Colors von Saria-chan (Prussia x India) ================================================================================ Kapitel 1: Colors ----------------- Der Motor ihres dreirädrigen Transportmittels knatterte dicht unter ihren Füßen und brachte die schmalwandige Passagierkabine zum vibrieren, Autos hupten, Stimmen schwirrten durch die Luft und auch sonst war hier vieles anders als in Deutschland – was nicht nur an dem Linksverkehr lag, der als Relikt aus britischer Kolonialzeit zurückgeblieben war. Sofern man dieses Gedränge überhaupt Verkehr nennen konnte. Aber das war es nicht, was Gilberts Augen und Gedanken beschäftig hielt. Es waren die Farben. Oder eher, der schiere Überfluss an ihnen. Und ihre Intensität. Es war ein regelrechtes Meer bunter, leuchtender Stoffe und Kleider, welches an den offenen Seiten der Autorikscha an ihnen vorüberzog, während sich das kleine Gefährt den Weg durch die verstopften Straßen Mumbais zu Indiens Haus bahnte. Es schien, als wäre jegliche Farbnuance, die sich jemals ein Mensch nur erdacht hatte, in dem regen Treiben vorhanden und schon nach kurzer Zeit begann der Kopf der Ex-Nation zu schwirren. Tatsächlich kam der Albino sich fast schon ein wenig ... farblos zwischen dieser ganzen Pracht vor, gestand er sich still ein und ließ sich wieder gegen die Rückenlehne des Sitzes sinken. "An was denkst du?" fragte eine Stimme neben ihm und als Gilbert zur Seite blickte, musterte ihn ein interessiertes, dunkles Augenpaar. Der Silberhaarige zögerte einen Moment, dann trat ein selbstsicheres Grinsen auf seine Lippen. "Daran, wie großartig unser Auftritt sein wird." "Für einen Auftritt, von dessen Ablauf du noch nichts weißt, klingst du ziemlich überzeugt." Gilbert klopfte sich mit der Faust auf die Brust und deutete mit dem Daumen anschließend auf sich. "Natürlich wird er großartig. Ich mache schließlich dabei mit." Das ruhige Gesicht Indiens wurde bei dieser beispielslosen Selbstüberzeugung von einer Spur Erstauen überzogen, entspannte sich jedoch auch gleich darauf wieder. Auch zog es der schwarzhaarige Mann vor, nichts darauf zu antworten, sondern lehnte sich zurück und betrachte den Albino weiterhin mit subtiler Neugierde. Es hätte Gilbert nach den zahllosen Plakaten mit indischen Schauspielern, die ihn neben den bunten Kleidern an jeder Straßenecke angestrahlt hatten, den DVDs, CDs und Fanartikeln in den Schaufenstern, von denen auffällige viele das markante Gesicht eines Mannes zeigten und der daraus resultierenden Feststellung, das dieses "Bollywood", wie die indische Filmindustrie im Ausland allgemein betitelt wurde, hier eine noch sehr viel größere Sache war als er zunächst gedacht hatte... ja, danach hätte es ihn eigentlich nicht mehr verwundern sollen, dass Indien auf seinem Anwesen eine persönliche Trainingshalle besaß. Die Wahrheit war jedoch, dass das große Gebäude den Albino sehr wohl beeindruckte. Aber Indien gegenüber würde er einfach behaupten, dass er zu Hause eine dreimal größere Halle besaß, falls dieser fragte. Und hoffen, dass Ludwig ihrem Bau zustimmte. Doch der dunkelhaarige Mann fragte nicht und ersparte Gilbert somit diese Notlüge - und eine wahrscheinlich ausgedehnte Diskussion mit seinem Bruder ebenfalls. Auf eine kurze Geste Indiens hin traten sie gemeinsam ein. Nach der drückenden, feuchten Hitze in den engen Gassen fühlte sich die klimatisierte Luft der Halle angenehm kühl auf der Haut des Albinos an und er ließ seine Augen durch den weitläufigen Raum streifen, der ihm spätestens nach dem Entdecken der Scheinwerfer an der Decke vielmehr wie eine kleine Bühne als eine Trainingshalle vorkam. Neben ihm ertönte ein Klatschen und plötzlich erwachten die Lichter über seinem Kopf zum Leben. Von irgendwoher ertönte der Klang einer mitreißenden Melodie und von beiden Seiten des Raumes wirbelten Frauen in prachtvollen Gewändern in Richtung des Eingangsportals. Ihre Sari waren ein wahrgewordener Traum aus Rot und Gold und ließen die Tänzerinnen wie flackernde Flammen im Wind erscheinen. Als der Albino fragend neben sich sah und hoffte, sein Gastgeber könnte ihm erklären, was dieser spontane Auftritt der Frauen zu bedeuten hatte, war Indien verschwunden. Suchend blickte sich die Ex-Nation um, doch der andere Mann war nirgendwo zu sehen. Erst, nachdem er seine blutfarbenen Iriden wieder auf das bunte Schauspiel vor ihm gerichtet hatte, entdeckte er den anderen Mann. Die Formation der tanzenden Frauen, die bis vor wenigen Augenblicken noch ein V gebildet hatte, teilte sich und aus ihrer Mitte trat Indien hervor, mit aller Würde seiner uralten Kultur und gleichzeitig einem jugendlichen Glühen in den tiefbraunen Iriden, welches zuvor nicht dort gewesen war. "Willkommen", wiederholte er noch einmal ihre Begrüßung vom Flughafen und die Stimme des dunkelhaarigen Mannes vibrierte, als das Wort mit einem leichten Lächeln seine Lippen verließ. Im Gegensatz zu heute Mittag schien es so viel mehr zu beinhalten und erst jetzt hatte Gilbert das Gefühl, tatsächlich in der Welt Indiens angekommen zu sein. Gleichzeitig versuchte er nicht beeindruckt zu wirken. "Nicht schlecht. Lass uns das in unseren Auftritt einbauen. Das kommt bestimmt gut", kommentierte die Ex-Nation locker, nachdem das andere Land den Platz zwischen den Tänzerinnen verließ und auf ihn zukam. Gilbert beobachtete, wie sein Gegenüber sich den Gedanken durch den Kopf gehen ließ und dann zustimmend nickte. "Eine gute Idee", erwiderte Indien und machte daraufhin eine einladende Handbewegung. "Komm mit", forderte er den Albino auf. Dieser runzelte die Stirn. "Wohin?" fragte Gilbert. Das leichte Lächeln kehrte auf die Lippen seines Gastgebers zurück. "Zu den Umkleiden", antwortete Indien in einem fast schon belehrendem Ton und Gilbert bemerkte, wie dumm seine Frage eigentlich gewesen war. Natürlich, stellte er fest, das lange, traditionelle Gewand und der Turban, welche der dunkelhaarige Mann trug, waren alles andere als zum Tanzen geeignet. Indien führte den Albino an die Rückseite der Halle und dort durch eine Tür. Der Raum, den sie betraten, war wesentlich kleiner als der Abschnitt des Gebäudes, der für das Training bestimmt war. Oder vielleicht kam er dem silberhaarigen Mann auch einfach nur kleiner vor, weil an jeder freien Wand der Umkleide Kleiderstangen aufgestellt waren, von denen ihm Kostüme verschiedenster Farben entgegenleuchteten. Es war, als wäre ein Regenbogen vom Himmel gefallen und das strahlende, bunte Band über den Gewändern zerflossen. Gilbert hätte lügen müssen, wenn er sagte, er wäre nicht neugierig darauf, was man für ihn herausgesucht hatte. Sein Herz schlug aufgeregt wie das eines kleinen Jungen an Weihnachten, als er die Kabine betrat. Umso enttäuschter war er, als er den dunkelbraunen Anzug vor ihm an der Wand hängen sah. Zwar hatte das Kleidungsstück einen gewissen Charme und den unverkennbaren Chic der 20er Jahre, aber ... der Albino verbot es sich, durch den Vorhang zurück auf die farbenfrohen Kostüme zu sehen ... nach all der bunten Pracht, die er auf dem Weg hierher gesehen hatte, hatte er doch etwas ... indischeres erwartet. Egal, sagte er sich entschlossen. Er würde gut aussehen in diesem Anzug. So gut, dass niemand mehr die Augen abwenden konnte, wenn sie erst einmal zu tanzen begannen. Er würde dieses langweilige Kleidungsstück mit seinem unvergleichlichen Selbst erfüllen und allen die Show stehlen. Dieses Halloween würde sein Halloween werden, da war er sich ganz sicher. Mit dem Anzug am Körper und einer eleganten Drehung um sich selbst trat die ehemalige Nation hinter dem Vorhang hervor. "Na, wie seh ich a-" Gilbert stockte mitten im Satz und blickte in ein dunkles Augenpaar, dass ihn mindestens genauso fragend ansah wie Gilberts eigene, tiefrote Iriden Indien verwirrt musterten. Zwar hatte sich der andere Mann wie zu erwarten umgezogen, jedoch ... die Augen des Albinos wanderten ein weiteres Mal über die Silhouette des Inders. Über die smaragdfarbene Trainingshose und das enge, weiße Top, welches sich über eine trainierte Brust spannte ... irgendwie hatte das ehemalige Land das Gefühl, etwas verpasst oder missverstanden zu haben. Sein Gegenüber fuhr sich mit der Hand in einer ratlosen Geste durch das nun gelöste, schwarze Haar. Ehe er jedoch irgendetwas erwidern konnte, verschwand der Albino wieder hinter dem Vorhang. Seine Seelenspiegel streiften hastig durch den kleinen Raum auf der Suche nach diesem Etwas, das er übersehen hatte und fanden es ordentlich zusammengefaltet auf der breiten Sitzfläche. Er nahm die Trainingskleidung zwischen die Hände und fühlte, wie er sich wieder entspannte. Ein anerkennendes Lächeln überzog sein Gesicht. Weiß und Schwarz. Da hatte jemand seine Hausaufgaben gemacht. "Ich tanze die Schritte einmal vor und du versuchst sie mir dann nachzutanzen, alles klar?" Gilberts Augen kehrten von ihrem erneuten Streifzug durch die Trainingshalle, in der sie sich mittlerweile wieder eingefunden hatten, zurück zu Indien. Das andere Land hatte dem Albino glücklicherweise jegliche Fragen zu seiner verfrühten Kostümierung erspart und während Gilbert den Kopf bejahend neigte und hob, kam er nicht umhin zu bemerken, wie anderes sein Gastgeber in seiner Sportkleidung aussah. Nicht schlecht, auf keinen Fall. Aber anders eben. Zwar lag in den dunklen Augen dieser des schwarzhaarigen Mannes immer noch dieser unergründliche Schimmer, der das Wissen vieler Jahrhunderte erahnen ließ, aber sonst schien die Person vor ihn zumindest äußerlich wenig gemein mit jener zu haben, die vor etwas mehr als einer Stunde noch neben ihm in der Rikscha gesessen hatte. Indien wirkte um Jahre verjüngt und das erwartungsvolle Feuer, welches tief in seinem Inneren brannte und nur darauf wartete, loszubrechen, war förmlich spürbar. Vorfreude sprach aus jeder Bewegung, während wohl proportionierte Muskeln unter der exotisch getönten Haut spielten. Obwohl der Albino auf den Inder mit seinem elfenbeinfarben Teint wohl selbst recht exotisch wirken musste, dachte er mit einem schiefen Lächeln bei seiner letzten, gedanklichen Feststellung. Indien hob die Hand und bedeutete einer jungen Frau in der Nähe der Musikanlage, diese einzuschalten. Nur Sekunden später begannen die Töne eines Blasinstrumentes den Raum zu erfüllen und gebannt richtete Gilbert seine Augen auf Indien, um sich den folgenden Tanz einzuprägen. Er würde das Kind schon schaukeln, hatte Gilbert auf dem Weg hier her gedacht, so wie er in seiner Großartigkeit eben schon vieles geschafft hatte. Selbst nachdem er Zeuge von Indiens fulminanter Begrüßung mit dessen Tänzerinnen gewesen war, war der Albino der Überzeugung gewesen, dass er die Schritte mit ein klein wenig Übung beherrschen würde. Doch das war gewesen, BEVOR er den ungebändigten Tiger aus seinem Käfig hatte ausbrechen sehen. Zumindest fiel der Ex-Nation kein besserer Vergleich ein, als er das andere Land über die Tanzfläche wirbeln sah. Die letzte Mauer der Zurückhaltung war nun endgültig gefallen und als ein Sturm purer, mitreißender Lebensfreude bewegte er sich durch die Halle. Ein Sturm, der Gilbert wohl wesentlich mehr mitgerissen hätte, wenn da nicht das Wissen gewesen wäre, dass er die komplizierte Abfolge von Schritten und Armbewegungen, die jetzt schon einen Knoten in seinem Gehirn verursachte, nachher selbst beherrschen musste. Ein kalter Schweißtropfen perlte über die Schläfe des Albinos und er schluckte. Verdammt, dachte er. Da hatte er den Mund wohl ein klein wenig ZU voll genommen. Mühelos und scheinbar unberührt von der Anstrengung kam Indien nach einer letzten Drehung zum stehen. Er blickte zum ehemaligen Preußen zurück. "Bereit?" fragte das dunkelhaarige Land, worauf Gilbert nur steif nickte. Hatte er denn eine Wahl? Nicht wirklich, wenn er seinen Mann stehen und sich ein letztes bisschen Würde bewahren wollte. Wenngleich fraglich war, ob er sie gerade durch die kommende Vorstellung nicht völlig verlieren würde. Er konnte das. Jemand, der einmal den Namen Preußen getragen hatte, konnte einfach alles. Er konnte das. Beim Alten Fritz, er hatte das zu können. Er konnte ... Gilberts gedankliches Mantra brach ab, als die Musik einsetzte und er sich auf die Schritte konzentrieren musste. Die erste Abfolge ging ihm noch relativ flüssig von der Hand, doch dann traf er auf ein Knäul in seiner Erinnerung. Er strauchelte kurz, während er versuchte, die durcheinander geratene Kombination von Indiens Schritten in seinen Gedanken zu entwirren und seine Füße gleichzeitig in Bewegung zu halten. Er war sich nicht sicher, ob es wirklich richtig war, was es tat - zumal er bei einigen Abschnitten stark improvisierte - aber immerhin hielt er bis zum Schluss durch. Etwas, auf das er stolz sein konnte, sagte er sich. Trotzdem war er froh, dass es vorbei war. "Na, wie war ich?" fragte der Albino, die eigene Unsicherheit über die Qualität seiner Vorführung mit einer riesigen Portion Ego überspielend. Die Züge der Inders wirkten erheitert und Gilbert hätte schwören können, für einen Moment kindlichen Schalk in den tiefbraunen Iriden seines Gegenübers aufblitzen zu sehen. "Für den Anfang nicht schlecht", lobte Indien und sofort schwoll Gilberts Brust stolz ein Stück an. Er hatte ja von Anfang an gewusst, dass er gut sein würde. "Aber keine Angst, du musst nicht den ganzen Tanz lernen. Ich wollte nur sehen, was du kannst." Neben der Erleichterung, die er bei der Aussage seines Gastgebers durch sich hindurchfluten fühlte, jedoch niemals offen zugegeben hätte, empfand er gleichzeitig etwas ... er wusste nicht genau, was es war, aber er schürzte die Lippen, ohne dem Inder wirklich böse sein zu können. Dafür hatte die Situation viel zu sehr etwas von den Späßen, die er sich mit Francis und Antonio untereinander erlaubte. Sogar sehr viel, wenn er in das Gesicht der anderen Landes blickte, welches unter einer Maske gespielter Unschuld lag. Der Albino musste gestehen, dass ihm Indien zunehmend sympathischer wurde. Zwei Stunden vergingen, in denen Indien der Ex-Nation die nötigen Schritte beibrachte. Als die Musik ein weiteres Mal verklang und Gilbert seine Endpose einnahm, kommentierte sein Gastgeber das ganze lediglich mit einem nachdenklichem "Mhh...", während die tiefbraunen Augen ihn kritisch musterten. "Was ist? Ich war doch dieses Mal richtig gut", erwiderte Gilbert, dem die Schritte zum ersten Mal fehlerfrei gelungen waren und was er als persönlichen, kleinen Triumph empfand. Indien schüttelte den Kopf. "Du bist noch zu steif. Du schwingst deine Arme noch nicht richtig. Und die Hüften auch nicht." Der Silberhaarige blickte fragend auf die betroffenen Körperteile. Eigentlich war er der Albino der Überzeugung gewesen, dass er beides doch schon recht kräftig durch die Luft geschüttelt hatte. "Komm, lass mich dir helfen", meinte Indien und trat, ohne eine Antwort der anderen Landes abzuwarten, hinter Gilbert. Der Albino erstarrte und erschauderte gleichermaßen, als Indien sich so unvermittelt in seinem Rücken positionierte und sich ein warmer Männerkörper gegen seinen eigenen presste. Hände, welche die gleiche, angenehme Hitze ausstrahlten, wanderten von seinen Schultern über seine Arme und schlossen sich schließlich um seine Gelenke. Ein Kribbeln jagte die Wirbelsäule der Ex-Nation hinab und sein Herz setzte für einen schmerzhaften Schlag lang aus, als heißer Atem über sein Ohr strich. Dann begann Indien zu sprechen. " Pass auf", wies das dunkelhaarige Land Gilbert an. Der Albino nickte leicht, dankbar dafür, dass sein Gastgeber die deutliche, rote Färbung auf seinen blassen Wangen von dieser Position aus nicht sehen konnte. Indien fing damit an, Gilberts Arme zuerst langsam und dann allmählich schneller zu bewegen und rasch erkannte das ehemalige Land, was der andere Mann mit seiner Kritik gemeint hatte. Die Gesten, in welche Indien die Glieder der Ex-Nation führte, waren leicht wie der Wind und fließend wie das Wasser. Es war kein Vergleich mit den vorangegangenen Bewegungen des Albinos, die Gilbert mit einem Mal plump und ungelenk wie die eines Bauern vorkamen. Plötzlich löste Indien den Griff um Gilberts Hände, ohne jedoch den Kontakt zur Haut der Anderen zu verlieren. Der Silberhaarige sog scharf den Atem ein, als Finger federleicht über den alabasterfarbenen Teint strichen und fast hätte er seinen Rhythmus verloren. "Nicht aufhören" hörte er den Inder hinter sich, ein Lächeln in der Stimme und trotzdem steckte genug Nachdruck in den zwei Worten, um Gilbert den Takt halten zu lassen. Als ob das so einfach wäre, dachte der Albino vorwurfsvoll und hatte das Gefühl, sein gesamter Körper würde in Flammen stehen und die Hände Indiens, die nunmehr seinen Brustkorb erreicht hatten, feurige Spuren über seine Haut ziehen. Sie konnten die Plätze ja gerne einmal tauschen. Dann würde sich zeigen, ob sein Gastgeber weiterhin so entspannt blieb. Eine weitere, warme Welle rollte durch das Innere der Albinos, als Indiens Hände die Linie seines Torsos nachzeichneten und auf Gilberts Hüften zur Ruhe kamen. Einen zittrigen, beinah schon erwartungsvollen Atemzug später presste Indien das Becken der Ex-Nation von links nach rechts und wieder zurück. Dann wieder nach links. Und rechts. Dieses Mal schneller. Und wieder links. Gilbert konzentrierte sich auf die Bewegung, um nicht völlig den Kopf zu verlieren. Er fühlte sich seltsam berauscht, kaum noch zu einem klaren Gedanken fähig. Er spürte, wie Indiens Körper seinen eigenen Bewegungen folgte und das von ihm ausgehende Feuer die Maschinerie seines Herzens nur noch mehr antrieb. Das Blut rauschte in seinen Ohren und seine Gedanken trieben wie Schiffbrüchige nutzlos durch seinen Verstand. Doch so unvermittelt, wie es begonnen hatte, endete es auch wieder. Indiens Bewegungen kamen zum Erliegen und mit ihnen auch Gilberts. Die Hände der dunkelhaarigen Landes entließen den Albino und er tat, oder vielmehr taumelte, einen Schritt nach vorne. Er fasste sich an die Stirn. Ihm war ... schwindelig. Als er eine Hand auf seiner Schulter spürte, sah der Silberhaarige auf und blickte in Indiens Gesicht "Alles in Ordnung?", erkundigte sich das andere Land und sowohl seine Stimme als auch seine Augen verrieten leichte Besorgnis. Jedoch keine Reue. Gilbert drängte seine Benommenheit zurück und straffte die Schultern. "Na-Natürlich ist alles in Ordnung", erwiderte der Albino und was seine Stimme an der üblichen Festigkeit vermissen ließ, machte er mit Überzeugung wett. Er wollte nicht zugeben, dass ihn Indiens unerwarteter "Angriff" so sehr aus der Bahn geworfen hatte, vor allem, wenn sein Gastgeber selbst sich so unberührt davon zeigte. Hoffentlich schrieb der Inder jene verräterische Röte, welche seine Alabaster-Haut noch vor keinem hatte verbergen können, der Anstrengung und nicht etwas anderem zu. Obwohl und auch wenn er zu verdrängen versuchte, dass da diese Spur von Enttäuschung in der Brust der ehemaligen Landes war, weil die Lektion des dunkelhaarigen Mannes vorüber war. Dieses Mal sah Gilbert den verschlagenen Funken deutlich in den braunen Iriden seines Gegenübers. "Sollen wir eine Pause machen?" fragte Indien dann und ohne auf Gilberts vorheriges Kommentar wirklich einzugehen. Es war eine Frage, die er dem Albino kein zweites Mal zu stellen brauchte. Pausen hatte er schon damals in der Klosterschule am liebsten gemocht. Eine angenehme Brise strich über den Hügel, auf dem Indiens Anwesen und die Halle standen, wehte hinab ins Tal zur Stadt und spielte in Gilberts mondlichtfarbenem Haar. Der Albino genoss den kühlen Luftzug, besonders nach dieser schweißtreibenden Trainingseinheit. Er nahm einen weiteren Zug von dem kalten Radler, das nach Heimat schmeckte und sogar tatsächlich aus jener stammte. Er setzte die Flasche von den Lippen und empfand wie bereits bei der Auswahl seiner Trainingskleidung Anerkennung für das andere Land. Indien hatte seine Hausaufgaben tatsächlich mehr als nur gründlich gemacht. "Möchtest du wissen, warum ich gerade dich für den Auftritt gefragt habe?" ertönte die Stimme der Inders neben ihm und als der Albino zur Seite blickte, hatte der dunkelhaarige Mann seine braunen Seelenspiegel von der Stadt zu ihren Füßen abgewandt und auf Gilbert gerichtet. Die hellen Augenbrauen der Ex-Nation schoben sich verwirrt nach oben, weil die Antwort doch eigentlich offensichtlich war. "Weil ich großartig bin, ist doch klar." Ein Lachen zerrte an den kontrollierten Zügen seines Gegenübers. Dann blickte Indien auf das azurene Tuch des Himmels. "Weißt du, was dabei herauskommt, wenn man alle Farben mischt?" Gilbert runzelte die Stirn über diese seltsame Frage, entschied sich jedoch trotzdem, einen Gedanken an die Antwort zu verschwenden. Er erinnerte sich an den Tag, an dem er dem kleinen Ludwig einen Farbkasten geschenkt hatte. In seinem Eifer hatte sein Bruder die gesamte Palette gemischt und das Ergebnis war ein undefinierbarer See aus Schwarz und Braun gewesen. "Weiß", antworte Indien ehe der Albino seine eigene Erklärung über die Lippen bringen konnte. Weiß...? Die dunklen Augen der Inders kehrten auf ihn zurück, ein wissender Ausdruck in ihnen. "Wenn man weißes Licht bricht, erhält man die Farben der Regenbogens. Ohne Weiß gäbe es kein Rot, kein Grün oder Blau. Es ist nicht farb'los', wie viele annehmen. Es ist das perfekte Zusammenspiel aller Farben. Aus ihm lässt sich alles erschaffen." Die rubingleichen Iriden des Albinos wurden weit vor Erstaunen. Es war fast so als wusste Indien, was Gilbert schon seit seiner Ankunft beschäftigt gehalten und ihm zugesetzt hatte. Das Lächeln auf Indiens Lippen wuchs und Gilbert schüttelte in leichtem Unglauben den Kopf; stellte die Glasflasche neben sich auf den Boden. Anschließend versenkte er die Hände in den Hosentaschen und dann kräuselten sich auch seine Mundwinkel. "Ich sagte doch, weil ich großartig bin", schloss Gilbert. Obgleich der Inder in den Augen der Ex-Nation nicht vollkommen recht hatte. Wenn man alle Farben mischte, konnte man auch noch etwas anderes erhalten, das zumindest für Gilbert dem Weiß in keiner Eigenschaft etwas nachstand: Schwarz und Braun. Wie der Mann neben ihm. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)