Rübenfürst und Möhrenkönig von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 10: Out of Lackaffenhausen ---------------------------------- XI. Out of Lackaffenhausen Mit einer theatralisch anmutenden Geste stellte Jason feierlich die Flasche vor ihm auf dem Wohnzimmertisch ab. „Das ist sie: die allererste Flasche „Tannenbergers Rübenfürst“!“ verkündete Jason voll Andacht. Die Flasche stammte aus dem Altglas, das Etikett war mit dem Heimrechner gedruckt und mit Alleskleber angepappt, das würde alles noch etwas professioneller zu lösen sein, aber garantiert hatte Jason da schon Pläne… Ragnar nickte anerkennend und applaudierte brav. Dieses „Meeting“ war ziemlich spontan zustande gekommen. Es war Samstagabend, eigentlich hatte sich Ragnar bereits seinen Feierabendbierchen und seinen neu erworbenen „Muppet Show“-DVDs gewidmet, aber der Rübenfürst hatte kein Erbarmen gekannt und war mit dem gerade vollendeten Meisterwerk bei ihm einmarschiert. Bisher tagte ihre Geschäftsrunde regelmäßig bei Ragnar, Jasons Daheim mangelte es nach dessen Auskunft für dergleichen leider nach wie vor an Basisausstattung wie Sitzmöbeln, Tischen und kaltem Bier aus einem Kühlschrank… Das glaubte Ragnar ihm auch unbesehen, die heiligen Hallen der Bruchbude von Buch hatte er bisher noch nicht von innen gesehen, dazu hatte ja auch kein Anlass bestanden. Soweit er es hatte verfolgen können, verfügte Jason lediglich über eine Basisausstattung an Ikea-Möbeln und Second Hand-Kram via Ebay. Ragnar konnte sich lebhaft vorstellen, dass das in Jasons ursprünglichem Daheim wohl recht anders aussah. Einstmals hatte er für Typen wie ihn Extravaganzen mit entworfen, mit denen die sich gegenseitig auszustechen gesucht hatten, ohne sie wirklich begreifen und würdigen zu können… Hauptsache teuer und von den Kritikern gelobt. Na ja, eventuell würde das Jason nach seiner Exkursion ins Landleben ein wenig anders sehen. Aber eigentlich verhieß seine Anwesenheit hier jetzt auch Interessantes nach Arbeitsschluss... „Na, dann wollen wir mal. Wo hast du Gläser?“ fragte Jason und sah sich suchend um. „Du… willst das jetzt… echt trinken?“ fragte Ragnar vorsichtig und sah ihn schon erblinden. „Nicht nur ich – du auch!“ stellte Jason klar, lächelte ihn gnadenlos platt und begann ungefragt in seinen Küchenschränken zu wühlen, bis er fündig wurde. „Und keine Angst… das Zeug ist völlig okay! Nur in dem Rahmen ungesund, wie das ein zünftiger Schnaps eben ist. Hat fünfundvierzig Prozent, vielleicht ein bisschen mehr, also Vorsicht! Oder bist du spontan unter die Abstinenzler gegangen – in dem Fall schreddere ich dir gerne ein wenig Biomöhrensaft. Obwohl das wahrscheinlich wirklich pervers wäre…“ Ragnar seufzte. „Okay… gib her. Sind wir eben unsere eigenen Versuchskarnickel, ehe wir den Kram auf irgendwen loslassen und deshalb noch in den Knast wandern. Oh weh…“, konnte er es sich nicht ganz verkneifen. So absolut geheuer war es ihm nicht, was dieser unter die Schnapsbrenner gegangene Luftikus da fabriziert hatte… aber mitgegangen, mitgehangen… und Jason hatte die Sache durchaus richtig angepackt… Er würde es überleben, unbeschadet… ganz bestimmt! „Das muss noch offiziell durch die Prüfung und zugelassen werden, klar – aber ich bürge für die Qualität mit meinem… äh deinem… guten Namen!“ beteuerte Jason und goss großzügig ein. Er reichte Ragnar sein Glas, dann prostete er ihm zu und sagte: „Auf die Geburt einer legendären Marke! Prost, Partner!“ „Prost“, konnte Ragnar nur erwidern, riss sich zusammen und kippte die Eigenfabrikation in sich. Die brannte nicht schlecht – aber ein Zucken stellte sich nicht ein. Dass sie einen sonderlichen Eigengeschmack gehabt hätte, konnte man nun nicht behaupten – aber Wodka schmeckte schließlich auch nicht nach Kartoffeln. Und es sollte ja niemand den Kram kaufen, weil er Sehnsucht nach dem Geschmack einer knackigen Möhre verspürte… „Hola!“ kommentierte Jason und knallte sein Glas auf den Tisch, „der hat’s in sich!“ Ohne abzuwarten füllte er ihnen einfach nach. „Das Leben ist schon gut!“ behauptete er. „Du bist echt… unglaublich“, konnte Ragnar darauf nur erwidern. „Wieso das denn?“ wunderte sich Jason. „Ob das auch mit Sekt und Aperol schmeckt…?“ grübelte er weiter und schien innerlich bereits diverse Möhrenschnaps-Trend-Cocktails zu kreieren. „Man müsste doch meinen, dass du hier von einem Heulkrampf, Nervenzusammenbruch, Weltzweifel in den nächsten poltern müsstest – aber nada! Stattdessen machst du… sowas! Und lobst auch noch das Leben!“ meinte Ragnar, dessen Verständnisrahmen das in der Tat sprengte, und spätestens der zweite Schnaps auf die vorangegangenen Biere drohte die neugierige Zunge etwas zu lösen. Jason legte leicht nachdenklich den Kopf zur Seite und schleckte sich selbstzufrieden den Rest des Schnapses von der Oberlippe. Wenn er nicht gerade grinste, stand diese ganz leicht vor, dass es ihm einen ekelhaft sexy Schmollmund a la Jonathan Rhys Meyers verpasst – das Leben war anscheinend eher ungerecht. „Was bringt es zu heulen? Da versaue ich höchstens alles… Aber ehrlich gesagt, hätte ich es mir hier echt schlimmer vorgestellt. Okay… das Haus, die Felder… das ist schon alles total im Arsch, aber… Ich meine… mit jedem Handschlag, den ich hier tue, wird ein bisschen mehr daraus. Und ich werde es schaffen! Weiß nicht, wieso ich das glaube… aber so ist es! Auch wenn ich dafür in eine Grube kacken muss, meine Klamotten verkaufen und mir die Finger blutig wursteln… ich kann das! Wenn ich muss, dann muss ich eben, und dann mach ich das auch… Okay, ich musste bisher nie… aber… geht schon. Und siehe: erst war hier gar nichts, und jetzt ist hier Schnaps!“ „Du bist echt nicht gerade der depressive Typ“, musste Ragnar ihm zugestehen. Sein Glas war schon wieder voll? Na gut, einer noch… „Nö, wohl nicht“, gestand Jason. „Mir ging’s bisher immer prima. Ich kenne Leute, die dennoch die Krise bekommen haben, obwohl sie doch alles hatten. Kapiere ich ehrlich gesagt nicht ganz… Finde ich irgendwie… undankbar.“ „Na ja – eventuell ist ihnen aufgegangen, dass es mehr im Leben geben muss als ein Luxus-Lotterleben…?“ wies ihn Ragnar dezent hin. Jason zuckte mit den Schultern. „Nur weil man Kohle hat, ist man ja nicht dazu gezwungen, so zu leben oder? Man kann auch bescheiden wohnen, dreihundert Semester Philosophie studieren, und es nicht an die große Glocke hängen, da gibt es auch nicht wenige von, von denen hört und sieht man nur selten etwas. Nee… sich dazu zu entscheiden und dann rum zu jammern… das finde ich… ach nee.“ „Du hast das also aus Überzeugung gemacht?“ bohrte Ragnar, obwohl er sich die Sache so ganz konkret eigentlich nicht vorstellen konnte. So ein Yacht-Luxushotel-Party-Leben oder wie? „Jein… hat sich angeboten… und ich habe wohl gut reingepasst. Hat ja sonst auch keiner etwas anderes von mir verlangt… nicht wirklich jedenfalls… Und jetzt bin ich eben hier… und es muss halt gehen… obwohl die bloß diesen Traktor kaufen sollen, ich will endlich ein zivilisiertes Scheißhaus – als Landbewohner darf man das doch so sagen? - und fließend Wasser! Davon träume ich inzwischen sogar manchmal nachts! Was ist eigentlich mit dir? Du hast doch anscheinend auch den Koller bekommen bei dem, was du früher gemacht hast?“ wollte er wissen und streckte sich wohlig aus. „Mmm“, murmelte Ragnar. „Eigentlich habe ich es gerne gemacht… war der totale Work-o-holic… aber ich habe es total übertrieben, bis es gar nichts anderes mehr gab außer der Arbeit und meinen Eltern… und dann sind die gestorben… und ich bin zusammen geklappt.“ „Scheiße, das tut mir leid“, bedauerte ihn Jason aufrichtig und kippte noch einen. „Vor sowas ist man nie sicher… Und dann… wolltest du plötzlich Möhrenbauer werden oder was? Wie kommt man denn da drauf?!“ „Äh… so direkt nicht!“ korrigierte ihn Ragnar und nahm sich auch nach. Was sollte es… wo sie schon dabei waren… Morgen war ja Sonntag und er nicht dreizehn… „Ich musste nur raus und irgendwie… was ganz anderes machen. Ich habe mich einfach umgesehen und bin dann über den Hof hier gestolpert, den es ob seines rotten Zustandes gerade ziemlich günstig gab. Und dann… hat sich so ergeben… habe eben nach den Lücken gesucht, und Bio-Möhren waren da eine gute Wahl, die wachsen hier auch bestens. Am Anfang habe ich das Meiste allein gemacht so wie du jetzt, die körperliche Arbeit hat gut getan… und dann ist die Sache irgendwie so gewachsen… Aber ich muss aufpassen, es nicht wieder zu übertreiben, doch die Tätigkeit hier, unabhängig zu sein – das ist auch immer mit ein Ausgleich.“ „Aha“, überlegte Jason. „Ja, ist irgendwie nicht schlecht, was zu machen. Inzwischen geht es auch… die Schmerzen werden weniger… ich glaube, ich kriege doch keinen Buckel…“ Ragnar fühlte ein Prusten in sich aufsteigen. Ein buckeliger Jason von Buch… oh weia… „Hey… so witzig ist das auch nicht!“ protestierte Jason, aber er grinste auch etwas schnapsselig. „Wie du schon sagtest: Man muss halt mit dem klar kommen, was man hat… das gilt wohl auch für den Humor“, schnaufte Ragnar. „Für den wohl auch…“, nickte Jason ernst. „Für so ein schnapsbrennendes, daueroptimistisches Schnösel-Söhnchen auf Abwegen bist du ganz okay“, gestand Ragnar ihm zu. „Du auch – für einen Aussteiger-Ingenieur auf dem Möhren-, aber nicht auf dem Modetrip…“, erwiderte Jason das Kompliment. „Pffft… leg dich doch gehackt mit deinen Fummeln…“, empfahl Ragnar leutselig. „Pfft… leg du dich doch gehackt mit deinem Pferdeschwänzchen“, lächelte Jason voll überzeugender Herzlichkeit. „Unterschätze nicht den Pferdeschwanz!“ rüffelte ihn Ragnar gut gelaunt. Der Schnaps hatte die Stimmung definitiv gelockert. Jasons Grinsen bekam plötzlich einen ganz anderen Unterton: „Würde ich nie tun… Pferdeschwänze zu unterschätzen…“ „Äh, was?“ kam Ragnar wieder etwas zu sich. „Karl Lagerfeld trägt schließlich auch einen!“ nickte Jason ganz ernsthaft. Ach so… Ragnar hatte fast geglaubt, dass Jasons laut geäußerte Assoziationen irgendwie nicht ganz so harmloser Qualität gewesen waren… lag wahrscheinlich daran, dass seine eigenen das zuweilen wohl auch nicht waren. „Siehst du! Wer ist hier trendy…?!“ ärgerte ihn Ragnar ein bisschen. „Du… in der hessischen Provinz. Ich… überall sonst“, informiere ihn Jason kichernd und widmete sich seinem fünften Schnaps. Ragnar zog nach. Irgendwie war es gemütlich hier… mal eine andere Form von Entspannung als die DVDs und die Zeichnungen… einfach nur rumhängen, labern… und saufen. Das war ewig her, dass er so etwas getan hatte, vor dem Abi in seiner spätpubertären Phase, bevor er kapiert hatte, dass von nichts nichts kam. Aber Jason war da das wandelnde Gegenbeispiel… vielleicht wirkte er deshalb so entspannend? Oder war das der Suff? Nee… er pichelte ja nicht zum ersten Mal einen über den Durst, das war schon irgendwie Jason. „In Lackaffenhausen vielleicht…“, gestand er ihm zu. „Genau! Aber um Lackaffenhausen dreht sich nun mal die Welt… zumindest die jener, die Zeit und Möglichkeit haben, sich in Zeitschriften oder Fernsehen damit zu beschäftigen. Schau dir doch nur das gängige Unterhaltungsprogramm der westlichen Welt an… Wo wollen die Leute leben, was wollen sie sein? Die Protagonisten eines in Cannes mit Preisen überhäuften skandinavischen Kunstfilms über die mannigfaltigen Möglichkeiten von Depressionskrankheiten in Verbund mit verschwiegenen Familiendramen – selten so gut geschlafen übrigens…? Eher nicht. Es mag viele geben, die zetern und kritteln und das Haar in der Suppe suchen und blabla… aber Fakt ist: In Lackaffenhausen ist es definitiv schöner als in Pleiteunddepressivkaff. Kann sein, dass das nicht gerade die intellektuellste Form des Daseins ist, aber da scheiße ich drauf!“ dozierte Jason gestikulierend. „Nu bistu aber nichmehr in Lackaffenhausen“, wagte Ragnar mit schwerer werdender Stimme anzumerken. „Da will ich aber wieder hin! Und werde ich auch. Und derweil bin ich eben der hiesige Landlackaffe. Gib’s zu – so ganz öde findest du das auch nicht“, durschaute ihn Jason. „Öh… stimmt schon… aber schon nbisschen skurril…“, gab Ragnar zu bedenken. „Ach, von meiner Warte aus betrachtet bist du das auch, das können wir wohl beide durchaus ab“, beschloss Jason, kurz davor endgültig in Herumlümmelhaltung zu versinken. „Aber… ich weiß nich… gibt doch noch mehr als Lackaffenhausen und Pleiteunddrepressivkaff… oder…?“ grübelte Ragnar. „Wasn?“ fragte Jason jetzt auch zunehmend angeheitert. „Weiß nich… das hier… irgendwas… weißichauchnich…“, murmelte Ragnar und musste sich eingestehen, jetzt endgültig besoffen zu sein. Gut, dass er einfach nur auf die Seite kippen musste. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)