Unauffällig? von Miroir ================================================================================ Von wegen! ---------- „G-Guten Tag, ich werde von heute an in dieser Abteilung arbeiten.“ William sah kaum auf, als der Neue sich stotternd vorstellte. „Name?“, fragte er knapp. Er hasste es, Zeit mit Floskeln zu verschwenden. Überstunden hasste er noch mehr und die drohten wenn er hier nicht schnell voran kam. „Grell Sutcliff“, kam es fast ein bisschen eingeschnappt ebenso knapp zurück. Offensichtlich mochte dieser Todesgott es nicht, unhöflich behandelt zu werden, und hatte über seinen Ärger sogar seine Befangenheit vergessen. Nun schielte William doch über die Ränder seiner Brille hinweg. Vor ihm stand eine zierliche Gestalt, braune Haare zu einem schlichten Zopf gebunden, hübsche aber recht unauffällige Gesichtszüge und große, grüne Kulleraugen. „Nun, du kannst gleich mit der Arbeit anfangen. Du kannst jetzt gehen“, erklärte William ungerührt vom patzigen Tonfall des anderen und wandte sich schon wieder seinen Dokumenten zu. Er hörte wie die Tür laut ins Schloss knallte. ~ „Ähm, William? Ich verstehe nicht ganz-“ „Supervisor William Spears heißt das“, korrigierte William die saloppe Anrede. Er drehte sich um, um zu sehen, wer ihn da so frech ansprach. Ah, der Brünette vom Tag zuvor. Den Namen hatte er schon wieder vergessen. Zu viel Arbeit nahm zu viel Platz in seinem Kopf ein. „Wer warst du nochmal?“, erkundigte er sich darum barsch. Nicht die höflichste Art zu fragen, aber Zeit war Geld und normalerweise legte William Wert darauf, andere richtig anzusprechen. Doch aktuell war er, wie gesagt, sehr im Stress. „Grell. Grell Sutcliff. Und ich habe da ein Problem mit-“. Wieder ließ William ihn nicht aussprechen. „Frag jemand anderen, ich habe gerade keine Zeit.“ Er drehte sich auf dem Absatz um und schritt eilig weiter, um einen Bericht abzuliefern. Das zornige Schnauben hinter sich bekam er schon gar nicht mehr mit. ~ „Ah, Grell Sutthive, Arbeit für dich. Komm“, befahl William ein paar Tage später, als er den braunhaarigen Shinigami im Gang traf. Er ging schon los und war ein paar Schritte weit, ehe er merkte, dass der andere einfach stehen geblieben war. Verwirrt drehte er sich um. Er war es nicht gewohnt, dass jemand seine Anweisungen nicht befolgte. „Grell Sutcliff heißt das“, korrigierte Grell, indem er Williams Wortwahl verwendete. Dieser konnte sich ein Schmunzeln gerade noch verkneifen und verstand sich gut darauf, es den anderen nicht sehen zu lassen. Nicht umsonst herrschte in seiner Abteilung das Gerücht, William könne nicht lachen. Er sah keinen Vorteil darin, das Gegenteil zu beweisen. ~ „Was muss ich nur machen, damit er sich meinen verdammten Namen merkt? Manchmal habe ich das Gefühl, er erkennt mich nicht mal wieder!“, schimpfte Grell, als er zusammen mit ein paar Kollegen Pause machte. Dieses Verhalten nervte ihn wirklich außergewöhnlich, vor allem da William genau sein Geschmack war. Groß, attraktiv, etwas kühl und emotionslos, intelligent. „Du fällst eben nicht auf“, antwortete ein anderer Shinigami, „Ich meine, wenn man dich nicht näher kennt. Dein Charakter ist recht speziell, aber wenn man dich nur sieht – nicht sehr einprägsam.“ Grell starrte nachdenklich vor sich hin. Unauffällig? War er tatsächlich unauffällig? Sein Charakter sicher nicht, wie der andere Todesgott auch zugegeben hatte. Wer verhielt sich schon sonst als Mann wie eine Lady? Er war sicherlich einzigartig und sehr zufrieden damit. Unzufrieden sah er an sich herab. Braune Haare – wie unmodisch. Daran hatte er schon immer etwas ändern wollen. Und an seinem Gesicht auch. Er wusste nur nicht, was. Sein Outfit war auch noch verbesserungsfähig, befand er. Dumm, das Anzüge als Kleidung vorgeschrieben waren. Dabei hasste er Krawatten. Eine Schleife wäre so viel schicker. Oder lag es an seiner Größe? Mit seinen 1,75 Metern stach er ja nicht gerade ins Auge, vor allem da die meisten seiner Kollegen ihn um mindestens einen Kopf überragten, oft um mehr. Es war direkt tragisch, aber für eine Dame schickte es sich ja auch nicht, größer zu sein. Dann kann man nicht mehr durch lange Wimpern zu den Herren hinauf blinzeln. Aber er hatte schon eine Idee. Ein Grinsen schlich sich auf sein Gesicht, das so gar nicht zu seinen niedlichen Gesichtszügen passen wollte. „Na warte, William Spears“, dachte er sich, „mich vergisst du nicht mehr so schnell.“ ~ „Klack. Klack. Klack.“ William hörte das Klackern von Stöckelschuhen auf dem Parkett des Gangs bis in sein Büro, weil es ungewöhnlich still war im Gebäude. Warum zur Hölle waren alle verstummt und machten nicht den gleichen Höllenlärm wie sonst, womit sie ihn gewöhnlich von der Arbeit ablenkten. Er sollte sich freuen, doch irgendwie war diese Stille in der man nur das Klackern von Absätzen hörte, dass inzwischen ebenfalls verstummt war, unheimlich. Dann brach wieder Lärm aus, lauter als zuvor. Gelächter, erstaunte Ausrufe, aufgeregtes Geplapper. Nur wurde William tatsächlich neugierig. War ein Gast da? Er öffnete die Tür und trat auf den Gang, von dem der Lärm kam. Offensichtlich alle Shinigami der Abteilung standen um jemanden herum. William hatte Mühe sich hindurch zu drängeln, aber als sie ihn erkannten machten sie ihm freiwillig Platz. In der Mitte stand jemand mit feuerroten Haaren, der William irgendwie bekannt vorkam. Er konnte sich aber nicht erinnern woher. Make-Up, rote Brille, hohe Schuhe, provozierender Gesichtsausdruck, Haifischgrinsen und dazu dieses Haar. Nur die Augen – diese grünen Augen kamen ihm vertraut vor. „Na, Willy, hast du mich erkannt?“, fragte der nun Rothaarige spöttisch und als er die Stimme hörte fiel es William auch wieder auf. Er war zu verblüfft, um auf den schrecklichen Spitznamen zu reagieren, was später für einige Witze unter seinen Untergebenen sorgte, die sich vor Lachen kaum halten konnten. „Grell Sutcliff!“, platzte William heraus, völlig baff. „Ja, das ist ausnahmsweise mal der richtige Name“, antwortete Grell mit Genugtuung und ging zu seinem Schreibtisch, ließ sich auf seinen Stuhl fallen und legte demonstrativ die Beine auf den Tisch. „Und glaub mir, du wirst ihn nie wieder vergessen!“ ~ Zwei Jahre später. „GRELL SUTCLIFF! KOMM SOFORT RUNTER ODER ICH SORGE MIT MEINER DEATH SCYTHE DAFÜR!“ Genüsslich streckte Grell sich auf dem Dach aus und wandte sein Gesicht den wärmenden Sonnenstrahlen zu. Er war stolz darauf noch immer der Einzige zu sein, der William von Zeit zu Zeit aus der Fassung brachte. Sein Versprechen hatte sich erfüllt. Sein Name würde William Spears wohl bis zum Ende seines langen Lebens verfolgen. ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)