Wenn der Mond fällt von Fuega (Die Freiheit der Wölfe) ================================================================================ Kapitel 12: Abschied -------------------- Schwerfällig kroch Nori in den Gang, schob mit den Pfoten unbehänd Schlamm aus dem Weg, rutschte tiefer und hielt die Luft an. Die Aushöhlung war zur Hälfte mit schlammigem Wasser gefüllt, das ihr in das Maul und in die Nase lief. Panisch zappelte sie, es war zu wenig Platz, zu wenig Luft und alles war dunkel. Verzweifelt trat sie Wasser, sie würde hier nicht herauskommen, im Trockenen war es schon schwer genug gewesen. Zähne packten sie am Nackenfell und schleppten sie vorwärts, aus der Brühe. Mara, deren Pelz bis zur Unerkenntlichkeit verschmutzt war, half ihrer Freundin nach Kräften und schließlich hatte Nori sich an Land gearbeitet, nun noch viel mehr zitternd, nass bis auf die Knochen und voller Schlamm. „Ich bin immer wieder durch den Gang gekrochen um ihn freizuhalten, aber das Wasser läuft immer weiter herein.“, sagte Mara und schleckte dem schmutzigen Bündel Elend vor ihr beruhigend über die Ohren. „Ich danke dir – Ohne dich und Tarr hätten wir das nie geschafft, und nun können wir…“ Traurig zog Mara die Augenbrauen zusammen und entfernte sich ein paar Schritte. „Oh, Kleine.“, sagte sie und schloss die goldfarbenen Augen Was war los? Nori ahnte ihre Antwort voraus, doch sie brachte vor Entsetzen kein Wort hervor und ging auch einen Schritt zurück, so dass der Abstand zwischen den beiden sich weiter vergrößerte. Kalter Wind fuhr durch ihr Fell, als die Wölfin endlich antwortete. „Kannst du dir nicht denken, wo ich war? Der Weg in das kalte Land ist zu weit für mich, vor fünf Wochen wäre ich mit dir bis zum Ende der Welt gegangen. Und selbst jetzt würde ich es, wenn da nicht noch etwas anderes wäre…“ Nun verstand Nori. Sie war so erwachsen geworden, so anders, und der Geruch… Sie stand auf und humpelte zu ihr, drückte ihre Nase in ihren nassen Pelz, dann sagte sie es. „Du bekommst Welpen, nicht wahr? Deshalb warst du weg.“ Langsam nickte sie. Nori wusste nicht, wie lange sie brauchen würden bis in Mishas Land, aber der Weg war weit und sie war jetzt schon in der zweiten Hälfte der Tragezeit. Sie würden es nicht rechtzeitig schaffen, die Welpen würden die Reise nicht überstehen, vielleicht auch ihre Mutter nicht. Schleierhaft sah der russische Wolf den Fremden davonstürzen, mitten in die Menschen. Warum tat er das? Wieso verstand er als Wolf in Gefangenschaft etwas von ihren Geistern? Seine Gedanken wurden schwergängig, drehten sich im Kreis. Die Stromschläge hatten ihm zugesetzt, und die alte Wunde machte sich wieder bemerkbar. Er wollte sich nur noch hinlegen und ruhig schlafen… Der Donner zerriss die Stille im Gehege und alle Wölfe sahen auf, die trächtige Mara, die müde Nori und sogar der verwundete „Wildfang“. Sie alle sahen zum Himmel, nur Tarr knurrte spöttisch, als die Menschen sich panisch in alle Richtungen versprengten. Er wusste weit mehr von den Geistern, als der russische Wolf gedacht hatte. Mit einigen Sprüngen lief er zu den verängstigten anderen Wölfen und mischte sich unter sie. Sobald die Menschen sich wieder zusammengefunden hatten, würden sie weitersuchen, nach einer kleinen Wölfin und dem großen russischen Wolf. Ihn aber würden sie nicht finden. Doch wo blieb Mara? Sie hatten geredet, sie hatten es besprochen, um den anderen beiden Wölfen den Weg zu ebnen. Irgendetwas schien nicht nach Plan zu verlaufen, doch er hatte sein möglichstes getan – Er musste in die drei Wölfe vertrauen, von denen jeder seine Bestimmung, seine Fähigkeiten hatte. Sorgenvoll starrte er in ihre Richtung doch in der tosenden Dunkelheit war nichts mehr zu sehen. Die Geister würden ihre Kinder schützen. Er hatte sich in den vergangenen Wochen eingestehen müssen, dass er die kleine Wölfin mochte, vielleicht mehr noch. Es war nicht schwer gewesen zu erraten, was sie vorhatte und er hätte wissen müssen dass es so kommen würde. Kein Vogel blieb für immer an die Erde gebunden, irgendwann streckte er die Flügel aus… „Geister, sorgt für eure Kinder. Es ist ihr letztes Leben auf diesen Pfaden.“ Der Wind rauschte durch sein Fell. Der Sturm war ihr Zeichen. Nori wollte es alles vergessen, wollte die Zeit selbst vergessen, als die beiden Wölfinnen sich so vertraut und vielleicht zum letzten Mal gegenseitig Wärme und Schutz spendeten. „Ich werde hier, bei dir bleiben, Mara.“, sagte Nori dann entschlossen. Sie hatte für den russischen Wolf alles getan, was sie hätte tun können. Nun würde sie bleiben und sich mit ihrer Freundin um die Welpen kümmern. Es würde so friedlich und ruhig sein… Mit einer Geste zerstörte Mara das friedliche Bild. „Nein, Nori. Die Menschen wissen jetzt, wer du bist. Sie werden dich nicht am Leben lassen, oder zumindest nicht hier.“ Ihre Stimme war nun leise, sanft. „Du hast deinen Weg gewählt und du kannst nicht mehr zurück.“ Still saß Nori da, und wagte es nicht zu reden, dann sprang sie auf. „Ich will nicht von dir getrennt werden, ich…“, es war unnötig, dass wusste sie und schwieg, dann leckte sie ihrer Freundin über die Nase. „Ich werde dich nicht noch einmal vergessen. Und ich werde zurückkommen, Mara. Für dich werde ich zurückkommen und dich holen, wenn deine Kinder alt genug sind. Dich und Tarr. Ich werde zurückkehren.“ Mara wollte widersprechen, doch dann nickte sie. „Dann tu es. Bevor ich dich nicht mehr erkenne und den Menschen aus der Hand fresse wie meine Eltern, und alle Wölfe hier.“ Zum ersten Mal erkannte Nori die Furcht in den Augen ihrer Freundin. „Ich werde abstumpfen, wie die anderen.“ „Nein, Mara. Denk nur an die Wildnis. Denk an deine Jungen und denk an mein Versprechen. Dann wirst du es niemals vergessen. Sieh aus dem Gehege und denke: Dorthin werde ich gehen und mit dem Wind jagen. Ich schwöre es dir, bei…“, sie dachte nach, „Bei den Wolfsgeistern“. Kalte Schauer zogen über ihren Rücken und Mara sah sich um. Es war, als würden die Geister selbst wispern, leise und nicht deutlich vernehmbar. „Dann warte ich auf dich – Nori – komm nicht zu spät.“, sagte sie mit einem müden Lächeln und dachte sie, wie es wäre wenn sie keine Welpen tragen würde ii sich, wenn sie frei laufen könnte – Nein, sie würde die Welpen nicht hassen. Sie würde die beste Mutter für sie sein und ihnen Geschichten von dieser Flucht erzählen, von zwei Wölfen die für die Freiheit sogar ihr Leben gelassen hätten. Dann drehte Nori den Kopf. „Wo bleibt Misha?“ Und trotz des Sturmes, trotz des peitschenden Regens schien eine unheimliche Stille die Welt zu erfüllen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)