Heldenzeit von Ur (Spiegelverkehrt & Kryptonit & Vulkado | Oneshot- Sammlung) ================================================================================ Kapitel 6: Wütend ----------------- Leon liebte Felix. Abgöttisch und ungesund doll und mit allem, was dazu gehörte. Und er liebte ihn bedingungslos. Aber zum allerersten Mal in seinem Leben war er wirklich sauer auf ihn. Leon hatte nie gedacht, dass das wirklich passieren konnte und immerhin war es das erste Mal nach sieben Monaten Beziehung passiert. Aber immerhin. Es hatte sich in ihm aufgestaut und schließlich seine Entladung gefunden. Und nun saß er in seiner Wohnung und starrte frustriert und immer noch stumm vor sich hin köchelnd auf seinen Fernseher. Das Abendprogramm war nicht besonders zufrieden stellend und lenkte ihn kein bisschen ab. Also schaltete er den Fernseher schließlich aus. Leise vor sich hin grummelnd tigerte er in seine Küche, starrte in den Kühlschrank, schloss ihn wieder, ging ins Bad und überlegte, ob er Wäsche waschen sollte. Aber er hatte keine Lust. Keine Lust auf gar nichts. Höchstens Felix knutschen, aber auf den war er ja sauer. Was für ein Scheißdreck! Er hatte sich so für diese dämliche Klausur angestrengt. Er hatte eine ganze Woche lang gelernt und auf jedes Treffen mit der Band und mit Felix verzichtet. Normalerweise schaute er sich seine Unterlagen einmal in der Nacht vor der Klausur an… und dann hatte er in diesem verdammten Hörsaal gesessen und er hatte die Hälfte der Fragen nicht gepeilt. Er hatte einfach nicht verstanden, was der elende Dozent von ihm gewollt hatte. Und das hatte ihn geärgert, weil er sich das erste beknackte Mal wirklich für eine Klausur angestrengt hatte. Als er nach Hause kam, blinkte sein Anrufbeantworter. »Hey Noel, ruf mich zurück, wenn du wieder zu Hause bist! Heut Abend ist Party bei Timo!« Er stöhnte auf und starrte den Anrufbeantworter an. Seine Lust heute Abend wegzugehen hielt sich in Grenzen. Er war einfach zu schlecht gelaunt. »Hey! Endlich bist du zu Hause, das hat ja ewig gedauert!« Leon grummelte. »Ich hab heute Abend keine Lust auf Timos Party«, sagte er gerade heraus und ging mit dem Telefon in die Küche, um sich eine Tiefkühllasagne in den Ofen zu schieben. »Sei nicht albern, natürlich hast du Lust«, sagte Felix scheinbar bestens gelaunt. Leon verzog das Gesicht. »Ich hab die Klausur heute total in den Sand gesetzt, ok? Mir ist einfach nicht nach lauter Musik und Schnapsleichen.« Felix stöhnte. »Ich bitte dich, das ist doch lächerlich. Was macht denn schon eine versaute Klausur? Du bist doch nicht so ein Streber.« Leon konnte es nicht fassen. Was war an einem ›Nein‹ denn nicht zu verstehen? Er wollte nicht. Und es war nicht albern, wenn er sich über eine in den Sand gesetzte Klausur ärgerte! Felix war eindeutig der strebsamere von ihnen beiden. Der hatte ja gut reden. »Ich bin kein Streber. Ich bin nur angepisst, weil ich mich angestrengt hab und der blöde Prüfer total unverständliche Fragen gestellt hat…« Felix seufzte theatralisch. »Dann kann so ein bisschen feiern dich doch nur aufmuntern. Ich hol dich um acht ab, muss jetzt auflegen. Chris sitzt hier rum und wartet auf mich! Tschüss!« Und dann legte er auf. Leon starrte den Telefonhörer ungläubig an. Erst mal predigte er Felix seit Ewigkeiten, dass er es hasste, wenn er sich mit Christian bei einem der beiden alleine traf. Und dann benahm sich Felix ihm gegenüber immer so, als wäre er ein kleiner Junge, wenn Christian dabei war. Als müsste er Christian zeigen, wie toll er war und wie unterbelichtet Leon war und wie sehr er einen Erwachsenen brauchte, der ihm sagte, wie er sein Leben zu leben hatte. Wütend schmiss er das Telefon auf die Arbeitsplatte und widerstand dem Drang gegen einen seiner Küchenstühle zu treten. Nie nahm Felix ihn ernst. Nie! Es war absolut egal, was Leon sagte, tat oder in welcher Situation sie sich befanden. Felix behandelte ihn ständig, als wäre er absolut lebens- und entscheidungsunfähig. Er wollte nicht auf diese blöde Party gehen. Es machte ihm etwas aus, dass er die Klausur verbockt hatte. Und es ärgerte ihn, dass Christian in Felix’ Schlafwohnzimmer hockte und wahrscheinlich breit grinste, weil Leon dumm war und Felix nicht. Normalerweise ließ Leon diese Behandlung über sich ergehen. Er war es ja irgendwie gewöhnt. Felix hatte sich ihm gegenüber beinahe immer schon so verhalten. Aber heute. Ja, heute regte es ihn dermaßen auf, er hätte Felix am liebsten geschüttelt und angeschrien. Und das war noch nie der Fall gewesen. Wieso hatte ihn das bisher noch nie gestört? Nicci predigte immer, dass Liebe blind machte. Das musste es dann wohl sein. Er starrte säuerlich seine Lasagne an, als wäre sie Schuld an all seinem Übel. Er würde Felix noch eine SMS schreiben, damit er nicht wirklich herkam und ihn abholte, denn Leon wollte nicht auf irgendwelche Partys. Er wollte sich in sein Wohnzimmer verkriechen und stumm vor sich hin brodeln. Sex wäre auch nicht schlecht. Aber dafür war er zu wütend auf Felix. Nachdem er seine Lasagne aus dem Ofen geholt hatte, setzte sich an seinen winzigen Tisch, und schaltete Musik an. System of a Down, schön laut. Bestens geeignet gegen Aggressionen. Während er seine Lasagne mit einer Hand in sich hinein schaufelte, tippte er mit der anderen mühsam eine SMS im Takt zu B.Y.O.B. »Brauchst mich nicht abholen. Ich geh nicht mit. Viel Spaß euch beiden.« Dann warf er das Handy beiseite und widmete sich mit beiden Händen seiner dampfenden Lasagne. Als er sich auch noch die Zunge verbrannte, war Leon sich sicher, dass dies einer der miserabelsten Tage in seinem Leben sein musste. Um fünf vor acht war er gerade dabei, sich einen Film auszusuchen, den er noch nicht zehn Mal gesehen hatte, da klingelte es an der Tür. Das konnte doch nicht– Er öffnete die Tür und wurde von einem strahlenden Felix begrüßt. »Du hast noch deine Jogginghose an«, informierte er ihn. Leon starrte ihn an. »Ja, ich gehe ja auch nicht mit«, knirschte er und die Wut kochte erneut in ihm hoch. Felix hob die Brauen. »Aber du kannst doch hier drin nicht versauern, nur weil mal eine Klausur schief gelaufen ist«, sagte er und es klang schon wieder so, als wäre Leon völlig bescheuert. Er atmete einmal tief durch. »Doch, kann ich. Ich hab keinen Bock«, sagte er möglichst ruhig. Er wollte Felix eigentlich ungern anschreien. »Ach Mensch, Noel! Hast du deine Tage oder was?«, fragte Felix und klang nun tatsächlich genervt. Leon konnte es nicht fassen. Und in diesem Moment verlor er die Beherrschung. »Du kannst mich mal am Arsch lecken!«, herrschte er Felix an, der erstaunt die Brauen hob, was Leons Zorn nicht im Mindesten milderte. »Ich hab keinen Bock auf diese Scheißparty und ich hab es satt, dass du mich nie ernst nimmst und immer so tust, als wäre ich fünf! Geh allein mit deinem Gorilla auf diese beknackte Party und lass mich einfach in Ruhe!« Und mit diesen Worten schlug er Felix die Tür vor der Nase zu und stampfte zurück ins Wohnzimmer. Leon hatte einen Film angeschaut. Dann hatte er es mit einem Porno versucht. Beides hatte nicht funktioniert und das blöde Free- TV war auch nicht besser. Mittlerweile war es halb zwölf und er war immer noch schlecht gelaunt und sauer auf seinen Freund. Das war ein unangenehmes Gefühl und er war es nicht gewöhnt. Aber es störte ihn unheimlich, dass Felix nicht noch einmal geklingelt und sich entschuldigt hatte. Oder ihm eine SMS von der Party geschrieben hatte. Aber vielleicht hatte Felix gar nicht eingesehen, wieso Leon sauer war. Vielleicht war er nun selbst sauer. Na wunderbar. Konnte es noch schlimmer kommen? Wahrscheinlich nicht. Es sei denn, er bestand die Prüfung mit 3,9 und hatte keine Möglichkeit, sie zu wiederholen. Dann doch lieber durchfallen und sie noch mal schreiben. Um viertel nach zwölf beschloss er, dass er jetzt ins Bett gehen sollte, bevor er noch miesepetriger wurde. Insgeheim hatte er die ganze Zeit auf sein Handy gestarrt und darauf gewartet, ob vielleicht irgendein Lebenszeichen von Felix kam. Aber der meldete sich nicht. Leon hasste sein Leben. Er erwachte von einem Klingeln. Verwirrt blinzelte er und setzte sich auf. Hatte er das geträumt? Aber offenkundig hatte er das nicht, denn es klingelte noch einmal und verpennt stellte Leon fest, dass das seine Türklingel war, die ihn geweckt hatte. Brummend warf er einen Blick auf die Leuchtziffern seines Weckers. Es war halb vier. Eine tolle Zeit, um aus dem Bett geklingelt zu werden. Wenn das ein Klingelstreich war, dann würde er die besoffenen Jugendlichen finden und ihnen das Leben zur Hölle machen. Die mussten sich schließlich nicht mit Strafrechtklausuren rumschlagen und… mit… Felix. Felix, der da gerade die Treppen herauf kam. Offensichtlich bemühte er sich, nicht zu torkeln, aber das gelang ihm nur zur Hälfte. »Es ist halb vier«, knurrte Leon verschlafen und rieb sich wie zur Bestätigung seiner Worte über die noch verklebten Augen. Felix schaffte es bis auf den letzten Treppenabsatz, dann warf er sich Leon um den Hals. Er stand da und war einfach nur irritiert. Felix roch nach Whiskey und Felix und Leon musste sich arg zusammen reißen, um nicht seine Arme um ihn zu legen und ihn auf der Stelle besinnungslos zu knutschen. Durfte man seinen Freund vermissen, wenn man auf ihn sauer war und ihn nur einen halben Tag lang nicht gesehen hatte? Er schob Felix von sich und schloss mit skeptischer Miene die Tür. Felix hatte auf seinen Uhrzeit- Hinweis nichts gesagt und nun starrte er ihn aus glasigen Augen an. »Willst du Schluss machen?«, fragte Felix mit erstickter Stimme und deutlich lallend. Hä? Leon starrte seinen Freund verständnislos an. Hier stand er in Shorts, total müde und zerwühlt, und Felix war betrunken und fragte ihn, ob er Schluss machen wollte? »Was? Nein! Wieso denn?«, gab er vollkommen verwirrt zurück. Felix seufzte leise und sah ihn an. Leon wurde allmählich ungeduldig. »Weswegen bist du hier? Es ist halb vier, ich bin müde«, sagte er ungnädig und verschränkte die Arme vor der Brust. Felix holte tief Luft. »Tut mir echt Leid. Wegen vorhin. Und wegen immer«, sagte er und klang richtig weinerlich. Leon hatte seinen Freund nun schon mehrmals betrunken erlebt und meistens wurde Felix dann anhänglich, verschmust oder wahlweise auch notgeil. »Aha. Und das sagst du mir jetzt? Total voll?«, wollte er knatschig wissen. Felix sah betreten aus, aber dann sprudelte ein wahrer Wortwasserfall aus ihm heraus und Leon hatte Mühe ihm zu folgen, da er nicht nur extrem schnell sprach, sondern auch lallte. »Ich musste mir erstmal Mut antrinken, um mich zu entschuldigen. Ich bin immer so stolz und kann mich so schlecht… du weißt schon. Und dann hab ich mit Chris geredet und er meinte, dass du Recht hast, weil ich dich immer als blöd hinstelle, wenn wir unter Leuten sind und dass ich dich nie ernst nehme, auch wenn ich das eigentlich sollte und dann meinte er, ich soll nicht so viel trinken, aber ich musste ja viel trinken, sonst würde ich jetzt nicht hier stehen und… ich will echt nicht, dass du sauer bist, das ist das aller allerschlimmste, was mir je passiert ist und ich liebe dich… und… bitte mach nicht Schluss mit mir, weil ich immer so scheiße zu dir bin…« Er holte tief Luft, als sein Sermon beendet war. Leon blinzelte ihn an. Vielleicht würde er Christian doch irgendwann tolerieren können. Mögen wäre zu viel gesagt. Aber ihn einfach nicht mehr komplett scheiße finden, das wäre eventuell drin. »Ich will doch gar nicht Schluss machen«, wiederholte er und kratzte sich am Hinterkopf. Er hatte keine Ahnung, was er zu diesen alkoholisierten Offenbarungen sagen sollte. Immerhin war er noch nie sauer auf Felix gewesen und wusste nicht, wie man eine Entschuldigung anständig annahm. »Bist du noch sauer?«, fragte Felix mit erstickter Stimme. Wie er da stand, leicht wankend und mit kläglichem Gesichtsausdruck, konnte Leon ihm überhaupt nicht mehr böse sein. »Nein«, brummte er. Auf Felix’ Gesicht breitete sich ein Strahlen aus und erneut warf er sich Leon um den Hals und begann ihn übermütig abzuküssen. Automatisch wurde Leon heiß. »Hey… hey, was wird das jetzt?«, fragte er zwischen zwei nach Whiskey schmeckenden Küssen. Felix lachte ausgelassen und drückte sich fest an ihn. »Versöhnungssex! Was sonst?« Und während Felix ihn erneut stürmisch küsste und nach hinten in Richtung Bett schob, da überlegte Leon benebelt, ob er von jetzt an nicht öfter wütend auf Felix sein sollte. Oder er könnte ja zumindest so tun als ob… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)