Kiss, kiss - bang, bang von Leuchtender_Mond (Zwischen töten und sterben gibt es ein drittes - leben.) ================================================================================ Kapitel 21: Der Stern --------------------- Der Stern: Er leuchtet über einer hoffnungsvollen Zukunft. Er zeigt uns, dass der Himmel bei uns ist, egal ob in Gefühlsdingen oder in materieller Hinsicht. Wir können beruhigt langfristig planen und auf ein gutes Gelinge bei allem hoffen. September 2008, Manhattan, New York City, United States of America Etwas kitzelte ihn. Atemu verzog unwillig das Gesicht, das Bett war so schön warm und weich und der Traum so angenehm, dass er nicht erwachen wollte. Doch etwas Weiches berührte seine Wange und es ließ sich nicht mehr ignorieren, sodass er mit einem Grummeln erwachte und die Augen aufschlug. Ganz dicht über sein Gesicht gebeugt war da Yuugi, der lächelte. Seine Haare streiften Atemus‘ Gesicht, was kitzelte, aber Atemu konnte ihm nicht mehr böse sein. Jedoch hinderte ihn das nicht daran, einen Schmollmund zu ziehen und zu sagen:„Ich wollte schlafen, Yuugi!“ Yuugi grinste:„Dir auch einen schönen guten Morgen. Und ich weiß etwas viel schöneres als Schlafen!“ „Ach ja?“, kam es interessiert von Atemu zurück. Er war zwar noch müde, aber dafür könnte man ihn von den Toten aufwecken. Erst jetzt bemerkte er, dass Yuugi rittlings auf seiner Hüfte saß und bereits anzüglich grinste. Atemu verschränkte seine Arme in Yuugis‘ Nacken um ihn erst in einen Kuss und dann die Bettdecke über sie beide zu ziehen. Es war eine große Umstellung gewesen, nach New York zu ziehen, zwar war auch London eine Metropole gewesen, aber New York war nun mal um einiges größer und auch hektischer. Nichts desto trotz ging es ihnen sehr gut, hier. Immerhin war auch Yuugis‘ Bein wiederverheilt, die Wunde war nicht tief gewesen und unter Atemus‘ fachmännischer Pflege war alles, was zurückgeblieben war, eine kleine Narbe, die jedoch kaum zu sehen war, denn auch die Haare, die Atemu zwecks besserer Wundversorgung unter Yuugis‘ empörten Blick abrasiert hatte, waren wieder nachgewachsen und verdeckten die Wunde. Sie lebten jetzt seit gut einem Monat hier, ließen einfach nur die Seele baumeln und taten nichts weiter. Das einzige, was sie getan hatten, war sich in einem Fitnessstudio anzumelden, ansonsten hatten sie noch nicht eingesehen, weshalb sie arbeiten sollten. Zwar gab es im Bundesstaat New York keine Todesstrafe mehr, auch, wenn die Republikaner das gerne ändern würden, jedoch war dies ja kein Grund, die Gefahr extra zu suchen und da die beiden wahrlich genug Geld besaßen, überlegten sie zurzeit ernsthaft, ob sie jemals wieder dieser Tätigkeit nachgehen sollten. Sie schliefen zwar beide nach wie vor beide mit einer Waffe unter dem Kopfkissen, aber insgeheim hofften sie, diese nie wieder benutzen zu müssen. Yuugi rechnete sich bereits aus, irgendeiner ehrbaren Tätigkeit nachgehen zu können – nur so, zum Spaß – und im nächsten Jahr vielleicht seine Freunde wiedersehen zu können. Atemu hatte nicht einmal etwas dagegen. Im Grunde genommen lief alles so gut, dass Yuugi sich schon zu fragen begann, wo der Haken war, er war es gar nicht mehr gewohnt, dass alles gut ging, dass nichts ihnen in die Quere kam, aber er genoss es ganz außerordentlich. Natürlich konnte es nicht ewig so weitergehen, und als sie das Halloweenfest überstanden hatten, ohne sich allzu sehr von den ihnen doch recht ungewohnten amerikanischen Feierlichkeiten zu dieser Gelegenheit mitreißen zu lassen, da wurde ihnen dies auch immer bewusster. Es waren diesmal zwar keine misstrauischen Nachbarn, nein, es waren nicht einmal die Yakuza, die sie dazu anhielten – vielmehr hatten sie selbst keine Freude daran, so lange untätig zu bleiben. So kam es, dass sie beim Frühstück – üblicherweise bestehend aus viel Cappuccino und einem Croissant – darüber diskutierten. Erst bei dieser Gelegenheit fiel Yuugi auf, dass er, da er seine Schulbildung ja unterbrochen hatte, keinen Schulabschluss besaß und somit kaum in der Lage wäre, irgendwo eine Stelle als Angestellter zu finden. Natürlich könnte Atemu die Dokumente einfach für ihn fälschen, vielleicht könnte Yuugi es sogar selbst, Atemu hatte ihm gezeigt, wie man das machte und es war nicht einmal besonders schwierig, aber Yuugi machte sich über das ihm fehlende Wissen Sorgen, was Atemu zwar nicht verstand, aber immerhin als Grund durchgehen ließ. Folglich schränkte dies die Jobauswahl stark ein und die Diskussion kam nur recht schleppend voran. Yuugi blätterte die Tageszeitung durch, immer auf der Suche nach einem Angebot, dass er gewillt wäre anzunehmen, aber dummerweise war er recht wählerisch, immerhin war er einmal von einer Führungsposition ausgegangen. Atemu war schon ziemlich genervt und entsprechender Weise bei seiner dritten Tasse Kaffee. Yuugi bemerkte es nicht einmal, er fluchte über die angeblich furchtbaren Angebote, während Atemu sich seine vierte Tasse einschenkte und den Kopf schüttelte. „Warum suchst du so krampfhaft nach einem Job?“, fragte er verständnislos. Yuugi hob den Kopf, offenkundig erstaunt darüber, dass Atemu diese Frage überhaupt stellte. „Wir gelten doch so als arbeitslos, oder? Wir können doch nicht von den Steuergeldern der Amerikaner leben, wo wir doch Geld genug haben und eigentlich sogar… Verbrecher sind.“ Es war das erste Mal, dass er das Wort Verbrecher benutzte und es kam ihm sichtlich schwer über die Lippen. Es war ein Aspekt, über den er nicht gerne nachdachte, verständlicherweise. „Mach dir keine Gedanken. Wir leben nicht von Steuergeldern, ich habe uns nicht als arbeitssuchend gemeldet.“, murmelte Atemu in seine Kaffeetasse. Yuugi schien allerdings nur wenig beruhigt und blätterte die Seiten so hastig um, dass er sie zerriss. „Wie hast du das in Japan gemacht, hast du von den Steuergeldern meines Vaters gelebt?“, fragte er ein wenig abwesend. Atemu lachte:„Nein, nur in Paris und London, weil ich da nicht sicher sein konnte, wie es um unsere Einnahmen stehen würde.“ Aufblickend legte Yuugi den Kopf schief:„Und es hat niemals jemand gefragt, von wo dein Geld kam?“ „Ich gehöre zur Familie der Yamaguchi-gumi. Es hat niemand gefragt.“ Atemu sagte das mit einer solchen Bestimmtheit, dass Yuugi lieber nicht nachfragen wollte, was geschehen war, wenn doch jemand auf den Gedanken gekommen sein sollte. Entnervt schob er die Zeitung von sich. „Nichts!“, rief er aus, „Es steht nichts drin!“ Mit der freien Hand – in der anderen hielt er die Tasse Cappuccino – angelte Atemu sich die Zeitung und sah selbst nach. Sehr bald schon protestierte er:„Das stimmt doch gar nicht. Hier, schau mal, dieses Diner sucht einen Tellerwäscher und dieses Restaurant einen Kellner. Außerdem könntest du hier für diese ältere Damen einkaufen gehen oder für einen alten Mann die Wohnung putzen. Da sind eine Menge Angebote, die man ohne Schulabschluss problemlos erledigen kann.“ Yuugi starrte Atemu an, als habe dieser den Verstand verloren. „Putzen? Andere Leute bedienen? Das hab ich ja noch nicht mal gemacht, als ich noch in Domino gewohnt habe, da hatten wir Personal für sowas.“, sagte er entrüstet. Erneut schüttelte Atemu den Kopf, nahm einen tiefen Schluck Cappuccino und nuschelte dabei etwas in die Tasse, das verdächtig nach „Verwöhntes Balg.“ klang. Yuugi überging diesen Kommentar wohlweislich, womöglich hatte Atemu ja Recht, aber als er daran gedacht hatte, selbst arbeiten zu wollen, da hatte er nicht so etwas im Sinn gehabt. „Du könntest dich ja auch selbstständig machen.“ Dieser Einwand Atemus‘ klang verlockend, warf aber die Frage auf, womit er das denn tun solle. Dennoch ging Yuugi die Idee in den nächsten Tage nicht mehr aus dem Kopf und als die ersten Weihnachtsmärkte öffneten und Yuugi Atemu zwang, diese mit ihm zu besuchen, hatte er schließlich eine Idee. Begeistert berichtete Yuugi Atemu davon, als sie an einem Glühweinstand standen und Atemu mit säuerlicher Miene – wegen der Weihnachtsmannmütze, auf die Yuugi ebenfalls bestanden hatte – mehr Glühwein trank, als gut für den menschlichen Organismus sein konnte. Sein Atem roch eindeutig alkoholisiert und er hatte ein gewisses Problem damit, geradeaus zu laufen, aber das war ihm egal. „Kampfsport, ja?“, echote er und schaffte es irgendwie, dass seine Stimme ganz normal klang. Yuugi stellte nickend seine leere Kakaotasse ab. „Ja, das hast du mir doch mehr als gut beigebracht, warum also nicht?“, erklärte Yuugi begeistert. Bedächtig legte Atemu den Kopf schief. Sein Verstand arbeitete noch halbwegs normal, sodass er sagte:„Du hast nicht eine Prüfung abgelegt, die dich offiziell dazu berechtigen würde. Und du willst ja nicht, dass ich deine Dokumente fälsche.“ „Ja… aber du hast diese Prüfungen doch sicher gemacht, oder?“, fragte Yuugi hoffnungsvoll. Atemu bestätigte dies durch ein Nicken, während er weiter Glühwein trank. „Dann kannst du mir die Prüfungen doch abnehmen, oder?“, forschte Yuugi weiter. „Das kann ich tun, sofort, wenn du willst.“, stimmte Atemu zu und grinste. Doch sein Gegenüber schüttelte den Kopf:„Nein, du bist betrunken.“ „Nicht so betrunken, dass ich dich heute Nacht nicht noch-“ Weiter am Atemu nicht, da hielt ihm Yuugi rasch den Mund zu und zog ihn dann durch die Menschenmassen vom Weihnachtsmarkt herunter und in Richtung U-Bahn, um nach Hause zu fahren. Atemu störte das nicht, er zog sich die verhasste Mütze vom Kopf und warf sie in den Straßenrand. Der nächste Morgen begann für Atemu viel zu früh, denn Yuugi war so begeistert von seiner Idee, dass er Atemu bereits um acht Uhr morgens weckte, damit sie sich um alles kümmern konnten. Atemu jedoch fand es gar nicht lustig, jetzt schon aufzustehen und drehte sich nur grummelnd auf die andere Seite. „Kann man denn hier nicht mal in aller Ruhe seinen Rausch ausschlafen?!“, nörgelte er. „Selbst Schuld.“, argumentierte Yuugi dagegen, änderte aber seine Strategie. „Komm schon, steh auf, es gibt auch Kaffee!“, drängte er. Sofort saß Atemu senkrecht im Bett. „Kaffee?“, fragte er. Yuugi grinste:„Ja, in der Küche. Musst du dir wohl erst noch machen.“ „Pff.“, kam es von Atemu, er warf eines der Kissen nach Yuugi und kuschelte sich dann wieder in die Decke. Eine halbe Stunde und zwei Tassen Kaffee später war Atemu dann doch aufgestanden um Yuugi zu helfen, sodass sich die beiden nun mehr oder weniger wach am Frühstückstisch gegenüber saßen. Yuugi hatte das alles schon ganz genau geplant. Da Atemu ihm ja zuerst die Prüfungen abnehmen würde müssen, brauchte Atemu als erstes Dokumente, die bestätigten, dass er selbst diese Prüfungen absolviert und somit dazu berechtigt war. Die Yamaguchi-gumi hatten Atemu damals ausgebildet und er hatte die Prüfungen ordnungsgemäß abgelegt, sogar unter seinem richtigen Namen. Deswegen ließen sich die Originaldokumente nun natürlich nicht verwenden, sodass sie diese erst einmal fälschen mussten. Da dies eine ganze Menge an Dokumente war, beanspruchte diese Tätigkeit den gesamten Tag, gleichwohl Yuugi ebenfalls mithalf. Es war das erste Mal, dass Yuugi Dokumente nicht nur zu Übungszwecken fälschte, aber weil er wusste, dass Atemu ihm notfalls helfen könnte, blieben seine Hände völlig ruhig – was wiederum ein Eingreifen Atemus‘ vollkommen überflüssig machte. Erst, als es dämmerte wurden sie fertig. Yuugi ging zum Kühlschrank um zu schauen, was er kochen könnte – das war etwas, was er meistens übernahm, da Atemus‘ Kochkünste zwar nicht direkt schlecht waren, Atemu dafür nach dem Kochen zumeist diverse Verletzungen aufwies; um genau zu sein war Yuugi zu dem Schluss gekommen, dass es gefährlicher für Atemu war, zu Kochen oder zu Backen, als seinem Beruf nachzugehen – während Atemu noch einmal die gefälschten Dokumente durchsah. Schließlich nahm er einige zur Hand und begann, Eselsohren hinein zu knicken und zwei von ihnen einzureißen. Beinahe hätte Yuugi die Milch verschüttet, als er das sah. „Hey!“, protestierte er, „Ich dachte, die wären in Ordnung!“ Schnell trat er an dessen Seite, sein Blick eine Mischung aus Wut und Verständnislosigkeit. Aber Atemu lächelte nur:„Das sind sie auch. Aber ich habe diese Prüfungen im Alter von zwölf beziehungsweise dreizehn Jahren abgelegt – da kannst du nicht erwarten, dass sie noch in einem einwandfreien Zustand wären. Oder wie sehen so alte Sachen bei dir aus?“ Yuugi nickte beruhigt und trat zurück an den Herd, während er zugeben musste:„Meine Eltern haben meine Urkunden eingerahmt oder zumindest ordentlich abgeheftet.“ Atemu gab einen unartikulierten Laut von sich:„Du bist halt einfach nicht normal.“, attestierte er. Damit aber konnte Yuugi leben. Bis er fertig gekocht hatte, hatte Atemu genug an den Urkunden gearbeitet, sodass er sie fortpackte, als Yuugi auftischte. Jedoch hatte Atemu noch keine Ruhe, nur, weil er Yuugis‘ Wunsch bezüglich des Kampfsportstudios erfüllt hatte. Denn Yuugi hatte noch mehr Pläne. „Duuu?“, fragte er Atemu mit jenem Ausdruck in den Augen, der es Atemu so entsetzlich schwer machte, ihm irgendetwas abzuschlagen. Aus diesem Grund blickte er bewusst nur auf sein Essen, als er kurzangebunden „Ja?“, sagte. Breit lächelnd führte Yuugi seine Gedanken aus:„Weißt du, es ist ja bald Weihnachten und auch, wenn du nicht einsiehst, das zu feiern, so würde es mir viel bedeuten, das zu tun, weil ich es mit meiner Familie nie konnte. Jedenfalls schenkt man sich doch normalerweise etwas zu Weihnachten, was bei uns ja nicht viel Sinn macht, da wir eh alles gemeinsam besitzen und ich außerdem wunschlos glücklich bin.“ Bestätigend nickte Atemu und dadurch bestärkt fuhr Yuugi fort:„Da es also nichts bringt, sich gegenseitig etwas zu schenken, dachte ich, wir könnten uns ja etwas gemeinsam gönnen… eine Reise, zum Beispiel…“ Yuugis‘ Tonfall machte Atemu klar, dass Yuugi sich alles schon sehr genau überlegt hatte, also fragte er nur weiter:„Und wohin sollen wir reisen?“ Yuugi lächelte zurück:„Ägypten.“ Mit dieser Antwort hatte Atemu nun keineswegs gerechnet. Verblüfft die Augenbrauen hebend fragte er:„Ägypten? Wie kommst du darauf?“ „Da solltest du doch wirklich selbst drauf kommen können!“, rief Yuugi aus und gestikulierte dabei wild meiner seiner Gabel:„Immerhin bist du zur Hälfte Ägypter, hast das Land aber nie gesehen, das sollte man doch ändern, meinst du nicht?“ Atemu lächelte. „Also schön. Ägypten.“ Bevor sie jedoch das Flugzeug betraten, geschah noch einiges mehr. Als erstes mieteten sie sich eine Halle, groß genug für ihr Unternehmen Kampfsportstudio, richteten sie ein und begannen dann in selbiger für Yuugis‘ Prüfungen zu üben. Denn obgleich Yuugi die Bewegungsabläufe beherrschte, so hatte Atemu ihm nie die entsprechenden Namen oder die dazugehörigen Riten erklärt – woher hätte er damals auch wissen sollen, dass das einmal von Nöten sein würde? Jedenfalls holten sie dies nun nach und genossen nebenbei den Umstand, selten so ideale Trainigsbedingungen gehabt zu haben. Erneut erwies Atemu sich als guter Lehrer, aber grade jetzt war das ja auch nicht mehr schwierig, denn im Grunde musste Yuugi nur noch die entsprechenden Namen lernen. So prasselte eine Flut von Namen auf Yuugi herab, während dieser versuchte, ihnen allen die richtige Bewegung zuzuordnen. An Motivation mangelte es ihm dabei sicher nicht, denn Atemu kannte eine Reihe drakonischer Strafen, wenn er sich zu häufig irrte. Liegestützen über zwei Dutzend brennender Kerzen oder auf den Knöcheln zählten dabei noch zu den milden Varianten und so kam es, dass Yuugi innerhalb von zwei Wochen nicht ein einziger Fehler mehr unterlief. Unter diesen Umständen dauerte es nicht lange, ehe Yuugi zu seiner ersten Prüfung zugelassen wurde. Zugelassen, freilich, war ein zu großes Wort, denn nur Atemus‘ Unterschrift war dazu nötig gewesen. Für die Prüfung aber waren zwei Prüfer nötig, weswegen sie sich an ein anderes Dojo wandten. Zusammen mit zwanzig anderen legte Yuugi dort seine erste Prüfung ab. Er erinnerte sich gut, als er vor mittlerweile anderthalb Jahren zuletzt eine Klausur geschrieben hatte – da war er schrecklich nervös gewesen. Nun aber war er überhaupt nicht nervös, im Gegenteil, er war viel ruhiger und selbstsicherer geworden, er wusste, dass er es konnte. Als erstes wurden ein paar Grundpositionen abgefragt, aber als der andere Prüfer – nicht Atemu, der saß nur in gespielter Bescheidenheit daneben – Yuugi die erste Aufforderung „Kiba-Dachi“ nannte, da wurde er ruhiger und über „Heisoku-Dachi“ gewann er an Sicherheit und meisterte erst die Grundstellungen und dann mit besonderer Bravour jede der Verteidigungstechniken. Atemu grinste und unterzeichnete schwungvoll die Urkunde, die Yuugi in den 5. Kyu-Dan erhob. Gleich darauf brannte er darauf, sich an die nächste Prüfung zu begeben, aber dazu würde er laut dem Reglement ein halbes Jahr warten müssen. Unterrichten durfte er aber trotzdem schon, zumindest unter Atemus‘ Aufsicht. Dennoch eröffneten sie ihr Dojo noch nicht. Immerhin stand eine Reise an. Eine Woche bevor es endlich losgehen sollte – Yuugi hatte jeden Tag minutiös geplant und mit seiner Vorfreude sogar Atemu angesteckt, auch, wenn sich dessen Vorfreude eher darin äußerte, dass er sich bemühte, ein wenig arabisch zu lernen. Yuugi genügte das als Beweis seiner Vorfreude. Aber es gab noch etwas, das getan werden wollte, ehe sie aufbrachen, etwas, das sich kurzfristig dazwischenschob und Yuugi nicht grade gelegen kam. Es handelte sich mal wieder um einen Auftragsmord, dieses Mal einen Racheakt, die Frau war vermögend und schnell gekränkt, sodass sie ihren ehemaligen Geliebten nun tot sehen wollte und wohl auch konnte. Was genau der Mann getan hatte, um dieses Schicksal zu verdienen, danach hatte Atemu nicht gefragt, es interessierte ihn nicht, und Yuugi ebenfalls – jedes überflüssige Wissen könnte die Sache persönlich und somit schwieriger machen. Das Beste war es immer noch, schnell und aus der Distanz zu töten, ohne, dass eine persönliche Bindung entstehen konnte. An Yuugi hatte Atemu gelernt, dass das nur hinderlich sein konnte, auch, wenn er es in Yuugis‘ Fall keineswegs bereute. Am Vorabend ihres Fluges also machten sie sich auf den Weg, den Mann zu töten. Sie hatten vorgehabt, das nicht wieder zu tun, aber dann hatten sie doch zugestimmt. Am Geld hatte es nicht gelegen, davon hatten sie genug, auch das Töten an sich war, auch, wenn es ihnen nichts mehr ausmachte, nicht unbedingt spaßig. Es war aber eher so, dass die Yamaguchi-gumi ein gewisses Interesse daran hatten, dass vor allem Atemu nicht aufhörte – Interesse an diesem speziellen Fall hatten sie zwar nicht, aber sie wünschten nun einmal, dass sie auch später noch auf Atemu würden zurückgreifen können. Atemu hatte im Grunde genommen auch nichts dagegen gehabt und Yuugi hatte schließlich seufzend zugestimmt – nachdem er Atemu das Versprechen abgerungen hatte, nicht mehr als vier Fälle pro Jahr zu bearbeiten. Mit diesem Arrangement konnten sie beide gut leben und mit der Aussicht auf den bald anstehenden Urlaub legten sie den Weg regelrecht beschwingt zurück. Es war früher Nachmittag, als sie in der Innenstadt ankamen, die Straßen waren belebt und man hatte Mühe, nicht von Touristen überrannt zu werden. Derartige Probleme kannte Atemu nicht, irgendwie machten die Menschen immer einen Bogen um ihn, weswegen Yuugi sich eng an ihn hielt. Ausnahmsweise trugen sie kein schwarz, hätten sie noch Kameras dabei, würden sie wohl als typische japanische Touristen durchgehen, scherzte Yuugi. Dieser Auftrag unterschied sich in vielen Aspekten von allen Vorherigen. Nicht nur, weil sie ihn mitten am Tag ausführten oder weil sie keine Tarnkleidung benötigten. Nein vor allem, weil sie in keine Wohnung oder Büro einbrechen mussten. Tatsächlich war alles, was sie tun mussten, Eintrittskarten zu kaufen – denn sie gedachten ihrem Opfer im Kino aufzulauern. Seine Exfrau hatte ihnen erzählt, dass er jeden Donnerstagabend dort zu finden sei, sodass sie, nachdem sie ihre Karten und um der Tarnung Willen zudem einen Eimer Popcorn gekauft hatten, nach und nach die einzelnen Säle abklapperten um den Mann zu suchen. Zu ihrem Glück mussten sie nicht lange suchen, bereits im dritten Saal wurden sie fündig. Da es sich um ein altes Retrokino handelte – auch der Film, der gezeigt wurde, war mindestens vierzig Jahre alt und schwarz-weiß – gab es auch keine Platzkarten. Viele Menschen waren nicht anwesend, das machte es leichter. Die beiden setzten sich hinter den Mann, den zu töten sie gedachten, blieben eine halbe Stunde sitzen, obwohl der Film himmelschreiend langweilig war. Yuugi bedauerte diesen Umstand regelrecht, denn eigentlich genoss er die nostalgische Atmosphäre und hätte er nicht gewusst, dass gleich ein Mensch sterben würde, hätte er sich sogar wohl gefühlt. Aber er durfte ja nicht mal Popcorn essen, denn Atemu bestand darauf, kein Risiko einzugehen, was Spuren anging. Yuugi bemühte sich, sich auf den Film zu konzentrieren, damit er nicht daran denken musste, was gleich geschah. Nach einer halben Stunde dann zog Atemu, nachdem er sich vergewissert hatte, dass niemand mehr hinter ihm saß, ganz unauffällig einen Schraubenzieher aus der Tasche, den er von der Baustelle gegenüber dem Kino hatte mitgehen lassen. Diesen nutzte er nun um den Mann hinterrücks zu erstechen. Er starb schnell, sogar beinahe lautlos, aber da sie eine laute Stelle des Filmes gewählt hatten, fiel das nicht weiter auf. Yuugi sah gezwungenermaßen hin, er wollte sichergehen, dass nichts schief ging. Ihm waren die Morde am liebsten, bei denen er aus der Distanz jemanden erschoss. Obwohl es hier ging, immerhin musste er dem Mann nicht ins Gesicht sehen, er sah nur seinen Nacken und einen Kranz schütternen Haares. Anschließend mussten sie noch den Rest des Filmes ertragen, denn es würde ja auffallen, wenn sie früher gingen. Die ganze Zeit über war Yuugi mehr als nervös, denn nicht nur, dass eine Leiche gleich vor ihm auf dem Sitz lag – Atemu hielt auch noch die Mordwaffe in der behandschuhten Hand. Und obgleich Atemu es nicht zugab, so war er doch ebenfalls nervös und froh, als sie diesen Ort schnell verlassen konnten. Jedoch mussten sie auch hierbei Vorsicht walten lassen, um nicht auffällig schnell zu gehen. Es kam ihnen beiden quälend langsam vor. Das Entfernen von Perücke und Kontaktlinsen wurde in einem kleinen Café zwei Straßen weiter vollzogen, ehe sie nach Hause fuhren. Yuugi war mehr als froh, dass sie das Land bald verlassen konnten, denn dies war ihr vielleicht brisantester Mord gewesen, da er in aller Öffentlichkeit geschehen war. Dezember 2008, auf dem Nil bei Memphis, Ägypten Es war Mittag und Yuugi war angenehm überrascht, dass es überhaupt nicht heiß war. Er hatte angenommen, in Ägypten müsse es schrecklich heiß sein, aber es war Winter und in dieser Gegend bedeutete das, dass es nicht wärmer als zwanzig Grad wurde, sodass die beiden es sich bei höchst angenehmen sechszehn Grad auf dem Deck des Schiffes bequem gemacht hatten. Ihre letzte Woche in New York war ein wenig unangenehm gewesen, da Yuugi schreckliche Angst wegen des begangenen Mordes gehabt hatte, über den in allen Zeitungen und auch im Radio und Fernsehen berichtete worden war, aber nie war die Polizei vor ihrer Haustür aufgetaucht, denn es wiesen einfach keine Spuren auf sie. Dennoch war die Erleichterung groß gewesen als sie vor drei Tagen in Kairo angekommen waren. Dort hatten sie erst einmal einen Tag verweilt um den Jetlag auszugleichen, aber dann hatten sie es nicht ausgehalten, den ganzen Tag im Zimmer zu bleiben und waren auf Kamelen hinausgeritten um sich die berühmten Pyramiden von Gizeh und die Sphinx anzusehen. Der Anblick war überwältigend gewesen, natürlich, auch der trockene Wüstenwind hatte sie nicht davon abgehalten, den ganzen Tag dort zu verbringen. Dazu mochte vielleicht auch die Tatsache beigetragen haben, dass Kairo keine wirklich schöne Stadt war, es war laut und stank. So waren sie am heutigen Morgen zu einer Nilkreuzfahrt aufgebrochen, deren erstes Ziel die Stadt Memphis war. Im alten Ägypten hatte man die Stadt, auch gerne als Waage der beiden Länder bezeichnet, Men-nefer geheißen und sie war eine Zeit lang Hauptstadt des ägyptischen Reiches gewesen. Entsprechend groß waren die Kulturgüter und entsprechend lang würde ihr Aufenthalt dort sein. Aber es war deswegen nicht so, als könnten sie ihre Ankunft kaum erwarten, vielmehr genossen sie die Fahrt über den Nil in vollen Zügen. Das Land Ägypten war von einer rauen Schönheit, das Land um den Nil war fruchtbar – weswegen es von den Ägyptern nach dem fruchtbaren Schlamm schwarzes Land genannt worden war – und um das Nilwasser wuchsen Papyrusstauden und Gräser von sattem grün. Palmenhaine säumten die Strecke, die sanft im Wind wogten. Dahinter begann das, was die alten Ägypter das rote Land genannt hatten – die Wüste. Über all‘ dem stand ein strahlend blauer Himmel. So schön sah all‘ dies aus, dass es Yuugi beinahe die Tränen in die Augen trieb – und auch Atemu konnte sich einer gewissen Ergriffenheit nicht erwehren. Er war nie hier gewesen, kannte nicht einmal die Mutter, der er seine ägyptischen Wurzeln verdankte, aber er fühlte sich auf eine Art mit diesem Land verbunden, die er bisher nicht gekannt hatte. Gegen Abend machten sie am Ufer bei Memphis fest; Führungen, die von Seiten der Kreuzfahrtleiter angeboten wurden, würden jedoch erst am nächsten Tag stattfinden. Und dann, in ein paar Tagen erst, würden sie weiter fahren, nach Theben und nach Abu Simbel und zu allem, was man sonst noch gesehen haben musste. Aber erst einmal streiften die beiden durch die Stadt, die heutige Stadt, wohlgemerkt, nicht die Ruinen oder die Nekropole. Da sie sich nicht auskannten, gingen sie einfach aufs gradewohl los. Atemu war still und nachdenklich, gleichwohl seine Augen wach und aufmerksam alles um sich herum aufsogen. Yuugi aber hatte eine Ahnung, woran Atemu dachte:„Du denkst an deine Mutter, oder?“ Kurz trat ein überraschter Ausdruck auf Atemus‘ Gesicht, aber dann lächelte er, denn eigentlich es ja nichts Neues mehr, dass Yuugi seine Gedanken so gut erkannte. Obwohl es eine ganze Weile gedauert hatte, ehe Atemu sich damit abgefunden und daran gewöhnt hatte, dass es jemanden gab, der ihn kannte, der seine Gesichtsausdrücke und Gesten zu deuten wusste, der an der Art, wie er seine Kaffeetasse auf den Tisch stellte, erkennen konnte, wie er geschlafen hatte und der sich trotzdem niemals aufdringlich benahm. Manchmal war er immer noch überrascht, manchmal war es ihm auch unangenehm, denn er wollte kein offenes Buch für jemanden sein, nicht alles preisgeben. Andererseits waren seine Geheimnisse bei Yuugi gut aufgehoben. Nur änderte das nichts… In diesem Fall aber war es wirklich nicht schlimm, Atemu antwortete bereitwillig:„Ja… ich weiß nicht einmal, aus welcher Stadt sie kommt, dabei würde ich sie so gerne suchen, wo ich schon einmal hier bin. Aber es ist dumm, natürlich, Ägypten ist ein großes Land und ich kenne nicht einmal ihren Namen oder ihr Aussehen.“ Es ehrte Yuugi, dass er Atemu das zu verständnisvolle Lächeln ersparte sondern nur nüchtern sagte:„Das ist doch nur natürlich, jeder würde seine Mutter finden wollen.“ Seufzend gab Atemu ihm Recht, und auch, wenn die Stadt durchaus anziehend war, so ließ ihn der Gedanke nicht mehr los. Erst der nächste Morgen verscheuchte diese Fragen, als sie nämlich vom Schiff aus mit ihren Mitreisenden und ihrem Reiseführer zu den Ruinen aufbrachen. In Memphis fanden sich die Ruinen verschiedener Tempel – so die der Gottheiten Ptah, Isis und Re – außerdem Wohnhäuser und Palastruinen. Die Nekropole und die Tempel außerhalb der Stadt würden am nächsten Tag folgen. Yuugi und – ja, Yuugi hatte seinen Augen erst einmal nicht getraut – auch Atemu verbrachten den größten Teil des Tages mit offenen Mündern und – wie könnte es anders sein? – mit gezückten Kameras. Yuugi schoss Unmengen von Bildern, Atemu selbst hielt wenig davon, aber auf Yuugis‘ Bitten posierte er dann doch vor einer Statue Ramses‘ II. Zur Mittagszeit hatten sie ein wenig Freizeit, die sie dazu nutzen, die Ruinen auf eigene Faust zu erkunden, soweit ihnen das erlaubt war. Sie kauften sich jeder eine Falafel und suchten sich ein schattiges Plätzchen, um jene zu verspeisen. Im Schatten eines gewaltigen Obelisken fanden sie dann einen solchen Platz. Während sie so dort saßen und die Hieroglyphen auf dem Obelisken betrachteten, legte Yuugi den Kopf schief und sah auf eine der unteren Stellen, wo Personen abgebildet waren. Atemu folgte seinem Blick neugierig und als er sah, was auch Yuugi sah, da starrten sie eine Weile schweigend und verblüfft auf die betreffende Stelle. „Der… ähm… der sieht uns ganz schön ähnlich, oder?“, fragte Yuugi dann mit Blick auf den betreffenden Pharao, welcher trotz der stilisierten Figur eine frappierende Ähnlichkeit mit ihnen beiden aufwies – denn er hatte die gleiche Frisur wie sie. „Das könnte einer meiner Vorfahren sein!“, meinte Atemu, klang dabei aber eher belustigt. Yuugi prustete los:„Du als Pharao! Etwas Dümmeres kann man sich wohl nicht ausdenken!“ Atemu sah ein wenig säuerlich aus. Anderthalb Wochen später hatten sie beide einen Ort gefunden, der ihnen lieber war als Rom und das war Ägypten. Sie hatten am gestrigen Tag Theben erreicht. Diese Stadt übertraf Memphis noch an Bedeutung, auch hier hatten Pharaonen geherrscht, damals hatte die Stadt noch Waset geheißen. Heute aber genossen Atemu und Yuugi den Trubel, der jetzt in ihren Straßen herrschte. Es war Markttag und die Straßen waren zum Bersten voll. Atemu, der eigentlich keine Menschenmassen mochte, genoss es heute aber ausnahmsweise, sich von der Menge tragen zu lassen. Seit sie in Ägypten waren wirkte er gelöster und lockerer – nur nachts nicht, nachts dachte er an seine Mutter und es stimmte Yuugi traurig, den immer unglücklichen Ausdruck nicht aus Atemus‘ Gesicht verschwinden lassen zu können. Daran aber dachte Yuugi in diesem Augenblick nicht, als er sah, wie Atemus‘ Blick wie magnetisch von etwas angezogen wurde. Neugierig folgte Yuugi diesem Blick, aber was er daraufhin sah, gefiel ihm gar nicht. Atemu nämlich sah zu zwei Frauen hinüber, welche den Markt grade verlassen wollten. Offenbar zählten sie zu der christlichen Minderheit, denn sie trugen keine Kopftücher. Da sie grade fortgingen, konnte man sie nur von hinten sehen. Die junge Frau hatte langes, schwarzes Haar, das im Sonnenlicht bläulich schimmerte. Sie stützte eine Frau, die gebückt ging und deren Haar grau und zu einem Dutt geflochten war, aber der galt Atemus‘ Blick ja somit sicherlich nicht. Yuugi schnaubte und fasste Atemu wütend am Arm. „Ich dachte, wir hätten das Thema! Hör auf anderen Frauen hinterher zu sehen!“, sagte er wütend und zog Atemu hinter sich her. „Yuugi!“, protestierte Atemu, dessen Augenmerk gar nicht der jüngeren, sondern der älteren Frau gegolten hatte, und wollte sich losreißen, aber erbarmungslos zog Yuugi ihn hinter sich her, normalerweise war er nicht so stark wie Atemu, aber die Wut verlieh ihm Kraft. Atemu sah noch über die Schulter zurück zu den Frauen, aber dann zog Yuugi ihn weiter. Grade, als er den Blick wieder abwandte, drehten sich die Frauen ebenfalls um. Die ältere der beiden starrte ihnen hinterher, aber nun drehten sich weder Atemu noch Yuugi noch einmal um. So entging ihnen, dass die Augen der älteren Frau ebenso rot leuchteten, wie die Atemus‘. Hosted by Animexx e.V. 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