Was für ein Leckerbissen für die nach Gelächter und Romantik lechzende Menschheit sie beide doch waren von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: Und weg war er ------------------------- Hallo Ihr :)! Willkommen zu meiner neuen Story! Ich weiß nicht, wie lange es bis zum nächsten Kapitel dauern wird, aber vorraussichtlich nicht allzu ewig. Ich hoffe, Ihr amüsiert Euch über Krümel, meinen neuen Stern am SchreibHimmel ;) Liebste Grüße, Lung - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - „Fischers Fritz fischt frische Fische.“ „Du musst das schneller sagen. Sonst ist das doch zu leicht.“ „FischersFitzfizzfischfischhhhh.“ Sie lachten. „Blaukraut bleibt Blaukraut und– Wie geht’s weiter?“ „Brautkleid bleibt Brautkleid.“ „Ach ja. Blautkreit– Argh!“ Steffen fluchte, während Olivia und Krümel kicherten. „Ey, das ist echt schwer!“ „Kennt ihr den? Der Cottbusser Postkutscher putzt den Cottbusser Postkutschkasten.“ „Schneller.“ „DerCottbusserPostkutscherputztdenCottbusserPostkutschkasten.“ „Boah! Du kannst das ja richtig. Hast wohl keine Hobbys, was?“ Sie lachten erneut und Olivia schlug nach Krümel. „Du Arsch.“ „DerKaplankebtkappbarePlappkappkapp… Meine Fresse! Meine Zunge ist für sowas eindeutig nicht gemacht.“ „Och, Steffen. Keine Sorge. Ich wette, deine Zunge hat andere Stärken.“ „Vielen Dank auch. Aber wartet nur ab. Nach dem nächsten Bier schaff ich das fehlerlos.“ Krümel grinste und stellte sein eigenes Bier in dem verdreckten Blumenkasten ab, um sich eine Zigarette zu drehen. Olivia piesackte Steffen und seine tumbe Zunge noch ein wenig weiter. Wenn sich tumbe Zungen tumb zum Tummelzug tummeln, tummeln sich tumbe Zungen tumb zum Tummelzug. Krümel lachte in sich hinein. Halleluja, was für ein Bullshit. Mit den Lippen summte er den Song mit, der durch die offene Tür zu ihnen auf den Balkon schallte, während seine Finger geübt Filter und Tabak ins Papier drückten. Im Zimmer dahinter aalten sich noch eine Menge anderer Leute auf wild zusammen gewürfelten Stühlen und Sesseln, dem Bett und dem Fußboden. Und im Flur ging es weiter. Ein einziges fröhliches Gelächter- und Stimmengewirr. Und das Wetter war bombastisch. Es war warm und die Sonne ging gerade unter. Und obwohl der Himmel noch ganz blassblau war, konnte man schon eine silbrige Mondsichel sehen. Krümel steckte sich die Zigarette in den Mund. Durch die Fensterscheibe winkte er Anuschka zu und sie winkte zurück, doch ihr Lächeln wirkte leicht erzwungen. Kein Wunder. Für die Gastgeber waren Partys ja bekanntlich am stressigsten. Und da klingelte es schon wieder an der Tür und Anuschka rauschte aus dem Zimmer, um dem nächsten Gast die Tür zu öffnen. Krümel rauchte und nahm sich vor, ihr beizeiten ein Bier zu bringen. „Kann ich mir auch ne Zigarette drehen, Alter?“, fragte Steffen von links. Krümel reichte ihm wortlos seinen Tabak. „Ich will auch eine, bitte,“ meldete sich Olivia. „Hast du mir nicht letztens erst wieder eine Predigt über Krebs gehalten?“, schmunzelte Krümel und pustete matten Qualm Richtung Schleierwolken. „Ausnahmen bestätigen die Regel.“ „Den Spruch habe ich nie verstanden,“ murmelte Steffen und mühte sich mit dem dünnen Papier ab, „Müssten Ausnahmen die Regel nicht eigentlich abwerten, anstatt sie zu bestätigen?“ Krümel zupfte an seinem fransigen Pony. „Jap… Stimmt eigentlich.“ „Naja… Ausnahmen sind halt Ausnahmen,“ sagte Olivia und nuckelte an ihrer Bierflasche, „Sie begründen die Regel durch ihre demonstrierte Nicht-Regelheit. Indem man Ausnahmen begeht, erinnert man sich daran, wieso und dass eine Regel besteht, die die Ausnahmen nicht miteinschließt.“ Stille. „Check ich nicht,“ fasste Krümel seine Gedanken zusammen und aschte neben seine Bierflasche in den Blumenkasten. „Ich auch nicht,“ brummte Steffen, „Das macht keinen Sinn.“ „Klar, macht das Sinn. Ihr seid einfach zu doof.“ „Nee. Das kann‘s nicht sein.“ Ihre überaus anspruchsvolle Debatte wurde von Anuschka unterbrochen, die sich zu ihnen auf den Balkon gesellte. Sie schien ein bisschen aufgeregt zu sein und im Schlepptau hatte sie einen jungen Mann, den Krümel noch nie gesehen hatte. Er war groß und stark und dabei von einer atemberaubend zarten Schönheit. Krümel war augenblicklich Feuer und Flamme. „Aber hallo!“, entfuhr es ihm spontan, „Du musst Ganymed sein.“ Seine Freunde und der hinreißende Neuling starrten ihn an. „Wer ist Ganymed?“, fragte Steffen. „Ganymed war Mundschenk auf dem Olymp, bei den griechischen Göttern,“ erklärte Olivia, die fleischgewordene Wikipedia, „Er war Zeus‘ Liebhaber und galt als der Schönste aller Sterblichen.“ Krümel nickte strahlend. Besser hätte er es nicht ausdrücken können. Betretenes Schweigen. Steffen räusperte sich tapfer. „Ähhh ja,“ machte Anuschka, „Aleks, das sind also meine Freunde. Olivia, Steffen und das…ist Krümel. Beachte ihn einfach nicht. Leute, das ist mein Cousin. Aleksander Daley.“ „Hallo,“ sagte der Schöne scheu. „Was für ein toller Name!“, begeisterte sich Krümel, „Bist du ein Prinz? Prinz Aleksander Daley der Zweite von Tasmanien oder s–,“ „Kann dich kurz sprechen?“, unterbrach Anuschka ihn laut, bevor Ganymed auch nur die Chance hatte zu husten. Krümel wollte sich sträuben, aber seine beste Freundin hatte ihre Finger schon in seinem Lieblingskapuzenpulli verkrallt und zerrte ihn samt Zigarette ins angrenzende Zimmer hinein. „Was denn, was denn?“, beschwerte sich Krümel, „Ich mach doch nur Smalltalk.“ „Musst du ihn gleich so einschüchtern?“, zischte Anuschka finster, während die umgebende Menge sie vom Balkon abschirmte, „Zwei Stunden hab ich ihn bequatscht!“ „Wieso einschüchtern? Ich hab ihm doch nur ein Kompliment gemacht.“ „Ja, aber wie! Du Pfeife, jetzt ist er bestimmt abgeschreckt. Zwei Stunden habe ich ihn bequatscht, bis er endlich eingewilligt hat, zu kommen. Jetzt bereut er bestimmt, dass er aufgetaucht ist. Dabei ist er noch keine drei Minuten da.“ „Das ist echt übel! Wie kannst du das sagen? Das war doch ganz harmlos. Er fühlt sich bestimmt geschmeichelt und wird jeden Augenblick neben uns stehen, um mir seine Nummer zu geben. Meinst du, er gibt mir seine Nummer?“ Sie antwortete nicht. Stattdessen schloss sie die Augen und stöhnte. Krümel war sekundenlang schwer gekränkt und warf seinen Zigarettenstummel in ein fremdes Weinglas. „Du kennst Aleks nicht,“ sagte Anuschka, als beinhalte dieser Satz die gesamte unanfechtbare Weisheit der Galaxis. „Noch nicht, aber das wird sich bald ändern,“ erwiderte Krümel zuversichtlich und verrenkte sich den Hals, um einen Blick auf Aleksander Daley – Aleksander Daley! – zu erhaschen, „Sag mir, liebste Freundin, hat er jemanden?“ Anuschka seufzte. Doch als Krümel sie ansah, wirkte sie zu seiner Beglückung wieder erheitert. „Nein. Nicht, dass ich wüsste.“ Voller Tatendrang klatschte Krümel in die Hände. „Halleluja! Coolio. Bildschön und dann auch noch Single. Das muss mein Glückstag sein.“ „Ich kann dir allerdings nicht sagen, ob er auch was für Kerle übrig hat.“ „Och, da bin ich mir sicher. Mein Gaydar schlägt bei ihm an.“ „Schlägt dein Gaydar nicht bei jedem Penisträger an?“ „Quatsch! Bei Steffen hat er zum Beispiel nie einen Pieps von sich gegeben.“ „Ach so.“ „Entschuldige mich, Anni. Ich muss zurück auf den Balkon.“ Krümel ließ seine beste Freundin zurück und drängelte sich energisch durch die umstehenden Im-Weg-Steher durch, die ihn vom Balkon trennten. „Sorry, darf ich mal? Danke. Hi, Canan. Wie läuft’s? Hab leider keine Zeit zu plaudern, sehen uns später. Entschuldigung, kann ich mal kurz durch?“ Nach hartem Kampf erreichte Krümel schließlich den Balkon. Mit einem Satz sprang er neben Steffen und Olivia. Die zurückhaltende Konversation erstarb auf einen Schlag. „Da bin ich wieder!“ „Ach?“, brummte Steffen. Krümel ignorierte ihn und strahlte verzückt Anuschkas schönen Cousin an. Diesen schien Krümels Grinsen jedoch zu verunsichern. Sein Lächeln war schüchtern und etwas ratlos und absolut bezaubernd. Krümel fühlte sich glückselig. Trotzdem beeilte er sich, das breite Grinsen von seinem Gesicht zu wischen, um Aleksander Daley nicht nachträglich doch noch abzuschrecken. Vorsicht war geboten. Achtung, Achtung. Er holte sein Bier aus dem Blumenkasten und leerte es zügig. „Du hast ja noch gar nix zu trinken,“ stellte er dann fest, „Was möchtest du? Bier, Bowle, Wein? Da drinnen trinken auch Leute Tequila Sunrise, glaub ich.“ „Aleks trinkt Wasser. Oder? Aleks?“ Anuschka war wieder da. Sie stellte sich neben ihren Cousin und reichte ihm ein volles Glas. Er lächelte dankbar und formvollendet poetisch. „Ja, danke sehr.“ „Wasser?“ Krümel war entsetzt und beeindruckt. Er hatte schon lang niemanden mehr kennen gelernt, der auf einer Einweihungsparty Wasser trank. Eigentlich hatte er so jemanden noch nie kennen gelernt. Er fand es wunderbar. „Trinkst du gar keinen Alkohol?“, wollte Olivia wissen „Nein,“ antwortete Anuschka und schmunzelte, „Nie.“ „Hast du noch meinen Tabak?“, wandte Krümel sich an Steffen und begann sich eine neue Zigarette zu drehen, sobald er seinen Kram zurück hatte. „Auch?“, fragte er Aleksander Daley. Der schüttelte den Kopf. „Nein, danke.“ Krümel grinste ihn an. „Also, du trinkst nicht, du rauchst nicht. Was tust du stattdessen?“ „Aleks ist Sportler,“ erwiderte Anuschka, „Die achten auf ihre Gesundheit.“ Sportler. Krümel war begeistert. Daher auch diese fesselnden Oberarme. Lecker, lecker. „Was machst du für Sport?“, erkundigte sich Steffen. „Zehnkampf.“ „Aha.“ „Das ist Leichtathletik, du Amateur,“ bespottete Olivia ihren Freund, „Du weißt aber auch gar nix. Vielleicht solltest du mal wieder ein Buch lesen.“ „Hab ich erst letztens! Wie hieß es noch? Äh… Männer können alles, wenn man ihnen zeigt wie oder so. Ich kann jetzt eine Gans tranchieren.“ „Das will ich sehen.“ Krümel rauchte und klinkte sich aus der Unterhaltung aus. Er war frustriert. Übel war das. Das Gespräch lief überhaupt nicht in seinem Sinne. Warum ließ Anuschka ihren Cousin nicht selbst antworten? Und warum konnten seine Freunde nicht generell reingehen und ein paar dieser klobigen Muffins essen? Wie sollte er herausfinden, ob er und Aleksander Daley kompatibel waren, wenn sie keine drei Sätze miteinander wechseln konnten, ohne unterbrochen zu werden? »Hallo« und »Nein, danke« reichten dafür noch nicht ganz aus. Und wieso mussten sie jetzt über Gänse reden? Warum konnten sie nicht darüber reden, was Aleksander Daley gerne frühstückte? Und was seine Lieblingsfarbe war. Und ob er Oliven mochte. Und welchen Charakter er bei Mario Kart am liebsten spielte. Und was er am Wochenende machte. Trotzdem. Hier in der warmen Luft zu stehen, zu rauchen und ihn anzusehen, war schon fast genug, um Krümel für den Rest seines Lebens glücklich zu machen. Inzwischen wirkte Anuschkas schöner Cousin entspannter und obwohl er sich kaum an der Diskussion über das fachgerechte Tranchieren von Gänsen beteiligte, hing Krümel an seinen Lippen. Dieser Mund. Der machte Krümel schwach. Er wollte Balladen über diesen Mund verfassen. Vielleicht eine Ode. Er wünschte nur, sein Besitzer würde ihn mehr benutzen. Diese mundwinkelanhebende und wasserglasnippende Wortlosigkeit war deprimierend, fand Krümel. Dabei waren Münder so vielseitig. Gähnen konnte man und pfeifen. Beim Essen blieben manchmal Spuren auf den Lippen zurück, die man mit der Zunge ablecken musste. Und beim Sprechen und Grinsen entblößte man die Zähne. Bei Aleksander Daley waren solche Tätigkeiten gewiss ein wahres Schauspiel. Inzwischen war es dunkel geworden. Der Himmel spannte sich als tiefblaues Laken über den Balkon und die um sie herum aufragende Stadt. Ein paar milchige Sterne blinkten über ihren Köpfen. Krümel lachte und debattierte mit den anderen, rauchte, trank Bier und versuchte gar nicht erst, Aleksander Daley nicht anzuschauen. Manchmal erwiderte Anuschkas schöner Cousin sekundenlang seinen Blick, sah aber jedes Mal schnell wieder weg. Krümel amüsierte sich königlich. Er befand sich in einem anhaltenden Zustand entspannter Erregung. Oh, Ganymed. Irgendwann schaute Aleksander Daley auf seine Armbanduhr. „So,“ sagte er in eine kleine Gesprächspause hinein, „Ich werde mich jetzt mal aufmachen.“ Krümel war entsetzt. So sehr, dass es ihn selbst überraschte. „Schon?“, stieß er hervor, „Aber es ist doch grad mal…,“ er packte Steffens Handgelenk, „Zehn vor elf?!“ „Ich weiß, aber ich bin schon eine Stunde länger hier, als ich vorgehabt habe. Und ich muss morgen früh aufstehen.“ „Was heißt früh?“ „Halb sieben.“ Oh. Das war in der Tat früh. So früh war Krümel das letzte Mal…ähhh…in der Schulzeit aufgestanden. Jedenfalls hin und wieder. Hilflos und verzweifelt angesichts seiner Hilflosigkeit beobachtete Krümel, wie Aleksander Daley sich von Anuschka (Umarmung. Ich bring dich noch zur Tür. Danke für die Einladung. Ich ruf dich in den nächsten Tagen an.), Steffen und Olivia (Handschlag. Hat mich gefreut. Viel Spaß noch. Komm gut heim.) verabschiedete. Als die Reihe an ihn kam, bemühte er sich, einen lässigen Eindruck zu machen. „Ähm. Tschüss.“ „Tschüss. Bis…bald. Vielleicht.“ „Okay.“ Und weg war er. Kapitel 2: Er hatte sich verliebt --------------------------------- Guten Tag, Ihr Lieben :)! Heute geht es weiter mit Krümel und Aleksander Daley! Dieses Kapitel ist länger und auch diesmal wird viel geredet. Ich hoffe, Ihr habt Spaß und langweilt Euch nicht angesichts all des Gequatsches ;) Habt einen schönen Tag, Eure Lung - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - Buhuhu. Sollte das etwa alles gewesen sein? Übel! Wenn er jetzt geht, sehe ich ihn nie wieder. Steffen legte ihm brüderlich den Arm um die Schultern. „Alter, du schaust, als würde dich grad ein Lastwagen überfahren.“ „Dich hat’s ja richtig erwischt!“, quietschte Olivia, „Wie lange ist das letzte Mal jetzt her?“ „Lasst mich,“ jammerte Krümel, „Ich muss nachdenken.“ In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Dann fällte er eine Entscheidung. Er schüttelte Steffens Arm ab und drückte Olivia seine Bierflasche in die Hand. „Ich muss weg. Bis später.“ Hastig wühlte er sich durch die Menschenmenge in Zimmer und Flur, bis er endlich die Wohnungstür sehen konnte. Sie war zu. Anuschka stand davor und plauderte mit ihrem neuen Mitbewohner Karl. Oder war es Kalle? Kasimir? Wie auch immer. Wo war er hin? „Ist er schon weg?“, keuchte Krümel, als er endlich neben seiner Freundin stand. „Was? Wer?“ „Dein Cousin!“ „Ach so. Ja, er ist gerade gegangen. Wieso? Du willst doch nicht etwa–,“ Krümel riss die Tür auf. „Bis gleich!“ Die Treppe nahm er im Jagdgalopp. Immer drei Stufen auf einmal. Hoppla, beinahe hätte er das Gleichgewicht verloren. Mit einer Bongotrommel in der Brust stieß er endlich die Haustür auf und stolperte in die Fahrradständer hinein. „Hey!“, rief er dem schönen Rücken zu, der sich gerade entfernen wollte, „Hey, warte!“ Aleksander Daley drehte sich verdutzt nach ihm um. „Äh, hallo…,“ sagte er unsicher. Krümel taumelte auf ihn zu, rang nach Luft und richtete sich dann lächelnd auf. „Ich bringe dich nach Hause.“ „Was?“ „Ich bringe dich nach Hause. Bist du zu Fuß? Dann schieb ich mein Rad neben dir her. Wohnst du weit von hier?“ „Äh. Es geht, Jägerstraße.“ „Coolio. Das ist ja nicht allzu weit. Warte, ich schließ mein Rad eben auf.“ „A…Aber die Party?“ „Kein Ding, ich fahr hinterher einfach wieder zurück.“ Unschlüssig stand Aleksander Daley auf dem Fußweg rum, während Krümel hastig das alte Schloss an seinem noch älteren, immerzu klappernden Damenrad öffnete. Breit grinsend hebelte er es anschließend aus dem Fahrradständer heraus. „So,“ sagte er, als er endlich dicht neben Anuschkas schönem Cousin stand und dessen Körperwärme durch den Stoff seines Kapuzenpullis spüren konnte, „Und jetzt? Links oder rechts? Links, oder?“ Aleksander Daley nickte und gemeinsam setzten sie sich in Bewegung. Krümels himmelblauer Drahtesel schepperte bei jedem Schritt. „Wieso bist du zu Fuß? Ich dachte, hier besitzt jeder ein Fahrrad.“ „Meins ist mir gestohlen worden.“ „Wie ärgerlich. Deshalb fahre ich eine Schrottlaube. Sie ist zwar hässlich, aber ich liebe sie,“ zärtlich strich Krümel über den Fahrradsattel, „Mit ihrer Hilfe bin ich schon so manches Mal nachts nach Hause gekommen.“ Krümels Begleiter lächelte sanftmütig wie ein Lamm und schwieg. Er scheint sich etwas unwohl zu fühlen, dachte Krümel. Er hingegen fühlte sich sagenhaft und bedauerte es keine Sekunde lang, eine lärmende Party hinter sich zu lassen, um diesen wortkargen, aber irgendwie unwiderstehlichen Menschen nach Hause zu begleiten. Endlich waren sie allein. Und – Halleluja! – was war er für eine Augenweide. Allein dieses herzergreifende Grübchen im Kinn… „Also,“ nahm Krümel den Gesprächsfaden wieder auf und sah Anuschkas schönen Cousin begehrlich von der Seite an, „Erzähl mir von dir, Aleksander Daley.“ „Was…Was möchtest du denn wissen?“ „Na, alles. Was machst du zum Beispiel in deiner Freizeit?“ „Naja. Ich habe nicht besonders viel Freizeit, weißt du. Zwischen Studium und Training bleibt mir nicht viel davon.“ „Was studierst du denn?“ „Soziologie.“ „Und wenn du mal nicht studierst, trainierst du?“ „Eigentlich studiere ich, wenn ich mal nicht trainiere.“ „Wie oft trainierst du denn?“ „Sechs Tage die Woche, jeweils um die sieben Stunden pro Tag.“ Krümels Gesichtszüge entglitten ihm. „Echt?!“, keuchte er entgeistert, „Das ist ja der Wahnsinn! Das ist ja… Ich meine, dann ist das ja richtiger Leistungssport.“ Aleksander Daley lächelte liebenswürdig und zuckte die Schulter. „Ja. Denke schon.“ „Krass,“ machte Krümel fassungslos. Leistungssport. Sieben mal sechs Stunden pro Tag. Das waren…umpf…zweiundvierzig Stunden pro Woche. Zweiundvierzig Stunden. Pro Woche! Wow. Unglaublich. Krümel war schwer beeindruckt und absolut hingerissen. „Dann bist du bestimmt total gut, oder?“, sagte er euphorisch. Anuschkas schöner Cousin schmunzelte erneut und Krümels Herz machte einen Hüpfer. „Naja. Es gibt noch bessere Zehnkämpfer als mich.“ Er war so bescheiden. Zum Knutschen der Knabe. „Warum?“, wollte Krümel wissen, während sie um eine Ecke bogen und an einem noch geöffneten Dönerimbiss vorbei schlenderten. Einige Schritte lang roch die Nachtluft nach Frittierfett. „Was meinst du?“ „Na, warum trainierst du so viel?“ „Naja. Zehnkampf spielt in meiner Familie eine wichtige Rolle. Mein Vater war auch schon Zehnkämpfer. Er war sehr erfolgreich, bevor er seine Karriere wegen einer Verletzung aufgeben musste.“ „Also tust du’s für deinen Vater?“ „Nein!“, Aleksander Daley wirkte erschrocken, „Nein, so ist das nicht. Also, vielleicht hat es mal so angefangen. Ich mache Zehnkampf seit ich fünf bin und natürlich hat er mich damals dazu gebracht – er trainiert mich übrigens auch jetzt noch – aber inzwischen ist es auch ein großer Teil meines Lebens. Es gefällt mir, es macht mir Spaß. All die Disziplin und so. Ich weiß nicht, aber irgendwie brauche ich das. Wenn ich mal nicht trainiere, fällt es mir schwer abzuschalten. Eigentlich muss ich jeden Tag Sport treiben, damit ich mich ausgelastet fühle.“ Krümel strahlte. Das war gerade der längste Monolog, den Aleksander Daley ihm gegenüber bisher gehalten hatte. Sie führten hier ein richtiges Gespräch, mit Fragen und Antworten. Es war bemerkenswert und machte Krümel richtig glücklich. „Mehr,“ forderte er selig. „Wie bitte?“ „Mehr. Erzähl mir mehr von dir. Mehr über Zehnkampf oder deinen Vater oder was auch immer. Hauptsache du redest.“ Aleksander Daley warf ihm von der Seite einen irritierten Blick zu. „Ähm. Ich…ich weiß nicht. Mir…fällt nix ein.“ „Du kannst mir die Geschichte von deinem Namen erzählen! Da gibt es doch bestimmt eine, oder?“ „Ähm, naja. Also, okay. Gut. Also, nein, ich…ich bin kein Prinz,“ er grinste ein wenig und Krümel himmelte ihn dafür stumm an, „Aber es steckt schon etwas mehr dahinter: Aleksander Klumberg-Kolmpere hat 1922 den ersten offiziellen Weltrekord im Zehnkampf aufgestellt. Und Daley Thompson hat in meinem Geburtsjahr grad den Weltrekord gehalten. Daher Aleksander Daley.“ „Deshalb haben deine Eltern dir diesen Namen gegeben?“ „Mein Vater, ja.“ „Halleluja. Dein Vater ist…ein bisschen besessen, oder?“ „Ja, ein bisschen.“ Anuschkas schöner Cousin gluckste und Krümel wollte auf der Stelle seine Hand nehmen und den Rest des Weges festhalten. Leider hielten seine Hände schon den Lenker des Rads fest. Ach, würde dieser Weg doch niemals enden. „Darf ich dir eine Frage stellen?“, erkundigte sich Aleksander Daley unvermittelt und zu Krümels Verzückung, „Zu deinem Namen?“ „Ich bitte darum!“ „Also, Krümel. Das…ist doch nicht dein Geburtsname, oder?“ Krümel lachte. „Nee. Eigentlich heiße ich Klemens.“ „Und wieso…wieso nennen dich deine Freunde dann Krümel?“ „Naja…,“ murmelte Krümel in tiefer Trauer und schaute melodramatisch in den vorbei gleitenden Sternenhimmel, „Ich…rede nicht oft darüber, aber als ich noch ein Kind war, ist mein Hund Krümel gestorben. Ich…hab’s sehr schwer genommen. Tag und Nacht hab ich an seinem Grab im Garten gesessen und darauf gewartete, dass sein Geist mir erscheint und mich tröstet, wie er es früher immer getan hat. Ich meine, er war nur ein Hund und so, aber er…war irgendwie mein bester Freund. Also wollte ich von allen nur noch Krümel genannt werden, um ihm näher zu sein. Und irgendwie hat es sich dann gehalten.“ Vorsichtig drehte er den Kopf, um Anuschkas schönen Cousin anzuschauen und war erfreut zu sehen, dass der ihn mit großen Augen anstarrte. Er hatte die dichten Augenbrauen hochgezogen, aber dennoch eine winzige, bezaubernde Falte an der Nasenwurzel, als würde er gleichzeitig auch die Stirn runzeln. Sein köstlicher Mund war leicht geöffnet, sodass Krümel durch die Dunkelheit die hellen Schneidezähne erkennen konnte. Von diesem Anblick bekam Krümel eine heißkalte Gänsehaut. „Das…das tut mir leid. Mit deinem Hund,“ sagte Aleksander Daley leise. Krümel konnte nicht mehr an sich halten. „Hast du mir das etwa geglaubt?“, er lachte auf, „Du bist echt putzig!“ Aleksander Daley sah verwirrt aus. Er war wirklich putzig. „Wie bitte?“ „Das war nur ein Scherz! Mein Hund lebt noch.“ „Das…das war nur ein Witz?“ „Jaah!“ „Oh, ach so,“ Aleksander Daley grinste matt, „Aber…eigentlich war das nicht besonders witzig.“ Prompt fiel Krümels Lachen in sich zusammen. „Oh Gott! Bitte sag mir jetzt nicht, dass dein Hund gestorben ist, als du noch ein Kind warst. Das wäre echt übel.“ Diesmal war Aleksander Daleys Lächeln echt. „Nein, keine Sorge. Ich hatte nie einen Hund.“ „Gott sei Dank. Ich dachte schon, ich wäre der schlechteste Mensch auf der Welt. Ich mache nicht immer so schlechte Witze, ich schwör’s. Soll ich dir mal einen guten erzählen?“ „Okay.“ „Gut, warte. Warte, ich denke,“ Krümel zermarterte sich verzweifelt das Hirn, während sie weiter nebeneinander hergingen, „Übel, jetzt fällt mir natürlich keiner ein. Aber ich kenne gute Witze, echt! Wenn mir einer einfällt, erzähl ich ihn dir sofort.“ „Okay,“ Anuschkas schöner Cousin lächelte auf seine süße Art und Krümel fragte sich, ob er jemals ein solches Lächeln gesehen hatte und was er tun musste, um dieses Lächeln immer und immer wieder zu sehen, und wie er Aleksander Daley dazu kriegen könnte, noch einmal seinen vorherigen Gesichtsausdruck zu machen. Den mit der wunderbaren Falte und den Schneidezähnen. Spätestens jetzt, da ihm diese Gedanken durch den Kopf schossen, wurde Krümel klar, dass er die Ebene des harmlosen Flirts längst verlassen hatte. Halleluja. Er war ernsthaft interessiert. Er mochte diesen schüchternen Kerl wirklich. Sogar sehr. „Du hast also einen Hund?“, fragte Aleksander Daley, bevor Krümel sich einen Plan zurechtlegen und seine Gefühle ordnen konnte. „Äh, ja. Einen Mops. Er wohnt noch bei meinen Eltern.“ „Du hast einen Mops?“ „Jap. Warum so überrascht?“ „Ich…hätte dich eher für den Bobtail-Typen gehalten.“ Krümel warf den Kopf in den Nacken und lachte dem Silbermond entgegen. „Du bist ja richtig witzig!“, strahlte er Anuschkas schönen Cousin an. Aleksander Daley lächelte und Krümel freute sich einen Bobtail. Er war wahrhaftig hin und weg. Wie unerwartet. Wie seltsam. „Aber warte, es kommt noch besser. Rate, wie er heißt.“ „Dein Mops?“ „Jap.“ „Ähm, keine Ahnung. Arthur?“ „Falsch.“ „Wie denn?“ „Er heißt Mops!“ „Mops? Und da war er. Der Ausdruck, den Krümel sich gewünscht hat. Diese Miene. Was drückte sie nur aus? Verwunderung? Ratlosigkeit? Nein, das war es nicht ganz. Forschende Konzentration? Was immer er auch zu bedeuten hatte, Krümel liebte diesen Ausdruck. Er konnte sich nicht daran satt sehen. „Dein Mops heißt Mops?“ „Jaah!“ „Ehrlich?“ „Jap, ehrlich.“ „Das ist kein Witz?“ „Nein, diesmal nicht.“ „Na sowas.“ Inzwischen hatte Krümel völlig den Überblick verloren, wo sie waren. Er lief nur noch neben Aleksander Daley her und hoffte, auch er möge sich verlaufen haben, damit sie noch die ganze Nacht redend durch die finstere Stadt irren könnten. Stundenlang, bis sie sich schließlich erschöpft an irgendeinem abgeschiedenen Ort zur Ruhe legen würden, wo Aleksander Daley ihm erlauben würde, seinen wunderschönen Mund zu küssen. Nicht nur das, er würde Krümel auffordern, ihm seine Klamotten auszuziehen und seinen nackten Leistungssportkörper anzufassen. Und dann würden sie dort liegen und sich lieben und ihre Herzen würden im gleichen Takt schlagen. „ –immer noch nicht beantwortet,“ sagte Aleksander Daley und Krümel erwachte aus seinem äußerst plastischen Tagtraum. „W…Wie bitte?“ Ach, herrje. Peinlich berührt zog Krümel einen Zipfel seines Pullis über die Erektionsansätze in seiner Jeans. Na na, ruhig Blut. Alles zu seiner Zeit. Nur nicht die Nerven verlieren und übers Ziel hinaus schießen. Die Nicht-Abschrecken-Politik galt schließlich immer noch. „Entschuldige, ich hab grad nicht zugehört. Sag’s bitte nochmal.“ „Hast du geträumt?“ „Ja, ein bisschen.“ „Wovon denn?“ „Ähm, von Cheeseburgern,“ log Krümel schnell. „Von Cheeseburgern?“ Mit wohlig schnurrendem Magen lachte Krümel über seine neue Lieblingsmiene. „Jap.“ „Wieso denn ausgerechnet von Cheeseburgern?“ „Na, Cheeseburger sind einfach super. Findest du nicht?“ „Ich hab ehrlich gesagt schon lange keinen mehr gegessen.“ „Nicht zu fassen! Übel, du musst bestimmt auf alles Mögliche verzichten, oder? Auf all die Köstlichkeiten, die das Leben bietet: Pizza, Schokoladenpudding, Pommes, Haselnusseis, Himbeertorte.“ Aleksander Daley lächelte. „Ab und zu ist das okay. Aber ich muss halt sehr auf mein Gewicht achten, daher…darf ich mir keine Gelage erlauben oder so.“ „Wie traurig. Wo Gelage doch solchen Spaß machen,“ erwiderte Krümel munter. „Mhm…,“ Mit einem Mal schien Aleksander Daley ein wenig niedergeschlagen. In Krümels Kopf gingen die Warnleuchten los. Themenwechsel, schnell! „Aber was hast du denn jetzt vorhin gesagt? Als ich geträumt habe?“ „Ach so!“, Anuschkas schöner Cousin kam wieder zu sich, „Ich wollte nur wissen, wo dein Spitzname denn nun herkommt. Das hast du mir immer noch nicht verraten.“ Krümel lachte. „Ach, das ist völlig unspannend, echt. Ich krümel einfach immer beim Essen. Selbst wenn ich Suppe esse, kleckere ich nicht – ich schaffe es irgendwie zu krümeln. Frag mich nicht, wie ich das mache, aber es ist so. In der Schule war das ewig der Running-Gag und hat sich halt zu einem Spitznamen entwickelt.“ Aleksander Daley blinzelte. „Das ist wirklich alles?“ „Ich hab doch gesagt, es ist unspannend. Warum? Hast du wieder eine Geschichte erwartet?“ „Eigentlich schon,“ „Nächstes Mal wieder.“ „Versprochen?“ „Versprochen.“ Erfreut grinste Krümel Aleksander Daley an und der grinste ungezwungen zurück. Beinahe stolperte Krümel über seine eigenen Füße. Halleluja. Dieser Salto im Bauch. Das konnte doch nicht gut gehen. „Was ist mir dir, Aleksander Daley? Bei deinem Namen musst du doch auch einen Spitznamen haben.“ „Naja, Aleks halt.“ Krümel winkte ab. „Aleks, Aleks. Jeder zweite Mensch auf der Welt heißt Aleks. Wenn jemand in der Stadt über Krümel spricht, weiß jeder, wer gemeint ist. Weil es nämlich nur einen Krümel gibt. Du brauchst auch so einen Spitznamen. Einen, nachdem man nicht »Welcher?« fragen muss.“ Der spitznamenlose Aleksander Daley schmunzelte, während sie an einer roten Ampel stehen blieben, die eine vollkommen unbefahrene Straße überwachte. „Meinetwegen. Aber woher kriege ich so einen?“ „Ich geb dir einen!“, bot Krümel wie aus der Pistole geschossen an, was seinen Weggefährten offenbar kein Stück wunderte, „Aber dafür wirst du mir noch viel mehr über dich erzählen müssen. So entstehen Spitznamen nämlich. Durch Vorlieben und Abneigungen und Eigenschaften und so.“ „Verstehe,“ antwortete Aleksander Daley und gluckste vergnügt, wofür Krümel sich selbst einen schimmernden Pokal überreichte. Das lief ja wie geschmiert. Was war er nur für ein toller Hecht: Er brachte Anuschkas schönen Cousin zum Lachen. Plötzlich machte die ganze Welt einen Sinn. Sie überquerten die Straße, als die pflichtbewusste Ampel auf Grün sprang. In Krümels Kopf häuften sich bereits die Spitznamen. „Zehnkampfi. Zehnkämpfi,“ dachte er laut und unter Aleksander Daleys kritischen Blicken, „Nee, das hört sich beknackt an. Zehni. Kampfi. Nee, das geht gar nicht. Sporti. Tenfighter. Ach, ich weiß nicht. Ich denke, wir müssen ganz von vorne anfangen. Außerdem gibt es noch viel mehr Dinge, die dich ausmachen. Du musst sie mir nur zeigen. Fangen wir gleich an. Was ist dein Lieblingstier?“ „Mein…äh…Lieblingstier? Ich weiß nicht so genau.“ „Du weißt nicht so genau?!“ Mit seinem Rad zusammen blieb Krümel stocksteif stehen und blickte Aleksander Daley entsetzt an, der noch einige Schritte weiter ging, bevor er sich verdutzt zu Krümel umdrehte. „Warum weißt du nicht, was dein Lieblingstier ist? Das weiß doch jedes Kind.“ Tenfighter zuckte unschlüssig mit den Schultern. „Ich…hab da einfach nie drüber nachgedacht.“ Voller Empörung schüttelte Krümel den Kopf und schloss dann zu Aleksander Daley auf. „Über solche Dinge muss man nachdenken, Sporti. Das ist wichtig,“ erklärte er sehr ernsthaft. Aleksander Daley zog die Augenbrauen hoch. „Weißt du denn so genau, was deine Lieblingstiere sind?“ „Na, klar!“ „Welche denn?“ „Na, Faultiere!“, erwiderte Krümel, als läge das doch auf der Hand. Im Licht einer Straßenlaterne konnte er Aleksander Daleys wundervolle Mundwinkel zucken sehen. Sie setzten ihren Weg fort. „Faultiere,“ wiederholte Aleksander Daley und kicherte, was Krümels Innereien prompt verrücktspielen ließ, „Wieso wundert mich das nur nicht?“ „Weiß nich…,“ schmachtete Krümel von rechts. Anuschkas schöner Cousin warf ihm einen amüsierten Seitenblick zu. „Du bist bekloppt, weißt du das? Du bist echt bekloppt.“ „Jap.“ Alles was du willst, Ganymed, alles was du willst. Für dich bin ich bekloppt. Für dich bin ich Robin Hood, Godzilla oder der Kaiser von China. Solange du mich nur immer und immer so anlächelst und mir hin und wieder deine fragende Denkerfalte zeigst. In seinem Rausch wäre Krümel beinahe an dem Adressaten seiner Gebete vorbei gegangen. „W…Was ist los?“ „Wir sind da.“ „Was?“ „Wir sind da. Hier wohne ich.“ „Oh.“ Sie standen vor einem dunkelbraunen Mehrfamilienhaus, das sich unauffällig in die Reihe der anderen Backsteinhäuser eingliederte. Neben der Straße parkten Autos, vor einer schmalen Einfahrt standen Müllcontainer und schräg über der Haustür prangte eine große 8 aus Messing. Ein Haus wie es unzählige in der Stadt gab. „Schon da?“, stieß Krümel hervor, sein Herz plötzlich schwer wie Blei, „Das ging ja schnell.“ Aleksander Daley sah auf seine Armbanduhr. „Mir kam’s auch viel kürzer vor, aber wir sind fast zwanzig Minuten gegangen.“ „Echt?“ „Ja,“ er lächelte gutmütig, „Oder um es mit deinen Worten auszudrücken: Jap. Danke, dass du mich nach Hause gebracht hast.“ „Oh, äh. Gern geschehen.“ Mit einem Mal schlug Krümels Herz ihm bis zum Hals. Seine Hände am Fahrradlenker waren ganz feucht geworden. Er stellte sein Rad ab und wischte sich die Finger an der Jeans ab. Jetzt galt es, den Moment des Abschieds hinauszuzögern. „Ähm, hör mal. Also, äh, du und ich. Ich fühle da so eine connection zwischen uns. Und deshalb finde ich, äh, dass wir uns unbedingt wiedersehen sollten. Meinst du…nicht auch? Außerdem…muss ich dir noch einen Spitznamen geben…und so.“ Ach, übel. Wo war seine Eloquenz hin? Er hielt den Atem an, während er wartete. Aleksander Daley starrte ihn an. Dann schlug er die Augen nieder und über Krümels Kopf begann es in Strömen zu regnen. „Hör mal…,“ begann er und Krümel hasste schon diesen Anfang, obwohl er ihn grad selbst benutzt hatte, „Ich…würd wirklich gern, aber…ich hab echt wahnsinnig viel zu tun. Ich trainiere halt praktisch ununterbrochen und ich muss noch eine Hausarbeit schreiben und für zwei Klausuren lernen und Ende des Monats fahr ich nach London und…,“ Anuschkas schöner Cousin verstummte, doch das ehrliche Bedauern auf seinem Gesicht gab Krümel Hoffnung. „Du fährst nach London?“, klammerte er sich an das Gespräch, „Warum? Machst du Urlaub?“ Aleksander Daley schnaubte. „Nein, eher nicht. Ich fahr zu Olympia.“ „Echt? Coolio! Was schaust du dir an?“ Jetzt gluckste Aleksander Daley wieder und es zauberte Krümels Lächeln zurück. „Ich schau mir nix an, ich nehme teil.“ Krümels Kinnlade sackte auf seine Brust. „D…Du nimmst teil? An der Olympiade?! Ist das dein Ernst?“ Aleksander Daley nickte verlegen. „Ja, schon. Die Leichtathletik-Wettbewerbe finden vom dritten bis zum zwölften August statt und ich muss–,“ „Halleluja! Das ist ja der Wahnsinn. Meine Fresse – wie cool ist das denn bitte?! Du nimmst bei Olympia teil! Unglaublich, warum hast du das nicht gleich gesagt?“ Anuschkas Cousin grinste peinlich berührt und zuckte die Achseln. „Ich…geb damit nicht gerne an.“ Krümel war sprachlos. Seine Knie wurden weich. Alles in ihm wurde weich und flauschig. In diesem Moment wollte er auf der Stelle in den heiligen Bund der Ehe eintreten. Mit diesem spitznamenlosen Zehnkämpfer. Nichts auf der Welt konnte schöner sein. „W…Wir müssen uns unbedingt wiedersehen,“ entschied er atemlos, „Unbedingt. Okay, du hast viel Stress, aber… Aber du…du musst doch auch mal essen. Ich will mit dir essen. Ich werde dich von nix abhalten, das verspreche ich dir. Hoch und heilig. Aber gib mir bittebitte deine Handynummer. Ich verspreche dir auch, dass ich dich nicht vierzigmal am Tag anrufen und ins Telefon atmen und dann auflegen werde. Ich werde dich nicht nerven. Aber ich…ich will dich unbedingt wiedersehen.“ Aleksander Daley erwiderte seinen Blick. Dann grinste er. Und er lachte ein bisschen und fuhr sich mit der Hand über die Stirn und Krümel fühlte sich ganz irre und beschwipst im Bauch. „Okay,“ sagte er dann lächelnd, „Okay, also… Also, ich…ich mach Mittagspause. Zwischen zwölf und drei Uhr. Du kannst in die Cafeteria der Sportanlage in Roxel kommen, da trainiere ich. Wenn du…magst.“ „Ich mag!“ „Gut, also… Tilbecker Straße 34 ist die Adresse. Findest du das? Sind ungefähr zehn Kilometer. Aber man kommt ganz gut mit dem Bus hin. Pantaleonstraße heißt die Haltestelle. Von da sind es nur noch ein paar Minuten die Straße runter.“ „Find ich, find ich. Ganz bestimmt.“ „Okay.“ Alles in Krümel hüpfte auf und ab. Ihm war etwas schwindlig. „Wann? Morgen?“ „Äh. Morgen? Oh, äh. Ja. Okay. So…gegen dreizehn Uhr?“ „Klar!“, Krümel strahlte über das ganze Gesicht. „Gut. Willst du…willst du noch meine Nummer haben? Falls du dich verirrst?“ „Halleluja! Coolio. Also jap. Ja.“ Schmunzelnd zog Aleksander Daley sein Handy aus der Hosentasche und diktierte Krümel die Nummer. Dessen Finger zitterten so, dass er sich zweimal vertippte. Aber dann hatte er seine Nummer. Er hatte seine Nummer. Die würde er nie wieder hergeben. „Okay.“ „Jap.“ „Dann…bis morgen.“ „Jap.“ Halleluja! „Ich mach eine Liste!“, rief Krümel glücklich, als Aleksander Daley schon vor der Haustür stand und nach seinem Schlüssel stöberte, „Eine Liste von all den Dingen, die ich über dich wissen muss. Wegen dem Spitznamen.“ Anuschkas wunderwunderwunderschöner Cousin schmunzelte. „In Ordnung.“ „Und…Und deine Hausaufgabe für morgen. Ein Tier! Du musst ein Lieblingstier finden.“ „Okay. Das mach ich.“ „Versprochen?“ „Versprochen! Bis morgen.“ „Bis morgen.“ Bis morgen, Aleksander Daley. Bis morgen. Morgen. Die Tür fiel nach einem Winken ins Schloss und Krümel seufzte zittrig. Er lachte überdreht und klopfte energisch auf seinen Fahrradsattel. Halleluja, dachte er. Halleluja, dachte er, während er zu einem Fenster im dritten Stock empor schaute, in dem soeben das Licht angegangen war. Halleluja, dachte er und drehte sich eine Zigarette, die er auf dem Rad rauchte, als er sich durch die Nacht auf den Rückweg zu Anuschkas Einweihungsparty machte. Halleluja. Wer hätte das gedacht? Er hatte sich verliebt. Kapitel 3: Besonders die Sache mit den Pommes --------------------------------------------- Schönen Dienstag Euch allen - Willkommen zum dritten Kapitel von Leckerbissen :)! Bevor einer von Euch fragt, sag ich es gleich zu Anfang: Nein. Weder dieser Wikipedia-Artikel, noch diese Fotos sind im Internet so zu finden. Ihr könnt Euch das Suchen also sparen^^. Dieses Kapitel möchte ich heute gerne widmen, weil sie mich mit ihrem letzten Kommentar sehr gerührt hat. Viel Spaß beim Lesen, Eure Lung - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - Am nächsten Morgen schlug Krümel um halb neun die Augen auf und war wach. Das war eigenartig und selten und wunderte ihn selbst. Normalerweise vermied er es, vor zwölf das Bett zu verlassen. Insbesondere dann, wenn er sich die Nacht vorher erst um halb vier hinein gelegt hatte. Aber heute war ein außergewöhnlicher Tag. Heute stand die Sonne höher am Himmel als sonst. Heute war er total aufgeregt. Heute um dreizehn Uhr würde er Aleksander Daley wiedersehen. Breit grinsend und voller Tatendrang sprang Krümel auf die Füße und rannte in die Küche, um Kaffee zu machen. Der Rest seiner WG schien noch zu schlafen. Die Unseligen. Laut und krumm pfeifend holte er sich seine Lieblingstasse aus dem Geschirrschrank – die Disneytasse mit Mogli und dem Panther aus dem Dschungelbuch – und füllte heißen Kaffee hinein. In der speckigen Brotbox fand er etwas, das so aussah wie das Milchbrötchen, das er sich letzte Woche gekauft hatte. Er stopfte sich das trockene Gebäck in den Mund und eilte dann zurück in sein Zimmer. Die Einweihungsparty hatte sich gestern schon gegen zwei Uhr aufgelöst. Die lernenden, arbeitenden Studenten mussten ja früh in die Heia. Krümel war noch geblieben, um Anuschka beim Aufräumen zu helfen. Kasimir hatte da schon sturzbetrunken unter seinem Schreibtisch gepennt. Nicht sehr belastbar, der Neue. Aber dafür hatten Krümel und seine beste Freundin Zeit gefunden, Krümels frischen love interest zu erörtern. „Ich kann nicht glauben, dass du ihn echt nach Hause gebracht hast,“ hatte Anuschka gesagt und tausend Kronkorken in den Gelben Sack geworfen, „Ich kann’s richtig vor mir sehen: Du hast ununterbrochen auf ihn eingeplappert und er hat kein Mal den Mund aufgemacht.“ „Quatsch! So war das überhaupt nicht,“ hatte Krümel sich empört, während er benutzte Gläser in die Spülmaschine gestellt hatte, „Es war eine richtige Unterhaltung. Ich hab was gesagt, er hat was gesagt, ich hab was gesagt, er hat was gesagt. Immer abwechselnd.“ „Ach so,“ sie hatte gelacht und viertelvolle Bierflaschen in die Spüle ausgeleert, „Ich hätte echt nicht gedacht, dass Aleks dein Typ ist.“ „Warum? Was ist denn mein Typ?“ „Naja, wenn ich da so an Sebastian denke. Mit seinen ganzen Tattoos und dem Nasenring…,“ „Die geile Sau.“ Sie hatte gegluckst. „Ja, er war hübsch. Aber ganz anders als Aleks. Weißt du noch, wie er auf die Skulptur am Marienplatz geklettert ist, um dir die Muschel zu holen? Boah…,“ „Jap, das werd ich nie vergessen. Genauso wie unsere Flucht vor den Bullen kurz darauf.“ „Gott, ich hab mir fast in die Hose gemacht.“ Bei der Erinnerung hatten sie gekichert. Und sekundenlang war Sebastians Gesicht ganz deutlich vor Krümels innerem Auge erschienen. Mit seinen rabenschwarzen Stachelhaaren und den hellblauen Augen. Er war einfach total cool und irre sexy gewesen. Und auch damals hatte die Liebe Krümel ganz unvermittelt gepackt. Genau wie dieses Mal. „Er ist sooo süß, Anni,“ hatte Krümel lächelnd geseufzt und geistesabwesend leere Chipstüten zerknüllt, „Dieses Lächeln, halleluja! Und eigentlich ist er überhaupt nicht so schüchtern, weißt du? Man muss ihn nur aus sich selbst rauskitzeln. Und wenn er sich wundert, hast du das schon mal gesehen? Dann bekommt er so eine putzige Falte über der Nase und–,“ „Wer jetzt?“ „Dein Cousin!“ „Was für ne Falte?“ „Na, die Denkerfalte! Hast du die etwa nie bemerkt?“ „Keine Ahnung,“ sie hatte die Schultern gezuckt, halbherzig über den bekleckerten Küchentisch gewischt und Krümel dann nachdenklich angesehen, „Hör zu. Ich freu mich, dass ihr euch mögt. Und ich hab auch nix dagegen, dass ihr euch trefft. Aber du musst wissen, dass… Also, Aleks und ich verstehen uns richtig gut und trotzdem telefonieren wir nur hin und wieder und sehen tun wir uns noch seltener. Er ist halt ständig am Trainieren und hat kaum Zeit für irgendwas anderes und mein Onkel treibt ihn ganz schön an und… Naja, das solltest du nur wissen. Damit du hinterher nicht enttäuscht bist, falls…du keinen Platz in seinem Leben findest.“ An diesen Satz musste Krümel denken, als er da mit seinem Kaffee am Schreibtisch saß und seinen Laptop hochfuhr. Anuschka hatte sehr ernst ausgesehen. Mit ihren geschminkten Augen und dem allmählich abblätternden Make-Up, das sie jeden Tag großzügig auftrug, um ihre Hautunreinheiten zu überdecken. Normalerweise leuchtete ihr Babyface in einer Tour. Noch ein Grund, weshalb sie immer noch ständig ihren Perso zeigen musste, wenn sie Alkohol oder Kippen kaufen wollte. Aber gestern Nacht hatte sie sehr erwachsen ausgesehen. Das hatte wohl die Sorge gemacht. Doch Krümel würde sich davon nicht beirren lassen. Sorgen waren Zeitverschwendung. Und außerdem war es noch viel zu früh, um besorgt zu sein. Und die Mittagspause hatte er ja schon bekommen. Er war beharrlich. Wenn es noch keinen Platz für ihn in Aleksander Daleys Leben gab, würde er sich halt einen schaffen. Die Mission Ganymed fing schließlich gerade erst an. Um zwanzig nach zwölf nahm Krümel den Bus vom Hauptbahnhof Richtung Roxel Hallenbad und setzte sich nach ganz hinten. Seine Haare waren noch feucht vom Duschen und dufteten nach Shampoo. Und in seiner Brust holperte sein Herz mit dem Bus um die Wette. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal so aufgeregt gewesen war. Sein Magen schien sich die ganze Zeit zu überschlagen. Das letzte Mal musste irgendwann zu Sebastians Zeiten gewesen sein. Wenn der Bus nur schneller fahren würde. Wenn er nur langsamer fahren würde. Wenn er nur schneller fahren würde! Den Vormittag nach dem Aufstehen hatte Krümel damit verbracht, sich sämtliche Aufsätze im Internet und Videos auf YouTube über Zehnkampf anzuschauen. Inzwischen kam er sich megamäßig informiert vor. Er wusste jetzt, dass Zehnkampf, die Königsdisziplin der Leichtathletik, seit 1912 zu den Olympischen Spielen gehörte und aus zehn verschiedenen Einzelwettkämpfen bestand: 100-Meter-Lauf, 400-Meter-Lauf und 1500-Meter-Lauf, dann noch Weitsprung, Hochsprung und Stabhochsprung und noch Kugelstoßen, Diskuswerfen, Speerwerfen und…äh…ach ja, 110-Meter-Hürdenlauf. Zehnkämpfer mussten daher sehr vielseitig und ausdauernd sein. Krümel hatte sich gefragt, ob sich diese im Zehnkampf benötigten Eigenschaften auch aufs Bett übertragen ließen. Diese Vorstellung hatte ihn sehr angetörnt. Zu seiner großen Begeisterung hatte er außerdem herausgefunden, dass Aleksander Daley Lessing seinen eigenen Wikipedia-Artikel hatte. Der gab allerdings nicht allzu viel her. Krümel konnte nicht in Erfahrung bringen, was Aleksander Daley gerne auf dem Weihnachtsmarkt trank oder wie sein liebstes Kuscheltier als Kind geheißen hatte. Stattdessen standen dort nur mittelmäßig wichtige Informationen über ihn. Zum Beispiel wann er wo geboren wurde (am 24. September 1988 in Bremen), dass er beinahe einen neuen Weltrekord im Stabhochsprung aufgestellt hätte und schon mit zwölf Jahren als vielversprechendster Nachwuchszehnkämpfer Deutschlands galt, nachdem er im Jahr 2000 Deutscher Jugendmeister geworden war. Seitdem hatte er eine Menge Wettkämpfe gewonnen, unter anderem 2006 die Europameisterschaften in Göteburg. Seine höchste Höchstleistung betrug 8872 Punkte. Von all den Zahlen war Krümel schwindlig geworden, weshalb er schließlich dazu übergegangen war, Fotos von seinem verehrten Zehnkämpfer anzuschmachten. Im glorreichen Netz gab es eine Menge Bilder von Anuschkas schönem Cousin. Wie er mit einem erregend kämpferischen Gesichtsausdruck über Hürden hinwegsetzte, in einem engen Germany-Leibchen vor vollbesetzten Tribünen stand und scheu lächelte, mit nacktem Oberkörper einen anderen, ebenso nassgeschwitzten Kollegen umarmte. Reichlich Stoff für Krümels Phantasie. Während der Bus seinem Ziel entgegen rumpelte, holte Krümel die Liste hervor, die er während seiner Internetrecherche erstellt hatte. Sie war viel länger geworden, als Krümel ursprünglich beabsichtigt hatte. Sie reichte von Lieblingsfilm, über Wann hattest du deinen ersten Kuss? bis hin zu Wie würdest du dich verhalten, wenn du in eine Geiselnahme geraten würdest?. Diese Liste war Krümels Schatz. Sie würde ihr Gespräch in Gang halten und überdies jede Menge mögliche Spitznamen für Aleksander Daley aufdecken. Übel, wann waren sie denn endlich da? Nach stundenlanger Fahrt erreichte der Bus endlich die Pantaleonstraße. Wie eine hysterische Bergziege sprang Krümel auf den Fußweg und sah sich um. Einfamilienhäuser, Bäume, irgendwo kläffte ein Hund. Gott segne das Schild, das ihm die Richtung wies. Während des Gehens drehte und rauchte Krümel eine letzte Zigarette und malte sich ihr Wiedersehen in vielen quietschbunten Farben aus. Häuser, grüne Felder, ein Mann mit Dogge und mehrere Autos zogen an ihm vorbei. Schon fast eins, wo blieb der Sportplatz? Da! Da musste es sein. Ein Stück hinter der Realschule fand er einen Parkplatz, dessen Eingang beschildert war. Und dahinter…das musste das Vereinsgebäude sein. Und daaahinter leuchtete das Grün einer gewaltigen Rasenfläche zu ihm herüber. Alle seine Eingeweide bibberten vor Nervosität und Vorfreude. Ein paar Teenager in Sportkleidung kamen ihm entgegen und betrachteten ihn misstrauisch. Am Vereinsheim hing ein rotes, rundes Banner mit einem vierblättrigen Kleeblatt in der Mitte. „Hey, ist da die Cafeteria drin?“, rief er den Halbstarken zu; sie brauchten ein paar Momente, um sich zum Antworten herabzulassen. „Yo…,“ „Coolio, danke.“ Die Tür zum Vereinsheim stand offen, übrigens ein recht schäbiges, abgearbeitetes Gebäude. Drinnen roch es nach Essen, Holz und schalem Bier. Vorsichtig tastete Krümel sich vor, schob sich an Sportplakaten, irgendwelchen Listen und einem Metallschrank vorbei, bis er auf der linken Seite einen rustikal eingerichteten Raum bemerkte, dem eindeutig der Essensgeruch entströmte. Bäuerliche Möbel standen herum, massive Tische und Stühle in dunkelbraun, eine Bar mit Essensausgabe. An den Wänden hingen Urkunden und Bilder von Fußball- und Handballmannschaften und die Luft summte von den Gesprächen und Bewegungen und Besteckklappereien der anwesenden Sportler, Trainer und was auch immer. „Krümel?“ Sein Herz machte einen gewaltigen Sprung und er wirbelte auf dem Absatz herum. Aleksander Daley kam scheu lächelnd auf ihn zu. Er trug lockere Sportkleidung und ein Stirnband und sah großartig aus. „H…Hallo!“, schaffte Krümel zu sagen, nachdem er den ersten Schock der Glückseligkeit überwunden hatte. „Hi…,“ antwortete Aleksander Daley, der jetzt direkt vor ihm stand, schüchtern, „Ich…ich war mir nicht sicher, ob du kommen würdest.“ „Warum?“, Krümel war schockiert, „Wir waren doch verabredet. Oder?“ „Ja. Stimmt.“ Einige Sekunden lang betrachteten sie einander verplant lächelnd. In Krümels Ohren pulsierte das Blut. Er konnte Aleksander Daleys Schweiß riechen, was ihn unheimlich durcheinander brachte. Noch nie hatte er so lecker duftenden Schweiß gerochen. Lass mich dich bitte ablecken, Ganymed! „Hast du…hast du vielleicht Hunger?“, fragte Anuschkas überirdisch schöner Cousin, nachdem sie sich beide gesammelt hatten, „Wir…wir könnten etwas essen.“ „Jap, unbedingt.“ „Ähm, okay. Komm mit.“ Treudoof wie ein Cockerspaniel folgte Krümel seinem Zehnkämpfer zur Essensausgabe. Die Leute, an denen sie vorbei kamen, lächelten Aleksander Daley vertraulich zu und musterten Krümel neugierig. Davon bekam der allerdings nix mit, denn soeben hatte er das prächtige Hinterteil bemerkt, das dort vor ihm her ging. Wie zwei unanständige Kameraobjektive saugten sich seine Augen daran fest, bewunderten seine Form und seine Bewegungen bei jedem Schritt. Halleluja! Den müsste man mal… Die füllige Frau hinter der Essensausgabe, die Ute hieß und – wie in einer Mensa – den Hungrigen gefüllte Teller durch eine Art Fenster aus der Küche reichte, fragte Aleksander Daley, nachdem sie sich begrüßt hatten, ob er das übliche wollen würde und er bejahte, woraufhin sie ihm einen bunten Salat gab. „Das ist Krümel,“ stellte Aleksander Daley ihn vor, „Er ist…ein…Freund von mir. Krümel, das ist Ute. Sie sorgt dafür, dass wir alle mal Pause machen und essen.“ „Hallo!“, strahlte Krümel die dicke Dame an und schüttelte ihr Patschehändchen durch das Fenster hindurch. In seinen Ohren klimperte das »ein Freund« noch immer auf und ab. „Freut mich, Krümel. Was möchtest du essen?“ „Was gibt’s denn noch außer Salat?“ „Kartoffelgratin, Currywurst mit Pomm–,“ „Die nehm ich!“ Zusammen mit ihren Tabletts suchten sie sich einen freien Tisch und setzten sich gegenüber. Krümel hätte gerne Bier getrunken, da es ihn redselig und unbefangen machte. Also, noch redseliger und unbefangener. Aber jetzt trank er Eistee und war sich dem Date-Charakter dieses Mittagessens irgendwie überbewusst, was seine Zunge zu lähmen schien und seinen Wangen weh tat, weil er unablässig lächeln musste. „Ähm… Guten Appetit,“ „Jap. Dir auch.“ Eine Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen. Obwohl Krümels Currywurst appetitlich aussah, sah Aleksander Daley eindeutig noch appetitlicher aus. Und er trank Wasser. Glücklich starrte Krümel ihn über den Tisch hinweg an und empfand jedes Blinzeln als schwerwiegenden Hochverrat seiner Augen. Verlegen wich Aleksander Daley seinem Blick aus und stocherte in seinem Salat. „Also!“, begann Krümel schließlich, als er sich vorerst satt gesehen hatte und machte sich über sein Mittagessen her, „Hast du deine Hausaufgaben gemacht?“ „Meine…? Ach ja… Ja, hab ich.“ „Und?“ „Ich hab wirklich lange hin und her überlegt. Aber letztendlich habe ich mich für Krokodile entschieden.“ „Krokodile…!“ Kauend kramte Krümel die Liste und einen Kuli hervor, um die neue Information sogleich aufzuschreiben. Krokodile. Zacken, Zähne, plötzliche Attacken aus dem Wasser. Sehr aufschlussreich. „Kroko…,“ sagte Krümel, während er Krokodil als Antwort hinter die Frage nach dem Lieblingstier kritzelte, „Kroki. Krok. Schnappi. Tabaluga.“ „Tabaluga ist kein Krokodil, sondern ein Drache,“ bemerkte Aleksander Daley und gabelte sich eine Cocktailtomate in den Mund. „Er sieht aber aus wie ein Krokodil.“ „Nur weil Drachen ein bisschen aussehen wie Krokodile. Aber Tabaluga konnte Feuer spucken. Normale Krokodile können das nicht. Da bin ich mir ziemlich sicher.“ „Ich denke, du hast keine Ahnung von Krokodilen.“ „Aber du oder was?“ „Natürlich. Nur weil du noch nie ein Krokodil dabei gesehen hast, wie es Feuer spuckt, heißt das nicht, dass es das nicht kann.“ „Meinst du nicht, dass es bei Wikipedia stehen würde, wenn Krokodile Feuer spucken könnten?“ „Nur, wenn schon mal irgendjemand sie dabei gesehen hat und zurückkam, um davon zu berichten. Aber vielleicht machen sie es nur im Geheimen. Und eventuelle Zeugen werden direkt gegrillt.“ „Das klingt nach einer richtigen Verschwörung…,“ erwiderte Schnappi mit seiner entzückenden Denkerfalte zwischen den Augenbrauen, „Intelligente Drachenkrokodile, die ihre Fähigkeit zum Feuerspucken geheim halten, um… Ja, was? Was haben sie vor? Denkst du, sie werden eines Tages nach der Weltherrschaft greifen?“ „Vielleicht…,“ Glücklich sah Krümel von seinem Essen auf und strahlte seinen Gesprächspartner an. Solche Dialoge mit Anuschkas schönem Cousin zu führen, freute ihn tierisch. Er liebte hirnrissige Diskussionen ohne Ziel. Denn sie machten Spaß und man konnte sie nicht mit jedem führen. Hier stellte sich heraus, ob man sich wirklich gut verstand, ob man wahrhaftig kompatibel war. Und ob es unter Umständen eine Zukunft gab, die romantische Picknicks im Park und den sorgfältigen Erwerb von Verhütungsmitteln mit einschloss. Mhm, himmlische Aussichten. „Vielleicht liegt genau hier das Geheimnis deines Spitznamens verborgen,“ verkündete Krümel und wedelte optimistisch mit seiner ketchupverschmierten Gabel, „Irgendwas mit Kroko und Feuer oder fire. Mhm… Vielleicht auch was mit Tabaluga. Fabaluga. Dann haben wir das F von Feuer noch mit drin.“ „Ich weiß nicht.“ „Du wirkst nicht überzeugt. Na gut. Meine Liste ist ja noch etwas länger. Aber bevor wir anfangen…,“ Krümel schob seinen bereits halbleeren Teller Richtung Aleksander Daleys Grünzeug, „…solltest du dir ne Pommes nehmen.“ „Nein, danke. Ich muss–,“ „Dein Wettkampfgewicht halten, ich weiß. Aber von einer Pommes wirst du bestimmt nicht gleich aus allen Nähten platzen. Außerdem sollte jeder Mensch regelmäßig Pommes essen.“ „Wieso das?“ „Pommes sind gut für die Psyche. Pommes machen glücklich und zufrieden. Jeder weiß das. Komm schon, Fabaluga. Nur eine. Wann hast du deine letzte gegessen?“ „Ähm…,“ „Falsche Antwort. Wenn man sich nicht mehr erinnern kann, ist eindeutig schon zu viel pommeslose Zeit vergangen. Also, nimm dir eine.“ Auffordernd grinste er Aleksander Daley an und der schmunzelte und schüttelte leicht den Kopf als würde er denken, wie gaga Krümel war. Aber dann streckte er doch die Hand aus und nahm sich eine Pommes von Krümels Teller. „Danke,“ sagte Kroko lächelnd und biss ab. „Bitte,“ sagte Krümel und lächelte zurück. Und einen Moment lang, so schien es, verfiel der ganze Raum in andächtiges Schweigen, weil sie einander in die Augen schauten und lächelten und dieser disziplinierte Zehnkämpfer tatsächlich Pommes von Krümels Teller aß und das alles so wahnsinnig romantisch und perfekt war. Halleluja, dachte Krümel, wie weit wir schon gekommen sind. Gestern um diese Zeit kannten wir uns noch gar nicht und jetzt sitzen wir hier und essen gemeinsam Pommes und irgendwie fühlt sich das alles so richtig an, so verdammt richtig. Besonders die Sache mit den Pommes. Kapitel 4: Megagut und mit Durex -------------------------------- Hallo, Ihr Lieben :)! Schon wieder ist eine Woche rum und Dienstag und daher Zeit für das neue Kapitel von Leckerbissen. Ich hoffe, es erfreut Euch und bringt Euch zum Schmunzeln und wärmt Euch an diesem kalten Dezembertag. Und danke für all die schönen Kommentare, ich freue mich über jeden einzelnen :)! Bis bald und eine schöne Vorweihnachtszeit, Eure Lung - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - Stück für Stück arbeiteten sie Krümels Liste ab. „Lieblingsfarbe?“ „Ähm, dunkelgrün.“ „Sehr gut. Gute Farbe. Passt zum Krokodil. Mhm, Grüni. Lieblingsmöbelstück?“ „Meine Güte. Äh, wir haben im Wohnzimmer so einen Sessel stehen. Der ist megabequem.“ „Sessel, in Ordnung. Okay. Was war dein Traumberuf als Kind?“ „Puh. Ich glaub, ich wollte Polizist werden. Oder Feuerwehrmann. So wie alle Jungs damals. Was wolltest du werden?“ „Raubtierdompteur.“ Aleksander Daley lachte und Krümel strahlte ihn an. „Das ist auch nicht schlecht.“ „Was ist dein Lieblingssport? Abgesehen von Zehnkampf natürlich.“ „Natürlich. Also, Schwimmen tu ich gern.“ „Okay. Und dein Lieblingsessen? Bitte sag nicht Salat.“ „Ähm. Meine Stiefmutter macht ganz tolles Hühnchen. Irgendwie mit Chili und Honig, richtig lecker. Aber Salat ist auch nicht schlecht. Und gesund, solltest du auch mal versuchen.“ Krümel kicherte und schrieb eifrig mit. Seine Wangen waren gerötet von all der Freude und der Liebe, die er immerzu empfand. Alles lief wie am Schnürchen. Es war so einfach. Frage, Antwort, Frage, Antwort. Und dazwischen Pommes und Eistee und das ganze Lachen, das sie teilten. Krümel fühlte sich vollkommen entspannt und zufrieden. Und Grüni schien es genauso zu gehen. Besser konnte man die Mittagspause nicht verbringen. „Stiefmutter…,“ sagte Krümel und krakelte diese Info an den Rand seines Papiers, „Das ist ein gutes Stichwort. Familienkisten sagen viel aus über einen Menschen und bergen daher viel Spitznamenpotential.“ „Willst du damit sagen, dass ich dir von meiner Familie erzählen soll?“ Krümel hob den Blick von seiner Liste und sah, dass Aleksander Daley ihn anlächelte. Sein Herz drehte eine Pirouette. Schon wieder. Wieder und immer wieder. „Vielleicht.“ „Na gut, also… Ich lebe bei meinem Vater und meiner Stiefmutter. Die sind jetzt bald zwei Jahre verheiratet. Und ich habe eine kleine Halbschwester namens Greta.“ „Greta. Ist sie nach einer berühmten Ballerina benannt?“ „Nee!“, er lachte erneut und Krümel fand ihn hinreißend, „Den Namen hat Dani, also meine Stiefmutter, ausgesucht. Sie fand ihn schön. Das ist alles.“ „Was ist mit deiner leiblichen Mutter? Wo ist die?“ „Weg.“ Huch. Krümel wollte sich auf die Zunge beißen. Mit gesenktem Kopf schob Aleksander Daley sein letztes Stück Gurke über den Teller. Mutter weg. Das roch nach Drama. „Tut mir leid,“ antwortete Krümel zaghaft, „Ich…wollte nicht…indiskret sein…,“ Indiskret. Wer sagte denn sowas? Übel wie schlecht er in sowas war. Zum Kopf-ins-Klo-Stecken. „Schon gut. Du wusstest es ja nicht,“ Aleksander Daley lächelte tapfer, „Also, meine Eltern leben schon sehr, sehr lange getrennt. Eigentlich haben sie sich direkt nach meiner Geburt getrennt. Sie waren nie verheiratet. Ich hab schon immer bei meinem Vater gelebt, meine Mutter schreibt mir nur hin und wieder Weihnachts- und Geburtstagskarten. Gesehen habe ich sie nur viermal in meinem Leben.“ „W…Wo ist sie denn? Ich meine–,“ Aleksander Daley zuckte die Achseln, spielte mit seinem Wasserglas und sah auf einmal sehr resigniert aus. „Überall und nirgendwo. Ich…ich war ein Unfall. Mein Vater wollte mich, aber sie… Sie war noch sehr jung, erst zweiundzwanzig. Und sie war schon immer ein Wildfang. Jedenfalls hat es mein Vater so ausgedrückt. Sie wollte sich noch nicht binden, sie tanzte immer auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig und ein Kind…passte so gar nicht in ihren Lebensplan. Nach meiner Geburt hat sie sofort die Koffer gepackt und ist abgereist. Ihre Karten kommen von überall her: Tunesien, Costa Rica, Bulgarien. Die letzte kam aus einem Kaff in Finnland.“ Nachdenklich schwieg Krümel. Eigentlich konnte er zu jedem Thema etwas daher sabbeln. Aufheitern war seine Devise, wenn Anuschka oder jemand anders aus seinem Freundeskreis traurig war. Aber wie sollte man eine weglaufende Mutter witzig gestalten? Außerdem…hatte er Angst, etwas Falsches zu sagen. Wer in einer emotionalen Situation etwas Herzloses sagte, war runter vom Heiratsmarkt. Klare Sache. „Dämliche Ziege.“ „Was?“ „Oh Gott. Übel! D…Das wollte ich gar nicht sagen, tut mir voll leid. Es…es ist nur… Ich meine, sieh dich an. Wie kann sie dich nicht wollen? Du…Du bist doch hammermäßig.“ Stille. Heilige Scheiße. Übel. Krümel presste Augen und Mund zu. Diese verfrühten Liebeserklärungen mussten aufhören! Bei Sebastian war ihm das auch passiert. Allerdings war er damals ziemlich blau gewesen, was man als Verteidigung anbringen könnte. Und Sebastian war auch blau gewesen und er war sowieso ganz anders gewesen als Aleksander Daley und hatte nur gelacht. Bloß nicht abschrecken, du Hornochse! Vorsichtig öffnete Krümel ein Auge. Aleksander Daley starrte ihn an und blinzelte. Aber er sah nicht wütend aus. Verdattert vielleicht. Und etwas verlegen. Und da war die Denkerfalte. Halleluja, war die schön! „Äh. Danke.“ „B…Bitte. Also, wie Anuschka gesagt hat, beachte mich einfach nicht. Wenn ich dich…äh…nerve. Okay?“ „Okay. Aber du…nervst mich nicht. Ich meine, danke.“ „Bitte.“ Sie musterten einander stumm und verschüchtert lächelnd. Dann senkten sie gleichzeitig den Blick auf ihre leeren Teller und pfriemelten überflüssig an ihren Kleidern rum und Krümels Herz pochte in seiner Kehle und er fühlte sich peinlich berührt, was selten vorkam, aber auch aufgeregt und ziemlich gut. Halleluja, allein dafür hatte sich die Fahrt hierher gelohnt. Würde die Zeit nur still stehen und sie könnten sich für immer in dieser einlullenden Atmosphäre der Cafeteria gegenüber sitzen. „U…Und deine Familie?“, fragte Aleksander Daley, der süßeste Zehnkämpfer der Welt, und weckte Krümel aus seinen wohligen Gedanken. „Meine Familie?“ „Ja, wie ist die so?“ „Oh. Äh. Anders. Ganz anders, fürchte ich. Halleluja.“ „Wieso? Sind deine Eltern noch zusammen?“ Zu Krümels Erleichterung grinste Aleksander Daley inzwischen wieder und dieses Grinsen stand ihm so gut, dass es Krümels Blut zum Kochen brachte und er sich sekundenlang ziemlich notgeil vorkam. „Jap, das sind sie. Sie sind über zwanzig Jahre lang glücklich verheiratet und ich denke, dass sie auch die fünfzig irgendwann noch knacken werden.“ Anuschkas umwerfend schöner und rattenscharfer Cousin lächelte. „Das ist toll.“ „Wenn du wüsstest,“ Krümel verdrehte die Augen, um von seiner inneren Hitze abzulenken, „Glaub mir, meistens ist es peinlich, mit meinen Eltern verwandt zu sein. Die machen nur Quatsch und ständig sind sie am Schmusen und Schäkern. Sie erzählen jedem, dass sie füreinander geschaffen wurden und dass sie das vom ersten Augenblick an gewusst haben. Schwachsinn, wenn du mich fragst.“ „Also, für mich klingt das romantisch,“ sagte Aleksander Daley leise, aber Krümel winkte ab. „Nicht, wenn du diese Story seit deiner Geburt gehört hast. Außerdem ist es kein Vergnügen, den eigenen Eltern beim Rummachen zu zusehen, glaub mir.“ „Hast du Geschwister?“ „Nein.“ „Wieso nicht? Wenn deine Eltern so verliebt sind, dann würde man doch denken–,“ Krümel seufzte schwer. „Die Sterne wollten es nicht so.“ „Wie bitte?“ „Jap. Meine Eltern sind Hippies, musst du wissen. Und sie haben den FlowerPower-Kram nie so richtig hinter sich gelassen. Als ihnen klar war, dass sie zueinander gehören, haben sie die Sterne gefragt, wann die richtige Zeit ist, um das ihnen vom Schicksal zugewiesene Kind zu empfangen. Neun Monate nach diesem heiligen Datum wurde ich geboren. Danach haben sich die Sterne ausgeschwiegen, woraus sie schlossen, dass sie nur dieses eine Kind haben sollten. Deshalb habe ich keine Geschwister.“ Aleksander Daley schien erstaunt und skeptisch und gerührt zugleich. Mit leicht geöffnetem Mund sah er Krümel an und der freute sich wie ein Schneekönig über die weißen Zahnreihen und die dunkelrote, glänzende Zunge dazwischen. Man müsste ihn mal küssen, dachte er, so ein kleines bisschen nur. Und dann vielleicht auch etwas mehr. Mjammi. „Ist das dein Ernst?“ Krümel lachte sich scheckig. „Jap, mein voller Ernst. Behämmert, oder?“ „Naja…,“ „Sag es ruhig, ich nehm’s dir nicht übel. Ich hab das auch schon hundertmal gedacht. Eigentlich denke ich das ständig, wenn ich sie sehe. Alter, letztens kam ich irgendwann abends spontan mal zu Hause vorbei, um irgendwas abzuholen – ich glaub, ne CD oder so – und was sehe ich da?“ Aleksander Daley starrte ihn mit großen Augen und Denkerfalte an. Er war so schön, Krümel hielt es kaum aus. „Was?“ „Die beiden hocken nackt im Wohnzimmer und kiffen.“ „Nein!“ „Doch und dann fragen sie mich allen Ernstes, ob ich mich nicht dazu setzen will!“ „Was hast du gesagt?“ „Na, was wohl? Dass ich doch nicht bescheuert bin und sie das bitte ohne mich machen sollen. Ich halte mich zwar für ziemlich liberal, aber da bin ich konservativ.“ Einen Moment lang schien Aleksander Daley zu fassungslos, um zu reagieren. Aber dann legte er sich die Hand über den Mund und begann so schnuckelig zu kichern, dass Krümel hätte schwören können, die Luft um sie herum würde sich rosa färben. Sekundenlang sah er überall türkisfarbene Schmetterlinge durch die Cafeteria flattern, dann hörte Aleksander Daley auf zu lachen und die Welt kippte wieder ins Lot. Halleluja. Das war wie Drogen. „Bei euch zu Hause muss es wahnsinnig witzig sein,“ lächelte Aleksander Daley. „In erster Linie ist es nervtötend,“ erwiderte Krümel, der leicht neben der Spur war, „Aber ja. Du hast Recht. Meistens ist es witzig. Und nie langweilig.“ „Das kann ich mir vorstellen.“ „Aber dafür habe ich keine kleine Schwester. Wie alt ist sie?“ „Zwanzig Monate.“ „Zwanzig Monate? Also so eineinhalb? Coolio, so klein. Und wie ist sie so drauf?“ „Sie ist klasse!“, schwärmte Aleksander Daley großbrüderlich, „Sie ist so neugierig und interessiert sich für alles und jeden und sie läuft und springt wie ein Zicklein, man muss ihr ständig hinterher rennen. Und jetzt fängt sie auch langsam an zu sprechen, also »Mama«, »Papa«, »Ball«, »ja« und »nein«. Alles andere ist »da!«.“ Er lachte zärtlich und Krümel wünschte sich plötzlich, eine Menge Kinder mit ihm zusammen zu haben. Wenn er nur immer so lachte und lächelte. „Ich wette, sie hat einen großartigen Spitznamen für dich, oder?“ Aleksander Daley gluckste. „Sie nennt mich Ale. Zu mehr reicht es noch nicht.“ Ale. Tief in Krümels Bauch schlug ein giggelnder Zwerg Purzelbäume. Ale. Halleluja. „Das gefällt mir,“ Krümel grinste, trank seinen Eistee leer und griff wieder nach seiner Liste, „Aber ich denke, ich sollte mir trotzdem meinen eigenen Spitznamen für dich überlegen. Was mich daran erinnert, dass ich noch eine Menge Fragen an dich habe. Bist du bereit?“ „Ähm…,“ auf einmal wirkte Aleksander Daley beunruhigt, „Ich…ich weiß nicht, kommt drauf an. Weißt du, wie spät es ist?“ Alarmiert kramte Krümel sein Handy hervor und hoffte verzweifelt, es möge erst fünf nach eins sein. Aber das war unwahrscheinlich. Leider, leider. Sehr unwahrscheinlich. Übel. Fuck! Wo war die Zeit geblieben? „Viertel nach.“ „Nach was?“ „Nach zwei.“ „Viertel nach zwei schon?“ „Jap.“ „Mist! Ich muss um halb drei wieder aufm Platz sein.“ „Schon?!“ „Ja, ich hab’s versprochen. Sorry.“ „Mpf.“ Ale schien hin- und hergerissen. Gestresst, belustigt, ja, nein. Gehetzt sah er sich in der Cafeteria um und biss sich mit seinen herrlichen Zähnen kurz auf seine herrlichen Lippen. Krümel lief das Wasser im Munde zusammen und er betete zum Himmel, er möge noch einen klitzekleinen Aufschub bekommen. Es machte nix, wenn er den Großteil seiner Liste heute nicht mehr unter bekam. Aber eine, eine Sache. Die musste er noch wissen. „Nur noch bis halb drei,“ bettelte er, „Nur noch die letzte Viertelstunde. Dann gehe ich sofort und du kannst in Ruhe trainieren. Ich schwöre, ich werde dich nicht belabern, ob ich noch zuschauen kann oder so. Ich gehe und bin weg. Versprochen. Aber die letzte Viertelstunde. Die musst du mir noch geben. Bittebitte.“ Aleksander lachte ein wenig und fuhr sich über die Stirn, wie schon in der vergangenen Nacht, als sie sich kennen gelernt hatten, und Krümel fühlte sich wieder ganz genauso plemplem und beduselt wie damals und– „Okay. Okay. Noch bis halb.“ „Halleluja! Okay, okay. Coolio. Also, wo war ich? Schnell, schnell. Keine Zeit verlieren!“ Mit klappernden Zähnen überflog Krümel die Liste. „Okay, ich mach’s schnell. Warte, ja, hier! Also, Sonne oder Mond?“ „Du meinst, was ich lieber mag? Also, Tag oder Nacht?“ „Jap.“ „Ähhh, Sonne.“ „Meer oder Berge?“ „Mmm…Meer.“ „Tee oder Kaffee?“ „Tee.“ „Ketchup oder Majo?“ „Weder noch.“ „Welch Wunder. Obst oder Gemüse?“ „Beides. Also, kommt drauf an. Aber ja, beides.“ „Durex oder Billy Boy?“ „Wie bitte?!“ „Vergiss es! Äh, Fahrrad oder Bus?“ „Ähm, Fahrrad.“ „Sommer oder Winter?“ „Sommer. Nein! Winter. Winter.“ „Winter. Ähm, Katzen oder Hunde?“ „Katzen.“ Krümel brach der Schweiß aus. Jetzt war es soweit. Die Stunde der Wahrheit. Daumen drücken, Leute! „M…Männer oder Frauen?“ Die Stille war fast greifbar. Krümel nahm all seinen Mut zusammen und löste den Blick von dem bekritzelten Papier. In seiner Hand bebte der Kuli. Aleksander Daley starrte ihn an. Sein Mund stand ein bisschen offen – Halleluja! – und er schluckte. Die Welt wartete, sprachlos vor Schreck. Aber dann kam es. Endlich. Und ganz leise, nur ein Hauch eigentlich. „Männer.“ YEEES! Yes, yes, yes, yes! Halleluja! JA! Halleluja! Ich wusste es ja! Männer! Wuhuuu, Männer! Danke, Gott, danke, danke, danke! „Okay,“ quiekte Krümel und packte die Liste ein und strahlte dabei so breit, dass sein Gesicht schmerzte und seine Augen tränten, „Okay. Das war’s schon. Danke für deine ehrlichen Antworten. Du hast es überstanden. Das war’s für heute. Aus die Maus. Ende gut, alles gut. Punkt. Abspann. Rien ne va plus. Finito.“ Er rief sich selbst zur Ordnung. Andernfalls hätte er wohl ewig so weiter gemacht. Im Freudentaumel ging sein gesunder Menschenverstand flöten. Mal wieder. „Das war’s?“, fragte Aleksander Daley verdutzt. Krümel nickte und schlürfte die letzten Tropfen Eistee aus seinem Glas, damit sein Plappermaul sich ein wenig abregen konnte. „Mehr Fragen hast du nicht?“ „Oh, doch. Sogar eine Menge. Aber ich dachte, wir machen für heute Schluss. Du brauchst bestimmt eine Pause. Und es ist noch nicht mal halb drei. Gut, oder?“ „Ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell vorbei ist.“ „Bist du enttäuscht?“, fragte Krümel, der nach wie vor ziemlich konfus war, und kicherte albern, „Nämlich, wenn das so ist, dann sollten wir uns schleunigst wiedersehen, damit wir die Liste fertig machen können. Morgen ist Freitag. Trainierst du da auch?“ „Äh, ja.“ „Coolio. Dann komm ich morgen um dreizehn Uhr wieder her. Selbe Zeit, selber Ort. Was sagst du dazu? Aber ich warne dich. Wenn du nein sagst, komm ich trotzdem und campe vor der Cafeteria, bis du zu mir rauskommst.“ Krümel strahlte so sehr, dass es schon fast lächerlich aussah. Wie ein Kindergartenkind vor einer gewaltigen Schokoladentorte. Aleksander Daley schien sekundenlang etwas irritiert, aber dann siegte doch sein Sinn für Humor und er lachte leise und verbarg sein Gesicht in den Händen. „Meine Güte…,“ brummte er durch seine Finger, „Du hast sie wirklich nicht mehr alle.“ „Ich weiß,“ erwiderte Krümel zufrieden. Vorsichtig lugte Anuschkas schöner Cousin durch seine Finger und lächelte niedlich und Krümel fühlte sich so überglücklich, dass er die Endorphine selbst in seinen Zehen spüren konnte, und als er die Cafeteria der Sportanlage Roxel schließlich verließ, war das noch immer so. Der Himmel war so blau wie nie zuvor und die Sonne schien warm auf ihn hinab, als würde sie nur für ihn und seine neue Liebe scheinen, und Krümels Knie waren so wacklig, dass er sich zum Zigarettedrehen an einen Baum lehnen musste. Dunkelgrün. Krokodile. Hühnchen und Feuerwehrpolizist. Sonne, Tee, Katzen, Winter. Und Männer. Männer. Besser konnte das Leben doch nicht sein. Männer, dachte Krümel, zog an seiner Zigarette und machte sich auf den Weg zur Bushaltestelle, wobei er an tausend bunten Blumen vorbei kam, die ihm auf dem Hinweg noch nicht aufgefallen waren. Das könnte was werden, dachte er. Halleluja, dachte er, das könnte sogar richtig gut werden. Und das würde es. Ganz sicher. Es würde megagut werden. Megagut und mit Durex. Kapitel 5: Der böse Mann hat keine Chance ----------------------------------------- Ihr Lieben, ich mach es heute kurz, denn ich muss bald zur Arbeit: Viel Gelächter und Romantik beim Lesen :) Allerliebste Grüße von Eurer Lung - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - „Also ist er wirklich schwul?“, fragte Anuschka zum dritten Mal, als sie am nächsten Vormittag telefonierten, „Ich glaub’s ja nicht. Ich bin von Schwulen umgeben.“ „Jap, ist das nicht toll?!“, frohlockte Krümel, der ständig aufsprang und strahlend durch sein Zimmer hüpfte, „Und hab ich’s dir nicht gesagt?! Ich hab’s dir gesagt! Ich wusste sofort, dass er in meiner Mannschaft spielt. Ich wusste es sofort!“ „Jaja… Und du siehst ihn heute echt wieder?“ „Jap, in einer Stunde und vierundvierzig Minuten, um genau zu sein.“ Halleluja, allein der Gedanke. Es fühlte sich an wie elektromagnetische Wellen, die über seinen ganzen Körper krochen. Und jedes Mal, wenn er oder Anuschka SEINEN Namen nannten, stellten sich alle Härchen in Krümels Nacken auf. Er wollte SEINEN Namen immer wieder nennen. Er wollte nie wieder einen anderen Namen hören. Aleksander Daley. „Nicht zu fassen.“ „Hee, warum überrascht dich das denn so?“ „Weiß nicht. Hast du ihn bedroht und erpresst?“ „Quatsch! Hab ich überhaupt nicht. Ich hab ihn ganz einfach mit meinem natürlichen Charme überzeugt. Wir haben einfach einen Draht zueinander, Anni. Er und ich, wir sind praktisch wie zwei Puzzleteile, wir ergänzen uns perfekt.“ „Das hast du damals bei Sebastian auch gesagt.“ „Und es war die Wahrheit! Wäre es nicht so gekommen, wie es nun mal gekommen ist, dann hätten Sebastian und ich geheiratet und viele schwarze Kinderchen adoptiert.“ Anuschka lachte. „Aber meinst du nicht, dass es so mit euch gekommen ist, beweist, dass ihr eben keine Puzzleteile wart, die sich perfekt ergänzen?“ „Nein, nein, nein!“, protestierte Krümel entrüstet und warf beinahe seinen Tabak vom Schreibtisch, „Sebastian und ich waren Opfer der Umstände. Wir waren einfach noch nicht bereit für die ewige Liebe. Aber dieses Mal, dieses Mal bin ich bereit.“ „Und woher weißt du, dass Aleks ebenfalls bereit ist?“, fragte Anuschka und Krümel hörte die Skepsis ganz deutlich in ihrer Stimme und es machte ihn rasend. „Na, hör mal! Das kann ich natürlich fühlen. Duuu, ja, solltest mich unterstützen! Wo ist dein Vertrauen in mich bitte hin? Du und ich, wir sind auch zwei Puzzleteile und dass das eine Puzzleteil das andere ärgert, gehört sich überhaupt nicht.“ Übel aber auch. Beste Freundinnen waren auch nicht mehr das, was sie mal waren. „Oooch, Krümel!“, säuselte Anuschka ins Telefon und darüber mussten sie beide kichern, „Manchmal müssen sich Puzzleteile gegenseitig ärgern, damit sie nicht vom Weg abkommen.“ „Ach, ist das so?“ „Jaah, das ist so. Also. Wir reden hier immerhin von meinem Lieblingscousin.“ „Deinem einzigen Cousin.“ „Und meinem liebsten Cousin. Da darf ich mir doch wohl Sorgen machen. Vor allem, wenn mein bester Freund mit ihm durchbrennen will.“ Durchbrennen. Ja, das klang gut. Seeeuuufz. Durchbrennen. Auf einem weißen Pferd. Oder auch einem schwarzen. Dem Sonnenuntergang entgegen. Nur er und Aleksander Daley. Aleksander Daley. „Ich schwöre dir, ich pass auf ihn auf. Ich lass ihn nicht vom Pferd fallen.“ „Was für’n Pferd?“ „Schon gut.“ Krümel klemmte das schnurlose Telefon zwischen Kopf und Schulter ein, um sich eine Zigarette drehen zu können. Die Jukebox auf seinem Laptop untermauerte seine Gefühlslage mit Hungry Eyes, einem der Songs aus dem Soundtrack von diesem schmalzigen Tanzfilm, den Anuschka ihm mal aufgedrängt hatte. Dämlich grinsend wiegte Krümel sich im Takt der Musik und lauschte dem prophetischen Text und sein Inneres schnurrte wie ein Kater, der soeben den Chihuahua verdaute. Ja, Ganymed, ich habe hungrige Augen. Und da ist hundertprozentig eine Magie zwischen uns. Hundertprozentig. „Krümel? Bist du noch dran?“ „Mhm.“ „Was machst du? Wehe, du masturbierst!“ „Quatsch! Also, wirklich! Was denkst du denn von mir? Ich drehe mir eine Zigarette.“ „Ach so.“ „Sag mal… Hast du nach der Party nochmal mit Aleksander Daley gesprochen?“ „Wiesooo?“ Ha! Sie klang lauernd und unschuldig, was eindeutig ihre Schuld bedeutete. „Hast du, oder? Oder?!“, krähte Krümel und suchte unter dem Schreibtisch nach seinem Feuerzeug, das er vor Aufregung hatte fallen lassen, „Wann? Wie? Wo? Was hat er gesagt? Hat er über mich gesprochen?!“ Anuschka lachte ihm fröhlich ins Ohr und Krümel ertastete sein Feuerzeug in der linken Ecke, in einem großen Haufen Staubflusen. Igitt. Wo war eigentlich der Staubsauger? Gab es in dieser Wohnung überhaupt einen? „Ehrlich gesagt hat er das wirklich.“ Krümels Kopf schoss in die Höhe. „Echt?! Oh Gott. Übel. Ich meine, Halleluja! Was hat er gesagt?“, immer noch am Boden hockend, zündete er sich atemlos die Zigarette an, „Und wann war das? Und was hat er genau gesagt?!“ „Ich hab gestern Abend mit ihm telefoniert.“ „Gestern Abend?! Wann genau?“ „So gegen halb neun, glaub ich. Als du arbeiten warst.“ „Halleluja! Und? Was hat er über mich gesagt?! Hoffentlich, dass er mich unheimlich heiß findet und unbedingt bei nächster Gelegenheit von meiner besten Salami kosten will.“ Hach. „Boah, Krümel!“, kreischte Anuschka und gluckste gleichzeitig, „Du bist so eine Sau, ehrlich. Nein, das hat er nicht gesagt.“ „Wie schade.“ „Eigentlich hat er mich gefragt, ob du ein bisschen verrückt bist.“ „Und? Was hast du gesagt?“ „Ich hab ihm gesagt, dass du nicht verrückt, sondern total irre bist.“ „Oh, danke schön. Dann sind ja alle Zweifel ausgeräumt,“ grollte Krümel belustigt und zog an seiner Zigarette. „Und dann hat er mir noch von der Sache mit dem Spitznamen erzählt. Und von dieser Liste mit Fragen, die du deswegen gemacht hast. Gibt’s die wirklich?“ „Aber hallo! Wo ist sie denn? Ah, hier. Ich hab noch ne Menge vor, Anni. Bald werde ich alles über ihn wissen. Viel mehr als du.“ „Ach ja.“ „Jap. Wusstest du zum Beispiel, dass er Katzen lieber mal als Hunde? Oder dass er gerne schwimmt und lieber Tee als Kaffee trinkt?“ „Keine Ahnung. Denke schon. Ich hab ihn nie Kaffee trinken sehen.“ „Aber du hast nie darüber nachgedacht?“ „Nee, nicht so richtig.“ „Eben!“, triumphierte Krümel und aschte aus Versehen auf seinen Teppichboden, „Uuups. Egal. Naja, also, ich habe darüber nachgedacht. Und sobald ich alle basics über ihn weiß, werde ich anfangen, die wichtigen Fragen zu stellen.“ „Die da wären?“ „Na, wann er wo und mit wem seinen ersten Kuss hatte. Und– Meinst du, es ist zu früh, ihn nach seiner Lieblingsstellung zu fragen?“ „Lieblingsstellung? Beim Sex oder was?“ „Wo sonst?“ „Oh Gott. Keine Ahnung. Doch, ich denke, das ist viel zu früh. Ich weiß nicht mal…,“ „Was?“ „Ach, keine Ahnung. Aleks hält sich in diesen Dingen total bedeckt. Ich weiß absolut nix über Ex-Freunde oder Freundinnen, geschweige denn irgendwelche Sexgeschichten. Da redet er nie drüber. Ein einziges Mal hab ich nach Liebeskram gefragt und er meinte nur, dass er für sowas keine Zeit hat. Wegen dem Sport halt.“ „Der Scheißsport…,“ brummte Krümel und kratzte sich geistesabwesend am Hals, während sein Schritt noch das Wort Sexgeschichten im Zusammenhang mit Aleksander Daley verarbeitete. Welle, Welle, Welle. Atemnot. „Tja…,“ seufzte Anuschka, „Das ist halt seine Priorität Nummer eins.“ „Das wollen wir doch mal sehen!“, erklärte Krümel verächtlich und fletschte die Zähne, „Hiermit sage ich dem Zehnkampf offiziell den Zehnkampf an. Ich lass mich von dem nicht einschüchtern. Der soll nur kommen. Ich werde Aleksander Daley in eineinhalb Stunden wiedersehen und davon wird mich nix und niemand abhalten können. Schon gar nicht der blöde Zehnkampf!“ Anuschka lachte zärtlich. „Du bist süß, wenn du verknallt bist. Das hatte ich fast vergessen.“ Plop, plop, plop fiel Krümel in sich zusammen. Seine Kampfhaltung zerfloss wie schmelzende Schokolade und oh, wie weich und samtig die Wolken draußen den Himmel entlang segelten. Das warme Licht, der Duft seines Kaffees. Wie wunderschön die Welt war. Seufzend sank er der Länge nach auf den Teppich. „Ach, Anni…,“ schmachtete er hingerissen und wollte ewig damit weitermachen, „Er ist sooo süß, so unglaublich süß. Diese Augen, dieser Mund und – halleluja! – sein Lächeln. Mein Gott, ich…ich kann an nix anderes denken. Und ich muss die ganze Zeit grinsen und ich träume und…und mir fehlen die Worte und du weißt, dass das nicht oft vorkommt…,“ „Oh ja…,“ „Es ist der Wahnsinn, wie süß er ist… Einfach nicht zu glauben…,“ „Mhm…,“ Die treue Anuschka lauschte Krümels verliebten Hymnen noch eine Weile, dann fiel ihm ein, dass er noch nicht geduscht hatte und sein Bus schon in knapp dreißig Minuten vom Bahnhof abfuhr. Sie verabschiedeten sich eilig und unter der Dusche sang Krümel Hungry Eyes. So laut und falsch, dass einer seiner Mitbewohner entnervt an die Tür hämmerte. Den Weg von der Bushaltestelle Pantaleonstraße bis zur Sportanlage Roxel legte Krümel dieses Mal schon zielstrebiger und selbstsicherer zurück. Mit jedem Schritt, den er vorwärts ging, schien sein Herz schneller zu schlagen. Am liebsten wäre er gerannt, um die Entfernung zwischen ihm und Aleksander Daley möglichst rasch zu verringern. Diese Vorfreude machte ihn völlig unzurechnungsfähig. Vorsicht, Vorsicht. Sonst würde er Aleksander Daley noch vor versammelter Mannschaft um den Hals fallen und ihm die Zunge ins Ohr stecken. Die Tür zum Vereinsheim stand offen, genau wie gestern. Mit dem Fuß drückte Krümel seine Weg-Zigarette aus und warf sie in den nächsten Mülleimer. Dann schlenderte er beschwingten Schrittes in das Gebäude hinein, nur um sich nach zwei Metern mit einem Hechtsprung hinter einen Metallschrank zu flüchten. Uh. Ah. Was mach ich hier? Und was geht da ab? Eigentlich war es nicht Krümels Ding, sich spontan zu verstecken. Er war eher der Typ Konfrontation. Doch etwas an der Situation vor ihm ließ in ihm die Empfindung entstehen, vorerst besser ungesehen zu bleiben. Vielleicht ein Selbsterhaltungstrieb. Anuschkas sagenhaft schöner und atemberaubend attraktiver Cousin stand dort vor einem Plakat und wirkte – zu Krümels Kummer – unglücklich und verärgert. Und er schien sich zu streiten. Mit einem streng aussehenden Mann, der ihm gegenüber stand. Er war genauso groß wie Aleksander Daley und hatte die Arme in die Hüften gestützt und strahlte allgemein eine Aura aus, die Krümel empfahl, ihn lieber nicht auf die Schippe zu nehmen. „–muss dir nicht erklären, dass du dir so kurz vor Olympia keine Ablenkungen erlauben kannst.“ „Ich lass mich nicht ablenken, das habe ich dir doch gesagt.“ „Und was war das vorhin in der Halle?“ „Das… Ich…ich hab nur kurz den Faden verloren.“ „Du hast keine Zeit, den Faden zu verlieren, Aleksander. Es sind nur noch zwei Wochen bis London. In zehn Tagen fliegen wir. Du musst dich jetzt konzentrieren! Reiß dich zusammen. Ich will doch nur, dass deine ganze Arbeit nicht umsonst war.“ „Ich weiß.“ Der böse Mann streckte die Hand aus, um Aleksander Daley an der Schulter zu berühren, doch der wich ihm aus. Er wandte das Gesicht ab und Krümel hatte ihn noch nie so missmutig gesehen. Es versetzte ihm und seinem vernarrten Bauch einen schmerzhaften Stich. Böser Mann, böööse! Lass meine Braut zufrieden! „In Ordnung,“ seufzte die personifizierte Boshaftigkeit und wandte sich zum Gehen, „Mach Pause. Aber um halb drei will ich dich spätestens auf dem Platz sehen. Verstanden?“ „Ja. Verstanden.“ Er ging. An der lecker riechenden Cafeteria vorbei und verschwand durch eine Tür auf der rechten Seite. Vielleicht ein Büroraum? Aleksander Daley bewegte sich nicht. Er schloss nur die Augen und ließ den Kopf hängen. Krümel war nach Weinen zumute. Och, Schätzchen, dachte er bekümmert und voller Zärtlichkeit, mein Schätzchen. „Hey!“, zischte er und schob sich um den Metallschrank herum, „Hey, Winterkind.“ Verdutzt hob Aleksander Daley den Kopf und erblickte ihn. Und sein Gesichtsausdruck änderte sich von einer Sekunde auf die andere. Ein wundervolles Lächeln erhellte seine Miene und er kam auf Krümel zu und der musste sich mit der Schulter an den Metallschrank lehnen und vergaß kurzzeitig alles andere um sich herum und fühlte nur den gewaltigen Glückskürbis – ja, Kürbis – der sich soeben in seinem Bauch aufblähte. „Hallo…,“ hauchte Krümel ehrfürchtig und schwer verliebt. „Hallo,“ wisperte Aleksander Daley zurück, „Wie…wie hast du mich gerade genannt?“ „Winterkind.“ „Winterkind?“ „Jap. Ich übe noch.“ „Ach so,“ er schmunzelte und Krümel konnte es kaum ohne Zungenkuss ertragen, „Aber…warum flüstern wir?“ „Falls…falls der böse Mann wiederkommt.“ Aleksander Daleys Lächeln fiel in sich zusammen und Krümel hätte sich am liebsten in den Hintern getreten. „Entschuldige,“ murmelte er schuldbewusst, „Das war nicht so gemeint.“ „Schon gut,“ erwiderte Winterkind und fuhr sich durch sein verschwitztes Haar, das an einigen Stellen über das Stirnband wallte, „Eigentlich passt das ganz gut.“ Er wirkte verdrießlich und Krümel fand das wahnsinnig sexy, was sein Schuldbewusstsein noch vergrößerte. Er presste die Lippen aufeinander und rang nach Contenance. „Wer war das denn?“, wollte er wissen. „Mein Vater.“ Ach Gott. Das war übel. Pass bloß auf, was du sagst, Krümel. Du musst aufhören, seine Eltern zu beleidigen. Das ist echt keine gute Verführungstechnik. „Mhm. Übel. Habt ihr…habt ihr euch gestritten?“ Aleksander Daley starrte ihn an. „S…Sorry…,“ sagte Krümel zerknirscht, „Aber ich…ich fürchte, ich hab mich hinter diesem Schrank versteckt und euch ein bisschen belauscht. Tut mir leid.“ Aleksander Daley starrte noch immer. Doch dann schnaubte er und schmunzelte wieder. Puh. Katastrophe vorerst abgewendet. „Du hast dich hier versteckt?“ „Jap. Dämlich, oder? Ich weiß auch nicht, was da in mich gefahren ist.“ „Ach, nein. Nein, ich denke, das war sogar ganz gut so.“ „Echt?“ „Ja, schließlich bist du–,“ Erschrocken unterbrach er sich selbst und Krümel wurde von Neugier überwältigt. „Was bin ich? Oh Gott. Übel, sag bloß, ich bin der Grund für euren Streit?!“ Schock auf beiden Seiten. „Was? Nein! Nein, nein, nein. Nein, meine Güte. Du kannst überhaupt nichts dafür, ehrlich. Er ist nur… Ach, ich weiß auch nicht.“ Aleksander Daley verstummte, weil ein Mädchen in Tenniskleidung an ihnen vorbei ging und ihn mit einem Lächeln grüßte, und er lächelte zurück und wartete, bis sie außer Hörweite war, bevor er weiter sprach. „Vielleicht… Also, sollen wir uns erst mal was zu essen holen? Hier beim Eingang ist immer so viel Betrieb…,“ Krümel hatte es eilig zu nicken, um sein Einverständnis zu verdeutlichen. Essen, sitzen. Das war immer gut. Besonders um schwermütige Gespräche zu führen. Gemeinsam betraten sie also die Cafeteria, in der heute nicht so viel los war wie gestern. „Ich hab übrigens nachgedacht,“ teilte Krümel Aleksander Daley mit, als sie auf Ute und ihre Essensausgabe zu schritten, „Ich denke, wir sollten heute außerhalb des Rasters essen.“ „Wie bitte?“ „Ich meine, wir sollten die Realität verblüffen, indem wir nicht wie üblich essen, sondern anders. Das heißt, ich esse Salat, du isst Currywurst.“ „Oh Gott, muss das sein? Ich…mag Currywurst nicht besonders.“ „Na gut, dann eben keine Currywurst, sondern…keine Ahnung. Es gibt hier doch bestimmt noch was anderes außer Salat, dass du essen magst. Hallo, Ute.“ „Ach hallo, ihr zwei,“ die dicke Dame lächelte sie an, „Schon wieder da, Krümel? Hat dir unsere Currywurst so gut geschmeckt?“ „Sie war bombastisch!“, strahlte Krümel, „Aber heute wollen es Aleksander Daley und ich anders machen. Deshalb nehme ich den Salat und er nimmt…,“ Fragende Blicke in Richtung Aleksander Daley. Der wirkte überfordert. „Äh, ich weiß nicht… Was…gibt es denn heute noch so?“ „Wir haben ein schönes Hühnerfrikassee mit Reis,“ sagte Ute. „Coolio, das klingt doch gut! Oder nicht?“ „Naja. Doch. Schon,“ Aleksander Daley biss sich auf die Lippe, „Also gut. Okay, ja. Ich nehme das Hühnerfrikassee.“ „Sehr schön,“ lächelte Ute, „Du musst einen guten Einfluss auf ihn haben, Krümel. Ich kann mich nicht erinnern, dass Aleks hier je was anderes als Salat gegessen hat.“ Gorillamäßig wollte sich Krümel brüllend auf die Brust trommeln. Halleluja! „Hast du gehört?“, grinste er Aleksander Daley an, während Ute ihnen Teller besorgte, „Ich hab einen guten Einfluss auf dich.“ Anuschkas Cousin, in den Krümel kolossal verliebt war, gluckste und schüttelte den Kopf, als fände er Krümel ein wenig crazy. Und er lächelte wieder. Gott sei Dank. Sie bedankten sich bei Ute für ihre gefüllten Teller, holten sich Eistee und Wasser und Besteck und machten es sich an einem Platz am Fenster bequem. Krümel strahlte unentwegt und musste sich zwingen, auf seinen Teller zu schauen, während er Joghurtdressing über seinen Salat kippte. Er hatte schon ewig keinen mehr gegessen. Sein Vitaminhaushalt würde sich freuen. „Sag mal…,“ begann Krümel und spießte sich ein Stück Paprika auf die Gabel, „Verdirbt es dir den Appetit, wenn ich dich nochmal nach deinem Vater und eurem Streit frage?“ Aleksander Daley seufzte und rührte durch sein dampfendes Mittagessen. „Nein, ist schon okay. Es ist einfach so…so blöd und unfair.“ Er verfiel in Schweigen und Krümel knabberte unsicher an seiner Paprika und wusste nicht, ob er nachhaken oder lieber schweigen sollte und dachte, wie hübsch Aleksander Daley doch war und wie gut ihm das Stirnband stand und wie wenig er es ausstehen konnte, wenn er traurig war. „Ich…ich war heute Vormittag gegen Ende des Trainings ein wenig unkonzentriert,“ erzählte Aleksander Daley schließlich und Krümel strengte sich an, bloß beim Thema zu bleiben und nicht in verzückte Gedanken abzudriften, „Und das hat er halt zum Vorwand genommen, mir eine Strafpredigt zu halten. Er wusste, dass ich heute…wieder Besuch zum Mittagessen von dir bekomme und er denkt, ich würde mich davon ablenken lassen. Aber er... Er hätte es wohl sowieso am liebsten, wenn ich ein Roboter wäre. Für ihn ist es immer nur Olympia hier und Olympia da. Ich meine, ich will das ja auch, aber ich habe meine Trainingszeit seit letztem Monat nochmal gesteigert und ich…ich kann doch nicht immer nur trainieren. Oder?“ Krümel schüttelte hastig den Kopf, denn offenbar war hier seine Meinung gefragt. „Selbst mein Arzt hat schon gesagt, dass ich mir regelmäßig Ruhepausen und Erholung gönnen muss. Sonst macht mein Körper irgendwann nicht mehr mit. Aber mein Vater…der versteht das nicht. Der versteht sowieso nie etwas.“ „Mhm…,“ machte Krümel und dachte, Aha, da stecken also doch einige angestaute Aggressionen in dieser innigen Vater-Sohn-Beziehung. Doch er wusste nicht, was er sagen sollte, um seinen angebeteten Zehnkämpfer zu trösten. Übel, er war so schlecht im Trösten. Und mit nicht-verstehenden Vätern kannte er sich auch nicht aus. Sein eigener verstand alles. Selbst damals, als Krümel ihm gesagt hatte, dass er schwul war, hatte er »Das verstehe ich« geantwortet, was ganz eindeutig Quatsch war, da sein Vater schließlich schon seit Jahrzehnten mit derselben Frau schlief. „Und? Ähm. Tu ich das?“ „Was? „Dich ablenken. Von…von Olympia.“ Durch den bösen Mann hindurch schauten sie sich in die Augen und die plötzliche Stille um sie herum war sehr still. So still, dass die Geräusche der Cafeteria mit einem Mal überlaut schienen und Krümel sein Herz ganz deutlich in seinen Ohren pochen hören konnte. „Ja…,“ flüsterte Aleksander Daley dann; er lächelte nicht, aber es klang trotzdem gar nicht vorwurfsvoll, „Ja, ein kleines bisschen schon.“ Krümel schluckte. Sein Mund war so trocken gerade. Und da war eine klitzekleine Narbe an Aleksander Daleys formvollendeter Oberlippe. Die hatte er zuvor noch nicht bemerkt. „Sorry…,“ raunte er, „Ich… Sollte ich…etwa gehen?“ Aleksander Daley schüttelte den Kopf. Und dann lächelte er wieder. „Nein. Nein, geh nicht. Ich…finde es nett, wenn du mich ablenkst.“ „Echt?“ „Ja. Außerdem…,“ er senkte den Kopf und grinste schief und Krümel wollte ihn auf der Stelle knutschen, „Außerdem hat mir mein Arzt doch Ablenkung geradezu verschrieben.“ „Also handle ich nur im Interesse deines Arztes?“ „Ja, genau.“ „Coolio. Also… Also bleibe ich. Ich bleibe. Denn weißt du, Ärzte haben meistens Recht. Deshalb haben sie auch immer so große Autos.“ Über sein Hühnerfrikassee hinweg lachte Aleksander Daley ihn an und Krümel lachte zurück und dachte, Halleluja! Wie cool und witzig und süß wir beide doch miteinander sind. Der böse Mann hat keine Chance. Kapitel 6: Doch gerade bedeuteten sie ihm die Welt -------------------------------------------------- Hallo Ihr Lieben :)! Nach ausgiebiger Pause präsentiere ich Euch endlich ein neues Kapitel von Leckerbissen. Bis zum nächsten - und das kündige ich schon jetzt an - wird es allerdings wieder etwas dauern. Nehmt es mir bitte nicht übel > < Dieses Kapitel widme ich , deren sehnsüchtige Nachfrage ich sehr gebraucht habe. Habt viel Spaß beim Lesen! Eure Lung - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - „Hast du die Liste eigentlich mitgebracht?“ „Halleluja, na klar! Warte, wo habe ich sie? Ach ja.“ Krümel legte seine Gabel beiseite und zog sie aus der Hosentasche. Inzwischen sah sie einigermaßen zerfleddert aus. Und sämtliche der Ränder waren mit engen Notizen und Pfeilen vollgekritzelt. So viele Informationen, herrlich! „Worüber willst du zuerst reden?“ „Weiß nicht. Was meinst du?“ „Vielleicht fangen wir mit etwas Harmlosem an. Dein Lieblingsfilm zum Beispiel.“ „Mein Lieblingsfilm?“ „Jap.“ „Meine Güte. Keine Ahnung. Ich seh nicht so oft fern.“ In gespielter Empörung ließ Krümel seine Arme kreisen. „Keine Ahnung, keine Ahnung. Sowas muss man wissen. Jeder hat einen Lieblingsfilm. Im Zweifelsfalle ist es der einzige, den man je gesehen hat. Also, denk nochmal nach. Es gab doch bestimmt einen Film, den du mal gesehen hast und der dir gefallen hat. Oder?“ Aleksander Daley schmunzelte. „Okay, also gut. Ähm… Ich hab mal mit meinen Eltern Forrest Gump gesehen. Den fand ich ziemlich gut.“ „Ahhh,“ Krümel stöberte nach seinem Kuli, „Forrest Gump. Das ist dieser Film mit diesem dummen– Äh, ich meine diesem kognitiv nicht ganz auf der Höhe seienden Mann, oder? Tom Hanks?“ „Ja, richtig. Ich mochte den Film, weil er irgendwie so positiv war. Wie ein Märchen.“ „Magst du Märchen?“ „Keine Ahnung. Da hab ich irgendwie nie drüber nachgedacht. Ähm. Ja, ich denke schon.“ „Märchen…,“ schrieb Krümel, „Sehr gut. Aus Märchenfiguren kann man tolle Spitznamen machen. Vor allem die Frauennamen: Rapunzel, Schneewittchen, Rotkäppchen, Dornröschen. Die Kerle in Märchen heißen ja nur Rumpelstilzchen oder Prinz Charming. Obwohl…Prinz Charming… Das passt eigentlich sehr gut zu dir. Aber irgendwie… mhm… warte. Prinz. Prinzchen. Forrest. Gumpi. Nee, das ist es noch nicht. Vielleicht lieber doch ein Frauenname… Cinderella, Schneeweißchen, Rosenrot…,“ Grübelnd tippte Krümel mit dem Kuli auf den Tisch. Als er aufsah, entdeckte er, dass sein Prinz ihn lächelnd beobachtete. Ihm wurde heiß und kalt und ziemlich euphorisch zumute. „Was ist?“ „Nichts. Schon gut.“ Rasch senkte Aleksander Daley den Blick zurück auf seinen Teller und gabelte sich Hühnerfrikassee in seinen Wundermund. Krümel wurde sehr schwach von diesem Anblick. Er wünschte, er würde diese Gabel sein. Dann könnte er in diesen göttlichen Mund eintauchen und würde diese weichen Lippen und die rote Zunge spüren. Die Hitze, die Feuchtigkeit… Krümel rief sich zur Ordnung. Dies war eindeutig kein guter Ort für einen Samenerguss. „Ähhh… Okay. Wo waren wir? Ach ja. Forrest Gump. Märchen. Coolio. Gut, weiter im Text. Ähm… Bücher. Bücher ist ein gutes Stichwort. Was ist dein Lieblingsbuch?“ Nachdenklich runzelte Aleksander Daley die Stirn und schluckte den Bissen runter, den er gerade gekaut hatte, und Krümel staunte über die Bewegungen seines Kehlkopfes. Schmacht, selbst der war überirdisch schön. „Lieblingsbuch… Mensch, das weiß ich auch nicht so genau.“ „Übel!“, Krümel war entsetzt, „Du weißt echt viel zu wenig über dich selbst, Junge. Das macht mir wirklich Sorgen. Lieblingstiere, Lieblingsfilme, Lieblingsbücher. Das sind echt die einfachsten Grundlagen. Jeder Mensch hat welche und jeder kann sie nennen. Genauso wie Lieblingslieder. Manchmal sind es mehr, manchmal weniger. Aber jeder hat welche.“ „Es gibt aber auch Menschen, die noch nie im Leben ein Buch gelesen haben,“ warf Forrest ein, „Was ist mit denen?“ „Das sind keine Menschen,“ erklärte Krümel und steckte sich eine Cocktailtomate in den Mund. Aleksander Daley prustete in sein Wasserglas und Krümel liebte ihn dafür. „Keine Menschen?!“ „Nope.“ „Was sind sie denn dann?“ „Roboter.“ „Roboter?“ „Jap, Roboter. Und wie du vorhin ganz richtig festgestellt hast, bist du kein Roboter, Cinderella. Du bist ein Mensch. Denn du hast doch schon mal ein Buch gelesen, oder?“ „Ja schon, aber–,“ „Aber was?“ „Aber wieso sind sie denn keine Menschen, wenn sie nicht lesen?“ „Weil Menschen lesen wollen,“ argumentierte Krümel leidenschaftlich, „Menschen brauchen Bücher. Menschen, die nicht lesen, haben keine Phantasie. Sie haben kein Herz und keinen Wunsch, sich weiterzuentwickeln. Aber das macht Menschen aus. Und deshalb sind nicht-lesende Menschen keine Menschen, sondern Roboter. Roboter, die ihre Hosen in die Socken stecken und meistens einen sehr dümmlichen Sinn für Humor haben. Achte mal drauf.“ Zufrieden lehnte Krümel sich in seinem Stuhl zurück. Prinz Charming hatte seine wundervolle Denkerfalte aufgesetzt und Krümel freute sich, sie zu sehen, und fand sich sehr klug und weise und haute seine Gabel enthusiastisch in seinen Salat. „Okay. Aber…,“ sagte Anuschkas schöner Cousin und zeigte mit seiner Gabel in Krümels Richtung, was der gern als eine zärtliche und auffordernde Geste interpretieren wollte, „Aber du übersiehst da etwas, fürchte ich.“ „Ach ja? Was denn?“ „Naja. Was ist mit den Menschen, die gerne lesen würden, es aber nicht können? Weil sie beispielsweise Analphabeten sind oder ihnen schlicht der Zugang zu Büchern fehlt, weil sie zu arm sind, um sich welche leisten zu können.“ Krümel war begeistert. Halleluja! Er denkt mit, dachte er glückselig, Er denkt mit und stellt intelligente Fragen. Er ist zum Anbeißen. Ach, ich wünschte, ich dürfte ihn anbeißen. „Sehr kluge Frage,“ verkündete er anerkennend und Rapunzel grinste erheitert, „Das ist etwas anderes. Denn diese Menschen wollen ja lesen. Sie können nur nicht. Sie sind also Opfer der Umstände und daher keine Roboter.“ „Verstehe,“ gluckste Aleksander Daley und schüttelte abermals sein prächtiges Haupt, „Wieder was gelernt.“ „Jap. Es ist so lehrreich mit mir Mittag zu essen. Nicht wahr?“ „Absolut.“ „Schön, dass du das einsiehst. Okay. Zurück zum eigentlichen Thema. Dein Lieblingsbuch.“ „Ach ja, richtig. Ähhhm… Vielleicht…vielleicht Stadt der Diebe.“ „Stadt der Diebe?“ „Ja.“ „Nie gehört.“ „Das ist ein tolles Buch! Es handelt von zwei jungen Männern, die im zweiten Weltkrieg durch das ausgehungerte Leningrad irren, auf der Suche nach einer Packung Eier.“ „Sie suchen Eier?“, fragte Krümel verblüfft und hielt im Schreiben kurz inne, „Ausgerechnet Eier?“ Aleksander Daley lachte über seine Verwunderung. „Ja. Für einen Kuchen.“ „Was für ein Kuchen denn? Mitten im Krieg.“ „Es ist der Hochzeitskuchen für die Tochter von– Ach, das ist eine lange Geschichte. Aber ja, ich denke, das ist mein Lieblingsbuch. Obwohl ich es schon lange nicht mehr gelesen habe. Im Moment les ich was anderes.“ „Was denn?“ „Einen Krimi von Dick Francis. Kennst du den? Von dem hab ich noch zehn andere Krimis.“ „Ist das nicht der Jockey?“ „Ex-Jockey. Aber ja, genau.“ „Wie heißt das Buch, das du gerade liest?“ „Ähm…Unbestechlich, glaub ich.“ „Glaubst du?“ „Ja, ich hab‘s leider schon lange nicht mehr geschafft reinzuschauen. Ich bin auch noch nicht so weit gekommen mit Lesen. Du weißt schon… Wegen Training. Und…Studium und…so.“ „Jap. Verstehe.“ Schweigen. Aleksander Daley schob ein wenig Reis und Gemüse auf seinem Teller hin und her und Krümel biss sich auf die Lippen und dachte, wie blöd es sein musste, wenn man vor lauter Trainieren nicht mal mehr ein Buch lesen konnte. „Was ist mir dir?“, unterbrach Rumpelstilzchen die Stille. „Mhm?“ „Dein Lieblingsbuch?“ „Ach so. Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär.“ „Was?“ „Na, Walter Moers. Den kennst du doch bestimmt.“ „Hab ich schon mal gehört.“ „Sag ich doch.“ Anuschkas schöner Cousin lächelte wieder und Krümel war erleichtert, weil er ihn so gerne lächeln sah. „Und dein Lieblingsfilm? Nein, sag es nicht! Biene Maja – der Film.“ Krümel brach in Gelächter aus und verschluckte sich fast an einem Salatblatt. „Neeeiiin! Biene Maja… Gibt’s da überhaupt nen Film zu?“ „Keine Ahnung,“ lachte Aleksander Daley, „Bestimmt, oder?“ „Weiß nicht. Müsste man mal googeln.“ „Also, was ist dein Lieblingsfilm?“ „Rate. Es geht um Tiere. Da hattest du Recht.“ „Okay. Ähm. Ice Age. Nein, Madagaskar.“ „Falsch und falsch.“ „Mhm. Ist es ein Animationsfilm?“ „Nope.“ „Nicht? Okay, warte… Für Kinder?“ „Nein, nicht speziell.“ Auf seinem Stuhl kringelte sich Krümel vor Vergnügen und ein Salat hatte ihm noch nie so gut geschmeckt und Aleksander Daley legte seine glatte Stirn in konzentrierte Falten und Krümel erwischte sich bei dem jähen Gedanken, wie wahninnig gern er mit ihm schlafen würde. Ups. „Ähhh… Dieser Disneyfilm, in dem die betrunkenen Tiere herum laufen.“ Krümel gluckste. „Nein, aber der war auch witzig.“ „Ich glaub, ich hab den mal in Bio gesehen. Ach, ich komm nicht drauf. Sag schon.“ „Die Reise der Pinguine.“ Aleksander Daley schlug sich die Hand vor die Augen. „Argh. Natürlich. Da hätte ich eigentlich drauf kommen müssen.“ Sie kicherten sich an und Krümel leckte sich über die Lippen wie ein hungriger Wolf. Übel, übel. Komm mal runter, du geiler Bock. „Was ist mit deinem Hühnerfrikassee?“, erkundigte er sich schleunigst, „Bist du schon satt?“ „Jein. Ich glaub, ich bin an so reichhaltiges Essen nicht gewöhnt. Ich vermisse den Salat.“ „Also, mein Salat ist köstlich. Aber ich bin bereit, dir den Rest zu überlassen. Vorausgesetzt ich bekomme dafür den Rest deines Hühnerfrikassees.“ „Abgemacht.“ „Coolio.“ Grinsend tauschten sie ihre Teller. Romantik pur. „Was ist dein Lieblingslied?“, wollte Aleksander Daley wissen und beugte sich über Krümels Teller. „Ach, das wechselt immer…,“ antwortete Krümel und kaute hingebungsvoll, „Im Moment ist es Hungry Eyes.“ „Hungry Eyes? Ist das nicht aus Dirty Dancing?“ „Jap. Genau. Anuschka hat mir den Soundtrack mal gebrannt. Was ist mit dir?“, Krümel zog die Liste wieder hinzu, „Wehe, du weißt es nicht.“ „Doch, doch!“, erwiderte Aleksander Daley glucksend, „Ich hab schon seit Ewigkeiten das gleiche Lieblingslied. Seit ich es zum ersten Mal gehört habe. Da war ich neun.“ „Coolio! Und?“ „A Banda. Von France Gall.“ Der Kuli schwebte ratlos in der Luft. „Hä?“ „Kennst du das nicht?“ „Nee.“ „Das musst du mal bei YouTube suchen. Ich könnte wetten, dass es dir gefällt. Such nach Zwei Apfelsinen im Haar, dann findest du es sofort.“ „Zwei Apfelsinen im Haar…?“, wiederholte Krümel ungläubig und schrieb es in ein freies Eckchen auf seiner Liste, „Was soll das denn für ein Lied sein?“ Aleksander Daley lachte erneut und in Krümels Ohren klang es wie eine Symphonie. „Such es einfach. Vertrau mir.“ „Na gut,“ schmachtete Krümel, „Aber nur, weil du es bist, France. Galli. Franci. Apfelsinchen. Mhm… Was hältst du von France?“ „France Gall ist ne Frau.“ „Ist doch egal. Von solchen heteronormativen Grenzen dürfen wir uns nicht beeinflussen lassen. France ist gut. Ich mag France. France kommt auf die Top-Liste der Spitznamen. Zu Sporti, Kroko und Fabaluga.“ „Fabaluga steht auf der Top-Liste? Kann ich dagegen Einspruch erheben?“ „Nein,“ verkündete Krümel ernsthaft, „Man darf sich seinen Spitznamen nicht selbst geben. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz. Da kannst du jeden fragen. Spitznamen kommen einfach. Ich konnte mir Krümel auch nicht aussuchen.“ „Aber Krümel ist süß, wohingegen Faba–,“ Zack. Abgeschaltet. Stille im Kopf. Süüüß. Er hatte süß gesagt. Er findet Krümel süß, dachte Krümel jubilierend, Er findet Krümel süß, also findet er auch mich süß. Ob er mich wirklich süß findet? Bin ich süß? Nein, bin ich nicht. Wenn er wüsste, was ich in einer dunklen Ecke alles gerne mit ihm treiben würde, fände er mich nicht süß. Mhm, Reiterstellung in der Sporthalle. Er auf mir, nackt, schweißbedeckt, keuchend– „Hallo? Krümel? Bist du noch da?“ „Wie, was?“ „Wo warst du?“, er schien belustigt, Krümel schämte sich sehr. „Ach, nur so…in Gedanken. Was hast du gesagt?“ „Fabaluga klingt dämlich.“ „Nein, das find ich nicht. Ich finde Fabaluga schön. Es ist…kreativ, witzig, einprägsam. Genau das, was wir wollten.“ Aleksander Daley seufzte und verdrehte die Augen. Doch er schien nicht wirklich böse zu sein. Puh. Im Gegenteil, er grinste und war so sexy, it hurts. „Apropos süß,“ sagte Krümel und schlug vorsorglich die Beine übereinander, „Was ist deine Lieblingssüßigkeit?“ „Das weiß ich auch!“, freute sich Fabaluga und Krümel wünschte, er wäre nicht so wahnsinnig niedlich, „Gummibärchen! Auf jeden Fall.“ „Gummibärchen…,“ Krümel lächelte zärtlich und hielt auch diese Info auf der Liste fest, „Das sind gute Süßigkeiten.“ „Was magst du am liebsten?“ „Ach, ich liebe alles, was süß und klebrig ist.“ Hust, hust. Zweideutigkeit? Ach, iwo. Das ist nur Einbildung. Übel, er sollte wirklich nicht allzu lange über Süßigkeiten nachdenken. Sonst musste er sich einfach vorstellen, wie er Toffifee von Aleksander Daleys Sixpack aß oder Erdbeersahne von seinem… mhm… perfekten Popo leckte… Uhhh… Aaach, herrje. Das musste aufhören. Es ging sowieso nicht klar, dass er ständig eine halbe Erektion hatte, sobald er mit Aleksander Daley im selben Raum war. Krümel räusperte sich laut, um einen akustischen Schlussstrich unter seine versauten Gedanken zu ziehen. Irritiert hob Aleksander Daley den Blick von seinem vorletzten Salatblatt und blickte sich um. „Was ist?“ „Äh, nix. Nix. Ich hab mich nur…geräuspert.“ „Das hab ich gehört.“ „Gut! Ähm, gut. Dann…funktionieren deine Ohren offenbar einwandfrei.“ „Wie bitte?“, gluckste Aleksander Daley verständnislos, „Sollte das etwa ein Test sein?“ „Vielleicht.“ Gummibärchen schüttelte den Kopf und grinste Krümel an. Schmetterlinge im Bauch. „Ehrlich. Manchmal habe ich absolut keine Ahnung, was in deinem Kopf so vor sich geht.“ „Glaub mir, das ist besser so…,“ erwiderte Krümel nachdrücklich und schob sich seine letzten Reiskörner und Erbsen auf die Gabel, „Und fang lieber auch nicht an zu spekulieren. Erzähl mir lieber, was du am Wochenende so machst. Trainierst du da auch?“ „Nur morgen, am Samstag,“ antwortete Aleksander Daley, schob sich den Rest seines Salats in den Mund und legte sein Besteck anschließend fein säuberlich auf den Teller, „Aber vermutlich nur eine Einheit. Also bis mittags. Ich muss unbedingt mit meinem Uni-Kram voran kommen.“ „Was sagt dein Vater dazu?“ „Das Übliche,“ entgegnete Aleksander Daley und verdrehte die Augen, „Blablabla, Olympia, blabla. Aber das ist mir egal. Ich vernachlässige die Uni sowieso schon viel zu sehr. Ich brauche den Samstag unbedingt, um nachzuarbeiten und für die noch ausstehenden Klausuren zu lernen. Und dann noch die Hausarbeit…,“ er seufzte, „Sonntag werde ich auch nichts anderes machen.“ Das Mitgefühl zog Kummerfalten durch Krümels Gesicht. Uni, Zehnkampf. Er konnte sich nicht entscheiden, was er schlimmer fand. Und dann wurde ihm mit einem Schlag klar, was das eigentlich Dramatische an dieser Wochenendplanung war. „W…Was soll das heißen?“, stieß er erschrocken hervor, „Hei…Heißt das, wir sehen uns jetzt das ganze Wochenende über nicht mehr?“ Aleksander Daley blinzelte. Einige Sekunden lang flackerte seine wunderschöne Denkerfalte auf, dann verschwand sie jedoch gleich wieder und wurde durch ein verlegenes Grinsen ersetzt. Und er schlug die Augen nieder und rutschte kurz auf seinem Stuhl hin und her. HACH, so süüüß! „Naja… Wir…wir haben uns doch gerade zwei Tage hintereinander gesehen. Sogar drei, wenn man die Party hinzu zählt.“ „Eben!“, schluchzte Krümel in haltloser Verzweiflung, „Ich habe mich daran gewöhnt, dich jeden Tag zu sehen, verstehst du?! Wie soll ich mit dieser plötzlichen Veränderung klar kommen? Wie soll ich die Entzugserscheinungen überstehen?“ Mit entzückend geröteten Wangen lachte Aleksander Daley auf und trotz seines Entsetzens rollte bei diesem betörenden Laut ein leichter Schauer über Krümels Haut. „Jetzt übertreibst du aber!“ „Ja, ein bisschen,“ gab Krümel zu, „Aber im Prinzip habe ich Recht. Wie sollen wir bitte mit deinem Spitznamen voran kommen, wenn–,“ „Es sind nur zwei Tage!“ „Das sind immerhin achtundvierzig Stunden!“ „Wir können uns am Montag gleich wiedersehen. Selbe Zeit, selber Ort.“ „Montag? Montag? Ohhh-Okay, aber dann will ich mehr Zeit.“ „Mehr Zeit?“ „Jap. Wir treffen uns schon um zwölf und machen bis drei. Die ganze Mittagspause lang.“ „Aber–,“ „Jetzt komm schon!“, wimmerte Krümel, „Die Liste–,“ „Aber am Montag habe ich nur noch eine Woche bis Olympia. Und mein Vater–,“ „Aber dein Arzt hat dir Entspannung doch verordnet. Gerade eine Woche vor Olympia musst du deine Kräfte schonen. Wenn du dir keine Ruhe gönnst, fällst du in Ohnmacht, bevor die Leichtathletik-Wettbewerbe überhaupt angefangen haben. Und wenn dein Vater das nicht versteht, dann pinkle ich ihm höchstpersönlich ans Bein.“ Aleksander Daley gluckste. „Das traust du dich eh nicht.“ „Nein, okay, das stimmt. Aber trotzdem. Du weißt, was ich meine.“ Schweigen. Lauernde Blicke. Endloses Warten. Bittebittebitte, komm schon, Liebster. Lass mich nicht so elendig verschmachten. Nur drei Stunden, drei Stunden. Das ist nur ein Achtel eines Tages, also praktisch nix. Krümels vergötterter Zehnkämpfer seufzte und schloss die Augen und schüttelte sein Haupt wie ein bildschöner Löwe, der nicht fassen konnte, dass er sich einer Antilope geschlagen gab. Doch er lächelte dabei. „Okay. In Ordnung.“ „Halleluja! Coolio! Halleluja!“ Vor Freude und Triumphgefühlen schien Krümels Brust platzen zu wollen. Er strahlte Aleksander Daley voller Hingabe an und der lächelte liebenswürdig zurück und Krümel, der die Wochenenden sonst immer atemlos herbei sehnte, wünschte, dieses würde möglichst schnell vergehen, damit bald Montag war und sie sich wiedersahen und drei Stunden miteinander verbringen konnten. Drei Stunden. Eine Nichtigkeit. Doch gerade bedeuteten sie ihm die Welt. Kapitel 7: Es ist eine Überraschung ----------------------------------- Ihr Lieben, ich melde mich nach allzu langer Zeit mit Krümel und Aleksander Daley zurück. Wann das nächste Kapitel kommt, liegt dann allerdings wieder in den Sternen... Ich hoffe, Ihr habt etwas zu lachen und etwas zum Kopf schütteln^^. Eine gute Woche euch allen :) Eure Lung - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - ҉ - Sie verabschiedeten sich draußen vor der Cafeteria voneinander und Krümel war schwermütig zumute und er fragte sich, wie es kam, dass man jemanden vermisste, der direkt vor einem stand, und er fragte sich, wie er die nächsten zwei Tage überstehen sollte, an dem er seinen verehrten Zehnkämpfer nicht sehen würde. Allein der Gedanke schmerzte ihn übel. Aber er trug es tapfer und schluckte seinen Schmerz hinunter. „Ah, ah – bevor du gehst: Ich hab noch eine Hausaufgabe für dich. Die musst du bis Montag erledigen.“ „Schon wieder eine Hausaufgabe?“, Aleksander Daley lächelte schief und das Sonnenlicht verlieh ihm einen Glanz, der Krümel blendete, „Ich hab doch schon so viel zu tun.“ „Nur eine kleine, nur eine kleine.“ Es seufzte, das gebeutelte Lämmchen. „In Ordnung… Schieß los.“ „Duuu…musst in deinem Buch lesen. Dem von dem Jockey, Unbestechlich. Mindestens bis zur Hälfte. Damit du mir am Montag erzählen kannst, worum es geht.“ „Bis zur Hälfte?! Das schaffe ich nie am Wochenende.“ „Na klaaar schaffst du das!“, insistierte Krümel und lächelte Aleksander Daley ermutigend an, „Ich glaube an dich. Versuch es wenigstens. Nimm dir…nimm dir etwas Zeit dafür. Entspann dich und lies ein wenig. Und wenn du, also wenn du es gar nicht schaffst, dann…denk dir einfach aus, worum es in dem Buch geht und erzähl mir dann das.“ Krümel strahlte, begeistert von seiner wunderbaren Fähigkeit, aus dem Stegreif geniale Ideen zu improvisieren. Aleksander Daley wirkte jedoch eher skeptisch. „Ich… Ich soll es mir ausdenken? Ist das dein Ernst? Sowas kann ich nicht.“ „Hast du es denn schon mal versucht?“ „Naja. Nein. Ich glaube nicht.“ „Woher willst du es dann wissen? Vielleicht bist du megagut darin.“ Aleksander Daley gluckste. „Das bezweifle ich, ehrlich gesagt.“ „Ich nicht. Ich wette, du hast jede Menge verborgener Talente, die der Zehnkampf immer unterdrückt hat. Aber wir werden sie finden. Und damit fangen wir an. Am Montag.“ Anuschkas schöner Cousin seufzte. Laut und langgezogen. Aber er lächelte dabei und als er Krümel ansah, dessen verliebtes Herz sogleich einen Looping schlug, nickte er auch noch. Halleluja! Krümel war so gut im Überreden. „Okay. Einverstanden. Du Bekloppter. Ich werde es versuchen.“ „Halleluja! Coolio. Sehr gut.“ Sie grinsten sich an und Krümel machte Bekloppter zu seinem neuen Lieblingskosewort und dann kam der Moment der Trennung. Krümel riss sich arg zusammen und sagte »Bis Montag dann« und winkte und schaute Aleksander Daley nach, als der sich Richtung Sportplatz entfernte, und schaffte es anschließend, ohne zu Weinen zur Bushaltestelle zurückzugehen. Zu Hause angekommen, holte sich Krümel den letzten Rest Kaffee aus der pekigen Kaffeemaschine. Er war lauwarm, doch das störte Krümel nicht. In ihm drin loderten die Erinnerungen an die letzten eineinhalb Stunden mit Aleksander Daley noch nach und wärmten ihn so sehr, dass er in der Julisonne schwitzte und sich erst mal das T-Shirt ausziehen musste. Montag, dachte er und riss die Zimmerfenster auf, Montag sehen wir uns wieder, Baby. Er hielt das Gesicht in die herein wallende Sommerluft und atmete tiiieeef ein und staunte über die menschliche Begabung, mehrere Gefühle, die sich objektiv widersprachen, zur gleichen Zeit empfinden zu können. Er war so glücklich. Er war so traurig. Das musste Liebe sein. Mit nacktem Oberkörper warf er sich auf seinen Schreibtischstuhl, fuhr den Laptop hoch und drehte sich eine Zigarette. Bis seine Schicht bei Rewe anfing, blieben ihm noch zwei Stunden. Während er rauchte und an seinem abgestandenen Kaffee nippte, checkte er seine Mails und seine Lieblingsseiten im Internet. Dann rief er YouTube auf. „Zwei…Apfelsinen…,“ murmelte er beim Tippen und war überrascht, wie schnell die Suchzeile wusste, wonach er suchte. Er klickte und klickte und dann erschien auf dem Bildschirm das Gesicht einer jungen blonden Frau, die ihn entfernt an Anuschka erinnerte – offenbar France Gall. Breit lächelnd lauschte Krümel dem Song und wusste bereits nach dreißig Sekunden, dass sein France Recht gehabt: Krümel liebte den Song. Er lauschte ihm nochmal. Und dann nochmal und nochmal. Er hörte Aleksander Daleys Lieblingslied zwei Stunden lang wieder und wieder, bis er zur Arbeit musste und es nicht mehr anhören konnte. Doch das war kein Problem, denn inzwischen konnte er es auswendig mitsingen. Also sang er A Banda im Rewe und dabei dachte er an seinen angebeteten Zehnkämpfer und an den kommenden Montag und strahlte von Ohr zu Ohr und nervte seine Kollegen und Kolleginnen damit ins Koma. Apropos angebeteter Zehnkämpfer. Als Krümel irgendwann in dieser Nacht nach Hause kam, war er reichlich angeschäkert und außerdem so geil wie schon lange nicht mehr. Er und ein paar seiner Kollegen hatten ein, zwei, fünf Feierabendbierchen zusammen getrunken und die Addition aus Alkohol und dem Gedanken an Anuschkas unbeschreiblich begehrenswerten Cousin machten aus Krümel einen Menschen, der sich sehr halbherzig die Zähne putzte, um sich und den Inhalt seiner Shorts möglichst schnell ins Bett zu bekommen. Und dort besuchte Aleksander Daley ihn. Kaum hatte Krümel sich hingelegt, war er da. Er kam durch das geöffnete Fenster ins Zimmer hinein geklettert. Er war nackt und das Mondlicht leuchtete auf seiner glatten Haut. Zwischen seinen muskulösen Schenkeln reckte sich sein Penis in die Höhe. Er war umwerfend schön und seine Augen blitzten, als er lächelnd zu Krümel ins Bett stieg. … Halleluja … Was waren seine Küsse fordernd. Was war sein Körper heiß und stark. Und was war er gierig und willig und…hart. Mit rauer Stimme und klaren Worten flüsterte er in Krümels Ohr, was er von ihm wollte. Und das gab Krümel ihm selbstverständlich gern. Er gab es ihm kraftvoll und ausgiebig und Aleksander Daleys hemmungsloses Stöhnen hallte in seinen Ohren und er gab es ihm immer schneller und fester und dieses Gefühl überschwemmte ihn und– Krümel ergoss sich heftig in seine eigene Hand. Nachdem der Schwindel vergangen war, beseitigte Krümel die Sauerei und rollte sich zum Schlafen zusammen. Ach, übel…, dachte er schuldbewusst. Dann schlief er ein und träumte von sprechenden Blumen. Der Samstag verging ohne Aleksander Daley. Daher verwandelte sich Krümels heitere Liebeslaune in drückenden Kummer und er fühlte sich niedergeschlagen und trostlos. Er wollte ihm Sms schreiben, die von Sehnsucht und Vorfreude handelten, doch er traute sich nicht, was ihn an sich selbst zweifeln ließ. Bei der Arbeit heulte er seiner Kollegin Frau Jessen die Ohren voll. Aber gegen Feierabend überkam ihn eine glänzende Idee. Er kaufte Gummibärchen. Und dann war endlich Sonntag. Sonntage hatte Krümel schon immer gemocht, weil da war bekanntlich frei. Doch diesen mochte er ganz besonders, denn es war der Tag vor dem einen Montag, an dem er ganze drei Stunden mit Aleksander Daley verbringen würde. Außerdem hatte er, jaja, an diesem Sonntag – wie so oft – einen grandiosen Plan. Nachdem er gründlich ausgeschlafen hatte, vertrieb er sich den restlichen Vormittag mit zärtlichen Gedanken und zwei Apfelsinen im Haar und als er sich schließlich um zehn nach drei auf sein Rad schwang, war er ganz aufgeregt. Der Himmel war bewölkt und es wurde schwül, was auf das Gewitter hindeutete, das der lustige Mann im Radio angesagt hatte, und schlechtes Wetter hielt Krümel immer für ein schlechtes Omen. Trotzdem. Er blickte zuversichtlich in die Zukunft, denn schließlich war er Krümel. Während er über die Promenade brauste, bereitete er sich dennoch auf alle Eventualitäten vor. Schließlich konnte man nie wissen. Vielleicht war der Sportler seiner Träume nicht zu Hause. Oder er war zu Hause, wollte Krümel aber nicht sehen. Oder – diese Vorstellung fand Krümel sehr aufregend und romantisch – er war zu Hause, wollte Krümel auch unbedingt sehen, doch der böse Mann hatte ihn im Keller eingesperrt und erwartete Krümel nun mit einer geladenen Armbrust, um ihre heißen Herzen voneinander fernzuhalten. Etwas, das ihm selbstredend nie gelingen würde. Wo nochmal? Ach ja, Jägerstraße 8. Da, da ist es. Er erkannte das Haus sofort wieder. Es kam ihm vor wie die dornenbewachsene Burg, in dem sein Prinz im obersten Turm festgehalten wurde. Aus einem der Schornsteine quoll Rauch wie der schweflige Atem des Drachen. Halt aus, mein Prinz, dein Retter naht! Mit melodramatisch klopfendem Herzen stieg Krümel vom Rad ab und stellte es abfahrbereit und unabgeschlossen an einem Hier geht’s nicht weiter, das ist ne Sackgasse, du Dumpfbacke!-Schild ab. Möglicherweise musste er rasch fliehen können, so ein Armbrustbolzen tat sicher weh. Übel, warum war er denn nur so nervös? Das war bestimmt die Nähe zum bösen Mann. Ihm brach der Schweiß aus, als er zur Haustür ging, um die Klingel zu suchen. Prüfend blickte er an der Backsteinmauer hoch. Und es verschlug ihm kurzzeitig die Sprache. Oh, Halleluja. Da…da ist er ja. Im dritten Stock war ein Fenster geöffnet. Und dort saß Aleksander Daley auf der Fensterbank und las. Mit vor Ehrfurcht offenem Mund starrte Krümel ihn an. Da war er, sein verehrter Zehnkämpfer, versunken in ein paar Papiere. Ohne Stirnband, in Jeans und Pullover, und mit – Halleluja, wie hinreißend! – einer Hornbrille mit eckigen Gläsern. Krümel wurden die Knie weich und auf sein Gesicht trat ein Ausdruck der tiefbekifften Zufriedenheit. Was wusste das Wetter schon über die Liebe? Dieser Anblick war jeden Stress allemal wert. Und im Keller war er auch nicht – perfekte Bedingungen für einen Minnegesang. Krümel schnappte sich eine Luftgitarre und sang das Erste, was ihm in den Sinn kam. „Zwei Apfelsinen im Haar und an der Hüfte Banaaanen trägt Rosita seit heut zu einem Kokosnusskleid. Ja, sicher noch dieses Jahr, das kann man heute schon aaahnen, trägt die modische Welt, das was Rosita gefällt.“ Schon beim zweiten Wort hatte Aleksander Daley von seinen Unterlagen hochgeschaut. Er starrte, er blinzelte. Erstaunen wich Erkennen wich Belustigung. Er lachte. Wie ein Engel schwebte er über allem und lachte. Als Krümel den ersten Vers beendet hatte und ihm der zweite vor lauter Entzücken einfach nicht mehr einfallen wollte, lachte Aleksander Daley immer noch, schüttelte den Kopf und schlug sich mit seinen Papieren sachte vors Gesicht. „Was machst du denn da?“, rief er zum schäumenden Krümel hinab. „Na, ich singe dir ein Ständchen!“, frohlockte der hinauf. „Ein Ständchen? Du hast da doch noch nicht mal eine richtige Gitarre.“ „Na und?! Phantasie ist alles!“ Krümel atmete tief ein. „Ich…ich habe ein Geschenk für dich. Lässt du mich hoch?“ „Ähm…,“ Aleksander Daley zögerte, blickte ins Innere des Zimmers und dann wieder zurück zur Straße, Krümel hielt besorgt nach Armbrüsten Ausschau, „Warte kurz. Ich komme zu dir runter!“ „O…Okay.“ Naja, dachte Krümel, das ist fast genauso gut. Aleksander Daley verschwand vom Fenster. Krümel wartete. Sein Herz machte Sprünge und sein Magen flatterte durch seinen Bauchraum wie eine betrunkene Libelle. Und schon öffnete sich die Haustür und der schönste aller Sterblichen trat heraus wie die anmutigste Verheißung seit Ganymed himself. Mit Brille. Krümel himmelte ihn an. „Hallo,“ seufzte er. „Hi,“ antwortete Aleksander Daley und lächelte samtweich. „Wie…wie geht es dir?“ „Ähm, gut. Ja, ich kann nicht klagen. Und, ähm, dir?“ „Oh, äh, auch gut. Danke,“ Sie belächelten sich panne. Krümel gab sich einen Ruck. Für solcherart Geplänkel hatten sie am Montag noch genug Zeit. „Ich…ich habe dir ein Geschenk mitgebracht,“ sagte er verlegen und stocherte in seiner Hosentasche, „Damit…du besser lernen kannst und so. Als Aufheiterung.“ Er beförderte die zerknautschte Packung Gummibärchen zu Tage. Halleluja, es fühlte sich fast an, als würde er einen Verlobungsring überreichen. „Hier, bitte schön.“ „Oh…,“ machte Aleksander Daley, nahm die knisternde Tüte entgegen und strahlte erst sie und dann Krümel an, „Vielen Dank! Wie…wie lieb von dir, du… Du hättest dafür aber nicht extra herkommen müssen.“ Krümel winkte ab. „Halleluja, das hab ich gern gemacht, kein Problem. Nein, ehrlich nicht. Kein Ding. Ich…,“ Krümel seufzte und hörte auf zu sprechen. Schon wieder verlor seine Zunge vor Glück die Beherrschung. Es war zum Verrücktwerden. Doch seinen Lieblings-Zehnkämpfer schien das nicht zu stören. Er lächelte noch immer und als Krümels Augen ihn regelrecht auszogen, senkte er verlegen den Blick. Sofort fielen Krümel seine aktuellen Masturbationsphantasien ein und er wäre beinahe errötet. „Ich…wusste gar nicht, dass du eine Brille hast,“ plapperte er hastig. „Oh, naja…,“ Aleksander Daley zuckte mit den Schultern, „Beim Sport trage ich immer Kontaktlinsen. Aber ja, ich habe eine Brille.“ „Steht dir echt gut.“ „Danke.“ Und schon wieder das Panne-Lächeln. Beidseitig. Halleluuuja! „Und du hast dir also France Gall angehört?“, fragte France. Krümel nickte eifrig. „Absolut! Es ist richtig cool. Habe es mir inzwischen bestimmt schon tausendmal angehört. Und auswendig mitsingen kann ich es inzwischen auch.“ „Das habe ich gemerkt.“ „Jap, ich hoffe, mein Gesang hat dich nicht, äh, erschreckt.“ „Ach was, meine Güte, nein. Nein, ich wette, du singst besser als ich. Manchmal frage ich Greta, ob ich ihr etwas vorsingen soll, und dann sagt sie ganz entschieden »Nein!«.“ Sie lachten und Krümel lauschte auf seinen zitternden Herzschlag und seinen hüpfenden Magen und musste sich wieder einmal zusammen reißen, um Aleksander Daley nicht spontan zu küssen. Schwerstarbeit. Nein, ehrlich – das war es wirklich! „Also, ich würde mir sofort von dir vorsingen lassen,“ erklärte Krümel aus seinem rosaroten Zustand heraus. Aleksander Daley schnaubte. Und lächelte wie das Herzchen, das er war. „Du bist süß,“ sagte er sanft. Hnnnmpf. Krümel verlor für einige Zehntelsekunden das Bewusstsein und musste die Augen schließen, um sich nicht rücklings zu Boden zu falten. Halleluja – süß. So hatte Aleksander Daley ihn gerade genannt. Das hatte er tatsächlich gehört. Das war keine Einbildung gewesen. Und nun war er so glücklich wie nie zuvor in seinem Leben. Fast verlor er die Nerven. Übel. Er sollte dringend gehen. „Okay!“, sagte er also laut und klatschte auch noch in die Hände, als wäre er einer von diesen supernervigen, übermotivierten Feriencamp-Betreuern, „Ich… Ich muss dann auch wieder los. Äh. Und du…du musst sicher weiter lernen, oder?“ Anuschkas schöner Cousin seufzte und zuckte die Schultern. „Ja, leider. Ich würde mich echt lieber deiner Hausaufgabe widmen, aber… Naja, die Pflicht.“ „Übel…,“ Sie nickten einander zu, vereint im Verständnis. Und Krümel fühlte den drohenden Gewitterwind im Haar und all das Kribbel-Krabbel im Bauch und er sah in Aleksander Daleys Gesicht und fand ihn zum Niederknien schön und wünschte, ihr Leben wäre nicht so unterschiedlich und sie müssten sich nicht immerzu voneinander trennen, und da…ging es kurzzeitig mit Krümel durch. Er beugte sich zu Anuschkas schönem Cousin vor und küsste ihn. Auf die Wange. Ganz kurz. Viel zu kurz. Wunderschön. Als er den Kopf schweren Herzens wieder zurückzog, blickte Aleksander Daley ihn an und Krümels Magen verwandelte sich spontan in einen Fahrstuhl der einmal durch seinen Körper fuhr – bruuummm. Es war kein entsetzter, auch kein verblüffter oder erschrockener Blick, eher…aufmerksam, zögernd, als…als würde er noch auf etwas warten. Und schon standen die Worte vor Krümels Mund und trommelten gegen seine Lippen und flehten um Freiheit. Aber Krümel schluckte sie hinunter. „Bis morgen dann,“ wisperte er nur. Aleksander Daley lächelte. „Ja, bis morgen.“ „Um zwölf.“ „Um zwölf.“ „Bis drei.“ Und er nickte glucksend. „Bis drei. Vielen Dank für die Gummibärchen.“ „Gern geschehen.“ Krümel ging rückwärts. So musste er Ganymed nicht aus den Augen lassen. Beinahe fiel er über sein Rad. Aleksander Daley grinste. Er bewegte sich zur Haustür und Krümel bestieg sein Rad. Sie winkten sich zu. Krümel fuhr ab. Und die Haustür fiel ins Schloss. Buhuhu, diese schrecklichen, schrecklichen Abschiede. Aber morgen. Morgen war endlich morgen. Am Abend, als er mit Anuschka, Steffen und Olivia im Bohème Boulette saß und bei ein paar Bier den neuen Tatort sah, kam ihm abermals eine brillante Idee. Vor Begeisterung kippte er fast seine Flasche in Olivias Schoß. Hastig und glühend und Anuschkas fragendes Flüstern überhörend kramte er nach seinem Handy und schickte Aleksander Daley die allererste Sms überhaupt. Sag mal hast du irgendwelche allergien oder dinge die du beim essen nicht magst? Lg krümel Die Antwort kam prompt und Krümel fühlte sich gezwungen, Steffen den Arm um den Hals zu schmeißen und seinen Haaransatz zu küssen. Hey :)! Also, ich mag sauerkraut und lauch nicht. Und die meisten tiere aus dem meer auch nichts so. Allergien habe ich aber keine. Wieso willst du das wissen? Krümel kicherte sein Handy an und übersah die verstört-amüsierten Blicke seiner Freunde. Danke! Hab noch nen schönen abend, bis morgen. Und sag ich nicht. Es ist eine überraschung! Hosted by Animexx e.V. 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