kyoosha - learning by doing von ivy-company (AoixKanon) ================================================================================ Kapitel 52: Wie man Fehler wiedergutmacht ----------------------------------------- Kapitel 52 Wie man Fehler wiedergutmacht Mit leichtem Druck ließ er die Fingerkuppen über die Saiten streichen und entlockte dem Instrument damit Klänge, die ihm in den letzten Wochen so wichtig geworden waren, dass er wusste, sie niemals zerstören zu können. Weil sie zu Aoi gehörten. Trotzdem wollte er wissen, wie ernst es Aoi mit seinem Vorschlag meinte. „Und was ist, wenn ich sie nehme und aus dem Fenster schmeiße?“ Kanon sah Aoi herausfordern an. „Du kannst damit machen, was du willst“, wiederholte der Gitarrist seine Worte und schluckte hörbar, während Kanon den nächsten Akkord anstimmte und weiterüberlegte: „Ich könnte sie natürlich auch auf e-bay. versteigern! Das würde sicher ne Menge Geld bringen. Oder ich könnte sie Miyavi schenken!“ Der Jüngere versuchte möglichst neutral zu gucken, was ihm bei Aois schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck wirklich schwer fiel. Der Ältere schien sichtlich mit der Fassung zu kämpfen. „Du kannst damit machen, was du willst.“ Dieses Mal war seine Stimme leiser. Sein ganzer Anblick war so mitleiderregend, dass Kanon das Spiel nicht weiter spielen konnte. Er hatte ja auch inzwischen seinen Beweis. Aoi meinte das Angebot wirklich ernst. Und Kanon glaubte ihm auch, dass er nichts unternehmen würde, würde der Jüngere die Gitarre vor seinen Augen zerstören. „Du bist unglaublich“, meinte er nur kopfschüttelnd. Auf so eine dämliche Weise hatte noch nie jemand versucht sich bei ihm zu entschuldigend. Aber irgendwie war es ja süß. Und auch sehr wirkungsvoll! Seufzend rutschte Kanon ein Stück zur Seite und gab Aoi mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er sich neben ihn setzen sollte, was der Gitarrist auch ohne Widerworte tat. Ein leichtes Schmunzeln schlich sich auf Kanons Lippen, als er dem Älteren dann wieder das Instrument in die Hand drückte, was diesen überrascht aufblicken ließ. „Die ist ohne deine Hände doch eh fast nichts wert“, erklärte er nur schulterzuckend. Mehr musste er nicht sagen. Aoi würde es schon verstehen. Und tatsächlich verwandelte sich der verwirrte Gesichtsausdruck in ein dankbares Lächeln. „Aber vergiss nicht, ab heute gehört sie auch ein bisschen mir.“ Das Lächeln des Älteren wurde noch etwas breiter. Liebevoller. „Nein, das werd ich nicht vergessen.“ Einen Moment lang lächelten sie sich einfach nur so an, bis Aoi den Blickkontakt abbrach. „Kanon?“, fragte er vorsichtig, den Blick auf seine Gitarre gerichtet. „Hm?“ Der Angesprochene war ein wenig verwirrt von dem plötzlichen Stimmungswandel und dieser machte ihm sogar ein klein wenig Angst, die sich bei Aois nächsten Worten aber zum Glück als unbegründet herausstellte. „Ich… Also…“ Ihre Blicke trafen sich wieder und der Gitarrist schien mit einem mal ziemlich verunsichert. „Tut mir leid. Wirklich.“ Das Lächeln tauchte bei diesen Worten sofort wieder auf Kanons Gesicht auf. „Du hast dich doch schon entschuldigt.“ „Ja, aber nicht so richtig. Ich will nur, dass du weißt, dass es mir wirklich leid tut. Reita hat mich so wütend gemacht… Aber trotzdem hätte das nicht passieren dürfen.“ Der Gedanke an diesen Moment versetzte dem Jüngeren einen erneuten Stich und seine Hand bewegte sich ganz von alleine, bis sie an den kaputt Bass neben ihm stieß. Er war nicht wütend. Er war auch nicht mehr wirklich enttäuscht. Zumindest nicht so wie vor wenigen Augenblicken noch. Jetzt war er eher traurig. „Mach dir nicht so nen Kopf. Es ist nicht zu übersehen, dass du das nicht mit Absicht gemacht hast.“ Kanon versuchte sich an einem Lächeln, aber es gelang wohl nicht ganz so, wie er erhofft hatte, denn Aoi sah ihn zweifelnd an. Und noch schuldbewusster als eben. Diesen Ausdruck kannte der Bassist von ihm gar nicht. Nicht in dieser Form. „Aoi!“, meinte er deshalb leicht tadelnd. „Da kann man jetzt sowieso nichts mehr machen!“ Der Ältere schien das aber nicht ganz so zu sehen. „Wir könnten dir einen Neuen kaufen gehen…“, überlegte er laut. „Oder ich bring ihn zum Reparieren.“ „Um die Uhrzeit?“ Er war ja wirklich sehr niedlich, wie sich Aoi Gedanken machte, aber weder brauchte er einen neuen Bass, noch war es um diese Uhrzeit sehr sinnvoll noch loszuziehen. „Es ist schon neun und ich hab ja auch noch einen zu Hause. Arbeitsunfähig werd ich also schon nicht sein.“ Aoi nickte. „Reita würde dir auch sicher einen leihen.“ Kanon glaubte das auch und konnte ein ironisches Lächeln nicht unterdrücken. Das war doch Irrsinn! In dem einen Moment hatte er noch richtig Streit mit Reita und es hieß Aoi und er gegen den Rest der Welt und im nächsten Moment würde Reita ihm eines seiner Instrumente ausleihen? Wo waren die beiden Fronten geblieben? Kanon verspürte keine Wut mehr auf Reita, was ihm irgendwie den Wind aus den Segeln nahm. Wo standen sie nun alle? „Kanon?“, kam die leise Frage von Aoi, der ihn damit wieder aus seinen Gedanken riss, bevor er noch weiter abdriftete. Wahrscheinlich besser so. „Ja, ich glaub auch, dass Reita mir einen Bass ausleihen würde“, stimmte der Jüngere zu, als ihm das eigentliche Thema wieder eingefallen war. „Es ist nur… der Bass war für mich immer ein Teil von meinem zu Hause, dass ich mit hier her genommen habe.“ Bei den Worten fuhr der Bassist liebevoll über das Instrument neben sich und lächelte den Älteren dann traurig an. Aoi würde sicher verstehen, was er meinte. Es war immer eine Art Heimatgefühl, wenn man sein Instrument in den Händen hielt. Egal ob man sich nun in der eigenen Wohnung oder irgendwo in der Fremde befand. Allerdings war der Gesichtsausdruck des Gitarristen nicht verstehend. Er wirkte eher verletzt. „Also fühlst du dich hier nicht zu Hause?“ Kanon wusste als erstes gar nicht, was er antworten sollte. Aoi hatte versucht es zu unterdrücken, aber Kanon hatte ganz eindeutig Verbitterung und Vorwurf in der Stimme des Älteren gehört. „So hab ich das nicht gemeint!“, meinte der Bassist hastig und wollte gerade weiter erklären, als er hörte, wie die Haustür zugeschlagen wurde. „Reita“, knurrte Aoi leise. Eine Reaktion die Kanon irgendwie verstehen konnte. Der Blonde hatte seinen Bandkollegen vorhin ziemlich fertig gemacht und nur weil Kanon nicht böse auf ihn war, hieß das noch lange nicht, dass für Reita das Gleiche galt. „War er weg?“, fragte Kanon leise, aber Aoi zuckte nur mit den Schultern. „Anscheinend. Und er hätte auch ruhig noch länger bleiben können.“ Nach einem kurzen Augenblick Stille sah der Ältere wieder auf und sein Tonfall hatte sich wieder geändert. „Wegen eben… Meinst du, du würdest dich hier wieder mehr zu Hause fühlen, wenn wir etwas aus deiner Wohnung holen? Deinen anderen Bass vielleicht?“ „Ich hab dir doch gerade gesagt, dass ich das nicht so gemeint habe.“ Jetzt bekam Kanon auch noch ein schlechtes Gewissen! „Ich fühl mich hier zu Hause! Wirklich!“ „Aber du brauchst ihn doch sowieso. Dann könnten wir ihn ja auch jetzt holen.“ „Jetzt?“ Hatten sie nicht eben geklärt, dass es schon viel zu spät für solche Ausflüge war? „Das reicht morgen auch noch!“ Verständnislos sah der Bassist Aoi an, der betrübt den Kopf senkte und auf den Boden blickte. Und da ging Kanon ein kleines Licht auf. Allem Anschein nach fühlte sich der andere wirklich ziemlich schuldig und wollte einfach nur irgendetwas tun, damit es dem Jüngeren besser ging. Da erschien ihm wohl jede noch so abwegige Tat besser als hier nur rumzusitzen. „Na gut“, seufzte er schließlich mit einem liebevollen Lächeln auf den Lippen. Irgendwie seltsam, dass er jetzt derjenige war, der den anderen aufmuntern musste. War das nicht eben noch andersrum gewesen? Aber vielleicht hatte der kleine Ausflug ja auch noch einen anderen Nutzen. Sie mussten keine Angst haben, Reita den restlichen Abend über zu begegnen – was sehr wahrscheinlich war, wenn man in der gleichen Wohnung lebte. Kanon hatte nämlich keine Lust auf einen weiteren Streit. Weder zwischen ihm und dem Blonden über seinen Auszug, noch auf eine weitere Moralpredigt, die Reita sicher für Aoi auf Lager hatte. „Also… Wenn du nicht willst, dann müssen wir auch nicht…“, warf der Ältere plötzlich ein, was Kanon erneut seufzen ließ. „Du wolltest mich doch eben dazu überreden!“ „Ja, aber…“ „Jetzt komm schon. Lass uns fahren, bevor Reita nochmal so einen Anfall bekommt!“ Es war so seltsam, Aoi so bedrückt zu sehen. Eine neue Situation, mit der Kanon umgehen musste. Als der Ältere ihm jetzt ein schüchternes Lächeln schenkte und nickte, wusste der Bassist, dass er auch die Rolle des Trösters für Aoi übernehmen würde. Hauptsache der Gitarrist wurde wieder glücklich. Entschlossen stand Kanon auf und ging zur Zimmertür. Wenn sie nicht sofort losgingen, dann würden sie es wohl gar nicht mehr tun. Der Bassist lugte vorsichtig durch den Türspalt. Von Reita war keine Spur zu sehen, also war er entweder im Bad oder auf seinem Zimmer. „Komm schnell!“, flüsterte der Jüngere und winkte Aoi zu sich, der immer noch verwirrt auf dem Bett saß. „Jetzt sofort?“ „Willst du etwa bis Mitternacht warten? Außerdem ist gerade die Luft rein.“ Bei den Worten erhob sich auch der Ältere endlich vom Bett und sie durchquerten zusammen so schnell und leise wie sie konnten das Wohnzimmer. Kanon wusste, dass sein Verhalten kindisch und auch irgendwie gemein war. Schließlich wollte Reita ihn nur in Schutz nehmen. Der Blonde stand auf seiner Seite! Allerdings hatte er nicht das Gefühl, dass jemand wirklich auf seiner Seite stehen konnte, wenn derjenige zeitgleich gegen Aoi war. Eine Einstellung die vielleicht noch kindischer war als sein Verhalten selbst. „Motorrad oder Auto?“ Aoi hielt ihm die beiden Schlüssel unter die Nase und riss ihn damit aus seinen Selbstzweifeln. Eigentlich musste sich Kanon die Antwort nicht wirklich überlegen. Es war ein kalter und anstrengender Tag gewesen. „Gehört das Auto nicht Reita?“, fragte er zaghaft und biss sich dabei auf seinen Piercing. Aoi schien sein schlechtes Gewissen nicht nachvollziehen zu können und zuckte nur mit den Schultern. „Er wird’s heute Abend wohl nicht mehr brauchen.“ Der Ältere sah, wie Kanon haderte und fügte dann noch lächelnd hinzu: „Rei nimmt ständig mein Motorrad ohne nachzufragen! Außerdem lass ich’s sicher nicht zu, dass du mir vor Kälte und Erschöpfung noch von der Maschine fällst!“ Kanon konnte bei den Worten ein Lächeln nicht unterdrücken. Da war wieder der Aoi, den er kannte. Der Aoi, der ihn aufmunterte und sich um ihn kümmerte. Und Kanon wusste auch den Tonfall zu interpretieren. Widerworte wären sinnlos. „Dann lieber das Auto“, gab der Jüngere lachend zu und schnappte sich seine Jacke vom Kleiderständer, in deren Tasche sein Schlüsselbund war. Statt seine eigenen Schlüssel irgendwo zu verstauen, hatte er den für Aois Wohnung einfach an seinen Bund dazu gehängt. Als wäre es der Schlüssel zu seiner eigenen Wohnung. Das Auto war eine kleine Müllhalde, was Kanon allerdings nicht weiter verwunderte. Flaschen, Papier und sonstiges teilweise undefinierbares Zeug lag auf dem Boden und der Rückbank herum. Und als sich Aoi peinlich berührt dafür entschuldigte, bemerkte der Bassist eine weitere Eigenschaft, die er an dem anderen mochte: Seine Ehrlichkeit. Schließlich hätte er die Unordnung auch einfach Reita in die Schuhe schieben können. War ja immerhin dessen Auto. Während sie sich auf den Weg zu Kanon machten, merkte dieser, dass sich seine Laune schon wieder ziemlich gebessert hatte. Sein Bass war immer noch kaputt, aber diese Ablenkung schien ihm gutzutun. Außerdem war er mit Aoi unterwegs und anscheinend war auch dieser nicht mehr ganz so betrübt wie zuvor. Immer wieder musste er den Älteren von der Seite her ansehen und konnte das warme Gefühl, das dabei in ihm aufkam, nicht unterdrücken. Er wollte es auch gar nicht unterdrücken. Es wäre kindisch Aoi böse zu sein, nach allem, was dieser gerade für ihn getan hatte, um ihn wieder aufzumuntern. Und es war ja keine Absicht gewesen. Diesen Satz rief er sich wieder und wieder ins Gedächtnis. Sie redeten nicht viel auf der Fahrt. Ab und zu sah Aoi zu ihm hinüber und erwischte Kanon dabei, wie er ihn anstarrte, aber das war diesem egal. Er schenkte dem Älteren daraufhin nur ein Lächeln und sah wieder nach vorne auf die Straße. Und nach einem kurzen Zwischenstopp im Kombini, um sich für den Abend etwas zu essen mitzunehmen, kamen sie bei Kanons Apartmentkomplex an. Es war seltsam, aber mit einem Mal war sich der Bassist gar nicht mehr sicher, ob es eine gute Idee gewesen war, Aoi mit in seine Wohnung zu nehmen. Hatte er überhaupt aufgeräumt, bevor er gegangen war? Außerdem war sie so klein im Vergleich zu Aois und Reitas Wohnung! Der Gitarrist würde sich dort sicher nicht wohl fühlen. Wahrscheinlich war es besser, wenn sie ganz schnell den Bass holten und dann wieder zurückfuhren. Essen konnten sie auch, wenn sie wieder in der Wohnung des anderen waren. Mit einem furchtbar mulmigen Gefühl im Magen stieg er gefolgt von Aoi in den Aufzug, der sie zu seiner Wohnung führte. Die Fahrt gab ihm leider noch mehr Zeit um zu zweifeln. Was würde Aoi wohl zu seiner Mangasammlung sagen? Natürlich hatte er bei Aoi und Reita auch einige herumfahren sehen, aber bei weitem nicht so viele wie bei ihm. Und schon gar nicht so penibel geordnet und gepflegt. Ähnlich sah es mit seiner Spielesammlung für seine Konsolen aus. Er sammelte einfach gerne und es machte ihm Freude seine Schätze zu ordnen und dadurch schön zu präsentieren. Eine Eigenschaft, die ein Chaot wie Aoi sicher für völlig verrückt halten würde. Natürlich hatte dieser ja auch eine sehr beachtliche Sammlung an CDs und DVDs in seinem Wohnzimmer stehen. Nur leider gehörten die alle nicht Aoi allein und diese Sammlung wirkte in der großen Wohnung cool. Aoi würde ihn für einen Freak halten! Passend zu seiner Überlegung öffnete sich die Tür des Aufzugs. Es gab kein Zurück. Nervös legte der Bassist die letzten paar Meter zu seiner Wohnungstür zurück. Dicht gefolgt von Aoi. Kanon zog den Schlüssel aus seiner Jackentasche und spielte verlegen damit herum. „Hab ich dir eigentlich schon mal von meiner Wohnung erzählt?“ „Nein, nicht wirklich. Ich lass mich überraschen!“ Der Gitarrist schenkte ihm ein so perfektes Lächeln, dass Kanon noch mulmiger wurde. Vielleicht hätte er Aoi mal erzählen können, was für ein Freak er war. Zu spät. Der Bassist steckte den Schlüssel ins Türschloss, zögerte dann jedoch und sah zu dem Älteren. „Sicher, dass du nicht kurz draußen warten willst?“ Als Antwort legte Aoi nur seine Hand ermutigend auf die des Kleineren und drehte mit ihm gemeinsam den Schlüssel um. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)