Alone I Break von Romano (Wichtel-FF -Danmark-) ================================================================================ Kapitel 1: Alone I Break ------------------------ Alone I Break Juli 1848 Der Wind wurde unerwartet stärker. Er zog an den Zügeln, damit das Pferd zum stehen kam und zog seine Mütze ein Stück tiefer, um keinen Sand in die Augen zu bekommen, welcher von einer plötzlichen Windböe herum gewirbelt wurde. Langsam öffnete Feliciano seine Augen wieder. Von dem Hügel aus konnte er das Gebiet gut überblicken. Noch waren keine der habsburgischen Truppen in Sichtweite. Seine Aufmerksamkeit wich von der Landschaft um ihn herum, als sich von hinten ein älterer Mann näherte, seine schwarzen Haare langsam ergrauend; trotzdem war sein Blick voller Stolz, als sein Pferd neben dem von Feliciano zum stehen kam. „Veneziano“, begann er langsam, seine Stimme klar und deutlich, sein Blick fest auf ihn gerichtet. „La Marmora besteht darauf zu rasten und möchte einen Plan für den weiteren Schlachtverlauf aufstellen.“ Feliciano betrachtete den Mann einen Moment ausdruckslos, ehe er sanft schmunzelte „Gut, mein König.“ Karl Albrecht, der König von Sardinien und der Herzog von Savoyen, hatte Lombardo-Venetien seine Unterstützung zugesichert, nachdem Mailand und Venedig ihre Unabhängigkeit von Österreich erklärt hatten und sich nun dem Königreich Sardinien-Piemont angeschlossen hatten. Feliciano fiel der Gedanke, gegen Österreich, seinen ehemaligen Vorgesetzen und Mentor in den Krieg zu ziehen, nicht leicht. Aber sein Volk brauchte ihn jetzt mehr als jemals zuvor. Als Nation hatte er seine eigenen Gefühle zu ignorieren, wenn sein Volk ihn brauchte. Auch wenn Feliciano sich immer wieder selbst daran erinnern musste. Er musste ignorieren, gegen wen er hier kämpfte. Nur das Ziel war wichtig - die Vereinigung von Nord- und Süditalien zu einem Reich. Karl Albrecht ritt neben ihm den Hügel hinab zu der wartenden Armee. Alfonso La Marmora, der Oberbefehlsgeneral ihrer Armee war bereits von seinem Pferd gestiegen und wartete auf sie. Sein Blick glitt kurz hinüber zu Karl Albrecht, dann zu Feliciano, welcher neben ihm zum stehen kam und abstieg. Er spürte die Blicke der beiden Männer im Nacken. „Ich habe ein Zelt aufbauen lassen“, sprach La Marmora in einem ernsten Tonfall. Feliciano bemerkte jetzt erst wie tief seine Augenringe waren. „Dort lässt es sich besser sprechen.“ Dann wandte er sich um, ihnen den Weg weisend. Feliciano konnte seinen Blick jedoch nicht nach vorne konzentrieren - immer wieder richtete er ihn auf die Soldaten, welche sie passierten. Ihre anfänglichen Erfolge gegen Österreich in den ersten Auseinandersetzungen, unter anderem bei Goito, beeindruckten ihn wenig. Natürlich war immer mit Kriegsopfern zu rechnen aber der Anblick verletzter oder blutender Menschen löste in ihm immer noch ein Gefühl der Kälte aus, obwohl er als Nation viele Kämpfe erlebt hatte. Er konnte nicht aufhören, sich zu fragen, ob es nur ihm oder auch Österreich so ging... Vielleicht war er wirklich überempfindlich. Im Zelt angekommen setzte sich Karl Albrecht vorne an den kleinen, in der Mitte des Zeltes stehenden Tisch. Feliciano auf die linke Seite, La Marmora auf die rechte. „In Custozza warten die österreichischen Truppen auf uns.“ La Marmora sprach gedämpft, sein Blick war unerwartet ernst und missmutig. Feliciano hatte eigentlich erwartet er sei ein wenig optimistischer, auch wenn er sich selbst noch etwas verunsichert fühlte. Feliciano senkte leicht den Kopf. Er hatte seit beginn dieses Krieges nicht mehr richtig geschlafen und die Nächte damit verbracht, zu beten und zu hoffen, dass alles ein gutes Ende nehmen würde. Was wird Österreich tun, wenn wir uns gegenüber stehen?... Vertieft in seine Gedanken merkte Feliciano erst gar nicht, wie er angesprochen wurde. Die plötzliche Berührung seines Oberarmes lies ihn zusammen zucken und ihn überrascht zur Seite blicken. Karl Albrecht sah ihn eindringlich an, in seinen Augen eine Mischung aus Sorge und Neugier. „Veneziano, ist alles in Ordnung?“ Er nickte, zwang sich ein schwaches kraftloses Lächeln auf „Mh, ja. Ich habe nur an die österreichische Armee gedacht und daran, was uns erwartet“, antwortete er langsam und lehnte sich leicht vor, dabei spielte er mit seinen Fingern an dem Ärmel seiner Uniform herum. „Macht Euch keine Gedanken um mich, ich bin schließlich kein Mensch und den Kampf gewohnt“. Pick me up Been bleeding too long Right here, right now I'll stop it somehow 1801 Felicianos Hände verkrampften sich, doch er schaffte es nicht mehr, auf zu stehen. Die Soldaten um ihn herum hatten zu kämpfen aufgehört, nur das leise Keuchen und Stöhnen der Verletzten war zu vernehmen. Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, wie sich einige auf ihre Waffe stützen. Langsam sah er auf; seine Hände ballten sich zu Fäusten, als das Pferde durch die Menge auf ihn zu kamen. Feliciano biss sich auf die Unterlippe und zwang sich ein stolzes Lächeln auf, als das große weiße Tier vor ihm zum stehen kam. „Ihr habt uns besiegt, Bonaparte. Ich bin beeindruckt.“ Seine Kehle fühlte sich trocken an. Frankreich hatte sich als militärisch viel weiter entwickelt heraus gestellt und war ihnen absolut überlegen - die sardinisch-piemontesische Truppen waren einfach überrannt worden. Österreich hatte ihm vertraut aber er hatte versagt. Napoleon Bonaparte, welcher von seinem Pferd auf ihn hinab sah, schwieg, als Frankreich, ebenfalls auf einem Pferd, zu ihm kam, um vor dem auf den Boden knienden Feliciano zu halten. Felicianos Blick wechselte zwischen den Beiden Männern hin und her. Noch immer war er unsicher, was nun mit ihm geschehen würde. Die ständige Belagerung und Kontrolle durch andere europäische Länder war er bereits gewohnt, nur die Ausmaße und Folgen dieser Schlacht waren ihm unbekannt. Er schluckte kurz, senkte wieder seinen Kopf. „Ich akzeptiere meine Niederlage und füge mich meinem Schicksal“, gab er langsam von sich als Frankreich plötzlich abstieg. Feliciano sah auf, als Frankreich seinem Vorgesetzten ein kurzes Handzeichen gab und sich dann ihm zu wandte. „Veneziano, ich bin nicht hier um dir zu schaden, sondern um dir zu helfen.“ Einen Moment glaubte Feliciano, sich verhört zu haben, ehe er seinen Kopf leicht neigte und fragend in das Gesicht Frankreichs sah „Was?...“ Seine Augen hatten sich unbewusst geweitet. „Bonaparte wird nicht dein Feind sein, wenn du nur auf das hörst, was ich dir sage, ja?“, Frankreich kam näher und hockte sich vor Feliciano auf den Boden und griff nach seinen Händen, welche im Vergleich von denen Frankreichs viel dreckiger wirkten, und nahm sie vorsichtig in seine, dann zog er ihn langsam auf die Beine. „Sag, hast du jemals von bürgerlichen Recht gehört, Veneziano?“, das Lächeln verwirrte ihn nur noch ein wenig mehr, dennoch schüttelte er langsam den Kopf und betrachtete das Gesicht Frankreichs fragend. Dieser drehte sich herum und nickte Bonaparte zu, welcher das nicken nur kurz erwiderte, ehe er sich von dem Geschehen abwandte und seinen Weg zurück durch die Soldaten bahnte. „Dann werde ich es dir erklären. Glaub mir, ich kann dir helfen, Italien“. Frankreich ließ seinen Worten Taten folgen. Bonaparte gründete das Königreich Etrurien in der Toskana. Unter seiner Dynastie entstand zudem 1806 das Königreich Neapel. Bis zum Ende des Jahres 1809 annektierte Frankreich ganz Italien und vertrieb Österreich und Spanien völlig. Feliciano wusste selbst nicht, wie er auf die Situation reagieren sollte. Seine Aufgaben hatten sich kaum verändern, auch wenn, wie von Frankreich versprochen, die ersten bürgerlichen Rechte durch den Code Napoléon eingeführt wurden. Sein älterer Bruder Romano lebte nun ebenfalls mit unter Frankreichs Herrschaft. Feliciano wurde dabei direkt vor Augen geführt, wie lange sie einander nicht mehr gesehen hatten und dass sie sich inzwischen so fremd waren, dass sie völlig andere Dialekte sprachen. Nur eine Gemeinsamkeit blieb - sie waren immer noch nicht mehr als ein Eigentum Frankreichs, aus Interesse an ihrem Land unterdrückt . Das erste mal verspürte Feliciano etwas wie Nationalität und den Wunsch nach einem freien Italien. Im Jahre 1814 siegten die anderen Großmächte über Napoleon und teilten die Landkarte auf dem Wiener Kongress erneut unter sich auf. Feliciano zog wieder zurück in das Haus Habsburg, während sein Bruder Romano wieder in Spaniens Haus einzog, auch wenn ein Teil seines Landes weiterhin unter französischem Einfluss stand. Politisch stellten die Großmächte den Kirchenstaat in Rom wieder her, welchen Frankreich zerschlagen hatte. Durch die Heilige Allianz, ausgehend von Österreich, Preußen und Russland, wurden alle Änderungen, die Napoleon herbei geführt hatte, rückgängig gemacht. Die alten Machtverhältnisse wurden von ihnen wiederhergestellt - sodass selbst die wenigen positiven Veränderungen nur von kurzer Dauer waren. Mit dem Wiener Kongress beschloss Feliciano für sich, dass es Zeit war sich von der Kontrolle zu befreien... November 1848 Er konnte immer noch Blut schmecken. Es war völlig egal, wie oft er versuchte, sich mit dem Brunnenwasser den Mund aus zu spülen, der Geschmack wollte nicht weichen. Lovino richtete sich langsam wieder auf, wischte sich mit dem Ärmel über den noch feuchten Mund. Der Fontana di Trevi, der bekannteste Brunnen Roms. Lovino betrachtete das Wasser, welches sanfte Wellen schlug. Seine Glieder schmerzten noch und die unangenehme Übelkeit wurde allmählich stärker. Gestern hatten sie Rom eingenommen. Der Papst war in Richtung der Küste Neapels geflohen und hatte ihnen damit die Chance gegeben, die Stadt einzunehmen. Lovino hatte nicht beabsichtigt den Papst zu töten, ein solcher Gedanke war abwegig - immerhin war er immer noch katholisch, obgleich ihm der Kirchenstaat ein Dorn im Auge war. Er drehte sich langsam um. Hinter sich konnte er ein paar Männer sitzen sehen, die sich lebhaft unterhielten. Ohne wirklich hin zu hören, konnte er dem Gespräch entnehmen, dass es um die weiteren Pläne der Revolution ging. Einer von ihnen hielt dabei die Il Risorgimento in seiner Hand, eine liberalkonservative Zeitschrift aus Turin, die vor einem Jahr aufgetaucht war und heimlich unter dem Volk verteilt wurde. Lovino hatte sie auch schon des öfteren in den Händen gehalten, nur wirklich gelesen hatte er sie nie. Es fehlte ihm einfach an der nötigen Energie, sich jetzt auch noch damit auseinander zu setzen. Sich auf eine Seite zu stellen und sich damit gegen die Herrschaft der spanischen Bourbonen aufzulehnen, war bereits anstrengend genug, nicht nur weil er bereits 1820 die Erfahrung gemacht hatte, was passieren konnte, wenn man sich aufzulehnen wagte. Die Aufstände von damals, die als Auswirkung der spanischen Revolution in Sizilien stattgefunden hatten, waren hauptsächlich von Österreich niedergeschlagen worden. Lovino schüttelte schnell den Kopf, daran wollte er nicht mehr denken. „Es gibt wichtigeres...“ nuschelte er sich selbst zu. „Viel wichtigeres zu tun...“ Er wandte seinen Blick von den Männern ab und folgte einfach dem Straßen verlaufen. Er wusste gar nicht so genau wohin eigentlich. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Im Prinzip wusste er doch, dass es völlig sinnlos war, sich gegen so viele Feinde zu stellen. Nicht Habsburg, sondern auch die anderen Großmächte standen gegen ihn - nein, gegen sie. Lovino blieb abrupt stehen. Er fuhr sich durch die Haare. An Feliciano hatte er gar nicht mehr gedacht. Natürlich, er kämpfte auch. Sie waren sich fremd geworden über die Jahre aber zum ersten Mal glaubte er, dass sie tatsächlich für die gleiche Sache kämpften. Sein Blick glitt langsam nach oben. Von hier aus konnte er einen Teil der Sixtinische Kapelle sehen. Wohl eine der einzigen Architekturen, die nicht sein Bruder geschaffen hatte. Normalerweise überkamen ihn in solchen Momenten wieder Neid und Missgunst gegenüber seinem jüngeren Bruder, doch nun war er selbst dafür zu müde. Was würde unser Großvater sagen, wüsste er, wozu wir verkommen sind... Plötzlich drang lachen an sein Ohr und Gesänge hallten an den Wänden wider. Eine Menschenmasse zog an der Straße vorbei - Männer und Frauen, welche im Chor sangen. Lovino horchte nun selbst auf und drehte sich dem Geschehen zu: Va, pensiero, sull'ali dorate; va, ti posa sui clivi, sui colli, ove olezzano tepide e molli l'aure dolci del suolo natal! Jetzt erkannte er den Freiheitschor aus der Oper Nabucco wieder. Er hatte sich eigentlich nie besonders für Opern begeistert können, doch dieses Lied war etwas anderes. Giuseppe Verdi, welcher die Oper verfasst hatte, kam aus Norditalien und lebte, nach dem, was Lovino wusste, irgendwo in Mailand. Feliciano hatte bereits von ihm erzählt, irgendwann beiläufig in einem der wenigen Briefe, die sie manchmal miteinander teilten. Verdis Freiheitschor war für die Menschen wie eine Hymne ihres Kampfes um Freiheit. Ein kurzes schmunzeln entwich ihm und ließ ihn sich gegen die Steinwand neben sich lehnen und die Menschen beobachten. Feliciano hatte ihm vor einigen Monaten einen Brief geschrieben, welchen er zwar kaum zu lesen vermochte, da sich ihre Art zu sprechen und zu schreiben sehr stark voneinander unterschied, dennoch hatte er sich fast ein bisschen gefreut. Es machte ihm alles etwas leichter... “Manchmal, da reicht es den Menschen einen kleinen Ansatz zu geben, um ihre Situation zu erkennen, damit sie zu handeln anfangen. Dafür braucht es das gesprochene Wort nicht. Allein die Interpretation eines Kunstwerks reicht, um dem Glauben Flügel zu verleihen. Das ist die höchste Kunst - die offensichtlichste Botschaft in dem Unoffensichtlichen mitzuteilen. Auf dass uns ihre Hoffnung Stärke verleihe.“ Das hatte Feliciano ihm geschrieben. Anfangs hatte er nicht so Recht verstanden, was sein Bruder ihm damit zu sagen versuchte. Er hatte den Brief mehrmals gelesen und ihn sicherheitshalber immer wieder woanders versteckt, damit Spanien ihn nicht finden und Österreich warnen konnte. Auch wenn Spanien seit dem spanischen Erbschaftsfolgekrieg nicht mehr zu Habsburg gehörte, so hatten sie immer noch genug Kontakt zueinander, um gemeinsam gegen sie vorzugehen. Im Prinzip durfte sich Lovino wohl noch glücklich schätzen, es hauptsächlich mit Spanien zu tun zu bekommen und nicht mit Österreich. Er hatte noch nie besonders viel von Österreich gehalten; von Frankreich schon gar nicht, mit seinem überhobenen Auftreten und seiner aufdringlichen Art aber immerhin hatte er sie gelehrt was bürgerliche Rechte bedeuteten. Ohne es wirklich zu wollen, kam ihm wieder Spaniens Gesicht in den Sinn, als er sich 1820 gegen ihn aufgelehnt hatte. Er war einfach aus dem Haus gestürmt. Was genau er Spanien ins Gesicht geschrien hatte, daran erinnerte er sich längst nicht mehr. Lovino hatte fest damit gerechnet, Spanien würde ihn davon abhalten, sich den aufständischen in Neapel anzuschließen, doch im ersten Moment war er einfach stehen geblieben, hatte ihn erst mit einem fragend Blick angesehen und dann einfach gelächelt. Vermutlich hatte er zu diesem Zeitpunkt einfach schon gewusst, dass der Aufstand nicht lange halten würde; dass er früher oder später aufgeben würde und dass Österreich ihm eine Lektion erteilen würde. Vielleicht war es das, weshalb Spanien keine Anstalten gemacht hatte ihn aufzuhalten - weil er wollte, dass er zurück gekrochen kam. Lovino ballte seine Hände zu Fäusten und biss sich auf die Unterlippe. Eine Stimme holte ihn aus seinen Gedanken. Eine der vorbeiziehenden Frauen war stehen geblieben und lächelte ihn freudestrahlend an. „Eine neue Republik wurde ausgerufen! Lang lebe Giuseppe Mazzini!“ Lovino sah zu ihr hinüber und schluckte seinen Frust über die Vergangenheit runter und folgte der Frau hin zu der Menschenmasse, die in Richtung Stadtzentrum zog. Mazzini, ein Held Italiens, dessen Anhänger die Stadt eingenommen hatten. Er hoffte wirklich, ihn bald selbst treffen zu können. Er wollte nur noch vergessen, was passiert war und eine neue, bessere Zukunft aufbauen, in der Hoffnung, dass alles bald ein Ende nehmen würde. I will make it go away Can't be here no more Seems this is the only way I will soon be gone These feelings will be gone These feelings will be gone August 1849 Felicianos Hoffnungen hatten sich nicht erfüllt. Österreich hatte sie im November 1848 und im Fortsetzungskrieg im März 1849 besiegt und die Armee zerschlagen. Die Verletzungen der Kriege waren inzwischen gut verheilt, lediglich einige Narben waren ihm an den Armen geblieben. Österreich hatte ihm gesagt, dass er Glück gehabt habe, dass er so gnädig zu ihm war, keine strengeren Gesetze zu veranlassen und einfach darauf vertraute, dass er wusste, wo sein Platz war. Feliciano saß aufrecht in seinem Bett. Das Zimmer war für die durchschnittliche Bevölkerung Norditalien groß und es roch nach Kräutern und Holz. Nach der Niederlage seiner Truppen hatte er beschlossen, sich erst einmal ruhig zu verhalten und sich seinen Unmut nicht anmerken zu lassen. Obwohl er sich melancholisch fühlte und er normalerweise bei jeder Gelegenheit anfing zu weinen, hatte er bisher noch nicht eine Träne vergossen. Sein Mund fühlte sich trocken an und seine Glieder waren schwer. Vielleicht lag es auch daran, dass Venedig als Stadtrepublik aufgelöst worden war oder dass König Karl Albrecht, welcher mit ihm in die Schlacht gegen Österreich gezogen war, nun zugunsten seines Sohnes Viktor Emanuel II abgedankt hatte. Dieser hatte in Mailand den Friedensvertrag mit Österreich unterzeichnet. Feliciano hatte sich bislang kaum mit ihm unterhalten, er war dafür einfach in einer körperlich zu schlechten Verfassung. Doch nicht nur das beschäftigte ihn. Einen Monat zuvor hatte er einen Brief von seinem Bruder aus der Stadt Rom erhalten, welche im Januar zu einer Republik ausgerufen worden war. Hauptsächlich französische Truppen hatten die Stadt gemeinsam mit einigen spanischen Truppen so lange belagert, bis sie sich ergeben mussten. Feliciano hatte sich bislang nicht getraut, ihm zu schreiben, was hier geschehen war, auch wenn er es wahrscheinlich längst durch Spanien erfahren hatte. Sie hatten es nicht geschafft, sich zu widersetzen. Von der Stärke des römischen Reiches war nichts mehr übrig und was blieb, waren sie, ohne Stolz und ohne Ehre. Now I see the times they change Leaving doesn't seem so strange I am hoping I can find Where to leave my hurt behind All the shit I seem to take All alone I seem to break I have lived the best I can Does this make me not a man? 1854 Er musterte das Geschehen auf den Straßen unter dem Fenster. Die Vorhänge wehten im Wind. Eigentlich hatte er sich nur kurz etwas zurückziehen wollen, um auf andere Gedanken zu kommen doch jetzt hatte er nicht einmal mehr das Bedürfnis, den Politikern, die sich im Nebenraum aufhielten, beizuwohnen. Feliciano ließen die Gedanken an die verlorenen Kriege einfach nicht los, die Italienkriege hatte er fast schon ganz vergessen. Das Klopfen an der Tür ließ ihn kaum merklich zusammenzucken. „Herein.“ Er machte sich nicht einmal die Mühe, sich umzudrehen, um zu sehen, wer den Raum betreten hatte, als sich hinter ihm jemand laut räusperte. Erst warf er nur einen kurzen, fragenden Blick über seine Schulter, doch jetzt, da er den Mann mit der runden Brille und den schwarzen Haaren und Kleidung sah, drehte er sich sofort hastig um. „Herr Cavour!“ rief er überrascht aber auch freudig aus. Der Mann schmunzelte ein wenig überrascht. „Ich dachte, ich schaue einmal vorbei und erkundige mich über deinen Zustand“ Camillo Benso von Cavour, ein wichtiger Staatsmann und der Gründer der Il Risorgimento. Feliciano hatte großes Vertrauen in diesen Mann gesetzt; nicht nur, weil er sich in politisch hohen Positionen befand und sich schon lange für eine Einigung Italiens einsetze. In der letzten Zeit hatte er ihn jedoch nicht zu Gesicht bekommen, seit fast zwei Jahren, um es genau zu nehmen. Was für einen Mensch Jahre waren konnten für eine Nation nur wenige Monate, wenn nicht sogar nur Wochen sein. Cavour war vor zwei Jahren zum Premierminister von Sardinien ernannt worden, was bedeutete, dass er nun seine meiste Zeit weit woanders verbrachte. Feliciano konnte nicht anders, als die Hände Cavours zu greifen und sie eifrig zu schütteln. „Ich freue mich sehr! Haben Sie gute Nachrichten? Wie steht es um die Politik, was haben Sie über meinen Bruder gehört?“ Cavour lächelte langsam und entzog seine Hände langsam dem festen Griff Felicianos. „Ganz langsam, ich habe Zeit mitgebracht, Veneziano“, antwortete er, ließ sich bereitwillig zu dem Tisch führen und setzte sich dort langsam auf einen der Stühle. „Im Nordosten ist der Krieg ausgebrochen zwischen Russland und dem Osmanischen Reich“, antwortete er nun langsam, seine Stimme wurde ein wenig ernster. „Und dein Bruder wird sich dem Königreich Sardinien dem Vereinigten Königreich und Frankreich anschließen, um Russland zu bekämpfen.“ Felicianos Augen weiteten sich langsam. Seine Hände verkrampften sich im Stoff seiner Hose. Sein Blick glitt langsam auf den Boden und er schluckte schwer. Cavour lehnte sich leicht vor. Feliciano konnte seine Blicke deutlich auf sich spüren, als er langsam weiter sprach. „Allerdings wird das vielleicht die Chance sein, unsere Pläne umzusetzen, Veneziano.“ Langsam sah er wieder auf. Cavour sah ihn eindringlich an, seine Augen fest auf ihn gerichtet. Schon lange hatte er nicht mehr so einen überzeugenden Blick gesehen. Cavour schien sich seiner Sache unglaublich sicher zu sein. Auch er lehnte sich nun langsam ein Stück vor, denn er wollte nicht zu laut sprechen, in diesem Haus, das unter Habsburg stand. „Wie lautet dieser Plan?“ fragte er vorsichtig, dabei das aufgeregte Zittern in seiner Stimme unterdrückend. Seine Hände griffen immer noch fest in den Stoff seiner Hose. Cavour wirkte nun fast schon zufrieden. Offenbar hatte er erwartet, dass diese Worte Feliciano umstimmen würden. Ihm selbst war es gerade relativ egal, ob er sich zu leicht überreden ließ, er wollte nur noch das Ziel erreichen, egal ob er dafür jemand anderes sein musste. Shut me off I'm ready Heart stops I stand alone Can't be my own Feliciano war selbst dabei, als Cavour 1858 den geheimen Vertrag von Plombières-les-Bains mit Kaiser Napoleon III von Frankreich abschloss, in dem sie sich die Unterstützung sicherten, die sie gegen Österreich brauchten. Österreich selbst war im Krimkrieg, der 1854 bis 1856 getobt hatte, politisch geschwächt, was für sie die Möglichkeit bot, Italien endlich zu befreien. Feliciano gefiel es zwar nicht, dass Napoleon III nur an seine eigene Machtstellung in Europa dachte und ihnen nur deshalb half, doch anders konnten sie es nicht mit der stärkeren Nation aufnehmen. Cavour betonte noch einmal, dass Italien es nicht aus eigener Kraft schaffen konnte und sie damit auf die Hilfe vertrauen mussten. Zwar verlangte Napoleon III Nizza und Savoyen, bot dafür aber Unterstützung im Kampf um Lombardo-Venetien an. Durch die Vermählung der Tochter von König Viktor Emanuel II mit dem Cousin Nepoleons III wurde der Vertrag zwischen ihnen besiegelt. Feliciano ließ daraufhin Cavour die Oberhand im weiteren Geschehen ergreifen. Durch Provokationen, die sich gegen Österreich richteten, drängten sie Österreich dazu, sie zuerst anzugreifen, damit die Kriegsschuld auf österreichischer Seite lag. Im Mai 1859 erklärte Österreich Sardinien-Piemont letztlich den Krieg und es kam zu dem zweiten Italienischen Unabhängigkeitskrieg. Feliciano fehlte es zwar an der nötigen Kriegserfahrung, doch durch die Unterstützung Frankreichs im Kampf schafften sie es gemeinsam nach einem zweimonatigen Kriegsverlauf, Österreich entscheidend zu schlagen. Zum Entsetzen Felicianos, zog sich Napoleon III kurz nach diesem Sieg aus dem weiteren Kriegsverlauf zurück und gewährte mit dem Vorfrieden von Villafranca zwischen Frankreich, Österreich und Sardinien-Piemont, Österreich Venetien zu behalten. Im Frühjahr 1860 wendete sich das Blatt jedoch gegen Frankreich und Österreich, da sich Bürger der Toskana, von Modena, Parma und Bologna, sowie der Emilia-Romagna bei einer Volksabstimmung für den Anschluss an Sardinien-Piemont entschieden und damit gegen Frankreich und Österreich. Napoleon III erkannte dies an, auch wenn Feliciano nie wirklich erfahren konnte, weshalb. Feliciano kämpfte daraufhin an Seiten König Viktor Emanuel´s II um weitere Provinzen, die noch unter Habsburgs Herrschaft standen.... I will make it go away Can't be here no more Seems this is the only way I will soon be gone These feelings will be gone These feelings will be gone Now I see the times they change Leaving doesn't seem so strange I am hoping I can find Where to leave my hurt behind All the shit I seem to take All alone I seem to break I have lived the best I can Does this make me not a man? Mai 1860 „Bist du dir sicher, dass du dieses Risiko eingehen willst, Romano?“ Einen Augenblick hielt er inne, den Fuß bereits im Steigbügel des Sattels, in den Händen die Zügel und Mähne des Pferdes. Er hatte sich keine Uniform angezogen, das würde ihn nur behindern. Lovino war kein hervorragender Reiter. „Was geht dich das an, Bastard?“ zischte er und stieg mit einem Ruck auf. Das Pferd schwenkte seinen Kopf hin und her. Spanien stand noch immer im Türrahmen. Diese Szenerie, es kam ihm vor wie ein Déjà-vu. Es konnte ihm eigentlich nur Recht sein, dass sich Spanien nicht bemühte, ihn aufzuhalten und sich nicht einmal jetzt die Mühe machte, einfach das Tor des Hofes zu versperren. Andererseits wirkte es für Lovino wie eine Provokation. “Versuch es doch, das schafft ihr ohnehin nicht.“ - Lovino wurde nur noch wütender. Spanien hatte seine Arme verschränkt und musterte ihn genau. Er hatte bis eben kein Wort von sich gegeben; selbst nicht, als Lovino sich eines der Pferde geholt hatte „Sei lieber vorsichtig...“ Seine Stimme klang ihm viel zu fürsorglich - typisch. Dieser Dreckskerl glaubte wohl, ihn beeinflussen zu können. „Mach doch, was du willst – Dummkopf.“ Lovino zog die Zügel herum und verließ den Hof, ohne noch einmal zurück zu sehen. Sollte Spanien glauben, was er wollte. Es braute sich etwas zusammen, das spürte er einfach. Er musste es einfach riskieren. Am I going to leave this place? What is it I'm running from? Is there nothing more to come? (Am I gonna leave this place?) Is it always black in space? Am I going to take its place? Am I going to win this race? (Am I going to leave this race?) I guess God's up in this place? What is it that I've become? Is there something more to come? (More to come) Als Lovino Sizilien erreichte, traute er seinen Augen nicht. Er zog fest an den Zügeln und starrte auf das sich vor ihm erstreckende Bild. Hier in Calatafimi hatten sich Soldaten gesammelt. Er kannte sie nicht, doch die bewaffneten Männer trugen rote Hemden und Waffen bei sich, unter ihnen auch einige Landarbeiter und Kleinbauern. Lovino betrachtete die Menschen einen Augenblick, als plötzlich einige anfingen, zu singen. Va, pensiero, sull'ali dorate; va, ti posa sui clivi, sui colli, ove olezzano tepide e molli l'aure dolci del suolo natal! Dabei hoben die Männer ihre Waffen in den Himmel empor. Die Menschen um sie herum sangen mit und hoben ebenfalls ihre Arme nach oben. Lovino konnte nun einen Mann sehen, dunkle Haare, ein buschiger Bart und eine schwarze Mütze. Er winkte den Menschen zu, ein Schmunzeln im Gesicht. Del Giordano le rive saluta, di Sionne le torri atterrate... Oh mia patria sì bella e perduta! Oh membranza sì cara e fatal! „Fratello!“ Lovino drehte sich sofort herum. Aus den singenden Menschen löste sich Feliciano heraus, sein Gesicht etwas blasser als das letzte Mal, das sie sich gesehen hatten. Er kam zu ihm hinüber gerannt und warf seine Waffe einfach zu Boden. Lovino stieg von seinem Pferd und wollte eigentlich gerade fragen, was er hier zu suchen hatte und was diese Menschenmasse zu bedeuten hatte, als ihn der andere mit aller Kraft zu Boden riss. Feliciano hatte seine Arme fest um seinen Oberkörper geschlungen. Seine Haare rochen nach Schießpulver und Asche. Seine Finger gruben sich tief in seine Kleidung und er drückte seinen Kopf fest gegen seine Schulter. „Fratellino... du bist schwer“, gab er leise von sich und versuchte, Feliciano an den Schultern von sich herunter zu drücken. Dieser schüttelte den Kopf und lachte leise. „Ich habe mir solche Sorgen gemacht...“ Lovino verharrte für einen Moment. Dann klopfte er ihm vorsichtig auf den Rücken - „Schon gut.“ - und setzte sich auf. Feliciano schluchzte ganz leise und kaum hörbar in sein Hemd. „Der Zug der Tausend“, nuschelte er leise. „Garibaldi und ich befreien dich, ganz sicher.“ Lovino sah auf zu dem Mann, der immer noch von den Soldaten und Menschen umringt war. Giuseppe Garibaldi, der Held zweier Welten, war an einigen Aufständen gegen die Unterdrückung beteiligt gewesen. Der Name war ihm ein Inbegriff. Feliciano schluchzte noch immer leise vor sich hin. Lovino legte zögerlich seine Arme um ihn. Erst jetzt konnte er spüren, dass er zitterte und Felicianos Kleidung an einigen Stellen Brandlöcher hatte. „Hör auf zu heulen, jetzt ist doch alles in Ordnung...“ Feliciano lehnte sich langsam zurück und wischte sich über die rote Nase und die feuchten Augen. „Ja, jetzt wird alles in Ordnung... jetzt kämpfen wir zusammen, abgemacht?“ Er sah ihn mit einem unsicheren Lächeln an, die Wangen noch immer gerötet. Lovino nickte zustimmend. „Abgemacht... aber hör auf zu flennen“ Feliciano lachte abermals leise. „Ja, das werde ich...“ Now I see the times they change Leaving doesn't seem so strange I am hoping I can find Where to leave my hurt behind All the shit I seem to take All alone I seem to break I have lived the best I can Does this make me not a man? Ende. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)