Ein Kuss aus Salz von Palmira ({DeiIta}) ================================================================================ Kapitel 1: Ein Kuss aus Salz ---------------------------- Eine Art Sequel zu „Die tausend Kirschbäume von Yoshitsune“, muss zum besseren Verständnis aber nicht gelesen werden – es liegen immerhin gut 400 Jahre dazwischen. Sprichst du von mir, So meinst du dich, Der Weg zu dir Führt über mich. (Samsas Traum, „Zähne in der Hand“) Itachi stieg auf den Beifahrersitz des Taxis, schwieg, blinzelte. Sein Magen drehte sich um und versetzte ihn in Übelkeit – das war nicht der Fahrer, den er bestellt hatte. Und damit ruinierte es ihm alles. Der Motor brummte leise, sobald die Tür geschlossen war, und der Wagen rollte ohne Blinken aus der Parkbucht. Ein scharfes Bimmeln wies darauf hin, dass Itachi nicht angeschnallt war. Er kam der Aufforderung verlangsamt nach, während er auf die Straße starrte und sein Mund sich staubtrocken anfühlte. Das war eine Katastrophe; sicherlich hätte das niemand sonst so bezeichnet, nur weil eine Taxigesellschaft mal nicht den persönlichen Wünschen nachgekommen war. Aber Itachi hatte vor, in einer Dreiviertelstunde zu sterben. Er dachte blitzschnell, während er tief durchatmete, um sich zu beruhigen. Itachi hatte nie zu der besonders nervösen Sorte Mensch gehört, deshalb legte sich die Übelkeit. Der trockene Mund blieb freilich, und Itachi räusperte sich leise. „Schalten Sie bitte das Radio aus.“ Der Fahrer grunzte kurz und rammte seinen Handteller auf einen runden Drehknopf an der Anlage, woraufhin die trägen Klänge einer elektronischen Ballade verstummten. Es war Viertel nach eins in der Nacht, und das Radioprogramm schien bestrebt zu sein, jeden Zuhörer einzulullen. Itachi wandte den Kopf. Das Taxi war warm und roch leicht nach Zigaretten und etwas Anderem, worauf er, der zeitlebens in einer Großstadt gelebt hatte, nicht gleich den Finger legen konnte. Etwas Erdiges. „Sie sind nicht Tanaka“, stellte Itachi fest. Der Wagen ruckte, als das Taxi abrupt vor einer roten Ampel hielt, und durch den Schub wirkte es, als nicke der Fahrer bestätigend. „Doch, bin ich“, erwiderte er, und der Motor quäkte leise, sobald das Auto anfuhr. Itachi wurde wieder in den Sitz gedrückt. Wie hatte er in seiner komplizierten Planung diesen elementaren Fehler machen können? Es war lächerlich. ‚Tanaka‘ war ein gängiger Name in Japan, mit der Häufigste überhaupt. Gut möglich, dass eine Taxigesellschaft mehr als einen Mitarbeiter dieses Namens beschäftigte, und Itachi kannte den Vornamen nicht, das war viel zu privat. Jetzt musste er versuchen, die Bruchstellen zu kitten. „Was ist mit dem alten Tanaka passiert?“ Das Taxi bretterte über eine Kreuzung. Der Innenraum war dunkel, nur die Bordanzeigen verbreiteten Licht. Die Rückbank wurde durch eine dämmrige Lampe erhellt, doch die reichte nicht bis hierher. Normalerweise nahmen Fahrgäste schließlich dort hinten Platz, und Itachi hatte den fatalen Irrtum erst beim Einsteigen entdeckt. „War vor ein paar Wochen in Tokio“, brummte der Fahrer, seine Stimme hatte etwas Klangvolles und gleichzeitig Desinteressiertes. Itachi fragte nicht nach. Wenn der Mann in Tokio gewesen war, hatte ihn das Erdbeben dort erwischt, das hieß, er war nicht nur nicht hier, sondern im schlimmsten Fall tot. Und selbst wenn er noch lebte, würde man ihn nicht mit dieser Nacht in Verbindung bringen. Damit fiel das letzte Glied einer sorgsam aufgefädelten Kette weg, und Itachi konnte nichts dagegen tun. Fieberhaft starrte er auf die glatt geputzte Armatur des Taxis, als es in einen Tunnel eintauchte. Steriles Neonlicht hüllte den Wagen ein und erhellte ihn, sodass Itachi besser sehen konnte. Es war wie in einem Roman von Murakami – etwas Unbedeutendes passierte, und plötzlich öffnete sich die Wahrnehmung, man spürte eine Veränderung und sah bewusster. Itachi erkannte das Teakholzimitat der Armatur, die kleine Delle, die ein Cellokasten mal in die Stelle oberhalb einer Lüftung gedrückt hatte. Es war das Taxi, das er kannte, in dem er so umsichtig Vorbereitungsarbeit für sein Sterben geleistet hatte. Man hatte es einem anderen Fahrer gegeben, was nichts Gutes für den ursprünglichen Führer des Fahrzeugs ahnen ließ. Itachi musste umdisponieren. Er rechnete schnell; nachts war der Verkehr in Osaka ruhiger, aber noch lange nicht frei. Von dem Hotel aus, an dem Itachi eingestiegen war, würde es grob eine Dreiviertelstunde dauern, bis er den Zielort erreichte. Vielleicht noch mehr, eine ganze Stunde. Das reichte womöglich. Itachis Blick wanderte von der Delle weiter nach rechts zum Fahrer. Seit das Radio verstummt war, war es eigentümlich still im Wagen, der Motor schnurrte gedämpft, und das Geräusch kam blechern hier an, verzerrt durch die Tunnelwände. Das Licht flackerte, weil sie an den Leuchtstäben vorbeirasten. Der Fahrer sah nach oben. Das war eine ungewöhnliche Blickrichtung – ein Autofahrer sollte auf die Straße schauen oder auf den Tunnelausgang. Es ging schnurgerade voran, Itachi war nicht beunruhigt. Er wunderte sich lediglich, was es dort oben gab, da waren nur die Deckenlichter und ihr hektisches Blitzen, manchmal taghell, um auf Notausgänge hinzuweisen. Der Mann starrte unverwandt. Er wirkte nicht fasziniert oder gebannt von dem Anblick dort oben, aber er schenkte der Tunneldecke seine gesamte Aufmerksamkeit. Das Neonlicht flitzte über sein Gesicht, das dadurch einen ungesunden Schimmer gewann, grünlich. Auf Itachis ohnehin blassem Teint wirkte es richtiggehend fahl. Durch die Kopfhaltung war die Schirmmütze des Mannes nach hinten gerutscht, balancierte auf seinem Haar. Es war vorgeschrieben, diese Mützen zu tragen, und die meisten Männer trugen ihr Haar kurzgeschoren. Diesmal quoll helles Haar darunter hervor und verschwand im Kragen, wo der Fahrer es unter seine Kleidung gestopft hatte. Von der Rückbank aus hätte man es nicht gesehen. Der Fahrer hatte sich zurückgelehnt und seine Daumen lose ins Lenkrad gehakt. Er trug dünne weiße Handschuhe wie die Männer, die Menschen in die U-Bahnen schoben. Auf Itachi wirkten sie allerdings eher wie Schutzhandschuhe, die die Haut vor dem Besitz eines Toten schützten. Der Fahrer machte keine Konversation, er verließ sich in dieser Beziehung wohl auf das Radio. Die Heizung summte leise und reihte sich in die Musik der technischen Hintergrundgeräusche ein. Alle paar Sekunden zischte ein anderes Auto an ihnen vorbei. „Hübsche Kette“, sagte der Fahrer, als hätte er Itachis Gedanken gehört. Wobei es erstaunlich war, dass er das Aufblitzen von silbrigem Schmuck unter Itachis Hemdkragen überhaupt bemerkt hatte – und wann. „Ja.“ Itachi hängte keine Erklärung an, woher er sie hatte, und er bedankte sich auch nicht für das Kompliment. Ihm war nicht daran gelegen, Konversation zu machen, er musste nachdenken. Improvisieren. Itachi hasste Improvisation, er war kein flexibler Mensch. „Sie wissen doch, wo Sie hinmüssen?“, versicherte er sich nüchtern, und der Fahrer löste seinen Blick erstmals von der Decke. Es konnte sein, weil sie im nächsten Moment den Tunnel verlassen würden; der Fahrer sah Itachi an. Im letzten Aufblitzen von Neonlicht blickten ihm Augen entgegen, die so blau waren wie ein Blauer Zwergkaiserfisch. Itachi kam das Aquarium voller wimmelnder bunter Leiber aus keinem besonderen Grund in den Sinn, aber es war das Blau, das ihn erfasste. Einen Sekundenbruchteil sah er diese dummen Fische, die sich ständig jagten, darin umherschwirren. Dann war die dunkle Straße zurück und löschte das Bild. „Natürlich, hm.“ Der Taxifahrer klang verärgert, und Itachi hatte das unerklärliche Gefühl, diese Situation vor sehr langer Zeit mal erlebt zu haben. Wie er darauf kam, wusste er nicht. Wahrscheinlich war er aufgewühlt, weil ihm noch keine Idee gekommen war, wie er sein Sterben planmäßig durchführen konnte. Sein Sterben, nicht seinen tatsächlicher Tod. Der Verkehr kam nach dem Tunnel ins Stocken, und Itachi korrigierte seinen Zeitplan. Dort drüben war eine Spur gesperrt, das würde eine Weile dauern. Er überlegte, aus dem Taxi auszusteigen und zu Fuß zu gehen. Das würde zu Ungereimtheiten führen, doch womöglich war das genau das, was er brauchte. Er musste nur aussteigen und über die Leitplanke klettern, die ungefähre Richtung kannte er. Itachi spähte aus dem Fenster. In der Dunkelheit sah er ein paar Plakatwände und Beton. Vielleicht folgte er besser dem Straßenverlauf, auch wenn das unerwünschte Aufmerksamkeit auf ihn zog. „Können Sie mich hier rauslassen?“ „Nein.“ Die Antwort kam schroff und wie aus der Pistole geschossen. Itachi war Autoritäten gewohnt und hätte fraglos gehorcht, wäre das nicht von einem Ausländer gekommen. Er war sich sicher, dass es einer war, in seinem Beruf begegnete er hin und wieder Ausländern. An den blauen Augen hätte er es sofort sehen müssen, doch er hatte nicht daran denken können. Die Stimme jedenfalls hatte nichts Eingeschüchtertes, Stockendes, und ganz sicher nichts Unterwürfiges. Sie war eher zu scharf für einen Dienstleister. „Dieser Stau wird noch dauern“, wandte Itachi ein, ohne sich beeindrucken zu lassen. „Sagen Sie doch gleich, dass Sie’s eilig haben, hm.“ Der Wagen jaulte auf, als er mit den zwei Rädern der Beifahrerseite über den groben Kies der Baustelle ratterte. Itachis Magen machte einen unangenehmen Satz, als der Spiegel von einem Metallzaun eingeklappt wurde. Das gab sicherlich Kratzer im Lack. Tanaka – der echte Tanaka – wäre nie so mit seinem Taxi umgegangen. Hinter ihnen hupten wütende und vermutlich übermüdete Autofahrer, weil das Taxi sich an ihnen vorbeifädelte und in eine Ausfahrt schlüpfte, bevor es jemand aufhalten konnte. Erst, als sie wieder ruhiges Fahrwasser erreicht hatten und Itachi den kurzen Schreck überwunden hatte, bemerkte er, dass das Radio wieder lief. Der Fahrer hatte auf den Knopf geklopft, während er einen Druckschalter betätigte, um Itachis Fenster herunterzukurbeln, damit dieser den Spiegel wieder ausklappte. Das Programm spielte jetzt Vocal, und Frank Sinatra sang leise vor sich hin. Er sang von New York. Itachi konnte sich nicht konzentrieren. Nicht nur, dass der Taxifahrer ständig den Wagen demolierte und riskante Manöver fuhr, er bot auch alles an Ablenkung auf, was er hatte. Und soweit Itachi das beurteilen konnte, nicht mal absichtlich. Oder er glaubte, dass es sein Trinkgeld steigerte. Trinkgelder waren in Japan eigentlich verpönt, doch Ausländer waren allenthalben der Meinung, sich daran nicht halten zu müssen. Für ein japanisches Radioprogramm war es auch eigenartig, amerikanische Musik zu spielen. Es wurde kein Sender angezeigt. Der Fahrer sah schon wieder nach oben. Er gab nicht zu erkennen, ob er etwas bemerkte, als Itachi das Radio wieder abschaltete und sich gereizt zurücklehnte. Er hatte es eilig. Itachi plante diese Nacht seit einem Dreivierteljahr. Dass sie kommen musste, wusste er schon, seit er siebzehn war, doch erst mit zweiunddreißig ergriff er konkrete Maßnahmen. Er manipulierte systematisch sein Umfeld, und das Glück spielte ihm in die Hände – das war ihm klar gewesen, als dieser freundliche, scheinbar watteweiche Mann sich über den Schreibtisch gelehnt hatte und Itachi in seinem verständnisvollsten Tonfall zugesprochen hatte. Sie stehen unter Druck. Wer würde das nicht, in Ihrer Situation? Sie brauchen etwas Zeit, vielleicht sollten Sie sich ganz aus dem Dienst zurückziehen. Niemand würde es verübeln. Dieses stetige Vergleichen mit anderen Menschen hatte Itachi überdeutlich signalisiert, dass man ihn warnte. Es musste diese Nacht sein, da bestand kein Zweifel. Itachi hatte dafür gesorgt, dass heute alle Fäden zusammenliefen, eine trügerische Pyramide des Leids. Er war sehr umsichtig dabei vorgegangen, als er sie konstruiert hatte – er hatte sogar eine unglückliche Liebe erstellt. Zu einer Frau, die ihn nicht kannte und er sie nicht, und das war auch gut so. Er hatte einen ganzen Nachmittag damit verbracht, im Internet zu surfen und Zeitschriften zu lesen, um eine weibliche Berühmtheit zu finden, die man später seinem Geschmack zurechnen würde. Eine Frau, die wichtig genug war, um sich nicht mit der Flut an öffentlichem Interesse beschäftigen zu können, das ihr zuteilwurde. Sie würde sich nicht schuldig fühlen, wenn sich jemand wegen ihr umbrachte, weil sie objektiv gar nicht daran beteiligt war. Itachi hatte nicht vor, anderen das Leben zu ruinieren, wenn er seines beendete. Miseren dieser Art hatte er noch mehr, damit man zu dem Schluss kommen würde, dass er zu stark belastet gewesen war, um weiterzuleben. Eine säuberlich gelegte Spur, die es abwegig erscheinen ließ, dass Itachi nicht tot war, und die das Finden einer Leiche als überflüssige Trivialität abstempelte, denn es würde keine geben. Auch das Gutachten des Psychologen, des Mannes, der ihn gewarnt hatte, gehörte dazu. Ein Schriftstück, das dringend empfahl, Itachi aus dem Polizeidienst zu entfernen, zumindest temporär, damit er sein inneres Gleichgewicht wiederherstellen konnte. Man verzichtete allerdings nicht gern auf einfache Streifenpolizisten, weil der Job nicht allzu beliebt war. Es würde also zu lange dauern. Es gab bloß eines, was in diesem Gespinst echt war. Shisui war wirklich tot. Es war das Erste, was Itachi gewarnt hatte, doch er hatte nicht schnell genug reagiert, weil er nicht begriff, wie sein älterer Cousin so plötzlich weg sein konnte. Er hatte ihn gesucht, und lange zu suchen, ohne etwas zu finden, war frustrierend. Frustration war allerdings so alltäglich, dass man auf diesem Fundament besser nachdenken konnte und den Kummer irgendwann untergrub. Und Itachi hatte festgestellt, dass er nicht sterben wollte. Der Sohn seiner Tante war tot, sein Cousin war tot, aber Shisui war tot. Es klaffte dieses Loch in seiner Familie, das sich nicht füllen ließ. Und Itachi wusste nicht, ob er selbst mit seinem Sterben davonkommen würde. Der Taxifahrer hielt wieder vor einer Ampel, diesmal weniger abrupt. Seine Finger huschten kurz über einen Regler, um die Heizung höher zu drehen und das Kondenswasser auf der Scheibe zu trocknen. Sie kamen Itachi irgendwie vertraut vor, und er streckte die Hand aus und hielt sie fest. Die Finger in dem weichen Baumwollstoff spannten sich kurz an; normalerweise ergriff man den Handteller und nicht die Finger. Der Fahrer sah ihn an. Er schien das weder sonderlich peinlich noch überhaupt interessant zu finden. Er sah zumindest nicht mehr nach oben, Itachi erkannte den schwachen Abglanz auf seinem Haar. Durch das Rot wirkte es anders, nur die Augen blieben nach wie vor blau. „So schlimm fahre ich nicht“, bemerkte der Mann trocken, obwohl er lächelte. Seine Lippen verzogen sich, und seine Finger lächelten ebenso – so albern es klang. Sie hatten sich entspannt, ohne jedoch mit ihrem ganzen Gewicht nach unten zu ziehen. Dieser Taxifahrer würde nicht ahnen, was er vorhatte. Tanaka schon, Itachi hatte sorgfältig darauf hingearbeitet, ohne dabei etwas so Offensichtliches wie Tränenausbrüche oder stockende Monologe anzuwenden. Er hätte bestätigt, dass Itachi den Ort seines Sterbens mehrmals besucht hatte, in sich gekehrt gewirkt hatte, apathisch und unglücklich. Dass er am Friedhof gewesen war. Das Unangenehmste von allem, denn Shisui lag nicht dort, man hatte seine Asche zurück aufs Land überführt, und Itachi hatte sich zwischen den fremden Gräbern unwohl gefühlt. Als er nach Stunden ins Taxi zurückkehrte, hätte er fast gegrinst, weil das ganze Szenario so geheuchelt war. Es glich einer Theatervorstellung, und keiner von der guten Sorte. Und wie sich herausstellte, war sie vergebens gewesen. Itachi ließ wieder los, und weiße Fingerspitzen glitten in seinen Kragen. Es kribbelte leicht, und er protestierte nicht. Es kam ihm nicht in den Sinn – sie bewegten sich so sicher, dass man glauben konnte, sie hätten alles Recht dazu. Geschickt zogen sie die angewärmte Kette unter Itachis Hemd hervor und hielten sie hoch. Der Taxifahrer begutachtete sie, das Lächeln war immer noch da. Eine Andeutung weißer Zähne blitzte dort auf, als er eines der silbrigen Kettenglieder durch seine Fingerspitzen gleiten ließ. „Ich sagte doch, hübsch“, meinte er leichthin und zog dann unvermittelt an der Kette. Sie umspannte Itachis Hals nicht so eng wie ein Halsband, aber lang war sie dennoch nicht, sodass er durch den Ruck mitgezogen wurde. Der Verschluss biss ihm leicht in den Nacken, und er packte das Handgelenk des Fahrers, um ihn aufzuhalten. Sein Herz machte einen kurzen Satz. „Was soll das“, knurrte Itachi, es klang nicht wie eine Frage. Es war nicht das Verhalten eines Lebensmüden, aber er bezweifelte stark, dass dieser Ausländer den Unterschied erkannte. Wenn er später eine Andeutung fallen ließ, genügte das. „Einer von uns muss die Ampel im Auge behalten.“ Die weiß behandschuhte Hand arbeitete sich an den Kettengliedern entlang und verschwand in Itachis Nacken, und das mit der Präzision einer Schlange. Itachi blickte zum Gesicht des Fahrers und versuchte, sich einen Reim darauf zu machen, doch im Dunkel des Wagens konnte er kaum etwas lesen. Nur die blauen Augen stachen eigentümlich aus dem überschatteten Antlitz heraus und betrachteten Itachi wie vorhin die Tunneldecke: ohne ein Anzeichen von Faszination oder Langeweile, lediglich mit voller Aufmerksamkeit. „Die Ampel“, erinnerte der Fahrer amüsiert, seine Hand wanderte über die Wirbel zwischen den Ansätzen von Itachis Schultern. Scheinbar willkürlich drückten sie auf die Haut, nie besonders stark. Es fühlte sich angenehm an, eine viel zu intime Berührung für einen Fremden. Sie ließ ein leises Stechen unter Itachis Haut aufkommen, und einen Moment erlaubte er sich, in die Rolle des verzweifelten Streifenpolizisten zu verfallen, der hoffnungslos eine wunderschöne Schauspielerin anhimmelte und sich trösten ließ. Zumindest ging er davon aus, dass es deshalb so einfach war. Leicht benommen studierte er die Einzelheiten des Gesichts. Es war neu, so konzentriert angesehen zu werden. Itachi war ein durchschnittlich attraktiver Mann, kräftig und kein bisschen puppenhaft, obwohl seine Art, langsam zu blinzeln und die Augen wenig zu bewegen, daran erinnerten. Er war ordentlich, etwas Stechendes in seinem Blick warnte jeden, nicht zu nahe zu kommen. Der stechende Blick war erblich. Itachis Bruder hatte ihn auch, und ihre Mutter entsann sich belustigt, dass auch ihr Gatte ihn hatte, weshalb ihre erste Verabredung furchtbar steif und holprig verlaufen war. Shisui hatte ihn auch gehabt, aber sein Grinsen hatte den Eindruck ständig ruiniert. Der Fahrer schien davon nichts zu spüren – vielleicht war es zu dunkel dafür. Die behandschuhten Finger ließen die Kette keinen Moment los, wichen aber wissentlich aus. Es knisterte ganz leise, als sie über den Haaransatz fuhren, der sich unter Itachis schlichtem Zopf verbarg. Es war schwer, richtig zu atmen. Itachi strengte sich an, genug Luft in seine Lungen zu bekommen, sein Hals fühlte sich grundlos eng an. Es konnte sein, dass er nun doch Angst vor dem bekam, was ihm bevorstand, aber einen Moment lang konnte er sich nicht mal erinnern, was das war. Es war herbstlich kalt draußen, dennoch kam es ihm hier warm und stickig vor. „Es ist grün.“ Hinter ihnen hupte jemand ärgerlich. Der Taxifahrer lachte – ein erstaunlich tiefes, plätscherndes Lachen, fast professionell und zog seine Hand aus Itachis Nacken, ließ sie zwischen ihnen schweben und zeigte dem Fahrer hinter ihnen den Mittelfinger, bevor er anfuhr. Itachi erinnerte sich daran, dass er zu sorglos gewirkt hatte. Hätte er die Fahrt über geschwiegen, wie er es vorgehabt hatte, wäre vermutlich ein ausreichend fatalistischer Eindruck entstanden, doch jetzt musste er das Schmierentheater fortführen, damit sein Fahrer die richtige Aussage aufgab. Er hatte beinahe Angst, dass er wieder das Verlangen haben würde zu grinsen, weil alles geheuchelt war. Aber der Gedanke an Shisuis blutleeres Gesicht und sein eingedrücktes schwarzes Kraushaar, das nass an seinem Gesicht klebte, als man den Körper aus dem Yodo geborgen hatte, war ernüchternd genug. Weniger das Gefühl von Schmerz suchte Itachi heim, viel mehr die Gewissheit, dass etwas fehlte, dass etwas weg war, das er nicht freigegeben hatte. Das war quälender. Als der Fahrer die Hand ans Lenkrad zurücklegte, hatte er offenbar erneut das Radio eingeschaltet. Zumindest glaubte Itachi das zuerst, bevor ihm bewusst wurde, dass das Lied, das er vorhin unterbrochen hatte, einfach weiterging. Verwirrt starrte Itachi es an, ein Gefühl von Déjà-vu machte sich breit. Einen Moment glaubte er tatsächlich, es sei gar keine Zeit vergangen, anstatt den viel offensichtlicheren Schluss zu ziehen. „Ist das eine Aufnahme?“ Der Fahrer sah wieder nach oben. Mittlerweile fuhren sie durch eine ruhige Straße, wo sich Gebäude kleiner Firmen aneinanderreihten. Nachts war es hier wie ausgestorben, die Straßenlaternen waren abgeschaltet. „Ist das neuerdings verboten?“ Der Fahrer sah Itachi aus den Augenwinkeln an, seine blaue Iris wanderte dabei zur Seite, scharf wie die eines Raubtiers. Die Pupille war groß und dunkel, beinahe verschluckte sie das Blau. „Warum sollte es.“ Für gewöhnlich hätte Itachi darauf nicht geantwortet, das Gezänk war ihm zu mühselig, doch das Theater war noch nicht vorbei. „Kasernenhofton – Polizist?“ Diesmal ging Itachi über das flüchtige Flattern in seiner Brust hinweg. Mochte sein, dass er einen harschen Tonfall hatte, das gewöhnte man sich im Beruf an. Taxifahrer mochten das unterscheiden können. „Ja.“ Der Fahrer ließ nicht erkennen, ob er zuhörte, er schaute wieder in den Himmel und nicht auf die Straße. Auf der Aufnahme kamen nun Nachrichten. Itachi hatte ein gutes Gedächtnis für Chronologie, er schätzte die Sendung auf mehrere Monate alt. Der Wetterbericht klang winterlich, die Politik war bereits längst veraltet. Warum jemand das aufnahm, verstand Itachi nicht. Das Taxi holperte über eine weitere Baustelle und wurde langsamer. Vor ihnen spannte sich ein großer Bauzaun, hinter dem sich ein monströses Baugerüst erhob – Itachi erinnerte es an einen Wachhund mit einem viel zu winzigen Gartenzaun. Ein paar Plastikplanen flatterten auf dem verlassenen Gerüst, Verbotsschilder warnten vor dem Betreten. Zerlaufene Sandhügel und rostige Betonmischer ließen ahnen, dass die Baustelle nicht allzu aktiv bearbeitet wurde, hier außerhalb hatten die Dinge keine große Eile. Das war der Ort, den Itachi für sein Sterben erwählt hatte. Der Fluss war ganz nah, nah genug zum vermeintlichen Sprung. Er rührte sich nicht gleich. Die Zahlen des Taxameters glommen schwach, doch Itachi sah nicht hin. Er hatte keine Angst, nach draußen zu gehen, stellte er fest, aber auch keine Lust dazu. Was angesichts seiner Situation ziemlich profan war… Das Radio war wieder zu Musik übergegangen. Itachi holte seine Brieftasche heraus und zählte den Betrag ab. Es hätte schwierig sein müssen, das im Dunkeln zu tun, doch Itachi hatte das Geld bereits, da er die Strecke kannte. Es war sogar etwas zu viel, da er nicht damit gerechnet hatte, dass der Fahrer über die Baustelle fahren würde. Der blonde Mann hatte auf der planierten Fläche gehalten, die mal ein Parkplatz werden würde. Der Motor lief noch und somit auch der Taxameter. Der Fahrer hatte die Arme verschränkt, und Itachi erwartete halb, dass er wieder nach oben starrte, doch er sah ihn an. Dann löste er eine Hand und stellte die Scheinwerfer ab. Augenblicklich wurde es dunkel im Wagen. Der Taxameter war noch zu erkennen, ebenso wie die Bordanzeigen, alles Andere war kaum auszumachen. Itachi blinzelte; er hörte das sanfte Rascheln von Stoff und hielt dem Mann das Geld hin, oder wo er vermutete, dass jener es nehmen würde. Die Sendung ging weiter. Der Sprecher pries fröhlich die sternenklare Nacht an, in der laut der Astronomie so viele Sternschnuppen zu sehen sein würden wie seit Jahren nicht. Das war wohl der Grund, warum der Fahrer ständig nach oben schaute, auch wenn Itachi bisher nichts entdeckt hatte. Als Shisui gestorben war, hatte es auch diese Sternschnuppen gegeben; sein Körper war recht schnell gefunden worden, weil so viele Menschen am Yodo waren, um das Spektakel dort vor romantischer Kulisse zu genießen. Jetzt, wo Itachi es recht bedachte, hatte es seitdem keine Sternschnuppenschauer mehr gegeben. Dann war das die Aufnahme der Nacht, in der sein Cousin gestorben war. Itachi schluckte leise. Es knisterte, als der Taxifahrer das Geld annahm. „Was ist?“, fragte die Stimme aus der Finsternis mit einem Hauch Belustigung, wohl weil Itachi sich nicht bewegte. Die fatalistische Bemerkung, richtig. Itachi riss sich von diesem hässlichen Zufall los und löste den Anschnallgurt. Nach der Bezahlung war der Taxameter ausgeschaltet worden, weshalb es hier drin noch schwärzer war. Wechselgeld hatte er übrigens keines bekommen. „Höhenangst“, erwiderte Itachi mechanisch und log damit nicht mal. Die Aussicht, bei Kälte und Wind auf ein wackliges, derzeit nicht betriebenes Baugerüst zu klettern, war tatsächlich beunruhigend und so gar nicht der romantische Selbstmord, der einer hoffnungslosen Liebe anstand. Vielleicht gewann es wieder dadurch, dass er hypothetisch im Fluss landen sollte – bei dem Hochwasser der letzten Tage war es durchaus möglich, dass eine Leiche nicht gefunden wurde, und mithilfe des psychologischen Gutachtens würde man die richtigen Schlüsse ziehen. Je öfter er es wiederholte, desto mehr klang es plausibel. Bei Morgengrauen würde er sich wohl fragen, ob er inzwischen ordnungsgemäß ertrunken war. „Ach. Soll ich Ihre Hand halten?“ Itachis Hand lag bereits auf dem Türgriff, er drückte ihn herunter, doch das Schloss gab nicht nach, und die Frage hing noch in der Luft. Es lief jetzt wieder Musik. Itachi sah zurück zu dem Taxifahrer, zu dessen weißen Handschuhen, und ein eiskalter Schauer rann seinen Rücken hinab. Ihm war bislang nicht der Gedanke gekommen, dass es auch die Handschuhe eines routinierten Mörders sein konnten. Itachi war nur Streifenpolizist, doch er kannte Fingerabdrücke und Schmauchspuren. Er war sicherlich nur paranoid wegen dieses Radio-Mitschnitts, wegen Shisui. Itachi glaubte sich das nicht, sein Instinkt zog sich zusammen, als sich ein kalter Metalllauf in seine Seite bohrte. Er sah die Schemen der ausgestreckten Hand, die andere Hand mit dem auffälligen weißen Handschuh war verschwunden. Itachi atmete langsam ein, und der Lauf drückte sich beim Ausdehnen seines Brustkorbs umso fester auf. Alles fühlte sich kalt an, wo er mit Itachi in Kontakt kam, richtete sich in seine Wirbelsäule, wo ein Treffer fatal war und die Knochen die Kugel aufhalten würden, bevor sie womöglich austrat und in den Wagen einschlug. Danach zu schließen, wie breit der Lauf sich anfühlte, saß ein Schalldämpfer drauf. Wäre Itachi jemand gewesen, der sich wirklich den Tod wünschte, wäre er jetzt froh gewesen, dass ihm die ganze Mühe und die Möglichkeit des Überlebens abgenommen wurden. Er hätte den Fahrer sogar noch provozieren sollen, damit dieser schoss. Aber das hier war, im wahrsten Sinne des Wortes, ein anderes Kaliber. Itachi nahm seine Hand vom Türgriff und legte sie mit dem Handrücken voran in die Ausgestreckte, ohne eine Miene zu verziehen. „Ist Tanaka wirklich beim Erdbeben gestorben?“ „In Tokio“, lautete die diplomatische Antwort, und warme Finger schlossen sich um Itachis, drückten die Hand nach unten auf seinen Oberschenkel. Der Fahrer, der ihn umbringen würde, ging sachlich vor, fast schon zärtlich – niemand, der sich an dieser Situation ergötzte, aber kein sanftmütiger Charakter. „Warum… ich?“ Beinahe hätte Itachi Shisuis Namen genannt, doch im letzten Moment hielt er es für besser, sich dumm zu stellen. Es machte keinen Sinn, keiner von ihnen bekleidete eine nennenswerte Position in der Polizei. Shisui hatte kurz vor einer Beförderung gestanden, das war alles. Und Itachi war lediglich ein Streifenpolizist, jemand ohne Bedeutung. Das Radio spielte wieder amerikanisches Vocal, die Musik einer gehobenen Hotelbar. Die Hand des Fahrers, die Itachis herunterdrückte, ließ langsam los und legte sich wieder in seinen Nacken, öffnete geschickt den Verschluss der Kette. Itachi spürte, wie das angewärmte Silber nach vorn in sein Hemd rutschte, gehalten nur von einem Ende, das der Fahrer festhielt. „Wir können nicht genug Tote haben, Polizist.“ Der Tonfall des Mannes hatte etwas Lauerndes angenommen. „Als ich da gesessen habe, wo du sitzt, habe ich als Erstes geheult.“ „Das ist Programm“, entgegnete Itachi kühl – er war in seinem Beruf mit genug Schauspielern in Kontakt gekommen, um zu wissen, wann er einen vor sich hatte. Und es gab wenigstens die Chance, dass Tränen noch etwas Mitgefühl aufweichten. Der Revolver bohrte sich tiefer in seine Niere, aber der Fahrer gluckste. „Die Resultate zählen, Polizist.“ Es schien ihm Spaß zu machen, Itachi ‚Polizist‘ zu nennen, so wie er sein Satzanhängsel dann benutzte, wenn er aus der Ruhe kam. Es war merkwürdig vertraut. „Warum schießt du nicht?“ Itachi sah keinen Sinn darin, jemanden zu siezen, der ihn zu töten beabsichtigte. Und der ihn auch nicht mehr siezte. Er war schon immer pedantisch gewesen. „Muss dich vorher fragen, ob ich’s soll.“ „Nein.“ „Ah, zweite Frage.“ Der Lauf verschwand von Itachis Seite, diesmal drückte er sich gegen seine Schläfe. Ein tödlicher Schuss, sollte er abgefeuert werden, nicht länger eine ökonomisch angebrachte Bedrohung. „Lust, dein Vaterland, deine Prinzipien und deine Moral zu verraten, um einer Gruppe Terroristen zu helfen?“ Die Stimme des blonden Mannes zitterte – er war kurz davor, zu lachen. Das irritierte Itachi mehr als der einstudierte Wortlaut. Vielleicht war es dieselbe Heiterkeit, die er verspürt hatte, als er sein Sterben vorbereitet hatte. Es erschien wahrscheinlich. Der Revolver an seiner Schläfe zitterte freilich nicht. „Wofür?“ Der blonde Fahrer zog die Kette aus Itachis Nacken, sie baumelte zwischen seinen Fingern und reflektierte das wenige Licht. Es war eine schlichte, kurze Kette mit silbernen, dünnen Ringen, sie hatte keine spezielle Bewandtnis, noch war sie auffällig teuer gewesen. Man konnte sagen, dass Itachi sie an seinem Hals vergessen hatte, weil sie so wenig störte. Sie bedeutete Itachi nicht mehr als jedes andere Stück Kleidung, das er trug, aber nun, wo sie da pendelte, wollte er sie zurückhaben. Der Gedanke war so vordringlich, dass er nicht über die Enthüllungen nachdachte, über die vertrackte Situation, über sein Sterben – er wollte seine Kette, jetzt. „Dein Leben. Du hast ja Nerven.“ Ein Grinsen schwang in der Stimme des Fahrers mit, als er dem Radio mit der Seite des Revolvers einen groben Klaps verpasste und es zum Schweigen brachte, nahezu gleichzeitig schaltete er das Licht ein. Itachi blinzelte, seine Augen hefteten sich an den Revolver. Es war ein kleines Modell mit einem kurzen Lauf, in der Trommel befanden sich sechs Patronen. Der Hahn war nicht gespannt. Der verdammte Hahn war gar nicht gespannt. Itachi war ein Mensch von großer Festigkeit, aber das war etwas Anderes, als sich in einem dunklen Taxi mit einer Waffe bedrohen zu lassen und dabei ganz ruhig zu wirken. Itachi wollte einfach seine Halskette zurück, und man mochte den Eindruck gewinnen, dass er tatsächlich Nerven wie Stahlseile hatte. Der Taxifahrer behielt ihn im Auge – natürlich tat er das. Er wartete auf augenfällige Erleichterung, ein Zusammenbrechen der Gelassenheit wegen des nicht gespannten Hahns, und dieses kleine Versäumnis war schlichtweg Absicht gewesen. Die Beifahrertür wurde geöffnet, kalte Nachtluft strömte herein. Itachi fröstelte. Er wusste, dass draußen jemand war, seine Nackenhärchen stellten sich auf. Das Baugerüst quietschte leidend, als wollte es die bedrohliche Atmosphäre untermauern. Er meinte, das Zischen einer Klinge über seinem Nacken zu spüren, in einem Moment, in dem er grundlos glücklich gewesen war. Zweifellos spielten seine Nerven ihm einen Streich, um sich an ihm zu rächen. Er hatte diese Situation nie erlebt, auch nicht in einem Alptraum. Selbst wenn das nicht hieß, dass sie nicht existierte. „Gib mir die Kette zurück.“ Itachi streckte die Hand aus, und der Fahrer starrte ihn verständnislos an. Die hereinblasende Kälte verlieh seiner Haut einen hübschen, rosigen Unterton und etwas Lausbubenhaftes, als sei das in seiner Hand ein Stock und kein geladener Revolver. Die Waffe lag locker, wurde vor allem von dem Abzugsfinger gehalten. Sie war nicht länger auf Itachi gerichtet, woraus dieser folgerte, dass draußen jemand auf ihn anlegte. In dem erleuchteten Innenraum bot er sicher ein leichtes Ziel. Dass es so still war – das war unheimlich. „Sonst keine Probleme?“ Der Fahrer nahm seine Mütze ab und schüttelte den Kopf. Das eigenwillige Blau seiner Augen war wieder besser zu sehen, nachdem die Pupillen sich zusammengezogen hatten. „Willst du sterben?“ Das wollte Itachi nicht. Er wollte auch nicht gegen das Gesetz verstoßen und sich mit Terroristen verbünden, die ihn danach entsorgen würden. Sein Fahrer hatte einen hohen Wiedererkennungswert, und Itachi konnte schwer sagen, wie wichtig er für diese Gruppe war. Wohl ebenso austauschbar wie der Wagen, wenn er nicht noch eine andere Funktion hatte. Das Zuschnappen eines Laufs ließ kalten Schweiß zwischen seinen Schulterblättern entlanglaufen. Es war ein sehr deutliches ‚Genug‘ von draußen. Unmittelbar danach knirschten Schritte auf dem Schotter, und die Fahrertür wurde geöffnet. Itachi sah absichtlich nicht hin, auch wenn die Versuchung enorm war. Er starrte stur geradeaus, aus den Augenwinkeln erhaschte er etwas, was ein grauer Kapuzenpullover oder etwas Ähnliches sein konnte. Er wollte nicht mehr wissen, als er sollte. Er wollte das hier überleben. „Schluss mit Flirten für heute“, verkündete eine leicht raue Stimme, männlich, sie hatte den Hauch von Heiserkeit, den man sich unweigerlich einfing, wenn man bei diesem Wetter nur mit einem Pullover bekleidet draußen war. „Hast du deine Dienstmarke dabei?“, fuhr die erkältete Stimme fort und richtete sich offenbar an Itachi. „Nein.“ Wenn jemand zu sterben beabsichtigte, nahm er nicht seine Dienstmarke mit. Itachi hatte keinerlei Papiere bei sich, er würde nicht unter seinem Namen weiterleben können – wenn sich das mit dem Leben nicht eh schon erledigt hätte. Die Stimme schnaufte missbilligend und hustete. „Was machen wir?“ „Kurzen Prozess.“ Die zweite Stimme, ebenfalls männlich, gehörte demjenigen, den Itachi bereits auf seiner Seite des Wagens im Dunkeln vermutet hatte. Sie war scharf und fest wie Eisen, nicht die Art, die Hoffnung auf Skrupel weckte. Die erkältete Stimme klang wenigstens müßig, wie jemand, der das alles nicht ernst nahm. Der Fahrer ließ die Halskette pendeln. Eine gewisse Anspannung ging von ihm aus, und Itachi musste daran denken, was er über sein eigenes Verhalten in dieser Situation gesagt hatte. Nun, heute würde das wohl kaum weiterhelfen. Hatte Shisui seine Dienstmarke bei sich gehabt, als man ihn geborgen hatte? Itachi versuchte, dieses nichtige Detail in seinem Gedächtnis zu finden, doch es wollte ihm nicht gelingen. Es war nicht gesagt, dass diese Männer ihn getötet hatten, aber es war nicht von der Hand zu weisen, dass es möglich war. „Sieht etwas heller aus als der Letzte“, kommentierte die heisere Stimme. Ob das ‚heller‘ bedeutete als der letzte Fahrgast oder der Letzte, der auf diese Weise verschwunden war, vermochte Itachi nicht zu sagen. „Aussteigen“, knurrte die Stimme des Schützen, ohne sich für die Bemerkung zu interessieren. Itachi gab es auf, seine Kette zurückbekommen zu wollen, sein Sterben konnte er vergessen. Diesmal war es der Tod. Und er war überhaupt nicht ruhig oder entspannt; er hatte Angst. Zu viel Angst zum Weglaufen. Seine Augen waren trocken – er hatte zu viel Angst, um Theater zu spielen. Itachi stieg aus dem Wagen und machte einen Schritt, als ihm ein schmaler Lauf in die Magengrube gerammt wurde und ihn damit unmissverständlich anhielt. Ein Jagdgewehr wahrscheinlich, wie unwahrscheinlich passend. Jemand ging kein Risiko ein. „Pack mal mit an, Iz.“ „Mitten auf der Straße?!“, zischte die erkältete Stimme, doch Schritte näherten sich. Wer immer das Gewehr hatte, war offenbar nicht kräftig genug, um einen Körper zu tragen. Der Fahrer war auch ausgestiegen. Er lehnte an dem offenen Taxi, das Licht illuminierte sein gelbes Haar auf eine leblose, hässliche Weise. Itachi blickte zu ihm, weil er das als unverfänglicher einschätzte. Der Blonde ließ die kleinen Ringe aus Silber durch seine Finger gleiten wie Gebetsperlen. Er war ein Zuschauer, aus irgendeinem Grund. Als er Itachis Blick auffing, lächelte er zu dessen Überraschung. „Dieses Mal, hm?“, murmelte er, und Itachi wusste nicht, ob es das Satzanhängsel war oder wirklich der Anklang zu einer Frage. Das Jagdgewehr bohrte sich in Itachis Rücken, jemand hinter ihm zog die Nase hoch und spuckte dann aus. Eiskalte Finger legten sich auf seinen Kiefer und drückten unbarmherzig zu. Itachi gehorchte der stummen Aufforderung und öffnete den Mund ein Stück; kurz darauf fühlte er eine scharfe Klinge, die zwischen seine Lippen drang. Was für eine altbackene Art zu sterben, mit einem Messer in der Kehle. Itachis Mund war staubtrocken, und er wagte nicht zu atmen. Wenn Menschen sich in den Mund schossen, war das ein scheußlicher Anblick. Ein Messer im Gaumen würde kaum weniger scheußlich sein. „Brauchst du Licht?“, spottete die Stimme hinter ihm, und das Messer zuckte gefährlich, hielt kurz inne. „Halt’s Maul.“ Itachi wartete auf den Schmerz, und der Schmerz kam, füllte seinen Mund mit Blut. Allerdings viel langsamer, als er geglaubt hatte, und es strahlte lediglich von seiner Wange aus. Das Messer war fort. Der Mann hatte ein Stück Haut aus seiner Wangeninnenseite geschnitten. Wenig später hörte Itachi das Klicken einer Plastikdöschens, wahrscheinlich mit Alkohol, um die Zellen zu konservieren. Eine Taschenlampe leuchtete auf, und Itachi blickte in schwarze, mitleidlose Augen. Sie lächelten, auch wenn nicht eben freundlich. „Ich bringe dich jetzt um“, erklärte der Mann mit dem blutigen Messer bedächtig und wandte sich ab. Es war unschwer zu erkennen, was er meinte, wenn er Genmaterial von jemandem genommen hatte, dennoch zog Itachis Herz sich zusammen. Er fühlte sich unsicher auf den Beinen, und der salzige Geschmack von Blut füllte noch immer seinen Mund. Der Fahrer griff nach seinem Arm und zerrte ihn mit sich, schubste ihn zurück auf den Beifahrersitz. Der Mann im braunen Kapuzenshirt drückte ihm einen Plastikbecher in die Hand, in den er den blutigen Speichel spucken sollte, bevor er sich abwandte und dem anderen nachlief. Itachi wollte nicht wissen, was sie tun würden. Oder was er ihnen erlaubt hatte, zu tun. Vielmehr, wovon er sie nicht abgehalten hatte. Der Fahrer beobachtete ihn mit einer eigenartigen Mischung aus Belustigung und Zärtlichkeit, wie einen alten Geliebten, dessen Fehler er zur Genüge kannte, die er ihm jedoch irgendwann nicht mehr verübeln konnte, so sehr sie auch lästig waren. Itachi spie zähen, rötlichen Speichel aus und biss die Zähne zusammen. Eine jähe Welle von Übelkeit erfasste ihn, ganz wie zuvor, und er beugte sich vor, als sein Sichtfeld an den Rändern schwarz wurde. Kaltes Silber legte sich wieder um seinen Hals, der Verschluss wurde mit einem nahezu unhörbaren Klicken eingehakt. „Was soll das“, krächzte Itachi und meinte mehr sich selbst als den anderen. Er konnte nicht fassen, was er in Kauf nahm, um am Leben zu bleiben. Er brauchte den beiden Männern nur nachzulaufen, um das zu beenden. Aber er rührte sich nicht. Er war zu feige, um das zu verhindern. Für seine Familie würde er ohnehin tot sein, doch nicht tot wie Shisui. „Ich musste ja sicher gehen, dass du diesmal anders handelst“, erwiderte der Taxifahrer leichthin und zog seine Handschuhe aus. Die Hände darunter waren schmal und kräftig, rau an Knöcheln und mit kurzen, sauberen Fingernägeln. Weiße Fasern der Handschuhe klebten an seiner Haut, an dem Schweiß, und sie bestätigten, dass er keinesfalls so ruhig gewesen war. Das war aber auch alles, was ihn verriet. Itachi starrte ihn ungläubig an, während der Blonde lediglich seinen Sitz zurückstellte. „Das wird etwas dauern“, brummte er und schloss knallend seine Tür. Als Itachi nicht dasselbe tat, beugte er sich mit einem gereizten Seufzen zur Seite und zog sie zu, dann packte er wieder die Kette und versetzte ihr einen scharfen Ruck, bis ihre Nasen sich fast berührten. Blaue Augen funkelten Itachi unnachgiebig an, die Weichheit von vorhin war nicht mehr zu entdecken, als habe es sie nie gegeben. Womöglich war sie ja Einbildung gewesen. „Diesmal meldest du dich vorher bei mir ab, bevor du abkratzt, Arsch.“ Er ließ los und warf sich in den Sitz, vorwitzige Haarsträhnen befreiten sich bereits aus seinem Kragen, wo er sie hingestopft hatte. Der Fahrer drehte die Heizung höher und schaltete das Radio an, diesmal das ganz normale, öde Nachtprogramm. Itachi sah ihm dabei zu und fuhr schweigend mit den Fingern über seine Kette. Der Taxifahrer musterte ihn bohrend und verschränkte die Arme. „Mein Name ist Deidara. Auf gute Zusammenarbeit, Polizist… hm.“ fin Ich mag es nicht besonders, wenn ein Autor schreibt, dass er nicht weiß, ob er weitermachen soll und sich da mal auf Feedback verlässt – das ist zwar nicht immer eine Aufforderung an Leser, ihn doch bitte mal anzuflehen, klingt aber ständig wie eine. Aber das Schreiben hieran hat Spaß gemacht. Ich bin also mit jeglicher Reaktion einverstanden, Kritik wie immer eingeschlossen. Was die Murakami-Referenz angeht, das sollte kein Angeben sein; aber eins der Bücher beginnt auch in einem Taxi unter etwas ähnlichen Umständen. Allerdings steigt die Erzählerin im Roman auf der Straße aus. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)