Die dunkle Tür (29.09.2010) von diehandvongott ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Nahzdret starrte. Nahzdret war ein kleiner, unbedeutender Dämon. Die ganze Zeit war er damit beschäftigt, umherzuwuseln, zu schreien, zu fressen und sich die Pusteln auf seiner verhornten Lederhaut aufzukratzen. Kurz gesagt, er war damit beschäftigt, irgendwie zu leben. Dieses Leben verbrachte er seit seiner Geburt vor einer unbestimmten Zeit in einem dunklen Raum, der die Ausmaße einer großen Halle hatte und eigentlich immer stockduster war. Nur ab und zu drang etwas in Nahzdrets Lebensraum, was keine Dunkelheit war. Man nannte es Licht. Doch Dämonen seiner Art wussten so etwas nicht. Eher durch einen dummen Zufall war es ihm beschieden, überhaupt etwas wie Intelligenz zu besitzen, im Gegensatz zu seinen widerlichen Artgenossen. Er besaß nur einen kleinen Funken Intelligenz, dieser reichte gerade einmal dazu aus, dass er sich selbst erkannte und dass er „er“ war und nicht der andere Dämon dort mit der Echsenhaut und den großen Muskeln. Mit einer einzigen Ausnahme war Nahzdret auch nicht wirklich zu weiteren Gedankensprüngen fähig, die ihn auf den Weg rationalen Denkens gebracht hätten. Vorausschauendes Gedankengut blieb ihm verwehrt. Was er stattdessen hatte, war ein anderes stumpfes, taubes Gespür, welches mit seiner spröden Intelligenz einherging. Interesse. Für die Nichtdunkelheit. Nahzdret starrte. Er starrte an die Stelle, wo das wabernde Licht zum letzten Mal erschienen war. Seine Kehle formte undefinierte Laute. Schreien war instinktbedingt und reflexartig und ließ sich daher leider nicht kontrollieren. Aber sein sowieso relativ unterentwickeltes Gehör registrierte das immerwährende Gekreische mit Langeweile. Für ihn war sein Gehör für etwas ganz anderes von viel größerem Nutzen. Man konnte nicht sagen, dass er sich – wie alle – an die Lebensgeräusche der unbedeutenden Dämonen gewöhnt hatte, denn er war schon vor seiner Geburt damit konfrontiert gewesen. Ganz anders aber war es, wenn sich das Licht zeigte. Egal, wer auch immer gerade akustisch auf sich aufmerksam machte, von dem Lichtdurchgang ging etwas aus, was keinen Lärm verursachte. Es war Ruhe. Stille. Allmählich beherrschte sie den Raum. Selbst die tumbste Kreatur spürte anfänglich – rein instinktiv – dass etwas Besonderes vor sich ging, was nicht gestört werden wollte. Eine Gestalt tauchte aus dem Licht auf, so dunkel, wie das Innere des Raumes. Das Erstaunliche war, dass die Lichtquelle keine feste Form zu besitzen schien und sich immer genau der Körperstruktur derjenigen Kreatur anpasste, die durch sie hindurch ging. Die Geschehnisse, die sich nach dem unregelmäßigen Erscheinen der Lichtquelle abspielten, waren stets gleich. Eine große und kräftige Dämonengestalt verfremdete Nahzdrets Sinneswahrnehmung und sein Umfeld, blieb ein paar blinde Augenblicke, in denen sie scheinbar nichts tat, ging wieder und die ‚Dunkle Tür’, wie Nahzdret beiläufig vernommen hatte, als es die mächtige Gestalt einmal gesagt hatte, veränderte ihre Form. Es war ein Schauspiel, für das es keine Vergleiche gab. Die Nichtdunkelheit brannte in seinen kleinen Augen, doch er konnte sich seines Interesses nicht entziehen und starrte wieder und wieder hin. Ein anderer Dämon aus der stupiden Masse schlurfte auf das Weiß zu, welches gerade exakt seine Struktur angenommen hatte, sodass nur er hindurchgehen konnte. Dann verschwand die Anomalie der Dunkelheit und ließ nur Schwärze und die restlichen Dämonen zurück. Es war wieder lauter geworden, doch dies interessierte keinen. In Nahzdrets schwachen Augen flimmerte der letzte Schimmer der Lichtpforte als heller Punkt und verblasste schließlich immer weiter, bis er ganz verschwunden war und die Normalität zurück in sein Leben gedrungen war. Im nächsten Moment hatte er vergessen, wer gerade verschwunden war. Es war unwichtig und er hätte es sich sowieso nicht merken können, zu sehr waren seine seltenen klaren Gedanken auf die Abnormität gerichtet und nicht auf sein triebhaftes Verhalten, welches sich nur mit Fressen und Ähnlichem beschäftigte. Es gab nur das Jetzt und die Tür. So registrierte er auch nicht, dass eben jene Tür in letzter Zeit vergleichsweise oft auftauchte und immer mehr niedere Dämonen hindurchgingen und nie wieder zurückkamen. In der dunklen Halle wurden die Dämonen zahlenmäßig nicht weniger, da immer wieder welche geboren wurden. Doch erklärte dies nicht, warum die Tür überhaupt erschien. Nahzdret verbarg dieses Wissen in seinem kleinen Kopf, unfähig, es je wieder abzurufen, obwohl er es besaß. Als das Schwarz des Raumes wieder einmal gebrochen wurde und die unnahbare Magie der höheren Dämonen den Durchgang offen hielt, vernahmen Nahzdrets Ohren ein Gespräch zwischen zwei Dämonen, die auf der anderen Seite seines Lebens standen. „Lord Zorc, wir brauchen mehr Dämonen, um unseren Feinden den vernichtenden Schlag zuzuführen.“ „Ich werde mich darum kümmern, Meister Ha Des. Ich habe bereits den Zauber der ‚Dunklen Tür’ gewirkt, um die Armeen zu vergrößern. Bald werden unsere Feinde vor unserer Macht in die Knie gezwungen werden, hahaha.“ „Hahaha, ich kann es kaum erwarten, beeilt Euch.“ „Sehr wohl, Meister Ha Des. Das Portal zur anderen Dimension hat sich bereits geöffnet. Sie können sich nun hindurch begeben.“ Mit einem süffisanten Lachen betrat der Dämon, der Meister Ha Des genannt wurde, die andere Dimension, Nahzdrets Dimension. Die ‚Dunkle Tür’ war ein Zauberspruch, den nur wenige hochrangige Dämonen beherrschten und der ihnen Zugang zu ihren Brutstätten verschaffte. Da es unerheblich war, wie die Brut innerhalb der Räume aufwuchs und nur zählte, dass sie kräftig in der Gestalt und hörig gegenüber den Befehlen ihrer Herrscher und Beherrscher waren, blieben die Räume zeitlebens dunkel. Die Welt der diesseitigen Dimension war aber nicht dunkel. Aus jenem Grund nannten die großen Dämonen diesen Dimensionstorzauber nur ‚Die Dunkle Tür’, da pechschwarze Kälte aus dem Riss zwischen den Welten stach und lebendige Schattenwolken auf den Fußboden warf, die jedem Menschen sofort die Seele schockgefrieren würde. Doch der kleine Dämon wusste all dies nicht. Was hätte es ihm genützt? Sein sinnloses Leben lag in der Hand der schwarzen Gestalten, die stetig aus dem Etwas hervortraten, was für ihn zu dem geworden war, dessen Erkenntnis ihn von allen anderen in seiner Dimension unterschied. Nahzdret verlor sein Interesse. Er starrte nicht mehr und fing wieder an, auf dem Boden herumzukriechen, um etwas zu finden, in das er seine speicheltriefenden Kiefer hineinschlagen konnte. So verging die Zeit. Entweder war er fasziniert von dem Schauspiel oder er lebte vor sich hin. Mehrere Male öffnete und schloss sich der Spalt wieder und einzelne Dämonen gingen hindurch. Einmal sogar ging ein Dämon direkt neben ihm schnurgerade auf die Helligkeit zu. Der Schein rings um ihn wurde immer schwächer, bis ihn irgendwann nur noch ein dünner Glanzstreifen umgab. Als er das Tor erreicht hatte und die Dunkelheit den Dämon komplett umrahmt hatte, verschwand im selben Moment der Durchgang. Der Zauber hatte seine Wirkung entfaltet und sich dann aufgelöst. Dann irgendwann nahm die Tür Nahzdrets Form an. Er starrte wieder, aber aus gedankenklaren Augen des puren Interesses, so pur das Interesse eines Lebewesens seiner Art sein konnte. Eine lähmende Macht hatte von seinem Körper Besitz ergriffen und steuerte ihn gegen seinen schwachen Willen in Richtung des Lichtes. Er war ein Gefangener in seinem eigenen Körper. Ein Zuschauer seines Fleisches, welches gerade nicht von ihm bewegt wurde. In seinen Augen brannte wieder die Helligkeit. Sie brannte und brannte und wurde immer schmerzvoller, sodass er seinen Blick gern abgewandt hätte, wenn er es gekonnt hätte. Doch noch immer war er zum Zusehen verdammt. Er sah, wie er sich weiter näherte, während rings um ihn die anderen Dämonen in stiller Starre verharrten. Völlig desinteressiert standen sie herum und wussten nichts mit sich anzufangen. Nur ein kleiner Dämon mit Lederhaut tat plump einen Schritt vor den anderen. Allmählich erreichte er das Dimensionstor. Nie in seinem Leben war mehr Nichtdunkelheit als Dunkelheit vor und in seinen Augen gewesen. Er hatte die ‚Dunkle Tür’ erreicht. Er schritt hindurch und was er sah, hätte er nie im Leben für möglich gehalten. Die Tür hinter ihm schloss sich für immer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)