Papierherz von Ur (Bleistiftspuren bleiben) ================================================================================ Kapitel 13: Unerwarteter Besuch ------------------------------- Eigentlich sollte in diesem Kapitel noch was anderes passieren, aber dann wäre mir das Ding zu lang geworden. Dieses Kapitel ist für Myrin, weil sie Sebastian so mag :) Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen und morgen einen guten Start in die Woche! Liebe Grüße :) _______________________________ »Das war nicht nett von dir«, tadelte Marek ihn, als sie sich am Donnerstag zum Mittagessen in der Stadt trafen. Sie saßen in einem chinesischen Restaurant und Jannis hatte sich einen großen Berg gebratener Nudeln auf den Teller geladen. Jetzt, wo er die Erkältung zum größten Teil losgeworden war, hatte er ziemlich großen Hunger. »Na und? Er hat gesagt, er lässt mich dann in Ruhe! Wieso schlägt er so was vor, wenn er dann am Ende aussieht, als wäre seine Welt untergegangen?«, sagte Jannis brummig und schnappte mit seinen Stäbchen nach ein paar Nudeln. Marek verspeiste unterdessen gebackene Schweinebällchen mit Currysoße. »Er hat sicher gehofft, dass er dich mit dem Kuss umstimmen kann. War der Kuss denn gut?«, wollte Marek interessiert wissen und schob sich noch ein Bällchen in den Mund. Jannis fielen die Nudel von den Stäbchen und er spürte, wie er rot anlief. Na toll. »Nein«, log er nicht sonderlich überzeugend. Marek schmunzelte und spießte ein weiteres Bällchen auf seine Gabel. Marek konnte nicht mit Stäbchen essen. Sie frustrierten ihn. »Also ja. Er sieht aber auch so aus, als könnte er gut küssen. Wahrscheinlich laufen ihm die Männer und Frauen scharenweise nach«, gab Marek zu bedenken und wedelte mit seinem Bällchen vor Jannis’ Nase herum. Der blickte finster zurück. »Na bitte, dann soll er sich an seine fünfhundert Verehrer ranmachen und mich in Ruhe lassen«, antwortete er und schob sich eine neue Portion Nudeln in den Mund. Marek kicherte leise. »Man kann es sich leider nicht aussuchen, wer einem gefällt, mein Lieber«, belehrte er ihn und verspeiste sein letztes Bällchen. Dann stand er auf, um sich Nachschub vom Buffet zu holen. Jannis seufzte und starrte die hässliche Tischdecke an, die unter seinem Teller dunkelrot hervorlinste. Nächste Woche Dienstag hatte er wieder Tutorium und diesmal konnte er sich nicht drücken. Würde Kolja ihn nun wirklich in Ruhe lassen? Wer wusste das schon. Die nächsten Tage blieb er lange in der Uni, arbeitete in der Bibliothek und lieh sich bergeweise Bücher aus, um sie nach Hause zu schleppen und zu lesen. Lesen lenkte ihn ab. Wenn er in die Welt von Büchern abtauchte, dann musste er nicht darüber nachdenken, ob Kolja wirklich so niedergeschlagen war, wie er ausgesehen hatte. Dann musste er nicht die ganze Zeit an diesen Kuss denken, der seinen Körper in ein loderndes Inferno verwandelt hatte. Es stellten sich Träume ein, die er nicht einmal von Marek gehabt hatte. Rein körperliche Träume. Er wachte morgens auf mit Problemen, die er sonst eher selten hatte. Er war wütend auf sich selbst und seinen Körper und auf Kolja, weil das alles seine Schuld war. Wenn er nur nie in Jannis’ Leben aufgetaucht wäre, dann wäre jetzt alles beim Alten und er würde nicht beinahe jeden Abend… diese Dinge tun, mit denen er sich sonst nicht beschäftigte. Der Dienstag kam viel zu schnell, mit Schneeregen und Wind und grauem Himmel. Es war wenig ermutigend, dass es immer näher auf Weihnachten zuging und Jannis wartete eigentlich nur noch auf den Anruf seiner Mutter, bei dem sie ihn zum Truthahnessen einlud. Ihm graute es davor. Vielleicht sollte er einfach beizeiten all seinen Mut zusammen nehmen und sich endgültig von seiner so genannten Familie lossagen. Er fühlte sich ohnehin nicht dazu gehörig, es fühlte sich an, als hätte er nie eine wirkliche Familie gehabt. Als er mit finsteren Gedanken und durchnässten Klamotten – der Regenschirm war auf dem Weg zur Uni kaputt gegangen – den Seminarraum betrat, war er sehr erleichtert, dass Kolja noch nicht da war. Er packte seine Sachen aus, nahm einen Schluck Orangensaft und beobachtete eine Weile lang das Schneetreiben draußen vorm Fenster. Als die ersten Studenten eintrudelten, ertappte sich Jannis bei jedem Neuankömmling dabei, wie er den Kopf hob, um nachzusehen, ob es Kolja war. Das ärgerte ihn maßlos. Zum ersten Mal war Kolja einer der Letzten, die kamen. Ganz ungewohnt setzte er sich in die letzte Reihe. Er sah ziemlich blass um die Nase aus und nach zwei Minuten war Jannis klar, woran das lag. Kolja war ziemlich dick erkältet. Er hustete immer wieder und hatte mehrere Packungen Taschentücher vor sich ausgepackt. Jannis wollte bissig daran denken, dass Kolja selbst Schuld war, immerhin hatte er ihn nicht küssen müssen! Aber gleichzeitig fiel ihm ein, dass Kolja ihm die ganzen Unterlagen zusammen gesucht hatte… Manchmal hasste er sein Leben. Er bemühte sich, sich auf das Tutorium zu konzentrieren. Kolja stellte keine Fragen, er saß nur hinten, sah aus dem Fenster, machte sich einige Notizen und verbrauchte innerhalb der anderthalb Stunden Tutorium zwei Packungen Taschentücher. Wieso Jannis das überhaupt registrierte, wollte er gar nicht wissen. Als er nach dem Tutorium seine Sachen zusammen packte, hörte er, wie Kolja mit einem der Anderen sprach. »Sag mal, kannst du mir den Rest der Woche die Skripte aus den Vorlesungen mitnehmen? Ich werd morgen zum Arzt gehen«, sagte Kolja und er klang ziemlich heiser. Jannis stopfte seine Unterlagen in die Tasche. Bloß schnell weg, damit Kolja nicht auf dumme Gedanken kommen konnte. »Tut mir Leid, man. Aber ich geh nie in die Vorlesungen«, sagte der andere und grinste, als wäre es unglaublich cool, alle Vorlesungen zu schwänzen. Tutorium, lassen wir doch einfach andere für uns arbeiten! Er hasste diese Sorte Studenten. »Oh… na, dann muss ich sehen, wie ich dran komme«, sagte Kolja und verlor sich in einem kräftigen Hustenanfall. Und dann war er plötzlich aus dem Seminarraum verschwunden, ohne Jannis ein einziges Mal anzusehen. Einen Moment lang stand er vollkommen perplex da. Dann verfluchte er sich selbst, immerhin hatte er genau das gewollt und es war ganz wunderbar, dass Kolja sich an die Abmachung hielt. Er schnappte sich seine Tasche, warf einen Blick nach draußen und stöhnte angesichts der Tatsache, dass sich das Wetter nicht gebessert hatte. Er schaffte es einen Regenschirm aus der Bibliothek zu ergattern, wo immer mehrere Schirme in einem Ständer neben der Tür standen. So kam er nur halb durchnässt nach Hause, schloss die Tür auf und stieg die Treppe hinauf. Oben angekommen blieb er wie angewurzelt stehen. Ein junger Mann saß auf dem Boden neben seiner Wohnungstür. Er war pitschnass und sah einigermaßen erfroren aus. Jannis hatte ihn noch nie gesehen. »Ähm… kennen wir uns?«, fragte er verwirrt, als der Fremde sich hastig aufrichtete und sich scheinbar nervös die Haare aus dem Gesicht strich. »Hi!«, sagte er und hielt ihm eine zitternde Hand hin, »Ich bin Sebastian.« Jannis blinzelte verwirrt. Was machte Sebastian hier? Und noch viel wichtiger: Woher wusste er, wo Jannis wohnte? Zögerlich streckte er die Hand aus und schüttelte die eiskalten Finger seines Gegenübers. Eigentlich würde er Sebastian jetzt wegschicken. Aber irgendwie schien es ihm herzlos zu sein, also schloss er die Wohnungstür auf und ruckte mit dem Kopf, um Sebastian zu bedeuten, dass er eintreten sollte. Da stand er nun zitternd und nass in Jannis’ Flur und sah sich unsicher um. Jannis seufzte. »Das Bad ist da drüben«, sagte er und deutete mit der Hand auf die geschlossene Badezimmertür, »ich such mal was Trockenes zum Anziehen raus.« Sebastian schien vollkommen perplex zu sein, schaffte aber ein dankbares Lächeln und huschte ins Bad. Jannis kramte in seinem Kleiderschrank nach irgendetwas zum Anziehen. Sebastian war größer als er und um einiges dünner. Jannis kramte einen uralten, schlabbrigen Schlafanzug aus dem Schrank und ging zum Bad. Einen Moment lang zögerte er, dann klopfte er. Die Tür wurde hastig aufgerissen und er sah ungewollt Mareks Herzblatt in Boxershorts. Räuspernd wandte er sich ab und hielt dem Besucher den Schlafanzug hin. »Meine Klamotten werden dir nicht passen. Aber wir können deine Sachen in den Trockner schmeißen«, sagte er und spürte, wie ihm der Schlafanzug aus der Hand genommen wurde. »Tut mir echt Leid«, sagte Sebastian, »und vielen Dank!« Jannis nickte nur, drehte sich um und marschierte in die Küche. Er hatte Mareks Exfreund halbnackt in seinem Badezimmer. Warum musste sein Leben so komisch sein? Er kochte Tee für sie beide und brachte die Tassen ins Wohnzimmer. Lana und Hermes lagen kuschelnd auf dem Sessel. Jannis rührte nachdenklich in seinem Tee und blickte auf, als Sebastian unsicher den Kopf herein steckte. »Komm rein«, sagte Jannis und sah dem anderen entgegen, der sich nun zögerlich auf Jannis’ Sofa niederließ. Er war schlaksig, blass und hatte aschblonde, kurze Haare. Alles in allem wirkte er auf Jannis ziemlich unscheinbar. Der Schlafanzug hing an ihm wie ein blauer Leinensack, weil er so dünn war. »Ah, deine Katzen«, sagte Sebastian und lächelte zu Jannis’ Mitbewohnern hinüber. Jannis schob ihm die Teetasse hin und Sebastian sah ihn verlegen an. »Danke, wirklich. Ich wollte eigentlich mit Schirm kommen, aber der ist kaputt gegangen, weil es so windig ist«, sagte er entschuldigend. Jannis brummte. »Ja, genau das Problem hatte ich heute Morgen auch schon«, entgegnete er und warf unweigerlich einen Blick zum Fenster. Seine Dachluken waren schlierig vom matschigen Schneeregen. Sie schwiegen eine Weile lang und tranken ihren Tee. Jannis versuchte sich unterdessen zu erklären, was genau Sebastian von ihm wollte. Er hatte so viel von dem Jungen gehört und da saß er nun, neunzehn Jahre jung, unscheinbar und Tee trinkend. Das da war der Junge, in den Marek sich verliebt hatte. Jannis war sich nicht sicher, ob er das wirklich realisiert hatte, oder ob sein Gehirn noch in einem ungläubigen Traumzustand schwebte. »Ich bin hier wegen… na ja, du kannst es dir sicherlich denken«, sagte Sebastian und sein blasses Gesicht gewann an Farbe, als er einen übermäßig großen Schluck Tee nahm. Jannis verkniff sich ein Seufzen und räusperte sich stattdessen. »Ich ahne es«, sagte er. In seinem Gehirn tobte unterdessen ein unerbittlicher Kampf. Wollte er mit Sebastian über Marek reden und sich wie ein Verräter fühlen, weil Marek das vermutlich nicht wollen würde? Oder sollte er Sebastian ermutigen und ihm alles erzählen, damit die beiden am Ende doch noch zusammen kamen? Er hasste sein Leben. Wieso mussten Gefühle derartig kompliziert sein? Wenn in Büchern darüber geschrieben wurde, konnte er meistens ganz distanziert entscheiden, was er selbst tun würde. Aber wenn man als unerfahrener Außenstehender mitten drin steckte, dann waren solche Entscheidungen überhaupt nicht mehr so einfach und von rationalem Denken konnte ohnehin nicht die Rede sein. »Es ist wegen… wegen Marek. Er redet nicht mehr mit mir. Gar nicht mehr. Er ist einfach abgehauen und reagiert nicht auf meine Anrufe, er macht nicht auf, wenn ich klingele und ich hab ihm sogar schon mehrere Briefe geschrieben, aber… ich weiß einfach nicht mehr, was ich machen soll«, sprudelte es plötzlich aus Sebastian heraus, so als habe er das schon seit längerer Zeit loswerden wollen. Jannis hatte keine Ahnung, wie man Menschen Ratschläge gab oder sie tröstete. Er war einfach nicht an Situationen dieser Art gewöhnt. »Ich dachte, vielleicht… weil du doch sein bester Freund bist… Und er hat immer so viel von dir erzählt und ihr scheint euch wirklich nahe zu stehen und ich weiß, dass ihr euch schon so lange kennt…«, fuhr Sebastian fiebrig fort und starrte Jannis hoffnungsvoll an. Er sah so verliebt und verzweifelt aus, dass Jannis Marek am liebsten sofort angerufen und sich bei ihm beschwert hätte, weil er diesen Jungen so traurig gemacht hatte. »Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob ich dir helfen kann«, sagte er schließlich und fischte den Teebeutel aus seiner Tasse, »Marek und ich sind uns recht ähnlich… was diese Beziehungskisten angeht.« Sebastian sackte in sich zusammen und fuhr sich mit der Hand durch das noch feuchte, aschblonde Haar. »Ich will ihn… unbedingt wieder haben«, murmelte Sebastian und wandte den Blick ab. Jannis wollte am liebsten aufstehen und sich im Bad einschließen. Es fehlte nur noch, dass Sebastian jetzt in Tränen ausbrach. Das hatte ihm schon bei Marek gereicht, noch schlimmer wäre es bei einem Wildfremden. »Was ich jetzt sage, hast du nie gehört und schon gar nicht von mir«, sagte Jannis schließlich, verschränkte die Arme vor der Brust und legte den Kopf in den Nacken, um Sebastians feuchte Augen nicht sehen zu müssen. »Er will dich eigentlich auch zurück. Er hat nur Angst vor all diesem Gefühlskram. Du solltest einfach nicht aufgeben, ob er nun abnimmt oder nicht. Marek ist…«, er brach ab. »Marek ist wie ich«, hatte er sagen wollen. Ein Bild schob sich vor sein inneres Auge und er verkniff sich ein Brummen. Wunderbar. Er riet Sebastian nicht aufzugeben. Und er hatte genauso einen hartnäckigen Kerl an der Backe. Wobei sich das ja offenkundig erledigt hatte. Und außerdem war das etwas ganz anderes, immerhin war Marek in Sebastian verliebt und Jannis war überhaupt nicht in Kolja verliebt. Als er den Kopf wieder hob und Sebastian ansah, stellte er fest, dass Sebastian sich das Weinen offensichtlich verkniffen hatte. Er sah halb erleichtert und halb verzweifelt aus. »Wie hast du das damals angestellt? Ich meine, ihr habt euch doch auch kennen gelernt und euch verstanden und ihr seid beste Freunde. Bei dir lässt er Nähe doch auch zu. Wieso dann nicht bei mir?«, fragte er kläglich. Darauf wusste Jannis keine Antwort. Aber Sebastian hatte Recht. Bei Marek und ihm war es kein Problem gewesen. Sie hatten sich einfach angefreundet und seither waren sie einander emotional nahe. »Ich hab keine Ahnung. Vielleicht liegt es daran, dass wir beide nicht viel von Gefühlen… halten«, sagte er und räusperte sich. Sebastian fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Offenbar hatte er seinen Tee bereits ausgetrunken. »Es ist ja nicht so, dass Marek und ich uns nicht ähnlich wären«, murmelte er leise und betrachtete seine schmalen Finger. Jannis überlegte unterdessen, ob er jemals in einer befremdlicheren Situation gewesen war – abgesehen von damals, als Marek auf der Abiturzeugnisausgabe auf der Bühne verkündet hatte, dass er an dieser Schule nichts Nennenswertes gelernt hätte und nur dafür dankbar sei, dass er den tollsten Nachhilfeschüler der Welt zugewiesen bekommen hatte. Jannis wusste noch, wie er damals knallrot angelaufen war und seiner Mutter versehentlich sein Glas Orangensaft über ihren teuren Rock gekippt hatte. Sie war darüber wenig erfreut gewesen. »Ich meine… wir haben uns schließlich im Waisenhaus kennen gelernt…« Ja, das wusste Jannis natürlich. Marek hatte ihm von dem verschlossenen, schüchternen Fotographen erzählt, der besondere Freude an Marienkäfern und Löwenzahn hatte. Selbstverständlich war das einer der Umstände gewesen, die Marek für Sebastian eingenommen hatte… »Ja, die Geschichte hat er mir erzählt«, sagte Jannis und sah zu, wie Lana sich streckte und vom Sessel herunter sprang. Schnurrend kam sie zu ihm herüber gestrichen und sprang neben ihm aufs Sofa, um sich kraulen zu lassen. »Also meinst du, dass ich vielleicht doch noch eine Chance habe?«, fragte Sebastian schließlich hoffnungsvoll. Jannis nickte nachdenklich. »Aber bei Marek weiß man nie so genau. Er könnte schon morgen verkünden, dass er unbedingt nach Australien auswandern will«, sagte Jannis. Sebastian sah entsetzt aus. »Das war ein Scherz«, beeilte sich Jannis zu sagen. Sebastian schien tatsächlich sehr durch den Wind zu sein. »Ich würde vermutlich erst durchdrehen… und dann hinterher reisen«, gab Sebastian zu und lächelte verlegen. Jannis stellte sich vor, wie Marek um die halbe Welt reiste, um seinen Gefühlen zu entkommen und wie Sebastian sie ihm hinterher trug wie ein treudoofer Hund seinem Herrchen die Zeitung. »Ich denke, das wird nicht nötig sein… woher wusstest du eigentlich, wo ich wohne?«, wollte Jannis schließlich wissen. Es konnte doch nicht sein, dass jetzt schon zwei Leute, die er kaum kannte, seine Adresse hatten… »Ich hab Marek mal zu dir gefahren… und er hat immer gemeckert, weil er sich im Bad an deinen Dachschrägen stößt. Daher… dachte ich mir, dass du wohl ganz oben wohnst«, sagte er peinlich berührt. Jannis nickte ergeben. Sebastian sah ein wenig unschlüssig aus, so als wüsste er nicht genau, was jetzt zu tun war. Jannis wusste das noch viel weniger. Also stand er auf. »Ich tu mal deine Sachen in den Trockner«, meinte er und verschwand aus dem Wohnzimmer. Es war ein merkwürdiges Gefühl, nicht allein zu sein und dabei nicht Marek bei sich zu haben. Aber Sebastian war ein angenehmer Gast. Er saß auf dem Sofa, streichelte Hermes und trank den zweiten Tee, den Jannis ihm gekocht hatte. Jannis hatte ihm ein Buch angeboten, bis seine Klamotten getrocknet waren und nun las Sebastian abwesend in einem Sammelband von Shakespeare. Jannis unterdessen war damit beschäftigt, eine Gemüselasagne zu machen. Wenn Kolja genauso unkompliziert wäre wie Sebastian, dann hätte er ihn eventuell nicht rausgeworfen, überlegte er sich grimmig, während er Sahne und Mehlschwitze in den Topf mit kochendem Gemüse kippte. Und jetzt hatte sich der Dummkopf auch noch bei ihm angesteckt. Geschah ihm recht. Was knutschte er ihn auch? Wer kam überhaupt auf solche dämlichen Abmachungen, wenn nicht ein totaler Volltrottel? Sebastian bedankte und entschuldigte sich gefühlte einhundert Mal, als Jannis mit zwei Tellern Gemüselasagne ins Wohnzimmer kam und sie vor ihnen auf den Tisch stellte. »Ruhe«, brummte er schließlich und schob seinem Gast Besteck zu. Sebastian verstummte augenblicklich und starrte den Teller Lasagne an, als hätte noch nie jemand für ihn gekocht. Vielleicht stimmte das sogar. Marek konnte nämlich überhaupt kein bisschen kochen. Selbst Tiefkühlpizza brannte ihm hin und wieder an, weil er sich so leicht ablenken ließ. Sie aßen schweigend und Jannis ignorierte geflissentlich Hermes’ Bettelei angesichts des dampfenden Essens. Sein Kater war schon dick genug, da brauchte er nicht auch noch Lasagne. »Schmeckt wirklich gut«, sagte Sebastian schließlich mit hochrotem Kopf, bevor er sich eine weitere Gabel in den Mund schob. »Freut mich«, erwiderte Jannis und schob Hermes mit dem Fuß ein Stück vom Tisch weg. Der Kater maunzte jämmerlich, als wäre er dem Verhungern nahe. Jannis blieb steinhart. »Er sieht aus wie der gestiefelte Kater aus Shrek, wenn er einen so anschaut«, meinte Sebastian und starrte zu Hermes hinüber. Jannis schnaubte. »Lass dich bloß nicht erweichen. Er frisst Lana schon immer fast alles weg. Eigentlich müsste ich ihn auf Diät setzen«, brummte er und warf seinem Kater einen tadelnden Blick zu, den sein Mitbewohner geflissentlich unbeachtet ließ. Nachdem sie schließlich aufgegessen hatten, fischte Jannis Sebastians Klamotten aus dem Trockner und nachdem sich sein Gast umgezogen hatte, standen sie im Flur und sahen sich an. »Ich fühl mich jetzt nicht mehr ganz so scheiße wie vorher«, sagte Sebastian und schaffte ein Lächeln. Jannis brummte verlegen. »Schon ok«, sagte er und verschränkte die Arme vor der Brust. Sebastian griff nach der Türklinke und fuhr sich verlegen durchs Haar. »Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder«, meinte er und streckte Jannis seine Hand hin. Jannis löste seine Arme wieder aus der Verschränkung und schüttelte Sebastians mittlerweile warme Finger. »Vielleicht«, gab er zurück. »Danke noch mal!«, rief Sebastian ihm zu, dann war er schon die Treppe hinunter verschwunden. Als Jannis zurück ins Wohnzimmer kehrte und einen Blick aus dem Fenster warf, fiel ihm auf, dass es aufgehört hatte zu regnen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)