Ore wa hitori von KyokoUchiha ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Der feine Strahl aus dem Duschkopf traf ihn am Hinterkopf, glitt an seinem Rücken hinunter, durchnässte seine Badehose erneut und kitzelte seine Zehen. Der Griff vom Hahn war Richtung kalt gedreht - er hatte keine Sekunde gezögert. Er brauchte die Kälte, sie dämpfte seinen Schmerz, ließ ihn ertauben. Sein gesamter Körper war mittlerweile gefühllos von der Kälte. Doch für ihn war es nicht genug. Er würde erst gehen, wenn er den Schmerz völlig verdrängt hätte. Haru wandte den Kopf nach oben und reckte sein Gesicht dem Strahl entgegen. Seine Augen zu Schlitzen geöffnet, starrte er hoch. Er konnte Rins Gestalt nicht aus seinem Kopf bekommen, die Worte nicht mehr aus seinen Gedanken verbannen. Ich werde nie wieder mit dir schwimmen! Diese Worte verfolgten ihn ohne Unterlass. Es gab keine freie Minute, in der er nicht von seinen Schmerzen geplagt wurde. Er gab sich selbst dafür die Schuld. Er wusste genau, wie viel es für Rin bedeutete zu siegen. Der Beste zu sein, besser als Haru zu sein. Doch er hatte immer behauptet, dass er nicht wegen eines Sieges schwimme. Wenn er früher Rins Willen nachgegeben hätte, ihn damals schon hätte gewinnen lassen, wäre es heute vielleicht nicht zu so einer Wendung gekommen. Vielleicht wäre Rin nicht so versessen auf den Sieg über ihn gewesen. Und vielleicht hätte er ihn nicht so von sich gestoßen. Dann würde Haru nicht hier unter dem eiskalten Wasser stehen, sondern würde draußen auf der Tribüne seine Freunde anfeuern. Ein Wunschdenken … denn im Grunde hatte er dies doch verdient. . . . „Verdammte Scheiße!“ Die Unterseite seiner Faust kollidierte seitlich mit einem harten Aufprall gegen die Kacheln an der Wand. Der darauf folgende Schmerz war nichts verglichen zu dem pochenden in seiner linken Wange. Makoto besaß einen passablen rechten Hacken. Er würde Eis drauflegen müssen, damit es keine allzu große Schwellung gab. Rin fuhr sich mit der anderen Hand durch seine rote Mähne. Eis gab es nur bei den Sanitätern. Wenn er dorthin ginge, würde man unweigerlich Fragen stellen und seiner Mannschaft bescheid geben. Was wiederum noch mehr Fragen bedeuten würde und am Ende noch Ärger für Iwatobis Team nach sich zöge. Immerhin herrschte eine strenge Intoleranz gegenüber jedweder Gewalt. Ihm blieb also nur das kalte Wasser in den Duschen übrig. Er hatte wirklich keine Lust seinen Kopf in eines der Waschbecken zu stecken. Nach der ganzen Aktion hatte er sowieso versäumt sich abzuduschen. . . . Er wusste nicht, wie lange er schon unter der Dusche stand, das Zeitgefühl war ihm hier abhanden gekommen. Und anscheinend vermissten die anderen ihn nicht oder sie hatten entschieden, ihn allein zu lassen. Das war ihm ganz recht so. Er konnte jetzt nichts mit Nagisas Aufmunterungsversuchen anfangen. Wollte nichts von Reis Gerede über die Schönheit seines Schwimmstils hören. Konnte nicht in Makotos Augen sehen. Er wusste, was er dort finden würde: Mitgefühl, Verständnis, Liebe. Das brauchte er jetzt ganz sicher nicht. Er wollte noch nie so allein sein, wie jetzt. Einsamkeit war leise. Ließ ihn nachdenken. Aber schmerzte auch. Unheimlich. . . . Nachdem er ein frisches Handtuch, Unterwäsche und sein Duschzeug aus seiner Sporttasche geholt hatte, ging er hinüber zu den Gemeinschaftsduschen. Rin war es zwar gewohnt, sich mit anderen die Duschen zu teilen, was aber nicht hieß, dass er es nicht bevorzugte, allein zu sein. Schließlich konnte er getrost auf den Anblick eines nackten Mannes verzichten. Sobald er die Duschräume betreten hatte, hörte er auch schon das Rauschen von Wasser. Er hatte also wiedermal kein Glück. Na was soll’s, dachte er sich, legte Handtuch und Shorts auf den kleinen Tisch im Vorraum ab und begann, sich zu entkleiden. Seine Kleidung legte er in eines der Körbchen und stellte es ins Regal. Das Handtuch in der einen und Shampoo und Duschgel in der anderen ging er zu einer der Kabinen, nicht zu nah an der bereits benutzen. Das Handtuch legte er über den Kabinenrand und die Utensilien stellte er auf den Boden ab. Zunächst stellte er das Wasser auf lauwarm, um die Temperatur dann langsam zu senken. Er wollte nicht sofort unter eiskaltem Wasser stehen. Nachdem sich sein Körper an die niedrige Temperatur gewöhnt hatte, reckte er seine linke Wange dem Strahl entgegen. Er zog scharf die Luft ein. Es tat schon weh, er wollte gar nicht erst in den Spiegel gucken. Wahrscheinlich verfärbte sich die Haut schon. Spätestens morgen würde er sich allerlei Fragen anhören müssen. Gar nicht auszudenken, was Mikoshiba dazu sagen würde. Rin stöhnte genervt und streifte sich die nassen Strähnen aus dem Gesicht. . . . Am Rande seines Bewusstseins nahm Haru wahr, dass er nicht mehr allein war. Jemand hatte die Duschräume betreten und war einige Kabinen entfernt. Wenigstens respektierte die Person Privatsphäre. Am liebsten hätte er dem Typen gesagt, dass er verschwinden solle, aber das konnte er schlecht in einer öffentlichen Dusche verlangen. Er sehnte sich nach der Ungestörtheit seines Badezimmers. Harus Gedanken schweiften wieder zu der Szene nach dem Wettschwimmen. Rins Gestalt über sich, Triumph und Leidenschaft hatten in seinen rubinroten Augen gefunkelt. Haru mochte diese Augen schon seit ihrem ersten Treffen. Es loderte immer ein Feuer in ihnen, wenn es um ein Wettschwimmen ging. Insgeheim wünschte er sich, dass sie auch einmal für ihn selbst brennen würden, nicht nur für den Sieg über ihn. Er hatte immer geglaubt, wenn Rin ihn besiegen würde, würde er endlich frei sein. Doch das stimmte nicht, das wusste er nun. Schwimmen bedeutete nichts ohne Rin. Er war nichts ohne Rin. Er konnte nicht mehr ohne ihn leben. Und er hatte vier Jahre gebraucht, um es sich einzugestehen. . . . Rins Hände fuhren durch seine nasse Mähne, als er den Rest des Shampoos aus seinen Haaren spülte. Seine Konzentration lag auf seinen Bewegungen, er wollte nicht aus Versehen seine schmerzende Wange berühren. Deswegen zuckte er auch leicht zusammen, als plötzlich ein unerträgliches Quietschen nicht weit entfernt ertönte. Es kam aus der Richtung, aus der das andere Wasserrauschen drang. Zuerst wollte Rin es einfach ignorieren, aber dann befürchtete er doch etwas Schlimmes. Seufzend stellte er das Wasser ab, nahm sein Handtuch, um es sich um die Hüften zu schlingen, und tapste vorsichtig zur hinteren Kabine. Bevor er um die Ecke lugte, räusperte er sich laut. „Entschuldigung, aber ist alles in Ordnung bei dir?“ Als er nach ein paar Sekunden keine Antwort bekam, schluckte er und schaute hinter die Trennwand. Überrascht schnappte er nach Luft. Er hatte wirklich mit allem gerechnet, aber nicht mit Haru, der gekrümmt auf dem Boden hockte - die Hände an die Wand gedrückt. Das musste wohl das Quietschen verursacht haben. „Haru?“ Es dauerte einige Sekunden bis Haru seinen Kopf drehte und ihn über seine Schulter hinweg ansah. Was zur Hölle?, dachte er entsetzt, als er Harus blasse Haut und dunkelblaue Lippen sah. Seine Augen waren glasig und gerötet, doch er konnte nicht erkennen, ob er weinte, da das Wasser unentwegt auf ihn herab prasselte. Ein Blick Richtung Hahn bestätigte seine Vermutung, dass das Wasser eiskalt sein musste. „Rin?“, kam die leise Stimme des Schwarzhaarigen. Sie klang deprimiert, hoffnungslos. Rin biss sich auf die Unterlippe. „Ach, verdammt, Haru!“ Er griff nach Harus Arm, um ihn auf die Beine zu ziehen. Die andere Hand wanderte zum Hahn und drehte auf warm. Dann drehte er den anderen um, legte eine Hand an seinen Hinterkopf und zog ihn mitsamt seinem Körper an sich. Sofort breitete sich eine Gänsehaut auf seinem Körper aus. Haru war so eiskalt. Wie lange hat er unter dem Wasser gestanden? Er muss doch unterkühlt sein. Obwohl es ihm zuwider war, machte er sich Sorgen. Er hatte sich nach dem Wettschwimmen vorgenommen, sich nicht mehr mit Haru abzugeben. Aber hier stand er nun, unter der Dusche, Brust an Brust mit Haru, nur ein Handtuch um die Hüften geschlungen. Und Haru hatte natürlich wie immer seine Badehose an. Entnervt strich er sich über seine nassen Haare, seine andere Hand war noch immer in Harus Mähne vergraben. Rin stellte das Wasser eine Stufe wärmer und strich mit der freien Hand über den Rücken des anderen. Er fühlte sich nicht mehr so bitterkalt an. „Oi, Haru“, seine Lippen lagen an Harus Ohr, weswegen er nur zu flüstern brauchte, „geht es dir besser?“ Haru gab keine Antwort von sich, doch Rin konnte spüren, wie sich seine Hände auf seine Hüften legten und beide Körper noch enger aneinander pressten. Er spürte Harus Atem an seinem Schlüsselbein, seine Hände auf seiner nackten Haut. Diesmal bescherte es ihm eine Gänsehaut der anderen Art. Zu nah, er ist zu nah! Die Röte stieg ihm ins Gesicht. Harus Hände hatten begonnen, seinen Rücken hinauf zu wandern. Und es lag deutlich mehr in der Berührung als bloße Freundschaft. Es hatte etwas sinnliches, wie seine Hände über seine Muskeln strichen. „H-haru!“ Das war genug für ihn. Sollte er doch unterkühlt bleiben, ihm reichte es! Seine Hand verschwand aus den schwarzen Haaren und legte sich auf die Schulter, um ihn von sich zu stoßen, als er plötzlich eine Hand an seinem Hinterkopf spürte. Bevor er reagieren konnte, hatte Haru seinen Kopf zu sich nach unten gedrückt und seine Lippen auf Rins gepresst. Geschockt riss der Rothaarige seine Augen auf. Er träumte - verdammt das musste ein Traum sein! Er konnte doch nicht wirklich gerade von Haru geküsst werden - das war sein erster Kuss. Seine Hand erfasste Harus Schulter, seine immer noch kalte Schulter. Doch Rin konnte sich nicht bewegen. Seine Lippen prickelten von der Berührung. Obwohl die Lippen des anderen kalt und aufgequollen waren, bescherte der Kuss ihm einen warmen Schauer über den Rücken. Harus Hand verschwand aus seiner Mähne und begann über seine Brust zu streicheln. Rin unterdrückte ein Stöhnen. Er wusste selbst nicht, warum er dies zuließ, aber Harus Anziehungskraft war stark - war es schon immer gewesen. Plötzlich spürte er etwas feuchtes an seinen Lippen. Harus Zunge. Ein dumpfer Klatscher durchbrach neben dem Wasserrauschen die Stille, als Harus Kopf gegen die Wand schlug. Rin hatte den Schwarzhaarigen auf Armeslänge von sich gedrückt, seine Finger krallten sich dabei in die Schultern des anderen. Er hatte jedoch zu spät begriffen, dass es viel zu wenig Platz gegeben hatte, um genügend Abstand zu erhalten. Seine Augen wanderten über das Gesicht des anderen, suchten nach Anzeichen von Schmerz. Doch alles, was er fand, war ein glasiger Blick aus funkelnden blauen Augen. Seine Zähne rieben über seine Unterlippe, während er über das Geschehene nachdachte. Er wusste, wenn er jetzt nicht Klartext redete, Haru begreiflich machte, dass er nicht mehr mit ihm zu tun haben wollte, dann würde er nie von ihm loskommen. Er kannte seine Gefühle, wusste seit dem Tag, als er zum ersten Mal mit ihm in einem Staffelschwimmen geschwommen war, dass er nicht ohne ihn an seiner Seite leben wollte. Doch er fürchtete diese Gefühle auch. Sie machten ihn schwach. Wie konnte er den Traum seinen Vaters erfüllen, wenn seine Gedanken um den Schwarzhaarigen kreisten. Aber er wusste auch, dass er Haru in seinem Leben brauchte. Er hatte nicht vergessen, wie einsam er sich in Australien gefühlt hatte. Als hätte etwas gefehlt. Seine Augen wanderten über das Gesicht des anderen. Das schwarze Haar, die blauen Augen, den leicht verzogenen Mund, der nie lächelte - das alles hatte er vermisst. Aber besonders hatte ihm das Funkeln in Harus Augen gefehlt, welches nur in Anwesenheit von Wasser erschien. Wie sehr wünschte er sich, dass Haru ihm einmal so einen Blick schenken würde. „Haru …“ Er trat einen Schritt nach vorn, senkte seinen Kopf und legte seine Stirn an die des anderen. „Es tut mir leid. So leid.“ Die Augenlider geschlossen, spürte er, wie Harus Nasenspitze an seiner rieb. Langsam öffnete er wieder die Augen. Ihre Blicke trafen sich und Rin versank in den Tiefen dieser Augen. Er hatte sie schon immer für wunderschön gehalten. Diesmal ergriff Rin die Initiative und zog Haru in einen Kuss hinein. Und als er jetzt seine Zunge spürte, schreckte er nicht zurück, sondern drückte mit seiner eigenen dagegen. Er wusste nicht, was dies für ihre Beziehung bedeutete, aber er würde sicherlich nicht wieder davon laufen. . . . Er konnte gar nicht beschreiben, wie er empfand. Jedenfalls fühlte er sich nicht mehr verloren, allein. Jetzt wusste er, wohin er gehörte, was er für ein Ziel hatte. Für wen er schwamm. Diesmal würde er alles dran setzen, Rin nicht wieder zu verlieren. - FIN - Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)