Wolfgang und Juli von Akio21 (Begegnung im Park) ================================================================================ Kapitel 1: Im Park ------------------ Ich kam völlig verschwitzt von der Berufsschule nach Hause. Die Klimaanlage war ausgefallen, dreißig Grad im Schatten, aber keiner der Lehrer hatte Mitleid mit uns. Im Gegenteil, sie kamen, gaben uns Aufgaben und verschwanden im Lehrerzimmer, das mit vier Standventilatoren voll gestellt war. Die Aufgaben gingen mir nur mühsam von der Hand, mir war schwindlig. Draußen wehte ein leichter Wind, und wenigstens die Heimfahrt auf meinem Rad war sozusagen die reinste Erholung. Lehrer sind Sadisten. Die Vermutung hatte ich ja schon lange. Aber heute war der Tag des Wissens. Jawohl. Endlich zuhause, wollte ich erst mal eine Dusche nehmen. Dummerweise hatte ich die Rechnung ohne Wolfgang gemacht, meinen Golden Retriever. Er war ein komischer Hund. Überhaupt nicht ähm hundig. Und ich kannte mich aus, immerhin arbeitete ich als Tierarzthelfer und ganz so nebenbei noch als Tierpfleger bei uns in einer großen Tierklinik, gleich bei der Universität. Wolfgang wurde zu uns gebracht unter einem Vorwand. Er sollte einen gründlichen Gesundheitscheck bekommen, danach wollten die Besitzer ihn abholen. Nur – sie kamen nicht. Die Telefonnummer, die sie angegeben hatten war falsch, die Adresse führte mich in ein Viertel das ich nie zuvor gesehen hatte. Obwohl ich in Heidelberg aufgewachsen war, verlief ich mich und brauchte fast eine Stunde, bis ich irgendetwas fand, das ich kannte und mich wieder orientieren konnte. Wolfgang sollte also ins Tierheim kommen. Und ich – nahm ihn mit nach Hause. Nun stand er wie eine Statue vor der Tür und wollte spazieren gehen. Ich hatte es schon lange aufgegeben mit ihm zu diskutieren, er behielt ohnehin immer die Oberhand. Lieber gab ich nach, brachte die Sache so schnell wie möglich hinter mich, als unter die Dusche zu gehen, sein gespieltes Gejammer mitanzuhören, und den Rest der Woche nicht mehr von meinen Nachbarn gegrüßt zu werden. Ein normaler Hundebesitzer, oder besser, der Besitzer eines normalen Hundes hätte vielleicht gerufen, los Wolfgang, hol die Leine. Aber wie schon gesagt, es war kein normaler Hund. Ich schwöre, das war nicht meine Schuld. Ich hatte mein Bestes getan um ihn ein wenig zu dressieren und Gehorsam beizubringen. Er tat was er wollte, so einfach war das. Wenn er wollte, tat er sogar, was ich sagte. Am Anfang hoffte ich schon, das wird noch was, dachte Ausdauer und Geduld zahlen sich doch aus. Das war ein Irrtum. Ich zog noch beim Laufen zur Garderobe Schuhe und Strümpfe aus, damit ich wenigstens in Badelatschen gehen konnte. Wolfgang bewegte sich nicht und starrte nach wie vor auf die Tür. Ich befestigte die Leine an dem teuren Halsband, billige zerbiss er, ich schwöre, er ist ein Snob, und machte die Tür auf. Habe ich schon erwähnt, das Wolfgang kein richtiger Hund ist? Und ein Snob? Hoch erhobenen Hauptes trabte er vor mir den Weg zum Park entlang. An keinem einzigen Haufen schnupperte er, er war sich sogar zu fein, einen anderen Hund überhaupt nur anzusehen. Geschweige denn, einer Katze hinterherzujagen. Oder einem Auto. Oder dem Postboten. Oder einem Ball. Oder einem Stock. Wir erreichten den Park. Wolfgang warf mir einen Blick zu. Ich machte die Leine los, und er verschwand hinter einem Gebüsch. Man gewöhnt sich an alles. Ich entdeckte eine Bank und steuerte darauf zu. Jemand saß dort. Ich konnte zwar nur seinen Hinterkopf erkennen, aber seine Haare – sie waren so goldfarben und füllig wie die von Wolfgang. Auch etwas gewellt. Als ich um die Bank herum ging, um mich zu setzen wurde ich von einem Paar grüner Augen missbilligend an gefunkelt. Verwirrt blieb ich stehen. Was für ein Problem hatte der Typ? Da war doch genug Platz? „Ähm, kann ich mich setzen?“ fragte ich unsicher. Er drehte den Kopf mit einem abfälligen „Hmph“ zur Seite. Ein Snob, schoss es mir durch den Kopf. Der würde gut zu meinem Hund passen. Ich setzte mich und hoffte, das Wolfgang bald zurückkam. Während ich wartete fiel mir ein schwarzer Labrador auf, der so verspielt wie ein Welpe über die Wiese tobte. Er begrüßte freundlich jeden Hund und forderte ihn zum Spielen auf. Ach ja. Ich seufzte, und wurde sofort schief von meinem Banknachbarn angesehen. Jetzt fiel mir auch seine teure Kleidung auf. Plötzlich bekam ich Minderwertigkeitskomplexe. Ich versuchte sogar, mit dem rechten Fuß den Latschen vom linken Fuß zu verdecken. Oh Gott, Wolfgang beeil dich. Wer war das überhaupt? Den hatte ich hier noch nie gesehen. Ich musterte ihn verstohlen von der Seite. Eigentlich hatte ich gehofft, dass er das nicht bemerkt, aber er setzte sich sofort selbstbewusst in Pose. Ein Fotomodell vielleicht, überlegte ich. Schauspieler? Nein, im Fernsehen hatte ich ihn noch nicht gesehen. In der Schule auch nicht. Dabei musste er ungefähr in meinem Alter sein, vielleicht sogar ein Jahr jünger. Dann doch eher ein Fotomodell. Der Typ sah gut aus. Sogar sehr gut. Ich konnte keinen einzigen Schönheitsfehler entdecken, egal wie genau ich hinsah. Plötzlich wurde mir bewusst, das ich ihn schon eine Ewigkeit anstarrte und begutachtete sozusagen. Das war so peinlich, das ich rot bis zu den Haarwurzeln wurde. Aber ich hatte es nicht bemerkt, weil er seine Pose unbeeindruckt hielt, als wäre er eine Statue. Genau wie Wolfgang, dachte ich. Verlegen sah ich auf meine Hände. „Na, genug geglotzt?“ wurde ich gefragt. Damit hatte ich irgendwie gerechnet. Und mir deshalb auch schon eine Antwort überlegt. „Sorry, du kommst mir bekannt vor.“ Jetzt erwartete ich eigentlich eine Antwort wie, natürlich, ich bin ja auch bekannt, sogar weltbekannt, oder ähnliches. „Was für eine billige Anmache.“ Ich schreckte hoch. „Anmache?“ Bevor ich das Missverständnis aufklären konnte, kam Wolfgang plötzlich zu mir. Er setzte sich und ich kraulte seine Ohren. Was soll´s. Den würde ich ohnehin nie wiedersehen. Ich hatte nichts mit ihm zu tun, sollte er doch denken, was er wollte. Der Labrador hatte Wolfgang entdeckt und kam herbei gerannt. Armer Kerl, er würde eine Abfuhr bekommen. Zu meiner Überraschung stand Wolfgang auf, und ließ sich, ja er ließ sich wirklich beschnüffeln. War das mein Hund? Verwirrt drehte ich mich zu dem Gebüsch um. „Wolfgang?“ rief ich. Vielleicht war das hier ja gar nicht meiner. Vielleicht hatte Wolfgang Verstopfung und brauchte länger, als sonst? Der eingebildete Kerl sah mich an. „Wolfgang? Du nennst deinen Hund Wolfgang?“ „Ähm – ja.“ Jetzt drehte er sich interessiert zu mir. „Magst du klassische Musik?“ Tatsächlich hatte ich Wolfgang nach dem Musiker benannt, den wir an dem Tag, als ich beschlossen hatte, ihn zu mir zu nehmen, in der Schule im Musikunterricht durchgenommen hatten, weil mir grade kein anderer Name in den Sinn gekommen war. Das war meine Chance. Jetzt konnte ich beweisen, das ich kein Prolet war. Ich nickte so gleichgültig wie möglich. „Ja, sehr sogar.“ „Und – du hörst gerne Amadeus?“ „Klar.“ Das war von Falko oder? Ich wollte lieber meine Kenntnisse der klassischen Musik zum Besten geben. „Aber Mozart mag ich noch lieber.“ Der Junge verzog seinen Mund zu einem seltsamen Lächeln. Aus irgendeinem Grund verlor er das Interesse an mir, und rief statt dessen in Richtung des Labradors „Juli, komm her.“ Der Hund war ein Hund. Er kam sofort, als sein Herrchen ihn rief. Und – er hatte mit Wolfgang gespielt. Oder Wolfgang mit ihm. Das hatte ich gar nicht mitbekommen. „Ähm, dein Hund heißt Juli?“ „Na ja, er ist im Juli geboren.“ Besonders einfallsreich war das auch nicht, dachte ich. „Aber Juli ist ein Mädchenname, oder?“ „Ich würde meinen, es ist der Name eines Monats.“ Unwillkürlich ballte ich meine Hände zu Fäusten. So ein arrogantes … „Es hört sich wie ein Mädchenname an, das habe ich damit gemeint.“ „Was du nicht sagst.“ Er stand auf, legte Juli die Leine an, rosa mit Steinen, waren das etwa Diamanten?, und passte rosa nicht eher zu einem Weibchen?, und dann – zu meiner Überraschung, sagte er etwas Normales. „Man sieht sich.“ Kapitel 2: Besuch in der Tierklinik ----------------------------------- Drei Wochen später sah ich den Jungen und Juli wieder. Eigentlich hatte ich den Vorfall im Park schon längst wieder vergessen. Ich saß in der Praxis und schrieb die Lohnabrechnungen, ja auch das war mir von meinem Chef aufgehalst worden, als ich ohne Nachzudenken erwähnte, dass ich mich damit auskannte. Plötzlich hörte ich eine Stimme: „Oh? Der grandiose Musikkenner?“ Ich sah auf, und vor mir stand der Junge aus dem Park. Keine Ahnung, warum ich so verwirrt war, schließlich war es nicht ungewöhnlich, das ein Tierbesitzer, und er war ja einer, hin und wieder einen Tierarzt aufsuchte, nicht wahr? Verärgert fragte ich: „Was willst du denn hier?“ Mittlerweile wusste auch ich, das Amadeus und Mozart ein und dieselbe Person waren. Ich hatte mich zum Affen gemacht. So etwas passierte eben, wenn man sich verstellen und jemandem etwas vormachen wollte. Und ich wusste noch nicht mal, warum ich den da überhaupt beeindrucken wollte. „Was ich hier will?“ fragte er zurück und hob die Hand überlegend an sein Kinn. „Lass mal sehen, hm, ich glaube, ich hatte einen Termin. Ja, genau, das war es gewesen.“ Ganz toll, sarkastisch war er auch noch. Auf der anderen Seite, meine Frage war auch nicht eben die Hellste gewesen. Ich legte die Lohnabrechnungen beiseite, nahm stattdessen den Terminkalender und fragte förmlich: „Wie ist ihr Name?“ „Von Bielefeld.“ Mit dem Finger fuhr ich die Liste entlang, ja da stand er. Wolfram von Bielefeld. Die übliche formelle Prozedur konnte folgen. Waren sie schon einmal hier, nehmen sie bitte noch einen Moment Platz, als ich Juli sah. Erschrocken sprang ich von meinem Stuhl hoch. Julis Fell war blutverschmiert. „Oh mein Gott, das ist ja schrecklich!“ Das arme Tier. „So schrecklich nun auch wieder nicht.“ Er nahm mein Namensschild in Augenschein. „Shibuya. Shibuya Yuri. Findest du das besser?“ „Was?“ Was faselte der Typ da von Namen, wie konnte man nur so herzlos sein. Ich rannte um die Theke herum. „Wie ist das denn passiert?“ „Wie es eben so passiert, nicht wahr? Man heiratet, bekommt ein Kind, das natürlich einen Namen braucht – der Name meines Urgroßvaters war...“ „Der Name deines Großvaters interessiert mich nicht“, schrie ich ihn an. „Urgroßvater.“ Ich hätte ihn gerne geschlagen. Aber niemand konnte in ein so schönes Gesicht mit der Faust schlagen, wenn ich vielleicht die flache Hand nahm? Mein Chef kam gerade durch die Tür. Juli rannte zu ihm. „Ah Juli, na wie geht’s dir. Hallo Wolfram.“ „Guten Tag, Herr Voltaire. Ich bin zur üblichen Kontrolluntersuchung hier.“ Was war hier los? Keiner interessierte sich für den verletzten Hund? „Ja, ich weiß. O je, so kommst du mir aber nicht in mein Behandlungszimmer“, lachte mein Chef, als Juli an ihm hochsprang. Ein Hund, der gerne zum Tierarzt geht. Das sah man auch nicht alle Tage, aber... „Yuri, wasch ihm doch bitte die Farbe aus dem Fell. Wenn sie trocknet, müsste ich die Haare kürzen, das wäre doch echt schade.“ „Farbe?“ „Tut mir leid“, Wolfram entschuldigte sich bei meinem Chef mit einer kleinen Verbeugung. „Ein kleiner Unfall auf dem Weg hierher.“ „Ah ja, verstehe.“ Ich verstand überhaupt nichts. Mein Chef sah mich auffordernd an. „Ähm, sofort.“ Ich ging zu Juli, der sich sofort zu mir wandte und aufgeregt an mir schnüffelte. Ob er wohl Wolfgangs Geruch noch kannte? Fragte ich mich. „Komm Juli, gehen wir baden.“ Juli war wirklich ein freundliches Tier. Und ein Labrador, das sollte wohl kein Problem werden. Dachte ich. Nach einer Stunde war ich klatschnass, aber hatte es endlich geschafft, die Farbe aus Julis Fell zu waschen. Ich wartete, bis er mit seiner Schüttelei fertig war, das Bad würde ich dann auch noch trocknen müssen, und brachte ihn dann ins Behandlungszimmer. Wolfram und Dr. Voltaire saßen in trauter Eintracht an dem kleinen Tisch vor seinem Schreibtisch. Ich blieb an der Tür stehen, weil ich das Zimmer nicht nass machen wollte, Juli trabte an mir vorbei zu seinem Herrchen. Keine Ahnung, ob ich es mir nur einbildete, aber ich hatte den Eindruck als würde sich Wolfram von Bielefeld bei meinem Anblick köstlich amüsieren. Er wandte den Kopf ab. „Vielen Dank, Yuri“, sagte mein Chef. Ich nickte nur erschöpft und ging zurück ins Bad. Später, als ich wieder trocken und anderen Klamotten am Eingang saß, kam mein Chef zu mir und fragte, ob ich mit den Abrechnungen fertig geworden wäre. Ich nickte. Zum Glück hatte ich darin ja schon Übung. Schon am Weggehen blieb er nochmal stehen und sagte: „Tut mir leid, dass du Juli baden musstest.“ „Ach, schon okay. Ich war nur überrascht, dass er sich so gegen Wasser sträubt, ich meine, als Labrador.“ „Ja, dein Wolfgang ist ja auch ein Retriever, nicht wahr?“ „Na ja, eben, Wolfgang ist – nicht mal Wolfgang hat was gegen Wasser und das will wirklich was heißen.“ „Wolfram kippt Juli immer einen Becher mit Wasserfarbe übers Fell, wenn er vorbeikommt.“ Mein Chef nickte vor sich hin. Wie war das? Das war Absicht? „Armer Wolfram“, sagte mein Chef grade. Armer Wolfram? Gerade noch rechtzeitig bemerkte ich, das ich fast die Abrechnungen zerknüllt hätte. „Nun, ich wünsche dir noch einen schönen Feierabend.“ Ich fühlte mich wie benebelt, vergaß sogar ihm auch einen schönen Feierabend zu wünschen. Zum Glück schien er es nicht zu bemerken. Die Tür fiel ins Schloss. Ich räumte meinen Arbeitsplatz auf, und ging nochmal durch die verschiedenen Zimmer um nach dem Rechten zu sehen. In meinem Kopf herrschte immer noch gähnende Lehre, die langsam abgelöst wurde durch Rachegedanken, was so gar nicht meine Art war. Ich sah mich selbst, und einen schreienden Wolfram, sah wie ich Wolfram in der Badewanne festhielt und gründlich schrubbte. Ich kam zum Behandlungszimmer, sah kurz hinein und wollte schon wieder rausgehen, als mir ein königsblaues Etwas auffiel. Da lag was. Ich ging hin, ein Geldbeutel. Oh nein, mir schwante Übles. Noch bevor ich ihn öffnete und nach einem Hinweis auf den Besitzer suchte, wusste ich schon, wer ihn hier vergessen hatte. Wär ich doch heute bloß im Bett geblieben, ich seufzte, steckte den Beutel ein, holte meine Jacke und schloss die Praxis ab. Kapitel 3: Die Geldbörse ------------------------ „Sei´s drum“, sagte ich zu mir selber. Wolfram hatte bestimmt genug Geld, der konnte warten. Wolfgang war wichtiger. Ich kam zuhause an, stellte das Rad ab, ging die Treppe hoch, machte die Tür auf, ging an Wolfgang vorbei, holte die Geldbörse aus meiner Jackentasche und legte sie auf den Wohnzimmertisch. Mir war heute nicht nach reden. Aber Wolfgang schien das nicht weiter zu stören. Ich schnappte mir also die Leine, spazierte mit ihm zum Park machte ihn los, während er sich, überhaupt nicht wie es sich für einen Hund gehört, ein Gebüsch für sein Geschäft suchte, wo er unbeobachtet war. Ich setzte mich auf die Bank. Vielleicht nachher noch ein wenig Fernsehen, ach ja, Wolframs Geldbeutel, ich könnte ihn doch dem Chef geben, überlegte ich. Wer behauptete denn, dass man das was man findet dem Besitzer persönlich bringen muss? „Shibuya“, hörte ich eine mir allzu vertraute Stimme meinen Namen rufen. Ohne mich umzudrehen hob ich nur die Hand, zum Zeichen, dass ich ihn bemerkt hatte. „Shibuya, was machst du hier?“ fragte Murata, als er neben mir stand. „Was ich hier mache, ich geh mit Wolfgang spazieren.“ „Ich meine, wie siehst du denn aus, Shibuya?“ Überrascht sah ich meinen Freund an. „Hm? Wieso?“ Murata setzte sich neben mich, sah mich an und schob dann seine Brille zurecht. Das bedeutete, erzähl mir was passiert ist, mein Freund, bin ganz Ohr. Ich seufzte, und erzählte ihm dann von Wolfram und Juli. Angefangen von der ersten Begegnung im Park bis hin zum Geldbeutel in meinem Apartment. Murata grinste mich fröhlich an. „Klingt nach dir. Irgendwie.“ „Was meinst du?“ ich hatte ehrlich keine Ahnung, aber das war bei Murata keine Seltenheit. Er dachte oft schon tausend Gedanken weiter, als meine gerade waren, bevor er was sagte. „Dieser Juli. Ein schwarzer Retriever, so nett wie du, ein golden Retriever, so versnobt wie Wolfram.“ „Einen schwarzen Retriever nennt man Labrador, bitte Murata, sag nie wieder schwarzer Retriever, das ist furchtbar. Genauso gut könntest du sagen, ein schwarzer Panther oder ein weißer Schimmel.“ Ich schüttelte mich. Murata lachte. „Würdest du Wolfgang denn gegen Juli tauschen wollen?“ Empört fragte ich: „Bist du verrückt?“ „Na ja, man sagt ja, wie der Hund, so das Herrchen, bei euch beiden Pärchen ist es wohl genau anders herum, aber – du kommst irgendwie mit deinem dämonischen Wolfgang klar und - „ „Du sollst ihn nicht immer dämonisch nennen“, unterbrach ich Murata. „ - und Wolfram mit Juli, alsoooo...“ „Also?“ „Könnt ihr bestimmt Freunde werden.“ „Murata, wer hat dir denn ins Hirn geschissen? Ich gebe ihm seine Geldbörse und lass mich krankschreiben, wenn er in ein paar Wochen wiederkommt. Was machst du überhaupt hier?“ „Das frag ich dich, und wie du aussiehst.“ Murata schüttelte den Kopf. „Oha.“ Wir wollten ja heute mit unserem Freund Antoine in so einen Gayclub gehen. „Sorry, ich hab es total vergessen. Aber – geh doch du mit ihm, ich meine, ich muss ja nicht unbedingt dabei sein.“ „Kommt nicht in Frage. Wir sind die drei Musketiere, einer für alle, alle für einen. Ernsthaft, Shibuya, du weißt doch, wie lange Antoine für sein Coming Out gebraucht hat. Wegen seiner Familie und die Nachbarn haben ihn auch abgelehnt. Und du weißt, er hatte große Angst uns zu sagen, das er schwul ist. Also müssen wir ihm nun zur Seite stehen.“ „Das weiß ich alles Murata. Ist mir vollkommen klar. Aber wenn ich mich richtig erinnere, wollte Antoine uns gar nicht dabei haben, weil er sich Sorgen macht, vollkommen zu Recht, wenn du mich fragst, dass es uns da nicht gefällt. Du hast doch darauf bestanden, mitzugehen. Ich wurde überhaupt nicht gefragt.“ „Nein, nein, das siehst du vollkommen falsch, Shibuya. Wir unterstützen ihn damit.“ Wolfgang kam zufrieden zu mir. „Wenn du meinst. Aber warum soll ich mich – ähm – schick machen? Ich bin schließlich nicht gay.“ „Weil wir ihn nicht blamieren wollen, natürlich. Soll er sich etwa wegen uns schämen?“ Dagegen hatte ich keine Argumente mehr. Ich legte Wolfgang wieder die Leine an. „Also gut, immerhin bedeutet das, wir fahren mit dem Wagen. Dieser Schuppen, er liegt auf dem Weg, wir könnten kurz anhalten, ich geb Wolfram seinen Beutel und muss ihn nie wieder sehen.“ Murata grinste nur seltsam und nickte mir zu. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Wer weiß, vielleicht war der Tag doch nicht so schlecht. Neunzig Minuten später klingelte es pünktlich. Keine Ahnung warum, aber ich hatte mich richtig ins Zeug gelegt und war mit meinem Spiegelbild mehr als zufrieden. „Komme“, rief ich in die Sprechanlage, ermahnte Wolfgang nochmal brav zu sein und ging dann die Treppe nach unten. Antoine stand neben dem Fahrersitz. Murata war auch ausgestiegen. Ich fragte mich warum, wollten die etwa zuerst noch hochkommen? „Wow“, Antoine war beeindruckt. Ich konnte wirklich zufrieden sein. Nach dem Duschen und Haare waschen hatte ich sie mir ein wenig neckisch geföhnt und mein langes Pony hing mir nun über die Augen, dazu hatte mich Mutter Natur nicht nur mit schwarzen Haaren und schwarzen Augen gesegnet, sondern auch mit dichten langen Wimpern die ich, genauso wie die Augenbrauen mit einer alten Zahnbürste gekämmt hatte. „Für wen hast du dich so hübsch gemacht, Shibuya?“ Murata legte den Kopf schief. „Murata, sag nicht hübsch, aus deinem Mund klingt das komisch.“ „Nur weil es ungewohnt ist Shibuya, nur weil es ungewohnt ist. Also?“ „Nichts also. Du hast doch selbst gesagt, das Antoine...“ Muratas Blitzen in den Augen hatte mich zum Schweigen gebracht, klar ich durfte nicht sagen, Antoine würde sich mit uns schämen, er wäre bedrückt gewesen und zwar für den Rest der ganzen Woche. „Was ist mit mir?“ hörte ich ihn fragen. Aber mir fiel partout keine Ausrede ein. „Ich habe gesagt, dass du und wir Spaß haben wollen. Warum sonst sollten wir ausgehen?“ „Seid ihr sicher, dass es euch dort Spaß macht.“ „Sicher sind wir sicher“, sagte ich sofort freudig um meinen Patzer wieder auszubügeln. „Eine Bar ist eine Bar, ich will heute richtig abtanzen und trinken, morgen ist Wochenende.“ Ich zwinkerte ihm zu. Ganz überzeugt schien er noch nicht zu sein. Murata fragte plötzlich: „Shibuya, überprüf nochmal, ob du alles hast. Zumindest das Wichtigste.“ Ich griff nach der Beule in meiner Jackentasche. „Ja“, ich nickte. „Ist da Wolframs Geldbeutel drinnen?“ „Äh – ja, wieso?“ „Nur so.“ Murata sah zu Antoine. Die beiden grinsten sich an. Gab es da etwas, das ich nicht wusste oder wissen sollte? „Na dann, kann´s ja los gehen.“ Antoine stieg ein. Murata setzte sich neben ihn, ich quetschte mich auf den engen Rücksitz. Wir fuhren in einen Bezirk in dem ich nie zuvor gewesen war. Die Häuser hier gehörten reichen Leuten, ebenso die Autos. BMW, Porsche und Mercedes. Es überraschte mich nicht. Was mich überraschte war, das Antoine wusste, wo Wolfram wohnte, denn er parkte vor einem großen Haus, oder sollte ich sagen, einer kleinen Villa, mit einem gepflegten Garten, ohne dass ich den Namen, die Straße geschweige denn, die Nummer gesagt hatte. Vielleicht war es besser, nicht zu fragen. Wolfram hatte einen guten Geschmack, das musste man ihm lassen. Plötzlich kam ich mir mit meinem Aussehen überhaupt nicht mehr zufrieden vor. Die Jeans waren nicht mehr die Neusten, und auch der Pullover war nicht im jetzigen Modetrend. Unsicher stieg ich aus. „Bringen wir´s hinter uns“, sagte ich zu mir selbst. Murata fühlte sich wohl angesprochen, denn er stieg auch aus. „Murata, ich kann das alleine.“ „Weiß ich doch, Shibuya. Ich will mir deinen Freund doch nur ansehen.“ Hatte er Freund gesagt? Entschieden wollte ich das gerade verneinen, als Murata auch schon auf die Türklingel drückte. „Vielleicht ist er ja gar nicht zuhause“, hoffte ich. „Ja bitte“, klang es metallen aus der Anlage. Anstatt zu antworten, machte Murata mir ein Zeichen. Mist auch. „Ja, hallo. Ich bin es. Der – der Juli gebadet hat. Aus der Tierklinik.“ „Ah, der Musikliebhaber. Besonders Mozart nicht wahr?“ Ich war jetzt schon angepisst. „Wollte dir nur deinen Geldbeutel vorbeibringen. Den hast du in der Praxis vergessen, ist dir wohl nicht mal aufgefallen was?“ Aber es summte schon und Murata warf sich schnell gegen das Gartentor. Zu meiner Überraschung kam uns Wolfram schon entgegen. Ich hielt die Geldbörse in der Hand und er griff sofort danach. Nein, er griff nicht danach, er grapschte. Ich spürte sogar seine manikürten Fingernägel auf meiner Handfläche. Ich meine, die waren sicher manikürt, dieser Fatzke. „Ganz schön geldgeil“, ich konnte es mir nicht verkneifen. Aber bevor ich weiter lästern konnte - „Danke, diese Tasche ist mir sehr wichtig, ein Geschenk meiner Mutter, bevor sie – bevor sie - „ „Oh.“ Ich fühlte mich plötzlich schlecht. Murata, der natürlich keinen Anstand und kein Feingefühl hatte, fragte zu meinem Entsetzen: „Bevor sie was?“ „Bevor sie auf die Malediven geflogen ist, um Urlaub zu machen.“ Ich realisierte, dass ich ein Idiot war und drehte mich um zum Gehen. „Komm, Murata.“ „Ah, aber sicher nicht alleine, oder?“ „Nein, natürlich nicht. Meine Mutter ist bei den Männern sehr beliebt. Sie sieht aus wie ich.“ Er lachte. „Nein, umgekehrt ist es, muss man wohl sagen, oder?“ „Murata“, ich stieß meinem Freund den Ellbogen in die Rippen, „Gehen wir.“ Aber der ging nur ein paar Schritte zur Seite. „Ist sie Fotomodell? Oder Schauspielerin.“ „Na ja, das könnte sie schon machen, aber wozu, wir haben ja Geld genug.“ Es war unerträglich. Ich starrte zum Wagen. Murata und Wolfram unterhielten sich noch weiter, in der Art und Weise wie vorher auch, und ich fragte mich langsam, was mit ihm los war. „Und – du gehst noch aus, wie ich sehe?“ fragte Wolfram gerade. Seine Stimme klang warmherzig, ganz anders, als wenn er sich mit mir unterhielt. „Hm ja, wir gehen noch mit einem Freund weg.“ „Verstehe.“ „Na, dann, wir sehen uns.“ Sie verabschiedeten sich, und ich lief los auf den Wagen zu, ohne mich umzudrehen. Mir war die Lust jetzt schon vergangen und ich hätte Antoine am liebsten gebeten, mich wieder nach Hause zu fahren, aber ich wollte ihn nicht kränken, er war schließlich mein Freund. „Sag mal, Shibuya, warum warst du so unfreundlich?“ Ich überlegte kurz, ob ich Murata ignorieren sollte, aber der ließ dann erst recht nicht locker. „Bauchweh“, knurrte ich nur kurz. „Trotzdem, du hättest ihm ruhig antworten können.“ „Wie?“ Überrascht betrachtete ich Muratas Augen, die mich durch den Rückspiegel fixiert hatten. „Na, er hat dich doch gefragt, ob du noch weggehst.“ „Mich? Ich dachte – dich, du hast doch auch gesagt, wir gehen weg?“ „Doch nur, weil du so unfreundlich warst und ihn nicht mal angesehen hast, obwohl er dich die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen hat. Als dein Freund ist es meine Pflicht, dich auf dein schlechtes Benehmen aufmerksam zu machen.“ Wolfram hatte mit mir geredet? Plötzlich ging es mir wieder besser. Ich fühlte mich aus unbekanntem Grund sogar auf einmal richtig fröhlich. „Los, Antoine, lass uns fahren.“ Kapitel 4: NANU --------------- Wäre mir der Wind nicht um die Nase geblasen, ich hätte vermutlich gedacht, ich sei im Tresorraum einer Bank vor dem Safe. Beide, Antoine und Murata hatten mich im Stich gelassen. Sie sagten, sie würden einen Parkplatz suchen, währenddessen sollte ich in den Gayclub gehen namens Nanu, und schon mal Plätze freihalten. Obwohl ich wusste, dass einer allein nach einem Platz zum parken suchen kann, und es besser ist, wenn zwei an einem Tisch einen Platz für eine dritte Person freihalten, war ich ausgestiegen. Und jetzt stand ich hier mit wackeligen Knien, beobachtet von einer Kamera, und die Tür hatte nicht mal einen Knauf. Obendrein war sie aus Stahl und rot. Mit solchen Sicherheitsvorkehrungen hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Ich dachte, wenn ich da durchgehe, komme ich in eine andere Welt, mit Leuten, die ganz anders sind als ich. Außerirdische. Die Schwulen würden durch die Kamera sofort erkennen, das ich NICHT schwul war, sie würden denken, ich sei gekommen um sie zu verprügeln und mich erst gar nicht reinlassen. Umgekehrt würden die Passanten glauben, ich wäre schwul und mich verprügeln wollen. Und dazu meine schon erwähnte Vorstellung, ein Gefühl als ob ich in ein fremdes Land käme. Oder auf einen fremden Planeten, genau. Ich hatte Angst. Aber das war normal oder? Alles, was fremd ist, macht Angst. Was sollte ich nur sagen, wenn jemand durch die Sprechanlage fragte, was ich hier wolle? Mit zitternden Fingern drückte ich auf die Klingel, immer noch am Überlegen was ich zu meiner Verteidigung sagen könnte, und wie ich den Einheimischen klarmachen konnte, das ich in friedlicher Absicht da sei. Es fiel mir nichts ein, aber zu meiner Überraschung wurde die Tür, kaum das ich die Klingel berührt hatte auch schon geöffnet, ich hörte einen Summton und drückte mich rasch dagegen. Hinter mir fiel die schwere Tür wieder ins Schloss, vor mir lag eine Treppe. Es war abgedunkelt. Umso besser, vielleicht sah man mir dann mein Heterosein nicht so sehr an. Ich hatte eben mal zögerlich zwei Stufen genommen, als von oben einige männliche Personen freudig herunter geeilt kamen und mich begrüßten, wie einen alten Freund, auf den sie lange gewartet hatten. Das war nett. Seltsam, aber nett. Ich lächelte und grüßte freundlich zurück, und wurde nach oben begleitet, links und rechts Menschen, die sich wie gute Freunde verhielten, obwohl ich sie bestimmt noch nie gesehen hatte, und ich hatte tatsächlich das Gefühl nach Hause zu kommen. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Meine Angst verflog augenblicklich. Es war eine wirklich warmherzige und familiäre Atmosphäre. Zu meiner Überraschung gab es auch Frauen hier. Ich ging zur Bar, bestellte mir einen Drink und sah mich um. In diesem Raum waren die Theke, und eine Tanzfläche in der Mitte, dahinter Bänke und Tische. Ich nahm meinen Drink entgegen und machte mich neugierig auf Erkundungstour. Anscheinend hatten die Leute gar nicht bemerkt, das ich mir nichts aus Männern machte, na gut, es war schon recht dunkel. Von der Theke aus konnte ich sogar ein Kino sehen. Ein Raum, in dem es stockdunkel war. Ziemlich exklusiv, dachte ich. Noch während ich hinsah ging ein Mann mit Lederbekleidung hinein. Ob der Film gerade angefangen hatte? Ich vermutete, es war ein Porno und war am Überlegen, ob ich wohl hineingehen sollte. Nur kurz. Ein anderer kam heraus. Das mussten wohl Kurzfilmchen sein? Jemand ging hinein. Wiederholungen anscheinend. Na gut, ich würde mir später überlegen, ob ich mir einen ansehen sollte, wahrscheinlich waren es Gaypornos, das musste ich nicht unbedingt sehen, obwohl, etwas neugierig war ich schon. Vielleicht lag das an der Stimmung hier, dieser Atmosphäre. Ich machte mich auf den Weg in den Nebenraum, hier war auch eine Theke, aber es war viel heller, wie ein Restaurant, in der Mitte stand ein Billardtisch und einige Leute spielten, ich hatte Lust mitzuspielen. Oh Mann, es musste echt an der Atmosphäre liegen. Auch hier standen an der Seite Tische und Stühle, aber hier wurde gegessen. Okay, essen wollten wir nicht, es war ganz schön voll, ich sollte ja Plätze frei halten, aber ich konnte keinen freien Tisch entdecken. Ob ich mich einfach dazusetzen sollte? Erst mal weitersehen, ich ging in die andere Richtung, hier waren die Toiletten, es war immer gut, wenn man wusste, wo die Toiletten waren. Und zufällig musste ich. Ich stellte mein Glas ab und ging ins Herrenklo. Zu meiner nicht ganz so geringen Überraschung stand eine Frau am Waschbecken und puderte ihr Gesicht. War das vielleicht so üblich? Gingen hier die Männer auf die Frauentoilette und die Frauen auf die Männertoilette, aber sie lächelte mich nur an und war nicht böse. Außerdem gab es hier Pissoirs. Ich ging zu einem, dennoch war es komisch. Eine Frau auf der Männertoilette, ich meine, das sieht man eben nicht alle Tage nicht wahr? Und um ehrlich zu sein, ich hatte es noch nie gesehen, wahrscheinlich starrte ich sie deshalb die ganze Zeit an, was ihr aber nichts ausmachte. Hin und wieder schenkte sie mir ein freundliches Lächeln. Schöne Beine, sie sah überhaupt ziemlich gut aus, lange blonde Haare, ein ebenmäßiges Gesicht...lächelnd fragte sie: „Do you want this?“ und bot mir an, ihr Make-up zu benutzen. Etwas verwirrt lächelte ich und lehnte dankend ab. Sie legte den Stift zurück in ihre Tasche, ging zur Tür drehte sich um und sagte: „I am a boy.“ „Oh.“ Mehr brachte ich nicht heraus. Ich lachte verlegen. Zum Teufel, das hatte ich wirklich nicht bemerkt. Hatte zwischenzeitlich überlegt, ob sie wohl hier war, weil es auf der Damentoilette zu voll war und ich war ja kein Chauvinist, von mir aus, konnte eine Frau ruhig hier reinkommen, wenn sie ihr Make-up auffrischen wollte. Aber es war ein Mann. Gut, ich hatte es wirklich nicht gemerkt, und sie war ein hübsches Mädchen, ungelogen. Und sehr nett. Etwas ärgerlich vielleicht, das sie gemerkt hatte, das ich NICHT gemerkt hatte, das sie ein boy ist. Was soll´s. Mittlerweile sollten die anderen wohl auch da sein, oder? Ich wusch mir die Hände, noch ein wenig neben der Spur, in Gedanken bei ihr, und ging nach draußen. Vor meinem Glas stand eine Frau. Ich fragte höflich, ob sie wohl etwas beiseite gehen könne, damit ich an mein Glas kam. Sie sah mich fast schon empört an, als habe ich ihr ein unzüchtiges Angebot gemacht, und sie mir deswegen am liebsten sofort eine Ohrfeige gegeben hätte. Ah ja. Gerade als ich meine Frage in Englisch wiederholen wollte, ging sie zornig von dannen. Nun, das war auch verwirrend, immerhin hatte ich ja für meine Cola bezahlt. Mittlerweile hatten sich die Barhocker und die Tanzfläche gefüllt und im Gegenzug waren die Tische leerer geworden. Es waren ohnehin nur Vierer – und Zweiertische, und ich entdeckte einen Tisch mit nur einer Person. Trotz der Dunkelheit kam mir der Goldglanz seines Haares irgendwie vertraut vor, und als er einen Gegenstand aus der Hose zog und auf den Tisch legte, war es ein Gegenstand den ich sofort erkannte, immerhin hatte ich diese Geldbörse den ganzen Tag mit mir herumgetragen. Wolfram. Was zum Teufel machte er denn hier? Ah, vermutlich das Gleiche wie wir. Es war eben nicht mehr sooo ungewöhnlich einen schwulen Freund zu haben. Ähm, oder sollte man besser sagen, einen Freund zu haben, der schwul war, ist? Egal, der Tisch war perfekt, ich freute mich sogar, Wolfram zu sehen, wenn sein Freund kam, konnte ich ja wieder aufstehen. Zielstrebig ging ich auf ihn zu, und grüßte „Hey Wolfram.“ Überrascht sah er mich an. Ich deutete auf die Stühle, „kann ich mich setzen.“ Zuerst zögerte er etwas, aber dann nickte er heftig. Immer noch überrascht sah er mich an. „Yuri? Also hierhin wolltest du ausgehen?“ „Ja.“ antwortete ich ihm gutgelaunt. „Es ist schön hier, gefällt mir. Ehrlich, ich hab das so nicht erwartet.“ Ein Mann in Frauenkleidern, dem man aber ansah dass er ein Mann war, kam an den Tisch und wickelte mir seine Boa um den Hals. Ich nickte dankend, während Wolfram ihn verärgert verscheuchte. „Hm.“ „Was?“ „Ich glaub, es wär nicht so gut, die Leute hier zu verärgern, Wolfram. Bist du mit deinem Freund hier?“ Er verzog die Mundwinkel leicht zu einem angedeuteten Lächeln. „Interessiert dich das?“ Interessierte es mich? Eigentlich nicht. Aber irgendwie schon. Wer weiß mit wie vielen Leuten der hier war. Ob ich nicht gleich nach einem anderen Platz Ausschau halten sollte?! Ich nickte. Er legte seinen hübschen Kopf zur Seite und lächelte jetzt wirklich. „Nein, und du?“ „Ich? Ja.“ Das Lächeln verschwand, machte Ärger Platz. Hatte ich was Falsches gesagt? Kapitel 5: Wo bin ich? ---------------------- Er hob sein Glas. Was genau er trank konnte ich nicht erkennen. Ob ich fragen sollte? Aber vielleicht blamierte ich mich dann wieder mit seinen Getränkekenntnissen. Lieber nicht. Das Risiko war mir zu hoch, und ich wollte nicht wieder seinen abschätzigen Blick sehen. Aber ich könnte ja mit ihm anstoßen? Ich sah in mein Glas und merkte das es leer war. „Oh.“ Wie auf Kommando kam der Kellner und brachte mir ein neues Glas. Ähm, Moment, herrschte hier vielleicht so etwas wie Trinkpflicht? „Ähm, Verzeihung, aber das habe ich nicht bestellt. Nehmen Sie es wieder mit.“ Vielleicht ging das ja auch aufs Haus, wäre möglich so nett wie die Leute hier waren. „Das ist schon in Ordnung, das hat der Herr dort,“ er zeigte auf einen etwa vierzigjährigen Mann der mir zu prostete, „für dich bestellt.“ Oh, wie nett. Ich hob das Glas und prostete meinerseits dem Mann zu, dass heißt, ich wollte es, wurde aber von Wolfram festgehalten. Erstaunt sah ich ihn an. „Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“ fragte er und seine grünen Augen schossen Blitze auf und durch mich hindurch. „Äh, wie?“ fragte ich leicht verwirrt. „Du führst ja wohl eine Art offener Beziehung, aber – du stehst doch nicht ernsthaft auf den alten geilen Knacker dort?! Habe ich mich so in dir getäuscht? Ist mir ja wirklich noch nie passiert.“ „Augenblick mal, wie kommst du denn darauf? Ich wollte mich nur für den Drink bedanken. Nichts weiter.“ Wolfram sah mich verblüfft an. Plötzlich schien er so etwas wie ein AHA-Erlebnis zu haben, denn er flüsterte wie jemand der eine für die Menschheit extrem wichtige Entdeckung gemacht hatte: „Naiv. Grenzenlos naiv.“ Dann beugte er sich näher zu mir und fragte, fast schon sanft, wie man eben mit einem Unterbelichteten redet: „Yuri, weißt du, was für eine Bar das hier ist?“ „Klar weiß ich was für eine Bar das ist. Aber ich bin nicht gay, ich bin nur...“ „Ich auch.“ Wolfram hielt noch immer meinen Arm fest. „Das wusste ich auch vorher,“ brummte ich. Er hatte schließlich selbst gesagt, er warte auf seinen schwulen Freund. Nun ja, das sein Freund schwul war hatte er nicht direkt gesagt, aber ich war einfach davon ausgegangen. Vielleicht waren beide hetero? Ich spürte den Wunsch mich bei Wolfram zu entschuldigen. „Ah Wolfram, tut mir ehrlich leid.“ Er nickte jetzt wieder zufrieden und wohlwollend. „Kein Problem.“ Und dann prostete er mir zu. Ich tat es ihm gleich, und - what the fuck? Verdammt was für ein Höllenzeug war mir da spendiert worden? Ich hatte einen kräftigen Schluck genommen und nun alle Mühe, die Flüssigkeit im Magen zu behalten. Wolfram redete, aber ich hörte nicht wirklich zu, ich schluckte und schluckte und schluckte, bis sich meine Kehle beruhigt hatte. „Also?“ fragte Wolfram gerade. O je, ich hatte keine Ahnung was er meinte, keine Ahnung was er erzählt hatte. Wenn ich fragen würde, würde er mich keines Blickes mehr würdigen, aufstehen und wortlos die Bar verlassen. Was tun? Gerade jetzt, wo er wieder – na ja mehr von mir hielt. Zum Teufel, das konnte mir doch eigentlich egal sein, aber dass war es nicht. Ich nickte. „Einverstanden.“ „Gut, dann morgen im Park.“ Morgen im Park, wollte er mich dort treffen? Gut möglich, ja sehr wahrscheinlich, er wollte mit mir und den Hunden spazieren gehen, aber wann? Wie sollte ich das jetzt nur heraus finden? Ich konnte doch nicht von morgens bis abends auf ihn warten, da würde Wolfgang niemals mitmachen. Der Drink kam mir überraschend zu nicht gewollter Hilfe, ich merkte, dass sich plötzlich alles in meinem Kopf drehte. Was für ein Zeug war das und wo waren die beiden anderen? Und wo Wolframs Kumpel? Und wo – es wurde plötzlich dunkel. Ich spürte einen unangenehmen Druck an meinem Arm und wollte, was auch immer das verursachte, abstreifen. Langsam schlug ich meine verklebten Augen auf. Ich lag irgendwo. Irgendwo auf einer weichen Ledercouch. Bordeauxrot. Wow. Jemand stand auf, und ich sah in seine Richtung. Der Mann packte grade einen Blutdruckmesser in einen Arztkoffer. Das Ding an meinem Arm war auch verschwunden. „Ich habe ihm ein Gegenmittel verabreicht, bin aber immer noch der Meinung, dass er zur Beobachtung ins Krankenhaus gehört.“ Die Stimme war mir unbekannt, ich versuchte vergeblich das Gesicht zu erkennen. „Um Himmelswillen, Shibuya hasst Krankenhäuser. Das würde er mir nie verzeihen.“ Das war Murata. Also war Murata da, aber wo war ich? Mein Kopf schmerzte entsetzlich, als ich versuchte mich zu erinnern. Stöhnend hob ich meine Hand an die Stirn. „Bist du jetzt wach Shibuya, ich meine richtig wach?“ wurde ich von Murata gefragt. „Was faselst du da, Murata?“ „Ein Glück, er ist wach.“ Antoine. Oh ja. Richtig. Diese Gaybar. Die und Wolfram. Hatte ich etwas Falsches gesagt und er hatte mich niedergeschlagen? „Es tut mir so leid, dass so etwas passiert ist“, Antoines Stimme klang schuldbewusst. „Ach Quatsch, ist doch nicht deine Schuld, wenn Shibuya einfach unbekannte Getränke zu sich nimmt.“ Unbekannte Getränke. Ja, da war etwas – ganz weit weg in meiner Erinnerung. „Trotzdem, ich hätte ihn nicht allein lassen dürfen“, Antoine klang immer noch schuldbewusst. Meine Hand war unterdessen auf der Unterlage hin und her gefahren und ich fühlte – eine Decke? „Nein, es ist nicht deine Schuld, Antoine“, lallte ich vor mich hin. Was war mit Wolfram? „Wolfram.“ „Ja Yuri, ich bin hier.“ Eine Hand umschloss die meine. Hä? Das war Wolframs Stimme, aber warum hielt er meine Hand? Kapitel 6: Wo bin ich? 2 ------------------------ Was war mit Wolfram? „Wolfram.“ „Ja Yuri, ich bin hier.“ Eine Hand umschloss die meine. Hä? Das war Wolframs Stimme, aber warum hielt er meine Hand? Wolframs Engelsgesicht erschien über mir, und zwar so nahe, dass sein blondes Haar mein Gesicht streichelte. Ja, es kitzelte mich nicht, es streichelte mich. So fühlte es sich an, ich war wohl immer noch ziemlich weggetreten, anscheinend hatte ich einfach zu viel getrunken und war umgekippt, ja genau, ich hatte nichts gegessen. Das hatte ich nun davon. Ich öffnete wieder die Augen, während Wolframs Haar meine Nase streichelte. Er war nun so nah, das ich alles genau erkennen konnte. Und ich hatte den Eindruck auf den Grund eines wunderschönen Sees zu schauen. Hätte ich Wolfram nicht schon vorher getroffen, und seine wahre Natur kennengelernt, ich hätte gedacht, ich wäre im Himmel. „Engel“, flüsterte ich. Wolfram schenkte mir ein Lächeln. Und dann küsste er mich. Ich war schlagartig vollkommen wach. Ja, der Prinz hatte die Prinzessin wach geküsst, so schnell wie selten setzte ich mich auf und Wolfram rutschte fast vom Bett. Vom Bett? Wie kam der Kerl dazu mich zu küssen, Augenblick, ein Kerl, ein Mann, ein Kerl genau wie ich hatte mich geküsst, nicht wahr? Das war ein Traum, ein schlechter Traum, und nicht real. Genau. Außerdem wusste ich, dass mich so ein Snob wie Wolfram niemals küssen würde, in Wirklichkeit lag ich irgendwo betrunken in der Gosse. Ja. So war es. Wolfram wollte mit Wolfgang und Juli spazieren gehen, das konnte ich gut verstehen, es machte wenig Spaß alleine spazieren zu gehen und Juli war der einzige Hund mit dem Wolfgang sich je verstanden hatte. Um ehrlich zu sein, wäre Wolfram nicht Wolfram gewesen, ich hätte schon längst angerufen und den gleichen Vorschlag gemacht. Wolfgang zuliebe. Und dann – war nichts mehr. Ich hatte keine Ahnung, was in der Zwischenzeit passiert war, aber ich musste unbedingt wachwerden. Hier in der Gosse könnte ich mir den Tod holen. „Yuri“, Murata sprach mich mit sanfter Stimme an. „Hör zu, wir waren mit Antoine in der Gaybar Nanu verabredet. Während wir beide nach einem Parkplatz suchten, bist du schon mal rein gegangen, um für uns Plätze freizuhalten.“ Soviel wusste ich auch. „Dort hast du deinen Freund getroffen.“ Davon wusste ich nichts, welchen Freund? „Leider gibt es überall schlechte Menschen und naiv wie du nun mal bist - „ Ja, das hatte Wolfram auch schon erkannt. „-hast du einen Drink von einem Fremden angenommen.“ Meinte er den netten älteren Herrn? „Da waren K.O. Tropfen drinnen.“ Ich wurde leicht nervös. Diese Tropfen waren doch als Vergewaltigungsdrogen bekannt, oder nicht? „Zu deinem Glück brachte Wolfram dich nach Hause - „ Nach Hause? Ich hatte kein Lederbett. „-und sagte dem Barkeeper Bescheid. Als wir hier ankamen, war schon der Arzt da.“ Mit anderen Worten Wolfram hatte mich mit sich nach Hause genommen, mich irgendwie in sein Lederbett verfrachtet und danach – wonach? - den Arzt geholt. „Das ist kein Traum?“ fragte ich sicherheitshalber. Murata schüttelte den Kopf. Ich sah Wolfram an. „Wie hast du es geschafft mich ins Bett zu schaffen?“ „Das war einfach, Yuri“, er lächelte sinnlich. „Du bist von ganz alleine ins Bett gegangen.“ Wolframs Verhalten war unheimlich. Er hatte meine Hand gehalten, mich geküsst, dass tat man nicht einfach so, und - „Wann hast du den Arzt gerufen? Danach?“ Wolfram lächelte mir glücklich zu. Wolframs Verhalten war nicht unheimlich, es war verdächtig, sogar extrem verdächtig. Dennoch, egal, wie betrunken ich war, auch wenn da Tropfen drin waren, ich hatte ja nur einen Schluck wenn auch einen großen getrunken. Ich würde mich nie so gehen lassen, dass ich – gegen meine Natur – handeln würde. Ausgeschlossen. Das war ein Irrtum, sicher sorgte ich mich umsonst, ich schüttelte den Kopf, was sich sofort rächte. Stöhnend sank ich zurück. „Nicht“, rief Wolfram besorgt. „Bitte übernimm dich nicht, Darling.“ Warum nannte er mich Darling? Ich hätte am liebsten geheult. Das war nicht möglich. Nicht mal unter Hypnose taten Leute Dinge die gegen ihre Natur waren, wie zum Beispiel Mord, also war das hier ausgeschlossen. Ich legte mich auf die Seite. Ich wusste, ich war in einem fremden Haus in einem fremden Bett bei einem nicht besonders sozialen Menschen, trotzdem fragte ich: „Darf ich ein wenig Ruhe haben?“ Zu dumm, dass ich kein jungfräuliches Mädchen war, dann hätte ich gleich bemerkt, ob was passiert war. Obwohl – ich war ein jungfräulicher Mann – zumindest gewesen. „Du kannst dich natürlich ausruhen“, flüsterte mir Wolfram so dicht ins Ohr, dass ich eine Gänsehaut bekam. „Wir hatten gar nicht vor, dich in dem Zustand nach Hause zu bringen, wenn schon, dann ins Krankenhaus“, sagte Murata in normaler Lautstärke. „Bloß kein Krankenhaus“, flüsterte ich. „Was ist sein Problem mit Krankenhäusern“, hörte ich Wolfram fragen. „Jemand der ihm sehr nahestand ist dort an Krebs gestanden. Yuri ist jeden Tag von morgens bis abends und monatelang dort gewesen“, erklärte Murata. „Verstehe.“ Wolframs Stimme klang wieder verärgert. Halt doch den Mund, Murata, sonst wirft er mich noch raus, dachte ich. Ich konzentrierte mich auf meine Rückseite. Sie tat weh und – war feucht. Also doch. Ich würde ganz sicher sterben. Genau so fühlte ich mich. Kapitel 7: Es fängt erst an --------------------------- Aber nicht nur die Rückseite tat weh, mein Hals fühlte sich auch irgendwie wund an. Der hatte sich wohl gründlich an mir ausgetobt, dieser Teufel in Engelsgestalt. Nur – daran war jetzt nichts mehr zu ändern. Auf keinem Fall war ich ein Junge für nur eine Nacht. Oder sollte ich hier vielleicht lieber eine Ausnahme machen? Und alles vergessen? Als ob ich das vergessen könnte. Dabei konnte ich mich nicht mal dran erinnern. Aber Tatsachen blieben nun einmal Tatsachen. Ich stöhnte wieder. „Yuri?“ Wolframs Stimme klang besorgt. „Kopfweh“, nuschelte ich. „Kein Wunder, nachdem was du geschluckt hast.“ Oh Gott, ich hatte es auch noch geschluckt. Ich fühlte erneut einen Würgereiz. „Der Arzt hat dir was gegen Schmerzen gegeben, aber er hat auch Tabletten dagelassen. Sag mir Bescheid, wenn du denkst, du brauchst eine.“ „Ich brauch eine.“ „Okay, ich hol dir ein Glas Wasser dazu, sag Yuri, ist dir auch übel?“ „Übel ist gar kein Ausdruck.“ „Warte. Ich hol dir was, du wirst dich gleich besser fühlen, Yuri.“ Irgendwie bezweifelte ich das. Hatte der Doc auch eine Uhr dagelassen mit der ich die Zeit zurückdrehen konnte, und mein ähm diese Sache mit Wolfram rückgängig machen konnte? Quatsch, so etwas gab es gar nicht. Mein Verstand funktionierte immer noch nicht normal. Wolfram kam mit zwei Tabletten und einem großen Glas Wasser wieder. Er setzte sich zu mir aufs Bett und sah auf seine Uhr. „Musst du nochmal weg? Oh – Wolfgang.“ Ich wollte aufspringen, aber Wolfram drückte mich an den Schultern wieder in sein Bett. „Deine Freunde werden sich um Wolfgang kümmern, ich habe schon gehört, er ist sehr eigenwillig. Falls er tatsächlich nicht fressen sollte, bringen sie ihn her. Und du wirst jetzt liegenbleiben, die Medizin wirkt in einer Viertelstunde. Dann geht es dir besser.“ Seine Stimme klang richtig freundlich. Er zwinkerte mir aufmunternd zu. „Ganz sicher. Ach -“ , plötzlich klang seine Stimme wieder gereizt. Er war wohl doch ein ausländischer Schauspieler. „Wen hast du denn da besucht, im Krankenhaus?“ „Was? Ach das, meinen Bruder.“ Ich lehnte mich zurück und glaubte Erleichterung in Wolframs Gesicht zu sehen. Sobald ich wieder klar denken konnte, musste ich Wolfram klarmachen, dass ich mir nichts aus Kerlen machte, und dass das ein einmaliger Ausrutscher gewesen war. Es dauerte nicht lang, und ich fühlte mich tatsächlich viel besser. „Öhm, also ich würde gerne mal mit dir reden, Wolfram. Über das, na du weißt schon – das, was da passiert ist, uhm.“ Das war schwerer als gedacht. „Das hat Zeit. Dir geht es besser? Dann mache ich jetzt mal sauber.“ Saubermachen?! „Wo – haben wir es denn – also, wo äh ist es denn passiert?“ Ich hatte angenommen hier im Bett. „Unten im Wohnzimmer. Auf der Couch, du hast sie ganz schön versaut, du Ferkel.“ Er stupste mich mit dem Zeigefinger in die Brust, dann stand er auf und verließ das Zimmer. Bewegungslos lag ich ein paar Minuten da. Mein Gott, Yuri, was hast du getan? Ich hörte Wasserrauschen, Schranktüren klappern, Staubsauger brummen. Wolfram hatte offenbar viel zu tun, mit ähm, der Ferkelei von mir. Irgendwie fühlte ich mich schuldig. Wenn ich hätte wenigstens helfen können – obwohl ich mir nicht sicher war, ob ich das Zurückgebliebene überhaupt sehen wollte. Nein, ich konnte nicht aufstehen und sagen, es war schön mit dir – war es das – vermutlich, wenn man so gestrickt war zumindest – und dann einfach gehen. Noch dazu wo er sich so liebevoll äh freundlich genau, freundlich um mich gekümmert hatte. Zum Glück waren die Kopfschmerzen verschwunden, dafür war ich ehrlich dankbar. Ich nahm einen Schluck Wasser. Wer hätte gedacht, das Wolfram auch nett sein konnte? Mal sehen, ich musste nachdenken. Er hatte meine Hand gehalten und mich Darling genannt, das war ziemlich deutlich. Und – passiert war auch etwas. Warum sonst sollte mein Ar- ähm Hintern schmerzen und sogar mein Hals. Wie oft hatten wir es wohl – hör auf. Nicht weiterdenken. Trotzdem konnte ich nicht verhindern, das sich ein gewisser Stolz in mir breitmachte. Ich hatte es ihm ganz schön besorgt. Hoppla, es war wohl eher umgekehrt gewesen. Das bedeutete dann wohl, dass ich meinen männlichen Stolz vergessen konnte. War ich also der Uke gewesen? Oder – hatten wir die Rollen auch mal getauscht. Ich seufzte, wenn ich mich doch nur erinnern könnte. Nein, vielleicht sollte ich froh sein, dass ich es nicht konnte, es gab da nämlich eine entscheidende Sache. Ich war nicht schwul. Ich hörte, wie Wolfram leichtfüßig die Treppe wieder heraufkam. Er schielte durch den Türspalt und kam dann herein. Was oder besser wie sollte ich nur sagen, das ich keine Erinnerung hatte, und aus ihm herausbekommen, was genau passiert war. Er setzte sich wieder zu mir aufs Bett, eher legte er sich fast aufs Bett und begann neckisch mit meinen Haaren zu spielen, in dem er einzelne Strähnen um seinen Finger wickelte. Nein, das tat man nicht bei einem Fremden, nicht mal bei einem Freund. Nicht mal bei einem guten Freund. Und sein Lächeln – wenn er lächelte war er wirklich schön. Schön war er sowieso, aber sein Lächeln machte ihn noch schöner. Ich hob die Hand und strich durch sein weiches, leicht gelocktes Goldhaar. Anscheinend sah er das als eine Aufforderung, denn er beugte sich noch weiter runter und küsste mich mit diesen unglaublich weichen Lippen. Es fühlte sich sehr vertraut an. Mir wurde bewusst, dass das nicht unser erster Kuss war. „Du warst so süß, gestern“, flüsterte er. „Oh ja, gestern. Du hattest viel zu tun. Da unten, nicht wahr? Das tut mir leid, ich meine, ich hätte dir gerne geholfen und so.“ Er kam jetzt so nahe, dass sein Mund neben meinem Ohr war. Seine Hand lag plötzlich zwischen meinen Beinen und er flüsterte verspielt: „Meinst du DA unten?“ und blies mir obendrein auch noch ins Ohr. Eine Gänsehaut machte sich auf meinem Körper breit, und die Stelle an der seine Hand lag reagierte gegen meinen Willen ebenfalls. Wolfram kicherte. Dann nahm er seine Hand wieder weg und stützte sich auf. Verliebt sah er mich an und mir wurde ganz anders. „Ich war ehrlich gesagt schon ein wenig überrascht, dass du so für mich empfindest.“ Das war ich auch, hätte ich beinahe gesagt, konnte es noch rechtzeitig für mich behalten und lächelte schief. „Eigentlich dachte ich, na ja - „ er schien sich schwer zu tun, „ich dachte, du magst mich nicht besonders, also nicht mehr als andere.“ „Hm, was meinst du?“ „Yuri, du magst jeden, oder?“ „Irgendwie schon, ja.“ „Ein echter Menschenfreund, wie?“ Leicht verstimmt sah er zum Fenster. Dann sah er mich wieder an. „Ich dachte nicht, dass ich eine Chance bei dir hätte, deshalb war ich nicht besonders freundlich, entschuldige.“ Er war nicht freundlich? Wo und wann – etwa gestern? War er grob mit mir gewesen, mein armer Körper. „Aber als du mir deine Liebe gestanden hast“ - was hatte ich gestanden? – Wolfram griff sich theatralisch an die Brust - „wurde meine Brust ganz warm und ich war so glücklich.“ Er strahlte mich an. „Und dann – ähm, sind wir hierher und ...“ - und dann? „Ja, als wir tanzten“ - auch das noch, hoffentlich hatte mich keiner gesehen - „wurde dir ja auf einmal schlecht. Kaum waren wir hier, da – na ja...“ Wolfram redete nicht weiter sondern sah mich nur an. Den Rest konnte ich mir eigentlich denken. Kaum waren wir da, da riss ich mir die Kleider vom Leibe und wartete nicht mal, bis wir im Schlafzimmer waren, und so weiter. „Ich hab´s richtig mit der Angst bekommen, ehrlich.“ O je. Ich hatte angenommen, es könne nicht schlimmer kommen, aber es wurde immer schlimmer und schlimmer. „Tut mir leid“, sagte ich leise. Ich konnte ihm unmöglich länger in die Augen sehen. „Macht nichts, ich neige zu Übertreibungen, tja haha- ich dachte sogar du stirbst.“ „Ähm, wie bitte?“ „Du musstest dich so schrecklich übergeben, dann der Durchfall, und du hast so gestöhnt und die schlimmen Kopfschmerzen – hach – ich mag nicht mehr dran denken, es war schlimm. Natürlich habe ich sofort den Arzt gerufen und deine Freunde kamen auch sofort.“ „Augenblick, Augenblick einen Moment bitte.“ Ich griff mir an den Kopf, schwache Erinnerungsfetzen tauchten auf. Ich sah mich selbst im Bad, rote Kacheln, Wolfram mochte die Farbe wohl, und ja – es war schlimm, aber es war nicht das was ich die ganze Zeit gedacht hatte. Und trotzdem – wir tanzten eng umschlungen – ich konnte meine Hände überhaupt nicht von ihm lassen. Warum nicht? Weil er sich so verdammt gut anfühlte, einfach unbeschreiblich. Dieses Zeug, diese Droge hatte alles weggewischt, all meine Erziehung, meine Hemmungen meine Gedanken, und darum … Ich sah ihn an. „Ich dachte auch, ich sterbe. Ein Glück, dass es vorbei ist.“ „Vorbei?“ Wolfram legte den Kopf schief. In meiner Erinnerung tanzten wir wieder eng umschlungen und sein Kopf lag genauso schief auf meiner Schulter, er schmiegte sich an mich, plötzlich wurde ich nervös. „Es fängt doch grade erst an, Yuri, mein Schatz.“ Kapitel 8: Kein Verlass ----------------------- Mist, was jetzt? Ich legte den Arm über meine Augen. „Yuri, was ist? Hast du immer noch Kopfschmerzen?“ Ich nickte, das stimmte zwar nicht, aber egal. Vielleicht wurde ich ihn auf diese Weise los. „Soll ich dir noch eine Tablette holen?“ Ich schüttelte den Kopf, „nein, nur ein wenig Ruhe – das wäre nett.“ Ich blinzelte unter dem Arm durch. So wie ich ihn kannte...nein, er war nicht beleidigt, sondern nickte sogar verständnisvoll. Das war schon überraschend. „Ich lasse dich ein wenig allein“, sagte er an der Tür. Ich nickte, genau das wollte ich. „Wir haben ja noch später alle Zeit der Welt.“ Oh nein, ganz bestimmt nicht. Denk nach, Shibuya. Also – im Grunde war nichts passiert. Okay, das bisschen tanzen, wieso nicht. Und geküsst, na gut, damit konnte ich zur Not auch noch leben, irgendwelche Liebesgeständnisse – die waren selbstverständlich auf die Droge zurück zu führen. Gut, dass ich nicht Amok gelaufen war. Und gut, das ich keinen Herzfehler oder so etwas hatte, schlimm genug, das jemand verantwortungslos genug war, das zu machen. Die reinste Körperverletzung. Ich schüttelte den Kopf. Wenn das keine Anzeige wert war, was dann? Obwohl ich es eigentlich lieber vergessen hätte. Aber da musste ich wohl oder übel durch. Blieb noch das Problem mit Wolfram. Ich seufzte, als ich daran dachte, dass ich ihm sagen musste, das er überhaupt nicht mein Darling war. Letztendlich konnte er am Wenigsten dafür. Und er hatte sich um mich gekümmert. Wenn nicht, wenn er mich alleine gelassen hätte, wer weiß was dieser Typ da mit mir vorgehabt hatte. Gewissermaßen stand ich in seiner Schuld. Ein schrecklicher Gedanke schoss mir plötzlich durch den Kopf. Bedeutete das Ganze hier etwa, Wolfram war verliebt in mich? Ich meine – so richtig – ernsthaft? Körbe zu verteilen war noch nie meine Stärke gewesen. Ich war sogar ein echter Feigling darin. So musste man das wohl sehen. Ich wollte einfach niemanden verletzen, aber im Endeffekt lief es immer darauf hinaus, dass ich alles noch schlimmer machte, als es ohnehin schon war. Ich drehte mich zur Seite und schloss die Augen. Mit Männern kannte ich mich nicht aus. Vielleicht konnte mir Antoine einen Rat geben. Mit diesem Gedanken schlief ich ein. Beim Aufwachen wusste ich zuerst nicht, wo ich eigentlich war. Neben mir spürte ich etwas Warmes, dass mir fast die Luft abschnitt. Ich versuchte mich zu befreien, und bei näherer Betrachtung stellte sich das Etwas als Wolfram heraus. Was machte der denn hier? Und warum so nah? Mein Hemd war fast nass geschwitzt. Mit einem Ruck befreite ich mich von der Daunendecke. Puh, das war schon besser, jetzt eine Dusche, eigentlich fühlte ich mich einigermaßen wohl. Mit den Füßen trat ich die Decke nach unten, dort lag auch noch was. Ich hob den Kopf. Wolfgang und Juli lagen genauso dicht an unseren Füßen beieinander wie Wolfram bei mir und ließen sich durch meine Tritte genauso wenig stören wie Wolfram durch meine Bewegungen. Vorsichtig sah ich mich nach weiteren Mitschläfern um, möglicherweise lagen Murata Ken und Antoine auch noch irgendwo herum. Zum Glück nicht. Behutsam nahm ich Wolframs Hand von meinem Oberarm, den er festhielt, um aufzustehen. Die Dusche war unten, das wusste ich ja. Kaum hatte ich meinen Oberkörper halb aus dem Bett gehoben, als sich ein Arm um meinen Hals schlang und mich zurück zog. Erschrocken sah ich ihn an und wollte schon zu einer Erklärung ansetzen, aber – er schlief. Ich entspannte mich wieder. So wie es aussah kam ich hier nicht so einfach weg, also war es vermutlich das Beste einfach zu warten, bis die anderen auch wach wurden. Wolfram hatte – zugegeben - einen festen Griff. Ich tauschte meinen Hals wieder gegen meinen Arm und rückte mir das Kissen zurecht. Irgendwie verrückt das Ganze. Ich lag hier in einem fremden Bett, mit einem fremden Kerl und einem fremden Hund in einem fremden Haus und – ich drehte den Kopf zur Seite. Dabei hatte ich nur meinen oder besser unseren Freund Antoine moralisch unterstützen wollen. Warum musste mir immer so etwas passieren, wenn ich eine gute Tat begehen wollte? Ich hätte den Drink ablehnen sollen. Normalerweise trank ich keinen Alkohol. Zum einen schmeckte er mir nicht, zum anderen wurde mir davon komisch im Kopf. Ich wollte nur höflich sein. Ich schielte zu Wolfram. Der hätte den Drink sicher abgelehnt. Vielleicht sogar entrüstet. Ich Idiot hatte mich auch noch bedankt. Unwillkürlich musste ich an meinen Onkel denken. Das er mich mochte, wusste ich, aber gerade deswegen regte er sich immer über mich auf. „Man könnte glauben, du kommst vom Mond“, hatte er mit mir geschimpft. Was er in dem Moment damit gemeint hatte, war mir nicht klar gewesen. Bestimmt hielt er mich nicht für ein Mondmännchen. Weltfremd, war wohl der passende Ausdruck. Aber auch, wenn das stimmte, wie sollte ich es ändern, und – wollte ich das überhaupt? Wolfram begann sich neben mir zu regen. Ich war erleichtert, dass er aufwachte, mittlerweile musste ich nämlich nicht nur unter die Dusche. Meine Erleichterung verwandelte sich schnell in Verwirrung, anstatt aufzuwachen, drängte er sich noch dichter an mich und fing an zu schnurren wie eine Katze. Ich bewegte mich auf den Bettrand zu und Wolfram folgte mir. Als ich beinahe vom Bett fiel, gab ich auf. Verärgert sah ich zu Wolfgang. Immer wenn ich frei hatte und hätte ausschlafen können, weckte er mich in aller Frühe. Und jetzt schlief er wie ein Stein. Auf diesen Hund war einfach kein Verlass. Jeden meiner Freunde, die zu Besuch kamen, bellte er wütend an. Darum machte es mir auch nichts aus, als ich einen nervigen Vertreter ins Haus ließ. Dachte ich doch, Wolfgang würde ihn vertreiben, aber anstatt ihn anzubellen, blieb er auf seiner Decke liegen und tat, als ginge es ihn nichts an während ich die größte Mühe hatte, dem Mann klar zu machen, dass ich keine Versicherung bräuchte, und ihn wieder los zu werden. Zwei Stunden Zeitverschwendung. Nein, auf Wolfgang war wirklich kein Verlass, - und auf Wolfram? Kapitel 9: Rückschlag --------------------- Es lief wie erwartet. Ich biss die Zähne zusammen, in der Hoffnung, die anderen würden von alleine aufwachen, was sie aber nicht taten und als ich es nicht mehr aushielt, befreite ich mich sprang aus dem Bett und rannte nach unten ins Bad. Erleichtert stieg ich wieder die Treppe hoch. Wolfram saß aufrecht im Bett und sah mich etwas verwirrt an. Ich erklärte die Situation. „Oh Yuri, was bist du doch für ein Weichei.“ Klar, der hätte sicher nicht gezögert, aber – er hatte ja auch Recht. Ob ich der einzige Mensch war, der wartete bis seine Blase am Platzen war, bevor er andere weckte? Was für ein trostloser Gedanke. „Gut, dass du mich hast“, meinte Wolfram gerade. „Ah ja, was das angeht, also...“ „Willst du jetzt duschen?“ Ich nickte. Das wollte ich eigentlich schon lange. Aber nicht in einem fremden Haus. „Kann ich dein Telefon benutzen?“ „Sicher, aber wozu denn?“ „Ich dachte, ich ruf Murata an, der kann mich dann abholen und – wie kommt Wolfgang eigentlich hierher?“ „Murata hat ihn vorbeigebracht. Er kam wohl nicht klar mit ihm. Sagte, Wolfgang hätte die halbe Nachbarschaft alarmiert, und es sei ihm nicht gelungen ihn zur Ruhe zu bringen.“ „Ah so.“ „Aber als er dann hier war, war alles in Ordnung. Er hat mit Juli gespielt und dann geschlafen.“ „Gut, vielen Dank, dass du dich um mich gekümmert hast, Wolfram, ne? Wer weiß, was sonst passiert wäre.“ Wolfram sah mich aus seinen grünen Augen nur an und schwieg. Hatte ich was Falsche gesagt? „Du willst also deinen Freund anrufen, damit er dich abholt? Hab ich dich richtig verstanden?“ Ich nickte nur beklommen. War etwa was Falsches daran? „Na schön. Wie du willst.“ Seine Stimme klang nun irgendwie frostig. Er stand auf, ging zu einem Stuhl und zog einen viel zu dünnen – was war das – ein Bademantel sicher nicht – Mantel über das viel zu dünne – das war ein Negligé, oder? In Rosa? Kurz, es war mehr zu sehen, als nicht zu sehen. Konnte man in so einem Ding überhaupt schlafen? Nun, Tatsache, das er geschlafen hatte. Ich schüttelte den Kopf. Das konnte mir ja auch egal sein. Wolfram ging an mir vorbei und ich folgte ihm, in der Annahme, er würde mich zum Telefon führen. Stattdessen ging er ins Bad. Verwirrt stand ich davor und wartete. Na ja, vermutlich musste er auch mal. Die Zeit zog sich dahin und ich hörte plötzlich Wasserrauschen. Duschte er jetzt etwa? Was war mit mir? Ich konnte doch nicht in einem fremden Haus nach dem Telefon suchen und ungefragt telefonieren. Ich lehnte mich an die Wand und wartete eine geschlagene Stunde bis er endlich fertig war. „Was stehst du da rum?“ wurde ich gefragt, als er wieder herauskam, diesmal mit einem dünnen Bademantel und in Badelatschen. „Na, ich hab auf dich gewartet. Schließlich kann ich ja nicht hier herum suchen. Ich wollte doch nur telefonieren.“ Meine Stimme klang jetzt auch leicht wütend. Ich fühlte mich Stehen gelassen. Wolframs Augenbrauen zogen sich nach unten. „Hält dich jemand davon ab?“ „Nein, aber – ich weiß doch gar nicht, wo das Telefon steht.“ „Willst du damit sagen, dass du das vergessen hast, obwohl du gestern Abend noch deine Mutter angerufen hast, um ihr zu erzählen, du hättest die Liebe deines Lebens gefunden?“ „Ich hab – WAS? Und wer ist diese Liebe meines Lebens? DU – vielleicht? Wieso hast du mich nicht davon abgehalten?“ Wolfram drehte mir den Rücken zu und ging nach oben. So ein Mist, das musste ich so schnell wie möglich wieder in Ordnung bringen, hatte den keiner bemerkt, dass ich ganz offensichtlich nicht mehr Herr meiner Sinne gewesen war? Na gut, ich hatte lange genug gewartet. Was sollte schon passieren, sollte er etwa die Polizei anrufen und sagen, der Kerl den ich mit nach Hause genommen und der hier geschlafen hat, hat mein Telefon benutzt? Aber egal, es ging mir ohnehin nur um Manieren, die waren mir eben anerzogen worden. Ich wünschte, meine Eltern wären ungezwungener mit solchen Sachen gewesen. Ich lief durch den ersten Stock bis ich auf einem Beistelltischen das Telefon entdeckte. Es – war irgendwie angezogen. Mit einem Stoff aus rosa Plüsch umhüllt. Ich fragte mich, wieso. Wolfram hatte nicht Tuntiges an sich, im Gegenteil. Vielleicht war das auch nur eine Art Verzierung, so wie andere Leute Bilder aufstellten. Ich besah mir das Ding näher und konnte erkennen, das es mit einem Kabel angeschlossen war. Okay, dann war es das wohl. Ich nahm den Hörer ans Ohr und wollte gerade wählen, als ich eine Stimme hörte. „Guten Morgen, Graf Wolfram. Haben sie gut geschlafen?“ Vor Schreck legte ich schnell wieder auf. Was war das? Das war nicht echt oder? Eine Art Spielzeug. Genau. Es gab ja auch diese Puppen die zu kleinen Mädchen Mama sagten, das hier war wohl etwas ähnliches. Ich stampfte den Gang zurück und merkte, wie ich mich wieder erschöpft zu fühlen begann. An der Treppe rief ich: „Wolfram, Wolfram bitte ruf Murata, oder ein Taxi oder irgendwas – irgendjemand.“ Ich setzte mich auf die Stufen. Mist, das Zeug war stark. Es war wohl ein Irrtum, dass es mir schon besser ging. Wolfram erschien jetzt oben und war halb angezogen. „Yuri, was ist denn?“ „Ich weiß nicht – Wolfram, einen Krankenwagen, bitte.“ Wolfram kam die Stufen herunter gerannt und zu mir. „Du liebe Zeit, Yuri, du bist ja ganz blass, warum hast du denn nichts gesagt?“ „Ich will doch nur – ins Krankenhaus und nein, ich erinnere mich nicht, wo das Telefon ist, wirklich.“ „Bleib hier, rühr dich nicht von der Stelle.“ Das hatte ich auch nicht vor. Wolfram rannte den selben Weg zurück den ich eben hergekommen war, und nahm das rosa Etwas in die Hand. Oh nein, was glaubte er mit seinem Spielzeugtelefon erreichen zu können? Kurz darauf war er wieder bei mir. Ich hatte Mühe, klar zu denken, bekam aber trotzdem mit, dass Wolfram meinen Arm um seine Schulter legte und mir aufhalf, Schritt für Schritt führte er mich zur Wohnzimmercouch. Dort ließ ich mich erst mal fallen. Bruchstücke eines Horrorfilms tauchten in meinem Kopf auf. Ich sah eine Frau die ihren Angebeteten am Bett fesselte, und ihm sogar das Bein brach, nur damit er nicht fliehen konnte. Was wenn ich jetzt hier gefangen war, und durch Drogen nie mehr wieder klar denken konnte für immer verdammt hierzubleiben? Ich lehnte alles ab, was Wolfram mir anbot, sogar das Glas Wasser. Und dann hörte ich endlich die Sirene eines Krankenwagens. Er würde doch wohl nicht vorbeifahren? Wolfram stand auf und ging zur Tür. Drei Männer kamen herein, einer sah mir mit einer Lampe in die Augen, ein anderer band ein Blutdruckmessgerät um meinen Arm. Der dritte betrachtete mich nur und hielt ein Klemmbrett im Arm. Nach einer gefühlten Ewigkeit brachten zwei eine Bahre herein, befahlen dass ich mich darauf legen solle und hielten auch Wolfram fern. Ich wurde festgeschnallt und zum Wagen gebracht. Wolfram durfte nicht mitkommen, weil wir nicht verwandt waren. Kapitel 10: Nach wem rufst du da -------------------------------- Ich bekam kein schönes weiches Bett, nein ich musste leiden. Man nahm mir Blut ab, pumpte meinen Magen aus, untersuchte mich an einer äußerst intimen Stelle, mit Lampe und so, gab mir ein Brechmittel – kurz es war furchtbar. Mit Tränen in den Augen jammerte ich „Wolfram“, als ich endlich in ein Bett kam. Verdammt nochmal ich war krank, mir gings richtig Scheiße, ich brauchte liebevolle Behandlung nicht – so was, da wurden unsere Tiere ja besser behandelt. Und die Fragen und dann noch, am nächsten Tag würden Polizisten kommen und mich befragen. Ich drehte mich zur Seite. Wäre ich doch nur bei Wolfram geblieben. Aber – es war zu spät. Ich würde sterben. Hier und zwar ganz allein. Am nächsten Morgen geschah ein Wunder. Ich fühlte mich – gut. Misstrauisch setzte ich mich auf. Wer weiß, wie lange das anhielt. „Was soll das heißen, ich darf nicht zu ihm“, brüllte der blonde Graf die eingeschüchterte Schwester an. „Ich will sofort, ich befehle, mich sofort zu Yuri zu bringen. Andernfalls...“ Seine Augen schienen zu glühen, die Drohung lag unheilverkündend schwer in der Luft. Es war keine leere Drohung, jeder bemerkte das. Nur ein armer Trottel nicht. „Andernfalls...?“ fragte er herausfordernd. Wolfram schloss die Augen. Unfassbar. Ein Lebensmüder wollte ihm tatsächlich einen dummen Spruch ins Ohr drücken? Seine grünen Augen funkelten nicht wie Smaragde, als er ihn ansah. Eher wie grünes Höllenfeuer. „Du bist entlassen.“ „Hä, Moment mal.“ „Nein, pack deine Sachen und verschwinde.“ „Oh, Graf Wolfram von Bielefeld, ist es möglich, sind sie der Besitzer und Wohltäter des Krankenhauses?“ Wolfram ließ sich zu einem abfälligen Blick herab. „Das Bielefeld-Krankenhaus gehört mir, allerdings.“ Der eben entlassene rannte, so schnell er konnte zum Chefarzt. Nein, man könne nichts für ihn tun. Die Ansagen des launischen Grafen seien absolut. Und wegen einem einzigen Angestellten, das müsse er verstehen, wolle man es nicht riskieren, dass das Krankenhaus geschlossen würde, und alle arbeitslos waren. Eine jüngere Schwester kam lächelnd näher. „Da dies nun geklärt ist, bitte folgen sie mir, Graf von Bielefeld.“ „Na also.“ Wolframs Laune war immer noch weit unter dem normalen Niveau. Die Schwester rannte mit schnellen Schritten neben ihm her. Dieser Egoist nahm keinerlei Rücksicht. „Ach übrigens, Graf von Bielefeld, ich finde euer Freund sieht ausgesprochen niedlich aus.“ Ein Pfeil aus seinen Augen traf sie, aber sie kümmerte sich nicht darum und redete weiter. „Er passt so gut zu euch, ihr seid so ein schönes Paar.“ Sie blieb stehen, sah verzückt ins Nichts und seufzte „Hach.“ Vielleicht war diese Frau gar nicht so dumm, überlegte Wolfram. Er fühlte sich etwas besser. Und verringerte sogar sein Tempo, damit sie mithalten konnte. „Hat er – was gesagt? Vielleicht?“ fragte er zögernd. „Nein, eigentlich nicht.“ Wolfram seufzte unglücklich. Das hätte er sich ja denken können. „Eigentlich hat er nur ständig euren Namen gerufen.“ „Wirklich?“ Diesmal strahlten seine Augen wie Juwelen. Sie nickte leicht erstaunt. „Selbstverständlich. Er musste einige unangenehme Untersuchungen über sich ergehen lassen, und nun ja , er ist etwas empfindsam nicht wahr?“ sie lachte gekünstelt, hoffend, nichts falsches gesagt zu haben. „Dieses Weichei.“ kommentierte Wolfram nur. „Nun, und da rief er ständig – Wolfram, Wolfram, Wolfram.“ Die Schwester imitierte recht gut Yuris flehende Stimme. Diesmal strahlte Wolframs ganzes Gesicht. Er mochte die junge Frau. „Ich will schnell zu ihm.“ Sie nickte, und gemeinsam eilten sie den Flur entlang zum letzten Zimmer. „Wir haben ihm ein Einzelzimmer gegeben, immerhin ist er euer – nun – Geliebter, nicht wahr?“ Wolfram strahlte die Zimmertür an. „Ja.“ Die Schwester verneigte sich, sie gönnte den beiden Jungen wirklich alles Glück der Welt. Wolfram sah ihr nach, bis sie in einen Gang einbog und außer Sichtweise war. „Hoffentlich stimmt das auch. Nicht, dass er es wieder vergessen hat.“ Er straffte die Schultern und klopfte. Jemand schien mit einem Hammer die Tür einschlagen zu wollen. Was war denn nun wieder los. Aber da ich der Einzige im Zimmer war, wieso war ich eigentlich der Einzige im Zimmer, rief ich „Herein.“ Ein Engel kam hereingeschwebt. Mit offenem Mund sah ich ihn an. Also – dann war es jetzt soweit. Ich hatte es gewusst. Ich würde die Behandlung hier nicht überleben. Augenblick. Wieso – das war kein Engel. Eher ein Teufel. „Wolfram.“ flüsterte Yuri überrascht. „Ich dachte, du darfst mich nicht besuchen, wir sind nicht verwandt, oder so.“ „Was ist das für eine Begrüßung, Yuri? Als ich hörte, das du nach mir rufst, musste ich natürlich kommen.“ Das er ohne dies zu wissen gekommen war, verschwieg er lieber. „Nach dir gerufen? Ah ja, das stimmt. Ja. Hahaha.“ Peinlich. Aber – woher wusste er das? „Darum – bin ich sofort hierher geeilt. Aber du hast natürlich recht. Wir sind nicht verwandt. Dagegen müssen wir so schnell wie möglich etwas unternehmen.“ „Wie?“ Wolfram zog die Jacke aus und warf den Stock zur Seite. Dann war er plötzlich, wie durch Zauberei, an Yuris Bett und hielt dessen Hände. „Yuri.“ „Jawohl.“ Wegen dem plötzlich energischen Tonfall fühlte Yuri sich wie in einer Kaserne. „Wie fühlst du dich?“ besorgt sah er Yuri an. Yuri sah weg und betreten auf seine Bettdecke. Seine Hände waren noch gefangen. „Yuri?“ „Die ähm Untersuchungen waren sehr – unangenehm. Im Moment geht es mir gut.“ Er sah auf. „Man hat die Polizei verständigt. Die kommen später und wollen wissen, was passiert ist. Aber - ...“ „Du hast vieles vergessen.“ „Fast alles Wolfram. Bitte, kannst du bei mir bleiben und mir helfen?“ Wolfram lächelte zärtlich. „Natürlich.“ Wieso – war er plötzlich so nett. Yuri versteifte sich. Er wollte keine Gefühle für Wolfram haben. Wolfram war ein Mann. Genau wie er selbst. Was hatte Wolfram gesagt? Yuri hatte seine Eltern angerufen und ihnen erzählt, er hätte die Liebe seines Lebens gefunden? Er glaubte nicht, das Wolfram ihn anlog. Es musste stimmen. Hatte er ihnen auch den Namen genannt? Wenn ja, dann würden sie ihn sicher nie wiedersehen wollen. Klopfen. „Das sind wohl die Polizisten“, jammerte Yuri unglücklich. „Sei nicht so ein Weichei Yuri, ich bin doch da.“ „Ja, Gott sei dank.“ Um ihm ein besseres Gefühl zu geben, setzte sich Wolfram zu Yuri aufs Bett, der mittlerweile Wolframs Hände mit festem Griff gepackt hielt. „Herein.“ Die Tür flog auf und Yuris Eltern und sein Bruder stürmten herein. Shori war fast so schnell wie Wolfram an Yuris Bett. „Yuri, ich weiß alles, man hat dir Drogen gegeben, aber....“ Shori sah zur Decke und ballte die Faust...“onii-chan wird dich rächen.“ „Wie?“ Yuris Mutter hatte Wolfram entdeckt. „Nähnäh, Yuri, ist er das? Ja, nicht wahr.“ Sie eilte zu Wolfram und strahlte ihn an. Der verbeugte sich wie ein Gentleman und sagte: „Ich freue mich sehr eure Bekanntschaft zu machen, Mutter. Nun weiß ich woher Yuri sein gutes Aussehen hat.“ Sie juchzte und ballte die Fäuste. „Ja, Yu-chan kommt ganz nach mir.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)