Film Noir von MadameFleurie (Don't fear the reaper... (Bakura x Ryou)) ================================================================================ Kapitel 1: Eine Begegnung von Bedeutung. Teil1. ----------------------------------------------- All our times have come Here, but now there, gone Seasons don't fear the reaper Nor do the wind, the sun or the rain (We can be like they are)   Come on baby (Don't fear the reaper) Baby take my hand (Don't fear the reaper) We'll be able to fly ... (Blue Öyster Cult - Don't fear the reaper)   Es war der 5. November 1991. Immer wieder sog Ryou die bitterkalte Luft in die Lungen. Langsam, kontrolliert und gefasst. Ein. Aus. Ein. Aus. Er hatte sich unter Kontrolle. Komm schon, alter Knabe, gleich hast du es geschafft. Verlier jetzt nicht die Nerven, hörst du? Es war kalt geworden in den letzten zwei Tagen. Die Temperatur war um fast fünzehn Grad gefallen und lag nun tief unter null. Der Winter war eingebrochen über Domino-Shi, und laut der Prognose der Meteorologen schien es ein langer zu werden. Ryou zog den dunkelblauen Schal, den seine Großmutter einst für ihn gestrickt hatte, ein wenig höher und zupfte die gleichfarbige Mütze tiefer ins Gesicht. Bei jedem Schritt stieg sein Atem in Form winziger Wölkchen vor ihm auf. Sie hingen ein wenig in der Luft, bevor sie sich lautlos in rabenschwarzes Nichts auflösten. An den Stellen, wo sie den Schal berührten, überlebten sie in Form eisiger Kristalle, die im Schein der Lampe unscheinbar funkelten, wie ein Diamant, den man zu schleifen vergessen hatte. Mit schnellen Schritten, ohne sich umzusehen, durchquerte er die menschenleeren Straßen, so tief in seine Jacke versunken, wie es nur irgendwie möglich war. Ein wenig schneller nur, und er würde rennen. Ryou wirkte wie ein Getriebener auf der Flucht vor einem unsichtbaren Jäger. Er seufzte leise und fuhr sich mit dem Handrücken durch das Gesicht. Dicke, weiße Schneeflocken fielen aus dem großen, dunklen Himmel gen Boden, brachen sich im grellen Licht der Straßenlampen und verfingen sich in seinen farblosen, langen Haaren, die funkelten wie die gefrorenen Stellen seines Schals. Während sie schmolzen, brannten sie auf den rosa angelaufenen Wangen, ganz so, als würden sie es nicht ertragen, klanglos von dieser Erde zu verschwinden, so kurz ihre Existenz auch angedauert haben mochte. Gedankenverloren wischte er sie fort. Dann vergrub er die in Fäustlinge gepackten Hände noch tiefer in die gefütterten Taschen seines Parkas. Abrupt kam er zum Stehen, die haselnussbraunen Augen vor lauter Wachsamkeit ganz groß. Angespannt hielt er die Luft an. Hatte da etwas geknackt? War da jemand? Unsicher schielte er aus den Augenwinkeln in alle Richtungen. Das Herz hämmerte wie wild in seiner Brust. Verlier jetzt bloß nicht die Nerven, hörst du? Eine weiche, helle Stimme flüsterte in seinen Gedanken. Es war seine eigene. Langsam wandte er sich um und zuckte zusammen. Auf dem Fensterbrett eines wenige Meter entfernten Kiosks saß eine dürre, schwarze Katze und blitzte ihn aus grellen Augen an. Als sie registrierte, dass Ryou sie bemerkt hatte, verharrte sie für einige Sekunden, dann sprang sie lautlos davon. Ein kleiner Metallnapf, in dem ihr irgendwer ein wenig Milch bereitgestellt hatte, fiel klirrend zu Boden. Entnervt schloss Ryou die Augen. Wie hasste er den nächtlichen Weg von der städtischen Bibliothek zurück zum väterlichen Haus. Seit Beginn der Wirtschaftskrise war dies keine Gegend mehr, die man bei Nacht unbedingt passieren sollte. Zwielichtige Gestalten kreuzten die Gassen, Drogendealer, Alkoholiker. Oder aber Menschen, die normal wirkten, die aber, wenn Ryou seinem Bauchgefühl Glauben schenken durfte, ihr Geld mit Mitteln verdienten, von denen er lieber nichts wissen wollte. Wenn sein Vater wüsste, wie es hier inzwischen zuging - er hätte sicherlich längst verlangt, fortzuziehen. Aber es war ihr Zuhause, sein Vater war ständig auf Reisen, und das Haus die letzte verbliebene Erinnerung an eine glücklichere Vergangenheit. Leer, wie es war, wirkte es bei Nacht fast gespenstisch, aber Ryou hatte sich längst daran gewöhnt. Nur dieser elend lange Weg von der Endstation der Straßenbahn zurück zur Haustür setzte ihm zu. Die Stimme in seinem Kopf meldete sich zurück. Diesmal klang sie vorwurfsvoll. Stell dich nicht so an, flüsterte sie. Hättest du die Aufnahmeprüfung für die Universität damals nicht versemmelt, dann müsstest du nicht durch Schnee und Eis nach Hause stapfen. Du müsstest nicht jeden Tag in der Bibliothek sitzen und dir Dinge in den Schädel prügeln, die du längst beherrschst. Sein Schritt verlangsamte sich und er ließ den Blick über den Boden streifen. In seinem Magen hatte sich ein schwerer Kloß gebildet. Niemand konnte erklären, woran es damals gelegen hatte, am wenigsten er selbst. Er war immer derjenige mit den exzellenten Noten gewesen, hatte seinen Mitschülern morgens vor der ersten Stunde die Hausaufgaben in die Hand gedrückt, wenn diese sie aus mangelndem Wissen oder Faulheit nicht selbst erledigt hatten. Nun war er nichts weiter als ein Rounin, jemand, der ein weiteres Jahr lernen und dann die Aufnahmeprüfungen noch einmal auf sich nehmen musste. Jemand, der hier im Schnee stand, allein und durchgefroren. Ein Versager auf ganzer Linie. Ryou nahm einen tiefen Atemzug und blieb stehen. Als das Knirschen seiner Schritte im Schnee verstummte, kroch die Stille in ihn hinein wie dicker, undurchsichtiger Nebel und offenbarte ihm ohne Scham seine eigene Schutzlosigkeit. Still ließ er den Blick umherschweifen und betrachtete das hölzerne Schild, dass sich vor ihm auftat. Friedenspark Domino. Eingang. Ballspielen verboten. Hunde müssen angeleint bleiben. Dahinter tat sich ein schwarzer Abgrund auf, hier und da von einigen Straßenlampen durchsetzt, die dumpfes, orangegelbes Licht spendeten. Seit einigen unerfreulichen Begegnungen auf seinem üblichen Nachhauseweg war er dazu übergegangen, den etwas längeren Weg durch den Park zu nehmen. Die Stille und die Dunkelheit setzten ihm zu, merkwürdigerweise war es dort jedoch meist menschenleer. Ryou schmunzelte schwach. Vermutlich war dieser Ort selbst den hartgesottensten Yakuza zu unheimlich. Er zog die Kapuze seines Parkas über die blaue Strickmütze und schloss die Jacke bis zum Anschlag. Dann schob er die Hände zurück in die Manteltaschen und betrat den Park. Den gefallenen Schnee des vergangenen Tages hatte noch niemand geräumt, und so sank Ryou knirschend ein paar Zentimeter ein. Schutzsuchend hob er die Schultern und vergrub sein Gesicht noch tiefer im Schal. Mit Betreten des Geländes schien es ihm augenblicklich einige Grad kälter geworden zu sein. Er fröstelte. Seine Lippen zitterten. Hatte Mutter nicht immer gesagt, warme Gedanken versüßten die kühlsten Augenblicke? Ein dünnes Lächeln schob sich auf Ryous Lippen, während er schnellen Schrittes dem schmalen Pfad folgte, der ihn nach Hause bringen sollte. Vielleicht sollte er ihr mal wieder schreiben. Ihr, oder seiner Schwester, Amane. Er hatte nichts mehr von sich hören lassen, seit er das Ergebnis seiner Prüfungen erhalten hatte, obschon er wusste, dass sie stets stolz auf ihn waren - dort, wo sie jetzt waren. Er hatte sich zu sehr geschämt, um sich ihnen seither wieder zu offenbaren. Schwer zog er die Luft in seine Lungen und verengte die Augen zu schmalen, müde wirkenden Schlitzen. Dies war weder der richtige Ort noch der richtige Zeitpunkt, sich in melancholischen Gedanken zu flüchten. Verlier nicht die Nerven, hörst du? Du bist fast da. Denk an etwas Schönes. Er schnaubte verächtlich. An etwas Schönes denken, klar. Dem Schein der Laternen folgend, bog er um eine der zahlreichen schmalen Hecken, die den Park in mehrere, einander nicht einsehbare Segmente unterteilten. Augenblicklich erstarrte er. Keine Zehn Meter vor ihm lag ein junger Mann ausgestreckt im Schnee. Er war jung und wirkte auf Ryou wie einer der Stricher, die er manchmal in diesem Viertel an der Straße stehen sah. Seine schwarze Lackhose war am linken Bein etwas hochgerutscht und entblößte die glänzenden Schnallen gleichfarbiger Lederstiefel. Unter einer Jacke aus weißem Plüsch schimmerte bleich eine farblose, unbehaarte Brust. Die Gliedmaßen lagen unnatürlich verdreht, eine mit Modeschmuck besetzte Hand deutete auf Ryou. Der Kopf war zur Seite gerutscht und ihm zugewandt. Dunkelblondes, von rostroten Stellen durchsetztes Haar rahmte ein schmales Gesicht ein, das wächsern und bleich wirkte wie das einer Maske. Die toten, grauen Augen glotzten starr durch ihn hindurch, während aus dem offen stehenden Mund ein schwaches Röcheln drang. An seinem Hals... Stumm vor Entsetzen stolperte Ryou einige Schritte zurück. An seinem Hals klaffte eine unwirkliche, etwa handlange Schnittwunde. Sie war tief, und durch das rosige Gewebe schimmerte das grelle Weiß der freigelegten Nackenwirbel. An den Seiten und unter dem Schädel befand sich eine dunkelrote, unfassbar große Lache frischen Blutes. Nach Luft ringend ließ Ryou den Blick einige Zentimeter nach oben gleiten. Sein Herz, dass wie wild pochte, schien für einige Schläge zu verstummen. Seine Augen weiteten sich vor Ungläubigkeit und Angst. Auf dem Brustkorb des Jungen kniete ein groß gewachsener, sehr schlanker Mann mit heller, milchiger Haut und langen, weißen Haaren, die ihm über die Schultern ins Gesicht fielen. Er trug ein weißes Hemd, dessen Ärmel er zuvor hastig hochgekrempelt haben musste. Markante, sehnige Hände hielten ein glitzerndes, rot triefendes Messer. Oberkörper und Gesicht waren mit dunkleren Spritzern benetzt. Von dem plötzlichem Erscheinen eines Dritten aus der Konzentration gerissen, saß er starr dort, den Kopf gesenkt, ein Paar dunkelbraune Augen auf Ryou gerichtet, den Mund zu einem überlegenen Grinsen verzogen. Ihre Blicke trafen sich. "Du...", flüsterte er, mit einer dunklen, weichen Stimme, die vor Selbstsicherheit und Überlegenheit nur so strotzte. Ryou starrte ihn an. Er konnte nicht denken. Das Adrenalin schoss durch seine Adern, mächtig, unnachgiebig. Langsam, und selbst diese minimale Bewegung kostete ihn das volle Maß an Selbstbeherrschung, wich er noch einen Schritt zurück, dann wandte er sich auf dem Absatz um, setzte zum Sprint an, stolperte über seine eigenen Beine und knallte der Länge nach in den frischen Schnee. Da war nichts. Kein Schmerz, nichts. Hinter ihm konnte er den Mann aufstehen hören, langsam und voller Ruhe. Atemlos kämpfte Ryou sich zurück auf die Beine. Sie fühlten sich an, als wären sie aus Pudding, waren ganz taub und weich. Als er stand, schwankte er ein wenig. Dann legte er ihm die Hand auf die Schulter. Ryou fuhr herum. Wie konnte jemand so leise und schnell zugleich sein? Schweigend standen sie einander gegenüber und blickten sich an. Die Augen des anderen waren zu schmalen Schlitzen verengt, die dünnen Lippen zusammengepresst. Als Ryou zurückwich, packte er ihn grob an den Schultern. "Wer bist du?!", fauchte er und betrachtete ihn kalt und hartherzig. Stumm starrte Ryou zurück. Er hatte zu zittern begonnen, jedoch nicht vor Kälte. Was wollte dieser Mann von ihm? Er musste abhauen. Jetzt. Das hier wirkte nicht ungefährlich auf ihn und er hatte viel zu viel gesehen. Steif schnappte Ryou nach Luft, dann riss er sich los. Weg. Nur weg. Der Andere reagierte, und er reagierte schnell. Kaum das Ryou zwei Schritte getan hatte, zog es ihm die Beine weg. Er flog ein Stück und knallte auf den Boden, während der Angreifer auf seinen Rücken knallte. Diesmal spürte er den Schmerz. Es presste ihm die Luft aus den Lungen und die Tränen in die Augen. Ein weinerliches Stöhnen kam ihm über die Lippen, während er verzweifelt nach Atem rang. Alles verschwamm vor seinen Augen, während sich der Schmerz pulsierend von seinem Brustbein aus in den restlichen Körper verbreitete. Man drehte ihn auf den Rücken. Benommen nahm Ryou wahr, wie sich der Mann, langsam und konzentriert, auf seine Arme kniete. Links blockierte es den Nerv. Sein Unterarm wurde taub, dann begann er zu schmerzen. Schließlich fühlte er, wie sich zwei eiskalte Hände um seinen Hals schlossen und zudrückten. Ein leises Röcheln verließ seine Kehle, dann bekam er gar keine Luft mehr. Verzweifelt wand er sich hin und her, während die Augen des Anderen jede Regung von ihm wie ein Schwamm aufzusaugen schienen. Ihnen fehlte jedes Gefühl. Selbst in diesem Zustand fiel ihm auf, wie routiniert sein Gegenüber wirkte. Wie ähnlich er ihm sah. Für ihn schien das Alles nicht mehr zu sein, als ein Job, der schnell ausgeführt werden musste. Ryou zog und zerrte an seinen Gliedern. Der Druck in seinem Brustkorb, hervorgerufen durch den Sturz und den Mangel an Sauerstoff, wurde zunehmend unerträglich. Allmählich trübte sich sein Sichtfeld ein und die Panik begann zu schwinden. Wenn er das Bewusstsein verlor, dann würde er es nicht wiedererlangen. Nie wieder. Es wirkte zu grotesk, um wahr zu sein. Da war er extra in diesen Park ausgewichen, und nun so etwas. Wenn er gekonnt hätte, hätte er wohl laut losgelacht. Dann, mit einem Mal, bekam er den rechten Arm frei. Es gab keine Zeit, darüber zu triumphieren. Noch ehe er es selbst realisiert hatte, hatte er ihn ausgestreckt und dem Anderen einen Schlag ins Gesicht verpasst. Von der unerwarteten Heftigkeit des Aufpralls überrascht, rutschte dieser seitlich von ihm herunter und ließ ihn los. Wütend rieb er sich über die Wangen, leise fluchend, während Ryou panisch nach hinten kroch und gierig nach Luft schnappte. Jeder Atemzug brannte wie Feuer. Das war seine Chance. Zurück auf die Beine, und dann so schnell wie möglich von hier verschwinden. Der junge Mann, der inzwischen seine Selbstbeherrschung zurückerlangt hatte, schnellte knurrend nach vorne und griff nach Ryous linkem Fuß. Dieser schreckte zurück, verpasste seinem Gegenüber mit all seiner verbliebenen Kraft einen Tritt gegen die Brust, rappelte sich auf und begann so schnell zu rennen, wie er nur konnte. Weg. Nur weg.   ~*~   Vor lauter Panik hätte er sein Haus beinahe verpasst. Stolpernd kam er zum Stehen, knallte mit dem verbliebenen Schwung gegen die Tür. In seinem Brustkorb tobte es, und er fühlte sich, als würde er jeden Moment die Besinnung verlieren. Hektisch wühlte er in den Taschen seiner Jacke nach dem Haustürschlüssel, fand ihn schließlich, und steckte ihn zitternd ins Schloss. Er brauchte drei Anläufe, bis er die Tür endlich aufgeschlossen hatte. Blitzschnell schob er sie auf, glitt hindurch und drückte sie hinter sich zu. Dann verriegelte er die Eingangstür, rannte durch das gesamte Erdgeschoss und tat selbiges bei den Fenstern. Sämtliche Rollläden ließ er herunter. Nachdem er sich verbarrikadiert hatte, rannte er die Treppe hinauf in sein Zimmer. Dort blieb er stehen, zittrig. Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Den leeren, ausgelaugten Blick ins Nichts gerichtet, verblieb er dort, und schwankte vor Erschöpfung. Allmählich kehrten die Schmerzen zurück. Die Beine waren taub, die Knie fühlten sich geschwollen an. Sein Gesicht pulsierte, weil er mit ihm auf dem Boden aufgeschlagen war. Die Rippen stachen ihm so sehr ins Fleisch, dass er kaum noch atmen konnte. Ihm war übel von dem letzten, langen Sprint. Langsam taumelte er auf die gegenüberliegende Wand zu und sank zu Boden, ehe er sie mit den Fingerspitzen berühren konnte. Dort kroch er in eine der beiden Ecken und presste sich gegen den weißen Putz. Er war ganz kühl, aber Ryou nahm es kaum wahr. Mit den Fingerspitzen tastete er nach seiner Bettdecke, zog sie zu sich heran und dann hinauf bis zum Kinn. Einige Male schnaufte er heftig, dann, endlich, verließ ein langgezogenes Wimmern seine Kehle. Heiße Tränen liefen ihm über die noch immer eiskalten Wangen. Ihm tat alles weh. Sein Herz raste nach wie vor. Leise schluchzend zog er die Beine an den Körper und schlang die Arme darum. Dann vergrub er sein Gesicht in den Knien und weinte, bis er keine Tränen mehr hatte. Das seine Mütze fehlte, war ihm nicht aufgefallen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)