung war es Ryou, der nun beiseite sah, die Lippen  fest aufeinandergepreßt. "Ryou... Was hast du..." Yugis irrender Blick blieb an der Tasse hängen, aus der ein dünner, bräunlicher Faden tropfte. So süß... So süß,  daß er nichts anderes mehr geschmeckt hatte. "Du hast mich reingelegt." Yugis Stimme war nur noch ein rauhes Flüstern. Atem kniete sich vor Yugi und in seinen warmen, klaren Augen spiegelte sich Yugis Schmerz wieder. Und Reue. "Verzeih mir", wisperte Atem,  seine Stimme brach. Er mußte sich räuspern. "Du darfst das Ritual auf keinen Fall stören." "Ich... Ich will nicht! Tu mir nichts!" flehte Yugi mit feuchten Wangen. Sein Herz schrie nach Atem, während sein Verstand die Flucht forderte.  Doch Yugis lahmgelegter Körper gab keinem Impuls nach. Yugi schluchzte. "Warum?" Atem sah weg, seine Händen ballten sich. "Wir müssen ihn rausbringen", sprach er Ryou an. Die Entschlossenheit war ein verwirrender  Kontrast zu der Verachtung.  "Ja." Yugi fühlte, wie sein Herz versuchte, seinem Körper zu entkommen, doch er spürte, wie die Erschöpfung wieder stärker wurde. Er blinzelte  und langsam verschwamm alles vor seinen Augen, die Farben zogen sich zusammen und vermischten sich, bis nichts als Dunkelheit blieb.   *** Es war warm. Richtig schön warm! Und die Decke so weich... Genüßlich kuschelte Yugi sich in das duftende Kissen. Auch weich...  Etwas juckte ihn an der Nase. Er runzelte diese, aber es ließ nicht nach. Er hob seine Hand, doch schon nach wenigen Zentimetern spürte er  einen leichten Ruck... und etwas um sein Handgelenk. Er rüttelte daran, doch er kam nicht frei. Stöhnend schlug Yugi die Augen auf. Er wollte nicht... Da stürzte Atems Gesicht auf ihn ein, Ryous Verrat, die Thermoskanne... Yugi wollte hochschießen, da hielt er auch schon inne. Die Decke war aber verdammt niedrig... Er sah sich um. Helles Holz, ihm gegenüber  ein kleines Fenster. An die Seite gedrückt ein Gestell mit zwei roten Lampen.  "Die Knutschbude?" Ungläubig musterte Yugi seine Ergebung erneut. Er lag in der Knutschbude. Die stand noch immer im Wald. Warum war  es dann nicht kalt? Stirnrunzelnd sah Yugi an sich hinunter. Er war gut zugedeckt, eine Heizdecke lag über dem Federbett. Yugi wollte mit seiner rechten das  Bett zurückschlagen, doch auch diese Hand gehorchte ihm nicht. Statt dessen spürte er ein unangenehmes Ziehen in der Armbeuge. Yugi  verrenkte sich etwas den Hals, bis er einen dünnen, durchsichtigen Schlauch entdeckte, der unter der Decke hervorkam und in einem Beutel  endete. Darin war es dunkelrot, die Art, die Yugi schlecht werden ließ. Dann aber überkam eine dringendere Frage Yugis Ekel vor der fast leeren Blutkonserve. Warum verpaßte man ihm Blut? Und wessen Blut?  Wozu? Da sah Yugi, daß es aus dem Schlauch in die Konserve tropfte. Er bekam keine Transfusion, ihm wurde Blut abgenommen! Yugi schüttelte leicht den Kopf. Warum lag er in der Knutschbude und wurde auf medizinische Art um sein Blut erleichtert? Er hatte genug und schrie. "Atem! Atem, komm sofort her! Hol mich hier raus, verdammt!" Yugi keuchte. Nein, er würde sich nicht ausbluten lassen! Er würde nicht sterben heute!    Vor dem Fenster bewegte sich etwas, dann öffnete es sich und Atems besorgtes Gesicht tauchte auf. "Oh, du... bist wach?" "Allerdings." Yugi zog die Brauen zusammen. "Laß mich frei! Ich will nicht..." "Dir passiert nichts", versicherte Atem ihm.  "Du läßt mich ausbluten!" Atem schüttelte den Kopf. "Wir brauchen nur etwas deines Blutes. Danach kannst und sollst du gehen. Ich hatte gehofft, du würdest es einfach  verschlafen und morgen in deinem Bett aufwachen." Yugi starrte Atem an, bis der den Kopf einzog. "Aber... Ich dachte, ich sollte sterben!" "Ich schwöre dir, daß war nie unsere Absicht. Warte... Wer hat dir den Floh ins Ohr gesetzt?" Nun war es an Atem, düster dreinzublicken. Yugi schüttelte den Kopf. "Laut Ryou heißt er Rishid." "Es war auch Rishid?" Das Entsetzen und die Wut gleichermaßen überraschten Yugi. "Er wollte dir damit sagen, daß er dich tötet, wenn du  dich blicken läßt. Deshalb kam Ryou zu mir und wir vereinbarten, daß wir es aussehen lassen würden, als säßest du im Versteck. Es tut mir  leid, daß wir dich hintergangen haben, aber wir wollten dich beschützen." "Warum hat Ryou das getan? Warum wollen andere Vampire mich töten? Was soll das Ganze hier? Atem, wenn du mir die letzten Monate  nicht nur etwas vorgemacht hast, dann bitte erkläre es mir. Oder war alles für dich nur ein Spiel, um mich dort zu haben, wo du mich haben  willst?" Der Schock und die Trauer in Atems Augen schnitten tief in Yugis Herz. "Anfangs war es nur eins, das muß ich zugeben. Aber dann lernte ich  dich richtig kennen. Ich hätte dir nie diesen Ring geschenkt, wärest du nur ein Opfer." Es schmerzte und gleichzeitig fühlte es sich gut an. Doch so schnell war Yugis Skepsis nicht zerstreut. "Ich will die ganze Geschichte hören." "Sie ist ziemlich lang!" "Es ist nicht gerade so, als ob ich in der nächsten Zeit irgendwohin gehen könnte." Yugi hob eine Augenbraue und Atem hatte den Anstand,  verlegen auszusehen. "Kommst du rein?"  Atem nickte und vor Yugis Augen komprimierte er sich, bis er einfach durch das Fenster glitt wie ein seltsam gefärbter Bogen Papier.  Er nahm wieder normale Gestalt an. Es sah ein wenig so aus, als hätte man ihn ausgeschüttelt.  Es hätte Yugi mehr stören sollen, doch er fand keine Kraft mehr dafür. Er zog die Beine etwas an und Atem quetschte sich in die hinterste Ecke. Yugi sah erst jetzt, daß Atem eine Art roten Mantel trug, der locker um ihn hing. Der Stoff war mit goldenen Zeichen geschmückt und golden  glänzten auch Atems Finger und Handgelenke. Rubine blitzten auf den großen Ohrringen und aus Atems wilder Haarmähne erhoben sich  goldene Flügel, die auch mit wertvollen Steinen geschmückt waren. "Du siehst wirklich aus wie ein Pharao." Atem zuckte mit den Achseln. "Du wolltest meine Geschichte hören." Yugi nickte. "Na schön..." Atem leckte sich über die Lippen und seine  Augen verloren ihre Schärfe. "Ich war einst Pharao, das stimmt. Ich war siebzehn, als ich den Thron bestieg. Ich hatte das Glück, daß mein  Vater zu jenen gehörte, die einen starken Gerechtigkeitssinn, politisches und diplomatisches Geschick und Intelligenz in sich vereinten.  Obwohl ich mein ganzes Leben lang darauf vorbereitet worden war, einmal Kemets Herr in allen Belangen zu sein, war ich nur auf einem  Gebiet herausragend: Kriegsführung. Doch als ich Pharao wurde, gab es keine Schlacht mehr zu schlagen. Wir hatten bereits unsere  Nachbarn als unsere Verbündeten gewonnen oder sie zu Vasallenkönigreichen gemacht. Ich gebe zu, ich war gelangweilt und da unsere  Kornspeicher voll und jede Nilschwemme gut war, gab es wenig für mich zu tun, das mich forderte. Ich vertrieb mir meine Zeit auf der Jagd,  auf Festen und mit jedem, der mir gefiel, Mann oder Frau." Er lachte bitter auf. "Bis ich diese eine Frau traf. Sie hieß Mutemwia, Tochter eines  Gaufürsten. Sie kam an den Hof, um den letzten Schliff zu erhalten und einen möglichst reichen und einflußreichen Mann zu heiraten.  Sie fiel mir ins Auge, denn sie war so schön wie ehrgeizig. Lange, schwarze Haare, volle Lippen, Katzenaugen, lange Beine... Ich wollte  sie besitzen und sie lud mich nur zu bereitwillig in ihr Schlafgemach ein. Ich besuchte sie einige Monate lang wöchentlich zwei- oder dreimal,  doch nach einer Weile fing auch sie an, mich zu langweilen. Ich wandte mich anderen zu, meinem Harem, meinen Gemahlinnen, einigen  Dienerinnen. Doch dann kam Mutemwia eines Tages zu mir und verkündete, ein Kind zu tragen und sagte, es sei auch das meine. Bis zu  diesem Zeitpunkt hatte ich nur einige Töchter gezeugt... Was?" "Du... Du hast Kinder... Ja, aber..." Yugi schüttelte den Kopf. Atem sah noch so jung aus! "Ich war fünfzehn, als das erste geboren wurde. Damals war das normal. Wie dem auch sei, mir fehlte ein Sohn, ein Thronfolger. Und  Mutemwia behauptete, ein Kind von mir empfangen zu haben. Ich war vielleicht gelangweilt, aber nicht naiv. Ich vermutete, sie wollte meine  Gunst mit allen Mitteln zurückgewinnen, auch mit einem Kind, das in Wahrheit nicht das meine war. Und wäre es ein Sohn, wäre sie fürs Leben  nicht nur versorgt gewesen, sondern hätte als Mutter des zukünftigen Königs eine nicht zu unterschätzende Macht erlangt. Ich war skeptisch  und verbarg das auch nicht. Ich ließ Mutemwia gut versorgen, doch ich wollte dieses Kind sehen, bevor ich es annehmen oder ablehnen würde."  Atem seufzte und fuhr sich durchs Haar, vorsichtig, um den Schmuck nicht zu verschieben. "Sie gebar einen Sohn, gesund und kräftig." "Und?" Gespannt hing Yugi an Atems Lippen. Atem machte ein abwertendes Geräusch. "Ich konnte keine Entscheidung treffen. Zuerst fand ich, daß er mir ähnlich sah, dann wieder nicht.  Dann erschienen mir seine Gesichtszüge wie die meines Vaters und dann wieder nicht. Ich schob die Entscheidung auf, bis er älter sein  würde. Mutemwia hingegen war erbost, daß ich ihr und dem Jungen so wenig Beachtung schenkte. Ich zweifelte an ihr. An ihrer Aufrichtigkeit."  Atem schwieg. Er sah aus, als sei er Äonen weit weg, in einer anderen Welt, die Yugi sich nur ansatzweise vorstellen konnte. "Es verging ein Jahr. Sie bekniete mich, ich versuchte, ihr zu entgehen. Ich wollte nicht ständig von meinem angeblichen Sohn hören.  Eines Tages stritten wir uns furchtbar. So sehr, daß ich erzürnt davonstürmte und Ablenkung in der Jagd suchte. Ich trieb die Jagdhelfer und  meine Begleiter an und als wir zurückkehrten, hatten wir soviele Gänse und Enten geschossen, daß der gesamte Palast mehrere Tage davon  zehren konnte. Doch ich hatte keinen Hunger und wollte mich zurückziehen. Dabei kam ich an Mutemwias Gemächern vorbei. Ich hörte  ihre Stimme und die eines Mannes." Atems Augen verdunkelten sich und seine Lippen formten ein umgedrehtes U. "Ich stürmte hinein.  Sie umarmte diesen Fremden. Die beiden starrten mich an. So voller Angst und Schrecken... Ich verstand erst warum, nachdem ich mit  meinem Jagdmesser ihre Kehlen aufgeschlitzt hatte." "Was?" Es war nur ein Hauch, doch Atem zuckte zusammen. Hastig fuhr er fort: "Ich war so wütend, so enttäuscht... Mir wurde klar, daß ich mir wirklich gewünscht hatte, dieser Junge sei mein Sohn!  Doch ich sah mich betrogen und belogen, wie ich es von Anfang an befürchtet hatte. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, daß Mutemwia  in das Reich der Götter einging, daß ihr heuchlerisches Herz die Waage des Anubis mit seiner bloßen Existenz beleidigte." Er schluckte hart  und verbarg das Gesicht hinter seinen braunen, kräftigen Armen. "Ich nahm das Messer und schnitt ihr das Herz aus der Brust! Und mein Wahnsinn fand seine Vollendung, denn ich beschloß, daß ich Ammit  es ersparen würde, dieses verdorbene Fleisch auch nur riechen zu müssen." Yugis Augen weiteten sich, als ihm klar wurde, worauf Atem hinauswollte. "Du hast doch nicht wirklich..." "Kaum schmeckte ich es auf meiner Zunge, da spie ich es aus und alles, was ich an dem Tage gegessen hatte." Atem zitterte, als wäre ihm  noch immer übel. "Ich sah, was ich getan hatte. Ich hatte zwei Menschen getötet, ohne auch nur darüber nachzudenken, und ich hatte einen  Toten auf furchtbare Weise geschändet, anstatt seinen Leib den Balsamierern zu übergeben." "Das... Das ist ja... Was hast du nur getan?" Yugi fühlte Abscheu und Trauer, aber seine Kehle wurde ihm eng wegen dem, was er für Atem  empfand. "Das habe ich mich auch gefragt. Ich war ein Gott auf Erden, doch mein Vater hätte nie solches Verhalten geduldet. Er hatte mich nicht erzogen,  damit ich Beute meiner schlechten Eigenschaften wurde. Und doch war es geschehen... Ich versuchte, die Sache zu vertuschen. Ich hatte  schließlich die Macht dazu. Doch ich konnte Mutemwias Vater nur mehr schwer in die Augen sehen, denn wie es sich herausstellte, hatte ich  ihm nicht nur die Tochter, sondern auch den Sohn genommen. Ja, der Mann, den ich für ihren Liebhaber hielt, war ihr Bruder. Und ein halbes  Jahr später konnte ich nicht mehr leugnen, daß ich Mutemwia zu unrecht der Lüge und des Betrugs bezichtigt hatte." Atem faßte sich  bezeichnend in die Haare. "Ihr Sohn bekam mein Haar. Er war auch der meine. So ehrgeizig Mutemwia auch gewesen war, sie hatte mich nicht  angelogen. Doch ich hatte gelogen, um die Wahrheit über ihren Tod zu verbergen. Doch dafür mußte ich mich auf viel zuviele Leute verlassen.  Diener, Balsamierer, einige Berater... Einer von ihnen mußte mich verraten haben." "Oh... Du hättest wohl besser ihr vertraut." Atem nickte mit einem kleinen Lächeln. "Ich hätte ihr so vertrauen sollen wie dir." Yugi spürte einen Stich im Herzen, tief und gnadenlos. Er schluckte und leckte sich die Lippen. "Hast du Durst?" Atem beugte sich etwas vor und zog einen Plastikbecher mit Strohhalm, den Yugi bisher nicht gesehen hatte, zu dessen  Lippen. Yugi trank gehorsam ein paar Schlucke, doch es war nicht Durst, der ihn quälte. "Danke. Wie ging es weiter?" "Der Gaufürst war ein gerissener und einflußreicher Mann. Er hatte die Macht, im ganzen Lande zu verbreiten, daß ich Set mehr huldigte als  Horus. Daß ich das Land über kurz oder lang ins Verderben stürzen würde, daß die Götter sich von mir abgewandt hatten. Und das letzte  war keine Erfindung. Nach meiner Schandtat fiel die Nilschwemme sehr schlecht aus und Heuschrecken fielen in Kemet ein und dezimierten  die Kornvorräte um ein Vielfaches. Dazu kam, daß einige kleinere Vasallenstaaten langsam unruhig wurden, denn sie rochen unsere  Schwäche und das Wiedererstarken Syriens und Babyloniens." Atem seufzte. "Kriege schreckten mich nicht, aber ohne Vorräte, ohne Saatgut  konnten wir keinen durchhalten. Das wußte auch das Volk. Also revoltierte es. Mutemwias Vater führte es an. Sie erstürmten den Palast.  Viele starben, noch mehr flohen. Ich hingegen geriet in die Fänge des Gaufürsten. Was ich nicht gewußt hatte, war, daß er selbst ein schwarzer  Hexer war. Er war unglaublich mächtig und ebenso zornig. Für den Tod seiner Kinder sollte ich in alle Ewigkeit gestraft sein. Niemals sollten  mein Leib und meine Seele Ruhe finden, mein Ba für immer an meinen Leib gefesselt sein, mein Herz für immer in totem Fleisch gefangen.  Er badete mich im Blut derer, die versucht hatten, mich zu verteidigen."  Atem sah Yugi an und seine Augen waren verschleiert durch das Wasser.  "Doch der Fluch hatte auch Nebenwirkungen. Ich konnte meine Fesseln sprengen, plötzlich war ich schneller als der Wind. Doch ich dachte  nur noch an Blut und Tod. Daran, zu trinken. Ich riß dem Gaufürsten die Kehle auf und soff sein Blut. Mein Cousin Seth stürzte herein,  irgendwie hatte er es, wenn auch schwer verwundet, zu mir geschafft. Aber ich erkannte ihn nicht. Ich sprang ihn an, wir kämpften. Ich tötete  ihn, doch er stand wieder auf. Mein Blut muß während des Kampfes in seinen Körper gelangt sein." Yugi merkte erst, daß er die Luft angehalten hatte, als er nach dieser schnappte. "Dein Cousin? Aber ich dachte, er sei ein Kaiba?" "Ja und Nein. Sagen wir, es kam uns zu Ohren, daß die Kaibas für ihren ältesten Adoptivsohn einen Doppelgänger suchten. Set sah Seto  wie aus dem Gesicht geschnitten aus. Während Seto sich irgendwo in der Karibik noch immer von den Folgen eines wirklich bösen  Nervenleidens erholt, agiert Set als sein öffentliches Double. Image geht den Kaibas über alles." "Wow! So also kommt ihr an das Geld für die Schule!" "Unter anderem." "Noch eine Frage: Warum bist du braun, die anderen aber nicht?" Dieses Rätsel hatte Yugi lange genug geplagt. "Alle werden blaß nach der Verwandlung. Nur ich nicht. Das liegt wohl daran, daß ich durch den Fluch direkt erschaffen wurde", erklärte  Atem und strich über das wertvolle Gewand. "Ich bin auch sonst etwas anderes als alle meine vampirischen Nachkommen." "Warte. Heißt das, du bist der allererste Vampir? Vor dir gab es keinen anderen?" Yugi mußte schlucken. "Und heute ist dein Todestag?" "Das stimmt alles." "Was geschah nach deiner Verwandlung?" kam Yugi auf die ursprüngliche Geschichte zurück. Das mußte er erst mal verdauen. "Wir flohen aus dem Palast. Vielleicht ein letzter Teil unserer Menschlichkeit. Danach war es damit für eine lange Zeit vorbei. Wir zogen durch  Ägypten, durch die angrenzenden Reiche. Wohin wir gingen, wir brachten den Menschen Tod und Zerstörung. Alt, jung, Mann, Frau...  Wir machten vor nichts Halt und legten ganze Städte in Schutt und Asche. Ich bemerkte, daß ich Set kontrollieren konnte, so erschuf ich  weitere wie ihn. Eine kleine Armee, die allein mir treuergeben war und auf jedes meiner Worte hörte. Doch schnell erschufen diese auch  Kinder, die ich nicht beeinflußen konnte. Außerdem mußte ich eine gewisse Nähe aufrechterhalten, um ihnen meinen Willen aufzuzwingen.  Doch es wurden zuviele und die ursprüngliche Gruppe Vampire wurde zerschlagen. Neue Gruppen bildeten sich, jede mit ihrem eigenen  Anführer. Sie kämpften gegen andere Gruppen und trachteten dem eigenen Gruppenführer nach dem Leben, um seinen Platz einzunehmen.  Jahrelang war ich nicht mehr als ein wildes Tier, das nur seinen Instinkten folgte. Doch irgendwann setzte Müdigkeit ein, Abscheu und die  Sehnsucht nach mehr. Set erging es ähnlich. Wir fingen an, wieder menschliche Gefühle zu entwickeln. Mitleid, Trauer, Selbsthaß..." Yugi hätte sich am liebsten aufgesetzt und Atem umarmt, bei dessen niedergeschlagenem Blick, der von einer Dimension des Leids und  der Einsamkeit erzählte, die Yugi sich nicht vorstellen konnte. "Wir kehrten zurück nach Waset... Theben also. Inzwischen war Mutemwias und mein Sohn ein erwachsener Mann geworden und regierte  als Pharao Kemet. Dem Land ging es wieder gut und was einst geschehen war, war nicht mehr als ein Gruselmärchen, um Kinder zu  erschrecken. Er hatte meine jüngste Schwester und einige meiner Töchter geheiratet." Yugi schüttelte den Kopf. "Irgendwie hört sich das wirklich furchtbar an." "Es waren andere Zeiten und über die Gefahren wußte man damals nichts. Wie dem auch sei, ich erfuhr in der Stadt, daß Mai nach einer  komplizierten Geburt ihr Kind verloren hatte und selbst mit dem Tode rang." "Laß mich raten: Du hast ihr dasselbe Angebot wie Anzu gemacht?" Atem hob eine Augenbraue und Yugi lächelte verlegen. "Ja." "Und Bakura?" "Ich erwischte ihn, als er versuchte, einige Gräber auszurauben. Er haßt mich noch immer deshalb, aber andererseits konnte er so daran  arbeiten, daß sein Herz eines Tages die Anubis-Waage heil übersteht." Atem grinste schief. Yugi mußte lachen. "Abenteuerlich. Und traurig. Aber was hat es mit diesem Ritual auf sich?" Atems Miene wurde entschlossen. "Damit will ich meinen Fehler wieder gut machen. Ich werde alle meine Nachkommen in Menschen  zurückverwandeln."  Yugi starrte ihn an. Er konnte seine Gedanken kaum fassen, als er plötzlich klar sah."Hast du Anzu deshalb verwandelt?" "So ist es. Ich wollte nicht, daß sie sterben muß, schon gar nicht so kurz vor dem Rekeh-wer-Ritual. Ich hoffe, sie wird mir eines Tages  verzeihen." "Und du brauchst mein Blut für das Ritual, aber nicht mein Leben. Aber andere wollen mich töten, weil sie Vampire bleiben wollen. Sehe ich  das richtig?" Aufmerksam blickte Yugi in Atems warme Augen. "Richtig. Rishid ist Diener eines gewissen Marik, der sein kleines, tyrannisches Reich als einer der Gruppenführer aufgebaut hat und der  deshalb nicht mehr auf seine übernatürlichen Kräfte verzichten will. Sie sind bestrebt, jeden zu töten, der das Opferblut stellen kann." Atem  rutschte etwas vor und ließ seine Hand unter die Decke gleiten. Sacht strich er über Yugis. "Ein Freund von mir fand heraus, wie der Bann  zu brechen war. Er war schon immer ein großartiger Zauberer. Als alter Mann spürte er mich auf und gab mir seine Aufzeichnungen. Damals  hatte ich noch keinen Grund, Marik zu mißtrauen, also war er dabei, als Mahaad uns erklärte, wie der Bann zu brechen sei." "Also ist er fast so alt wie du. Sag, wie wird der Bann gebrochen?" "Durch "das Blut des königlichen Ebenbildes, welches reinen Herzens ist, welches das Herz des Königs reinwäscht". Du wirst mein Herz von  all meinen Sünden befreien und dann wird der Fluch sich lösen." Atem lächelte. "Zuerst tat ich wirklich nur so, als sei ich interessiert an dir.  Ich wollte die Nähe nicht ernsthaft zulassen, doch deine Gesellschaft hat mich verzaubert. Kein anderer war je so wie du. Kein anderer hat  so für mich gefühlt. Dich zu beschützen wurde bald zu meinem Vergnügen." Er nahm Yugis Hand in die seine. "Versprich mir, daß du mich  nicht vergißt. Bitte, Yugi." "Warum sollte ich dich denn vergessen?" Yugi wurde plötzlich kalt und übel. Er spürte, daß Atem ihm noch nicht alles gesagt hatte.  Atems Gesicht war sanft, doch reuevoll. "Dein Blut muß an mein Herz gelangen. Also werden sie es mir aus der Brust schneiden." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)