Teufelsgelächter von Ricchan (~ Walk away from the Sun ~) ================================================================================ Kapitel 1: Teufelsgelächter --------------------------- Ich kann den Teufel lachen hören. Seine grässliche Stimme dröhnt in meinen Ohren, wispert mir zu, macht mich gehörig und taub. Seine Versprechen sind die Verführung selbst. Er sagte, dass du für immer und ewig die meinige sein wirst, dass ich dich niemals gehen lassen soll. Oh, meine Geliebte. Warum starrst du mich so an? Warum sind deine Augen so leer? Hast du mich wieder verlassen oder wirst du es erst? Ah… dieses Lachen… dieses Lachen… Hörst du es? Wie der Teufel sein Lied singt? Komm, komm zu mir und hör zu. Lausche seinem eindringlichen Flüstern. Hör auf ihn. Sei mein, Geliebte, sei mein. Teufelsgelächter Wenn ich gewusst hätte, was heute für ein Tag sein würde, wäre ich erst gar nicht aufgestanden. „Lillian! Schatz, du musst zur Schule!“, rief meine Mutter und klopfte nun zum dritten Mal an meine Zimmertür. Heute war Freitag… Also der Tag neben Montag an dem man so gar keine Lust hat sein federweiches Bett zu verlassen und den langweiligen Gang in die Schule anzutreten. Ich wollte endlich Wochenende haben! Verdammt, warum konnte nicht nur an zwei Tagen Schule sein und dafür an fünf Wochenende? Das war doch einfach nur ungerecht… Seufzend schob ich meine Bettdecke zur Seite und fuhr mir mit den Fingern durch meine braunen Locken, als meine Mutter erneut an meine Tür klopfte. Ein Glück das ich einen Schlüssel besaß, so konnte ich wenigstens abschließen, damit sie nicht einfach so reinplatzte. Vollkommen müde erhob ich mich und schlurfte zu meinem Kleiderschrank. Was sollte ich heute nur anziehen? Schnell lugte ich alle Fächer durch, nur um mal wieder festzustellen, dass ich nichts Passendes hatte. Trotzdem zog ich etwas heraus und verlies dann mein Zimmer um im Bad zu verschwinden. Ich huschte so schnell ich konnte den Flur entlang, versuchte dabei nicht auf die offene Zimmertür meines Bruders zuachten und schloss das Bad dann hinter mir ab. Ich wusste nicht wieso, aber ich hatte ständig das Gefühl, dass mein Bruder mich beobachtete und da ich in der Pubertät war und er für mich einfach nur ein nerviger Erwachsener, war das alles andere als angenehm. Wenn ich gewusst hätte, was heute für ein Tag sein würde, dann wäre ich noch einmal in mein Zimmer gegangen, hätte den Schlüssel aus der Tür gezogen und von außen abgeschlossen. Ich hätte den Schlüssel in meine Hosentasche verschwinden lassen und sicher gestellt, dass er mir nicht verloren ginge. „Du siehst müde aus.“, stellte mein Vater nüchtern fest als er beim Frühstück eine kurze Sekunde von seiner Zeitung hervor lugte. Ich gähnte: „Solltest du nicht schon längst auf Arbeit sein?“ „Lillian!“, stieß meine Mutter wütend hervor und knallte ihre Tasse Kaffee auf den Tisch, doch mein Vater reagierte gar nicht darauf. „Ich habe heute Außendienst, da muss ich nicht so früh los.“ „Dann kommst du doch auch früher nach Hause, oder?“ „Mhm…“ „Schön! Dann können wir doch nachher zusammen meinen Schrank vergrößern, ich brauch dringend mehr Platz für neue Klamotten!“, grinste ich. Mein Vater legte die Zeitung beiseite und ich konnte ein Lächeln seine Lippen umspielen sehen. „Sicher doch. Wir nehmen einfach dein Bett raus und stellen dafür einen weiteren Kleiderschrank hinein. Dann hast du genug Platz.“, zwinkerte er und wir lachten beide. Eigentlich war es ziemlich gemein von ihm, dass er meine Idee so lächerlich machte, aber das war auch eine seiner guten Eigenschaften. Ich mochte meinen Vater mit seiner witzigen und offenen Art. Er war der Mensch, dem ich wohl am meisten anvertrauen konnte, was private Probleme anging. Mit meiner Mutter konnte ich so gut wie nie reden. Sie war immer sofort am nörgeln und zetern… „Guten Morgen.“, hörte ich plötzlich die geflüsterten Worte aus dem Türrahmen und drehte mich erschrocken um. Mein Bruder schlurfte in die Küche und ließ sich auf den Stuhl neben mir sinken. Seine schwarzen Haare vielen ihm bis über die Augen, die immer viel zu dunkel, viel zu tief und viel zu gefährlich wirkten. Sein Shirt hing ihm schlaff über die Schultern, da er nicht genügend Muskeln hatte um es richtig auszufüllen. Er zog sich eine Schüssel ran, befüllte sie mit Cornflakes und Milch und fing an das Zeug zu löffeln. Mir lief ein Schauer den Rücken runter. „Also dann, ich geh zur Schule.“, verabschiedete ich mich und schob meinen Stuhl zurück. Im selben Augenblick packte mein Bruder mein Handgelenk und zog mich zurück auf meinen Platz. „Gib mir einen Abschiedskuss.“, zischte er und seine Stimme ließ keinen Zweifel daran, wer der Stärkere von uns beiden war. „Ewan! Lass mich los!“ Verzweifelt riss ich an meiner Hand, doch sein Griff war eisern. „Gib mir einen Kuss.“ „Ewan. Lass deine Schwester los.“, donnerte plötzlich die Stimme meines Vaters und im nächsten Moment ließ mein Bruder mich los. Sein Kopf sank auf seine Brust, sodass sein Gesicht vollständig von seinen Haaren verdeckt war. Ich konnte nicht lesen, was seine Augen mir todsicher verraten hätten. Also verschwand ich schnell, schnappte mir meine Jacke und Schultasche und verließ unsere Wohnung. Wenn ich gewusst hätte, was heute für ein Tag sein würde, dann hätte ich meinem Vater einen Kuss geben und meine Mutter umarmt. Und ich hätte die Hand meines Bruders nicht versucht abzuschütteln… Ich hätte es nicht versuchen dürfen… Oh, deine Augen. Wie sehr ich deine Augen doch liebe. Ihr funkeln, wenn du Angst hast oder aufgeregt bist. Ihren Glanz, wenn du dir einen traurigen Film ansiehst und nur mit aller Mühe die Tränen unterdrücken kannst. Ich will diese Augen sehen, wenn sie erregt sind, wenn du dich nach mir sehnst und dir wünschst, ich würde dich küssen, dich berühren. Nach nichts sehne ich mir mehr. Und er hat es mir doch versprochen. Heute werde ich dich endlich bekommen. Heute wirst du mein werden. Ich soll nur die paar Probleme beseitigen und dann bist du mein. Mein mein mein. Mein mein mein. Die Pausenglocke hallte über das Schulgebäude hinweg und es war, als konnte man alle Schüler gleichzeitig aufatmen hören. Ich streckte meine Arme in die Luft und ließ mich in meinem Stuhl zurück fallen. Die erste Hälfte war geschafft. Blieben nur noch Englisch und Geschichte für heute. „Oh Gott. War das ätzend.“, stöhnte Yassi neben mir und ließ ihren Kopf auf den Tisch sinken. Ich lachte: „Ach komm, sieh’s positiv. Schlimmer kann es heute gar nicht mehr werden.“ „Denkst du! Ich sage es kann.“ Sie drehte ihren Kopf zu mir und lächelte. „Es sind doch nur noch vier Stunden. Das schaffen wir schon.“ „Ja, und dann noch Handball…“ „Das hast du dir selbst ausgesucht.“ „Ich weiß…“ Sie seufzte. Yassi war eine tolle Freundin. Sie war nicht so viel am plappern wie alle anderen Mädchen, konnte Geheimnisse für sich behalten und ich konnte mit ihr immer die dümmsten Dinge machen. Die meisten unserer Klassenkameraden hatten allerdings Angst vor ihr, weil sie immer schwarz trug und die Nietengürtel und Schnallen schon recht eigen wirkten. Sie liebte Gothik nun mal, aber das war okay, jedem sein Hobby. Das einzige Problem das ich seit kurzer Zeit immer wieder mit ihr hatte, betraf meinen Bruder… „Wird dich Ewan heute wieder von der Schule abholen?“, fragte sie mich plötzlich und ihre Augen begannen zu leuchten. Ich wusste es nicht mit Sicherheit, da sie es mir bisher noch nicht gesagt hatte, aber ich glaube, Yassi ist in meinen Bruder verliebt. Etwas Abartigeres kann ich mir nicht vorstellen. Nicht weil Ewan mein Bruder und Yassi meine beste Freundin war, nein. Ich wusste nicht wieso, aber ich hielt Ewan nicht für ganz normal. Er strahlte immer diese gewisse gefährliche Aura aus, hatte einen eiskalten Blick und einen viel zu starken Griff für seine schmächtige Figur. Ich wusste von meinen Eltern, dass mein Bruder als ich noch klein war oft beim Psychiater war, weil er einen fast krankhaften Beschützerinstinkt mir gegenüber entwickelt hatte. Irgendwann legte sich das wieder, doch es hat sich nie geändert, dass er mich von der Schule abholt, obwohl er eigentlich arbeiten müsste und dass er ausrastet, wenn ich abends später nach Hause komme. Einmal hat mich ein Junge gefragt, ob ich nicht mit ihm ausgehen würde, was Ewan durch Zufall mitgehört hatte. Am nächsten Tag hatte dieser Junge überall Schrammen und blaue Flecken und noch ein paar Prellungen, von denen ich aber erst später erfuhr. Er erklärte mir am selben Tag, dass es nur ein Scherz gewesen sei. Er hat mich danach nie wieder auch nur angeblickt… Ich hatte Angst vor Ewan. Und ich hatte Angst um Yassi, falls sie wirklich mehr Interesse an ihm hatte. Ich weiß nicht, ob ich ihr das jemals erzählen könnte. Ich wollte sie nicht abschrecken. Und vor allem wollte ich nicht, dass sie denkt ich hätte etwas gegen diese Beziehung. Deshalb schwieg ich, auch wenn das wahrscheinlich genauso falsch war. „Ich glaube schon…“, antwortete ich einen Moment zu spät und Yassi blickte mich verwundert an. „Stimmt etwas nicht?“ „Nein, nein. Alles in Ordnung. Ich bin nur auch etwas müde.“ „Und du hältst mir so große Reden.“ Wir lachten beide als ich gähnte und entschieden uns dann langsam mal unsere Frühstücksbrote heraus zu holen, bevor die Pause gleich wieder vorbei war. Wenn ich gewusst hätte, was heute für ein Tag sein würde, dann hätte ich Yassi gewarnt. Ich hätte mit ihr zusammen jetzt schon die Schule verlassen, hätte mich irgendwo versteckt oder wäre zur Polizei gegangen. Aber ich glaube, wenn ich gewusst hätte, was heute für ein Tag sein würde, dann hätte niemand mir geglaubt. Yassi sprang um mich herum und grinste. „Ewan kommt dich wieder abholen.“, meinte sie in einem Sing-Sang und blickte erneut aus dem Fenster. Unten vor dem Schultor konnte man unschwer die Gestalt meines Bruders erkennen. Er trug noch dasselbe schwarze Shirt wie heute morgen, seine Haare hingen ihm immer noch im Gesicht, doch seine Augen konnte ich aus dieser Entfernung zum Glück nicht erkennen. Er hatte seine Hände in den Hosentaschen vergraben und lehnte lässig an der Steinmauer, die unsere Schule umrahmte. Ich schluckte, schulterte aber trotzdem meine Tasche. Es brachte ja eh nichts. Ich würde wohl erst von ihm loskommen, wenn ich mir ein College ganz weit weg suchen würde. Aber selbst dann könnte er mir wohl immer noch folgen… Vielleicht sollte ich ins Ausland gehen? Yassi umfasste meine Hand und zog mich mit sich die Treppen hinunter, durch die Eingangshalle und aus der Schule hinaus. Sie grinste noch ein Stück breiter, als sie mit geröteten Wangen vor meinem Bruder stehen blieb und meine Hand wieder los ließ. „Hallo Ewan.“, hauchte sie mir als das sie sprach. Er nickte: „Hi Yasmin.“ „Ich komme heute mit.“, rief sie plötzlich spontan aus, „Lilly und ich wollten noch zusammen lernen.“ Ewan hob eine Augenbraue und betrachtete sie eindringlich. „Hattest du freitags nicht Handball?“ „Ja… schon… Aber für die Schule zu lernen ist nun mal wichtiger.“ Ich hätte eigentlich noch etwas einwerfen sollen, aber mir viel einfach nichts ein. Und außerdem war es gar nicht so schlecht, wenn Yassi mit kam. So musste ich mit Ewan wenigstens nicht allein zurück. „Lasst uns endlich gehen.“, seufzte ich und machte einen Schritt nach vorne. Sofort schoss Ewans Hand nach vorne und schloss sich um mein Handgelenk. Ich blieb wie vom Schock erstarrt stehen und rührte mich nicht. Langsam trat er an meine Seite, lockerte seinen Griff und ließ seine Hand weiter nach unten rutschen, bis sich seine Finger um meine Schlossen und wir so ziemlich wie ein Händchenhaltendes Liebespaar aussahen. Ich konnte Yassis eifersüchtigen Blick aus den Augenwinkeln sehen, aber trotzdem tat ich nichts dagegen. Was hätte ich auch tun können? Ewans Hand war wie Schraubstock. Wenn er einmal etwas zwischen seine Finger bekam, ließ er es so schnell nicht wieder los. Es tat mir Leid für Yassi, obwohl es mich selbst am meisten störte, weil es einfach nur peinlich war, an der Hand seines großen Bruders zu gehen. Wir redeten nicht als wir die großen Hauptstraßen entlang gingen, die uns zu unserer Wohnung führen würden. Niemand sagte etwas den gesamten langen Weg über. Sein Lachen wird lauter und lauter umso näher wir der Hölle kommen. Ich habe Angst, dass sie es auch hören können. Ich will sein Lachen für mich behalten, auch wenn es mich in den Wahnsinn treibt. Diese hohe Stimme, so schrill, so grässlich süß. Sein Gesang hallt in meinem Kopf wieder. Mein mein mein. Mein mein mein. Bald bist du mein. Bald bist du mein. Ewan ließ meine Hand erst wieder los, als wir bereits vor unserer Haustür standen und er nach dem Wohnungsschlüssel kramen musste. Er fand ihn nicht. Stöhnend stellte ich meine Schultasche ab und kniete mich auf den Boden um meinen eigenen Schlüssel aus einer der vielen Taschen zu suchen. Sobald ich ihn fand, drückte ich meinem Bruder meine Schultasche in die Hände und schloss auf. Drinnen war es stockdunkel. „Mama?“, rief ich fragend und erhielt keine Antwort. Ich ging weiter hinein, suchte die Wand nach dem Lichtschalter ab, bis ich ihn fand und zu meinem bedauern feststellen musste, dass er nicht funktionierte. Wir hatten so viele Fenster in diesem Haus, wieso war es dann so dunkel? Hatte jemand die Jalosien herunter gelassen? „Mama? Au!“ „’Tschuldige…“, wisperte Yassi, die mir inzwischen hinein gefolgt war und sich mit ihren Händen an meinen Schultern festkrallte. Wenn sie Angst hatte, warum war sie dann nicht draußen geblieben, wo es noch Tag hell war? „Bleibt da stehen. Ich hole ein paar Kerzen.“, meinte Ewan plötzlich, „Mama ist vorhin zu den Stadtwerken gefahren, weil heute früh das Licht plötzlich ausgefallen ist.“ Warum schloss Ewan die Haustür? So war es doch nur noch dunkler hier drin! „Und die Jalosien macht sie seit der Hitze die letzten Tage immer zu…“ Hatte ich gerade einen Schlüssel sich umdrehen gehört? Wurde ich jetzt etwa schon paranoid? „Du hättest sie ruhig wieder aufmachen können…“, meckerte ich tonlos. Mein Herz schlug schnell in meiner Brust. Das war ja wie in einem Horrorfilm! Ewan drängte sich an Yassi und mir vorbei und dann war es still. Er singt und lacht, er singt und lacht. Mein mein mein. Gleich bist du mein. Immer wieder dieselben Worte. Sie brennen sich in meinen Geist ein, lassen mich taumeln und wanken. Der Teufel singt und lacht. „Lilly…“, flüsterte Yassi mir zu und krallte sich noch mehr in meinem Top fest, „Das ist gruselig…“ „Ewan wird bestimmt gleich alle Jalosien hoch ziehen, dann sehen wir wieder etwas.“, versuchte ich sie zu beruhigen. Doch warum dauerte es so lange? War mein Bruder etwa nicht auf diesen Gedanken gekommen? Suchte er etwa immer noch nach den Kerzen? Das schwache Licht, dass auf einmal zu sehen war, gab mir die Antwort. Er hatte wirklich Kerzen angezündet, anstatt das Tageslicht herein zu lassen. Ich ließ Yassi im Flur stehen und folgte dem Licht. Wenn mein Bruder zu blöd war, dann musste ich es wohl selbst machen. Ich ging an Ewan vorbei, der mit der Kerze in der Hand im Türrahmen stand, und ertastete mich bis zum Fenster durch. Meine Hände fanden erst nach einer viel zulangen Weile das Band, mit dem ich die dämlichen Läden hochziehen konnte. Das Tageslicht strömte herein und erhellte den Raum und Teile des Flurs. Und Yassi schrie. Mein mein mein. Gleich bist du mein. Mein mein mein. Gleich bist du mein. Und sie verstummte. Meine Beine zitterten und drohten nach zu geben, als ich mit viel zu leiser Stimme rief: „Yassi?“ Langsam drehte ich mich vom Fenster weg und starrte in die immer noch viel zu dunkle Küche. Sie war rot, blutrot. Die Wände waren von blutigen Flecken übersät, die Tischdecke triefte von derselben Flüssigkeit, die in meinem Kopf nur ein einziges Wort schrie, dass ich aber nicht wahr haben wollte. Mein Atem kam nur noch stoßweise, mein Herz raste, doch trotzdem schaffte ich es bis zur Küchentür und lugte dann vorsichtig um die Ecke. Yassi saß auf dem Boden und starrte panisch die Wand an. Ihr Gesicht war wie erstarrt vor Angst, doch ansonsten schien sie nicht verletzt zu sein. Etwas erleichtert, dass ihr nichts zugestoßen war, eilte ich zu ihr. „Yassi!“ Ich ließ mich neben ihr zu Boden fallen und schloss meine Arme um ihren Nacken. „Yassi? Geht es dir gut? Was ist denn passiert? Warum hast du so geschrien?“ Yasmin antworte nicht. Sie starrte weiterhin auf die Wand, als wären ihre Augen daran gebunden. Also drehte ich mich um und las die Worte, die mit derselben Flüssigkeit geschrieben waren, wie sie in der Küche die Wände schon beschmutzt hatte. Das Opfer soll weinen und bluten. Mein mein mein. Jetzt bist du mein. Stand dort mit Blut geschrieben. „Oh Gott…“ Wir mussten hier raus! Wessen Blut das auch immer dort an der Wand war, und ich wollte es wirklich nicht wissen, unseres würde ihm nicht folgen! Mit immer noch viel zu weichen Knien erhob ich mich und schwankte zur Tür. Doch als ich die Klinke herunter drückte, ging sie nicht auf. Sie war abgeschlossen. Das Klicken vorhin… Es war doch keine Einbildung gewesen! Ewan hatte die Tür abgeschlossen! Ewan! Blitzschnell drehte ich mich um und starrte den Flur entlang. Ewan war nirgendwo zu sehen. Zum Glück. Aber das hieß noch lange nichts. Vielleicht, wenn ich nur schnell genug war…? Vielleicht, wenn ich Ewan den Schlüssel abnehmen und die Polizei alarmieren könnte? Langsam schlich ich zurück in die Küche, öffnete eine Schublade und nahm mir das längste Küchenmesser heraus. Dann griff ich nach dem Telefon, wobei ich mich immer und immer wieder zur Tür hin umwandte. Wenn dort plötzlich die Böse Überraschung stand, dann wollte ich nicht ganz so erschrocken sein. Ich wählte die Nummer und hielt den Hörer an mein Ohr. Nichts. Er musste die Leitung gekappt haben… Was wenn ich Yassi holen würde und wir durch eines der Küchenfenster klettern würden? Aber das würde bestimmt zu viele Geräusche verursachen… Doch was sonst tun? Werde mein, werde mein. Wende dich vom Licht ab und tu was du tun musst. Vielleicht könnte ich es schaffen Ewan den Haustürschlüssel abzunehmen? Ich hatte immerhin das Messer! Zitternd ging ich zurück und blieb vor Schreck wie erstarrt stehen. Der Flur war leer! Yassi war nicht mehr da. Hatte Ewan sie etwa zu sich geholt, während ich in der Küche war? Aber dann hätte ich ihn doch hören müssen! Ich schüttelte den Kopf, schluckte und ging die paar Schritte bis zu Ewans Zimmertür. Meine Hand war reinster Wackelpudding als ich sie auf die Klinke legte und langsam herunter drückte. Die Tür sprang auf und das Licht des Flurs viel hinein. Ewans Zimmer war leer. Ich ging einen Schritt zurück und drehte mich in alle Richtungen. Nichts. Alle Zimmertüren waren zu. Wo sollte er sonst sein, als in seinem… Der kaum sichtbare Lichtschein, der unter der einen Zimmertür hindurch fiel, jagte mir einen Schauer den Rücken hinab. Ewan war in meinem Zimmer! Aber warum? Wartete er dort mit der Leiche, deren Blut überall im Haus zu sein schien? War Yassi bei ihm? War sie noch… Ich umfasste das schwere Messer fester und öffnete meine eigene Tür. Eine leise Melodie hauchte mir von drinnen entgegen. Ewan saß auf meinem Bett, die Kerze vor sich auf der Decke stehend und etwas in seinen Händen haltend. Er starrte es an und summte, ohne mich zu bemerken. Leise schob ich mich in mein Zimmer, das genauso verdunkelt war wie der Rest der Wohnung. „Mein mein mein. Deine Augen sind so leer. Dein Lächeln verblasst. Mein mein mein. Du solltest die nächste sein, du solltest sie sein. Mein mein mein. Ich möchte bluten, für ein Lächeln von dir. Also komm zu mir. Komm zu mir. Sei mein. Sein mein.“ Flüsternd sang Ewan diese Strophen, die einfach keinen Sinn ergaben, immer und immer wieder. Seine Finger fuhren sanfte Kreise über das Ding in seiner Hand, das er nicht aufhören konnte an zusehen. Ich hätte mich zu ihm schleichen können, hätte mir den Schlüssel, der auf dem Fußboden vor dem Bett lag nehmen und verschwinden können, doch meine Beine bewegten sich nicht. Denn mein Blick war auf den Körper der neben dem Schlüssel lag gefallen. Dem nackten Körper ohne Kopf. Ich schrie und mein Bruder blickte auf. „Lillian. Geliebte. Da bist du ja.“, seufzte er und lächelte. Er hatte seine Haare hinter seine Ohren gesteckt, sodass ich zum ersten Mal sein Gesicht richtig erkennen konnte. Es war der Spiegel eines Kindes. „Ewan. Was hast du mit Yassi...“, Die Verzweiflung schwang in meiner Stimme mit und die Übelkeit und Trauer ließen mich alles verschwommen sehen. Ich versteckte das Messer hinter meinen Rücken, da es meine einzige Chance war, mich selbst zu retten. „Das Opfer soll bluten und weinen…“ „Warum, Ewan?!“ „Du bist meine Geliebte.“ „Nein!“ „Mein mein mein…“, sang er erneut und mir liefen die Tränen die Wangen herunter. Komm zu mir und tu was du tun willst. Verschließe das Licht, liebste Lillian. Begrüße die Dunkelheit. Sei mein. Sei mein. Werde mein. Werde mein. Ich erschauderte. Woher kamen die Worte des Bösen, die plötzlich meine Ohren betäubten? Was sollte das? Ich starrte Ewan an, der weiter sein Lied vor sich her sang und dabei mit dem Ding in seinen Händen spielte. Doch dann plötzlich blickte er mich wieder an. Seine Augen wirkten nachdenklich, verzweifelt. „Hörst du ihn?“, fragte er mich, wie ein kleines Kind, der etwas Wunderbares entdeckt hatte. „Wen?“ „Ihn… Er lacht und singt und singt und lacht. Seine Stimme ist süß, grässlich, Verführung, Wahnsinn.“ „Ewan?“ „Ich will dich nicht mit ihm Teilen, geliebte Lillian! Du gehörst mir!“, flehte seinen Stimme, sodass mein Herz sich schmerzend zusammen zog. „Mit wem sollst du mich Teilen?“, fragte ich nach und schluckte. „Ihm…“ Ewan drehte das Spielzeug in seinen Händen so, dass ich einen klaren Blick darauf werfen konnte und mir der Schrei im Halse stecken blieb. Yassis leere Augen starrten mich an. Ihr Mund stand offen, wie im entsetzten aufgerissen. Der Stumpf ihres Halses ruhte in Ewans Schoss. Ich wollte schreien. Ich wollte weglaufen. Doch keines meiner Körperteile gehörte noch mir. Stattdessen beobachtete ich, wie plötzlich Tränen aus den Augen des Kopfes quollen, wie die Nasen anfing zu laufen und Speichel aus dem Mund tropfte. Das Blut rann über Ewans Beine und das Bett hinunter, immer weiter zu meinen Füßen hin. Der stumme Schrei, der über meine Lippen kam erreichte meine Ohren nicht, denn der Gesang einer viel zu bitter-süßen Stimme erfüllte sie. Sei mein. Werde mein. Verscheuch das Licht. Umarme die Dunkelheit. Sei mein. Werde mein. Ich liebe dich, Lillian. Sei mein. Sei mein. Er saß vor mir und grinste mich breit an. Seine Hände hielten nun Yasmins Kopf, der mich aus leblosen Augen anblickte. Ewan lehnte nackt an seiner Seite, sich wie einen Liebhaber an ihn kuschelnd. Ich biss mir auf die Lippen und kämpfte gegen die Tränen an, die mich zu ertrinken drohten. „Willkommen, Lillian.“, säuselte Seine Stimme in dieser viel zu schönen Weise, die mein Herz einen Tick zu schnell schlagen ließ, „Ich habe dich erwartet.“ „Wieso?“ „Weil du eines der schönsten Geschöpfe Gottes bist, süße Lillian. Und ich will nun einmal alles, was Gott liebt.“ „Nein… Ich…“, setzte ich an, doch kein weiterer Ton kam über meine Lippen. Ich weinte bittere Tränen. Yassi! Er hatte Yassi… „Weine nicht, liebste Lillian. Sie war nur ein kleines Opfer für die Freiheit, die ich dir schenke.“, flüsterte Er und strich sanft über Yassis Kopf. Langsam hob Ewan seinen Kopf und blickte mich an. Er lächelte und winkte mir zu, so als wollte er mich zu sich rufen. Doch der Zwang war nicht so stark, dass ich ihm hätte folgen müssen. Enttäuscht, dass ich nicht reagierte wandte er sich seinem Gespielen zu. Ewans Blick war ein stummes Flehen. „Keine Angst, Ewan, sie wird nicht wieder gehen.“, lächelte Er, bevor Er Ewan innig küsste, bis er in seinen Armen zusammenbrach. Er ließ ihn zu seiner Rechten sinken und wandte sich dann wieder mir zu. Seine gespaltene Zunge fuhr über seine Lippen. „Du gehörst nun mir, Geliebte.“, hauchte Er und streckte seine Arme nach mir aus. Mein Kopf war leer. Mein Körper gehörte schon lange nicht mehr mir. Und ohne es zu wollen ging ich auf ihn zu und ließ mich von seiner schönen, dunklen Gestalt umschließen, küssen, berühren, verführen, vernichten, brechen, zerstören. Wenn ich gewusst hätte, was heute für ein Tag sein würde, ich hätte mir meine Ohren abgeschnitten um des Teufels Gelächter nicht hören zu müssen. * * * Mrs. Dukes schloss die Haustür auf und schaltete das Licht im Flur an. „Hallo Kinder, ich bin wieder da!“, rief sie in die Wohnung hinein, doch niemand antwortete ihr. Aber das war auch normal. Sie kannte es nicht anders. Sie ging in die Küche, stellte die Einkäufe ab und lugte dann in Ewans Zimmer. Es war leer. Verwundert, aber nicht unnötig beunruhigt ging sie die zwei Türen weiter und klopfte an. Ihre pubertäre Tochter mochte es einfach nicht, wenn man ohne anzuklopfen in ihr Zimmer ging. Sie wartete einen Augenblick, doch als sie keine Antwort bekam, entschied sie sich doch wenigstens einmal hinein zu gucken. Nicht das Lillian bei offenen Fenster eingeschlafen war und sich nachher noch erkältete. Sie drückte die Türklinke herunter und trat ein. Das Zimmer war stockdunkel. Die Jalosien waren herunter gelassen und das Licht ausgeschaltet. Mrs. Dukes Hand glitt zur Seite an die Wand und suchte nach dem Lichtschalter. Die Deckenleuchte sprang an und warf die Dunkelheit zurück in einzelne Schatten. Lillian saß auf ihrem Bett und strich mit ihren Fingern über ein Kissen, das in ihrem Schoss lag. Die leise Melodie, die sie summte, kam ihrer Mutter nicht bekannt vor. „Lillian? Ich bin zuhause. Warum antwortest du nicht auf mein Rufen?“, fragte Mrs. Dukes vorsichtig. Sie wusste nicht woher, aber sie hatte plötzlich das Gefühl das etwas nicht stimmte. Ein beißender Gestank lag in der Luft, der den Weg nicht ganz hinaus in den Flur schaffte. Langsam hob Lillian ihren Kopf. Ihre Augen waren leer und ihr Lächeln wie gemalt, als sie leise meinte: „Mama… Warum starrt sie mich so an? Warum sind ihre Augen so leer?“ Mrs. Dukes lief ein Schauer den Rücken hinab. „Wessen Augen sind leer?“, fragte sie, obwohl sie die Antwort doch direkt vor sich hatte. „Yassis…“ „Wo ist Yassi?“ „Hier…“ Lillian drehte das Kissen in ihren Händen herum, sodass Mrs. Dukes das Foto von Yasmin sehen konnte, das auf ihm befestigt war. „Das ist nur ein Foto, Kind.“ „Nein… Es ist ihr Kopf… Sie doch… Das Blut quillt noch immer aus ihren Augen…“ „Lillian?“ „Das Blut… Es ist überall. Mein mein mein. Jetzt bist du mein. Es stand da, auf der Wand im Flur. Sie hatte geschrien und das Blut weinte.“ Mrs. Dukes wich einen Schritt vor ihrer Tochter zurück: „Wer hat geschrien, Lilly?“ „Yasmin. Sie war das Opfer…“ „Wovon redest du?“, schrie ihre Mutter beinahe vor Verzweiflung, weil die Worte ihrer Tochter einfach keinen Sinn ergaben. „Das Blut in der Küche… Es tropft von den Wänden. Die Worte… Es ist Seine Handschrift… Das Licht ging nicht. Alles ist dunkel. Süße Dunkelheit. Er hat Ewan schon und jetzt hat er mich… So viel Blut… Da, auf dem Boden. Es ist wie ein Meer. So viel…“ „Lillian!!“ Von welchem Blut sprach ihre Tochter da? Wieso ging das Licht nicht? Außer hier im Zimmer war es doch überall hell! Es war draußen ein schöner, sonniger Tag. Mrs. Dukes schüttelte den Kopf als plötzlich Ewan hinter ihr in der Tür stand. „Lass es, Geliebte. Sie können es nicht sehen.“ Lillian drehte den Kopf, als würde sie Ewans Worte abwägen. „Wieso nicht?“ „Sie leben in einer anderen Welt. Ihre Seelen sind an sie gebunden?“ „Sie sind gefangen?“ „Ja…“ „Dann lass sie uns auch befreien.“ „Das können wir nicht.“ „Warum nicht? Er könnte uns doch helfen.“ „Nein, Lilly, Liebste. Er hat mir schon geholfen dich zu befreien. Erwarte nicht noch mehr von ihm.“, flüsterte Ewan eindringlich und ging auf seine Schwester zu. Er setzte sich neben sie, legte seinen Arm um ihre Schulter und zog sie an seine Brust, bevor er ihren Kopf hob und sie sanft auf die Lippen küsste. Mrs. Dukes wich erschrocken einen Schritt zurück, bevor sie wie wild schrie: „Lass sie los, Ewan!! Was hast du meiner Lilly angetan?!“ Ewan blickte seine Mutter an, ohne sie jedoch zu sehen. „Du brauchst keine Angst mehr haben. Sie wird nie wieder verschwinden. Sie ist nun für immer frei. Nichts wird sie mir jemals wegnehmen.“ Mrs. Dukes sackte auf dem Boden zusammen und weinte, während ihre Kinder sich eng umschlungen in den Armen hielten und eine leise Melodie anstimmten, die ihre Mutter nie wieder vergessen würde. Und der Teufel lachte. [Ende] Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)