Klassenunterschiede von Psychopath (24 Stunden) ================================================================================ Kapitel 1: 2 Stunden -------------------- Schon vor einigen Jahren hatte man beschlossen, die Stadt in zwei Bezirke aufzuteilen. In dem einen lebten die vermögenden Familien und Einzelpersonen; in den anderen wurde der Rest abgeschoben. Ein kilometerlanger Maschendrahtzaun umschloss den Bereich, in dem die „Armen“ wohnten, damit sie nicht einfach aus ihrem Milieu entkommen konnten und den Bereich der „Reichen“ beschmutzten. Genau an diesem Zaun wohnte eine Großfamilie im heruntergekommenen Bezirk. Auf der anderen Seite des Zauns befand sich der Schandfleck des ersten Bezirks: eine leerstehende Fabrik, die noch nicht abgerissen war, weil es sich nicht lohnen würde, ein anderes Gebäude zu errichten. Wer würde schon freiwillig dort wohnen, wo man den Abschaum jeden Tag sehen musste? Da das Haus dieser Familie alles andere als groß war, vertrieben sich die Kinder die Zeit im Vorgarten. Besonders viele Ausgehmöglichkeiten gab es in diesem Bereich der Stadt nämlich nicht. So kam es, dass die Kinder mal wieder draußen spielten, sich unterhielten oder einfach nur herumsaßen, als der zweitälteste Sohn jemanden beim Fabrikgelände herumstreunern sah. Dies war besonders seltsam, weil niemand aus den reichen Familien sich jemals auf diesem Schandfleck herumtreiben würde. Details konnte Matt nicht erkennen, denn dafür war die Person nicht nah genug an ihm dran und außerdem ging die Sonne gerade unter und schien ihm somit direkt ins Gesicht. Matt hielt diese Erscheinung für eine einmalige Sache. Als er dieselbe Person allerdings am Folgetag und an auch am Tag darauf sah, fing er sich an zu fragen, wer denn freiwillig auf diesem Gelände herumspazierte, wenn doch gleich hinter dem Zaun das Elendsviertel anfing. Es musste entweder jemand sein, der es satt hatte, wie sich die Reichen benahmen oder aber es war jemand betrunkenes oder geistesgestörtes. Er hielt alle drei Möglichkeiten für wahrscheinlich, deshalb versuchte er herauszufinden, ob die Person torkelte oder eigenartige Dinge tat, doch er konnte die Person so gut wie nie richtig sehen, weil sie nur dann kam, wenn die Sonne unterging. Matt war es nicht gewöhnt, etwas nicht zu wissen, deshalb überlegte er sich, wie er es am besten anstellen könnte, herauszufinden, wer bei Sonnenuntergang auf einem Fabrikgeländer umherschlich. Er ging viele Theorien durch, doch schlussendlich kam er nur zu dem Schluss, dass er die einfachste Möglichkeit wählen musste. Er wartete also darauf, die Person wiederzusehen. Tatsächlich verspätete sie sich jedoch, sodass Matts Mutter schon rief, dass das Essen fertig sei und alle seine Geschwister ins Haus rannten, während er noch auf einer Bank an einer Seite des Hauses saß und der Sonne entgegenblinzelte. Es konnte doch nicht sein, dass der geheimnisvolle Mensch gerade heute nicht kommen würde! Er hatte fast aufgegeben und schon seine Konsole ausgeschaltet, als er sie doch sah! Er sprang auf, ging zum Zaun und rief: „Hey, du!“ Etwas Gescheiteres fiel ihm in dem Moment nicht ein, vor allem, weil er nicht mal wusste, ob sich jenseits des Zauns ein Weiblein oder ein Männlein herumtrieb. Die Person blieb stehen und es sah so aus, als würde sie zumindest in Matts Richtung schauen. „Was suchst du auf dem Fabrikgelände? Es grenzt schließlich an das Armenviertel und das wird sich ja wohl niemand aus deiner Ecke freiwillig ansehen.“ Jetzt kam die Person tatsächlich auf ihn zu, also hatte seine Idee doch funktioniert. Aber was genau wollte er eigentlich von diesem Menschen? So weit hatte er ausnahmsweise nicht gedacht; dafür war sein Interesse viel zu groß, herauszufinden, wer von den Reichen sich freiwillig an so einen Ort begeben würde. Als Matt nur noch knapp 10 Meter von der Person trennten, konnte er endlich sehen, dass es sich um einen Jungen in etwa seinem Alter handelte. Mehr als dass er blond und schlank war, konnte Matt nicht sehen, denn die Haare seines Gegenübers fielen ihm wild in Gesicht, sodass sie viel bedeckten und außerdem blendete die Sonne immer noch. „Was glaubst du eigentlich wer du bist? Sprichst mich frech von der Seite an und das obwohl du weißt, dass ich einem wesentlich besseren Elternhaus entstamme.“ „Aber ich war doch nicht frech.“, entgegnete Matt, „Ich habe dich lediglich angesprochen. Etwas anderes, als rufen, blieb mir doch gar nicht übrig, schließlich warst du so weit weg. Also? Was macht jemand aus einem so tollen Elternhaus auf einem verlassenen Fabrikgebäude? Außerdem siehst du nicht gerade aus, als wärst du einer dieser typischen Snobs.“ „Ach nein?“ „Vielleicht hab ich ja auch ein falsches Bild von den Reichen, aber ich dachte immer, dass sie Anzüge tragen und keine Lederklamotten.“ „Dann bin ich vielleicht der Abschaum der Reichen.“ „Das wäre interessant.“ Der Blonde sah Matt fragend an. „Das Vorurteil, das ich von den Ärmeren gehört habe, scheint zu stimmen. Es heißt, dass ihr verrückt und irgendwie schräg seid.“ „Aber ich bin doch nicht schräg.“ „Du hast eine Fliegerbrille auf der Nase.“ „Das ist nicht schräg, sondern cool. Wie heißt du?“ „Geht dich nichts an.“ „Wieso?“ „Wieso sollte es dich etwas angehen?“ „Naja…ich hab über den Zaun hinweg gerufen, weil ich wissen wollte, wer du bist. Und du bist schließlich her gekommen, deshalb dachte ich, dass du vielleicht nicht so versessen darauf bis, geheim zu bleiben.“ Die Sonne war schon fast untergegangen. Weil Matt versuchte, sein Gegenüber genauer zu erkennen und die Sonne das einzige war, was ihn daran hinderte, versuchte er das Gespräch in die Länge zu ziehen. „Mein Name ist Mello.“, sagte der Junge, noch bevor Matt etwas eingefallen war. „Wow.“ „Was?“ „Ich hatte gedacht, dass es schwerer werden würde, dir eine Antwort zu entlocken.“ „Mein Name bringt dir sowieso nichts.“ „Doch! Jetzt kann ich dich immerhin mit Namen ansprechen und muss nicht ständig >du< sagen.“ „Ich bleib dabei, dass du schräg bist.“ „Irre ich mich oder hast du was im Gesicht?“ „Vermutlich eine Nase.“ „Haha. Entschuldige, wenn ich nicht lache. Da ich dich noch nicht richtig erkennen kann, muss ich dich das eben fragen, Mello.“ „Du wolltest unbedingt mal meinen Namen an einen Satz hängen oder? Einfach, damit ich merke, dass du mich jetzt auch ansprechen kannst, so wie du es eben gesagt hast.“ „Du hast mich durchschaut.“ „Was wolltest du von mir? Du wirst mich doch wohl nicht einfach so gerufen haben.“ „Doch.“ Mello sah Matt mit großen Augen an, was dieser kaum mitbekam. So hatte noch nie jemand mit ihm geredet. Er war es nicht gewohnt, dass jemand eine spontane Aktion einfach zugab oder allgemein eine spontane Aktion durchführte. Und dann noch die legere Art und Weise, wie er redete. Diese beiden Aspekte gepaart mit der Tatsache, dass Matt einfach so „Doch.“ gesagt hatte, brachte Mello zum lachen. Nicht laut, sondern zurückhaltend. „Lachst du mich aus?“, fragte Matt und sah Mello verdutzt an. „Nein. Schon gut.“ „Nichts ist gut! Wieso lachst du?“ „Jemandem wie dir, bin ich bisher nicht begegnet.“ „Du bist auch eine Klasse für sich, aber deshalb lache ich dich doch nicht aus.“ „Was heißt hier „Klasse für sich“?“ „Hab ich nicht schon gesagt, dass ich dachte, ihr reichen Schnösel wärt Anzugträger? Und du tauchst hier in Lederklamotten auf.“ „Du hast mir deinen Namen noch gar nicht verraten.“ „Matt.“ „Freut mich.“ „Mich auch. Du bist gut im Ablenken, oder?“ „Wie kommst du darauf?“ „Naja…du hast gut davon abgelenkt mir meine Frage nach deiner Narbe zu beantworten.“ „Jetzt hast du es aber scheinbar selber gesehen.“ „Jetzt werde ich ja nicht mehr geblendet. Ich würde dich gern zum Abendessen einladen, weil meine Mutter schon das dritte Mal nach mir ruft, aber ich fürchte, dass das nicht geht.“ „Stimmt. Der Zaun stört da ein bisschen. Willst du gar nicht fragen, wo ich die Narbe her habe?“ „Nein.“ „Nein?“ „Ich zwinge niemanden, mir etwas zu sagen, was er nicht selbst sagen will. Kommst du morgen wieder hier her? Dann können wir uns weiter unterhalten.“ „Klar. Warum auch nicht?“ „Na denn: Schlaf gut.“ Mello drehte sich grinsend um und wusste schon in diesem Moment, dass Matt jemand ganz besonderes war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)