Der Pfau von Phillia (Deutschland, das sind wir selber) ================================================================================ Kapitel 28: 28 - Jedem Tierchen sein Plaisierchen ------------------------------------------------- Zwar war noch Nacht, aber das helle, funkelnde Licht war schon von Weitem zu erkennen, und obwohl der Weg matschig war und man leicht einsunk, beeilte Hamburg sich, zu dem plattgedrückten, aber riesigen Gebäude zu gelangen, das in der Finsternis so hell strahlte wie eine explodierende Supernova. Es war viel zu früh für ein Treffen, aber da die meisten Tiere nachtaktiv waren, hatten sie sich zum ersten Mal für vier Uhr morgens verabredet. Es war etwa fünf Uhr, während Hamburg in warmen, dicken Klamotten den sumpfigen Weg entlanghastete, mit den beiden goldenen Löwen ihres großen Staatswappens, die kläglich knurrten – es war viel zu kalt für die in ihrem natürlichen Terrain von Sonne verwöhnten Tiere. Aber Jette, die schon seit langer Zeit von den beiden begleitet wurde, wusste, dass sie nur so schlecht gelaunt waren, weil sie genau wie ihre Besitzerin es nicht leiden konnte, zu solch einer nachtschlafenen Zeit aufstehen zu müssen. Aus mehreren Kilometern Entfernung konnte man ein dumpfes, rythmisches Grollen hören, dass professionnell ausgeblendet wurde. Als Jette an der Tür angekommen war, klopfte sie und ihre beiden goldenen Löwen schmiegten sich eng an ihre Unterschenkel. Es war Roland, der ihr öffnete, mit dem goldenen Schlüssel, das einzige Mittel, jenes Gebäude zu öffnen, ob von außen oder innen, und er begrüßte sie mit einem energetischen „Moin“, für das sie nur ein müdes Blinzeln übrig hatte und sich an seiner Seite in den Raum schmuggelte. Es war ein unglaublich hoher Raum, mit riesigen Fenstern ohne Vorhänge und einem Obergeschoss, das offen einsehbar war. Die Wände waren einst weiß gewesen, aber heute hing eine rosé-grün-geblümte Tapete daran, die schon an vielen Stellen entfernt worden war. Jette sah sich um, auf der Suche nach bekannten Gesichtern, während Roland neben ihr irgendetwas vor sich hin brabbelte („... und dann war ich plötzlich in einem Wald, und...“) welchem sie kein Gehör schenkte. Wieder einmal hatte jeder alle Löwen mitgebracht, und diese lagen teilweise verschlafen auf einem großen flachen Stein, der extra dafür in diesem Raum lag. Auch Jettes Löwen, die eben die drei Löwen von Roland und Hein entdeckt hatten und mit ihnen gemeinsam zu dem Haufen Löwen schritten, um sich dort gemütlich niederzulassen und sich die Pfoten zu lecken, waren anwesend und trugen dazu bei, dass insgesamt fünfzehn dieser Großkatzen sich in dem Gebäude aufhielten. Jette gähnte hinter vorgehaltener Hand; in genau diesem Moment rauschte ein großer schwarzer Stier an ihr vorbei und sie blieb perplex stehen. Es war, natürlich, einer der beiden Stiere von Mecklenburg-Vorpommern, der einzige von ihnen, der sich dieses extravagante Wappentier ausgesucht hatte. Verfolgt wurde der Stier von dem anderen Stier, und wie es Jette bekannt war, würden die beiden – wie seltsamerweise jedes Jahr – versuchen, die Schimmelstute von Hans zu begatten. Aber als stolzes Pferd, wie sie es wohl war, würde sie die seltsamen Stiere abweisen, und ihr Bruder, Niedersachsens Brillant, würde laut wiehernd einschreiten. Aber noch waren die beiden Stiere in ihrer Verfolgungsjagd verstrickt, und Jette würde sicherlich nicht einschreiten... Sie ließ sich an den Rand des langen Tisches nieder, der für die Bundesländer aufgestellt war, und die harte Holzbank unter ihr war von den jährlichen Treffen schon längst abgesessen. Es war genauso eine Tradition wie Weihnachten oder das Oktoberfest; jeden Frühling trafen sie sich mit ihren Wappentieren, und jeden Frühling konnten sie beobachten, wie sich diese Tiere eben so verhielten, wie man es von ihnen erwarten würde... tierisch. Wie zur Bestätigung dieses Gedankenganges landete der Adler von Sachsen-Anhalt in eben jenem Moment auf Jettes Kopf, und mit einem schrillen Kreischen schüttelte sie ihn ab und blickte das preußische Tier mit bösem, alles Gute in dieser Welt zermalmendem Blick an, bis es den Kopf in seinen Schultern vergrub und jämmerlich fiepsend auf den Schoß von Grete hüpfte, die dafür nur ein leichtes Lachen übrig hatte. Vom anderen Ende des Tisches hatte der rote Adler von Brandenburg dieses Schauspiel aus kühlen Augen beobachtet und erhob sich dann hoch hinaus, bis er direkt unter dem Dachgebälk war und sich mit eingezogenem Rücken, ganz und gar nicht majestätisch, wie es sich für einen Adler gehört, dort niederließ. Albrecht sah ihn besorgt an und murmelte ein paar Worte, dass das Tier doch wieder hinunterkommen sollte, statt dort oben ganz allein in der Dunkelheit zu sitzen, aber es hörte ihn nicht, und als Berlin synchron mit seinem Bären eine Pranke auf Albrechts Schulter fallen ließ, war dieser zu abgelenkt, als dass er sich weiter mit seinem Tier beschäftigen könnte – genauer gesagt war er durch die Wucht des Bärentatze mit der Stirn direkt in das weiche Müsli gepresst worden, das vor ihm auf dem Tisch stand. Paul konnte sich ein leises Kichern nicht verkneifen, dann nahm er seine Serviette und bot sie Brandenburg freundschaftlich an. Jette beobachtete diese rührende Szene einen Moment lang, ehe ihr Blick unwillkürlich auf den beiden Greifen landete, die in der Luft tänzelten und sich krächzende Laute zuwarfen. Einer der Greife, das wusste sie, die junge rote Dame namens Alwine – zuerst hatte sie gedacht, als er sie in einem Brief an Jette erwähnt hatte, dass Fritz einfach „Lawine“ falsch geschrieben hatte – gehörte Mecklenburg-Vorpommern, welcher sich nicht darum zu kümmern schien, was seine Tiere machten, denn er war zu sehr an dem Kartoffelbrei interessiert, in den er mit seiner Gabel simple Formen hineinmalte. Deswegen bemerkte er – im Gegensatz zu Hamburg – auch nicht, wie der andere Greif, mit goldenem und silbernen Fell glänzend und beinahe glitzernd, seinen Greif scheinbar dazu überredete, aus der Luft Jagd zu machen auf den Hirsch, der noch friedlich neben Brillant stand und dessen Fell im Energiesparlampenlicht (denn Glühbirnen waren verboten worden) eben golden-silbern glänzte. Jette schmunzelte ein wenig, und sie richtete den Blick auf den Besitzer des Greifes, und Baden hatte die Augen glühend auf sein Tier gerichtet, scheinbar nur darauf wartend, dass er die Klauen in den unwissenden schwäbischen Hirsch schlug. Ein Knurren aus der Richtung des Löwensteins ließ sie ihre Augen misstrauisch verengen. Normalerweise kamen die zahlreichen männlichen Löwen gut miteinander aus. Es gab schließlich genug Futter, gesponsort von den zahlreichen Zoos der Bundesrepublik, und manche von ihnen mussten zuhause doch manchmal Hunger leiden – ob ihre Besitzer ihnen das Fressen nicht zahlen wollte oder nicht zahlen konnte, war nebensächlich, wenn man nichts im Magen hatte. Die beiden blauen Löwen von Otto lagen übereinander in einer Ecke und betrachteten das ganze mit offenen, gähnenden Mäulern. Über dem ganzen Geschehen thronte Zenzies Panther wie ein König und ließ von einer etwas erhöhten Liegegelegenheit seinen langen, blauen Schwanz über der Situation schwenken. Neben den blauen Löwen lag ein goldenes Knäuel aus Hamburgs, Bremens und Loreleys Löwen. Die Wappentiere, die Probleme machten, befanden sich jedoch in der Mitte des Steines. Da war das Bein einer jungen Antilopen, und da waren fünf nimmersatte Löwen, die sich darum zankten. Drei Stauferlöwen – von Baden-Württemberg vernachlässigt, die nur Augen für die beiden Tiere mit güldenem und silbernen Fell hatten – waren schon genug, um den Streit zu einem ausgewachsenen Krieg werden zu lassen, aber auch Nicoles kleiner Villeroy war hungrig wie ein, nun ja, wie ein Tier, und seine Herrin war ganz damit beschäftigt, sich von Zenzie eine Geschichte erzählen zu lassen, sodass sie ihm nichts von ihrem Essen anbieten konnte. Der lauteste von ihnen war allerdings Sachsens Löwe, ein stolzes schwarzes Tier, das es sich nicht gefallen lassen wollte, dass es mit weniger als die anderen auskommen sollte. Am Ende wurde das Stück Fleisch von dem roten und von dem schwarzen Adler gemeinsam gestohlen, und die beiden suchten sich eine ruhige Ecke, wo sie es fressen konnten. Hamburg, die kurz davor gewesen war, die Löwen daran zu hindern, sich gegenseitig zu zerfleischen, atmete wieder auf. Wenn sie sich nicht verzählt hatte, dann fehlten da allerdings noch zwei Löwen, und so schwer zu übersehen waren die beiden nicht... ah, natürlich. Ganz am Rande, man erkannte sie kaum, ruhten Thüringens und Hessens Löwe in einer Eintracht, die ihre beiden Besitzer in nächster Zeit nicht erreichen würden. Sie waren Vater und Sohn, und unüblich für diese Tierart kamen sie harmonisch miteinander aus. Ein kurzer Blick auf Bernd und Karol bestätigte, dass auch diese beiden die zwei Löwen ansahen, ob nun wütend oder nachdenklich spielte keine Rolle... sie blickten sie an. Aus der Ferne war ein dumpfes Dröhnen zu vernehmen, das immer schneller immer näher zu kommen schien. Zuerst klang es wie ein Gewitter, dann ging ein Jette ein Licht auf und sie erhob sich ruckartig. Sie seufzte. Musste das sein? So viele Jahre über hatte sie Ruhe gegeben. Und nun sollte sie wieder den Wunsch verspüren, zu diesen Treffen zu erscheinen, obwohl sie doch wusste, dass das unangebracht war und sie vollkommen unerwünscht war? Es war unmöglich, mit ihrer Stimme durch den allgegenwärtigen Lärm zu dringen, obwohl sie sich räusperte, mehrfach sogar. Niemand hörte ihr zu, aber da war noch ein wenig Gewissen, dass sie die armen Bundesländer nicht einfach in Ruhe lassen konnte, während sie fortlief, zumal die Zerstörung dieses Gebäudes – das dumpfe Pochen kam rasend schnell näher – wohl nun ihre Verantwortung sein müsste. „Hey!“ rief sie laut. Ein oder zwei Augenpaare sahen sie an. Das war schon einmal eine gute Quote. Sie wiederholte also diese Tat, bis sie die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich liegen wusste. „Sie kommt.“ Ihr Gesicht war bleich und unterstrich die Ernsthaftigkeit der Situation. Nicht jeder verstand sofort, aber die, die es taten, sprangen auf und sammelten ihr Tier oder ihre Tiere ein, und aus Gruppenzwang folgten ihnen auch die nicht ganz so gescheiten Bundesländer. Am Ende blieben nur Hamburg und Bremen zurück, vor den Toren des Gebäudes, mit ihren verängstigten Löwen. Mit zitterndem Griff versuchte Bremen, es wieder zuzuschließen, während Jette mehrere Meter hinaufblicken musste zu der Burg, die plötzlich vor ihr erschienen war. Das Gebäude schien zu jaulen und zu jammern, und es sah sie aus traurig gesenkten Sternen vorwurfsvoll an. Mit sanfter Hand strich sie über die weißen, im Sonnenaufgang glänzenden Steine, aus der die Burg in ihrem Wappen erbaut worden war. „Du weißt, dass du nicht kommen sollst.“ sagte sie ihr, und die Burg fiepte mitleidserregend auf. Bremen mischte sich ein. „Hey, wenn die so gerne mitmachen will – warum machen wir dann nicht einfach das nächste Treffen in ihr?“ Jette sah ihn kurz an und nickte. Die Burg wirkte glücklicher. Ihre Glocken läuteten hell und fröhlich. Die Sonne ging auf, und von einer Turmspitze aus winkte Hamburg Bremen zu, während die Burg sie jubilierend nach Hause brachte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)