Rübenfürst und Möhrenkönig von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 28: Countdown --------------------- XXIX. Countdown Die nächsten Tage vergingen dennoch in atemloser Aktivität. Jason telefonierte und telefonierte, während er weiterhin die Destille in Betrieb behielt, koste es, was es wolle. So war er wohl eben, er ließ nicht locker, egal wie widrig die Dinge gerade schienen. Das zeichnete einen echten Optimisten aus. Grinsen, wenn alles glatt lief, konnte das jeder. Erst wenn die Sache aus dem Lot geriet, zeigte sich das wahre Gesicht. Ragnar selbst konnte wenig tun, die Fäden des Schnapsgeschäftes liefen nun einmal in Jasons Händen zusammen. Jason Befürchtungen bestätigten sich zumindest, was das Image des Schnapses anging. Bestellungen wurden storniert, nichts Neues kam mehr rein und das mitten im Weihnachtsgeschäft, und das geflügelte Wort „einen Rübenfürst schmachten“ machte in Anspielung auf Danny-Schnulzengotts Gala-Auftritt rasend die Runde. Leider war das gleichbedeutend mit „eine Pizza ins Klo lächeln“ nur mit deutlich hämischeren Untertönen. Danny wurde ziemlich zerfetzt, von den einen, da er gelogen hatte, von den anderen, da er schwul sei. Mitleid bekam er nur wenig. Aber das war aktuell nicht ihr Problem und so innig war Jason diesem Typen ja Gott sei Dank nie verbunden gewesen. Jason hatte derweil noch ganz andere Sorgen. Seine Eltern waren alles andere als amüsiert, dass er ihren blütenweißen Namen in dieser Geschichte hatte auftauchen lassen. Nach Jason hingenuschelten Aussagen ihm gegenüber rotierten die Anwälte. Die von Buchschen Sprecher bedrohten die Presse, hoch bezahlte Babybrei-Anzeigen zurück zu ziehen, falls sie etwas durchsickern ließen. Trotz aller Finesse und aller Vorsicht tauchten Schnappschüsse von Jason im Internet auf, auch wenn sie nichts beweisen mochten – aber wer brauchte schon Beweise? Doch gemessen an den Umständen hielt sich der Schaden noch im Rahmen. Vor ihrer Haustür standen keine Trailer, kein Blitzlichthagel ging auf sie hernieder, die Klatschpresse schrieb nichts – und die Leser vergaßen hoffentlich schnell. War doch egal, wer Jason von Buch war, solange er diffus blieb, es ging schließlich um Danny. Eine trügerische Ruhe schien sie zu umgeben, auch wenn draußen ein Orkan toben mochte. Jason schritt entschlossen dahin. Er lächelte wenig in diesen Tagen, auch wenn sein Lachen nicht wirklich erstorben war. Aber es hagelte plötzlich ziemlich auf ihn ein. Und Ragnar wusste nur zu gut, dass diese Sache Dinge berührte, die Jason dann doch nicht so egal waren wie Fiffy, die Alibi-Braut. Aber er stand aufrecht, seine Brauen runzelten sich konzentriert und das Jungenhafte, Verspielte in ihm schien zu ruhen. Wenn er abends ins Bett sackte war er entweder so wild, dass es fast weh tat, oder so passiv, dass es ganz und gar Ragnar überlassen war, ihn zu entspannen und seinen Geist für kurze Zeit verfliegen zu lassen, bevor der Schlummer kam. Aber erst im Schlaf war es wie immer, auch wenn das immer nur viel zu kurz war. Jason so warm in seinen Armen, so duftend, so wie es sein sollte. Ragnar musste an die Bilder und Videos denken, die das Internet ausgespuckt hatte. Zumindest das hatte er tun können, dieses Material zu sichten, auch wenn der gesamte von Buch-Stab daran sein mochte. Aber die waren nicht hier. Sie riefen an, klar, aber er … er machte auch etwas. Irgendetwas. Er fühlte sich merkwürdig hilflos, und das hasste er aus tiefster Seele. Aber er musste schon schlucken. Einige Bilder waren älter, Jason in seinen frühen Zwanzigern, ein Abbild jugendlichen Übermuts und Elans, auch wenn er nie vorne stand, sobald die Kameras geklickt hatten. Jason schemenhaft beim Tanzen in irgendeiner unglaublich teuren Discothek. Jason in feuchtfröhlicher Runde zwischen lauter Berühmtheiten und Halbberühmtheiten, blitzender Charme, doch nichts dahinter. Aber das stimmte nicht, das sah die Kamera bloß nicht. Oder hatte das Jason damals selbst noch nicht gesehen? Jason war schon ein hinreißend schöner Mann, gerade wenn er sich nicht verstellte. Die Figur, die Haare, die Augen unter den gerade dunkel Augenbrauen … aber vor allem dieser Mund mit seiner hinreißenden Oberlippe, ein wenig arrogant und unglaublich sinnlich. Wie er selbst aussah, konnte er nicht beurteilen. Aber Jason fand ihn attraktiv und auch zuvor hatte ihn nie einer abgelehnt, mit dem er sich zu eindeutigen Zwecken getroffen hatte, das musste schon okay sein. Er fand sich auch okay, aber überzogene Eitelkeit war nie sein Ding gewesen. Aber es war schon komisch. Jason war der Hammer. Jason war steinreich. Jason war verrückt. Jason war auch alles andere. Auf dem Hof war zu dieser Jahreszeit wenig zu tun, da widmete er sich inzwischen den größten Teil seiner Zeit dem Projekt von Buch-Familien-Weihnacht, bei der er selbst ja auch zugegen sein sollte. Ein paar Mal war er schon daran gewesen, sich aus der Sache rauszureden, doch Jason schien einen Siebten Sinn dafür zu haben und stellte sich stur. Aus der Nummer kam er nicht raus, ohne den sowieso schon gestressten Jason völlig auf die Palme zu bringen. Und das wollte er ja nun nicht. Aber dennoch … Jasons Eltern … da hatte er doch wirklich nichts zu suchen … Okay, Jason und er teilten jetzt schon seit einer Weile Tisch und Bett, wie man so sagte, aber das war nur ein Provisorium, bis das Haus in Ordnung war und würde früher oder später enden. Trotz ihrer Zuneigungsbekundungen, sie hatten sich keine Versprechungen gemacht. Einerseits war das erleichternd, sie waren schließlich nicht in einem Film für zwölfjährige Mädchen, andererseits war es nur … das Hier und Jetzt. Aber mehr gab es nun einmal nicht, da hatte Jason wohl schon Recht. Und es war doch gut. Trotzdem würde Jason ihn seinen Eltern vorstellen. Da kannte er keine Gnade. Aus Mitleid? Nein, dem hätte er nie nachgegeben. Aber auch garantiert nicht, um ihnen seinen Verlobten vorzustellen. Eher aus einem Impuls heraus. Wenn Jason etwas stank, dann machte er etwas, das war ja löblich – aber das …? Wie auch immer, da musste er jetzt durch. ……………………………… „Was … was ist das denn?“, fragte Jason. „Eine Axt“, erklärte Ragnar und beförderte das Gerät in den Fußraum seines Pickups. „Du willst die Gans selbst erledigen? Darf ich Wetten abschließen? Geiler Hahn gegen fette Henne?“, grinste Jason. „Schön, dass du das so siehst, du Tierfreund. Nein, die ist für den Baum!“, korrigierte Ragnar. Jason blieb der Mund offen stehen. „Du willst den selbst fällen? Damit?“, Er starrte auf die Axt. „Wenn du den mit TNT fällen willst, muss ich dich warnen: Das sieht dann nicht mehr so festlich aus“, griente Ragnar und startete den Wagen. „Öh … kann man die nicht irgendwo fertig kaufen?“, protestierte Jason halbherzig. „Klar“, bestätigte Ragnar. „Aber ich habe mit meinen Eltern früher immer so den Baum geholt, als sie noch gelebt haben. Ich beschränkter Dorftrottel kenne das nur so. Der Baum wird selbst gefällt. Ende der Durchsage.“ „Okay, okay“, stöhnte Jason. „Besser als die Gans immerhin.“ „Du sagst es. Schon in Weihnachtsstimmung?“, fragte Ragnar, während er den Wagen die malerisch verschneiten Hänge entlang steuerte. „Geht so“, murmelte Jason. „Die schlimmste Katastrophe ist abgewendet. Ich ziere nicht das Titelbild sämtlicher Klatschpostillen, immerhin. Aber dem Rübenfürsten geht’s gerade nicht so gut. Gott sei Dank ist zumindest ein bisschen etwas weg gegangen und das Geld vom Traktor… tja. Allerdings habe ich schon mal in einer Nacht mehr versoffen, als aktuell auf meinem Konto ist. Aber was soll’s. Ist ja Weihnachten. Ich vertage das Kotzen auf danach. Schadenbegrenzung ist gelaufen. Danach werde ich weiter sehen … oh Mann … Scheiße, ich habe auch keinen Schmuck für den Baum …“ „Aber ich“, erwiderte Ragnar. „Von früher … habe ich alles noch auf dem Speicher. Lametta, selbst gebastelte Strohsterne, Kerzenhalter, ein Ständer für den Baum, Kugeln … alles.“ Jason musste lächeln. Aber ein wenig traurig war es doch. Ragnar mit seinen Eltern. Strohsterne bastelnd. Wenn ihm das geschähe … oh nein … „Würdest du die ausborgen?“, fragte er höflich. „So war’s gedacht. Dazu sind sie schließlich da. Okay, folgender Plan: erst zu Ikea für den Tisch, die Stühle, die Kerzen und so, dann der Baum, dann die Gans und die restlichen Fressalien. Wie sieht es mit Keksen aus?“ „Kekse…?“ „Kein Weihnachten ohne selbstgemachte Kekse! Zumindest kein … richtiges. Früher … immer …“ „Okay, okay!“, gab Jason sofort nach. „Ist ja auch dein Weihnachten! Ich habe das zwar noch nie getan, aber backen wir Kekse! Man lernt ja nie aus! Und zur Gans?“ „Rotkohl und Kartoffeln? Ganz klassisch?“ schlug Ragnar vor. „Ich kann schon froh sein, wenn ich „klassisch“ hinbekomme“, murmelte Jason. „Ich bin ja auch noch da. Und als Bauer bin ich auf Hausmannskost abonniert“, grinste Ragnar. „Ich bin aber keine Hausmannskost “, korrigierte Jason deutlich besser gelaunt. „Nein, du Trüffelleberpastete. Was schenkst du eigentlich deinen Eltern?“, wollte Ragnar wissen. Jason seufzte. „Eine Geschenkkiste Rübenfürst. Auch wenn das inzwischen vielleicht nicht mehr so angebracht sein sollte.“ „Quatsch!“, unterbrach ihn Ragnar. „Sie wollten, dass du etwas auf die Beine stellst und das hast du. Das mit Thompson war ja nicht absehbar. Sie sollten schon stolz auf dich sein! Was sollte ich …?“ Jason winkte ab. „Musst du nicht. Aber wenn du sonst ein schlechtes Gewissen bekommst: eine gute Zigarre für meinen Vater, ein schicke Topfpflanze für meine Mutter. Sie züchtet Rosen. Da kann ich dir helfen – aber mach dir keine Gedanken. Geht wenn nur um die Geste.“ „Sag mal, Jason“, fragte er, während er in einer riesigen Blechlawine dem Ikea-Schild folgte. „Was willst du deinen Eltern eigentlich sagen, wenn ich zu eurem Weihnachten auftauche?“ Jason musterte ihn kurz nachdenklich. Dann lächelte er, dass sich irgendetwas in Ragnar zusammen zog. „Ich sag ihnen, dass du mein Freund bist. Bist du doch auch, oder? Muss doch so sein, wie wir aufeinander hängen, ohne uns auf den Keks zu gehen. Du bist mein Geschäftspartner, mein Nachbar, aber vor allem mein Freund. Du hilfst mir. Ich helfe dir. Ich finde dich pfefferig, du mich auch. Und ich will aktuell echt keinen anderen. Ich bin … ich bin glücklich. Trotz all der Danny-Scheiße. Ich weiß, dass du da bist, ohne es zu müssen wie die Anwälte und Pressesprecher oder es auf die Art und Weise zu wollen wie die Nachwuchsmodels und Nachwuchssternchen. Ist zwar ein bisschen komisch, aber das bist du ja auch. Und ich wohl auch. Ich belüge meine Eltern nicht.“ Ragnar schluckte, während er die Parkplatzlage auf dem überfüllten IKEA-Parkplatz im Auge behielt. „Du bist mein Freund?“, vergewisserte er sich. „Und stellst mich deinen Eltern vor?“ „Ja“, erwiderte Jason unbefangen. „Ist eben so. Jetzt. Jetzt eben. Ich meine, was treiben wir hier? Du bist so … Ich bin froh. Froh, wenn ich neben dir aufwache, auch wenn du kuschelst, nachdem du Knoblauchbrote gefuttert hast. Mir egal. Ich freue mich trotzdem, dass du da bist. Und deutet wohl arg darauf hin, dass ich dich wohl nicht bloß ficken will?“ Ragnar konnte sich ein breites Lächeln auch nicht verkneifen. „Ich mag dich auch, wenn du stinkst“, erwiderte er. „Ich stinke nie!“, protestierte Jason. „Das glaubst du“, ärgerte ihn Ragnar und fand endlich eine Parklücke, indem er jemandem eiskalt die Vorfahrt nahm. „Macho! Geil!“, kommentierte Jason und hechelte demonstrativ, bevor er wieder anfing zu lachen. Ragnar stoppte den Wagen und griff nach Jasons Wangen. Küsste ihn. Die Proll-Familie von Gegenüber quietschte entsetzt. Aber das würde er auch, wenn er sie wäre und so etwas Wunderschönes verfolgen müsste, während er selbst drei missratene Blagen großziehen müsste. „Mmm …“, murmelte Jason. „Ragnar …“ Schon allein dieses tiefe Gurren … da fühlte er sich wie eine schwule Taube … Jason löste sich und sah ihn etwas entspannter an, als er es in den letzten Tagen gewesen war. „Los geht’s!“, forderte er. „Aber ich will nen Hotdog …“ „Kriegst du“, beruhigte ihn Ragnar. „Alles, was du willst … Baby …“ „Pfft!“ „Du hast angefangen.“ ……………………………………. Kekse! Die ersten selbstgebackenen seines Lebens. Aber das hatte Spaß gebracht! Schon allein der Teig … darin herum zu pampen… und dann die lustigen Ausstechformen aus Ragnars Kindheit … Lebkuchenmann und Engel und Weihnachtsmann und Stern… Und der Zuckerguss! Man konnte den per Hand einfärben! Wahnsinn! Der Baum war auch super. Sie hatten ihn gemeinsam unter spielerischem Gezänk ausgesucht. Jetzt prangte er in seinem halbwegs möblierten, renovierten und polierten Wohnzimmer im Weihnachtsbaumständer von Ragnars Großeltern behangen mit dem Schmuck von Ragnars Eltern. Alle tot. Aber Ragnar nicht. Ragnar lachte über seinen pinken Keks-Weihnachtmann, auf dem er gerade „Liebesperlen“ an prekärer Stelle verteilte. Er hatte immer gedacht, Liebesperlen seien – wortwörtlich – für den Arsch. Aber, oh Wunder, das stimmte gar nicht. Er lernte echt dazu. Er hatte einen leichten Zuckerschock vom Teigformauslecken. Aber das schon okay. Bei all der Bewegung setzte das schon nicht an – und außerdem … den Löffel in Ragnars Hand abzulecken … und dann ihn abzulecken … das konnte doch nicht dick machen … „Mmmmaaarrrgh …“, murmelte Ragnar in seinen Armen. Er küsste seine nackte Schulter. Fühlte sich wohl. Nein, das war wirklich viel mehr als Sex. Das war Sich-wohl-Fühlen. Durch und durch. Jeder Knochen, jede Faser, einfach … so ... gut … zuhause … entspannt … begehrt … geliebt … In seinem Kopf summten schnulzige Melodien aus den Sechzigern. „Liebe dich, Ragnar“, murmelte er. „Liebe dich, Jason“, erwiderte Ragnar und flocht seine Finger vertrauensvoll in seine, ohne die Augen zu öffnen. Dieses schnurrende Etwas in ihm breitete sich gemütlich in seinem Brustkorb aus. Das waren keine hingesagten Worte. Seit Ewigkeiten hatte er sie vermieden, nachdem ihm klar geworden war, was sie bedeuteten. Aber hier waren sie wahr. Sein Herz wuchs auf Erdtrabantengröße, wenn er an Ragnar dachte oder – noch besser – ihn hörte, roch, spürte … alle Sinne. Die Nase in diesem kitzelnden langen Haar … die Hände auf diesem muskulösen Körper … die Augen in Ragnars … und wenn es nur beim Zähneputzen war. Und sie putzten gemeinsam Zähne. Einsamer Ragnar. Einsamer Jason. Sie hatten nicht gelitten, aber das hier … war kein Vergleich. Er rollte sich herum, drückte sein Gesicht gegen Ragnar und summte: „Frohe Weihnachten, meine wilde Möhre.“ Ohne die Augen zu öffnen lachte Ragnar: „Frohe Weihnachten, mein irrer Schnapsprinz.“ Sie ließen das unkommentiert, küssten sich lieber. Konzentrierte sich auf das Gefühl. Ein langer Tag stand ihnen bevor. Seine Eltern würden um vier Uhr da sein. Jetzt war es acht. Viel Zeit – und wenig. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)