Tiefrote Küsse von abgemeldet (An deiner Seite) ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Es war dunkel. So langsam wurde es auch kälter und sie hätte sich noch einen Pullover überziehen sollen, denn die warmen Sommermonate waren nun vorbei. Was sie eigentlich ziemlich schade fand, denn sie hatte den Sommer in all seinen Farben sehr gemocht. Aber die Herbstmonate mochte sie auch sehr. Da wurde die Welt in so viele schöne Farben getaucht. Und Farben ließen sich nun einmal wundervoll fotografieren. Leila Sullivan stand auf der Anhöhe am Rande ihrer Heimatstadt und blickte auf das Display ihrer Kamera. Es war eigentlich schon verdammt spät und sie hätte schon längst im Bett liegen sollen. Aber als die blonde Frau von der Arbeit nach Hause kam, hatte das lang erwartete Päckchen in ihrem Briefkasten gelegen. Sie hatte sich ein neues Objektiv für ihre Olympus gekauft. Ein Objektiv mit dem sie die Schönheit der Nacht besser aufnehmen konnte. Und nun wollte sie besagtes Objektiv einfach einmal einfach ausprobieren. Sie wollte ein paar schöne Fotos von der Stadt machen. Leila fand den Anblick wundervoll. Sie liebte das Bild einer Stadt in der Nacht, wenn noch überall die Lichter in den Wohnungen brannten, die Nacht aber schon den Tag eingeholt hatte. Es zeigte, dass Leben in der Stadt herrschte und das fand sie einfach toll. Allerdings wurde es so langsam immer kälter. Die warme Zeit war nun vorbei und damit kehrte auch die Kälte wieder ein. Was Leila eigentlich wusste, doch sie hatte sich dennoch keine Jacke für ihre Nachtsession mitgenommen. Selber schuld, dann fror sie eben nun. Sie hoffte einfach, dass sie für diese Strapazen wenigstens mit ein paar schönen Aufnahmen belohnt wurde. Ein schönes Motiv hatte sie ja schließlich bereits gefunden. Ihre Kamera klickte wieder, als sie auf den Auslöser drückte und wieder ein Bild für ihre Sammlung schoss. Es war ein vertrautes Geräusch, ohne dass sie vermutlich gar nicht mehr leben konnte. „Nun reicht es aber“, meinte Leila als die Kälte sie doch gepackt hatte und ihre Finger bestimmt schon beinahe blau wurden. Sie glaubte zumindest, dass sie vor Kälte blau waren, denn so wirklich sehen konnte sie nichts. Nicht wirklich zumindest. Es war dunkel, wie es in einer Nacht nun mal für gewöhnlich war. Und außer dem Mond und der Sterne über ihr, gab es hier oben keine weitere Lichtquelle, aber sie mochte das. Sie war gerne hier oben am Bismarck-Turm und sah über die Stadt. Ihre Kamera war sowieso überall mit dabei, sie mochte das Motiv bei Tag und nun eben auch bei Nacht. Allerdings hatte sie keine Ahnung, wie die Fotos werden würden. Sie hatte das Objektiv ausgepackt und war dann direkt, nachdem sie mit ihrer Mutter telefoniert hatte, hier hoch gefahren und das obwohl es schon ziemlich spät gewesen war. Aber sie sollte nun besser einpacken, sonst würde sie morgen früh nicht aus dem Bett kommen. Sie war gerade dabei das Objektiv abzuschrauben, als sie etwas im Mondlicht aufblitzen sah. Die junge Frau konnte nicht genau sagen was es war, aber sie wollte es herausfinden. Sie versuchte mit der Kamera das Objekt zu finden, aber sie konnte nicht viel erkennen. Vermutlich würde sie es zu Hause auf ihrem Computer sehen, wenn sie die Bilder auswerten würde. Allerdings würde sie das erst morgen und nicht mehr heute machen. Eigentlich sollte sie schon längst im Bett liegen. Doch wollte sie unbedingt wissen, was da eben am Standrand aufgeblitzt war. Neugierig wie sie nun mal war sah sie durch den Sucher ihrer Kamera und versuchte mehr zu erkennen. Sie zoomte so gut es ging heran, nahm eine Statur im Bild auf. Es war ein Mann, schätzte sie, ein großer Mann, der mit dem Rücken zu ihr stand. Wo der Mann stand, war es ein wenig beleuchteter, aber die Qualität ihrer Kamera würde bei dem Zoom nicht mehr so ausgezeichnet sein. Sie schoss ein paar Bilder und vernahm das vertraute Klacken der Kamera. Dann drehte sich der Mann plötzlich um und blickte sie direkt an. Er sah direkt in ihre Kamera. Leila schrak zurück. Ihre Beine stolperten rückwärts und sie flog beinahe auf ihren Allerwertesten, weil sie über eine Wurzel stolperte. Sie war froh, dass sie dabei die Kamera nicht mitsamt Stativ umwarf, was sie dann wirklich bereut hätte. Doch was war das eben gewesen? Es kam ihr so vor, als hätte sie in zwei starrende Augen geblickt, die sie angestarrt hatten. Augen, die das Licht des Mondes reflektiert hatten. Wie zwei Katzenaugen. Aber sie war sich ziemlich sicher, dass sie da keine Katze vor der Linse hatte. Von der Statur her, war es ein Mensch gewesen. Aber diese silberfarbenen Augen… „Okay Leila, du bist echt übermüdet.“ Das war eindeutig ein Zeichen für sie gewesen, ihre Sachen nun zusammen zu packen und zu gehen. Was sie auch ziemlich schnell tat. Ein Gefühl sagte ihr, dass sie jetzt von hier verschwinden sollte. Nicht wegen der Uhrzeit, sondern wegen der silberfarbenen Augen. Sie klappte das Stativ zusammen und legte es in die Tasche, die auf dem Rücksitz ihres Wagens lag. Kamera und Objektive legte sie auf den Beifahrersitz ihres kleinen Autos und startete den Motor. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie keine Katze vor der Linse hatte, aber wie sollten Augen das Licht des Mondes reflektieren. Vielleicht waren es besondere Kontaktlinsen gewesen, die dieser Mann getragen hatte. Aber warum hatte dieses Was-auch-immer sie direkt angesehen? Sie war doch viel zu weit weg gewesen. Doch sie wurde einfach dieses merkwürdige Gefühl nicht los, dass sie eben irgendjemanden bei irgendetwas gestört hatte. Und etwas in ihrem Unterbewusstsein sagte ihr, dass sie gar nicht wissen wollte, bei was sie da gerade gestört hatte. Warum der oder das sie überhaupt gesehen hatte, fragte sie sich ebenfalls. Hatte er etwas das Klicken ihrer Kamera vernommen? Das war doch so leise, dass man es schon in ein paar Metern nicht mehr hören konnte. Der Abend hatte so gut angefangen und nun hatte sie ein ungutes Gefühl, als sie die Straße zur Stadt herunter fuhr. Sie fuhr zum Glück nicht da lang, wo sie wen-oder-was fotografiert hatte. Sie wollte da auch gar nicht lang fahren. Eigentlich wollte Leila nur noch nach Hause, sich in ihr Bett kuscheln und den Moment eben einfach vergessen. So schwer würde das schon nicht werden. Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Es war mal wieder spät geworden. Eigentlich wollte Leila schon viel früher nach Hause gehen. Aber im Labor hatte sich irgendwie mal wieder Arbeit angestaut, die irgendjemand erledigen musste. Und da wie so häufig in letzter Zeit wieder alle krank oder mit anderen Arbeiten beschäftigt waren, war dieser irgendjemand niemand anderes als sie. Nicht, dass es ihr etwas ausmachte. Sie arbeite gerne in dem Labor und ihre Arbeit machte ihr auch sehr viel Spaß, wirklich. Sie war gerne Chemielaborantin in dem Pharmaunternehmen und hatte nette Kollegen. Nur irgendwie hatte sie einfach den Drang dazu, sich die Fotos von gestern Abend noch einmal anzusehen. Es war ein Kribbeln, das in ihrem Körper war und mit Stunde zu Stunde stärker wurde. Etwas, dass sie unbedingt wissen wollte. Sie wollte wissen, ob sie vielleicht auf den Fotos Irgendetwas aufgenommen hatte, was sie so nicht gesehen hatte. Vielleicht hatte sie einen Drogendealer fotografiert oder vielleicht noch etwas Schlimmeres. Einen Mord. Eine schreckliche Tat. Und anhand des Fotos konnte man den Täter vielleicht ausfindig machen. Vielleicht war es sogar ein meistgesuchter Verbrecher. Sie wollte wirklich wissen, was auf den Fotos zu sehen war. Allerdings kam sie doch nicht so schnell nach Hause wie gedacht. Auf dem Parkplatz der Firma traf sie einen alten Freund, der mit ihr in der Ausbildung gewesen war. Und sie verquatschte sich, da sie sich ewig nicht gesehen hatten und sich so viel zu erzählen hatten. Sie vergaß dabei doch wirklich die Fotos, die ihr bis eben so wichtig gewesen waren. Warum musste sie immer dann alte Freunde treffen, wenn sie es ganz eilig hatte. Das war bestimmt auch eins von Murphys Gesetzen. Es war bereits dunkel als sie sich dann endlich voneinander verabschiedeten. Leila schaute auf die Uhr und musste feststellen, dass es schon halb acht war. Sie konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wann sie die letzten Tage mal pünktlich zu Hause gewesen war. Es war immer irgendetwas anderes, das sie davon abhielt. Entweder hatte sie bis spät eine Schulung oder hing in einer schier endlosen Besprechung oder sie musste noch einkaufen gehen. Aber als sie wieder in ihrem kleinen Wagen saß und auf dem Beifahrersitz die Kamera sah, fiel ihr wieder ein, warum sie so schnell nach Hause wollte. Sie hätte sie wirklich nicht so einfach hier liegen lassen sollen. Diese Kamera war ihr verdammt noch mal sehr kostbar. Deswegen beeilte sie sich auch besonders auf den Nachhause weg besonders. Eigentlich hatte sie noch vor gehabt, für „Tuxedo“ ihren dicken schwarzen Kater etwas zu Fressen zu kaufen. Doch das war nun zweitrangig geworden, da es für den Kater auch noch Futter zu Hause gab. Jetzt musste sie unbedingt wissen, was auf den Fotos zu sehen war. Sie fischte schnell die Post aus ihrem Briefkasten und eilte die Stufen zu ihrer Wohnung hinauf. Die Wohnung gehörte zu einem großen Weingut, welches im Jahre 1885 erbaut wurde. Ihre Wohnung war früher bestimmt eine Bedienstetenwohnung gewesen, aber sie mochte sie. Sie hatte genug Platz für sich und ihren eigenen Treppenaufgang. Nur 5 Wochen im Jahr lebte in dem kleinen Zimmer, ihrer Wohnung gegenüber ein polnischer Hilfsarbeiter, der bei der Weinlese half. Ihre Wohnung befand sich im ersten Stock und hatte einen wunderschönen Balkon mit einer hübschen Aussicht auf die Stadt. Die Balkontür war meistens immer offen, denn ihr Kater ging nun mal gerne auf Streife. Während sie nach oben eilte, ging Leila sorgfältig die Post durch. Leider war nichts Interessantes dabei. Wie so oft. Sie schloss wie von selbst die Wohnungstür auf und trat in ihre Wohnung und knipste das Licht im Flur an. Alles ging wie von selbst, so dass sie nicht von ihrer Post aufsehen musste. Es roch wie immer und sie stieß mit ihrem Fuß die Tür wieder zu, noch bevor sie von der Zeitung und ihrer Post aufblickte. Es war wieder verkaufsoffener Sonn… Plötzlich zuckte Leila zusammen, ließ ihre Post und ihren Schlüssel auf den Boden fallen und starrte erschrocken vor sich. In ihrem Flur saß ein Mann. Eindeutig ein Mann. Ein fremder Mann und er saß auf ihrem Parkett. Er trug einen dunklen Trenchcoat und regte sich nicht. Er saß auf den Boden, vor der Badezimmertür und sah sie nun erwartungsvoll an. Sie wusste gar nicht was sie sagen oder denken sollte. Nur kurze Gedanken kamen gerade bei ihr an. Dinge, die sie schnell verarbeiteten konnte. Er sah nicht bewaffnet aus, allerdings konnte sie dies nicht so gut erkennen. Er sah aber nicht wie ein Mörder aus. Gut, eigentlich konnte sie das auch nicht einschätzen, ihre bisherigen Erfahrungen mit Mördern spielten sich nur im Fernsehen oder in den Krimis ab, die sie las. Im echten Leben hatte sie – zum Glück – noch keinen getroffen. Was wollte er von ihr? Wie war er hier rein gekommen? Warum sah er sie so an? So viele Fragen gingen ihr durch den Kopf und sie wusste beim besten Willen nicht, mit welcher Frage sie anfangen sollte. Sie wollte schreien und sich mit irgendetwas bewaffnen, aber der Flur war schmal und außer dem Schuhschrank stand da nichts dort. Also gab es hier auch nichts, mit dem sie sich hätte bewaffnen konnte. Noch bevor sie etwas sagte oder tat, begann sie bereits damit, ihre Fluchtmöglichkeiten zu überdenken, die ihr zur Verfügung standen. Außer wieder nach draußen zu laufen, bot sich ihr hier gar nichts, da er mitten im Flur saß und ihre alle weiteren Fluchtmöglichkeiten versperrte. Außerdem sah er sie an, beobachtete sie und würde vermutlich schneller bei ihr sein und sie packen, bevor sie Irgendetwas als Waffe in den Händen halten konnte. Es war eindeutig aussichtslos. Sie spürte wie ihr Herz wild zu klopfen begann, versuchte jedoch ruhig zu bleiben. Was nicht ganz so leicht war, wie sie gehofft hatte. „Wer…“ „Sind Sie Leila Sullivan?“ Verwirrt blinzelte sie. „Ja“, erwiderte sie und fragte sich im nächsten Augenblick, warum er nun hier die Fragen stellte. „Nein… wer sind Sie?“ Sie presste sich mit dem Rücken gegen die Tür und bewegte sich keinen Schritt nach vorne. Denn ein Schritt nach vorne, hieß auch einen Schritt in seine Richtung. Und sie wollte so weit wie es nur ging von dem fremden Mann, der in ihrer Wohnung war, fern bleiben. Er hatte dunkle Haare. Ein dunkles Braun, wie sie erkennen konnte. Er sah sie an, aber sie hatte das Gefühl, dass er sie nicht direkt ansah. Dennoch sah sie seine blauen Augen. Sie waren wunderschön tiefblau, das konnte sie auch von hier aus erkennen. Aber eigentlich war die Augenfarbe ja wohl egal. Er war hier unerlaubt in ihrer Wohnung. „Wie sind Sie…?“ Weiter kam sie nicht, denn der Mann in seinem schwarzen Trenchcoat stand plötzlich auf und brachte sie vollkommen aus ihrem Konzept. Es überraschte sie, dass er den ganzen Flur mit seiner Statur ausfüllte. Er hatte ein breites Kreuz. Um seine Schultern spannte sich der Mantel etwas, sodass sie etwas von seinen Muskeln wahrnehmen konnte. Er schien ordentlich Muskeln zu haben, bestimmt trainierte er regelmäßig Und er war groß. Gut, sie war mit ihren 1,65 nicht gerade das, was man als groß bezeichnete. Da waren alle Leute, die größer als sie waren, groß. Was verdammt viele waren. Er hatte irgendwie einen interessanten Ausdruck auf seinem Gesicht. Seine Erscheinung wirkte überlegend und mächtig, als wusste er die ganze Zeit schon, dass er im Vorteil war. „Mein Name ist Liam.“ Liam Noxus sah die blonde Frau vor sich an. Er hatte nicht lange auf sie gewartet. Es wäre ihm vermutlich auch gar nicht so wichtig gewesen, wann sie hier aufgetaucht wäre. Solange es vor Morgengrauen war, war ihm alles Recht. Allerdings war er selber erst nach Einbruch der Dunkelheit hier her gekommen, zumal er vor gehabt hatte, sie bereits gestern zu überraschen. Da er allerdings noch andere Dinge zu erledigen hatte, hatte die ganze Sache auf heute Nacht warten müssen. Als er sie ansah, wirkte sie zwar unsicher, aber nicht unbedingt verängstigt. Er konnte zumindest nicht wahrnehmen, dass sie vor Angst in Schweiß ausbrach. Und seine Sinne waren sehr gut. Sie wollte sich bewaffnen, so weit konnte er ihre Gedanken erahnen, ohne sie lesen zu müssen. Sie sah ihn einfach nur an und wartete auf seine nächste Reaktion. Sie war vorsichtig, was natürlich durchaus berechtigt war. Allerdings hätte er es besser gefunden, wenn sie in Panik ausgebrochen wäre. Schließlich war in ihrer Wohnung ein fremder Mann. Er hörte das schnelle Pochen ihres Herzens. Zugegeben, vielleicht wäre es doch nicht so gut gewesen, wäre sie tatsächlich in Panik ausgebrochen. Womöglich hätte das Ganze dann noch länger gedauert, als er erwartet hatte. Sie nickte nur, als er sich ihr vorgestellt hatte, als wäre der Name für sie nicht wichtig. „Und wie kommen Sie hier rein?“, fragte sie ihn. Sie hatte eine schöne Stimme, musste er feststellen, auch wenn es ihn eigentlich nicht interessieren sollte. Er war nur aus einem bestimmten Grund hier. Diese Frau hatte ihn gestern erwischt, als er gerade dabei gewesen war einen Hostus zu erledigen. Einen seiner natürlichen Feinde. Und davon gab es nicht sehr viele. Das gestern Abend war seine Schuld gewesen. Er hätte sich versichern müssen, dass er unbeobachtet war. Liam hatte allerdings nicht gedacht, dass eine Frau mitten in der Nacht auf einem Berg stehen würde, um Irgendetwas zu fotografieren. Beim Nächsten Mal würde er schlauer sein. Oder er sollte sich einfach einen Platz suchen, wo er völlig ungestört war. Eine dunkle Gasse war eine gute Alternative. Er hatte sich ziemlich unbeobachtet gefühlt, bis ihm diese Frau in die Quere kam. Es war nicht schwer ihre Spur bis zu ihrer Wohnung aufzunehmen, wo er nun auf sie gewartet hatte. Der schwarze Kater hatte ihn regelrecht rein gelassen, indem er ihm gezeigt hatte, dass die Balkontür weit offen stand. Und zwar für jeden noch so ungebetenen Besucher. „Sie sollten ihre Balkontür nicht offen stehen lassen“, sagte Liam in ruhiger Stimme. Er wollte sie nicht unnötig aufregen. „Vor allem wenn Sie nicht da sind.“ „Ich…“, wollte sie ihn anfahren, was erlaubte sich dieser Typ eigentlich, doch sie riss sich zusammen. „Was wollen Sie?“, fragte sie sofort und wirkte nun doch etwas unsicher. „Wenn sie mich ausrauben wollen…“ „Dann hätte ich das schon lange getan“, beendete Liam ihren Satz. Sie sah ihn fragend an, nickte aber. „Ja, vermutlich. Also, was wollen Sie dann?“ Liam schaute auf die Kamera, die sie an einem Trageriemen um die Schulter trug. Und er war froh, dass sie diese um der Schulter hatte, wenn sie diese nämlich in den Händen gehalten hätte, wäre die Kamera vermutlich wie die Briefe und der Schlüssel auf den Boden gefallen, nachdem sie ihn gesehen hatte. „Ich brauche ihre Fotos.“ „Wie bitte?“ „Die Fotos.“ „Ich verstehe nicht was Sie meinen“, meinte Leila und verschränkte nun die Arme vor der Brust. Anscheinend schien die Frau nun keine Angst mehr vor ihm zu haben. Von Anfang an hatte man ihre derzeitige Gefühlslage nicht als ängstlich bezeichnen können. Sie war geschockt gewesen; verunsichert und verwirrt zugleich, doch jetzt schien sie selbst das vergessen zu haben. Dieser Mann war ungebeten in ihrer Wohnung und sie würde nicht zu lassen, dass er hier blieb. Es wurde eindeutig Zeit für ihn, zu gehen. Und zwar sofort. „Ich möchte, dass Sie nun gehen.“ „Das geht nicht.“ „Ich glaube ich habe mich wohl verhört. Sie sind in meine Wohnung eingebrochen…“ „Die Balkontür war offen, also bin ich nicht eingebrochen“, unterbrach er sie und musste etwas schmunzeln. Auch wenn er eigentlich keine Lust auf diesen Disput hatte, empfand er es sichtlich als amüsant. Die Wangen der Frau färbten sich vor Verärgerung rot, was ihr sehr gut stand. Nicht, dass sie sowieso schon eine wunderhübsche Frau gewesen war. Doch diese leichte Röte auf ihren erhitzten Wangen ließ sie noch viel schöner erscheinen. Leila war sauer. Was erlaubte sich dieser Kerl überhaupt? Erst betrat er einfach so ihre Wohnung, wartete hier anscheinend auf sie und nun wollte er ihre Fotos. Sie verstand rein gar nichts mehr. „Ich weiß nicht, was Sie wollen, aber…“ „Ich möchte ihre Fotos“, wiederholte der Mann mit den breiten Schultern mit ruhiger Stimme. „Was denn für Fotos? Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen. Das Einzige was ich will, ist, dass Sie hier verschwinden. Hauen Sie ab!“ Sie klang wütend und aufgebracht. Und genau das war sie auch. Sie wollte sich nicht mehr zusammen reißen. Ihr Geduldsfaden war endgültig gerissen. „Das ist meine Wohnung!“ „Leila…“, er sprach ihre Namen sanft aus und wollte sie vermutlich beruhigen. Doch das sah sie nicht ein. Erst Recht nicht, als dieser Typ einen Schritt auf sie zu ging. „Bleiben Sie stehen wo Sie sind! Keinen Schritt näher und nennen Sie mich nicht so!“ „Gut“, er trat wieder einen Schritt zurück und sie standen wieder mit der gleichen Entfernung zu einander wie zuvor. Das waren vielleicht gerade einmal anderthalb Meter, sie wusste es nicht genau. Was sie allerdings wusste, war, dass diese kurze Strecke ihr sicherlich nicht als Schutz dienen würden. Er würde sofort bei ihr sein, wenn sie auch nur einen falschen Schritt tat. „Ich will Ihnen nichts tun.“ „Ach ja? Sagt derjenige, der in meine Wohnung eingebrochen ist.“ „Noch mal, ich bin nicht eingebrochen. Ihre Katze hat mir gezeigt, dass die Balkontür offen ist.“ Leila seufzte und strich sich durch ihr blondes Haar. Der Tag war anstrengend gewesen und sie war jetzt wirklich nicht bereit, sich mit einem mutmaßlichen Mörder über irgendwelche Dinge zu streiten. Für sie war klar, dass er hier eingebrochen war. Unerlaubterweise. Da interessiert es sie nicht, ob er nun den Weg durch die offen stehende Tür benutzt hatte oder nicht. „Was wollen Sie?“, fragte sie ihn noch mal. „Hören Sie.“ Er ging einen Schritt auf sie zu. Und sie sah ihn sofort wütend an. Der Typ verstand einfach nicht, was sie wollte. „Gut.“ Er blieb stehen und sah, dass sie erst dann die Arme wieder runter nahm und ihn nicht ganz so verspannt ansah. „Sie haben gestern Nacht Fotos geschossen.“ Sie sah ihn fragend an und überlegte, was sie ihm sagen sollte. „Vielleicht“, erwiderte sie, da sie sah, dass er eine Antwort oder eine Bestätigung von ihr wollte. „Nicht vielleicht. Ich weiß, dass Sie gestern Nacht am Turm waren. Und zwar so gegen 23 Uhr.“ Sie biss sich auf die Unterlippe und überlegte, ob es wirklich so eine gute Idee war, ihm diese Aussage zu bestätigen. Was brachte ihm denn dieses Wissen? Leila wusste immer noch nicht auf was er hinaus wollte. „Ja, ich war da. Was geht es sie an?“ „Sie haben mich fotografiert.“ „Wie bitte“, meinte sie überrascht. Sie hatte ihn fotografiert? Ihn? Daran würde sie sich doch erinnern. Sie hatte die Stadt fotografiert und die Weinberge. Auch wenig versucht dem Mond näher zu kommen. Aber sie hatte doch nicht ihn fotografiert. Es sei denn… Liam sah, dass sie nachdachte. Er konnte regelrecht hören, wie ihr Gehirn auf Hochtouren lief uns sie versuchte sich an den gestrigen Abend zu erinnern. Anscheinend war ihr nicht bewusst gewesen, dass sie ihn fotografiert hatte. Hätte ihn auch gewundert. Dennoch brauchte er diese Fotos. Er musste sehen, ob man darauf Irgendetwas erkennen konnte; etwas, was ihm gefährlich werden konnte. Vermutlich hätte er ihr nicht sagen sollen, dass sie ihn fotografiert hatte. Er hätte auch seinen echten Namen nicht nennen sollen. Vielleicht hätte er sich irgendeine Lüge ausdenken sollen, doch als sie in ihre Wohnung gekommen war, war er selber überrascht gewesen und hatte seine zurechtgelegten Worte wieder vergessen. „Sie waren also dieser Drogendealer?“ „Bitte was?“, fragte er überrascht. Drogendealer? Hatte er Irgendetwas nicht mitbekommen? Wie kam sie denn bitte darauf? Er sah doch nicht aus wie ein Drogendealer. Gut, der schwarze Trenchcoat sorgte jetzt bestimmt nicht dafür, dass sie ihn für einen Anwalt hielt. „Ja, ich habe Sie wohl beim Dealen fotografiert.“ „Das wäre mir neu.“ „Ach so?“, fragte sie und zog die Augenbraue in die Höhe und sah ihn abschätzend an. „Oder sie haben sonst irgendetwas vertickt und ich habe sie dabei erwischt.“ „Nein, so was ist es nicht.“ Wie kam denn diese Frau auf so etwas? Wen die Situation nicht so ernst gewesen wäre, hätte er lachen müssen. Das war nun echt nicht der richtige Augenblick. Es war gar nicht so einfach, sich nach dieser Anmerkung zusammen zu reißen. Es war amüsant zu hören, was diese Frau glaubte gesehen zu haben. Sie hatte ja nicht einmal eine leiseste Ahnung davon, was sich in Wirklichkeit gestern Nacht zwischen ihm und seinem Feind abgespielt hatte. Und warum musste er sich vor ihr überhaupt rechtfertigen? Wenn sie diese Fotos nicht gemacht hätte, dann würde er jetzt hier auch nicht rum stehen und versuchen müssen, diese Fotos zu bekommen. „Nein?“ „Nein“, beharrte er mit Nachdruck. „Ich bin kein Drogendealer.“ „Und was haben Sie dann da gemacht?“ Liam sah sie überrascht an. Das war die Frage, die er nicht beantworten wollte und konnte. Wie sollte er ihr denn bitte erklären, was er da getan hatte. Vielleicht war Drogendealer ja doch nicht so schlecht. Bestimmt besser als das, was er ihr sonst geantwortet hätte. Was er natürlich nicht tun würde. Er konnte ihr ja wohl schlecht sagen, dass er einem Hostus den Kopf abgerissen hatte. Gut, ganz so blutig war es ja dann doch nicht gewesen. Er hatte den Hostus nur erledigt. Sein Körper war ja eh nur noch die Marionette eines Puppenspielers. Liam und seine Brüder jagten Hostus nun mal, weil Hostus seelenlose Wesen waren, die Menschen auf den Gewissen hatten. Sie begangen Morde um sich zu nähren. Blutige Morde. Morde die nie aufgeklärt werden würden. Nur Liam und seinesgleichen wussten davon Bescheid. Es gab diese Hostus nun mal und Liam hatte es sich, wie so manch anderer seiner Sippe, zur Aufgabe gemacht, einen Hostus zu erledigen, wenn er ihm über den Weg lief. Eigentlich war er gestern nicht einmal auf Jagd gewesen. Es war ein vollkommener Zufall gewesen, dass er den bitteren Geruch wahrgenommen hatte, den Hostus ausströmten. Es war wie mit dem Käse und der Maus. Wenn der Käse nicht so gut riechen würde, würde die Maus nicht auf die Idee kommen in die Falle zu tappen, von der sie nichts wusste. Und gestern war er nun mal dieser blonden Frau in die Falle getappt und irgendwie schien das hier nicht enden zu wollen. Er wollte sein Missgeschick von gestern wieder gerade biegen. Er wollte die Fotos vernichten und am besten auch die Erinnerungen dieser Frau. Aber diese Frau weigerte sich strickt. So hatte er sich dieses Unterfangen nun echt nicht vorgestellt. Liam seufzte und fuhr sich durch seine dunklen Haare. „Das kann ich Ihnen nicht sagen.“ Er konnte es wirklich nicht. Sie würde sofort die Polizei rufen, wenn Leila Sullivan nicht eh schon mit dem Gedanken gespielt hatte. Vermutlich hatte sie das sogar bereits. „Dann kann ich Ihnen auch nicht die Fotos zeigen.“ „Wie bitte? Leila!“, er trat auf sie zu und knurrte regelrecht ihren Namen aus. Er hatte nun echt keine Lust mehr auf dieses Spiel. Er wollte diese Fotos vernichten. Bisher hatte er geglaubt, dass er mit der einfachen, netten Art und Weise bei einer Frau weiterkommen würde. Okay, in die Wohnung einbrechen gehört nicht gerade zu seinen charmantesten Eigenschaften. Aber nun war er mit seiner Geduld echt am Ende. Er wollte höflich und freundlich sein. Mit ihr Reden. Verhandeln. Aber diese Frau lehnte jede mögliche Verhandlung ab. „Nein! Und nennen Sie mich nicht beim Vornamen. Ich kenne Sie nicht. Und ich will Sie nicht kennen lernen.“ Die blonde Frau, sah ihn verstimmt an und er fragte sich echt, woher sie diesen Mut nahm. Hatte sie nicht ein klein bisschen Angst vor ihm? Wenn er ihr sagte, was er gestern Nacht getan hatte oder was er war, dann würde sie Angst haben. Sie würde schreien und vermutlich die Polizei rufen. Vermutlich würden diese sie mitnehmen und für eine Nacht wegen Verdacht auf geistige Verwirrtheit dort festhalten. Wenn er genau darüber nachdachte, würde er so an die Fotos kommen. Aber das war ihm nun wirklich zu viel des Guten. Vermutlich war es eh zu dunkel gewesen und die Entfernung zu groß. Wahrscheinlich hatte sie gar nichts wirklich gesehen. Und wenn, dann wären die Fotos nicht scharf genug um etwas erkennen zu können. Wenn er sie ansah und diesen Gedanken auch zu ließ, dann sah Leila Sullivan gar nicht mal so schlecht aus. Vermutlich unterhielt er sich deswegen mit ihr und hatte versucht diese Sache auf ruhige Art und Weise zu klären. Er zeigte sehr viel Geduld mit ihr. Etwas, was er bei anderen schon längst nicht mehr hätte. „Sie gehen jetzt!“ Er hatte für einen kurzen Moment selber daran gedacht. Aber irgendwie störte es ihn, dass sie ihn auf diese bestimmende Art und Weise ansprach. Er war derjenige der hier Befehle erteilte. Und nicht sie. Sie war nur eine Frau und dazu noch ziemlich jung. Er schätzte sie gerade mal auf 22 Jahre alt und somit konnte sie mit seinen 453 Jahren nicht mithalten. Diese modernen Frauen von heute, gingen ihm wirklich gegen den Strich. In der Vergangenheit hatte es Epochen gegeben, in denen eine Frau niemals das Wort gegen einen Mann erhoben hatte. Sie hätte ganz sicherlich nicht so mit ihm gesprochen. Wie er diese Zeit doch vermisste. Allerdings wäre dann dieses Gespräch auch ziemlich langweilig geworden. Liam sah die Frau an und fragte sich warum er eigentlich so lange hier stand und sich mit ihr unterhielt. Sein Auftrag war doch ganz einfach gewesen. Er wollte sie aufsuchen und sich um das Problem mit den Fotos kümmern. Aber irgendwie verwirrte diese Frau ihn und er konnte noch nicht genau sagen warum das so war. Ja, vielleicht lag es daran, dass sie keine Angst vor ihm und seiner Erscheinung hatte. Es könnte natürlich auch sein, dass sie sich einfach durch nichts so schnell aus der Ruhe bringen ließ. Was ihn aber auch noch störte, war ihr Blick. Sie sah ihn irgendwie auf eine bestimmte Art und Weise an. Eine Art und Weise wie man ihn noch nie angesehen hatte. In ihren Augen war weder furcht noch Angst. Etwas dass ihn überraschte. Waren alle Frauen der Moderne so selbstbewusst? Oder hatte er hier nur einen besonders hartnäckigen Fall vor sich? Doch er wusste, dass er es hier und jetzt beenden musste. Das war das Beste für sie und für ihn. So einfach war das. Hoffentlich… Er trat auf sie zu und fing deswegen sofort ihren wütenden Blick ein. „Ich sagte, Sie sollen keinen weiteren Schritt in meine Richtung tun.“ Liam reagierte gar nicht auf ihre Worte, blieb aber dennoch stehen. „Ich habe nun keine Lust mehr auf dieses Gespräch.“ „Oh, dann geht es Ihnen wie mir“, gab sie spitz zurück. „Und da Sie mir keinen Grund nennen können, weswegen Sie die Fotos von mir haben wollen, ist dieses Gespräch hiermit auch wirklich beendet.“ Liam sah sie genervt an und wusste, dass er nun etwas anwenden musste, was er sonst nicht so gerne tat. Nicht bei Unschuldigen, wie er so gerne sagte. Aber hier war es nötig, sonst würde er noch ewig mit Leila Sullivan diskutieren. Liam konzentrierte sich auf ihren Geist und hoffte somit Eintritt in ihren Kopf zu erlangen, um ihre Gedanken zu beeinflussen. Das war so etwas, was er und seine Art gut konnten. Es half ihnen auch oft aus unangenehmen Situationen, aber Liam hielt das für unnötig und nicht fair. Aber jetzt wollte er es auch anwenden, um den Schaden an diesem Abend zu begrenzen. Er sprach ganz einfache mentale Befehle aus, zum Beispiel er die Kamera nun haben wollte und sie sich nicht mehr aufregen sollte. Liam Noxus war allerdings überrascht, dass er eine Mauer um ihre Gedanken fand. So etwas hatte er noch nie erlebt. Sie sperrte ihn regelrecht aus ihrem Kopf aus. Als hätte sie die Kontrolle darüber, wer in ihrem Kopf rumspuken durfte und wer nicht. Und er gehörte anscheinend zu der zweiten Kategorie. Verwirrt sah er sie an. „Wie…“ „Ich schlage vor, dass Sie jetzt gehen.“ Sie sprach ihre Worte mit einer Deutlichkeit aus, die Liam überraschte. Er sah sie an und fragte sich, wen er da vor sich hatte. Sie musste wirklich etwas besonderes sein, wenn sie so eine mentale Stärke besaß, dass sie ihren Geist vor ihm schützen konnte. Noch nie in seinem Leben war es ihm unter gekommen, dass er jemanden getroffen hatte, dessen Gedanken und Tun er nicht beeinflussen konnte. Gut, er hatte mal davon gehört. Allerdings hatte er es nie für möglich gehalten. Dieser Abend nahm einen Verlauf an, den er so ganz sicherlich nicht geplant hatte. Liam war sich seiner Fähigkeiten immer sehr bewusst gewesen. Er wusste welche Vorteile er in welcher Situation hatte und er hatte seine Vorteile in dieser Situation ziemlich hoch eingeschätzt. Anscheinend hatte sich in Bezug auf diese blonde Frau allerdings ein wenig geirrt. „Ich warte“, meinte Leila leicht gereizt. Sie wollte diesen unangemeldeten Gast so schnell wie möglich wieder los werden. Das hier ging ihr nun endgültig viel zu weit. Sie wollte, dass dieser Liam oder wie er auch immer hieß, ihre Wohnung verließ und sie wieder für sich alleine war. Allerdings überraschte es sie, dass er sie nicht mehr ganz so wutentbrannt anblickte wie noch zu Beginn des Gesprächs. Dennoch war es ihr egal. Sie wollte sich nun nicht auch noch um den Kummer eines Einbrechers kümmern. Drogendealer hin oder her. Irgendetwas hatte er schließlich ausgefressen und sie hatte ihn dabei erwischt, sonst würde er ja nicht die Fotos haben wollen. Aber die würde er nicht so einfach bekommen. Sie sah ihn erwartungsvoll an und sah, dass er ihrem Blick auswich. Was sie aber nun wirklich nicht kümmern sollte. „Ich sollte wirklich…“ Sie wollte ihm zustimmen, als sie sah wie er ihr den Rücken zuwandte und ins Wohnzimmer ging. „Hey… die Haustür ist…“, sie folgte ihm in raschen Schritten in ihr Wohnzimmer. „Hey!“ Sie schaltete das Licht an und konnte nur noch mit ansehen, wie Liam durch die Balkontür verschwand. Sie eilte zur Glastür, erkannte wie ein dunkler Schatten in der Nacht verschwand. „Liam…“ Sie sah fragend in die Nacht und wusste nicht was sie sagen sollte. Irgendwie war dieser Mann merkwürdig gewesen, auch wenn sie nicht genau sagen konnte, warum sie überhaupt darüber nachdachte. Er war schließlich einfach in ihre Wohnung eingebrochen und hatte etwas von ihr gefordert. Er war unverschämt gewesen und wirkte als trug er ein dunkles Geheimnis tief in seinem Inneren. Aber warum hatte er am Ende so verstört ausgesehen? Verdammt, jetzt machte sie sich auch noch Gedanken um den Einbrecher? Sie hatte wirklich ein gutes Herz. Eindeutig. Hatte sie keine anderen Sorgen? Sie vernahm das Miauen ihres Katers und lächelte, als sie sah, wie dieser sich an ihrem Bein entlang streichelte. „Du lässt also einfach fremde Leute in meine Wohnung?“, fragte sie ihren Kater und nahm ihn auf den Arm, nachdem sie die Balkontür geschlossen hatte. Sie kraulte dem schwarzen Kater hinterm Ohr, der sich an ihr Gesicht schmiegte und sah noch eine Weile aus dem Fenster. Er war ein Einbrecher gewesen. Sie sollte sich nicht um ihn Gedanken machen. Sondern eher darum, dass die Sicherheit ihrer selbst nicht vollkommen gewährleistet war, wenn hier einfach so einfach jemand herein spazieren konnte. Sie sollte sich ein neues Schloss für ihre Balkontür besorgen. Sofort morgen würde sie sich darum kümmern. Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- Leila saß in ihrem kleinen Arbeitszimmer am Schreibtisch und starrte die Speicherkarte ihrer Kamera an. Das hier war schwieriger als sie gedacht hatte Sie sah über den Tisch zu dem Katzenkorb in dem es sich Tuxedo gemütlich gemacht hatte. „Und was soll ich tun?“ Doch ihr Kater hob nicht mal den kleinen Kopf, geschweige denn das er ihr antwortete. Nachdem Leila sich erst mal eine Tasse Tee gegönnt hatte, sichergestellt hatte, dass auch wirklich alle Fenster und Türen verschlossen, alle Vorhänge und Rollläden zugezogen waren, saß sie nun vor ihrem PC und starrte die Speicherkarte an. Darauf waren die Fotos, die sie gestern Abend geschossen hatte. Sie würde sie sich jetzt nun anschauen und sehen, was auf den Fotos zu sehen war. Sie würde erkennen, warum Liam, oder wie auch immer der Mann hieß, so sehr darauf bestanden hatte, die Fotos zu bekommen. „Okay, ich habe ja nichts zu verlieren.“ Dennoch hatte sie ein ungutes Gefühl bei der Sache. Sie war sich gerade gar nicht mehr so sicher, ob sie wirklich wissen wollte, was auf dieser Speicherkarte drauf war. Wenn sogar dieser Liam in eine Wohnung einbrach, nur um an diese Fotos zu kommen… den Gedanken wollte sie nicht zu Ende fassen. Ja, sie hatte wirklich ein ungutes Gefühl bei dieser Sache. Aber es kribbelte auch unter ihren Fingernägeln. Eigentlich war sie doch sehr neugierig und ging schon immer allem auf dem Grund. Doch konnte sie die Nacht ruhig schlafen, wenn sie sich diese Fotos ansah? Wer wusste, was sie auf den Fotos sehen würde. Vielleicht eine schreckliche Tat. Gut, dann würde sie diese Fotos zur Polizei bringen und ein Phantomfoto von Liam erstellen lassen. Bevor sie noch weiter mit sich ringen konnte, steckte sie die Speicherkarte in das Lesegerät ihres Computers und wartete darauf, dass die Karte erkannt wurde. Wenige Klicks später hatte sie den Ordner auf ihren Computer hinüber gezogen und klickte das erste Bild an, um es sich anzusehen. Wow, ihr Objektiv war richtig gut. Das war sogar richtig toll. Die Bilder in der Nacht sahen richtig toll aus. Sie hatte richtig schöne Bilder von der Stadt gemacht. Die sahen richtig gut aus. Sie hatte es doch einfach drauf. Allerdings sah sie sich diese Fotos nur oberflächlich an, als sie diese durchklickte. Sie wollte zu den letzten paar Fotos kommen. Die, wo sie anscheinend Liam fotografiert haben sollte. Sie zuckte zusammen, als sie das erste der entscheidenden Bilder vor sich hatte. Sie konnte nicht viel erkennen, da ein Mann in dunklen Trenchcoat mit dem Rücken zu ihr stand. Allerdings konnte sie eine silberweiße Klinge erkennen. Es war ein langes Messer oder etwas in der Art. Ein Breitschwert? Diese Waffe sah schon auf ihrem Foto verdammt unscharf aus und sie wollte nicht wissen, wie diese in Echt aussah. Sie schluckte schwer. Wenn das Liam war und er diese Waffe in der Hand hielt, dann wollte sie nicht wissen, wen Liam mit seinem Körper verdeckte. Das hier war eindeutig schlimmer als einen Drogendealer zu erwischen. Sie klickte langsam weiter und sah wie sich die Waffe langsam senkte. Dann sah sie einen andern Arm, der wohl nicht Liam gehörte. In ihrem Inneren verspürte sie ein mulmiges Gefühl. Sie hatte Liam bei einer verdammt schlimmen Sache erwischt. Bei einer Sache, der sie nicht mal einen Namen geben wollte. Leila starrte zu ihrem Telefon dass auf dem Tisch stand und überlegte, ob sie vielleicht die Polizei anrufen sollte. Oder jemand anderes. Aber es fiel ihr keiner ein. Vielleicht sollte sie das hier auch k einem erzählen, vielleicht würde Liam dann auch bei dieser Person einbrechen. Nein, das ging nun wirklich nicht. Sie wollte hier keinen mit hinein ziehen. Als sie das nächste Foto sah, erschrak sie wieder. Sie sah nun direkt in das Gesicht von Liam. Er hatte sie direkt im Visier, als wüsste er genau, wo sie sich befand. Seine Augen wirkten irgendwie anders. Stechender, leuchtender, gefährlicher. Wut und Aggressionen konnte sie darin erkennen. Leila griff nach ihrer Tasse Tee, die neben ihr stand und nippte daran. Allerdings war er schon kalt geworden und schmeckte nur noch bitter. Sie starrte immer noch Liams Gesicht an. Er wirkte erschrocken, als er sie ansah. Als wusste er, dass man ihn erwischt hatte. Die Blondine fuhr sich durchs Haar und seufzte auf. In was war sie da nur hinein geraten? Sie schloss die Datei und den Ordner. Das waren genug Fotos für heute gewesen. Trotz allem blieb sie aber auf ihrem Stuhl sitzen und sah sich in dem kleinen Zimmer um, das ihr Arbeitszimmer war. Sie saß oft hier. Wenn sie sich Arbeit aus dem Labor mit nach Hause nahm, an ihrem Sprachprogramm lernte oder eben an ihren Fotos arbeitete. Der Raum war klein aber angenehm. Nichts engte sie hier ein oder ähnliches. Die Wände waren warm gestrichen und die Möbel waren aus Buchenholz. Alles war sehr warm und sie mochte den Raum sehr, doch irgendwie war ihr gerade ziemlich kalt. Sie wusste, dass das nicht an der Temperatur lag. Es lag an den Fotos, die sie eben gesehen hatte. Eine Frage, die sich ihr nun stellte, war, wie sie weiter vorgehen wollte? Sollte sie nun einfach so tun, als wäre nichts gewesen. Als hätte sie die Fotos nicht gesehen und Liam wäre nicht in ihre Wohnung eingebrochen? Oder sollte sie vielleicht direkt zu Polizei gehen. Vielleicht hatten diese dort einen Mord, der jetzt endlich aufgeklärt werden konnte. Auch wenn sie Liam nicht kannte, hatte sie sich bisher immer auf ihre Menschenkenntnis verlassen können. Und diese sagte ihr nun, das Liam keinen sinnlosen Mord begangen hatte. Auch wenn sie nicht sagen würde, dass ein Mord im Fall Liam gerechtfertig war. Aber vielleicht hatte er ja gar keinen Mord begangen. „Klar, vielleicht hat er jemand mit seinem Säbel die Haare geschnitten“, Leila seufzte. Sie konnte versuchen es sich schön zu reden, aber das klang alles falsch. Es wurde einfach nicht besser. Die Tatsache war nun mal, dass er einen Säbel oder was auch immer in der Hand hielt. Und er war hier her gekommen um diese Fotos vermutlich zu beseitigen. Dass er allerdings so schnell aufgegeben hatte, war eine andere Sache, über die sie sich sicherlich nicht beschweren wollte. Schließlich hatte er dann ihre Wohnung wieder verlassen. Warum wollte sie überhaupt eine Erklärung dafür finden? Egal was es war, es war bestimmt eine schreckliche Tat und sie war plötzlich mitten drin. Sie hoffte, dass sich nach diesem Besuch von Liam aber alles erledigt hatte und sie ihn nie wieder sehen würde. Liam Noxus hatte noch eine Weile draußen im Schatten der Häuser gestanden und zu den Fenstern geschaut, in denen Licht brannte. Leila hatte ihm allerdings die Sicht schnell versperrt, da sie alle Vorhänge zu gezogen hatte. Vielleicht würde sie nun ihre Balkontür nicht mehr so leicht einfach offen lassen, damit jeder dort hinein spazieren konnte. Er hörte wie sie in der Wohnung mit ihrem Kater sprach. Er konnte auch in etwa wahrnehmen in welchem Zimmer sie sich befand. Jetzt musste sie in dem kleinen Arbeitszimmer sein, dass direkt neben der Wohnungstür war. Er hatte sich ihre Wohnung angesehen, als er sie betreten hatte. Enttäuschenderweise hatte er nicht die Fotos gefunden, die er gesucht hatte. Es gehörte eigentlich nicht zu seinen Aufgaben in den Wohnungen anderer Leute herumzuschnüffeln, aber er hatte nun mal gerade ein riesiges Problem. Was war, wenn die Fotos doch nicht unscharf waren? Man darauf sehr viel sogar erkennen konnte? Sie wusste nun auch wie er genau aussah, wenn sie es nicht auch fotografiert hatte, also konnte sie zur Polizei gehen. Die blonde Frau wusste auch seinen Vornamen, den er ihr, warum auch immer, verraten hatte. Gut, sie selber würde sich nur mit seinem Vornamen wohl kaum auf die Suche nach ihm machen. Aber die Polizei hatte bestimmt ihre Wege. Auch wenn er diese Leute in grüner Uniform nicht gerade für kompetent hielt, würden sie ihn bestimmt nach einiger Zeit ausfindig machen können. Gut, die Reste des Hostus würden sie nicht mehr finden. Die ersten Sonnenstrahlen hatten bestimmt den Rest für ihn erledigt. Den dreckigen Teil der Arbeit sozusagen. Die Leiche wieder los zu werden. Er wusste nicht, wie lange er da stand und trotz der zugezogenen Fenster zur Wohnung sah. In seinem Körper brodelte es und dennoch stand er still und beobachtete sie einfach. Er sah einfach zur Wohnung und fragte sich, wem er da begegnet war. Für ihn war es immer noch ein Schock, dass er den Geist von Leila Sullivan nicht beeinflussen konnte. So etwas gab es einfach bisher nicht. Da war es doch klar, dass er das nicht so schnell wegstecken konnte. Die Zeit war ihm unwichtig. Bei Wesen wie ihm war doch jede Stunde nur ein Augenschlag. Sie bedeutete ihm nichts. Allerdings löst er sich wieder aus seiner Starre, als er seinen Hunger spürte. Er brauchte nun wirklich Nahrung. Er wusste, dass heute eine neue Lieferung zu seinem Wohnsitz gebracht wurde und sie eigentlich nur auf ihn wartete. Die Haushälterin hatte diese bestimmt schon im Karton in den kleinen Kühlschrank in seinem Schlafzimmer gestellt, wie er es ihr erklärt hatte. Er wollte schließlich nicht, dass sie die Kiste öffnete und dabei einen Schock bekam. Das konnte er nun wirklich nicht gebrauchen. Eigentlich wollte er auch gar keine Haushälterin im Haus haben. Aber seine Mutter hatte es so gewollt und leider hatte seine Mutter immer noch eine starke Macht auf ihre Söhne. Das würde sich wohl nie richtig ändern. Liam knurrte, als er den Kragen seines Trenchcoats hochsteckte und den Schatten verließ, dem die Häuser ihm gespendet hatten. Er sollte diesen Ort verlassen und später darüber nachdenken, wie er weiter vorgehen sollte. Wenn er etwas zu sich genommen hatte, konnte er bestimmt besser nachdenken. Denn er brauchte nun wirklich eine Idee. Und wenn es sein musste, würde er auch einen seiner Brüder anrufen. Vielleicht könnte Menas ihm weiterhelfen. Er hatte doch immer tolle Ideen. Deswegen leitete dieser auch das Familienunternehmen, nachdem ihr Vater verstorben war. Liam ging in raschen Schritten zu seinem Auto, dass er in einer Nebenstraße geparkt hatte. Die Fernbedienung ließ die Lichter aufblinken, kurz bevor er in seinen Wagen stieg und den Motor einschaltete. Einen Moment lang starrte er auf sein Lenkrad und überlegte, ob er nicht noch mal zu Leila gehen sollte. Vielleicht sollte er es noch mal mit der freundlichen Art probieren. Oder sie direkt bedrohen. Aber beides sagte ihm jetzt nicht zu. Außerdem quälte ihn zu sehr der Hunger. Es würde nicht gut sein, wenn er jetzt noch mal in ihre Wohnung ging. Vermutlich würde er irgendwann schwach werden und sich an ihrem Blut verköstigen. Denn auch wenn er es nicht wahrnehmen wollte, hatte er ihren Geruch immer noch in seiner Nase. Die ganze Wohnung hatte nach Vanille, Erdbeere und einem leichten Duft eines Parfüms gerochen. Und als sie in die Wohnung gekommen war, hatte sie diesen Geruch nur noch intensiver ausgestrahlt. Nein, dachte er sich und trat aufs Gaspedal. Kapitel 3: Kapitel 3 -------------------- Eigentlich hätte Liam die Sache ruhen lassen können. Eigentlich. Und auch wenn er sich mit allen möglichen anderen Sachen versuchte abzulenken, musste er immer wieder an seine Begegnung mit Leila Sullivan denken, auch zwei Wochen nach besagtem Vorfall. Er hatte mit seinem Bruder Menas über diese Sache damals geredet und dieser hatte ihm ein paar gute Vorschläge genannt, wie Liam nun weiter vorgehen sollte. Als allererstes ließen sie Leilas Festnetztelefon und Handy abhören. So würden sie sofort wissen, wenn sie die Polizei angerufen hätte. Aber das hatte sie bisher noch nicht getan. Liam fand generell, dass Leila nicht viel telefonierte. Aber sie war auch oft unterwegs. Was zu Punkt zwei des Plans führte. Sie hatten sie beschatten lassen. Nicht direkt sie. Sie hatten nur einen Peilsender an Leilas Wagen geheftet, so dass Liam immer auf seinem Handy sehen konnte, wo Leila gerade steckte. Meistens fuhr sie mit ihrem Auto nur zur Arbeit oder Einkaufen. Allerdings fuhr sie auch oft einfach durch die Gegend. Hielt dann irgendwo an und wie Liam sich vorstellen konnte, fotografierte sie irgendetwas und fuhr dann weiter. Außerdem hatte Menas es geschafft auch ihre E-Mails zu kontrollieren. Er hatte versucht es Liam zu erklären, mit welchen Methoden er das hinbekommen hatte, aber Liam hatte gar nicht wirklich zugehört. Dieses ganze IT-Wissen war einfach nichts für ihn. Liam gehörte einfach nicht zu denjenigen, die sich an einem PC setzten und alles Wissen was sie haben wollten auf irgendeine Art und Weise heraus hackten. Nein, das war eher Menas‘ Ding. Durch all das wusste er aber, dass sie nicht zur Polizei ging. Was seiner Meinung nach nur zwei Gründe haben konnte. Entweder man konnte auf den Fotos wirklich nichts erkennen, wie er es vermutete. Oder, er hatte ihr doch etwas Angst eingejagt und sie wollte lieber keinen zweiten Besuch in ihrer Wohnung haben. Was es auch war, Menas meinte, dass Liam so langsam die Bewachung der Frau abschließen konnte. Denn wenn sie jetzt nicht schon zur Polizei gegangen wäre, dann würde sie es jetzt auch nicht mehr tun. Das mochte vielleicht stimmen, aber Liam konnte nicht einfach so die Verbindung zu ihr kappen. Natürlich war das verrückt und er verstand sich ja selber nicht. Aber es lag einfach an der Art dieser Frau, dass sie ihm nicht aus dem Kopf ging. Ihre Augen, die vor Mut und Selbstbewusstsein nur so gestrotzt hatten. Ihr Geruch, der ihn wie ein unsichtbarer Nebel eingehüllt hatte. Ihre Stimme, war trotz ihrer bissigen Worte, auch angenehm gewesen. Vielleicht war es aber auch einfach die Art gewesen, wie sie mit ihm gesprochen hatte. So hatte noch nie jemand mit ihm gesprochen. Natürlich kam es zwischen ihm und seinen Brüdern zu Diskussionen, aber sie fuhren sich nie über den Mund. Sie ließen den anderen immer ausreden. Sie versuchten es zumindest. Und oft kam dann ihre Mutter ins Spiel, die das Ganze dann zu Schlichten versuchte. Liam saß in seinem Auto und ging noch einmal die Route für heute Nacht durch. Er suchte sich immer eine neue Route aus, bevor er los zog. Diese Gegend gehörte zu seinem Revier und das sollte auch so bleiben. Er brauchte hier keinen Zweiten, der sich um die Hostus dieser Gegend kümmerte. Das war sein Geschäft und er erledigte diese Arbeit immer professionell. Gut, im Falle von Leila Sullivan war ihm ein Fehler unterlaufen. Liam steckte die Karte gerade ins Handschuhfach als er sah, dass das Handy auf seinem Beifahrersitz leuchtete. Wenn es so leuchtete, dann hatte Leila telefoniert. Sofort war das Handy an seinem Ohr und er hörte die Nachricht ab. „Hallo, mein Name ist Leila Sullivan. Und ich stecke mit meinem Auto hier fest.“ Er hörte, dass sie sehr aufgebracht war. Genervt war sie auf jeden Fall. Das was der Mann vom Abschleppdienst sagte, interessierte ihn nicht besonders. Er hörte nur auf die Stimme und die Worte von Leila. Er versuchte heraus zu finden, ob sie verletzt war. Vielleicht hatte sie einen Unfall gehabt. Sofort packte ihn Sorge um eine Frau, die er eigentlich gar nicht kannte. „Es ist einfach liegen geblieben. Es hat einen Rums gemacht, dann komische Geräusche von sich gegeben, als hätte mein Wagen Husten und ich bezweifle, dass ein Wagen Husten hat. Und dann ging gar nichts mehr.“ Sie hatte also keinen Unfall gehabt und war auch nicht gegen einen Baum gefahren. Das beruhigte ihn doch schon sehr. Liam versuchte auf die Hintergrundgeräusche zu achten und nicht zu sehr auf ihre Stimme. Was in diesem Fall gar nicht so leicht war. „Wie wo ich bin? Keine Ahnung wo ich bin.“ Er hörte sie seufzen und konnte sich gut vorstellen, wie sie genervt an ihrem Auto stand, irgendwo in der Pampa und wusste den Straßennamen nicht. „Hören Sie mal, ich hatte ein Meeting und bin nun auf den Weg nach Hause.“ Er fragte sich echt, warum diese Frau dem Mann das erzählte. Das interessierte ihn doch gar nicht. „Es ist ein roter Mitsubishi Colt… Ja danke. Ich weiß wie viele rote Mitsubishis es gibt… aber meiner ist gerade der Einzige, der liegen geblieben ist“, Liam musste schmunzeln. Er konnte gar nicht anders. Diese Frau war wirklich einmalig. Die Person vom Abschleppdienst versuchte nur höflich ein paar Antworten aus Leila zu bekommen, aber dieser war das anscheinend egal. Sie bekam das gar nicht mit. „…Ja, natürlich bleibe ich ruhig, habe ja nichts Besseres zu tun…“ Mehr brauchte sich Liam nicht anhören. Er wechselte das Menü und ließ sich zeigen, wo Leilas Wagen gerade stand. Er dachte über sein Handeln gar nicht wirklich nach, sondern tat es einfach. Für ihn stand gerade außer Frage, dass er nicht zu ihr fahren würde. Liam Noxus würde sich jetzt von seinem Handy zeigen lassen, wo Leilas Wagen liegen geblieben war und er würde zu ihr fahren. Wie er dann mit ihr umgehen sollte, wusste er nicht. Er sollte sich auch eine Geschichte zu Recht legen. Warum er genau jetzt, auf dieser Straße war. Sie würde vermutlich auch nicht gerade erfreut sein, ihn wieder zu sehen. Aber Liam wollte sie sehen. Er wusste nicht genau warum. Schließlich wusste er ja, dass sie nicht die Polizei angerufen hatte und auch keinem sonst von den Fotos oder von ihrer Begegnung mit ihm erzählt hatte. In ihm war einfach ein Gefühl, dass er so bisher auch nicht kannte, das ihm sagte, dass er Leila sehen musste. Er wollte sich einfach selbst davon überzeugen, dass es ihr gut ging. Das sie wirklich nicht verletzt war. Sie konnte sich ja den Kopf am Lenkrad gestoßen haben, war verwirrt und deswegen so aufgebracht. Liam musste wieder an ihre geröteten Wangen denken, als sie sich so aufgeregt hatte, weil er in ihrer Wohnung war. Und ja, vielleicht wollte er sie auch wegen diesen geröteten Wangen noch mal sehen. Der Vampir startete sofort den Motor, als das GPS-Gerät das Auto von Leila Sullivan gefunden hatte und er fuhr aus seiner Garage. Ohne noch mal auf das Handy zu schauen, heizte er durch die Straßen, hinaus aus der Stadt. Leila starrte ihren Wagen wütend an. Hatte sie ihn nicht erst vor vier Wochen zum TÜV gebracht? Und hatte man ihn nicht dort komplett durchgecheckt und das behoben, was anscheinend nicht der Norm entsprach. Warum musste dieses dumme Auto jetzt den Geist aufgeben? Das war echt nicht zu fassen. Eigentlich hatte sie ihr Auto immer sehr gemocht, sie hatte sozusagen eine gute Beziehung zu ihm gehabt. Ihn hin und wieder gepflegt, aber nie verkommen lassen. Und so dankte dieses Auto ihr? Das war doch echt die Höhe. Sie trat mit dem rechten Fuß gegen das Vorderrad und seufzte auf, weil sie sich dabei weh tat. „Dummes Auto.“ Hier fuhr aber auch kein einziges Auto lang. Und wenn dann mal ein Auto vorbei fuhr, dann hielt der nicht mal an. Er wurde langsamer, glotzte, aber blieb nicht stehen. Sah sie denn nicht wie eine hilfsbedürftige Frau aus? Gab es hier nicht irgendeinen Mitleid erregenden Mann, der nur auf so eine Chance wartete, einer Frau zu helfen, damit sie ihm ewig dankbar sein konnte? Nein, anscheinend nicht. Mal wieder ging Leila auf und ab und wartete auf den Abschleppdienst. Gut, sie war nicht gerade freundlich gewesen. Aber sie war auch gerade nicht wirklich in der Stimmung freundlich zu sein. Schließlich befand sie sich gerade im Nirgendwo. Sie wusste ja selber nicht mal so genau wo sie war. Da halt. Das war doch nicht so schwer zu verstehen. Warum konnte da auch keine Frau ans Telefon von dem Abschleppdienst gehen. Die hätte sie bestimmt verstanden. War ja klar, dass ein Kerl sie nicht verstand. Sie war eh der festen Überzeugung, dass Männer und Frauen von zwei unterschiedlichen Planeten stammten. Oder nur sie stammte von einem anderen Planeten, denn viele Frauen kamen mit Männern ja klar. Nur Leila war Single und das schon seit gut 2 Jahren. Nicht, dass sie keine Angebote hatte. Doch die hatte sie eigentlich reichlich. Aber die Kerle langweilten sie immer so schnell. Da ging sie mit ihnen mal aus und wollte sie kennen lernen und dann erzählten die Kerle ihr irgendetwas, was sie gar nicht interessierte und was schrecklich langweilig war. Sie wusste dann, dass diese Kerle sie auf keinen Fall fordern würden. Dass sie sich direkt von Anfang an in dieser Beziehung langweilen würde. Außerdem hätte sie eh keine Zeit. Okay, eigentlich hatte sie ja auch mit dieser Fotografie angefangen, weil sie so viel Zeit hatte. Zu erst hatte sie ihr Abitur in der Abendschule nachgeholt, weil sie sich unterfordert fühlte. Dann hatte sie angefangen Spanisch zu lernen. Und nun hatte sie eben die Fotografie für sich entdeckt. Etwas was sie auch wirklich fesselte und nicht langweilte. Sie kam rum und sah viel. Gut günstig war dieses Hobby nicht gerade und Zeitaufwendig auch. Für sie war es aber okay. „Wo bleibt denn dieser Abschleppdienst… war ja klar, dass die sich Zeit lassen.“ Die blonde Frau setzte sich wieder in ihren Wagen und schaltete das Radio an. Doch die Musik sagte ihr gerade gar nicht zu, so dass sie das Gerät schnell wieder ausschaltete. Sie war anscheinend wirklich zu anspruchsvoll. Weder Männer noch Radiosender waren gut genug für sie. Und diesen Abschleppdienst mochte sie auch nicht. Leila beobachtete, wie ein Wagen an ihr vorbei fuhr. „Ja, glotz du nur“, meinte sie bissig, als der Wagen langsamer fuhr. Zu ihrer Überraschung hielt dieser aber wenige Meter vor ihr an. Das war nun wirklich eine Überraschung. Sie stieg aus ihrem Wagen aus, als sie sah, dass die Fahrertür im Wagen vor ihr aufging. Sie sah ihren Wagen sauer von der Seite an und ging dem Mann entgegen. Allerdings blieb sie stehen, als sie sah, wer ihr da entgegen kam. Sie musste schwer schlucken und überlegte, ob sie nicht wieder in ihr Auto hechten sollte und die Türen verschließen konnte. Aber ihre Beine bewegten sich keinen einzigen Zentimeter mehr. Weder in seine Richtung hin noch in die andere zurück. Sie stand einfach nur da und starrte Liam an. Der Liam, der zwei Wochen zuvor in ihre Wohnung eingebrochen war und die Fotos haben wollte, die sie von ihm geschossen hatte. Der Liam, der auf dem Foto ein Säbel, ein Breitschwert oder Ähnliches in der Hand hielt. Der Liam… der ihr die ganze Zeit nicht aus dem Kopf gegangen war. Sie hatte wirklich versucht nicht an ihn zu denken oder an die Fotos. Aber jeden Abend starrte sie das Foto an, wo sein Gesicht so deutlich zu sehen war. Auch wenn sein Blick darauf wütend und überrascht war, mochte sie es irgendwie. Er wäre ein gutes Motiv für eine ganze Fotoreihe gewesen. Und wenn er nicht mit Säbel spazieren ging, wäre er bestimmt auch ein gutes Unterwäsche-Model oder etwas in der Art. Denn sie glaubte, dass unter dem langen Trenchcoat ein muskulöser Körper steckte. „Guten Abend.“ „Was wollen Sie hier?“ Sie musterte ihn. Er war ein paar Schritte vor ihr stehen geblieben. Ungefähr drei schätzte sie. „Sie sind anscheinend liegen geblieben.“ „Ich habe meine Fotos nicht dabei.“ Liam zuckte mit den Schultern und ging an ihr vorbei zu ihrem Auto. Leila drehte sich sofort um und eilte ihm hinterher. „Hey, was haben Sie vor?“ „Ich schaue mir Ihren Wagen an.“ „Nein!“, sagte sie sofort und stellte sich zwischen ihm und ihrem Wagen, stand vor der Motorhaube. Der Mann, der wieder seinen dunklen Trenchcoat anhatte, sah Leila fragend an. „Warum lassen Sie sich nicht helfen?“ „Weil Sie vielleicht die Bremskabel durchschneiden oder so was“, meinte Leila und sah ihn forsch an. Ihm war doch alles zu zutrauen. Wenn er in ihre Wohnung einbrach und mit einem Säbel umgehen konnte, dann konnte er das bestimmt auch. Vermutlich würde er sogar mit seinem Säbel die Kabel durchschneiden. „Wenn ihr Wagen eh nicht wieder anspringt, wird es mir nichts bringen, wenn ich Ihre Bremskabel durchschneide“, antwortete Liam ruhig, trat einen Schritt auf sie zu, griff um sie. Leila schluckte, als der Mann so nah bei ihr war. Sein Körper berührte ihren und sie konnte den würzigen Geruch wahrnehmen, der ihn umgab. Sie schluckte schwer und versuchte ganz ruhig zu bleiben. Doch ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und drohte aus ihrem Brustkorb zu springen, wenn sie sich nicht beruhigen konnte. Seine Arme berührten sie an der Seite, als er hinter sie griff. Leila wollte gerade etwas sagen, vielleicht sogar versuchen ihn von sich zu stoßen, als sie ein Klacken hinter sich hörte und Liam die Motorhaube vorsichtig hochhob, ohne sie zu verletzen. Oh… dachte sie sich. Er hatte nur die Motorhaube geöffnet. Er wollte ihr nicht nahe sein. Irgendwie war sie darüber enttäuscht. Vor allem, als Liam einen Schritt zur Seite ging, die Stange an der Motorhaube befestigte, so dass sie oben blieb. „Halten Sie die mal für mich“, meinte Liam und legte Leila etwas in die Hand. Sie wollte schon aufschreien, weil sie dachte, er würde ihr sein Messerset in die Hand drücken, dabei war es nur eine Taschenlampe. Nur eine Taschenlampe. Allerdings hatte sie einen metallenen Mantel, damit könnte man sicherlich auch jemanden um die Ecke bringen. Wie oft es ging, hörte man im Fernsehen: Die Todesursache war ein dumpfer Schlag gegen den Hinterkopf. Leila rollte wegen ihren eigenen Gedanken, die sie gerade zur Weißglut brachten, mit den Augen und knipste die Taschenlampe an. Sie hielt das Licht so neben Liam, dass er was sehen konnte. Was auch immer er in ihrem Wagen zu sehen glaubte. Sie sah ihm eine Weile ohne ein Wort zu sagen zu, beobachtete jeden seiner Schritte. Sie sah nicht, dass er jetzt versuchte irgendwelche Kabel durchzuschneiden oder sonst einen Unheil anzurichten. Ehrlich gesagt, ging er ziemlich vorsichtig mit ihrem Wagen um. Sie sah seine Hände an und musste feststellen, dass sie um einiges größer waren, als ihre eigenen. Es wirkte so, als hätte er mit diesen Händen schon viel gearbeitet. Ja, er hatte jemanden umgebracht. Vermutlich nicht nur einen. Liam sah Leila fragend an, als er schon wieder hörte wie sie seufzte. Warum seufzte sie denn die ganze Zeit? Sie sah heute sehr gut aus. Sie trug einen grauen Zweiteiler, bestehend aus Rock und Blazer, darunter eine weiße Bluse und darüber einen roten Mantel, der offen stand. Das stand ihr sehr gut, wie er gestehen musste. Allerdings fand er ihre Frisur nicht toll. Sie hatte sie zu einem strengen Zopf gebunden. Als er sie das letzte Mal gesehen hatte, trug sie ihre blonden Haare offen, was ihr besser stand. Was er ihr wohl kaum sagen würde. Er spürte ihren beobachteten Blick und wie sie jeder seine Hangriffe folgte. Sie wollte ihn wirklich unter Kontrolle behalten. „Und?“, fragte sie ihn vorsichtig. Liam sah wieder in den Innenraum und musste zu geben, dass er hier nichts machen konnte. „Der Wagen muss in die Reparatur. Das hier kann man nicht hier vor Ort erledigen. Ich habe mein Werkzeug auch gar nicht dabei.“ „Ihr Werkzeug?“, fragte Leila. Er sah, dass sie die Augenbraue hochgezogen hatte. Ihr Blick war regelrecht abschätzend. „Ja, mein Werkzeug.“ Leila setzte ein falsches Lächeln auf und er wusste, dass ihm nicht gefallen würde, was sie gleich sagen würde. Er hatte es einfach im Gespür. Allerdings war sie nicht mehr ganz so aufgekratzt, wie bei dem Anruf. Sie schien sich etwas beruhigt zu haben. Was gut war. Sie sollte ihre Nerven nicht solcher Strapazen unterziehen. Was sie anscheinend gerne machte. So schnell wie sie sich aufregte. „Gehört zu Ihrem Werkzeug auch ein Säbel?“ Liam klappte die Motorhaube mit einem Schlag zu. Leila zuckte dabei zusammen, da es so überraschend kam. „Also wie gesagt, ich kann Ihrem Wagen hier nicht viel helfen. Er muss in die Werkstatt.“ Leila seufzte. „Da war erst vor vier Wochen.“ „Tja, dann hat man Sie wohl übers Ohr gehauen.“ „Vielen Dank auch“, meinte Leila und reichte Liam die Box mit den Taschentüchern aus ihrem Auto, so dass er sich die Hände ein wenig sauber wischen konnte. So gut das mit trockenen Taschentüchern natürlich ging. „Danke.“ Liam war überrascht, dass Leila ihm die Box reichte. So viel Freundlichkeit hatte er nicht von ihr erwartet. Vielleicht konnte sie hinter ihrer rauen Schale richtig nett sein. Was er aber wohl nie kennen lernen würde. Was er irgendwie schade fand. Sie schien eine interessante Frau zu sein, die auf ihre Art und Weise wusste, was sie wollte. Er reichte ihr die Box mit den Taschentüchern zurück. Seine Hände waren nun ein wenig sauberer, auch wenn sie immer noch etwas schwarz waren. Aber ihn kümmerte das nicht. „Mit Seife kriegen Sie Ihre Hände wieder sauber. Allerdings habe ich gerade keine Seife da.“ „Nein, das ist schon okay.“ „Gut“, meinte sie und starrte auf die Box in ihren Händen. Sie schien zu überlegen, was sie sagen und tun wollte und stellte diese dann einfach wieder in ihr Auto. Er glaubte aber, dass sie das nur tat, damit sie nicht so dumm rum stand. Denn die Situation war etwas unangenehm. Nicht im direkten Sinn, sondern einfach deswegen weil sie nichts zu sagen wussten. Liam dachte über ihre Worte mit dem Säbel nach. Die Fotos waren also doch etwas geworden und man konnte darauf was erkennen. Er hatte gehofft, dass man nichts sehen würde. Dann hatte sie sich also wirklich nicht bei der Polizei gemeldet, weil sie Angst vor ihm hatte. Oder vor irgendwelchen Konsequenzen. Aber wenn sie Angst gehabt hätte, dann hätte sie wohl kaum in einem Nebensatz erwähnt, dass er einen Säbel hatte. Und beide wussten, dass er damit umgehen konnte. Leila ahnte es vermutlich nur und wollte es bestimmt nicht ausprobieren. „Liam, ich…“, wollte sie gerade einen Satz anfangen und er hatte sie fragend angesehen, doch dann wurden sie unterbrochen, da der Abschleppdienst auftauchte. Beide seufzten auf. Einerseits weil sie erleichtert waren, dass sie sich nicht mehr verkrampft gegenüber stehen würden. Andererseits weil sie dann hier nicht mehr Mutterseelenallein waren. Was beiden offensichtlich unangenehm war. „Okay, wir haben Ihren Wagen nun aufgeladen. Damit wäre das hier erledigt.“ Der Mann des Abschleppdienstes hatte nur das bestätigt was auch Liam kurze Zeit vorher gesagt hatte. Nämlich dass man den Wagen hier an Ort und Stelle ohne passendes Werkzeug nicht wieder in Gang kriegen würde. Da war erst mal nichts zu machen. Was natürlich nicht ganz so rosig für Leila war. Leila hatte die Arme vor ihrer Brust verschränkt und sah den Mann musternd an. Liam stand direkt neben ihr und hörte sich ebenfalls jedes Wort an. Natürlich hätte er auch gehen können, aber das wollte er nicht und Leila hatte ihn auch nicht darum gebeten. „Wie geht’s nun weiter?“, fragte sie mit einem Seufzer und dachte darüber nach, dass sie sich bestimmt über die Rechnung der Werkstatt freuen würde. Der Mann sah auf seine Armbanduhr und sah wieder abschätzend zu Leila. „Also heute wird das nichts mehr.“ „Wie bitte?“ Liam legte den Arm auf ihre Schulter und zog sie etwas zurück, denn sie war sofort einen Schritt näher auf den Mann zu gegangen. Leila war wirklich ein sehr impulsiver Mensch, wie Liam feststellten musste. Man konnte sie schnell zur Weißglut zu bringen. Der Mann des Abschleppdienstes war Liam sichtlich dankbar, dass er Leila von ihm weg zog, was Leila nur noch wütender machte, aber sie versuchte sich zusammen zu reißen. „Also ich werde den Wagen in die Werkstatt bringen und man wird ihn sich Morgen ansehen.“ Er sah vorsichtig zu Leila. „Direkt als Erstes“, fügte er noch schnell hinzu. „Und dann wird man feststellen, was dem Wagen genau fehlt. Man wird Sie sofort anrufen, wenn man etwas Genaueres weiß.“ Leila seufzte und fuhr sich durchs Haar. „Alles klar.“ Sie war froh, dass Morgen Samstag war und sie nicht auf die Arbeit musste. Allerdings würde die Werkstatt dann auch erst mal eine Weile brauchen, bis sie die Teile bestellt hatten und am Sonntag würde ihr Wagen garantiert noch nicht fertig sein. Bis dahin konnte sie sich aber um eine Mitfahrgelegenheit zur Arbeit beschaffen. Wenigstens etwas. Sie mochte aber nicht, von anderen abhängig zu sein. Sie war nun mal gerne ihr eigener Chef. Aber sie würde wohl oder übel eine Mitfahrgelegenheit brauchen, wenn sie zur Arbeit und wieder nach Hause wollte. „Gut, ihr Freund kann Sie doch sicherlich nach Hause bringen.“ „Wir sind nicht…“, fing Liam an. „Er ist nicht mein Freund“, meinte auch Leila sofort. „Okay, gut. Aber er ist ja mit dem Wagen da. Ich fahr dann los.“ Leila nickte dem Mann im Blaumann zu und ließ ihn ins Führerhaus steigen. „Soll ich Sie nach Hause fahren?“, fragte Liam vorsichtig. Leila sah ihn an und rollte mit den Augen. „Ich werde garantiert nicht in ihr Auto steigen.“ „Ganz wie Sie wollen“, meinte Liam und ging zu seinem Wagen. Leila fischte ihr Handy aus der Tasche. Sie würde einfach Kate anrufen. Die würde sie bestimmt abholen oder jemand anderes. Irgendjemand würde sie schon erreichen. „So ein Mist“, fluchte Leila, als sie feststellte, dass ihr Handy wohl vor ein paar Minuten den Geist aufgegeben hatte. Sie hatte vorhin schon beim Anruf gesehen, dass es an der untersten Leiste des Akkus angekommen war. Aber wer hätte auch damit rechnen können, dass sie mitten auf der Straße stehen würde und jemanden anrufen musste, der sie abholte. Das war doch echt zum verhexen. Heute war eindeutig der schrecklichste Tag in ihrem Leben. Alles was nur schief gehen konnte, ging schief. Fehlte nur noch, dass es anfing zu regnen, da sie keinen Schirm dabei hatte. Sie steckte das Handy wieder ein und sah das Liam in seinen Wagen gestiegen war. Natürlich konnte sie auch noch mal über sein Angebot nachdenken. Er hatte schließlich angeboten, sie nach Hause zu fahren. Aber er war bestimmt bewaffnet und hatte vielleicht auch eine Leiche im Kofferraum. Sie würde ihm alles zutrauen. Auch wenn sie sagen musste, dass sie froh war, dass er da gewesen war. Er konnte viel besser mit dem Typ des Abschleppdienstes verhandeln als sie. Sie hätte dem Typ direkt schon nach dessen erster Frage den Marsch geblasen. Liam war viel ruhiger. Er war auch ein Mann. Das erklärte bestimmt, warum er sich besser mit Autos auskannte. Sie legte den Kopf in den Nacken und versuchte nachzudenken, was sie nun tun sollte. Mit geschlossenen Augen, hörte sie wie Liam den Motor seines Wagens anschmiss. Sie würde hier stecken bleiben, wenn er sie nicht mitnahm. Oder sie trampte und nahm dann in Kauf von einem Massenmörder mitgenommen zu werden. Aber war er soviel besser? Sie hörte wie der Wagen losfuhr und sie hatte immer noch kein Wort gesagt, geschweige denn versucht ihn aufzuhalten. Sie konnte sich einfach nicht überwinden. Eigentlich ging es ihr eher darum, dass sie ihn dann hätte bitten müssen, sie nach Hause zu fahren. Das mochte sie nun mal nicht gerne. Kapitel 4: Kapitel 4 -------------------- Diese Entscheidung wurde ihr schließlich abgenommen. Liam konnte sie nun mal nicht einfach hier rum stehen lassen. Es war dunkel und eigentlich auch ziemlich kalt. Egal ob sie ihn für ein Monster hielt, ganz so kalt war er nun doch nicht. Warum auch immer, rief sie keinen von ihrem Handy aus an. Und es sah nicht so aus, als wäre diese Straße sehr befahren. Er würde sie ganz sicherlich nicht einfach hier stehen lassen. Auch wenn er gewollt hätte, dass sie ihn darum bat, war ihm das gar nicht so wichtig. Als er den Motor angestellt hatte, legte er den Arm über den Beifahrersitz und fuhr nach hinten. Bis er direkt vor Leila stehen blieb. Er lehnte sich über den Beifahrersitz und machte die Tür auf. „Steigen Sie ein“, sagte er einfach ohne große Umschweife. Und er war ehrlich gesagt, über sich selbst überrascht. Er hatte auch seinen Stolz. „Nein.“ Anscheinend war ihr Stolz aber deutlich größer als seiner, weswegen sie sein Angebot nicht angenommen hatte. Annehmen konnte. Jedoch würde er sie hier nicht stehen lassen. Auch wenn sie dachte, dass er ihr Feind war, gab es bestimmt noch schlimmere Mitfahrgelegenheiten, die sie hier erwarten konnten. „Ich werde Ihnen nichts tun.“ Als er sah, wie sie mit den Augen rollte, seufzte er nur. War ja klar, dass sie ihm das nicht wirklich abnahm. Das hatte er sich allerdings selber zuzuschreiben. Das Leila nicht gerade das Vertrauen zu ihm hatte, lag vielleicht an der Tatsache, dass sie wusste, dass er gerne mit Waffen durch die Gassen der Stadt lief. Leila nannte seine Waffen Säbel, was sie aber nicht waren. Sie waren viel besser und effektiver. Wenn er ihr das sagen würde, wäre es wohl noch unwahrscheinlicher, dass sie zu ihm in den Wagen steigen würde. Er würde dann immer noch auf sie einreden und keinen Schritt weiter kommen. Auch wenn Leila nicht wusste, was er genau mit den Waffen tat. Für sie war er bestimmt ein kaltblütiger Mörder. Was nur bedingt stimmte. Er brachte schon jemanden um, es waren aber Hostus, deren Leben eh schon ihren Sinn verloren hatte. Sie waren nur noch Marionetten eines üblen Puppenspielers. Besaßen keine Seelen war und hatten ebenso keinen Willen mehr. Sie waren nichts weiter als lebendige Puppen. Er beschützte die Menschen sogar, in dem er Hostus vernichtete. Er machte das nicht, weil er Spaß dabei hatte. Es war seine Aufgabe. Gut hin und wieder brauchte er das um dicke Luft raus zu lassen. Die Vernichtung der Hostus war ein gutes Ventil für ihn. Er regt sich dabei ab. „Ich werde Sie nicht anfassen. Ich bleibe auf meiner Seite und Sie auf Ihrer“, sagte Liam schließlich in einem ruhigen Ton. Sie wollte doch selber nicht, hier draußen rumstehen. Er hatte einen Wagen und die Beifahrertür stand für sie offen. Sein Wagen konnte ihr sogar mit einer Sitzheizung dienen, wenn Sie so etwas wollte. Dann sah er, wie sie seufzte und schließlich in den Wagen stieg und die Beifahrertür zuzog. Liam musste Lächeln. Versuchte dieses aber sofort wieder zu unterbinden. Wenn Leila sah, dass er lächelte, würde sie sofort wieder aussteigen. Das hier war irgendwie wie ein kleiner Sieg. Ein Sieg gegen ihren Stolz und ebenso ihrer Vernunft. Er wartete mit dem losfahren, bis sie sich angeschnallt hatte. Sicherheit musste schon sein. Und wenn er seinem Bruder Menas glaubte, hatte er einen ziemlich schnellen Fahrstil drauf. Deswegen war es nur gut so, dass Leila sich anschnallte, auch wenn er vor hatte ruhig und anständig zu fahren. „Den Weg zu meiner Wohnung kennen Sie ja“, meinte Leila und zog sich ihre Handtasche vor die Brust, als müsse sie diese festhalten. Nein, es wirkte eher so, als nutzte sie ihre Handtasche als Schutz vor Liam. Liam musste innerlich lachen. Wie sollte ihn denn diese Handtasche von irgendetwas abhalten? Allerdings fand er ihren Kommentar gar nicht mal so witzig. Sarkasmus also. Natürlich nahm sie es ihm krumm, dass er bei ihr eingebrochen war. Gut, nach seiner Definition war das gar kein Einbruch gewesen. Aber Leila sah das anscheinend anders. Was Liam auch nachvollziehen konnte. Er würde es auch nicht hinreißend finden, wenn er nach Hause kam und plötzlich jemand in seiner Wohnung saß. Ob nun eingebrochen oder durch die offene Balkontür. Da war nun mal eine unerwünschte, vor allem fremde Person im Haus. Liam erwiderte nichts auf diesen Kommentar, sondern fuhr einfach los. Jeder Kommentar war an dieser Stelle eh unangebracht. Er starrte auf die Straße und versuchte nicht zur Seite zu schauen. Aus dem Augenwinkel konnte er aber immer wieder feststellen, dass Leila sich nicht einen Zentimeter bewegte. Nicht mal einen Millimeter. Sie saß die ganze Zeit genauso verkrampft da, wie in dem Moment als sie in seinen Wagen gestiegen war. Er seufzte, zwang sich aber zu diesem Thema nichts zu sagen. „Sie können sich das Radio anmachen, wenn Sie möchten.“ „Kein Bedarf“, sagte sie knapp. „Gut. Ist Ihnen kalt? Soll ich die Heizung höher stellen?“ „Nein.“ „Ich habe auch eine Sitzheizung.“ Er wollte gerade den Schalter am Armaturenbrett betätigen. Für ihn wäre das echt kein Problem. „Nein. Kein Bedarf.“ Liam zog die Augenbraue in die Höhe, schüttelte nur leicht mit dem Kopf. Sie wirkte verspannt und er konnte sie sich auch ehrlich gesagt gar nicht gelassen und locker vorstellen. Was Leila natürlich sofort sah, denn sie sah ihn musternd an. „Warum schütteln Sie so abschätzend mit dem Kopf?“ „Ich frage mich nur, ob Sie immer so sind.“ „Wie bin ich denn?“ Er konnte aus ihrer Stimme sehr wohl hören, dass sie schon wieder leicht gereizt war. Dennoch wollte er jetzt mit seinen Worten nicht vorsichtiger sein. Er legte seine Worte für sie bestimmt nicht in Watte. Das hatte er noch nie bei irgendjemand getan. Jetzt würde er für diese Frau auch garantiert keine Ausnahme machen. „Impulsiv. Bissig.“ „Oh, es tut mir Leid, dass ich dem Mann, der in meine Wohnung eingebrochen ist und der auf einem Foto eine verdammt scharfe Waffe hält, keinen roten Teppich ausrolle. Soll ich Ihnen vielleicht den Rücken massieren? Oder einen Kaffee kochen? Wie hätten Sie es denn gerne?“ Liams Mundwinkel zuckten nach oben. Genau das hatte er mit bissig gemeint. Sie war es eindeutig. Und sie war nicht auf den Mund gefallen. Zurückhaltend war echt was anderes. Aber sie war verbal sehr stark und gab sich auch so sehr selbstbewusst. Er fragte sich nur, ob das ein Schutz war oder ob sie wirklich so war. Er sah zu Leila und beobachtete wie sie ihren strammen Zopf löste. Ihr blondes Haar fiel ihr wellig auf die Schulter und umrahmte ihr Gesicht. Sie hatte sehr schönes Haar und er war immer noch der Meinung, dass es ihr offen besser stand. Sie hatte ein schönes Gesicht, sanfte Gesichtszüge. Und doch sah er in ihren Augen Stärke und Mut. Was er aber auch in ihren blauen Augen sah, war eine tiefe Traurigkeit. Die sie nicht oft aufhellen ließ. Aber sie war da. Das sagte ihm auch sein vampirischer Instinkt. Er nutzte diese Art von Fähigkeit eigentlich nur selten und vor allem verließ er sich nicht auf sie, da sie nicht klar war. Er konnte sich darauf nicht wirklich festlegen. Da waren das Lesen der Gedanken und die mentalen Befehle, die er austeilen konnte, wesentlich effektiver. Liam sah in Zeitlupe noch mal vor sich, wie sie den Zopf löste und das Haar sich auf ihren Schultern ausbreitete. Er hatte das Verlangen, eine Strähne in seine Hand zu nehmen und es zu berühren. Er wollte wissen, ob es so weich war, wie es aussah. Er wollte an ihrem Haar riechen. Es würde bestimmt nach Erdbeere riechen. Denn ihr Badezimmer hatte danach gerochen. Sein Daumen würde über ihre sanften Gesichtszügen fahren, entlang der Wangenknochen zu ihrem Kinn hinunter und er würde an den Lippen, die so weich… „Schauen Sie verdammt noch mal auf die Straße!“, schrie Leila ihn an und holte Liam so aus seinen kleinen Tagtraum. Er sah sie noch eine Sekunde verdutzt an, bevor er wieder auf die Straße sah. Was war denn das bitte für ein banaler Gedanke gewesen? Hatte er sich gerade wirklich vorgestellt gehabt, wie sich ihr Haar wohl anfühlen würde? Wollte er wirklich wissen, wie ihr Haar roch? Das hier war eindeutig keine gute Situation für ihn. Der Geruch der sie umgab, war in seinem Auto nun viel deutlicher wahrzunehmen, als noch draußen. Da hatte er ihn kaum in der Nase gehabt. Doch hier kitzelte dieser Geruch ihn regelrecht. Es war vollkommen zum verrückt werden. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Warum wollte er sie unbedingt nach Hause bringen. Der angenehme Geruch von Vanille und Erdbeere strömte durch seine Nase und benebelte einfach alles in ihm. Dieser Duft brachte seine Hirnfunktion durcheinander und er versuchte sich wirklich auf diese Straße zu konzentrieren. Himmel, fluchte er innerlich und seine Hände verkrampften sich am Lenkrad. Warum musste diese Frau so gut riechen? „Erzählen Sie mir etwas“, bat sie ihn schließlich. Liam sah sie überrascht an und fragte sich, warum sie wollte, dass er mit ihr sprach. Sonst schien sie auch nicht unbedingt mit ihm reden zu wollen. Allerdings würde das vielleicht die Situation hier drinnen ändern. Er fand plötzlich dass es verdammt eng in seinem Wagen war. Sonst hatte er noch nie dieses Engegefühl in seinem Wagen empfunden. Er hatte eigentlich immer geglaubt, dass sein Wagen sehr groß war. Normalerweise saß er aber auch immer alleine in seinen Wagen. Wenn er jetzt so darüber nachdachte, hatte er noch nie eine Frau auf seinem Beifahrersitz gehabt. Die Frauen mit denen er sonst immer verkehrte, waren nur kurze Bekanntschaften. Äußerst kurze. Meistens handelte es sich dabei nur um ein paar Stunden. Und oft nicht mal so lange. Warum auch? Das einzige was er sich von Frauen holte, war eine kleine Kostprobe ihres Blutes. Nur ein paar Schlucke. Eigentlich hatten er und seines Gleichen sich an Blutbanken gewöhnt. Sie waren Stammkunden bei Blutbanken. Aber sie sorgten auch dafür, dass diese Blutbanken immer genug Geld bekamen. Sie spendeten Geld. Es war besser für ihr Geheimnis, ein großes Geheimnis. Keiner sollte von ihrer Existenz erfahren. Und dafür musste eben gesorgt werden, dass für die tägliche Blutration keine Menschen mehr her halten musste. Allerdings mochte er das kalte Blut aus den Beuteln nicht besonders. Und hin und wieder musste er sich eben mal einen kleinen Biss gönnen. Es war eben nicht so einfach alte Gewohnheiten los zu werden. Die Menschen kamen ja auch nicht von Schokolade weg, warum sollte er dann vom warmen Blut loskommen? „Ich bin nicht gut im Small Talk.“ Leila sah ihn an und lächelte. Er blickte nur kurz zu ihr rüber und sah es. Sie hatte wirklich ein sehr schönes Lächeln. „Habe ich auch nicht erwartet.“ Doch sie wirkte nicht böse oder beleidigt. Eher amüsiert. „Darf ich Sie was fragen?“ „Natürlich.“ Bei der Antwort hatte er noch mal zu ihr geschaut und gesehen, wie sie sich eine ihrer blonden Strähnen hinters Ohr strich. Seine Hand wollte sich gerade selbstständig machen und diesem Streicheln folgen. Er wollte ihre Haarsträhne hinters Ohr streichen. Was verrückt war. Er kannte diese Frau nicht. Er hatte sie erst vor zwei Wochen kennen gelernt. Und das war schon eindeutig übertrieben. Sie mochte ihn nicht und dennoch saß sie nun in seinem Wagen und er fuhr sie nach Hause. Er wusste ja wo sie wohnte, da er schon mal bei ihr eingebrochen war. Was sie auch musste. Aber dennoch wollte sie sich mit ihm unterhalten. Was er schön fand. „Sie müssen die Frage nicht…“ „Fragen Sie einfach“, unterbrach er sie. „Sie werden schon sehen, ob ich Ihnen antworten werde.“ Leila nickte. Es war komisch mit ihm hier in seinem Wagen zu sitzen. Und sie hasste es, wenn nichts gesagt wurde und eine unangenehme Stimmung entstand. Sie gehörte nun mal zu den Menschen, die eigentlich immer reden mussten. Und deswegen hasste sie das. Gut, eigentlich hatte sie nicht vorgehabt sich mit Liam zu unterhalten. Aber irgendetwas musste sie tun. Es waren noch ein paar Minuten bis Liam sie zu Hause abgesetzt hatte. „Gehören Sie zu den Guten?“ „Wie?“, fragte er überrascht und sah wieder kurz zu ihr herüber. „Dieses Foto“, fing sie an. „Ich meine das, wo ich Sie… gehören Sie zu den Guten? Ich muss das einfach wissen.“ Sie beobachtete, wie Liam starr nach vorne starrte, auf die Fahrbahn starrte und zu überlegen schien, was er ihr antworten sollte. Sie wollte wirklich wissen, was er ihr antworten würde. Natürlich hätte er sofort „Ja“ sagen können. Aber dann wäre das zu schnell herüber gekommen und sie hätte ihm nicht geglaubt. Vermutlich ahnte er das. Oder er schien darüber einfach nach zu denken. Vielleicht war die Frage nicht so einfach zu beantworten. „Leila ich…“ „Ja oder Nein?“, setzte sie nach. Sie musste einfach wissen, dass er zu den Guten gehörte. Natürlich würden die Bösen nie zu geben, dass sie böse waren. Aber sie würde schon wissen ob er ihr die Wahrheit sagte oder nicht. Und sie wollte diese Antwort einfach von ihm wissen. „Gut…“ Er fuhr sich mit der rechten Hand durchs Haar und legte sie wieder ans Lenkrad, bevor er ihr antworte. „Es ist nicht einfach zu erklären, was ich mache. Aber ich mache es für eine gute Sache. Ich beschütze damit Menschen. Also gehöre ich zu den Guten, oder?“ Er sah sie fragend an, weil er sich seiner Antwort nicht so sicher zu sein schien. Leila biss sich auf die Lippen und lächelte etwas. „Ich denke, wenn Sie Menschen beschützen, dann gehören Sie zu den Guten.“ Es war eine Erleichterung als sie das sagte. Es fühlte sich irgendwie gut an. Er hatte auch nicht ausgesehen, wie einer von den Bösen. Gut, sie wusste auch nicht wie die Bösen aussahen. Vielleicht wie bei James Bond oder so. Das aber, waren auch nur wieder Erfahrungen aus dem Fernsehen. Wobei sie auch ziemlich glücklich darüber war, dass sie nicht wusste, wie die Bösen aussahen. Und ihr war klar, dass diese nicht mit einem Schild um dem Hals rum liefen, auf dem stand, `Ich gehöre zu den Bösen´. Ja, er gehörte zu den Guten. Er war nicht in ihre Wohnung eingebrochen, um bei ihr etwas zu stehlen oder sie zu überfallen. Er wollte nur die Fotos haben, auf denen er drauf war. Vermutlich war seine Arbeit geheim. Genau, er war ein Geheimagent und gehörte zu den Guten. Und da er ein Geheimagent war, durfte er nicht entdeckt werden. Aber brachten Geheimagenten Menschen um? Oder wen er auch immer da mit dem Säbel gemacht. Sie hatte inzwischen aufgehört, diese Tatsache zu leugnen. Die letzten zwei Wochen hatte sie sich oft genug Gedanken über Liam und über diese Sache mit dem Säbel gebracht. Auch wenn sie es gar nicht gewollt hatte, gerieten ihre Gedanken immer wieder zu ihm. Sobald sie an Fotos oder an ihre Kamera dachte, musste sie an dieses eine Foto von ihm denken, wo seine Augen so sehr im Mondlicht leuchteten. „Was machen Sie beruflich?“ Liam sah sie wieder etwas überrascht an. Anscheinend wollte sich Leila wirklich mit ihm unterhalten. Weil sie ihn kennen lernen wollte oder warum auch immer. Vielleicht auch nur, weil sie die Stille nicht ertrug. Ihre Wohnung war so lebensfroh gewesen, dass er sich das wirklich vorstellen konnte. „Sie meinen außer nachts mit einem Säbel rum rennen?“ Er glaubte ein kleines Lächeln um ihre Mundwinkel zu erkennen, als sie seine Antwort hörte und darauf sagte: „Ja. Wenn das nicht ihr Beruf ist.“ „Ich weiß nicht ob man das meinen Beruf nennen kann. Es ist eben meine Aufgabe.“ Er sah, dass Leila nickte und musste lächeln. Das hier war ein ganz normales Gespräch. Und er hielt normalerweise nie solche Gespräche. Er war jemand, bei dem es eigentlich immer direkt zur Sache gehen sollte. Ohne lange drum herum schweifen. „Und wie verdienen Sie ihr Geld?“ Liam musste schmunzeln. Er konnte ihr ja wohl kaum sagen, dass er stinkreich war. Und das nur, weil er schon 453 Jahre alt war. Man hatte schon früh gelernt, in was man sein Geld anlegen musste, damit es sich vermehrte. Und es vermehrte sich, ohne dass er etwas dafür tat. Allerdings musste er Leila irgendetwas sagen. „Ich arbeite in einem Familienunternehmen.“ „Das ihrer eigenen Familie?“, hakte sie nach. Liam nickte. „Ganz genau.“ Er merkte, dass er langsamer fuhr. Er wollte die Fahrt in die Länge hinaus zögern. Natürlich musste er sie irgendwann zu Hause absetzen, aber dazu hatte er doch immer noch genügend Zeit. Noxus Investigation war eine große Firma und in der nicht nur sein Bruder und er selber tätig waren. Sie beschäftigten auch Menschen. Hatten einen Betriebsrat und gaben Löhne nach dem Tarifvertrag. Wie es sich eben für eine Firma in der heutigen Gesellschaft gehörte. Ganz so altbacken waren sie dann doch nicht. Auch wenn keiner wusste, wie alt die Inhaber der Firma wirklich waren. Die meisten dachten, sie würde schon in der vierten Generation geführt. Dabei stimmte genau dieses Detail nicht so wirklich. Aber warum sollte man diese Lüge aufklären. Es war doch für alle Beteiligten so am besten. „Und was machen Sie da?“ „Ähm…“, ja was machte er da eigentlich genau? Das war wirklich eine gute Frage. „Ich bin für die internationale Vermarktung zuständig.“ „Dann verreisen Sie also viel?“, fragte Leila ihn. „Nein, nicht wirklich“, gab er kurz von sich. Wollte sie vielleicht noch einen Lebenslauf von ihm haben? Das würde ein wenig schwer werden, wenn sie nämlich sein Geburtsdatum sah. „Oh, verstehe.“ Ihre Stimme klang nun enttäuschter und er fragte sich, warum gerade sie enttäuscht klang? Weil er keine Reisen machte? Und wieder schwiegen beide. Leila wusste nicht mehr was sie ihm sagen sollte und auch Liam wusste nicht, wie er ein Gespräch mit der Frau anfangen sollte. Das hier war irgendwie alles Neuland für ihn. Er führte kein Smalltalk. Er war generell nicht gerade wortgewandt. Bisher hatte ihn das noch nie gestört. Nur in dieser Situation jetzt. Sein Griff ums Lenkrad wurde etwas fester und die Knöchel traten weiß hervor. Er wollte ja locker in ihrer Gegenwart wirken, aber das war gar nicht so leicht. Es war einfach alles an ihr, was ihn verrückt machte, ohne dass er sich dessen wirklich bewusst war. Er versuchte ihre Gedanken zu lesen, versuchte in ihren Geist einzudringen. Aber es ging einfach nicht. Entweder sie hatte eine starke Kontrolle über ihre Gedanken oder er konnte einfach nicht ihre Gedanken lesen. Darüber wollte er noch mit seiner Mutter oder mit Menas reden. Vermutlich hatten die beiden schon mal von solchen Vorfällen gehört. Er lebte bisher ja immer nur für seine Arbeit als Jäger und kam nicht wirklich viel unter viele Leute. Natürlich gab es auch unter seinesgleichen Familienfeste, vor denen man sich nicht drücken konnte. Aber sie feierten nicht mehr jeden Geburtstag. Sondern nur noch jeden Fünfzigsten. Es störte ihn, dass er ihre Gedanken nicht lesen konnte. Er wollte wissen, wie Leila Sullivan wirklich tickte. Was hinter ihrer Fassade steckte. Und genau das schien ihm verborgen zu bleiben. „Leila, ich…“, fing er an, wurde aber sofort von ihren Worten unterbrochen. „Sie haben so einen Akzent… woher kommen Sie?“ „Wie?“, fragte er überrascht. Leila sah ihn an und musste lächeln. Er wirkte von ihren Fragen immer etwas überrascht. Das kannte sie inzwischen schon. Für viele war sie zu direkt. Sie sprach einfach geradewegs heraus, was sie dachte. So war sie schon immer gewesen. „Sie haben einen interessanten Akzent in der Stimme. Auch wenn Sie versuchen, denn nicht so offensichtlich wirken zu lassen, hör ich ihn heraus. Wo haben Sie früher mal gelebt?“ Liam sah sie fragend an. Er hatte wirklich geglaubt, in den hundert Jahren seit er in diesem Land lebte, hätte sich sein Akzent von ihm verabschiedet gehabt. Gut, er hörte sich selber nicht oft reden, dennoch hatte er geglaubt, dass man es nicht mehr hören würde, dass er kein Einheimischer war. Es lag vermutlich einfach daran, dass er mit dieser Frau mehr als nur ein `Guten Tag´ gewechselt hatte. „Ich habe mal eine Zeitlang in London gelebt.“ „England also.“ Sie schien zu überlegen, ob das zu seinem Akzent passte. „Und warum sind Sie dann in eine Kleinstadt gezogen? London ist schließlich ziemlich groß. Und diese Stadt hier ist sehr viel kleiner.“ „Es muss wohl der Kleinstadt-Charme gewesen sein“, gestand er ihr und war schließlich an ihrer Haustür angekommen. Er hatte sie wirklich nach Hause gefahren. Nicht, dass er an seinem Vorhaben gezweifelt hätte – doch eigentlich hatte er das. Sicherlich hatte er ihr gesagt, dass er sie sicher nach Hause bringen würde. Aber hin und wieder hatte er mit seinen eigenen Gedanken gekämpft, die ihn eher dazu überreden wollen, sie doch mit zu sich zu nehmen. „Da wären wir“, meinte er schließlich. Leila schaute aus dem Fenster zu ihrer Wohnung und nickte. „Ja, da wären wir wohl.“ Sie schnallte sich ab und sah Liam dankend an. Er hatte den Motor ausgeschaltet, wie es sich seiner Meinung nach gehörte. „Ich danke Ihnen noch mal. Es war bestimmt ein Zufall, dass Sie mich da auf der einsamen Straße gefunden haben und sie haben mir wirklich geholfen. Danke sehr. Das war sehr freundlich.“ „Sie müssen mir nicht danken.“ „Okay, ich sollte dann…“ Ihre Hand fuhr schon zu ihrem Griff, als Liam nach ihrer anderen Hand packte und sie festhielt. Er wusste selber nicht recht, warum er das nun tat. Und vor allem, was er ihr nun sagen sollte, denn sie sah ihn vollkommen überrascht an. Ihr Blick wanderte von seiner Hand zu ihm und blickte in seine Augen. „Leila… ich… Sie“, er geriet ins Stottern, weil er eigentlich gar nicht wusste, was er ihr sagen sollte. Sollte er sich bei ihr entschuldigen, dass er bei ihr eingebrochen war? Sollte er ihr vielleicht sagen, dass er ihre Telefonate abhören ließ und nur deswegen wusste, wo sie war. Er wusste es nicht. Er wusste gar nicht was er ihr sagen sollte. Seine Augen wanderten von ihren blauen Augen zu ihren Lippen und er überlegte sich, wie er es wohl wäre, sie zu küssen. Würden sie genauso sanft sein, wie sie aussahen? Schließlich zog er seine Hand zurück und griff in die Innentasche seiner Jacke um seine Karte heraus zu holen. Das war das einzige was ihm eingefallen war. „Hier steht meine Nummer drauf.“ „Warum…“ „Ich möchte, dass Sie mich anrufen, wenn Irgendetwas sein sollte. Wenn sie Hilfe brauchen oder sonst irgendetwas ist. Sie können mich immer anrufen, Leila.“ Sie sah ihn überrascht und verunsichert an, nahm die Visitenkarte von ihm aber entgegen und öffnete dann die Beifahrertür. „Gute Nacht noch“, sagte sie und schlug die Tür des Wagens zu. Kapitel 5: Kapitel 5 -------------------- Liam beobachtete wie sie zur Haustür ging, in ihrer Tasche nach dem Schlüssel suchte und dann in ihrem Hausflur verschwand. Er hätte sie aufhalten können. Ihren Namen rufen können, aber er tat nichts dergleichen. Weil er wusste, dass er dazu kein Recht hatte. Heute Abend hatte er nur wieder gut gemacht, dass er bei ihr eingebrochen war. Nein, eigentlich hatte er sie sehen wollen. Und er hatte sicher gehen wollen, dass nicht irgendein Penner anhielt und sonst irgendetwas mit ihr anstellte. Er konnte nicht zu lassen, dass sie da draußen alleine am Straßenrand stand. Auch wenn er wusste, dass diese Straße nicht gut befahren war, wollte er sie nicht da alleine lassen. Sie hatte sich nicht noch mal umgedreht, doch Liam hatte sie die ganze Zeit beobachtete. Er hätte es toll gefunden, wenn sie sich noch mal umgedreht hätte, ihm vielleicht gewunken hätte. Aber das war wohl zu viel des guten, die Frau kannte ihn ja kaum. Für seinen Geschmack sah sie echt toll aus. Ja, sie war wirklich sein Geschmack. Er stand auf blonde Frauen, die intelligent waren. Und das war sie eindeutig. Er wartete auch noch einen Moment, bis das Licht im Flur wieder ausgeschaltet wurde und Leila ihre Wohnung betrat. Er sah aus seinem Wagen heraus, zu ihrer Wohnung hoch, musste sich dazu etwas in seinem eigenen Wagen verbiegen. Leila würde sich nun ihre Schuhe und ihren Mantel ausziehen. Sie hatte Stiefel angehabt, die knapp bis unter die Knie gereicht hatten. Ihr Rock hatte kurz über ihren Stiefeln aufgehört und er hatte gesehen, dass sie eine schicke Strumpfhose getragen hatte. Sie hatte wirklich sehr elegant ausgesehen. Auch wenn er der Meinung war, dass ihr der stramme Zopf nicht stand. Er fand es schöner, wenn ihr blondes Haar ihr locker ums Gesicht lag, so wie bei ihrer ersten Begegnung. Da hatte sie wunderschön ausgesehen. Das Licht in ihrem Wohnzimmer war nun an und er konnte sich vorstellen, wie sie vielleicht ihren Kater in die Arme nahm und ihn an sich drückte. Er hatte die Frau inzwischen etwas kennen gelernt. So gut er das aus ihren Telefonaten und ihren E-Mails eben sagen konnte. Natürlich kannte er sie nicht wirklich, aber irgendwie war er ihr näher gekommen. Und wenn sie sich am Telefon mal nicht so aufregte, wie vorhin, dann hatte sie eine richtig schöne Stimme, die er gerne gehört hatte. Ja, er hatte sich manche Telefonate von ihr mehrmals angehört gehabt, nur um ihre Stimme zu hören. Er wusste selber, dass er sich verrückt benahm, aber in ihm war einfach das Verlangen, dass er diese Frau näher kennen zu lernen. Es war der Ausdruck in ihren Augen, der ihn so fesselte. Er sah darin so viel Stärke und Mut und dennoch lag auch ein Schatten darüber. Als hätte sie diese Stärke haben müssen, um etwas Schlimmes zu überstehen. Er wurde das Gefühl nicht los, dass das Leben nicht immer freundlich zu ihr gewesen war und dass ihre bissige Art eine Art Schutz dar stellte. Sie wollte niemanden nahe an sich heran lassen. Und genau deswegen wollte er sie kennen lernen. Auch wenn sie nach außen hin immer so stark tat, ahnte Liam, dass sie sehr sensibel war. Er hatte sich auch irgendwie daran gewöhnt, ihre Gedanken nicht lesen zu können. So einfach war das nämlich gar nicht, aber irgendwie war das auch viel interessanter. So wusste er eben nicht gleich was sie dachte. Er musste raten und auf ihre Antwort warten, falls sie ihm antwortete. Es war verrückt. Normalerweise war es ihm immer wichtig gewesen, all seine Fähigkeiten einsetzen zu können, doch bei Leila war es irgendwie anders. Sie war anders. Liam musste lächeln, als er den Motor wieder starten wollte. Er hielt in der Bewegung allerdings inne, als sein Handy in seiner Jackentasche anfing zu vibrieren. Es hatte vorhin schon mal vibriert und einen Anruf angekündigt, aber er war nicht ran gegangen. Er wollte mit niemand telefonieren, als er in der Nähe von Leila war. Nicht weil er dann vielleicht irgendetwas gesagt hätte, dass er ihr dann hätte erklären müssen, nein, einfach deswegen, weil er ihre Nähe genießen wollte. „Ja“, meinte er nur, ohne zu sehen, wer ihn anrief. Er starrte wieder zur Wohnung hoch und das Licht in der Küche wurde nun angeschaltet. „Liam, verdammt warum gehst du nicht an dein Telefon?“ Es war sein Bruder Menas und anscheinend war dieser mal wieder etwas geladen. Warum musste Menas seine schlechte Laune immer an ihm auslassen? Vermutlich weil die anderen Noxus-Geschwister nicht ans Telefon gegangen waren, als sie sahen, wer anrief. „Ich bin doch jetzt dran, oder?“ „Ja, danke für die Information. Wo steckst du?“ „Wo soll ich denn stecken?“ „Anscheinend bist du nicht zu Hause.“ Liam seufzte und nickte. „Ja, das bin ich wohl nicht. Ich wüsste auch nicht, warum ich mich bei dir abmelden müsste.“ „Was soll denn das nun bitte?“ Liam seufzte. Er hatte jetzt nun gerade echt keine Lust auf dieses Telefonat, was mit Sicherheit noch anstrengender werden würde. „Wie kann ich dir helfen, Menas?“, fragte er schließlich in einem ruhigen Ton. Er wollte sich nicht aufregen und wollte auch nicht, das Menas einen Grund hatte sich weiter aufzuregen. Das würde nur böse enden. „Wir stehen vor deiner Haustür.“ Liam stockte kurz und musste schlucken. „Moment. Was meinst du mit wir und wo bist du?“ „Liam“, sein Bruder knirschte mit den Zähnen. „Mutter, unsere Mutter, du erinnerst dich doch an deine Mutter? Die Frau die dich…“ „Ja, natürlich“, Liam seufzte. Sein Bruder musste mal wieder maßlos übertreiben. Gut, er hatte sich in den letzten Wochen nicht gerade regelmäßig bei ihrer Mutter gemeldet. Eher noch weniger als dürftig. Aber er war ja wohl auch alt genug. Gut, Menas war älter als er. Gut, 125 Jahre. Aber das gab ihm noch lange nicht das Recht, sich so aufzuspielen. Aber Menas hatte schon immer den großen Bruder raushängen lassen. Etwas was Liam auf den Tod nicht leiden konnte. „Gut, unsere Mutter und ich stehen vor deiner Haustür.“ Irgendwie hatte er wieder das Gefühl, dass es verdammt eng in seinem Wagen war. Diesmal war es aber keine angenehme Enge, die von der Person kam, die bis eben noch neben ihm gesessen hatte. Liam fasste sich an die Nasenwurzel und massierte diese etwas. Er sollte sich jetzt wirklich nicht aufregen. Er musste ruhig bleiben und vor allem freundlich. Menas würde sofort an die Decke springen, wenn Liam irgendetwas Falsches sagen würde. Aber was er jetzt am allerwenigsten brauchte, war der Besuch von seinem Bruder und seiner Mutter. „Also bist du auf den Weg hier her?“ „Natürlich. Geht durch die Garagentür ins Haus.“ „Gut, bis gleich.“ Liam setzte ein nicht ernst gemeintes Lächeln auf, klappte das Handy zu, steckte es wieder ein und startete den Motor. Er sah nicht noch mal in die Wohnung von Leila hoch. Das war jetzt gerade nicht mehr so wichtig. Wichtiger war, dass seine Mutter und sein Bruder vor seinem Haus waren und auf ihn warteten. Warum um Himmelswillen besuchten die Beiden ihn? Gut, er hatte letzte Woche den Geburtstag von ihrem Cousin Axras geschwänzt. Aber für ihn das war nicht so wichtig. Er war eh mit den Gedanken bei Leila gewesen, da wollte er sich nicht mit seiner Familie auseinander setzten und eine fröhliche Miene machen. Das konnte er gar nicht. Leila Sullivan war in ihre Wohnung gegangen, ohne sich dessen wirklich bewusst gewesen zu sein. Sie war einfach die Stufen nach oben gegangen und hatte ganz selbstverständlich mit ihrem Schlüssel die Tür aufgeschlossen. Eine Wärme war ihr entgegen gekommen, die sie auch jetzt noch einlullte. Sie saß auf ihrem Lieblingssessel in ihrem Büro und starrte die Visitenkarte von Liam an. Tuxedo hatte es sich auf ihren Schoss bequem gemacht, nachdem sie ihm was zu Essen gegeben hatte und er alles regelrecht ausgehungert aufgegessen hatte. Ihr Kater übertrieb immer maßlos wen es um Essen ging. Aber so war er nun mal. Sie streichelte mit der einen Hand über das weiche Fell des Katers und hielt in der anderen Hand die Visitenkarte. Sie schaute sie sich einfach nur an und wusste nicht so Recht, was sie damit anfangen sollte. Sie fand es immer sehr komisch, wenn jemand ihr seine Visitenkarte zustecke. Normalerweise bekam sie die auf irgendwelchen Geschäftsmeetings und meistens landeten sie auch direkt im nächsten Mülleimer. Aber diese hier wollte sie nicht wegwerfen. Sie fuhr mit der Fingerspitze über die Einprägung. Noxus Investigation Liam Noxus Normalerweise stand doch außer dem Namen noch welche Stellung man hatte. Aber auf dieser Karte nicht. Da war der Firmenname, das Firmenlogo, sein Name und zwei Nummern: eine Festnetznummer und eine Handynummer. Den Namen der Firma hatte sie noch nie gehört. Sie konnte auch durch den Namen nicht sagen um was es sich bei der Firma handelte. Da waren Firmennamen wie „Pommes Heinze“ zu raten, um was es ging. Wobei man dann ja auch nicht mehr raten musste. „Noxus Investigation“, sie ließ den Firmennamen auf ihrer Zunge zergehen und er hörte sich sehr interessant an. Allerdings konnte sie sich unter diesem Namen einfach nichts vorstellen. Dabei hatte sie ein ziemlich gutes Vorstellungsvermögen. Das hatte sie zumindest bisher immer geglaubt. Es hörte sich nicht nach einem Gemüsehersteller oder Lieferant an. Ebenso wenig wie nach einem Pharmaunternehmen. Sie konnte sich Liam auch nicht als Bauer oder Bankkaufmann vorstellen. Nein, ein Blaumann und Gummistiefel würden ihm garantiert nicht stehen. Leila rutschte mit dem Sessel näher an ihren Schreibtisch und klappte ihren Laptop hoch. Vielleicht würde sie im Internet etwas über diese Firma finden. Für was gab es denn Suchmaschinen. Ihr Kater blieb, ohne sich zu rühren, auf ihren Schoss liegen. Der brauchte wohl eine Schmuseeinheit, da sie ihn den ganzen Tag alleine gelassen hatte. Armes Tier. Sie öffnete den Internetexplorer und sah sich die Visitenkarte noch mal an, bevor sie den Firmenname googelte. „Sehr viele Treffer gibt es nicht“, was sie wirklich überraschte. Inzwischen gab es doch zu jedem Thema bestimmt schon tausende Treffer, weil jeder in irgendein Forum seinen Senf zu einer Sache geben musste. Sie klickte ein paar Treffer an und wusste inzwischen, dass es sich bei Noxus Investigation um eine Firma handelte, die stille Teilhaberschaften betreute oder hatte. Dazu öffnete Leila ein neues Fenster ihres Internets Explorers und ließ den Begriff „Stiller Teilhaber“ googeln. Sie hätte auch ihre Lexikonreihe in die Hand nehmen können. Aber dann hätte sie aufstehen müssen und zu ihrem Regal gehen müssen. Was Tuxedo nicht gemocht hätte. Und außerdem war sie eh zu faul dazu. Warum aufstehen, wenn man auch das Internet hatte? Eine wirklich tolle Erfindung der Menschheit. Allerdings auch eine, bei der die Menschen mit ihrem Gewicht zu kämpfen hatten. Wenn es das Internet nicht gäbe, würden die Leute ja aufstehen und zu ihren Lexika gehen. „Stille Teilhaber beteiligen sich an Unternehmen, treten nach außen jedoch nicht in Erscheinung. Man nennt dies dann auch stille Beteiligung. Die Beteiligung kann z.B. durch Geldeinlagen, aber auch durch Einlage von Gütern (Maschinen) erfolgen. Stille Teilhaber haben meist keinerlei Entscheidungsrecht im Unternehmen. Sie sind am Gewinn des Unternehmens beteiligt, in manchen Fällen auch am Verlust (unternehmerisches Risiko). Stille Teilhaber können in jeder Form von Unternehmen - unabhängig von der Rechtsform - existieren. Es gelten keine besonderen Formvorschriften für stille Teilhaber.“ Sie nahm sich noch mal die Visitenkarte in die Hand und überlegte, ob stille Teilhaber eben wie Liam aussahen. Mysteriös. Stark. Selbstbewusst. Vielleicht war Liam auch nur eine Ausnahme. Vielleicht. Also wusste sie nun schon mal, um was sich seine Firma kümmerte. Sie stellten also nichts her, sondern beteiligten sich an dem Gewinn von Firmen, nachdem sie etwas in diese Firma investiert hatten. So bekamen sie Geld, ohne wirklich arbeiten zu müssen. Entweder waren sie arbeitsfaul oder… Ein Oder fiel ihr nicht ein. Es war auch eindeutig schon zu spät um Recherchen über einen gewissen Liam Noxus zu führen. Liam hatte ihr versichert, dass er zu den Guten gehören würde. Und sie glaubte ihm das. Es lag an seiner Stimme, wie er es gesagt hatte. Ja, er hatte die Wahrheit gesagt. Seine Tat mit dem Säbel für etwas Gutes. Also gehörte er zu den Guten. Auch wenn sie deswegen keinen Mord gutheißen würde. Aber vielleicht hatte er sich verteidigen müssen. Gut, man schleppt deswegen aber immer noch keinen Säbel mit sich rum. Was fand der Typ auch nur an diesem Säbel? Hatte er schon mal was von vollautomatischen Waffen gehört? Die wären doch viel effektiver. Vielleicht auch nicht ganz so blutig. Natürlich wollte sie jetzt nicht sagen, dass eine Kugel in der Brust besser wäre, als eine Leiche ohne Kopf. Doch. Wenn sie so darüber nachdachte war es doch besser. Nicht für die Person die die Kugel in der Brust oder ohne Kopf da saß. Aber für die Leute, die die Leiche finden würden. Genau er gehörte zu den Guten. Und sie glaubte ihm wirklich. Ohne lange darüber nachzudenken, griff sie nach ihrem Handy und tippte Liams Handynummer ein. Sie speicherte diese unter seinem Namen, vielleicht würde sie die Nummer irgendwann mal brauchen. Auch wenn sie sich so eine Situation gar nicht vorstellen konnte. Aber sicher ist sicher. Sie massierte sich mit der rechten Hand über die Stirn und hoffte nur, dass sich das Problem mit ihrem Auto bald wieder geklärt haben würde. Sie brauchte ihr Auto. Sie war darauf angewiesen. Tuxedo stand auf und sprang von ihrem Schoss. Anscheinend war sie ihm zu unruhig. Verwöhnter Kater, dachte sie sich, als sie den Computer ausschaltete und ins Bett ging. Kapitel 6: Kapitel 6 -------------------- Liam schluckte und überlegte ernsthaft ob er sein eigenes Haus betreten sollte. Natürlich war es sein Haus und er konnte dort ein und aus gehen, wie es ihm passte, aber in diesem Moment gehörte es gar nicht mehr so richtig ihm. Denn seine Mutter und sein älterer Bruder waren da. Eine Tatsache, die ihn wirklich überlegen ließ, ob er nun durch die Tür gehen sollte oder nicht. Er war sich sicher, dass sie ihn gehört hatten, als er in die Garage gefahren war. Aber noch ließen sie ihm anscheinend Zeit, selber zu entscheiden, wann er auf sie treffen wollte. Er riss sich zusammen und versuchte seine Gedanken wieder vor allen zu sperren. Das musste er wirklich. Seine Mutter und sein Bruder konnten genauso gut, wie er Gedanken lesen und den Geist beeinflussen. Aber sie hatten gelernt, ihren Geist gegenüber der anderen zu verschließen. Und genau das musste er jetzt auch machen, wenn er ihnen unter die Augen treten wollte. Er wollte nicht, dass sie seine Gedanken bezüglich Leila lesen konnten. Leila gehörte ihm, es waren seine Gedanken und die hatten keinen zu interessieren. Schon gar nicht seine Mutter und seinen Bruder. Liam seufzte schließlich und öffnete die Tür, welche die Garage mit dem Keller des Hauses verband. Er hörte die beiden im Wohnzimmer sitzen. Er spürte auch, dass sie den Kamin angezündet hatten, etwas, dass er selber gar nicht mehr machte. Für sich selber brauchte er nicht das Knacken des Feuers. Meistens lenkte es ihn eh nur ab. Wenn er im Wohnzimmer war, grübelte er meistens über Landkarten und Stadtpläne, welche Straßen er in der Nacht durchforsten wollte. Da war ihm das Geräusch des Feuers im Kamin wirklich nur lästig. Und für sich alleine brauchte er das Feuer eh nicht entfachen. Zu zweit wäre das natürlich etwas anderes. Mit Leila vielleicht, die es sich mit ihm vor dem Kamin gemütlich machte. Sie würden sich eine Kissenlandschaft zu Recht machen und dort einfach zusammen kuscheln. Er würde über ihr weiches Haar streicheln und ihre Haut küssen. Er verfluchte seinen Gedanken sofort. Er hatte doch nicht an Leila denken wollen. Was anscheinend schwieriger war, als gedacht. „Liam, bist du da?“, hörte er die Stimme seiner Mutter. Er nickte und ging die Treppe nach oben. Er kam doch sowieso nicht darum. Also konnte er auch direkt zu ihnen ins Wohnzimmer gehen, sich versuchen ein Lächeln aufzusetzen und hoffen, dass ihr Besuch nur von kurzer Dauer sein würde. Menas lebte selber auch in Deutschland. Allerdings war das für ihn nur einer vorübergehende Lösung. Liam sah sich allerdings vor, länger hier zu bleiben. Ihm gefiel es hier. Die Gegend und außerdem gab es hier genug Hostus, die er zu erledigen hatte. Natürlich hätte ihre Mutter ihre Kinder am liebsten alle bei sich in Kanada, aber dort hatte er lange genug gelebt. Und es gab dort so viele von ihnen, dass man zwangsläufig jede Nacht immer jemandem begegnete. Das wollte er nicht mehr. Liam wollte seine Ruhe und für sich sein. Er holte noch mal Luft, bevor er die Tür zum Wohnzimmer öffnete und hinein trat. „Liam, mein Schatz. Da bist du ja.“ Seine Mutter war sofort von der Couch aufgestanden, zu ihm geeilt und drückte ihn an sich. Auch wenn er wusste, dass ihr Aussehen sich nicht mehr groß verändern würde, war er doch überrascht, dass sie immer noch genauso aussah wie immer. Sie roch auch wie immer. Er hatte den Geruch schon als kleines Kind geliebt. Und damals gab es noch keine Parfüms aus kleinen Flaschen. Alles wurde in kostbarere Herstellung zubereitet. Und seine Mutter hatte schon immer den leichten Geruch von Rosen an sich gehabt. Als Kind hatte er immer gerne daran gerochen, wenn sie ihn in den Arm genommen hatte. Und dieser Geruch erinnerte Liam nun daran, dass er sich in den Armen seiner Mutter immer sehr wohl gefühlt hatte. Sie hatte ihre Kinder alle sehr herzlich geliebt, war für sie da gewesen und hatte sie getröstet, wenn etwas passiert war. Wie jede andere Mutter es genauso tat. Marissandra drückte ihren Jungen an sich, der schon seit vielen hundert Jahren ein Mann war. Aber für sie war er immer noch ihr kleiner Junge. Daran würde sich nichts ändern, egal wie alt Liam irgendwann sein würde. „Wie geht es dir, mein Junge?“, fragte sie ihn mit sanfter Stimme und lächelte, als sie ihm ins Gesicht sah. Er sah gut aus, das erkannte eine Mutter sofort. Oft hatte sie sich Sorgen um ihn gemacht, da er sich aus vielen Familienahngelegenheiten immer herausgehalten hatte. Er hatte vor Jahren entschieden in dieses Land zu ziehen, ohne genau zu wissen, was auf ihn zu kam. Natürlich hatte Liam schon lange nicht mehr bei ihr im Haus gelebt, er war schon früh selbstständig gewesen, aber nun langen Kontinente zwischen ihnen. Und das mit dem Fliegen war nicht immer so leicht. Natürlich war es besser und schneller als eine Kreuzfahrt zu machen. Auch angenehmer für die Nerven. Ständig von Menschen umgeben zu sein war nicht immer einfach. Man musste immer darauf achten, dass man nicht entdeckt wurde, wenn man sich vielleicht gerade mal wieder direkt an der Quelle ernährte. Es gibt nun mal noch nicht so lange Blutbanken. „Danke, mir geht’s gut“, er nahm ihre Hände und küsste ihren Handrücken und ging dann mit ihr zur Couch, wo Menas schon auf die beiden wartete. Menas war ebenfalls von der Couch aufgestanden und drückte seinen jüngeren Bruder an sich. „Hallo Liam.“ „Menas“, meinte Liam knapp und setzte sich neben seine Mutter. Er hatte eh keine andere Wahl, denn diese hielt ihn immer noch an der Hand und würde ihn so schnell auch nicht wieder los lassen. Er hätte sich wirklich öfters bei ihr melden sollen, kam es ihm in den Sinn. „Ja, das hättest du wirklich“, stimmte seine Mutter ihm zu und Liam seufzte, da sie es mal wieder geschafft hatte seine Gedankenblockade zu durchbrechen. Seine Mutter war einfach die Meisterin, wie er so gut sagte. Dazu musste man aber sagen, dass Liam auch etwas eingerostet war. Schließlich wusste er gar nicht mehr, wann er das letzte Mal einen seiner Verwandten gesehen hatte. Er hatte sich wirklich etwas zurückgezogen. Und hatte deswegen verlernt, wie wichtig es war, eine Gedankenblockade zu habe, wenn eben einer seiner Verwandten in der Nähe war. „Du hast es dir sehr schön eingerichtet“, meinte seine Mutter und sah sich im Wohnzimmer um. „Aber Liam, der Kamin wirkte so, als hättest du ihn ewig nicht angehabt.“ „Habe ich auch nicht.“ Marissandra sah ihren Sohn skeptisch an. „Warum denn das? Es war ganz schön kalt, als wir ins Haus kamen.“ „Ich mag es so“, sagte er nur knapp. Er wollte sich hier garantiert nicht rechtfertig. Das hier war sein Haus. Er mochte es sehr. Auch wenn er selber wusste, dass er hier nicht ewig wohnen bleiben konnte. Irgendwann würde die Stadt selber nachforschen, wer in diesem Haus lebte. Auch wenn es etwas abseits der Stadt war und er somit keine Nachbarn hatte. Was auch gut war. Was er wie nichts Weiteres hasste, waren zu neugierige Nachbarn, denen er dann irgendwelche Erklärungen bringen musste, warum all seine Fenster zu waren und er nur nachts das Haus verließ. Natürlich damit kein Licht rein kam. Es war nicht so, dass er und seinesgleichen im Sonnenlicht zu Staub zerfallen würden. Das war nur eine Lüge aus Filmen und Büchern. Aber er mochte es einfach nicht. Wie sollte er denn bitte tagsüber schlafen, wenn überall das Licht in sein Haus schien, wenn er doch für die nächtliche Patrouille fit sein sollte. Meistens war eh nur das obere Stockwerk abgedunkelt. Dort wo er schlief. Im oberen Stockwerk waren außerdem drei Gästezimmer, zwei Badezimmer und das kleine Büro das er für sich hatte einrichten lassen. Er hatte es aber eigentlich nur haben wollen, weil Menas auch eins hatte und dessen war mit der besten Hightech ausgestattet. Liam hatte ihm, wie es unter Brüdern üblich war, nachgeeifert. Inzwischen hatte er allerdings die Lust an den Gerätschaften verloren. „Liam, was macht die Arbeit?“, fragte Menas ihn. „Gut“, meinte Liam zu ihm. Liam sah auf seine Hand, die immer noch in der Hand seiner Mutter auf dessen Bein ruhte. „Und das kleine Problem?“, fragte Menas ihn. Und Liam wusste genau, was sein Bruder damit meinte. Es ging um Leila. Aber er wollte garantiert nicht darüber reden. „Wollt ihr mir nicht sagen, warum ihr hier seid?“ „Genau darum geht es doch, mein Lieber“, fing seine Mutter an. Liam sah fragend von seinem Bruder zu seiner Mutter und biss sich auf die Unterlippe, damit er nicht einen Kommentar los ließ, den er später sowieso bereuen würde. Menas hatte ihrer Mutter also gesagt, dass Liam auf eine gewisse Leila gestoßen war. Auch wenn er nicht wusste, was sein Bruder Marissandra erzählt hatte, regte es Liam schon wieder auf. Menas hatte nicht ein Wort über Leila zu sagen. Er kannte sie doch gar nicht. Woher nahm er sich also das Recht, etwas über sie zu sagen. „Beruhige dich, Liam“, sagte seine Mutter neben ihm sanft und tätschelte ihm die Hand. „Ich möchte nur mit dir über diese Sache reden. Mehr nicht.“ „Was gibt es denn da zu bereden?“ Er wusste gerade echt nicht, was hier vor sich ging. Was sollte dass denn. „Menas sagte, sie hieße Leila.“ Sofort strafte Liam seinen Bruder mit einem wütenden Blick. Doch dieser sah ihn gar nicht an, sondern ignorierte ihn gekonnt. Wie Liam dieses Verhalten hasste. Er hasste es, übersehen und übergangen zu werden. Allerdings mochte er es auch nicht, wenn sich irgendjemand in seine Angelegenheiten einmischte. „Möchtest du mir von ihr erzählen?“ „Da gibt es nichts zu erzählen.“ „Liam, mein Guter“, fing seine Mutter an seiner Seite an und er wusste schon, dass er nicht um dieses Gespräch herum kam. Nicht wenn seine Mutter so mit ihm redete. Sie wusste vermutlich irgendetwas, was er selber gar nicht wusste. „Menas meinte, du hättest du das Abhören ihres Handys schon längst wieder sein lassen können, da sie sich bei der Polizei oder sonst wem diesbezüglich gemeldet hatte.“ „Ja, aber…“ „Willst du mir also nicht sagen, warum du diese Frau nicht in Ruhe lassen kannst?“ Liam sah seine Mutter fragend an und wusste, dass er genau diese Frage nicht beantworten konnte. Nicht weil er es nicht wollte. Nein, weil er die Antwort einfach nicht wusste. Er wusste doch selber nicht, warum er Leila Sullivan nicht in Ruhe ließ. Warum er ihre Telefonate deswegen immer wieder anhörte, weil er ihre Stimme hören wollte. Warum er vorhin zu ihr gefahren war. Er wusste das alles nicht. Es konnte es rational nicht erklären. Und das war etwas vollkommen verrücktes. Für ihn hatte es bisher immer eine rationale und logische Erklärung für alles gegeben. Doch dann traf er auf Leila. Deren Gedanken er nicht lesen konnte und deren Geist er nicht beeinflussen konnte. Eine Frau, der es egal war, wer er war und keine Angst davor hatte, das auszusprechen, was ihr durch den Kopf ging. Sie war ein direkter Mensch und vermutlich eher Bauch- als Kopfmensch. Sie war impulsiv und war ganz schön bissig. Sie konnte sich verbal wehren und zog sich immer wieder hinter ihrem Schutzschild zurück. „Liam…?“, Marissandra sah ihn fragend an. Er wusste, dass sie in seinen Kopf eindringen wollte. Doch er hatte die Kontrolle über seine Gedanken schnell wieder gefunden und sperrte sie davon aus. „Ich mache mir Sorgen um dich, mein Guter.“ Überrascht sah er sie an. „Warum denn das?“ Sie lächelte sanft und die Grübchen erschienen an ihren Mundwinkeln. „Du wirkst verändert.“ Ja, das war ihr sofort aufgefallen. Er wirkte nicht mehr wie der Einsiedler, der er sonst immer sein wollte. Er wirkte irgendwie offener, heiterer. Auch wenn sie sich das nicht erklären konnte. Aber sie lebte schon lange genug auf diesem Planeten und sie kannte ihren Sohn sehr gut. Sie kannte all ihre Kinder sehr gut, ihre eigenen, wie auch die Pflegekinder, die sie aufgezogen hatte, weil entweder ein Elternteil gefehlt hatte und der noch lebende damit überfordert war. Oder weil beide Eltern nicht mehr vorhanden waren. Sie hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, Kinder großzuziehen und sie liebte jedes davon. „Liam, vielleicht solltest du Mutter erzählen, dass du die Gedanken von dieser Leila nicht lesen kannst.“ „Wie bitte?“, Marissandra sah Menas überrascht an. „Das hast du mir noch gar nicht erzählt.“ „Ich dachte Liam möchte es dir sagen.“ Marissandra nickte und sah den Sohn, der neben ihr saß, an. Dieser funkelte jedoch Menas wütend an. Wenn man so einen Bruder hatte, brauchte man echt keine Feinde. Er war ihm schon immer in den Rücken gefallen. Ein Grund mehr für Liam, warum er damals aus Kanada gezogen war. „Mutter, ich…“ Marissandra lächelte, denn sie wusste, das Liam nicht über das Thema reden wollte. „Menas, was hältst du davon, wenn du uns einen Tee machst.“ „Natürlich.“ Menas stand ohne weiteres auf, verließ das Wohnzimmer und ging die Küche. Alle wussten das Marissandra ihren Sohn nicht wirklich um Tee bat, sondern sie wollte mit ihrem Zweitältesten einfach alleine reden. Liam würde nie in Anwesenheit seines Bruders über eine seiner Schwächen reden. Das war eine Brüdergeschichte, wie sie selber fand. Aber als Mutter wollte sie nun mal wissen, was ihren Sohn nun so verändert hatte. Sie würde eh nicht locker lassen. Die blonde Vampirin sah ihren Sohn von der Seite an und streichelte seine Hand, die weiterhin in ihrem Schoss ruhte. „Diese Leila… ist Sie hübsch?“ Liam seufzte und schloss die Augen für einen Moment. Er rief sich das Bild von Leila hoch, als sie gelächelt hatte. Er dachte daran, wie sie sich ihre Haare hinters Ohr strich. Oder wie ihre Augen leuchteten, wenn sie sauer war. Vor seinem geschlossenen Lid, sah er aber auch ihr wütendes Gesicht, als sie sauer war. „Ja, das ist sie“, antwortete er als er die Augen wieder öffnete und sie ansah. „Ist Sie nett?“ Liam musste schmunzeln. „Wenn Sie es möchte, kann sie nett sein.“ Aber er fand ihre bissige Art auch niedlich. „Das freut mich, Liam.“ Ihr Sohn hatte sich verliebt. Ob er das nun schon wusste oder nicht, war gar nicht so wichtig. Aber ein Mutterherz freute es immer, wenn sie mit ansehen konnte, dass ihr Sohn glücklich war. Sie wünschte sich für Liam und auch für ihre anderen Kinder nichts mehr als das. Oft war sie aber der Überzeugung, dass vor allem Liam Glück brauchte. Er war so alleine. Natürlich weil er das wollte und sie hatte den Grund nie verstanden. Sie war darüber immer traurig gewesen. Liam war am weitesten von ihren Kindern weggezogen und sie vermisste ihren Sohn schrecklich. Menas und ihre anderen Kinder, konnte sie immer in wenigen Stunden besuchen. Alle bis auf Liam. Er hatte sich von allen zurückgezogen, arbeitete auch kaum im Familienunternehmen mit. Aber Marissandra hatte ihren Sohn machen lassen. Er sollte den Weg gehen, den er gehen wollte. Und er war schon immer ein Krieger gewesen. In so vielen Kriegen und Schlachten hatte er an der Seite von Menschen gekämpft und sie hatte es nie verstanden. Er hätte ein ruhiges Leben führen können, weg vom Krieg und dem Unheil, dass sich die Menschen Jahr für Jahr angetan hatten. Doch er wollte immer selber eine Waffe tragen. Und nun hatte er es sich zur Lebensaufgabe gemacht Hostus zu jagen. Lakaien eines Wesens, das nur böse sein konnte. Voll von Hass und Kälte machte dieses Wesen arme Menschen zu seelenlosen Kreaturen. Und Liam sorgte dafür, dass diese Hostus den Menschen keinen Schaden anrichten konnte. Sie wusste dass Liams eigentliches Ziel, der Marionettenspieler der Hostus war. Doch sie waren ihm all die Jahrhunderte noch nicht auf die Spur gekommen. Sie verwischten nur die Spuren am Tatort, damit die Spur nicht zu ihnen führte. Zu den Vampiren. „Mehr willst du nicht wissen?“, fragte Liam seine Mutter und holte sie aus ihren Gedanken heraus. „Nein, ich muss nicht mehr wissen. Ich vertraue darauf, dass du das Richtige tun wirst.“ Er dachte einen Moment über ihre Worte nach und drückte ihre Hand. „Danke.“ „Gern geschehen, mein Sohn.“ Sie sah ihn immer noch an und erkannte so viel von seinem Vater in ihm. Liam war seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Eine Tatsache, die ihr oft genug, das Herz zusammenschnürte. Sie hatte Deion, den Vater ihrer Kinder und ihren Wandler geliebt. Innig. Auch wenn die Beziehung nie einfach war. Er war ein Tyrann, ja das war er und Jähzorn war sein stärkster Charakterzug. Und auch wenn Liam seinem Vater so ähnlich sah, war er ganz anders. Liam war entschieden ruhiger, was gut für ihn und seine Familie war. Er würde keine falschen Entscheidungen treffen, und wenn doch, würde er sich dafür am meisten bestrafen. Er trainierte und kämpfte hart. Liam war nicht egoistisch, er dachte immer daran, wie er anderen helfen konnte. Deswegen kämpfte er. Für ihn war das seine Bestimmung. Er hatte schon viele Kämpfe hinter sich. Gegen seinen Vater, gegen seine Familie und den größten hatte er gegen sich selber geführt. Sie hatte sich oft um ihn Sorgen müssen. Nicht weil er sich in Schwierigkeiten brachte, sondern weil er niemals um Hilfe bitten würde. Aber er war ihr guter Junge. „Hier ist der Tee“, meinte Menas, der mit einem Tablett wieder ins Wohnzimmer kam. Er stellte es auf den Tisch, bevor er sich wieder in den Sessel setzte. „Danke, das ist lieb von dir“, sagte Marissandra, griff nach einer Tasse und reichte sie Liam. Vielleicht brauchte Liam ja nur einen Schups und er würde Leila sagen, wer er war und was er für sie empfand. Kapitel 7: Kapitel 7 -------------------- Leila runzelte die Stirn, als sie die Karte in den Händen hielt, die im Briefumschlag gesteckt hatte. Sie war gerade auf den Weg zu ihrer Freundin. Anne wollte ein paar Fotos von sich haben, die sie ihrem Liebsten schenken konnte und hatte Leila gefragt, ob sie das für sie übernehmen würde, da ein richtiger Fotograf verdammt teuer war. Doch noch stand Leila vor ihrer Wohnungstür und hatte ihre Post aus dem Briefkasten geholt, dabei war ihr sofort ein Briefumschlag in die Augen gefallen, auf dem nur ihr Name stand. Keine Briefmarke und kein Poststempel. Also musste ihn jemand persönlich in den Briefkasten eingeworfen haben. Ohne lange darüber nachzudenken, hatte sie diesen geöffnet und die Karte heraus gezogen, die da drinnen steckte. Auf dieser Karte standen wenige Worte, die sie immer wieder las. „Leila, ich möchte Dich sehen. Treffe mich bitte um 18.00 Uhr - Liam“ Und dann stand da noch eine Adresse, die ihr nichts sagte. Da es aber nur ein Straßennamen und eine Hausnummer war, nahm sie doch an, dass es sich um eine Adresse in dieser Stadt handelte. Er wollte sie sehen. Sie musste lächeln. Da stand nicht, dass er sie sehen musste, weil er irgendetwas klären musste. Nein, er wollte sie sehen. Er zwang sie nicht, dass sie sich mit ihm treffen sollte. Sollte das etwa ein Date haben? Wollte Liam Noxus ein Date mit ihr haben? Sie wusste echt nicht was sie davon halten sollte. Dann fiel ihr allerdings wieder ein, dass sie auch gar nicht so viel Zeit hatte, darüber nach zu denken. Sie steckte die Karte, so wie ihre weitere Post in ihre Handtasche und ging dann die Straße herunter. Ein Glück hatte sie es nicht weit zu Anne. Sie wohnte mit ihrem Freund regelrecht in der Nachbarschaft. Doch während sie noch auf dem Weg zu ihr war, fischte sie die Karte wieder aus ihrer Handtasche. Liam wollte also ein Date haben? Sie hatte schon lange kein Date mehr gehabt. Nicht dass sie es liebte Single zu sein, gut, sie hatte sich daran gewöhnt. Aber natürlich hätte sie gerne jemanden an ihrer Seite, der für sie da war, wenn es ihr mal nicht so gut ging. Jemand, der sie in den Arm nahm, wenn sie genervt von der Arbeit nach Hause kam. Jemand, der sich an sie kuschelte. Jemand, der ihr zuhörte. Aber sie gehörte jetzt nicht zu den Leuten, die zwanghafter weise nach einem Partner suchten. Sie brauchte nicht unbedingt jemanden, sie konnte gut auf sich selber aufpassen. Liam wollte ein Date mit ihr. Daran hatte sie nicht mal im Traum gedacht. Gut, ihre erste Begegnung war nicht gerade die schönste, aber das hatte er sich wohl selber zu zuschreiben. Wie sollte sie denn auch bitte schon reagieren, wenn sie nach Hause kam und da ein fremder Mann in ihrer Wohnung war. Ein Mann, den sie nicht kannte und der mit seiner breiten Schultern wirklich jemand Angst machen konnte. Sie hatte sich aber nicht beeindrucken lassen. Zumindest hatte sie ihm das nicht gezeigt. Und gestern war sie ihm wirklich dankbar, dass er zufällig vorbei gefahren war. Und er hatte auch angehalten. Er hätte schließlich einfach an ihr vorbei fahren können. Aber er hatte angehalten, ihr geholfen, war auch dabei gewesen als der Mann des Abschleppdienstes kam und schließlich hatte er sie auch nach Hause gefahren. Auch wenn sie das zuerst gar nicht gewollt hatte. Sie kannte ihn schließlich nicht, so nett er bei der zweiten Begegnung auch gewesen war. Und ihre Mutter hatte ihr nun schon als kleines Kind beigebracht, dass sie gefälligst nicht zu fremden Leuten ins Auto steigen sollte. Sie musste an die Berührung denken, als er ihre Hand gepackt hatte und nicht wollte, dass sie aus dem Auto stieg. Er hatte sie berührt gehabt und diese Berührung war angenehm gewesen. Sie hätte seine Wärme gespürt und das hatte ein Zeichen in ihr hinterlassen. So jemand wie er konnte einfach nicht böse sein. Ja, er wollte ein Date mit ihr. Leila fing nun an zu strahlen, als sie zu ihrer Freundin ging. Sie hüpfte irgendwie und fühlte sich einfach toll. Liam Noxus wollte sie wiedersehen. „Warum strahlst du so?“, fragte Anne ihre Freundin, als sie ihr die Tür öffnete. Anne kannte ihre Freundin sehr gut und so heiter hatte sie Leila schon lange nicht mehr gesehen. „Tu ich gar nicht.“ Sie zog sich ihre Schuhe aus und trat dann in die Wohnung, in der Anne und Philipp lebten. Es war eine schöne Wohnung und Leila beneidete die beiden vor allem um die Dachfenster im Schlafzimmer. Es war toll unter Sternen einzuschlafen. Sie wusste, dass es schön war. Als Kind hatte sie mit ihrer Familie auch in einer Dachgeschosswohnung gewohnt und ihr Bett hatte unter ihrem Fenster gestanden, damit sie immer die Sterne ansehen konnte. Sie hatte sich immer gefragt, ob es noch mehr gab, als nur die Menschen auf der Erde. Ob es da noch Geheimnisse gab, von denen sie mit ihren zwölf Jahren noch nichts wusste. Dinge, die traurig oder schön waren. Berauschend oder Erschreckend. Ein paar Erfahrungen sollte sie in ihrem Leben noch machen und nicht alle waren rosig. Aber davon hatte sie nur den wenigstens erzählt. Sie war eben eine Solokämpferin. Schon immer gewesen. „Natürlich.“ Anne freute sich deswegen sogar, auch wenn Leila ihr nicht sagen wollte, was der Grund dafür war. Aber sie würde es aus ihrer Freundin garantiert schon noch raus kitzeln können. „Wie ich sehe, hast du schon etwas vorbereitet“, stellte Leila fest, als sie ins Wohnzimmer kamen und Anne die Möbel etwas verrückt hatte und eine große dunkle Decke auf den Boden ausgebreitet hatte. Sie sah sehr kuschelig aus und Leila konnte sich gut vorstellen, wie Anne auf der Decke sich rekelte und mit der Kamera spielte. „Klar. Philipp ist ja gestern schon auf Montage. Also habe ich die Wohnung für mich. Super, dass du so kurzfristig Zeit hattest.“ Anne ging in die Küche. „Für meine Freunde doch immer.“ Leila legte ihre Taschen ab und folgte Anne, die an der Kaffeemaschine stand und dabei war, für beide einen Cappuccino zu machen. „Erzähl mir doch mal, wie es gestern war.“ „Schrecklich“, meinte Leila und setzte sich an den Küchentisch. „Nachdem ich von der Besprechung kam, ist mein Auto auf halben Weg stehen geblieben.“ „Oh… ich meinte eigentlich die Besprechung. Aber erzähl mir lieber davon, wie das mit deinem Wagen ausgegangen ist.“ Leila nickte und nahm mit einem Lächeln die Tasse entgegen, die Anne ihr reichte. „Naja, da stand ich nun und hatte meinen Wagen verflucht. Ich meine, er war doch erst vor ein paar Wochen in der Werkstatt.“ „Kam der Abschleppdienst?“ „Ja, den hatte ich sofort angerufen. Der hat mich am Telefon voll angemacht. Ich konnte doch nichts dafür, dass ich keine Ahnung davon hatte, wo ich war.“ Anne musste sich ihr Grinsen verkneifen, was ihr nicht so recht gelang, setzte sich dann aber mit ihrer eigenen Tasse Leila gegenüber an den Tisch. „Schon klar.“ „Na ja, dann habe ich mich noch darüber aufgeregt, dass natürlich kein Schwein anhielt. So viele sind da gar nicht entlang gefahren. Und die auf der Straße gefahren sind, sind dann langsamer geworden, haben geglotzt und sind dann weiter.“ „Echt?“ „Ja.“ Leila seufzte. Allein wenn sie jetzt noch daran dachte, konnte sie wütend werden. „Und dann?“ „Na ja, dann hielt einer an.“ „Ja. Ein Glück aber auch. Waren es nette Leute.“ „Ich kannte ihn schon. Er heißt Liam.“ Anne sah ihre Freundin überrascht an. „Diesen Namen höre ich aber heute zum aller ersten Mal aus deinem Mund. Warum hast du mir davon gar nichts erzählt?“ „Ich kenne ihn nur flüchtig.“ Na ja, sie konnte ihr ja wohl schlecht sagen, dass Liam bei ihr eingebrochen war und sie ihn deswegen schon mal gesehen hatte. Aber Kennen war wohl doch etwas übertrieben. „Flüchtig? Wie hast du ihn kennen gelernt? Arbeitet er bei uns in der Firma?“ „Nein, tut er nicht. Auf einer Konferenz“, meinte Leila und sie hasste es zu lügen. Vor allem, wenn sie nicht mal richtig wusste, warum sie ihre Freundin anlog. Gut, sie wollte, dass Liam gut dastand. Aber warum wollte sie das? Weil sie heute Abend ein Date mit ihm hatte? „Ah, verstehe. Und er hat also angehalten. Das ist aber nett von ihm, wo du ihn doch nur flüchtig kennst.“ Leila nickte. „Ja, das war sehr nett von ihm. Wer weiß wie lange ich da noch gestanden hätte, bis der Abschleppdienst kam. Er hat mich dann auch nach Hause gefahren.“ „Das ist wirklich sehr nett von ihm.“ Leila sah Anne an und schüttelte nur den Kopf. „Du sollst da nichts hineininterpretieren.“ „Du hast doch gesagt, du kennst ihn nur flüchtig.“ „Schon klar.“ Leila trank noch einen Schluck des warmen Getränks und musste wieder an die Karte in ihrer Handtasche denken. Nun sollte sie sich aber wirklich auf die Fotos konzentrieren, sonst würde sie wirklich noch irgendetwas sagen, was sie gar nicht wollte. Sie wusste doch selber noch nicht, was das hier mit Liam war. Ob es da überhaupt etwas gab oder ob sie sich vielleicht in irgendetwas hineinsteigerte. „Also wie hast du dir das genau vorgestellt?“ Leila sah noch mal auf ihr Handy um die Uhrzeit zu überprüfen. Gut, sie war etwas früh dran. Sie hatte nicht wissen können, wie lange sie zu Fuß brauchen würde. Und nun stand sie da und fragte sich, was sie hier sollte. Denn hier war nichts. Die Häuser standen leer und wirkten verwahrlost. In diesem Teil der Stadt war sie noch nie gewesen und die Kälte die von den Häusern kam, beantwortete ihr auch die Frage, warum sie nie hier gewesen war. Es war leblos und sie würde echt gerne wissen, warum Liam sie her bestellt hatte. Auf den Weg zum Treffpunkt hatte sie sich gefragt, warum er sie nicht abgeholt hatte, schließlich wusste er doch aus erster Hand, dass ihr Auto nun in der Werkstatt war. Was ein paar Tage dauern würde. Anne hatte sich bereit erklärt, die Woche früher auf die Arbeit zu fahren und Leila mitzunehmen. Das war eine gute Nachricht. Allerdings hoffte Leila, dass die Rechnung nicht so hoch sein würde. Dummes Auto, fluchte sie vor sich hin und kontrollierte die Uhrzeit noch mal. Was wollte sie hier? Warum sollte Liam sie an seinen trostlosen Ort herbestellen? Sie überlegte schon, ob sie ihn nicht anrufen sollte. Aber dann kam sie sich verrückt vor und zwang sich, einfach zu warten. Liam war ja nicht zu spät dran, sie war nur zu früh. Irgendwie war es ihr hier aber unheimlich und sie wollte nicht mehr länger alleine sein. Es war kalt und sie hatte das Gefühl, dass sich die Schatten bewegten, schwärzer wurden. Es war verrückt und sie wusste selber, dass sie sich das vermutlich nur einbildete. Aber so langsam wurde sie sauer und das konnte übel enden. Nicht für sie, aber für Liam, falls er sich doch mal herablassen sollte, zu ihr zu kommen. Sie spielte gerade wieder mit dem Gedanken ihr Handy aus ihrer Tasche zu zücken, als sie gepackt wurde und nach hinten gerissen wurde. Sie wollte schreien, dann spürte sie einen Druck auf ihrem Mund. Jemand hielt ihr den Mund zu, ließ jeden Laut im Keim ersticken. Sie riss ihre Augen weit auf, vor Angst und weil sie irgendetwas in der dunklen Gasse erkennen wollte, doch sie sah nichts. Sie wurde stolpernd nach hinten gezogen und wusste nicht was mit ihr geschah. Eins wusste sie allerdings, das hier hatte nichts mit Liam zu tun. Liam würde ihr nichts tun. Das hätte er sonst schon bei ihrer ersten Begegnung klar gemacht. Hier steckte jemand anderes dahinter. Doch dieses Wissen brachte ihr jetzt auch nicht weiter. Leila versuchte um sich zu schlagen, doch sie traf nur ins Leere. Sie versuchte in die Hand desjenigen zu beißen, der sie festhielt. Doch auch das missglückte ihr. Sie saß in der Falle. Das Adrenalin in ihrem Körper sorgte dafür, dass sie versuchte sich auf alles zu konzentrieren. Ihr Herz schlug rasend schnell und sie hatte Angst, dass jetzt ihre letzte Stunde geschlagen hatte. Ihre Mutter hatte sie als Kind immer zu Selbstverteidigungskursen geschickt und sie war auch immer die Beste im Kurs gewesen. Doch das damals war nie vergleichbar mit der Realität. Es war wie in der Schule. Man lernte Dinge wie Rechtschreibung und Mathematik, Dinge die einem im Leben helfen sollte, aber eigentlich waren genau diese Dinge in der wirklichen Welt nicht wichtig. In der richtigen Welt ging es ums überleben. Ums Kämpfen. Sie fühlte sich machtlos. Wie schon einmal in ihrem Leben und sie hatte gehofft, nie wieder an diese Zeit denken zu müssen. Das war der Grund warum sie mit 15 Jahren entschieden hatte im nächsten Jahr, direkt nach der Schule auszuziehen. Sie wollte wegziehen aus der Stadt, die sie eigentlich immer geliebt hatte. Nur um diesem einem Menschen nicht mehr zu begegnen. Genau diese Machtlosigkeit fühlte sie nun auch. Sie war klein und schwach. Tränen traten ihr in die Augen und sie schluchzte. Sie roch auch nicht wie übel es in dieser Gasse roch. Die blonde Frau hörte auch nicht das Quieken einer Ratte, welche sich hinter einer Mülltonne versteckte. Auch nicht das Fauchen einer Katze, da sie gerade in deren Revier kamen. All das bekam sie nicht mit, obwohl sie sich so sehr auf alles zu konzentrieren versuchte. Da war nur diese Hand, diese festhielt. Das hier war wirklich ein verdammt übler Scherz. Nein, das hier war keiner mehr. Sie hatte panische Angst. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, sie konnte es richtig spüren. Es schlug so schnell, dass es ihr weh tat. Man ließ sie plötzlich los und warf sie zur Seite. Leila flog gegen die Wand eines Hauses und durch den Aufprall wurde die Luft aus ihrer Lunge gepresst. „Au…“ Sie hatte sich ihren Kopf an der Wand gestoßen und hatte das Gefühl das sich gerade alles um sie drehte. Das war wirklich ein harter Schlag gegen den Kopf gewesen. Sie wollte aufstehen, doch sie war ziemlich unsicher auf den Beinen. „Keine Bewegung.“ Sie hielt sofort inne und sah sich etwas um. Allerdings konnte sie niemanden im Schatten der Gasse erkennen, doch die Stimme hatte sich dunkel angehört. Und vor allem wütend. Hatte sie irgendjemanden beleidigt oder gekränkt? Sie war doch diejenige, die die hier mehr als nur gekränkt wurde. „Was…“ „Du steckst mit Noxus unter einer Decke!“ „Wie?“, fragte sie überrascht. Also ging es hier doch um Liam? Sie verstand gerade gar nichts mehr. Was hatte denn das mit Liam zu tun? Hatte er sie nun doch hier her bestellt? Aber wo war er denn dann? „Noxus! Den kennst du doch, oder?“ „Liam?“ Sie spürte, dass etwas Warmes an ihre Schläfe entlang lief und sie hoffte, dass es nicht irgendetwas von der Wand war. „Ja, Liam Noxus.“ Der Mann, sie war sich sicher, dass es ein Mann war, spuckte den Namen regelrecht aus. Leila fasste sich an die Stirn und spürte die warme Flüssigkeit an ihrer Schläfe. Hatte sie sich den Kopf so hart an der Wand angeschlagen, dass sie blutete? Ein Nebel schien sich in ihrem Kopf auszubreiten, begleitet von Kopfschmerzen. Sie hörte ein metallisches Klicken und wusste, dass dieses nichts Gutes zu bedeuten hatte. „Moment mal… ich…“ Irgendetwas musste ihr doch einfallen. Etwas was sie sagen sollte, dass dieses Situation nicht zu Eskalation bringen würde. „Du gehörst zu Ihnen!“ „Was?“ Das konnte doch alles nicht wahr sein. Warum war sie nur hier her gegangen? Warum hatte sie Liam nicht angerufen und ihn gefragt, ob er sie nicht abholen wollte? Warum hatte sie Anne nicht Bescheid gesagt. Niemand wusste schließlich nun wo sie steckte. Sie hatte es ja Keinem sagen wollen. Und nun wusste sie, dass es ein Fehler gewesen war. „Natürlich Du steckst mit Ihnen unter einer Decke.“ Dann konnte Leila die Waffe sehen, die man auf sie richtete. Sie sah nur den Lauf, der auf sie gerichtet war. Und das ließ sie Schlucken. Jetzt war eindeutig ihre letzte Stunde geschlagen. Zuerst war ihr Kopf leer, bis sich einzelne Gedanken wieder bildeten. Gedanken, an Dinge die sie noch hätte tun sollen. Tuxedo noch etwas zu Essen geben. Sie hätte ihre Mutter noch mal anrufen sollen. Und sie hatte Anne sagen sollen, dass sie sich glücklich schätzen konnte so einen tollen Freund zu haben. Sie hätte sich bei ihrem Großvater melden sollen. Er freute sich doch immer so sehr, wenn er etwas von seiner einzigen Enkelin hörte. Und sie hätte sich bei mal wieder mit ihren Brüdern treffen sollen. Die beiden waren ihr sehr wichtig und dennoch hatte sie die beiden das letzte halbe Jahr nicht gesehen gehabt. Sie lebten eben auch nicht mehr zu Hause, wie sie. Doch genau jetzt dachte sie an ihre Brüder. Und an ihre Mutter. An ihre Freunde. „Ich stecke nicht mit ihm unter ein...“ Doch da machte es schon einen Knall und Leila spürte, dass es nun vorbei war. Sie spürte, wie die Kugel ihren Körper traf und zuckte zusammen. Es war dieser eine Knall, der das Leben veränderte. Oder eben beendete. Sie wusste nicht wie lange sie da lag, aber ihr eigenes Stöhnen schien sie aus der Ohnmacht geweckt zu haben. Das Geräusch hatte sie zuerst erschrocken, bis sie sich wieder daran erinnerte, dass sie so eben angeschossen wurde und dann war da dieser Schmerz. Leila schrie auf und wollte sich winden, doch das war keine gute Idee. Also blieb sie liegen, so wie sie war. Der Schmerz saß in ihrem Brustkorb und erschwerte ihr das Atmen. Ihr Kopf tat ihr weh und ihre Sinne schienen etwas gedämpft zu sein. Sie versuchte sich umzusehen, konnte aber nichts erkennen, da es zu dunkel war. Es war dunkel und kalt. Ja, es war schrecklich kalt. Sie musste daran denken, dass die Leute in den Filmen, wenn sie gerade starben, auch immer sagten, wie kalt ihnen war. Das Gute war, sie war allein. Derjenige, der sie herein gezogen hatte, war nicht mehr da und hatte sie hier einfach liegen gelassen. Wo sie vermutlich sterben würde, denn der Schmerz war unerträglich. Sie musste husten und bewegte dabei ihren Oberkörper, was ihr nur noch weitere Schmerzen einbrachte. Vorsichtig fuhr sie mit der linken Hand über ihren Oberkörper und versuchte irgendetwas zu spüren. Doch ihre Hand kam nur langsam vorwärts, da alles wehtat und sie auch Angst hatte ein riesiges Loch in ihrem Bauch zu erkennen. Sie spürte, dass ihr Mantel klebte und sie vermutete, dass es Blut war. Ihr eigenes Blut. Sie würde hier verbluten. Irgendetwas musste ihr doch einfallen. Doch ihr Kopf war vollkommen leer. Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr finden. Was vermutlich daran lag, dass sie gerade am Verbluten war. Sie vernahm ein Quieken in einer Ecke und hoffte, es sich nur eingebildet zu haben. Doch dann fiel ihr ein, dass sie ihr Handy noch hatte. Mit der rechten Hand suchte sie die Tasche ihrer Jacke, in der es ja steckte. Und mit zunehmend verlierenden Kräften wählte ihr Telefonmenü auf und rief die einzige Person an, die ihr genau jetzt einfiel. „Hallo? Leila“, hörte sie die Stimme aus ihrem Handy heraus. Sie hatte nicht mehr die Kraft gehabt es sich ans Ohr zu halten, doch sie lächelte, als sie seine Stimme hörte. „Li…am…“ Ihre Stimme klang erleichtert und glücklich. Sie vergaß einfach alles um sich herum und fühlte sich plötzlich vollkommen entspannt und ruhig. Das Handy rutschte ihr aus der Hand und fiel auf den Boden und der Kopf der Blonde sackte zur Seite. „Leila? Leila!“ Kapitel 8: Kapitel 8 -------------------- „Leila? Leila!“ Liam schrie er in sein Handy und er wusste nicht was er davon halten konnte, dass sie nichts mehr sagte. Verdammt, warum sprach sie nicht mehr mit ihm? Sie hatte ihn doch angerufen und sie hatte nur seinen Namen gesagt. Und das nicht mal richtig. Der Vampir wurde das Gefühl nicht los, dass sie in Gefahr war. Das ihr irgendetwas passiert war. Nur wusste er nicht was. Sie sagte es ihm ja nicht. „Liam, was ist los?“ „Leila! Leila, sprich mit mir!“ Er ignorierte seine Mutter einfach, die zu ihm wieder ins Wohnzimmer gekommen war. Liam war vor ein paar Stunden aufgestanden und hatte sich im Wohnzimmer mit seinen Karten auseinander gesetzt. Er hatte vermutet, dass seine Mutter und sein Bruder noch schlafen würden. Doch vermutlich hatte er sie gerade selber geweckt, weil er in sein eigenes Handy schrie. „Leila!“ Sie antwortete nicht mehr und alles um ihn herum war ihm egal. Er wollte nicht auflegen, deswegen griff er nach seinem Laptop, der auf dem Tisch neben der Karte gelegen hatte und rief das Programm auf, mit dem er ihr Handy orten konnte. Er hielt das Handy fest an seinem Ohr, während er mit der anderen Hand ihre Nummer eingab. Er wollte ihre Stimme hören, falls sie noch was sagen sollte. Liam wusste, dass sie noch dran war, nur konnte sie ihm nicht mehr antworten. „Liam, was ist denn los?“ „Still“, sagte er sofort. Er musste sich auf ihre Umgebung konzentrieren, versuchte zu hören, ob jemand in ihrer Nähe war. Doch er hörte rein gar nichts. Nach ihrem einzigen Wort hatte er noch ein Stöhnen vernommen und er hatte geglaubt, es kam von jemand anderen, doch nun war er sich dessen gar nicht mehr so sicher. „Was ist denn hier los?“, fragte Menas, der hinter seiner Mutter im Türrahmen erschien. „Leise, Menas. Es stimmt wohl etwas mit Leila nicht.“ Marissandra sah ihren Sohn fragend an, der auf den Bildschirm starrte, während das Suchprogramm anfing die Nummer ausfindig zu machen. Liams Blick war starr auf den Monitor gerichtet, während das Suchfeld immer kleiner wurde. Liam ignorierte seine Mutter und seinen Bruder, die ihn beide sorgend ansahen. Natürlich wollten sie wissen, was los war. Aber das konnte er ihnen nicht sagen, er wusste doch selber nicht was da gerade nicht stimmte. Aber dieses stechende Gefühl in seiner Brust sagte ihm einfach, dass etwas passiert war. Er fühlte irgendwie, dass es ihr nicht gut ging. Er musste wissen, wo sie war und wie es ihr ging. Gut, sie befand sich noch in der Stadt, also würde er nicht so lange brauchen, bis er bei ihr war. Doch dann sah er, dass sie sich nicht gerade in der Nähe ihrer Wohnung befand. Sie war in einer Gegend die ziemlich trostlos war und er fragte sich echt, was sie dort zu suchen hatte. Als er den Straßennamen lesen konnte, sprang er vom Sofa auf und versuchte einen klaren Kopf zu kriegen. Er musste zu Leila. Er blickte auf das Handy. Das Telefonat war noch immer nicht beendet. Für ihn war das gerade die letzte Verbindung zu ihr und dieser wollte er nicht abbrechen lassen. Er würde das Handy erst wieder einstecken, wenn er sie sah und sicher sein konnte, dass alles nur ein Missverständnis war. Ja, das war es doch bestimmt. Leila war doch eine dieser modernen Frauen, die gut auf sich selber aufpassen konnte. Frauen, die keinen Beschützer brauchten. Dann sah er zu seiner Mutter und seinem Bruder, die ihn fragend an sahen. „Liam…“ „Mutter, ich muss zu Leila“, sagte er sofort. Er wollte nicht mit großen Worten spielen. Das einzige was er jetzt gerade wollte, war Leila zu finden. Sonst würde er keine Ruhe geben. Sie hatte ihn nicht umsonst angerufen. Irgendetwas musste passiert sein. Sie nickte ihm zu. „Sei vorsichtig.“ Sie trat zur Seite und ließ Liam gehen. ‚Pass auf dich auf, mein Sohn‘, sagte sie in Gedanken zu ihm und konnte gar nicht mehr in sein Gesicht sehen, um zu registrieren, wie er auf diese Bitte reagierte, da er schon aus dem Wohnzimmer geeilt war. Doch sie musste nicht wissen, ob er ihre Bitte gehört hatte. Liam würde schon auf sich aufpassen. „Was ist hier los… Liam, verdammt…“ Menas wollte seinem Bruder hinter her eilen, doch seine Mutter hielt ihn fest. Er sah sie fragend an. Doch seine Mutter sah bestürzt aus und es schien als hätte sie Angst. Er hatte noch nie erlebt gehabt, dass seine Mutter Angst empfunden hatte. Und wenn es jemals so gewesen sein sollte, dann war sie immer eine gute Schauspielerin gewesen. Sie hatte ihren Kindern nie zeigen wollen, wenn es ihr schlecht ging. Wenn ihr Vater sie mal wieder schlecht behandelt hatte. Nie hatte sie auch nur ein falsches Wort über ihren Vater gesagt. Auch wenn alle wussten, dass er nie fair ihr gegenüber war. „Lass ihn gehen, Menas.“ „Aber vielleicht braucht er Hilfe.“ „Er wird deine Hilfe nicht wollen“, sagte Marissandra mit ruhiger Stimme und ging ans Fenster des Wohnzimmers. Sie schob die Gardinen zur Seite und sah, wie Liam aus der Garage fuhr und sofort los heizte. Das hier war Liams Kampf. Und er war ein Einzelkämpfer. Nein, Liam würde keine Hilfe annehmen. Er würde selber um Hilfe bitten. „Du kannst für deinen Bruder da sein, wenn er dich darum bittet.“ „Aber…“ „Menas, du kennst deinen Bruder doch. Ihr seid so verschieden und doch seid ihr Brüder. Du kannst ihm beistehen, in dem du hier auf ihn wartest und alles darauf vorbereitest, dass er Leila hier her bringen wird.“ Sie versuchte ruhig zu bleiben und ihre Worte waren sehr ruhig. Sie wusste, dass ihre Stimme ihr immer Macht gegeben hatte. Und diese musste sie auch jetzt kontrollieren. Aber sie machte sich Sorgen. Um Liam und auch um diese Leila. Liam hatte das Gefühl gehabt, dass Leila etwas zugestoßen war und sie vertraute diesem Gefühl. „Was meinst du?“ Menas wusste am Klang der Worte seiner Mutter, dass sie die Gedanken von Liam gelesen hatte. Marissandra ließ die Gardinen wieder los und drehte sich zu Menas um. „Sei einfach der große Bruder, den er braucht, wenn er wieder hier ankommt.“ Er war seiner Mutter sehr dankbar gewesen, dass sie ihn einfach so hatte gehen lassen und keine großen Erklärungen von ihm gefordert hatte. Dazu hatte er keine Zeit gehabt. Denn auch wenn für ihn die Zeit nichts Wichtiges war, so tickte sie doch gerade sehr verdächtig in seinem Ohr. Immer wieder schaute er auf die Uhr im Armaturenbrett. Das Handy lag auf dem Beifahrersitz, das Telefonat war noch nicht beendet und während er nicht auf die Straße oder auf die Uhr schaute, kontrollierte er auch, dass dies nicht passierte. Natürlich war es verrückt, da Leila nicht mit sprach. Aber er hatte das dumme Gefühl so einfach noch bei ihr zu sein. „Leila, hörst du mich?“ Doch wie er schon erwartet hatte, bekam er keine Antwort. „Ich bin auf den Weg. Hörst du?“ Er biss sich auf die Unterlippe und trat noch fester aufs Gaspedal. „Ich bin gleich bei dir, Leila.“ Liam machte sich selber Vorwürfe, dass er sie besser hätte kontrollieren können. Was war, wenn die Hostus… nein daran wollte er gar nicht erst denken. Aber er konnte sich auch nicht vorstellen, dass Leila Feinde hatte, die ihr etwas antun wollten. Sie schien ein sehr netter und freundlicher Mensch zu sein, wenn sie sich nicht mal gerade über irgendetwas aufregte. Das machte sie für ihn aber auch liebenswert. Ja, er fand Leila Sullivan wirklich liebenswert, dabei kannte er sie gar nicht. Doch er kannte ihr Lächeln. Ihre Stimme. Ihren Mut. Und ihre Augen. Sie hatte verdammt schöne Augen. Und wunderschönes Haar. Gott, wenn ihr etwas passiert war… Die Knöchel seiner Hände traten weiß hervor, da der Griff ums Lenkrad zu fest war. Doch das war ja nun völlig egal. Er würde so lange angespannt sein, bis er Leila vor sich hatte. Er musste einfach wissen, dass es ihr gut ging. Sein Bauchgefühl sagte ihm gerade, dass etwas passiert war und normalerweise konnte er diesem Gefühl immer vertrauen, doch in dieser Situation wollte er es nicht. Er wollte nicht glauben, dass Leila etwas passiert war. Das durfte einfach nicht sein. Liam sprang aus seinem Wagen ohne den Motor abgestellt zu haben oder die Tür geschlossen zu haben und eilte mit dem Handy in der Hand durch die leere Straße. Sie war menschenleer und wirkte trostlos. Vollkommen verwahrlost. Was sollte ein Mensch wie Leila hier freiwillig? Hatte sie nach einem guten Motiv gesucht? Das konnte er nicht wirklich glauben. „Leila?“ Er bekam keine Antwort und hörte auch nichts, das sonst von ihr stammen konnte. Das Einzige was er hörte, war das Jaulen eines Hundes. Eine Katze, die in der Mülltonne rumwühlte. Das Quieken einer Ratte. Doch nichts von Leila. Sie gehörte hier auch gar nicht her. „Leila! Wo steckst du?“ Das stechende und ungute Gefühl in seiner Brust verschwand nicht, sondern wurde mit jedem Schritt den ging größer. Er sah in die Gassen und die Eingänge der leeren Häuser. Außer Dreck und Unrat sah er nichts. Liam blieb einen Moment stehen, schloss die Augen und seufzte. Seine rechte Hand fuhr sich durchs Haar. Verdammt, er musste sie finden. Er würde sie auch finden. Sie war hier irgendwo. Er konnte sie ja fast schon spüren. Dann vernahm er den süßen Geruch von Blut. Menschenblut. Außerdem nahm er den Duft von Vanille wahr. Und dieses Aroma erkannte er. Der Vampir würde es immer wieder erkennen. „Leila…“ Er eilte in die Gasse, die er als nächstes durchforstet hatte und blieb erschrocken stehen. Da lag sie. Er konnte sie gut erkennen, auch wenn es dunkel war. Doch seine animalischen Augen waren auf die Dunkelheit spezialisiert. Sie war es wirklich. Und es war ihr Blut gewesen, das er gerochen hatte. Ihr war wirklich etwas passiert. Er sah das Blut, das sich auf ihren Mantel ausgebreitet hatte und sie lag auch in einer kleinen Pfütze der roten Flüssigkeit. Neben ihr lag ihr Handy und zeigte ihren letzten Anruf an. Seinen Name. Nachdem Liam den ersten Schock überwunden hatte, sein Herz wieder anfing zu schlagen, wusste er was zu tun hatte. Er konnte Leila wohl kaum hier einfach liegen lassen. Vor allem, da sie verblutete. Vor seinen Augen. Das würde er niemals zulassen. Er drückte die Leere die sich in seinem Kopf ausbreitete weg und wollte sich um Leila kümmern. Er ließ sich vor ihr auf die Knie fallen und berührte ihre Haut. Sie war bereits dabei kalt zu werden und sie war blass. Sie hatte schon eine Menge Blut verloren. „Leila…“, meinte er nur flüsternd und hoffte, dass sie ihn hören würde. Seine Hand suchte ihre Halsschlagader. Er musste wissen, ob sie noch lebte. Nein, sie musste noch leben. Liam spürte noch ihren Puls. Aber er war sehr schwach und würde mit jeder Minute schwächer werden. Liam hob den Mantel zur Seite, um zu sehen, was man ihr angetan hatte. Er schluckte schwer als er das viele Blut sah, das von ihrer Kleidung aufgesogen wurde. Und dann sah er das Loch. Leila wurde angeschossen. Wut machte sich sofort in ihm breit und er würde diesen Typen umbringen, für das was er ihr angetan hatte. Dann vernahm den leicht bitteren Geruch und er wusste sofort, wer das hier angetan hatte. Seine Hand ballte sich zu seiner Faust, denn er wusste, dass sich besser um sie hätte kümmern können. Er war nur darauf bedacht gewesen, Leila zu kontrollieren, dass sie niemanden etwas sagen würde. Aber, dass Leila selber in Gefahr war, daran hatte er nie gedacht. Vermutlich hatten die Hostus heraus gefunden, dass Liam bei Leila gewesen war und hatten dann einfach nur Eins und Eins zusammen gezählt. Es war ihnen niemals um Leila gegangen. Dieser Anschlag galt ihm. Leila war nur der Mittel zum Zweck gewesen. Und er hatte sie nicht beschützt. Er biss sich auf die Lippe und schloss die Augen, da diese vor Zorn und Wut auf sich selber aufflammten. Der Vampir zog sich seinen Pullover aus und presste diesen auf die Wunde. Natürlich würde ein Druckverband nicht mehr viel ausrichten. Aber irgendetwas musste er doch tun und das war das erste was ihm eingefallen war. „Leila, ich bin hier. Es wird alles wieder gut. Versprochen.“ Dann griff er nach seinem Handy, das er in die Hosentasche gesteckt hatte und rief bei sich zu Hause an. „Liam?“, hörte er die Stimme seines Bruders, der ans Telefon gegangen war. Liam sah die ganze Zeit besorgt auf Leila. Doch er hatte sich entschieden. Es gab nur noch einen Weg, wie er sie retten konnte. Er würde nicht zulassen, dass sie sterben würde. Nein, das würde er nie und nimmer zulassen. Wenn er sie besser beschützt hätte, wäre das hier nie passiert. Er hätte sie sofort mit in sein Haus bringen sollen, dort wäre sie sicher gewesen. Natürlich hätte sie das nicht gewollt. Aber es wäre egal gewesen. Dann hätte er sie eben entführt, aber dann würde sie wenigstens noch leben. „Menas. Leila wurde angeschossen. Ihr Zustand ist sehr schlecht. Ich werde Sie mitbringen. Bereite mit Mutter alles für eine Wandlung vor.“ „Liam, das kannst du nicht…“ „Bereitet alles vor!“, damit legte Liam auf, steckte es wieder ein und legte dann die Arme unter Leila, um sie hochheben zu können. Er drückte ihren leichten Körper an sich und hielt sie ganz fest. Sie war so leicht, dass es ihn fast erschreckte. Er würde nicht zu lassen, dass sie sterben würde. Er wollte noch mal mit ihr diskutieren, sie sauer und mit roten Wangen sehen. Er wollte ihre Stimme und ihr Lachen hören. „Leila, es wird alles wieder gut.“ Er ging in schnellen, zugleich aber auch vorsichtigen Schritten zu seinem Wagen. Er öffnete die hintere Tür legte sie auf den Rücksitz. Sie war wirklich nicht groß, aber sie hatte einen so starken Geist gehabt. Liam strich ihr eine ihrer Haarsträhnen aus dem Gesicht und wusste, dass eine Wandlung für sie die letzte Chance war. Und wenn sie ihn dafür verfluchen sollte, dann sollte sie das ruhig machen. Aber dann würde sie wenigstens leben, was alles war, was jetzt noch für ihn zählte. Er schlug die Tür zu und setzte sich auf den Fahrersitz und fuhr sofort los. Nun war es doch gut gewesen, dass er den Motor gar nicht erst ausgestellt hatte. Er fuhr nun etwas vorsichtiger als auf den Hinweg. Was er nur tat, damit Leila auf den Rücksitz nicht herumgeschleudert wurde. Er hatte sich entscheiden müssen, entweder mit ihr durch die Straßen heizen und sie so schnell wie möglich zu sich nach Hause schaffen oder nicht ganz so schnell heizen und mehr darauf achten, dass die Fahrt nicht ganz so schrecklich für sie war. Auch wenn er sich nicht sicher war, ob sie von dieser Fahrt überhaupt etwas mitbekommen würde. Aber er war nun mal vorsichtig. Sie bedeutete ihm etwas. Ja, verdammt noch mal, sie bedeutete ihm etwas. Die Menschen hatten ihn nie besonders interessiert. Sie waren langweilig und sterblich. Es war vermutlich wie bei den Menschen, wenn es um ein Haustier ging. Man gewöhnte sich an es, gab ihm Namen und freute sich über dessen Gesellschaft, aber dann wurden sie krank und starben. Er hatte vor langer Zeit einen Freund gehabt, der ein Mensch war. Theodor. Er hatte ihn sehr gemocht, doch nach 20 Jahren hatte er sich von seinem Freund verabschieden müssen, denn sonst wäre es zu sehr aufgefallen, das Liam nicht alterte, während Theodor mit jeder Sekunde dem Tod näher kam. Es war etwas Unvermeidliches bei den Menschen. Liam und Theodor hatten viele Jahre lang noch per Briefe Kontakt gehalten, aber es war nie mehr das gleiche gewesen. Und dann war Theodor gestorben und Liam konnte nicht bei ihm sein, was ihn sehr traurig gestimmt hatte. Von diesem Moment an, hatte Liam beschlossen gehabt, den Menschen nicht mehr zu nahe zu kommen. Oder besser gesagt, keinen Menschen mehr an sich heran zu lassen. Aber als er Leila begegnet war, hatte sie diesen Gedanken sofort aus seinem Kopf gestrichen. Er war derjenige der nicht mehr genug von ihr bekam. Derjenige der immer ihre Anrufe abhörte, nur um ihre Stimme hören zu können. „Wir sind gleich da.“ Die Worte sagte er mehr zu sich selber, denn Leila hörte ihm nicht zu. Ihre Haut war immer noch so blass und sie wirkte so, als würde sie jeden Moment nicht mehr bei ihm sein. Er spürte ihren Herzschlag, hörte das langsame Pochen, was seiner Meinung nach einfach zu langsam war. Eine Realität die unerträglich für ihn war. Liam war ein Macher. Er dachte nicht unbedingt viel nach, schrieb auch keine Pro/Contra-Listen, er handelte einfach. Und wenn es die falsche Entscheidung war, dann tat er eben alles, um das wieder gerade biegen zu können. Doch nun konnte er nichts tun. Er konnte sie nur zu sich nach Hause fahren. Diese Zeit bis er da angekommen war, musste er wartend überbrücken. Leider gehörte Geduld nicht gerade zu seinen Tugenden. Er wollte Ergebnisse immer sofort sehen, deswegen war er auch nichts fürs Geschäftsleben geeignet. Menas konnte das viel besser. Liam riss die Türe auf, sprang von seinem Sitz, noch bevor der Wagen eigentlich richtig ausgeschaltet war. Doch dafür hatte er nun echt keine Zeit. Er öffnete die hintere Wagentür und hob Leila vorsichtig vom Sitz. Ein Seufzer kam über seine Lippen, denn ihr Zustand hatte sich natürlich nicht verbessert. Sie hing immer noch leblos in seinen Armen. Er eilte mit ihr durch den Flur und die Treppen hinauf. Liam blieb gar nicht im Erdgeschoss stehen, sondern ging direkt weiter ins erste Stockwerk. „Menas! Mutter!“, schrie er auf den Weg dahin. „Liam hier her“, sagte sie sofort und öffnete die Tür zu einem der Gästezimmer. Es war das Zimmer in dem seine Schwester früher immer geschlafen hatte, wenn sie da war. Es war ein wenig mädchenhafter und Liam hatte nie etwas an der Einrichtung geändert. Liam legte Leila vorsichtig auf das große Bett und sah wie klein sie darin wirkte. Dennoch hätte er es lieber zu sehen, wie sie sich in die Kissen kuschelte. Doch das tat sie nicht. „Sie…“ Er spürte die Hand seiner Mutter auf seiner Schulter. „Lass Sie mich ansehen.“ Zuerst wollte er mit dem Kopf schütteln. Niemand, wirklich niemand, sollte Leila zu nahe kommen, doch der sanfte Blick seiner Mutter beruhigte ihn etwas. Sie würde ihr nichts tun, sondern Leila nur anschauen. Vielleicht konnte sie ihr helfen und Leila musste geholfen werden. Er trat nur widerwillig einen Schritt zurück und ließ seine Mutter ans Bett treten. Liam spürte die Wand in seinem Rücken, während er seine Mutter ansah. Sie öffnete den Mantel von Leila und schien sie untersuchen, fühlte ihren Puls und ihre Körpertemperatur. Er wollte etwas sagen, wollte, dass seine Mutter ihm sagte, dass es Leila gut ging. Dass es ihr schon besser gehen würde. Aber er war kein kleines Kind mehr. „Liam“, sagte sie mit ruhiger, aber ernster Stimme. Er trat wieder zu ihr ans Bett und sah Leila an. Sie sah so gar nicht mehr nach der Frau aus, die er kennen gelernt hatte. Er bezweifelte dass das wirklich noch Leila war. Sie war so ein impulsiver und ehrlicher Mensch, nichts im Vergleich zu diesem leblosen Körper. Sanft nahm er ihre Hand in die seine und streichelte mit seinem Daumen über ihre erkaltende Haut. „Du musst dich entscheiden.“ Er wusste, welche Entscheidung vor ihm stand. Und diese hatte e schon gefällt. „Was soll ich tun?“ Er sah seine Mutter nicht an, sondern hatte nur noch Augen für Leila. „Du willst es also wirklich tun? Du weißt was das bedeutet?“ „Ja, das ist der einzige Weg, dass sie überlebt.“ Er sah aus dem Augenwinkel wie seine Mutter nickte. Ja, es war die einzige Möglichkeit die er hatte. „Gut. Ich war selber schon bei zwei Wandlungen dabei gewesen und ich glaube, dass wir das hinkriegen werden.“ Sie legte ihre Hand wieder auf seine Schulter. „Du wirst das schon schaffen. Ich werde hier sein und dir helfen.“ „Mutter, das kannst du nicht zu lassen.“ Menas war in Zimmer getreten und sah seine Mutter entsetzt an. „Menas, das ist nicht deine Entscheidung. Dein Bruder hat sich entschieden.“ „Aber er darf in seinem ganzen Leben nur einen Menschen wandeln und diese Person sollte doch seine…“ „Das ist aber meine einzige Chance, dass sie das hier überlebt“, sagte Liam mit wütender Stimme. „Der Angriff kam von einem Hostus. Verstehst du?“ Er sah ihn fragend an. „Der Hostus hat sie angegriffen, weil er sich an mir rächen wollte. Es ging hier nicht um Leila.“ „Liam…“, seine Mutter konnte die Traurigkeit und die Wut in den Worten ihres Sohnes nicht mit anhören. „Sie war nur Mittel zum Zweck.“ Seine Stimme versagte ihm so langsam. Er drückte ihren Handrücken an seine Lippen. „Hätte ich sie besser beschützt, wäre das hier niemals passiert.“ „Plage dich nicht mit Selbstvorwürfen, Liam. Du solltest dich darauf konzentrieren was du nun vor hast.“ Marissandra sah Menas warnend an, ihr ältester Sohn sollte kein Wort mehr verlieren. Es war genug gesagt worden und ihnen lief die Zeit davon. Wenn Leila gerettet werden sollte, dann musste Liam bald handeln. Sonst wäre ihr Körper zu schwach und würde eine Wandlung nicht mehr überstehen. Sie befanden sich jetzt schon nahe an der Grenze und sie hoffte sehr, dass Leila es schaffte. Wenn sie die Wandlung nicht überstehen würde, dann würde Liam in einen dunklen Abgrund fallen. Das wusste sie als Mutter. Und niemand könnte ihn daraus wieder erretten. Diese Leila hatte ihn schon aus seiner grauen Welt geholt und nun lag sie im Sterben und Liam strafte sich mit den Vorwürfen. „Was soll ich tun?“ Liam kniete vor dem Bett und hielt immer noch Leilas Hand in der seinen. „Konzentriere dich auf das was du vor hast. Du musst alle trüben Gedanken aus deinem Kopf befreien und dich nur auf sie konzentrieren. Sie muss alles sein, an das du denkst.“ Liam nickte. Er würde das hier hinkriegen. Er war noch nie bei einer Wandlung dabei gewesen, aber seine Mutter und sie würde ihn schon leiten. Sie würde nicht zulassen, dass er etwas Falsches tat. „Wenn du sie beißt und ihr Blut aufnimmst, musst du darauf achten, dass du nicht zu viel davon nimmst.“ Sie streichelte Leila über die Stirn und sah dann wieder zu ihren Sohn, der Leila felsenfest ansah. Ja, Liam hatte sich entschieden. Und er würde sich so lange um Leila kümmern, wie es nötig war. „Dann musst du deinen Speichel in ihre Wunde drücken. Liam, es wird nicht leicht sein. Du wirst…“ Doch da sie schon wie Liam Leilas Handrücken an seine Lippen legte. Er küsste es und drehte es dann um, so dass er ihr Handgelenk vor sich hatte und die blauen Adern sah. Auch dort küsste er sie kurz, bevor seine Zähne ausfuhren. Er schloss die Augen und konzentrierte sich darauf nur noch an Leila Sullivan zu denken, als er seine spitzen Zähne in ihre weiche Haut versenkte. Kapitel 9: Kapitel 9 -------------------- Liam Noxus hatte die Augen geschlossen und wusste nicht was mit ihm geschah. Gerade eben war er noch in dem Gästezimmer gewesen, hatte sich vor dem Bett gekniet, in dem Leila lag, und im nächsten Moment war alles dunkel um ihn herum geworden. Plötzlich sah er Millionen von Bildern vor seinem inneren Auge sah. Es waren so viele, dass er sich gar nicht wirklich auf eines konzentrieren konnte und sein Kopf anfing zu schmerzen. Zuerst waren die ganzen Bilder durcheinander, wirbelten in einem Chaos durch das Nichts, und er erkannte keinen Zusammenhang, doch dann schienen sich die Bilder zu sortieren und wollte ihm ihre Geschichte erzählen. Er sah Menschen auf den Bildern, die er nicht kannte und nicht zu ordnen kannte. Er hatte diese noch nie zu vor gesehen. Doch dann hörte er ein schönes Lachen, eins das er kannte. Es war die Stimme von Leila. Auch wenn er sie noch nie bewusst so lachen gehört hatte, sie hatte noch nie über einen seiner Scherze gelacht. Einfach auch deswegen, weil er keine Witze und Scherze machte. Aber er hatte sie lachen gehört, als sie mit ihrer Mutter telefoniert hatte. Er sah ein kleines Mädchen vor sich, dessen kurze blonde Haare wild vom Kopf standen und die ihn mit großen Augen ansah. Sie hatte wunderschöne tiefe blaue Augen, die in der Sonne strahlten. Nein, sie sah nicht ihn an, sie sah in die Ferne und rannte dann auf eine Frau zu, die er als ihre Mutter vermutete, da sie der heutigen Leila sehr ähnlich sah. Liam konnte nicht hören, was sie sagten, doch er hörte nur ihr Lachen. Es war glockenhell und schön. Es war der schönste Klang in seinen Ohren. Allerdings fragte er sich, wo Leilas Vater bei diesem Bild war? Auch die nächsten Bilder des Mädchens war sie nur mit ihrer Mutter und einem älteren Mann zusammen, der vermutlich ihr Großvater war. Liam musste Lachen als er sah, wie Leila im Matsch mit einem Jungen spielte oder wie sie mit ihren kleinen Füßen über eine Wiese rannte und hin und wieder mal ins Gras fiel. Doch sie stand immer wieder auf. Liam wusste nicht warum er diese Bilder sah, aber es waren die Erinnerungen von Leila. Erinnerungen die sie in ihrem Herzen aufbewahrt hatte. Leila war größer geworden, er schätzte sie auf drei Jahre und sie blickte ein Kinderbett, in dem ein Baby lag. Nun tauchte auch ein Mann neben ihrer Mutter auf. Irgendwie mochte Liam ihn vom ersten Augenblick an nicht, auch wenn er nicht wusste warum. Er kannte diesen Menschen doch gar nicht und dennoch sagte ihm sein Bauchgefühl, dass mit diesem Mann etwas nicht stimmte. Das Baby im Kinderbett war vermutlich ihr Bruder. Und wieder lachte das Mädchen. Sie schien glücklich darüber zu sein, einen Bruder zu haben und er wusste schon diesem Moment an, dass sie sich um ihren Bruder kümmern würde. Um ihre Brüder, denn dann sah er sie mit zwei Jungs. Der eine war nur etwas kleiner als der andere. Sie liefen durch die Wohnung und alle lachten. Leila schob den Kinderwagen. Nein sie rannte mit ihm und ihre Brüder lachten, wenn sie das tat. Die Kinder wurden älter und sie mochten sich immer noch sehr. Sie saßen zusammen in ihrem Spielzimmer an einem bunten Tisch und malten, tobten, bastelten oder lachten. Leila wurde eingeschult. Sie trug ein Kleid mit großen bunten Buchstaben darauf und es schien als sei die Schultüte ihr viel zu groß. Und zu schwer. Er verspürte schon fast das Bedürfnis, ihr die Tüte abzunehmen, doch sie schien sich darüber zu freuen, dass diese Tüte so schwer war. Sie lachte und er sah, dass ihre vordere Zahnreihe leer stand. So sah sie viel frecher aus. Das Mädchen schloss schnell Freundschaften, denn sie war ein offenes Kind, das gerne lachte und lernte. Die Schule schien ihr viel Spaß zu machen, doch am liebsten tobte sie zu Hause mit ihren Brüdern rum. Liam fühlte sich wie ein stiller Beobachter dabei, wie das Mädchen größer und größer wurde. Er wusste nicht warum er diese Bilder und Filme vor sich sah und was genau passierte, aber er genoss sie und schaute sich jede Szene genau an. Denn eigentlich wusste er gar nichts über diese junge Frau und nun hatte er zum ersten Mal einen Einblick in ihr Leben. Liam erlebte jeden ihrer Geburtstage. War dabei, als sie Fahrradfahren oder Schwimmen lernte. Wie sie ihren Brüdern vorlas oder wie sie ihre Hausaufgaben machte. Sah welchen Spaß sie in der Natur hatte und wie wissbegierig sie war. Sie wollte alles entdecken und erforschen. Leila war ein glückliches Mädchen, mit einer glücklichen Kindheit würde er sagen, wenn man ihn nach diesen Bildern fragen würde. Auch wenn ihre Eltern sich stritten, versuchte sie fröhlich zu sein. Immer wenn sie sich stritten war sie bei ihren Brüdern und versuchte sie zu beschäftigen. Sie wirkte sehr erwachsen, zu reif für ein Kind, wie er fand. Auch musste sie die beiden jüngeren Brüder aus dem Kindergarten holen, da ihre Mutter nun auch arbeitete, um Geld zu verdienen, da der Vater das Geld verspielt hatte, statt es seiner Familie nach Hause zu bringen. Die kleine Leila machte ihren Brüdern auch das Mittagessen, dabei war Leila erst 10 Jahre alt. Aber sie war immer noch fröhlich und ließ sich diese Heiterkeit nicht vermiesen. Doch dann wurden die Eindrücke dunkler und ernster. Sie war nun dreizehn Jahre alt und irgendetwas passierte mit dem Mädchen, das nicht mit dem glücklichen Mädchen übereinstimmte. Ihr Blick war trauriger. Ernster. Liam hatte das Gefühl etwas verpasst zu haben, doch dann sah er was passiert war oder was passierte. Es war der Blick ihres Vaters, der sich geändert hatte. Und allein dieser Blick reichte für Liam aus, diesen Mann verprügeln zu wollen. Er sah seine Tochter nicht mehr als Kind an. Nein, dieser Blick sagte so viel anderes. Und Leila wusste das. Sie spürte, dass etwas nicht stimmte und er wollte sie anschreien, dass sie um Hilfe rief. Doch ihre Lippen blieben verschlossen, zogen sich zu einer schmalen Linie, statt zu einem Lächeln. Der Vampir wollte wegsehen, als er sah was dieser Mann mit Leila tat, doch er konnte nicht wegsehen, denn er wollte sehen, wie es Leila ging. Wie sie litt. Er sah den tapferen Blick in Leilas Augen. Sie schrie nicht, weinte nicht. Sie sah nur weg und ließ es über sich geschehen, als wäre sie nicht da. Als wäre sie in diesem Moment nicht in ihrem Körper. Liam hörte die Geräusche, die auch sie in diesem Moment hörte und fühlte sich ihr sehr verbunden. Er wollte ihre Hand ergreifen, ihr beistehen, doch er war nur stiller Beobachter. Ihr Blick hatte sich innerhalb weniger Momente so sehr verändert, dass sie wie ein ganz anderes Kind wirkte. Wie eine andere Person. Von diesem Moment an, lachte Leila weniger. Sie war ernster, verbrachte viel mehr Zeit mit ihren Brüdern und verschanzte sich immer wieder in ihr Zimmer und las. Er hoffte sehr, dass Leila sich in diesen Büchern zurückziehen und sich ihre eigene kleine Welt aufbauen konnte. Doch der Moment war nicht der Einzige, der dunkel über ihre Jugend leuchtete. Es geschah immer wieder, dass der Vater sie anfasste und Liam verstand nicht, warum Leila nicht schrie. Warum sie nicht zu ihrer Mutter ging? Warum ließ sie das über sich ergehen? Er verstand sie nicht und wollte ihre Gedanken lesen, doch auch das konnte er nicht. Liam sah nur die Bilder, die in ihren Kopf war, hörte aber nicht die Gedanken die dazu gehörten. Er fühlte sich hilflos und wollte selber schreien. Er wollte seine Stimme für sie erheben. Doch aus seinem Mund kam kein einziger Ton. Liam dachte über diese Geschichte nach, versuchte daraus schlau zu werden, doch da kamen schon die nächsten Bilder. Ihre Mutter und ihr Vater stritten sich heftig und Leila mischte sich ein. Früher hatte sie sich nie eingemischt, doch inzwischen erhob sie ihre Stimme gegen diesen Mann, sagte aber nie, was er ihr antat, wenn ihre Mutter nicht hinsah. Er sah die Traurigkeit in ihren Augen, als sie die wütenden Worte ihres Vaters hörte, doch sie stand ihrer Mutter bei. Sie rief sogar die Polizei und erntete dafür nur wütende Worte von ihrem Vater und ihren Brüdern, die diese Situation nicht verstanden. Das Mädchen versteckte sich in seinem Zimmer und wollte nicht hören, dass es etwas Schlechtes getan hatte. Sie hatte doch nur helfen wollen, das Richtige tun wollen. Sie saß einfach nur da. Auch als die Polizei den Vater mitnahm. Es kam keiner zu ihr, der sich um sie kümmerte. Der sie tröstete und ihr sagte, dass alles gut werden würde. Sie war alleine. Liam spürte wie schrecklich hilflos sich dieses Mädchen gefühlt haben musste. Sie fühlte sich allein. Und wusste nur, dass es stark sein musste. Auch wenn am Ende keiner da war, der sie in den Arm nahm. Leila verließ ihre Heimatstadt mit einer Ernsthaftigkeit, die nichts mehr mit dem Mädchen von früher gemeinsam hatte. Sie fing eine Ausbildung an und lernte fleißig, machte ihr Abitur nach und lernte Sprachen. Sie fing an sich Freunden anzuvertrauen, hatte aber nie besonders viele Freunde. Sie suchte sich ihre besonderen Personen aus. Kate und Anne schienen ihr sehr gute Freundinnen zu sein. Liam hatte auch erlebt wie sie sich Männern anvertraut hatte und enttäuscht wurde. Schrecklich enttäuscht und doch hatte sie nie aufgegeben. Sie stand jeden Morgen auf ein Neues wieder auf und ging auf die Arbeit. Etwas das er bewunderte. Ja, sie war eine starke Frau, auch wenn er nicht ganz verstand, warum sie gewisse Dinge so entschieden hatte. Am Ende schien es zwei Leilas zu geben. Die Eine war die Heitere und Fröhliche, die gerne mit ihren Freunden Grillpartys veranstaltete, mit ihnen kochte oder ausging. Und dann gab es noch die Andere, die saß mit traurigen Augen in ihrer Wohnung und starrte auf Fotos. Fotos aus der Vergangenheit, als sie und ihre Brüder noch jünger waren und alles so einfach schien. Der Vampir kannte diese Frau bis vor kurzem gar nicht und nun hatte er mehr über sie erfahren, als er je geglaubt hätte. Er hatte ihr Leben gesehen. In wenigen Bildern hatte er gesehen wer Leila Sullivan war, wie sie bisher gelebt hatte. Der Vampir Hatte mit ihr Geburtstag gefeiert und war traurig, wenn sie es auch war. Hatte sich über ihre Erfolge und gute Noten gefreut und fand es toll, wenn sie anderen half. Ob es nun mit den Hausaufgaben war oder ihren Brüdern das schwimmen bei brachte. Er hatte geklatscht, als sie wieder aufgestanden war, als sie mit ihrem Fahrrad gestürzt war. Zuerst hatte er ihr helfen wollen, doch dann hatte er gesehen, dass sie von alleine wieder aufstand. Ja, sie stand immer wieder auf. Nun wusste er warum sie so stark war. Auch konnte er nun die Traurigkeit nachvollziehen, die er in ihren Augen gesehen hatte, als er ihr das erste Mal begegnet war. Sie war ein interessanter Mensch und diese Bilder haben dafür gesorgt, dass er sie näher kannte. Aber dennoch gab es so viele Fragen in seinem Kopf. Jetzt mehr als vorher. Und er hoffte, dass Leila Sullivan sie ihm irgendwann beantworten würde. Als er die Augen öffnete, wusste er zuerst nicht wo er war. Dann erkannte Liam das Zimmer als eines der Gästezimmer in seinem eigenen Haus wieder. Er war also immer noch im seinem Haus. Allerdings wusste er nicht, wie er hier hergekommen war und er was er hier wollte. Was hatte er denn bitte in dem Gästezimmer zu suchen? Hier hielt er sich doch sonst auch nicht auf. Dann fiel es ihm langsam wieder ein. „Er kommt wieder zu sich“, hörte er die Stimme seines Bruders und sofort trat seine Mutter in sein Blickfeld. Sie sah ihn besorgt an. Diesen Blick kannte er von ihr. Zu oft hatte er ihn in ihrem Gesicht gesehen, wenn sie ihn ansah. „Wie geht es dir, Schatz?“ Er registrierte, dass er auf dem Sessel im Gästezimmer lag und sah sich langsam im Zimmer um. Er sah seine Mutter und seinen Bruder. Aber irgendjemand fehlte in seinem Blick. Leila, fiel es ihm sofort ein und er wollte vom Sessel aufspringen, doch seine Mutter hielt ihn zurück. „Du solltest langsam machen.“ „Was…“ Doch er nickte schließlich. Irgendwie fühlte er sich etwas benommen und sein Kopf brummte. Waren das Kopfschmerzen? Er hatte in seinem ganzen Leben noch nie Kopfschmerzen gehabt. Gott, jetzt verstand er warum die Leute so sehr auf diese Kopfschmerztabletten bestanden und warum diese immer ein großer Renner in den Apotheken waren. Aber er wusste, dass er selber keine in seinem Haus finden würde. „Wie geht es ihr?“ Marissandra trat zur Seite und Liam konnte auf das Bett schauen. Leila lag unter der schweren Decke und sah immer noch sehr blass aus. Aber sie lebte. Er sah sie wie sich ihr Brustkorb hob und wieder senkte. Das erleichterte ihn wirklich ungemein und es war wie eine Last, die ihm von den Schultern genommen wurde. Ja, er bildete sich sogar ein, dass er nun selber etwas besser atmen konnte. Leila strampelte unter der Bettdecke und drehte sich wild zu Seite. Allerdings konnte sie das nicht so gut. Man hatte ihre Hände über den Kopf an den Pfosten gebunden und er fragte sich was das sollte. Er wollte schon seinen Bruder anschreien, doch er fand nicht die richtigen Worte. Dann sah er den Infusionsständer neben dem Bett. Liam erkannte sofort was sich in dem Beutel befand. Blut. „Sie ist mitten in der Wandlung.“ Er hörte die Worte seiner Mutter nur am Rand und nahm sie kaum wahr. „Wird Sie es überstehen?“, fragte Liam vorsichtig und erhob sich langsam vom Sessel. Das war die wichtigste Frage, die er sich stellte. Er wollte bei ihr sein und dazu musste er aufstehen. Seine Mutter stützte ihn etwas, ließ ihn aber so gleich wieder los, als er auf seinen eigenen Beinen stand. „Das wird sich noch zeigen.“ Ihr Blick fuhr nun selber zu Leila. Sie kannte diese junge Frau nicht und doch konnte sie ahnen, warum Liam so fasziniert von ihr war. „Ihr Körper war sehr geschwächt und ihr Körper kämpft immer noch gegen das Gift an.“ Liam nickte nur schwach und trat zu ihr. Er blieb vor dem Bett stehen und sah in ihr schmerzverzerrtes Gesicht. Es war ein Gift und der Körper versucht immer gegen ein Gift zu kämpfen. Allerdings hatte er ihr dieses Gift gegeben, damit sie überlebte. Was vollkommen ironisch war. „Sie hat Schmerzen“, stellte er fest und wollte ihr helfen. Er wollte ihr etwas von ihrem Leid nehmen. Ihren Schmerz stillen. Sich nützlich machen. „Wir haben ihr schon schmerzlindernde Medikamente zugeführt“, sagte Menas. „Es wird mit dem Blut direkt in ihren Körper gelangen.“ Liam sah seinen Bruder bei den Worten nicht an, sondern blickte nur Leila an. Er wollte sie berühren, wusste aber nicht, ob er das wirklich konnte. Er wollte über ihre Wange streicheln oder ihre Hand in die seine nehmen. Sie schien zu kämpfen und er fragte sich, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Was würde sein, wenn Leila gar keine von ihm sein wollte? Es war Seinesgleichen gestattet nur einen einzigen Menschen in ihrem Leben zu wandeln. Es war eine Regel die der oberste Orden vor langer Zeit ihrem Volk auferlegt hatte. Und das hatte er jetzt getan. Man hoffte natürlich dass man seine Seelenpartnerin wandelnde, damit man kein einsames Leben bis in die Ewigkeit führen musste. Aber er war nicht so naiv, zu glauben, dass Leila seine Partnerin werden würde. Sie mochte ihn schließlich nicht und er hatte sie auch nur gewandelt, weil er nicht zu lassen konnte, dass sie wegen seinem Fehler starb. Und es war sein Fehler gewesen. Kein anderer war an dem Unglück Schuld. Dennoch wollte er sie auch näher kennen lernen, sie faszinierte ihn einfach. „Liam“, er spürte die Hand seiner Mutter auf seinem Arm. Sie sah ihn besorgt an, wie es eben nur eine Mutter tun konnte. „Du solltest etwas zu dir nehmen. Du siehst nicht gut aus.“ „Ich möchte nichts.“ Marissandra nickte und seufzte. Er würde nichts Trinken, wenn er es nicht wollte, das wusste sie. Sie konnte ihn nicht dazu zwingen. Sie war zwar seine Mutter, aber die Jahre wo ihr Sohn wirklich noch auf sie gehört hatte, waren schon sehr lange vorbei. Aber er sah sehr mitgenommen und müde aus. Eine Wandlung war für beide Beteiligten nicht leicht und sie fragte sich, was ihr Sohn gesehen hatte. Sie hatte bisher zwei Wandlungen beobachtet und beide Vampire hatten etwas anderes gesehen. Es waren andere Geschichten und Emotionen gewesen. Und nun wollte sie wissen, was ihr Sohn gesehen hatte. Er war still gewesen, während er sich auf die Wandlung konzentriert hatte. Er hatte kein Stöhnen, noch sonst ein Laut von sich gegeben und sie hatte schon die Befürchtung gehabt, das Liam etwas Falsches getan hätte. Sie konnte nicht in seinen Kopf eindringen, wie sie es sonst immer geschafft hatte. Eine Wandlung war etwas Intimes. Etwas was nur den zwei Personen gehörte, deswegen waren seine Gedanken für sie während der Zeremonie tabu gewesen. Doch dann fing Leila an zu Krampfen und sie wusste das Liam doch das Richtige getan hatte auch wenn es für jemanden Unbeteiligten natürlich nicht so aussehen würde. Aber das Gift fing an sich in Leilas Körper auszubreiten. „Wir können jetzt nur noch warten“, sagte Marissandra und sah zu Menas, der an der anderen Seite des Zimmers stand. Sie wusste, dass er nicht damit einverstanden war, das Liam diese Frau gewandelt hatte. Aber es war die Entscheidung seines Bruders und nicht die seine. Menas steckte nicht in der Haut seines jüngeren Bruders und sollte nicht über ihn urteilen. Auch wenn Liam impulsiver als Menas war, so würde er keine unbedachten Entscheidungen treffen und Liam gehörte zu den Personen, die immer hinter ihren Entscheidungen standen. Er wusste für was er sich entschieden hatte und welche Konsequenzen es für ihn selber haben würde. Menas hatte dem Ganzen still beigewohnt, wollte nicht eingreifen und eigentlich auch gar nicht dabei sein. Doch hatte er das Zimmer nicht verlassen, denn er wusste, das seine Mutter seine Hilfe brauchen würde. Er hatte Liam auf den Sessel getragen, als er das Handgelenk der Frau losgelassen hatte und in sich zusammen gesackt war. Er hatte seinen Bruder nie bewusstlos oder ähnliches erlebt, es hatte immer kleine Wettkämpfe zwischen ihnen gegeben und keiner wollte der Schwächere sein. Und auch wenn Menas seinen Bruder auf den Sessel geholfen hatte, so hatte er sich nicht stärker gefühlt. Er spürte das Liam mit dieser Entscheidung weiter im Leben war, als Menas selber. Liam sah auf seine Armbanduhr und erkannte, dass die Sonne bald aufgehen würde. Die halbe Nacht war schon vorbei und er fragte sich wie lange er weg gewesen war. Er drehte sich um und sah seine Mutter an. „Ihr solltet Euch ausruhen…“ „Liam, du solltest nicht…“ „Mutter, bitte.“ Liam widersprach ihr sonst nicht, aber jetzt musste er es wirklich tun. „Ich bin dir wirklich sehr dankbar, dass du mich bis hierher geleitet hast. Ich bin froh, dass ihr hier seid. Danke. Aber nun solltet ihr schlafen gehen. Legt euch hin und ruht euch aus.“ „Er hat Recht“, stimmte Menas seinem Bruder zu und trat zu Marissandra und legte ihr seine Hand auf die Schulter. „Liam wird schon zu Recht kommen.“ „Du rufst, wenn etwas ist“, bat Marissandra ihren Sohn. Liam nickte. „Ja, das mache ich.“ Er sah nicht wie Marissandra von Menas aus dem Zimmer geführt wurde und die Tür zugezogen wurde. Er hörte auch nicht mehr ihre Stimmen im Flur, bevor sie sich verabschieden und in getrennte Schlafzimmer gingen. Liam kniete sich nur vor dem Bett in dem Leila lag und sah sie an. Sie war wunderschön, auch wenn ihr Gesicht schmerzverzerrt war und er in ihre Vergangenheit gesehen hatte. Leila war für ihn nach den Bildern aus ihrer Vergangenheit noch schöner als sie es vorher schon gewesen war. Liam löste die Stricke und legte ihre Hände an ihre Seite. Sie sollte nicht länger gefesselt sein, auch wenn er nicht wusste, was wirklich auf ihn zu kam. Er nahm ihre Hand in die seine und hielt sie einfach nur fest. Liam sah in ihr Gesicht und glaubte sich einzubilden, dass sie etwas entspannter aussah. Zumindest strampelte sie nicht mehr so sehr mit ihren Beinen. Der Braunhaarige legte den Kopf auf die Matratze und sah ihr ins Gesicht. Er wusste nicht was er nun tun sollte, sondern saß einfach nur da und sah sie an. Er hatte sich dazu entschieden gehabt, sie zu wandeln und er fragte sich ob sie ihn dafür hassen würde. Und wenn ja, wie lange? Er dachte an ihre rotgefärbten Wangen, als er sie das erste Mal gesehen hatte. Da war sie auch sauer auf ihn gewesen und diese Wangen hatten ihr sehr gut gestanden. Aber es lagen Welten zwischen jemanden zu hassen und nur auf jemand sauer zu sein. Aber auch wenn sie sauer auf ihn sein würde oder ihn auch hassen würde, so würde sie leben. Und sie konnte dann auch gerne hunderte von Jahre auf ihn wütend sein. Das wichtige war doch nur, dass sie so viele Jahre noch vor sich hatte. „Leila?“, fing er nach einer Weile an. Er konnte schon als Kind nicht lange ruhig sein und musste Musik hörten oder mit jemanden reden. Er hatte seine Mutter, seinen Vater und auch Menas immer mit unmöglichen Fragen gelöchert. Sie gaben meistens keinen Sinn und er wollte auch nicht unbedingt eine wirkliche Antwort auf diese Fragen, es war ihm einfach nur darum gegangen, dass jemand bei ihm war. Nein, er hatte sie genervt, er war garantiert ein sehr anstrengendes Kind gewesen. Er war schon ausgezogen als Ceallagh, sein zweiter Bruder geboren wurde, geschweige denn als Althaia auf die Welt gekommen war. Aber seine Mutter war mit ihnen bestimmt besser zu Recht gekommen, als mit ihm. Wenn er jetzt so darüber nachdachte, hatte er sich deswegen eigentlich nie Gedanken darüber gemacht. Er hatte es immer für selbstverständlich gehalten, dass seine Mutter für ihn da war und er sich immer an sie wenden konnte. Sie hatte auch immer versucht zu vermitteln, wenn Liam sich mal wieder mit seinem Vater in den Haaren hatte. Dabei ging es Marissandra mit ihrem Ehemann selber nicht so gut. Das wussten sie alle, doch sie konnten nie etwas gegen ihren Vater machen. Und Liam war sogar noch so feige gewesen und hatte früh das Elternhaus verlassen, weil er es nicht mehr ausgehalten hatte. Dabei hätte seine Mutter ihn sicherlich gebraucht. Liam dachte an das Bild des blonden Mädchens, welches alleine in seinem Zimmer saß und sich verkrochen hatte. Sie hatte die Welt nicht mehr verstanden. Hatte die üblen Taten ihres Vaters überstanden und hatte sich für ihre Mutter einsetzen wollen und doch war man ihr böse gewesen. Man hatte sie alleine gelassen, als sie die Polizei anrufen musste. Es muss einfach schrecklich sein, wenn ein Kind bei der Polizei anrief, weil es mit ansehen musste, wie der Vater der Mutter was antat. Liam drückte ihre Hand. „Leila, ich bin hier.“ Er stand auf, weil er sich überlegte, dass diese Position auf Dauer ziemlich unbequem für ihn sein würde. Nachdem er den Infusionsbeutel kontrolliert hatte, das Blut würde noch eine paar Stunden reichen, bevor er den Beutel wechseln werden müsse, ging er um das Bett herum und legte sich zu ihr. Er legte sich seitlich hin und nahm wieder ihre Hand in die seine und schaute noch mal zur Sicherheit nach, dass die Infusionsnadel nicht verrutscht war. Leila schien sich wirklich etwas beruhigt zu haben, was ihn selber auch etwas ruhiger werden ließ. Er hatte den inneren Kampf den sie führte nicht mehr lange mit ansehen können und fragte sich wie lange seine Mutter und sein Bruder ihn beobachten konnten, ohne sich schlecht zu fühlen. Er hatte sich von der ersten Sekunde an so schrecklich hilflos gefühlt, weil er ihr bei diesem Kampf nicht helfen konnte. Dabei kannte er das Kämpfen so gut und war mit jeder Waffe geübt. Und er wollte sie auch beschützen, doch er konnte ihr nicht helfen. Ihr nur bei stehen. „Ich werde nicht weggehen.“ Er hielt ihre Hand an seiner Brust und schloss die Augen. Ihr Puls war zu spüren und dieser Rhythmus beruhigte ihn sehr. Solange er ihn spürte, war sie noch bei ihm. Liam war müde, auch wenn er gar nicht so richtig wusste woher. Schließlich war er ja bis eben weggenickt gewesen. Aber solange er neben ihr lag, würde er sofort spüren, wenn sie sich bewegte. Kapitel 10: Kapitel 10 ---------------------- Leila befand sich in einer Art Dämmerzustand. Sie war nicht wirklich wach, schlief aber auch nicht. Irgendwie lag sie einfach nur da, mit geschlossenen Augen und bekam alles um sich herum mit. Ihr Körper war schrecklich müde und jeder Muskel tat ihr weh. Und doch fühlte sie sich überraschenderweise gut an. Irgendetwas sagte ihr, dass sie froh sein konnte, dass sie sich gut fühlte und dass sie eben jeden Muskel in ihrem Körper spürte. Leila war müde und erschöpft und hatte nicht mal die Kraft, ihre Lider zu öffnen. Sie spürte eine angenehme Wärme neben sich, die sie anzog. Ein Duft drang ihr in die Nase, den sie irgendwoher kannte. Dieser Duft erinnerte sie an jemanden. Aber sie konnte sich nicht daran erinnern, an wen. Unter sich spürte sie weiche Kissen und eine kuschelige Decke. Sie wusste, dass das nicht ihr eigenes Bett war, aber es war ihr egal. Sie hatte keine Kraft irgendetwas dagegen zu tun. Irgendetwas steckte in ihrem Hand. Es fühlte sich wie eine Infusionsnadel an, aber sie konnte die andere Hand nicht heben, sie war zu schwach. Vielleicht war sie im Krankenhaus und man gab ihr eine Infusion und Medikamente. Aber warum? Nicht mal nachdenken konnte sie. Ihr Kopf war wie leer gefegt. Erschöpft wie sie war, entschied sie, dass es besser wäre, wieder einzuschlafen und nicht die Lider zu öffnen. Egal wo sie war, sie war in Sicherheit und es ging ihr gut. Sie lag in einem weichen warmen Bett und auch dieser Duft, der nach einem exotischen Gewürz roch, angenehm nach Nelken und noch irgendetwas, ließ sie wieder in Morpheus Arme fallen. Als sie das nächste Mal aufwachte fühlte Leila sich gleich viel besser. Schon lange hatte sie nicht mehr so gut geschlafen. Irgendwie fühlte sie sich richtig ausgeschlafen, als hätte sie tagelang geschlafen und niemand hätte sie dabei gestört. Sie streckte sich etwas und sofort fiel ihr auf, dass sie nicht in ihrem eigenen Bett lag. Sofort riss sie die Augenlider auf und sah sich um. Das hier waren nicht ihr Bett und auch nicht ihr Zimmer. Wo war sie? Die Gardinen waren zugezogen und doch konnte sie durch ein paar Sonnenstrahlen, welche zwischen der Gardine hindurch schienen, genug erkennen. Sie erinnerte sich an gar nichts mehr, geschweige denn wie sie hier her gekommen war. Als sie an sich herunter sah, registrierte sie auch, dass sie etwas trug, dass nicht ihr gehörte. Sie trug ein Nachthemd. Es war aus Seide und sehr angenehm. Wer hatte ihr so etwas angezogen? War sie vielleicht bei einem Vergewaltiger, der hier nur seine Spielchen mit ihr trieb? Und dieses Zimmer und dieses Nachthemd waren seine Fantasie. Irgendetwas sagte ihr allerdings, dass sie nicht in dem Haus eines Irren war. Das Zimmer war angenehm temperiert und erst jetzt sah sie sich wirklich darin um. Es war groß und sehr mädchenhaft eingerichtet. Es war in einem hellen blau gestrichen und hatte weiße Möbel, die sehr antik und edel aussahen. Außer dem Bett gab es in dem Zimmer noch eine Kommode, einen Frisiertisch und einen Schreibtisch. Außerdem gab es drei Türen in dem Zimmer. Eine war eine Flügeltür und Leila vermutete dass es sich um einen begehbaren Kleiderschrank handelte. Das hier war eindeutig ein Mädchenzimmer. So eins hätte sie als Kind gerne gehabt, aber das hätte sich ihre Mutter niemals leisten können. Sie zog die Decke von sich und sah, dass eine Nadel in ihrer Hand steckte. Sie hatte diese schon öfters gesehen. Man hatte ihr eine Infusion gegeben. Kochsalzlösung oder Medikamente? Eine Infusion? Sie verstand gerade gar nichts. Warum… Dann fiel ihr der Knall wieder ein und sie wollte sich die Ohren zu halten, da es plötzlich in ihrer Vorstellung genauso laut knallte, wie es gewesen war. Es war ein ohrenbetäubendes Geräusch gewesen und man hatte sie angeschossen. Der Knall verschwand wieder genauso so schnell, wie er in ihren Erinnerungen aufgetaucht war. Sie hatte nicht erkannt, wer sie erschossen hatte, aber man hatte mit einer Waffe auf sie gezielt und abgedrückt gehabt. Den Einschuss hatte sie gar nicht gespürt gehabt, es war so schnell gegangen. Aber sie erinnerte sich an den Schmerz. Sie hatte sich nicht mehr bewegen können. Die warme Flüssigkeit war zwischen ihren Fingern herausgequollen. Sofort zog sie das Nachthemd hoch und starrte auf ihren Bauch. Doch sie sah nichts. Er sah so aus wie immer. Da war weder eine Narbe noch ein Pflaster oder sonst ein Verbandsmaterial. Hatte sie sich das etwa eingebildet? War sie vielleicht im Koma gewesen? Und wenn ja, wie lange? Es musste schließlich verdammt lange gewesen sein, damit die Wunde verheilen konnte. Aber eine Narbe hätte dennoch da sein müssen. Wenn sie im Koma gewesen wäre, wo war sie dann hier? Diese Frage wurde ihr noch immer nicht beantwortet. Das hier war eindeutig kein Krankenhaus. Und eine private Einrichtung konnte sie sich nun wirklich nicht leisten. Leila starrte auf die beiden Türen und wusste, dass sie sich doch eh nicht mehr ins Bett legen würde, um darauf zu warten, bis irgendjemand zu ihr kam, der ihr alles erklärte. Sie wählte die Tür der Flügeltür gegenüber, welche wirklich einen begehbaren Kleiderschrank beinhaltete. Die Tür führte sie in ein angrenzendes Badezimmer, wie sie erkannte, als sie das Licht anknipste. Das hier war wirklich ein Traum von einem Badezimmer. So sahen die Badezimmer immer in Katalogen aus. Das Mobiliar passte perfekt zueinander, alles ergänzte sich und es wurde mit hellen und dunklen Farbakzenten gespielt. Es war genauso edel eingerichtet, wie das Schlafzimmer. Die Armaturen sahen sehr teuer aus und die Hähne waren mit Gold überzogen. Das hier konnte sie sich wirklich nicht leisten. Sie trat an den Spiegel und sah hinein. Ein wenig überraschte es sie schon, als sie ihr eigenes Spiegelbild sah. So sah sie aus, das war wirklich sie. Ihre Haare waren nicht länger und ihr Gesicht hatte keine Falten oder ähnliches bekommen, während sie in diesem Bett, in diesem fragwürdigen Zimmer, geschlafen hatte. Irgendwie hatte sie schon vermutet, dass das hier etwas wie „Freaky Friday“ wäre oder so etwas ähnlich und sie mit irgendjemand den Körper getauscht hatte. Das würde zumindest erklären warum sie in einem fremden Zimmer aufwachte und nichts wieder erkannte. Es konnte natürlich auch sein, dass sie eigentlich noch schlief. Genau! Dann sollte sie aber auch wirklich wieder ins Bett gehen und hoffen, dass sie wieder in ihrem eigenen Bett aufwachen würde. Andererseits gab es noch eine weitere Tür, diese würde sie vielleicht zu einem Flur führen. Und wenn es ein Traum wäre, wäre diese verschlossen oder dahinter befand sich eine Wand. Leila Sullivan zögerte, bevor sie die Klinke nach unten drückte. Sie war nicht verschlossen und vorsichtig öffnete Leila die Tür. Es befand sich auch keine Wand dahinter, sondern ein langer Flur, der nur schwach beleuchtet war. Den Gedanken mit dem Traum hatte sie schon verworfen, denn Träume wirkten nicht so real. Und das hier war eindeutig real, denn die Nadel die in ihren Handgelenk steckte, tat gerade weh. Und man hatte keine Schmerzen in Träumen, das wusste ja wohl jeder. Vorsichtig und barfuß schaute sie aus dem Flur und entdeckte vier weitere Türen. Die Zimmer gingen nur in eine Richtung des Hauses, was sie eine komische Konstruktion fand, aber na gut. Sie hatte von Architektur genauso viel Ahnung wie Barack Obama von Ikebana. Sie ging einen Schritt nach vorne und stand nun schon halb im Flur. Allerdings nur mit einem Fuß, damit sie immer noch schnell wieder in ihr Zimmer flüchten konnte. Anscheinend war das obere Stockwerk auf einer Art Galerie angebracht, denn sie sah, dass das schwache Licht von unten kam. Einen Moment lauschte sie in das Haus hinein und hörte Stimmen, die aber von unten kamen, also konnte sie sich erlauben noch einen Schritt weiter zu gehen. Sie sah sich die Türen an und erwartete schon, dass gleich eine davon aufgehen würde und man ihr einen Schreck einjagen würde. Doch keine der Türen ging auf. Wenn das eine Privatklinik war, dann würden hinter den Türen bestimmt auch Patienten liegen. Falls sie eine Patientin war. Falls sie hier im Haus eines Vergewaltigers war, dann hätte dieser bestimmt die Tür zu ihrem Zimmer abgeschlossen, damit sie nicht abhauen konnte. Also wieder ein Grund, diese Theorie zur Seite zu schieben. Sie war nicht im Haus eines Irren. Auch wenn ihre Erklärung dafür nicht gerade aus handfestem Material bestand, ging sie doch davon aus, dass sie einfach Recht hatte mit ihrer Überlegung. Als sie über den Flur schlich, war sie froh dass die Dielen nicht quietschten. Der Boden sah eh sehr neu und vornehm aus. Das war ihr schon in ihrem Schlafzimmer aufgefallen. Jemand hatte vor kurzem eine Menge Geld darin investiert, dieses Haus zu renovieren. Mit langsamen Schritten kam sie der Treppe näher und lauschte wieder den Stimmen. Sie setzte sich auf die oberste Stufe und versuchte etwas mehr zu erkennen. Unter ihr befand sich wohl direkt das Wohnzimmer. Aber die Stimmen waren zu leise als dass sie glaubte, die Personen befänden sich direkt dort. Vorsichtig rutschte sie eine Stufe nach unten, doch mehr konnte sie nicht erkennen. Also noch eine Stufe. Und noch eine. Nun konnte sie das Zimmer erkennen. Es sah aus wie ein Vorzimmer oder so etwas Ähnliches. Dort gab es eine große Couch und viele Bücherregale. Das Licht kam von der Lampe, das neben einem Sessel stand. Die ganzen Möbel sahen verdammt antik aus, aber auch sehr bequem. Wer auch immer hier wohnte, musste eine Menge Geld besitzen. Sie sah allerdings keine Person. Von dem Zimmer aus gab es noch drei weitere Türen. Eine war offensichtlich die Haustür. Dann gab es eine Flügeltür, hinter der sie die Stimmen vermutete, da unter der Tür Licht hervor trat. Auch wenn sie nun etwas von der Wohnung gesehen hatte, wusste sie immer noch nicht wo sie war und was sie hier wollte. Leilas Blick ging zur Wohnungstür. Vielleicht sollte sie einfach abhauen. Aber man schien sich gut um sie gekümmert zu haben. Ihr Haar war gekämmt, sie hatte ein Nachthemd an und man hatte ihr Infusionen gegeben. Dass Bettzeug hatte so wundervoll gerochen und sie hatte sich in dem Bett sehr wohl gefühlt. Sie sollte sich zumindest bei den Leuten bedanken, bevor sie einfach ging. Ein gewisses Maß an Anstand besaß sie auch. Also würde sie nicht direkt das Weite suchen. Nur mit einem Nachthemd begleitet, wäre eh keine so gute Idee gewesen. Dann hätte man sie schneller sonst irgendwo eingesperrt, bevor sie überhaupt das Wort ‚Freiheit‘ hätte aussprechen können. Das war also keine gute Alternative. Sie rutschte eine weitere Stufe nach unten und hielt die Flügeltür im Visier. „Liam, wir müssen darüber wirklich reden“, sagte Marissandra mit ernster Stimme. Sie hatten ihren Sohn bisher diese Sache alleine angehen lassen. Doch nun musste sie sich wirklich einmischen. Das hier würde noch in einem großen Chaos enden. Ein Glück hatte sie Urlaub haben wollen und war Liam besuchen gekommen. Wer weiß was er ohne sie gemacht hätte. Dann wäre das hier bestimmt nicht so gut ausgegangen. „Worüber denn?“, fragte er genervt. Liam stand am Kamin, stützte sich mit dem Ellenbogen ab und starrte ins Feuer. Seine Mutter und Menas saßen auf der Couch und tranken Tee. Nein, sie hatten ihn inzwischen ausgetrunken. Was er schrecklich fand, denn solange sie ihren Tee gehabt hatten, hatten sie ihn mit Fragen in Ruhe gelassen. „Über die Frau vielleicht“, meinte Menas. „Sie heißt Leila. Leila Sullivan“, sagte Liam ernst, sah seine Familie aber nicht an. Natürlich wusste er, dass er irgendetwas entscheiden musste. Handeln. Nachdenken. Aber er konnte nicht. Er wusste nicht, was er entscheiden sollte. Wie er sich entscheiden sollte. Das hier war absolutes Neuland für ihn. Außerdem er wollte nicht einfach über ihren Kopf hinweg entscheiden. „Gut, dann lass uns über Leila reden.“ Menas betonte ihren Namen besonders sehr, was Liam aufseufzen ließ. „Sie wird nicht mehr lange dort oben…“ „Ich weiß selber, dass Sie nicht mehr lange schlafen wird“, unterbrach Liam seinen Bruder. Er war erleichtert gewesen, als seine Mutter ihm gesagt hatte, dass Leila die Wandlung überstehen würde und den gröbsten Teil überstanden hatte. Sie hatte ihren Sohn überrascht gehabt, weil sie einfach ins Zimmer gekommen war, während er neben Leila im Bett gelegen hatte. Doch Marissandra hatte nur gelächelt und Leila das Pony aus dem Gesicht gestrichen. „Gut. Leila ist berufstätig“, fing seine Mutter an und fragte Liam. „Ja, natürlich ist sie das.“ Welche Frau war das heute nicht mehr? Diese Frage erübrigte sich heute eigentlich. „Gut, dann sollten wir uns darum kümmern.“ „Um was?“, fragte Liam und sah Marissandra fragend an. „Liam, Leila arbeitet in einem Labor. Mit vielen Menschen zusammen“, erklärte Menas. „Sie wird das eine Zeitlang nicht machen können.“ „Dann wird Sie eben noch länger krank sein“, schlug Liam vor. Er hatte doch keine Ahnung was er zu tun hatte. Was man von ihm erwartete. Er war nun mal kein Theoretiker und hatte keine Lust sich mit seiner Mutter und seinem Bruder über Leila zu unterhalten. Er wollte einfach nur wieder zu ihr hoch gehen und nach ihr sehen. Doch Menas hatte Liam in die Dusche gesteckt, während Marissandra Leila etwas anderes angezogen hatte. Er war seiner Mutter sehr dankbar gewesen. Sie hatte sich rührend um Leila gekümmert und alles getan, was er nicht machen konnte. Sie zum Beispiel waschen oder ihr was anderes anziehen. „Liam, ich…“, fing seine Mutter an, doch Liam sah sie dafür sauer an. „Gut. Dann reden wir über etwas anderes.“ „Was gibt es denn noch zu besprechen?“ Nahm dieses Thema denn nie ein Ende. „Was ist mit ihrer Wohnung?“ „Ihrer Wohnung?“ Liam sah seine Mutter fragend an. Was sollte damit sein? Sollte er sich nun noch darum kümmern, dass die Blumen gegossen werden? Wohl kaum. „Es geht mir nicht um ihre Blumen und Pflanzen“, sagte Marissandra und gab damit offen zu, dass sie wieder die Gedanken ihres Sohns gehört hatte. „Aber sie bekommt Post. Sie braucht auch etwas zum Anziehen. Etwas was zum Anziehen. Ganz sicherlich will sie nicht ewig die Kleidung deiner Schwester anziehen. Außerdem kann Menas nicht ewig in ihre Wohnung fahren und den Kater füttern.“ „Was soll ich denn machen?“, fuhr er sie an. „Welche Entscheidung willst du von mir hören, Mutter? Was soll ich deiner Meinung nach entscheiden?“ Marissandra seufzte. „Vielleicht kannst du das auch Leila fragen.“ „Sie schläft immer noch, falls du das vergessen hast.“ Liam seufzte und fuhr sich durchs Haar. „Nein, das tut sie nicht“, sagte Menas. „Wie?“ Liam sah an die Decke und fragte sich warum er nicht gehört hatte, dass sie aufgewacht war. Er sollte zu ihr hoch gehen. Doch was sollte er ihr dann sagen? Wie sollte er ihr erklären, wo sie war? „Sie steht schon seit ein paar Minuten vor der Tür“, sagte Marissandra und stand auf. Sie ging zur Tür des Wohnzimmers und öffnete die rechte Flügeltür. „Leila, Liebes, möchten Sie nicht zu uns rein kommen?“ Liam hatte es die Sprache verschlagen. Warum hatten sein Bruder und seine Mutter gewusst, dass Leila vor der Tür gestanden hatte? Er selber hatte das nicht gespürt. Er konnte sich doch sonst auch immer so gut auf seine Sinne verlassen. Warum jetzt nicht? ‚Du kannst ihre Gedanken nicht hören, Bruder‘, sagte Menas in Gedanken zu seinem Bruder und sah diesen nicht an. Denn Menas sah zu seiner Mutter, die Leila ins Wohnzimmer führte. Liam schluckte als er Leila ansah. Und vor allem als er sah, was sie anhatte. Sie trug ein beigefarbenes Nachthemd, das ihr bis knapp über die Knie ging. Es zeigte allerdings mehr von ihrer schönen Figur, als das es irgendetwas vor seinen Augen versteckte. Sie sah wundervoll aus, doch hätte er es besser gefunden, wenn sie ein bisschen mehr Kleidung am Körper anhätte. So konnte er sie doch nicht ansehen. Er wusste nicht mehr was er sagen wollte. Was er sagen sollte. Was er ihr sagen sollte. Hatte seine Schwester keine Baumwoll-Schlafanzüge haben können, die seine Mutter Leila hätte anziehen können. Dieses Teil lag wie eine zweite Haut auf ihren Körper und verdeckte eigentlich gar nichts von ihren himmlischen Rundungen. Er musste weg sehen, denn sonst würde er sich noch überlegen, was er alles mit Leila in diesem Nachthemd anstellen konnte. Und diese Gedanken in der Gegenwart seines Bruders und ihrer Mutter waren eindeutig nicht passend. „Wie geht es Ihnen, Leila?“ „Danke. Sehr gut“, antwortete sie. Die Verwirrung war deutlich in ihrer Stimme zu hören und er konnte es ihr nicht mal verübeln. „Wer sind Sie?“ Sie sah zu Marissandra und Menas. Sie hatte diese beiden Menschen noch nie in ihrem Leben gesehen, doch vor allem Marissandra lächelte Leila sanft an, als würde sie Leila schon eine Weile kennen. „Entschuldige, mein Kind. Wie unhöflich von uns.“ Marissandra führte Leila zur großen Couch und ließ sich mit ihr nieder. „Mein Name ist Marissandra und das neben dir ist Menas.“ Dann sah sie zu Liam und lächelte ihren Sohn an. „Liam, kennst du ja schon.“ Kapitel 11: Kapitel 11 ---------------------- Leila sah zu Liam, als Marissandra auf ihn wies und wusste nicht so Recht was sie denken sollte oder was sie zu ihm sagen sollte. Sie hatte seine Stimme schon von der Treppe aus wieder erkannt und hatte sich gefragt, ob sie vielleicht in seinem Haus war. Aber sie konnte sich einfach an nichts erinnern. Es kam ihr so vor als hätte sie ein Black Out gehabt. Ab dem Schuss bis sie eben aufgewacht war. Da war ein großes schwarzes Loch in ihrem Kopf. Sollte sie ihm vielleicht dankbar sein? Sollte sie ihn fragen, warum sie hier war? Wie sie hier her gekommen war? Doch als sie den Blick sah, mit dem er sie ansah, fühlte sie sich irgendwie schlecht. Es war so, als wolle er sie nicht hier haben. Als war sie ein unerwünschter Gast und sie hatte den Drang, wieder aufzustehen und einfach wieder nach oben in das Zimmer zu gehen, in dem sie aufgewacht war. Aber damit wären ihre Fragen immer noch nicht beantwortet gewesen. Und sie brauchte endlich Antworten. Leider konnte sie sich diese Antworten nicht selber beantworten, sonst hätte sie das getan. „Wo bin ich hier?“, fragte Leila schließlich. Das war die Frage, die wohl als aller erstes am Wichtigsten war. „Du bist bei Liam zu Hause, mein Liebes.“ Leila sah Marissandra verwirrt an und fragte sich warum diese Frau so sanft und beruhigend mit ihr sprach. Sie hatte auch Leilas Hand ergriffen und hielt sie fest auf ihrem Oberschenkel. Nicht das Leila ihre Hand wegziehen wollte, aber es war doch etwas komisch. Sie kannte diese Personen doch gar nicht. Gut, Liam war sie nun zwei Mal, okay vielleicht drei Mal, begegnet. Aber warum tat Marissandra so, als würde sie Leila schon ewig kennen? Hatte sie irgendetwas nicht mitbekommen? „Das hier muss sehr verwirrend für dich sein“, meinte Marissandra neben ihr. Leila blinzelte kurz und nickte dann. „Ja, ich… ich erinnere mich an nichts mehr. Ich weiß nicht…“ „Ist das normal?“, fragte Liam sofort und sah seine Marissandra unruhig an. Leila sah Liam überrascht an, der sie unterbrochen hatte. Er schien bei dieser Frage richtig besorgt zu sein. Aber Leila verstand nicht warum? Sie war eh der Überzeugung, dass ihr Gehirn noch nicht ganz wieder auf Hochtouren arbeitete und irgendwie war eine Art Nebel um sie herum lag, aus den sie nur Schritt für Schritt raus gehen konnte. „Liam hat sich gut um dich gekümmert, Liebes.“ „Wie?“, fragten Liam und Leila gleichzeitig, beide waren vollkommen überrascht über diese Worte. Liam war allerdings darüber überrascht, dass seine Mutter so etwas einfach sagte und Leila deswegen, weil sie das hier irgendwie gerade alles überraschte. Das war eindeutig zu viel für ihren müden Kopf. Warum kümmerte sich jemand um sie, der sie eigentlich gar nicht kannte? Oder kannte nur sie ihn nicht? Litt sie vielleicht unter Amnesie. Da gab es doch mal diesen Film, wie hieß er noch gleich. „Lass das bitte“, meinte Liam und sah Marissandra ernst an. ‚50 erste Dates‘, genau so hieß der Film. Ihr Gehirn brauchte wirklich etwas länger um zu arbeiten. „Ja, Leila“, anscheinend ignorierte Marissandra den Einwurf von Liam. „Während du dich erholt hast, ist er nicht eine Minute von deiner Seite gewichen.“ Marissandra lächelte bei den Worten und sah Leila liebevoll an. „Wir mussten ihn von dir zerren, damit er sich selber mal ein paar Minuten ausruhte.“ Dieser Blick erinnerte Leila an den Blick einer Mutter, an ihre eigene Mutter. Mütter sahen ihre Kinder immer so sanft an. Da fiel ihr ein, dass sie gar nicht wusste, wie diese drei Personen zu einander standen. Sie sah sich sehr ähnlich, deswegen schloss sie eine Verwandtschaft nicht aus. Aber sie sahen noch alle sehr jung aus. Vielleicht waren sie Geschwister oder sie waren Cousinen. „Lass das“, meinte Liam, denn es war ihm sichtlich peinlich, dass die Frau, die sich Leila als Marissandra vorstellte, das sagte. Marissandra… dieser Name klang irgendwie seltsam. Irgendwie sehr alt, dabei sah sie nicht wirklich älter aus, als 25 Jahre. Vielleicht war sie auch schon Anfang 30. Aber Leila fand schon immer, dass sie schlecht im Schätzen des Alters war. Der Name Menas klang auch merkwürdig. Solche Namen hatte Leila noch nie gehört. Liam klang auch nicht alltäglich, aber sie hatte den Namen irgendwo schon mal gelesen gehabt. In irgendeinem Buch, ihr fiel allerdings gerade nicht ein, in welchem. Die Namen Marissandra und Menas hatte sie allerdings noch nie gehört. Sie sah die Beiden an und irgendwie sahen sie auch Besonders aus. Sie waren so hübsch und schön, hatten eine reine Haut und schienen keine äußerlichen Makel zu haben. Liam hatte breitere Schultern als Menas, vermutlich trainierte Liam sehr viel mehr. Sie sahen alle drei toll aus, vielleicht waren sie Models. Bestimmt. Leila fühlte sich etwas unscheinbar neben ihnen, doch das schien keinen zu interessieren. Sie sollte sich aber auf das wesentliche konzentrieren. „Ich habe mich erholt?“, fragte Leila und sah fragend zu Marissandra und versuchte wieder auf das Gespräch zurück zu kommen. „Ja, du hast lange geschlafen.“ „Lange…“ Sie verstand bald gar nichts mehr. Was war denn das bitte für eine Zeitangabe? „Wie lange?“ War sie vielleicht doch im Koma gewesen? Hatte sie Jahre geschlafen? Wie ging es ihrer Familie? Was war mit ihrer Arbeit? Mit ihrer Wohnung? Mit Tuxedo? Oh, ihr wurde plötzlich etwas schwindelig. Sie rieb sich die Schläfe, denn der Nebel schien wieder etwas dichter in ihrem Kopf zu sein. Sie sollte nicht zu viel nachdenken und sich langsam an einzelne Gedanken herantasten. Immer eins nach den anderen. „Leila, ist alles in Ordnung?“, fragte Liam und Leila sah ihn überrascht an. Es war nun das erste Mal, dass er sie direkt ansprach, seit sie ins Wohnzimmer gekommen war. Sie hatte sogar das Gefühl gehabt, dass er ihren Blicken ausgewichen war. Dann verstand sie allerdings nicht, warum er nicht von ihrer Seite gewichen sein sollte. Das passte irgendwie gar nicht zusammen. Es passte vieles nicht zusammen und wenn ihr Kopf nicht so schnell meckern würde, wenn sie zu viel nach dachte, würde sie das auch tun. Nachdenken. Überlegen was logisch war. Grübeln bis sie endlich zu einer Antwort kommen würde. Jetzt wich er ihrem Blick nicht aus, sondern sah sie sehr ruhig an. In seinen Augen konnte sie Sorge sehen und sie fragte sich, warum er sie so ansah. Sie hatte seine blauen Augen nie so sanft wahrgenommen. Auf dem Foto waren sie wild und silbern gewesen. Sie hatten das Mondlicht gespiegelt, als wäre er eine Kreatur der Nacht, wie eine Katze. Als sie ihn in ihrer Wohnung angetroffen hatte, hatte sie nicht wirklich auf seine Augen geachtet, wusste aber, dass sie blau waren. Und als er sie diese eine Nacht mit dem Auto abgeholt hatte, war es zu dunkel gewesen, als dass sie seine Augenfarbe noch mal hätte sehen können. Doch jetzt sah sie darin Wärme und fühlte sich zu ihnen hingezogen. Das war aber auch etwas, was ihr Angst einjagte. Also nickte sie schnell und sah weg. „Wie lange habe ich geschlafen?“ „Ein paar Tage, Liebes.“ Marissandra erklärte das wie in einem beiläufigen Satz. Als wäre es nicht so wichtig oder etwas alltägliches. So langsam machte sie diese Ruhe in Marissandras Stimme etwas sauer. „Tage?“, fragte Leila entsetzt und versuchte sich daran zu erinnern, welcher Tag es an ihren letzten Erinnerungen war. Es war Samstag gewesen. Am Vormittag war sie zu Anne gegangen und war dort bis zum Nachmittag gewesen. Abends hatte sie sich dann auf den Weg gemacht, weil sie zu dem Treffen wollte. Diese Karte. Sie sah Liam fragend an. Er hatte ihr diese Karte geschrieben. Nein, es war mit seinem Namen unterschrieben gewesen. Doch als Liam ihren Blick spürte und sie ebenfalls ansah, sah sie wieder weg. Sie wollte ihn fragen, was es damit auf sich hatte, aber sie traute sich irgendwie nicht. „Liam hat dich Samstagnacht gefunden“, erzählte Marissandra und das stimmte soweit mit Leilas letzter Erinnerungen über ein. Wenigstens etwas. Das konnte man ja dann wohl als kleinen Erfolg gelten lassen. „Und nun haben wir Mittwoch“, sagte Menas, der Mann der bisher noch gar nichts gesagt hatte. „Mittwoch?“, fragte Leila entsetzt. Sie hatte drei Tage auf der Arbeit gefehlt? Sie musste auf die Arbeit gehen, vermutlich hatte man ihr schon gekündigt und sie konnte nur noch ihre Sachen abholen kommen, weil sie sich nicht krankgemeldet hatte. Vielleicht hatte man eine Suchaktion gestartet? „Nein, meine Liebe, wir haben uns um alles gekümmert.“ Sie tätschelte ihre Hand. „Und es gibt keine Suchaktion. Ihrem Chef wurde mitgeteilt, dass Sie die Woche krank sind.“ Sie sah Marissandra überrascht an, hatte sie diese Worte eben etwas laut ausgesprochen. Eigentlich hatte sie geglaubt, es nur in Gedanken gedacht zu haben. „Aber…“ „Sie müssen sich wirklich um nichts kümmern, Leila. Ruhen Sie sich noch etwas aus“, damit ließ sie Leilas Hand los und stand auf. „Menas, wir sollten etwas Einkaufen gehen. Leila wird bestimmt Hunger haben. Also sollten wir Ihr etwas Kochen.“ „Nein, dass müssen Sie nicht.“ Leila sah Marissandra fragend an, doch diese war schon zur Wohnzimmertür gegangen. Und Menas folgte ihr. „Man sollte Ihr diesen Wunsch erfüllen“, meinte Menas nur und nickte Leila zu. Er zog die Flügeltür hinter sich wieder zu und ließ Leila somit mit Liam zurück im Wohnzimmer. Sie sah noch eine Weile zur Tür, doch sie wusste, dass sie nicht ewig dahin starren konnte. Allerdings wusste sie auch nicht was sie sagen oder tun sollte. Die Situation war einfach merkwürdig. Also sah sie zum Kamin, der die Wärme in den Raum brachte. Das Licht flackerte und sie hörte es knistern. Das Feuer hatte etwas Beruhigendes an sich. Sie erinnerte sich an diesen einen Sommer, den sie im Zeltlager verbracht hatte. Es war ihr erstes Zeltlager gewesen und dabei war sie schon zwölf Jahre alt gewesen. Alle anderen waren mit ihren Eltern nach Spanien oder Italien gereist, doch das konnte ihre Mutter nicht bezahlen. Aber für Leila war dieses Zeltlager wunderbar gewesen. Sie hatte Freunde kennen gelernt und sehr viel über die Natur gelernt. Man hatte ihr gezeigt, welche Fähigkeiten in ihr steckten und das sie alles erreichen konnte, wenn sie es nur wollte. Abends hatte es immer ein Lagerfeuer gegeben und man hatte über den Tag gesprochen und sich lustige Geschichten erzähl. Das Feuer entspannte sie und sie vergaß vollkommen, dass sie nicht alleine im Raum war, bis sie Liam räuspern hörte. Es überraschte sie irgendwie, dass er doch noch im Raum war. Sie hatte ihn gar nicht mehr registriert, doch er schien sie die ganze Zeit angesehen zu haben. „Ist Ihnen kalt?“ „Nein“, antwortete sie ihm und sah wie er ihren Körper musterte, nachdem er nach ihrer Antwort genickt hatte. Sie sah an sich herunter und bemerkte erst jetzt, dass sie nur dieses Nachthemd trug. Himmel, sie hatte in diesem Aufzug bei fremden Menschen gesessen. Als sie das Zimmer verlassen hatte, hatte sie Ärzte oder Ähnliches im Haus erwartet. Menschen, vor denen man sich in diesem Aufzug nicht schämen musste. Doch nun lief sie rot an, als sie daran dachte, dass Liam und die zwei anderen sie nur im Nachthemd gesehen hatten. „Aber vielleicht sollte ich…“ Sie konnte gar nicht so schnell reagieren, da hatte Liam seinen Platz schon verlassen und reichte ihr eine Decke, die er von irgendwo hergezaubert hatte. Sie faltete sie auf und legte sie sich um die Schultern, so dass sie nun darin eingewickelt war und man eigentlich nur noch ihren Kopf sah. Die Decke war weich und kuschelig an. Sie lächelte leicht und sah Liam dankend an. „Gut“, meinte er und schien zu überlegen, ob er sich wieder in die Nähe vom Kamin hinstellen oder sich auf die Couch setzen sollte. Leila beobachtete diesen Vorgang und sah, dass er sich für eine Zwischenlösung entschied, denn er setzte sich auf den Sessel, der zwischen Couch und Kamin stand. Beide schwiegen, was ihn an die Situation im Auto erinnerte, als er wegen ihrer Autopanne zu ihr gefahren war, um ihr zu helfen. Im Auto hatten sie einen Moment auch kein Gesprächsthema gehabt, bis Leila angefangen hatte, Fragen zu stellen. Sie hatte ihn gefragt, ob er zu den Guten gehörte. Und nun fragte er sich, ob sie diese Antwort immer noch so akzeptieren würde, wenn er ihr sagte, was passiert war. Er hatte eine Entscheidung getroffen, ohne sie zu fragen. Gut, er hatte sie schließlich gar nicht fragen können und hoffte, dass sie ihn nicht hassen würde. Er verlangte ja gar nicht, dass sie von nun an seine Seelenpartnerin sein sollte. Er hatte nur gewollt, dass es ihr gut ging. „Ich verstehe das alles nicht“, sagte Leila schließlich. Liam überraschte es nicht, dass Leila wirklich die Erste war, die das Gespräch anfing. Er sah sie an und nickte. „Ich weiß.“ Inzwischen konnte er sie auch ansehen, ohne mit nicht jugendfreien Gedanken in seinem Kopf zu kämpfen. Schuld daran war allein dieses Nachthemd gewesen. Doch nun hatte sie diese Decke um ihren Körper und er konnte ihre weiche Haut nicht mehr sehen. Leila sah zu ihm herüber und er sah in ihre blauen Augen. Sie hatten immer noch so ein tiefes Blau gehabt wie vorher. Er hatte nicht gewusst welche Veränderungen eine Wandlung mit sich bringen würde, doch hatte er gehofft, dass sie ihre Augenfarbe behalten würde, weil er diese so sehr mochte. „Warum erklären Sie mir nicht, warum ich hier bin.“ Liam nickte. „Ja, das sollte ich wohl.“ Er sah sie ruhig an, sprach aber nicht weiter. Es war so schwer die richtigen Worte zu finden, zu erklärten dass sie jetzt ihr Leben nach einer anderen Uhr führen musste. Das er sie zu einem Wesen von sich gemacht hatte, ohne sie gefragt zu haben. Er glaubte nicht, dass Leila zu den Menschen gehörten, die schwach waren und ihr Partner für sie immer alles entscheiden musste. Nein, sie schien ein Mensch zu sein, der immer seine eigenen Entscheidungen fällte. „Vielleicht sollten wir uns dazu erst mal das ‚Sie’ weglassen“, schlug er vor und hoffte, dass sie es auch annahm. Zuerst war sie über seine Worte etwas überrascht, weil sie eindeutig etwas anderes erwartet hatte. Vielleicht eine Erklärung. Eine Antwort auf ihre viele Fragen, aber schließlich nickte Leila. „Okay“, sie streckte ihm ihre Hand hin. „Hi, ich bin Leila Sullivan. Nenn mich einfach Leila.“ Liam musste schmunzeln. Ganz so hatte er sich das nicht vorgestellt, aber er fand es lustig. Sie war lustig. Nein, sie war etwas Besonderes. Das wusste mit jeder Stunde umso mehr, die er mit ihr verbrachte. Er wusste dass er mehr von ihr wissen wollte, sie in seiner Nähe haben wollte. Doch das war verrückt und er musste diesen Gedanken unterdrücken. Leila hatte Fragen und es war seine Aufgabe, sie ihr zu beantworten. Liam nahm ihre Hand entgegen und lächelte sie an. „Hallo Leila. Ich bin Liam und ich bin derjenige, der deine Fragen beantworten kann.“ „Okay…“, sagte sie nur, als sie das hörte und stellte sich darauf ein, dass nun etwas Schreckliches kommen würde. Eben das sie an einer besonderen Form von Amnesie litt, von der sie nichts wusste, eben wegen dieser Amnesie. Vielleicht verdrängte sie gewisse Dinge einfach, weil sie zu schrecklich waren. Das war doch etwas, was Psychologen bei Kindern festgestellt hatten, die unter besonderen Traumatas zu leiden hatten. Aber sie war kein Kind mehr. Liam ließ ihre Hand nur widerwillig los und zog seine Hand wieder zurück. Er legte den Kopf in den Nacken und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. Natürlich hatte er sich Gedanken darüber gemacht, was er ihr sagen würde. Wie er es ihr sagen würde. Er hatte bestimmte Worte auswendig gelernt, doch jetzt schienen ihm alle unpassend zu sein. „Das Letzte an das ich mich erinnere“, er hob den Kopf und sah Leila überrascht an, da diese anfing zu reden und nicht er. Sollte er nicht ihre Fragen beantworten? Doch er unterbrach sie nicht, sondern ließ sie weiter sprechen. Er hatte ihre Stimme die Tage nicht hören können, sich nur immer wieder den Klang in Erinnerung gerufen. Doch das hier war etwas anders. Es war viel besser. Mehr als das. Er musste einfach lächeln. Es ging nicht um das was sie sagte, sondern einfach darum, dass sie etwas sagte. Ja, er hatte die richtige Entscheidung getroffen. „Da ist dieser Knall in meinem Kopf.“ „Wie?“, Liam sah sie überraschend an. Ein Knall? Was denn für ein Knall? Leila sah ihn an und zuckte mit den Schultern. „Da war diese Karte in meinem Briefkasten.“ „Eine Karte?“ Irgendwie hatte er den Faden der Geschichte verloren. Doch er versuchte sich einfach auf ihre Worte zu konzentrieren. „Ja. Am Samstag. Ich war auf den Weg zu Anne und hatte noch mal vorher in den Briefkasten gesehen. Und da war diese Karte. Du wolltest mich sehen.“ Sie sah ihn fragend an. Doch eigentlich wusste sie inzwischen, dass dieses Treffen nicht von Liam aus gegangen sein konnte. „Ich?“ Sie nickte und lächelte kurz auf. Es war ein gezwungenes Lächeln und wirkte nicht echt. In ihrem Gesicht stand auch Verzweiflung geschrieben, als sie weiter erzählte. „Ja, da stand dein Name drunter. Ich… ich hatte wirklich geglaubt, dass du mich sehen wolltest.“ Ihre Stimme wurde etwas höher und Liam wusste nicht warum, dann sah er wie stumme Tränen ihr über die Wangen rannen. Sie schien sie gar nicht zu bemerken, denn während sie sprach, sah sie ins Feuer und wirkte so, als wäre sie gar nicht mehr bei ihm. „Ich… ich hatte mich so darauf gefreut. Irgendwie. Ich weiß doch selber, dass es verrückt war. Ich kannte dich doch gar nicht. Und doch hatte ich mich gefreut.“ Liam lächelte als er das hörte. Doch diese Tränen verwirrten ihn. Er wusste nicht, ob er sich neben sie setzen und in den Arm nehmen sollte. Ob sie Trost brauchte und ob sie den Trost überhaupt von ihm haben wollte. Er war in zwischenmenschlichen Beziehungen nie wirklich gut gewesen. „Ich bin dann hin und hatte gewartet.“ Liam sah, dass sich ihre Pupillen bewegten und sie nicht mehr ins Feuer sah. Doch war sie nicht wirklich bei ihm. Er spürte, dass es nicht gut war, wenn sie sich daran erinnerte. Es waren die Tränen, die ihm das sagten, die immer noch stumm über ihre Wangen liefen. Leila schien sie wirklich nicht zu spüren. „Es war dunkel und ich wollte dich anrufen, aber ich habe es dann sein gelassen, weil ich ein wenig zu früh dran war. Ich habe mich komisch verhalten, habe mich gar nicht wieder erkannt.“ Sie lächelte über sich selber. „Ich hatte eine Stunde vor meinem Kleiderschrank gestanden und etwas zum Anziehen gesucht. Ich wusste ja nicht, was du vor hattest…“ „Leila, ich…“, wollte Liam sie nun unterbrechen. Er konnte diesen Tränen nicht mehr länger zu sehen. „Doch du kamst nicht.“ Sie sprach einfach weiter und ihre Stimme überschlug sich etwas, zitterte an jedem Wort. „Und dann zog man mich in diese Gasse. Es war dunkel und es roch schrecklich. Ich hatte Angst. Schreckliche Angst.“ Er sah wie ihre Lippe bebte und ihr ganzer Körper zitterte. Sie schien gerade wieder in dieser Gasse zu sein. Kurz bevor man sie angeschossen hatte. Und er wusste nicht was er tun sollte. Er saß einfach nur da und sah sie an, völlig hilflos. Ihre Worte taten ihm weh, weil er nicht da gewesen war. Er hätte sie beschützen müssen. Doch er war nicht da gewesen. Er konnte so oft sagen, dass er zu den Guten gehörte, wenn er doch nicht mal eine Frau beschützen konnte. „Er hatte irgendetwas gesagt und ich wusste nicht was er wollte. Er hatte gemeint, ob ich mit den … den Noxus unter einem Hut stecken würde.“ Liam sah sie überraschend an. „Ich hatte nicht gewusst, was er meinte. Ich… ich kannte dich doch gar nicht. Aber… aber das wollte er nicht hören. Und dann war da diese Waffe… er hatte sie mir direkt vor Gesicht gehalten.“ Ihre Stimme war inzwischen leiser geworden, sie flüsterte die Worte und schien sich darüber selber zu erschrecken. „Und dann… dann war da dieser Knall.“ Wieder liefen Tränen aus ihren Augen. Liam stand auf. Er konnte das nicht mehr hören, setzte sich neben sie und drückte sie an sich. „Leila… Leila… alles wird gut.“ Er drückte ihren Kopf in seine Halsbeuge und hielt sie fest. Er spürte wie ihr ganzer Körper bebte und zitterte. Sie war vollkommen aufgelöst. Sie hätte sich nicht daran erinnern sollen. „Dieser Knall… er war so laut… so schrecklich laut“, murmelte sie. Sie fing nun an zu Schluchzen und er hielt sie fester. Seine Hand vergrub sich in ihrem Haar und er schwor sich, sie nie wieder alleine zu lassen. „Leila, es wird alles wieder gut. Ich bin da.“ Es dauerte ewig bis sie sich beruhigte, ihr Schluchzen nachließ und sie irgendwann nur noch an seinem Körper lehnte. Liam hatte ihr immer wieder bestätigt, dass er da war. Das er für sie da war. Er hatte ihr so viel sagen wollen. Über sich. Über seine Familie. Über das, was er war. Doch das hier war nicht der richtige Moment gewesen. Leila hätte in ihrem Zustand nicht verstanden, was er ihr gesagt hatte. Auch wenn er nicht so Recht wusste, ob sie das überhaupt irgendwann verstehen würde. Er spürte wie sich ihre Hände immer noch an seinem Hemd festhielten. Sie wollte ihn nicht loslassen und Liam wollte sie ebenso wenig von sich drücken. Sie roch wundervoll, das wusste er inzwischen. Doch war etwas anderes, wenn sie sich an ihn drückte und ihn nicht mehr los lassen wollte. „Aber… wenn ich angeschossen wurde…“, hörte er ihre Stimme nach einer Weile. „Wo ist dann meine Wunde?“ Kapitel 12: Kapitel 12 ---------------------- Sie löste sich aus seiner Umarmung und sah ihn fragend an. Aber an ihrer Erinnerung an diesem Samstag musste etwas nicht stimmen. Wo war die Wunde, wenn sie angeschossen worden war? Irgendein Puzzelteil fehlte. „Liam… ich, habe mich im Spiegel angesehen und überall gesucht.“ Liam seufzte, als er diese Worte hörte. Er hatte gehofft, dass er nicht mehr heute mit ihr darüber sprechen musste, doch diese Wette hatte er offensichtlich ohne Leila gemacht. Natürlich wollte sie Antworten haben. Er hatte aus den Bildern aus ihrer Vergangenheit gelernt, dass Leila ein Mensch war, der allem auf den Grund gehen würde. Sie war nicht gerade gläubig, sondern brauchte immer wissenschaftliche Belege. Sie glaubte an das, was sie selber anfassen und spüren konnte. Wie sollte er ihr denn nur erklären, was er war? „Aber da war keine Wunde. Keine Narbe.“ Sie hatte sein Seufzen gehört und sah ihn fragend an. „Kein Pflaster.“ Sie legte den Kopf etwas zur Seite. Ihre Stimme war immer leiser geworden, während sie ihn musterte. „Und wenn das am Samstag gewesen war und heute erst Mittwoch ist und ich nicht im Koma lag, während diese Wunde verheilt ist…“ Sie sah ihn an und hoffte, dass ihr vielleicht sagen würde, dass sie verrückt war. Doch sein Blick sagte das nicht. Und sie wusste nicht, ob sie seine Antwort hören wollte. Vielleicht gefiel ihr seine Antwort überhaupt gar nicht. Sie hatte die ganze Zeit nur daran gedacht, Antworten zu bekommen, hatte aber keinen einzigen Gedanken daran verloren, zu überlegen, was wäre, wenn ihr diese Antwort nicht gefiel. „Irgendetwas…“ Sie schien nach den Worten zu suchen und sah nur, wie Liam ihrem Blick auswich. Irgendetwas wusste er, die Frage war nur, was. „Leila, ich muss dir da was erklären.“ Sie hob und senkte den Kopf zu einem Nicken und wollte, dass er sie wieder ansah. Sie wollte, dass wenn ihr irgendetwas erklärte, er ihr dabei in die Augen sah. Dann würde sie sehen, ob er sie anlog oder veräppelte. „Es ist ein wenig schwer die richtigen Worte zu finden…“ „Schau mich bitte an“, unterbrach sie ihn. „Wie?“, fragte er überrascht und sah sie wirklich an. „Was auch immer du mir sagst, sag es mir, wenn du mich dabei ansiehst.“ Liam sah Leila fragend an und verstand nicht so ganz was sie von ihm wollte, warum sie wollte, dass er sie bei dem was er ihr sagen würde, ansah, nickte dann aber. „Ja, ist gut.“ Aber irgendwie hatte er das Gefühl, dass es nicht so leicht sein würde, sich auf die Worte zu konzentrieren, wenn er in ihre blauen Augen sah. Sie waren wunderschön. Tief und sanft. Darin sah er wieder diese unzerstörbare Stärke, die er bei ihr schon vorher entdeckt hatte. Sie schien wie eine kleine Flamme zu sein, mal war sie kleiner, mal flammte sie richtig auf. Aber sie war nie vollkommen erloschen. Ja, Leila hatte eindeutig Feuer in sich und vermutlich hatte er sich eh schon an ihr verbrannt. „Danke“, hörte er von ihr und erinnerte sich wieder daran, dass er ihr nun ja erklären wollte, warum sie die Narbe nicht auf ihrem Körper gefunden hatte. Weil es keine mehr gab. Natürlich hatte es eine gegeben, sie hatte sich diesen Schuss nicht eingebildet. „Also gut, wie fange ich an.“ Liam sah sie weiterhin an und versuchte sich voll und ganz auf seine Gedanken zu konzentrieren und nicht auf Leila. Er versuchte sie auszublenden, doch das war echt schwieriger als er dachte. „Du hast dir den Schuss nicht eingebildet“, fing er schließlich an. Er sollte ihr erst mal ihre größte Sorge nehmen und die bestand jetzt erst mal darum, dass sie vielleicht verrückt wurde. Dass sie ihn für verrückt erklären würde, wenn er ihr den anderen Teil der Geschichte erzählen würde, war eine andere Sache. „Ich wusste doch, dass ich nicht verrückt bin.“ „Nein, das bist du nicht“, stimmte er ihr zu und musste sogar lächeln, als er sah, wie glücklich Leila über diese Tatsache war. Es schien ihr wirklich eine Last von den Schultern gefallen zu sein. Nein, sie war nicht verrückt. Aber er war es eindeutig geworden. Und er wusste nicht genau, nach was. Nach ihrem Lachen oder nach dem Glanz in ihren Augen. „Aber ich bin es vermutlich“, murmelte er vor sich hin. „Wie?“, fragte Leila überrascht und sah ihn wieder fragend an, das Lächeln war verschwunden. Er sah sie an und wusste, dass er es ihr sagen würde. Und am besten sollte er eben die Zeit nutzen, in dem seine Mutter mit Menas einkaufen ging. Oder was auch immer sie taten, nur damit Liam allein mit Leila sein konnte. Natürlich war das nur ein Vorwand gewesen, er kannte doch seine Mutter. Doch er hätte eh nichts tun können, um sie zu überreden, dass sie nicht gehen sollte. Das hier war seine Entscheidung gewesen und das hier musste er nun mal selber geradebiegen. Er war derjenige, der Leila nun so einiges erklären sollte. Er hatte sich schließlich entschieden, dass sein Leben von nun an immer mit dem von Leilas verbunden war. Auch wenn sie nicht in einem Haus wohnen würden oder nicht mal in einer Stadt. Sie mussten sich auch gar nicht unterhalten. Aber dennoch würde es dieses Blutverbindung zwischen ihnen geben. Und auch wenn er nicht wirklich wusste, wie Leila auf diese ganze Sache reagieren würde, wusste er, dass diese Verbindung untrennbar war. Das war eine Tatsache an die er sich klammern konnte. „Leila, es ist nicht leicht dir das zu erklären und es wird auch nicht leicht für dich sein, das zu verstehen, was ich dir sage. Von akzeptieren will ich noch gar nicht anfangen zu sprechen.“ „Liam, du machst mir Angst“, sagte sie mit einem Lächeln. Sie meinte es wohl als Witz, doch Liam wusste, dass ihr gleich das Lachen vergehen würde. „Bevor ich damit anfange, dir zu erklären was Marissandra, Menas und ich sind, möchte ich dir sagen, dass ich diese Entscheidung am Samstag getroffen habe, nachdem ich über die Konsequenzen nachgedacht habe. Du wirst die Konsequenzen noch nicht sehen, aber Menas, Marissandra und auch ich, wissen was die Konsequenzen sind. Für mich.“ Er sah, dass Leila ihn immer noch mit einem großen Fragezeichen ansah. Natürlich, wusste sie nicht von was er sprach. Aber wie sollte er ihr dass denn bitte erklären. Das war verdammt schwierig. Und er war nun mal nicht gewohnt, irgendjemand Rechenschaft zu schulden. Klar, wollte er Leila das alles erklären, doch er konnte mit den Worten nicht so gut jonglieren. „Ich muss etwas weiter ausholen um dir verstehen zu geben, was wir sind.“ „Wer wir?“, fragte sie ihn und stoppte seine Erklärung. „Na, Marissandra, Menas, ich und noch viele andere.“ „Gehörst du einer Sekte an?“ War Leilas nächste Frage. „Nein“, sagte er sofort und konnte den Gedankensprüngen dieser Frau mal wieder nicht so wirklich folgen. Aber das war ihm schon mal aufgefallen. Als sie ihn als einen Drogendealer bezeichnet hatte. Oder als sie von ihm hören wollte, dass er zu den Guten gehörte. Sie vertraute ihm, ein Teil von ihr tat das zumindest. Und Liam wollte nun hoffen, das ihm dieser Teil jetzt auch etwas helfen würde. „Gut, das wollte ich nur wissen. Kannst fortfahren.“ Liam musste schmunzeln. Die Frau brachte ihn wirklich dazu zu Schmunzeln. Und das in regelmäßigen Abständen. Früher hatte er eigentlich nie gelacht oder geschmunzelt, was ihm erst jetzt so richtig bewusst wurde. „Danke“ Er hoffte, dass er genug Zeit hatte bevor Menas und seine Mutter wieder hier ankamen. Denn er wusste echt nicht, wie lange er noch mit den ersten Worten zu kämpfen hatte. Wie sagt man doch immer so gut, aller Anfang ist schwer. Und dieser hier war sehr schwer. „Hast du im Biologieunterricht gut aufgepasst?“ „Wie?“ „Oder gehört das eher zur Geschichte. Ich bin mir da echt nicht so sicher.“ Woher auch. Als er die Schule das letzte Mal von innen gesehen hatte, waren hunderte Jahre inzwischen vergangen. Und seit dem hatte sich eine Menge verändert. Zuerst war er auf einer Klosterschule gegangen, dann hatte er Privatunterricht bekommen. Inzwischen hatte er sich vieles selber angeeignet, um nicht den Anschluss an die Gesellschaft zu verlieren, auch wenn er nicht viel mit der Gesellschaft zu tun hatte. Er hatte einen großen Bücherverschleiß und hatte sich ziemlich viel Wissen nach seiner eigenen Schulzeit angeeignet. Was sollte man auch sonst machen, wenn alle anderen nachts schlafen und man selber putzmunter war, weil man eben tagsüber schlief. „Liam, ich weiß nicht was das mit deiner Erklärung zu tun hat.“ Sie sah ihn nun ein wenig verwirrt an und Liam wünschte sich so sehr, dass er ihre Gedanken lesen konnte. Er hatte gehofft gehabt, dass er das tun konnte, wenn er sie gewandelt hatte und sie zu ihm gehörte, doch das war nicht der Fall. Er konnte immer noch genauso wenig in ihren Kopf eindringen, wie am Anfang. Liam seufzte. „Ich weiß, dass es schwer für dich ist, mir zu folgen. Aber glaub mir, du wirst es verstehen, wenn du mich erklären lässt. Das ist nur nicht so einfach. Ich mache das zum ersten Mal und meine Mutter hätte mir echt ein paar Tipps geben sollen.“ „Deine Mutter?“, fragte Leila ihn skeptisch. Sie hatte Liam echt für selbstständiger eingeschätzt und nicht erwartet, dass dieser Mann der nachts mit einem Säbel oder sonst einer scharfen Klinge durch die Nacht spaziert Hilfe und Rat seiner Mutter benötigte. Aber sehr viele Männer hingen ja noch an dem Rockzipfel ihrer Mutter, auch wenn sie nicht zu Hause mehr wohnten. Anscheinend war das bei Liam auch der Fall. Na super. Echt ein toller Fang. „Ja, meine Mutter.“ Er fuhr sich durchs Haar und versuchte sich echt wieder zu konzentrieren. „Gut, also machen wir weiter.“ Liam sah sie an und fragte sich echt, wie lange das hier noch dauern würde. Er war schließlich noch keinen einzigen Schritt voran gekommen. „Erinnerst du dich an die menschliche Evolutionsgeschichte.“ Leila rollte mit den Augen, nickte aber. „Ja, ich erinnere mich daran. Aber ich verstehe nicht was das hier mit zu tun hat. Was haben der Homo sapiens oder der Homo erectus hier mit zu tun? Was hat das damit zu tun, dass ich keine Narbe auf meinem Bauch habe?“ „Das ist eine berechtigte Frage, Leila“, meinte Liam und seufzte. Oh Gott, das wurde echt noch schwerer. Er hätte das ja echt nicht erwartet, hatte gedacht, dass wenn er die ersten Worte gefunden hatte, würde es einfacher werden. Doch dem war gar nicht so. Sie tappte immer noch im Dunkeln und er war nicht bereit, das Licht für sie anzumachen. Das hier war ja verdammt schwer. Er würde ihr ja nun nicht so etwas simples erzählen, wie dass sie eben einfach keine roten Pullover mehr anziehen konnte. Das hier war eine bedeutend wichtigere Sache und er war gerade dabei es deutlich zu vermasseln. Mit allen Mitteln die er dazu benötigte. „Und die versuche ich dir gerade zu erklären, aber du unterbrichst mich ja die ganze Zeit.“ „Dann ist das nun meine Schuld, dass du nicht auf den Punkt kommst?“, fuhr sie ihn bissig an. Liam musste grinsen. Er hatte ihre bissige Art doch echt vermisst, auch wenn das hier nun gerade echt ein unpassender Zeitpunkt war, sich daran zu erinnern, dass sie nicht auf den Mund gefallen war. Er war doch sonst nicht so ein Weichei und schon gar nicht vorsichtig im Umgang mit anderen. Warum also machte er bei ihr eine Ausnahme? Warum wollte er es ihr in Wattegehüllt erklären? War es ihm wirklich so wichtig, dass sie ihn nicht falsch ansah? Wollte er wirklich nicht, dass sie sich von ihm abwendete, ihn als Monster titulierte? Ja, es war ihm wichtig. Das war es wirklich. „Nein“, meinte er schließlich. „Aber es ist nicht einfach. Weder für dich noch für mich. Ich will ja echt mein bestes geben. Aber ich kann das nicht so gut.“ „Was kannst du nicht? Mit Menschen reden?“ „Ja.“ „Oder speziell mit Frauen?“, fragte sie einfach weiter. „Das auch.“ Er seufzte und sah sie an. Sie sah ihn einfach nur an, nicht abschätzend oder abwertend. Sie schien es einfach zu akzeptieren. „Liam, jeder hat seine Mängel. Man muss nur darüber stehen. Also streng dich an und erkläre es mir und ich will auch nun ruhig sein.“ Sie sagte es mit einer ruhigen verständnisvollen Stimme. Leila sah ihn dabei nicht wie eine Mutter an, die ihn maßregeln wollte oder etwas wie eine Lehrerin erklären wollte. Sie sagte das wie jemand, der selber oft mit seinen Mängeln zu kämpfen hatte. Sie sprach aus Erfahrung. „Du musst nicht ruhig sein“, meinte er sofort und wusste dann, dass er das gar nicht hätte sagen sollen. Es war doch sowieso egal. In weniger als fünf Minuten, wenn er es sich endlich mal aufraffen konnte, ihr alles zu erklären, wäre es doch eh egal. Weil Leila Sullivan garantiert ausrasten würde. Würde er vermutlich in ihrer Situation auch, es war ja nicht so, dass er sie nicht verstand. Aber die Tatsache war nun mal nicht zu ändern und es war seine Aufgabe, dass er ihr alles versuchen sollte zu erklären, so gut es eben ging. „Okay. Wie gesagt, was ich dir jetzt sagen wird, wird nicht leicht zu verstehen sein. Aber nimm es bitte einfach erst mal hin.“ Das war doch schon mal eine gute Einleitung und Leila sagte auch nichts mehr, also konnte er direkt weiter machen. „Der Mensch, auch Homo sapiens genannt ist, wie du sicherlich weißt, innerhalb der biologischen Systematik ein höheres Säugetier aus der Ordnung der Primaten. Der moderne Mensch ist die einzige bis heute überlebende Art der Gattung Homo. Das weißt du bestimmt alles.“ Sie nickte und Liam nickte ebenso, als er ihr Nicken war genommen hatte. Natürlich wusste sie das. Sie war klug und sehr belesen. Wie er selber. „Doch das stimmt nicht.“ „Wie?“, fragte sie nun vollkommen überrascht. „Der moderne Mensch, also wie Du einer bist, ist nicht die einzige bis heute überlebende Art der Gattung Homo.“ Sie schüttelte den Kopf. „Warte mal. Das ist wissenschaftlich belegt. Was erzählst du mir hier?“ Sie wollte aufstehen, doch Liam hielt sie am Handgelenk fest. Sie sah ihn überrascht an. Er hatte sie die ganze Zeit nach der Umarmung nicht mehr berührt, doch nun tat er es. Er hielt sich wirklich fest, sie würde sich leicht aus diesem Griff lösen können, doch sie tat es nicht, sondern sah ihn einfach nur an. „Das ist eure Wissenschaft.“ „Liam… ich.“ Er musste verrückt sein, wenn er so mit ihr sprach. Was hieß denn hier ‚ihre‘ Wissenschaft. Es war die weltweite Wissenschaft, die der Menschen. Es war bewiesen und untersucht, hinterlegt und dokumentiert, das der Homo sapiens die einzige überlebende Art der Gattung Homo war. Alle anderen hatten es nicht überlebt, waren in der Geschichte untergegangen. Man hatte ihre Knochen gefunden und hatte ihnen Namen gegeben. Namen wie Homo neanderthalensis oder Homo heidelbergensis. All diese Arten waren ausgerottet. Er musste verrückt sein. Ja, er musste echt ein Verrückter sein, der auch nachts mit einem Säbel durch die Gassen der Nacht läuft. „Du bist echt verrückt. Es ist eine Tatsache, dass der homo sapiens die einzige Spezies Homo ist.“ Liam sah Leila interessiert an. Sie war der festen Überzeugung, dass ihre Meinung die Richtige war. Er wusste dass Leila an das glaubte, was sie anfassen und selber erfahren konnte. Sie glaubte nicht an Gott oder Außerirdische. Weil das Dinge waren, die wissenschaftlich nicht bewiesen war. Vielleicht lag es daran, dass sie selber in einem Pharmaunternehmen arbeitete und sich sehr für die Wissenschaft interessierte, aber war ihre Meinung nicht ein wenig zu engstirnig. Genau, das war der Ausdruck der ihm dafür einfiel. Engstirnig. „Findest du diese Überzeugung nicht ein wenig zu engstirnig? Woher weißt du, dass der Homo sapiens die einzige Gattung ist, die in Häusern und Städten lebt? Spezialisierst du das nur auf die Erde oder gilt das auch fürs ganze Universum?“ Eigentlich hatte er nicht vor gehabt eine Diskussion dieser Spannbreite mit ihr zu führen. Doch irgendwie schien es nun unvermeidbar. „Sind wieder da!“ „Das ist der größte Schwachsinn, den ich jemals gehört habe“, hörte man Leilas Stimme im ganzen Haus. „Wer hat dir nur so was in den Kopf gesetzt?“ „Leila, warum glaubst du nur das, was in Büchern steht?“ „Weil das wissenschaftlich bewiesen ist. Eben weil es in Büchern steht und das, was du mir erzählst, steht nicht in Büchern!“ Marissandra sah Menas überrascht an, als sie wieder das Haus betraten, voll beladen mit Tüten voller Lebensmittel. Das war wirklich eine interessante Begrüßung. Die beiden schienen so in ein Gespräch vertieft zu sein, dass sie gar nicht hörten, dass sie Marissandras Rufe gar nicht mitbekommen hatten. Sie zogen sich die Jacken aus und nahmen dann wieder die Tüten in die Hand. Zuerst hatten sie nicht gewusst, was Leila aß und ob sie nach der Wandlung überhaupt Hunger haben würde. Nach Lebensmittel. Doch dann dachten sie, dass das mit Liam eh nicht so toll laufen würde. Natürlich hatten sie gehofft, aber Marissandra kannte Liam nur zu gut. Er war in so etwas nun wirklich nicht sehr gut. Also würde Leila auf jeden Fall etwas Essen, ob sie nun Hunger haben würde oder nicht. Sie würde es einfach schon aus dem Grund essen, weil Menschen aßen. Also hatten sie einfach alles Mögliche einkauft. Von Milchprodukte, Reis und Getreideprodukten, Obst und Gemüse und Chips und anderes Knabberzeug. Sie hatten nun wirklich keine Ahnung was Leila aß und was sie mochte. „Das klingt nicht so, als hätte er ihr schon gesagt, dass sie nun auch…“, doch da wurden Menas Worte schon unterbrochen. „Ich habe dich wirklich für intelligenter gehalten, Leila Sullivan“, fuhr Liam sie an. „Es tut mir ja wirklich leid, dass ich dem Schwachsinn nicht glaube, den du von dir gibst.“ „Du hast kein Recht so mit mir zu reden.“ „Aber du darfst so mit mir reden?“ „Nein“, meinte Marissandra und schloss die Wohnungstür mit einem Seufzer. Es würde bestimmt alles an ihr hängen bleiben. Wenn man wollte, dass etwas gut gemacht wird, sollte man es doch wirklich selber in die Hand nehmen. Immer blieb alles an ihr hängen. Doch sie ging mit Menas erst mal in die Küche und ließ Liam und Leila weiter über die Wissenschaft diskutieren. Darüber würde sie sich noch kümmern, wenn sie die Dinge einsortiert hatten. Menas folgte ihr und stellte seine Tüten auf den Küchentisch ab. „Das ist kein Schwachsinn. Du musst dich nur mal umsehen. Es ist nicht alles so, wie du glaubst.“ „Ach so? Glauben das noch mehr Menschen oder nur du?“, fuhr Leila ihn wieder giftig an. Marissandra musste schmunzeln. „Also diese Leila ist wirklich nicht auf den Mund gefallen. Ich glaube, da hat Liam wirklich die Richtige für sich gefunden.“ Das machte sie wirklich glücklich. Sie fand Leila hübsch, als Liam sie ihr gezeigt hatte. Auch wenn sie in dem Moment in einem sehr schlimmen Zustand gewesen war. Doch sie hatte erkannt, warum Liam sich so zu ihr hingezogen fühlte. Und das Leila ihm die Stirn bieten konnte war etwas, das sehr gut war. So musste es sein. Und Liam brauchte so etwas wirklich. Denn er hatte einen Dickschädel und Leila hatte ihn anscheinend ebenso. Diese Beziehung würde sehr leidenschaftlich sein. Menas zog skeptisch die Augenbraue hoch, doch er sagte dazu gar nichts. Er hatte auf den Weg zum Supermarkt mit seiner Mutter über Leila und Liam diskutiert. Darüber, dass es vielleicht doch keine gute Idee war, die beiden alleine zu lassen. Aber Marissandra hatte nicht mit sich reden lassen. Sie hielt es für eine sehr gute Idee und damit war die Sache für sie gegessen. So war Marissandra nun mal. Sie stellte sich erst mal an die Kaffeemaschine und machte Kaffee. Das würde heute noch ein langer Tag werden und sie würden alle Kaffee brauchen. Auch wenn sie eigentlich nicht so sehr Kaffee trank, zu Haus in Toronto hatte sie gar keine Maschine im Haus, aber Liam mochte das Zeug sehr und als Leila noch in der Wandlung steckte hatte er die ganze Zeit dieses dunkle Zeug getrunken und seine Mutter irgendwie damit angestiftet. Und auch wenn es ihr nicht unbedingt schmeckte, war es doch irgendwie lecker. „Herr Gott Leila. Es ist aber so. Wie soll ich es dir denn nur erklären?“ „Am besten gar nicht. Ich glaub dir eh kein Wort. Du bist echt verrückt. Ja, du kannst nur verrückt sein.“ Marissandra füllte das braune Pulver in den Beutel der Maschine und zählte die einzelnen Löffel. „Willst du nicht dazwischen gehen?“, fragte Menas seine Mutter und unterbrach sie beim Zählen. „Nein, ich sehe da keinen Grund dafür“, antwortete sie ihm in ruhiger Stimme. Sie sah wirklich keinen Grund ins Wohnzimmer zu gehen. Die Beiden sollten das erst mal unter sich klären. „Sie werden sich noch umbringen.“ „Das glaube ich nicht.“ Sie lächelte. „Menas du weißt nicht was Liebe ist.“ Sie stellte die Box mit dem Kaffeepulver wieder ins Regal zurück und sah das Menas sie skeptisch ansah. „Du willst mir doch nicht weiß machen, dass das Liebe ist.“ Er deutete aufs Wohnzimmer, wo immer noch lautstark diskutiert wurde. „Du bist verrückt. Du hast echt eine Schraube locker. Man sollte dich einweisen. Deswegen läufst du auch nachts mit einem Säbel durch die Gassen und brichst in Wohnungen ein.“ „Ich bin nicht in deine Wohnung eingebrochen!“ „Ach so und das andere leugnest du nicht?“ „Doch. Denn es handelt sich dabei nicht um einen Säbel.“ Marissandra hörte Leila aufschreien. Sie lächelte nur und drückte auf den Knopf, der dann aufleuchtete und ihr zeigte, dass die Maschine gleich für sie Kaffee produzieren würde. „Mutter, du solltest dich wirklich einmischen.“ „Menas, das sollen sie unter sich klären.“ „Mich interessiert gar nicht was das für eine Waffe war und was du damit getan hast. Ich glaube dir auch nicht mehr, dass du zu den Guten gehörst!“ „Ach auf einmal? Warum hast du mich denn bitte angerufen, als du angeschossen wurdest.“ Marissandra drehte sich nun zu Menas um und sah, dass dieser gerade die Einkaufstüten in einer Schublade verstaute. „Du bist fertig? Gut.“ Ja, nun sollte sie sich wirklich einmischen. Leila hatte auch nichts mehr auf Liams letzte Worte gesagt. Die beiden hatten sich also ausgesprochen oder zumindest erst mal nichts mehr zu sagen. Das war der Moment in dem sie sich in die Sache einmischen konnte und so wie die Lage gerade einschätzte, würde sie jetzt erst mal ein paar Dinge gerade biegen können. Aber wofür waren Mütter denn sonst da. Kapitel 13: Kapitel 13 ---------------------- „Was möchtest du Essen, Liebes?“, fragte Marissandra Leila, die sie in die Küche geführt hatte. Sie hatte schnell dafür gesorgt, dass Menas sich um Liam kümmert und sie selber sich Leila annahm. Als Marissandra ins Wohnzimmer gekommen war, hatten die beiden sich mit funkelten Augen und roten Kopf angesehen. Ja, sie hatten sich eindeutig fürs Erste genug gesagt. Natürlich sollte man sich mal Luft machen und alles sagen, was einem auf dem Herzen lag. Doch hin und wieder sollte man auch die weiße Fahne hissen und um Auszeit bitten. Da keiner der beiden bereit war, die Fahne zu hissen, war es Marissandra gewesen, die die beiden Mal auseinander gebracht hatte. „Nichts, danke. Ich habe keinen Hunger“, meinte Leila und setzte sich an den Küchentisch. „Der Typ ist echt verrückt. So etwas habe ich noch nie erlebt.“ „Möchtest du einen Kaffee? Ich habe eben welchen aufgesetzt?“ Marissandra holte gerade schon die Tassen aus dem Hänge-Schrank. Sie kannte sich in der Küche sehr gut aus, schließlich war sie heute nicht zum ersten Mal im Haus ihres Sohnes. Und viele Küchenutensilien hatte er eh nicht. Er war der Meinung, da er eh nichts wirklich aß, brauchte er das alles auch nicht zu Hause haben. Und auch das machte ihr Sorgen. Sie machte sich einfach immer Sorgen um Liam, eben weil sie ihn nicht oft genug sah. Er besuchte sie aber auch nicht. Das musste sich wirklich ändern. Wenn diese ganze Sache mit Leila überstanden war, würde sie darauf bestehen, dass Liam öfters nach Kanada kam. Vielleicht ja mit Leila. Sie mochte die junge Frau. Auf den Mund gefallen war sie schon mal nicht, eine gute Eigenschaft, wie Liams Mutter fand. „Nein, ich trinke keinen Kaffee.“ „Oh“, meinte Marissandra und stellte wieder eine Tasse zurück in den Schrank. „Auch gut, dann bleibt mehr für mich.“ Sie goss sich die schwarze Flüssigkeit in die Tasse und stand weiterhin mit dem Rücken zu Leila. „Das ist doch echt nicht zum glauben. Wie kommt er nur auf die Idee, dass es noch andere Menschenarten außer den homo sapiens gibt, die noch leben. Es ist wissenschaftlich erwiesen und anerkannt, dass es nur den Homo sapiens gibt. Bei ihm muss echt eine Schraube locker sein.“ Marissandra lächelte über das Selbstgespräch Leilas. Es war wirklich interessant mit anzusehen, wie diese junge Frau an den Worten von Liam zweifelte, aber doch überlegte, was er mit seinen Worten bezwecken wollte. Sie glaubte an ihre eigene Überzeugung, schien aber dennoch zu verstehen zu wollen, warum Liam so etwas zu ihr sagen sollte. „Er wirkt nicht verrückt.“ Leila sah auf und blickte Marissandra ernst an. Sie kannte Liam doch schon länger, sie würde ihr die Frage sicherlich beantworten. „Er ist doch nicht verrückt? Ich meine er wirkt nicht so, aber viel Erfahrung habe ich mit Verrückten auch nicht. Aber Sie kennen ihn doch schon länger.“ Marissandra drehte sich zu Leila um und lächelte diese sanft an. „Nicht das ich wüsste.“ Nein, bei Liam war keine Schraube locker. Er war nur etwas ungeübt in Gesprächen und im Umgang mit Frauen. Er besaß kein wirkliches Feingefühl. „Ja.“ Leila nickte. „Er kommt mir auch nicht wirr vor. Gut, mal davon abgesehen, dass er nachts mit einer Waffe durch die Gassen rennt und…“ „Das hat seinen Grund, Leila.“ Leila sah überrascht wieder auf, als Marissandra sich zu ihr an den Tisch setzte. „Es hat einen Grund?“ Sie wusste ja selber, dass es einen Grund für Liams nächtliche Aktivitäten geben sollte, doch bisher hatte sie das nie so richtig hinterfragt. „Ja, natürlich hat es das. Es ist Liams Aufgabe.“ „Seine Aufgabe?“, fragte sie nicht wirklich überzeugt. Was sollte denn das bitte für eine Aufgabe sein? Und wer hatte ihm diese Aufgabe aufgegeben? „Ja, das ist es. Es ist nicht wirklich ein Beruf. Es ist mehr seine Berufung.“ „Nachts mit einer Waffe durch die Straßen zu rennen?“, fragte Leila skeptisch und konnte dem ganzen immer noch keinen wirklichen Glauben schenken. „Ja, das würde in der Berufsbeschreibung nicht unbedingt gut wirken.“ Marissandra lächelte. „Er rennt ja nicht einfach ohne Ziel durch die Straßen, Liebes. Er hat ein Ziel. Eine Aufgabe, die er zu erledigen hat.“ „Ach ja?“ Leila erinnerte sich an die Worte, die Liam ihr auf ihrer Frage damals im Auto gegeben hatte. Er hatte ihr damals gesagt, dass er mit dieser Sache, was er da auch immer nachts macht, Menschen beschützte. Er tat also etwas Gutes. Zumindest hatte sie das noch im Auto geglaubt. Wenn sie jetzt daran dachte, dass er vielleicht einen kleinen Schaden hatte, dann wirkte das nicht mehr so glaubenswürdig. „Ja, er beschützt Menschen. Du solltest seinen Worten Vertrauen schenken. Das kannst du.“ Leila sah Marissandra überrascht an. Denn sie war sich sicher, dass sie diese Worte eben garantiert nicht ausgesprochen hatte. Woher hatte sie also gewusst, was Leila gerade dachte. Oder hatte sie diese vielleicht doch ausgesprochen? „Das wollte Liam dir vorhin erklären, Liebes.“ „Was?“ Leila verstand gerade gar nichts. Was wollte Liam ihr erklären? Er hatte ihr vieles versucht zu erklären, doch eigentlich hatten sie am Ende nur diskutiert und sich unschöne Worte an den Kopf geschmissen. Sie wusste ja selber, dass sie einen Dickschädel hatte und es für viele nicht leicht war, mit ihr eine Debatte zu führen. Aber das vorhin… „Warum ich deine Gedanken lesen kann.“ Einen Moment lang sah sie Marissandra völlig entgeistert an, da es eine Weile brauchte, bis sie diese Information verarbeitete. Dann sprang Leila sofort vom Stuhl auf, der dabei auf den Boden fiel und mit einem lauten Krach auf den Fließen landete. Doch keine der Frauen reagierte oder zuckte zusammen. Sie sahen sich einfach nur an. Leila war geschockt und glaubte ihr kein Wort und doch machte es Sinn. Es machte zumindest Sinn, das Marissandra ihre Gedanken lesen konnte, denn schließlich hatte sie gewusst, was Leila eben gedacht hatte. Aber richtig Sinn machte das alles natürlich nicht. Sie musste jetzt erst mal nach denken. Das hier verwirrte sie alles viel zu sehr. Erst Liam und nun Marissandra. Vielleicht wollte Menas ihr auch noch irgendetwas anvertrauen. Vielleicht dass er glaubte Spiderman zu sein. Okay, sie sollte sich beruhigen. Das versuchte sie zumindest und wollte sachlich nachdenken. Wenn Marissandra ihre Gedanken lesen konnte, dann wusste sie eben was sie dachte. Gut, soweit hatte sie es verstanden. Deswegen konnte Marissandra ihr auch antworten. Auf ihre Gedanken eben. Gut, gab es dafür eine vernünftige Erklärung? Gedankenlesen gehörte jetzt nicht zu den alltäglichen Hobbys. Das war echt verrückt. Hier waren alle verrückt. Genau, das war die Lösung. „Nein, meine Liebe. Es ist nur schwer zu verstehen, was wir alle sind.“ „Alle?“ „Liam, Menas und ich. Wir sind natürlich eigentlich noch viel mehr, überall auf der Welt verstreut. Aber nun sind wir erst mal zu dritt. Wir verstehen, dass es schwer für dich ist. Das ist verständlich.“ „Ja?“, fragte Leila vorsichtig. Denn so langsam glaubte sie, dass sie selber verrückt war. Das hatte sie sich heute schon mal gefragt und nun stellte sie sich diese Frage noch einmal. Vielleicht war sie wirklich verrückt. Sonst fragte sie sich das nämlich nie. Auf jeden Fall stimmte hier irgendetwas nicht. Entweder mit ihr oder mit den anderen und sie hoffte sehr, dass es sich um die anderen im Haus handelte. „Wir sind anders. Aber nicht verrückt, mein Kind. Und du bist es auch nicht. Komm setz dich wieder hin.“ Leila nickte still und setzte sich wirklich wieder an den Tisch, nachdem sie ihren Stuhl wieder aufgehoben hatte. Sie hatte wirklich das Gefühl, dass es besser sein würde, wenn sie sich hinsetzen sollte. Denn so langsam fing der Boden, auf den sie bisher immer gegangen war, zu wackeln. Er bekam Risse und sie würde vielleicht stolpern. Marissandra nippte ruhig an ihrer Kaffeetasse, während Leila sie anstarrte und auf weitere Worte wartete. Doch sie schien sich alle Zeit der Welt zu nehmen, als verstünde sie nicht, dass Leila das hier wirklich wissen musste. Wissen musste, ob sie verrückt war oder nicht. „Möchtest du vielleicht einen Tee trinken?“ „Nein“, sagte Leila und versuchte nicht gereizt zu klingen. Doch sie wollte jetzt gerade wirklich keinen Tee trinken. Sie wollte verdammt noch mal wissen, was hier vor sich ging. Sie wollte die Wahrheit. Eine Wahrheit mit der sie auch etwas anfangen konnte. Marissandra nickte schließlich und schien als wollt sie endlich anfangen, was Leila sehr begrüßte. „Liam hat dir versucht zu sagen, dass es neben dem Homo sapiens noch eine andere Spezies gibt, die immer noch lebt.“ Was sollte denn dieses Thema wieder? Sie hatte gehofft, diese Schnapsidee endlich abgehackt zu haben, doch nun fing auch die nächste Person damit an. „Aber…“ „Ja, mein Kind ich weiß, dass du sehr an deiner Wissenschaft hängst. Aber es stimmt nicht was du sagst, dass diese Spezies in keinem Buch erwähnt wird. Man erwähnt sie sogar in vielen Büchern. Allerdings gab es nie richtige Beweise, die diese Spezies nachweisen konnten. Und das hat alles seinen Grund, den du irgendwann selber verstehen willst.“ „Das mag ja vielleicht alles stimmen...“ „Nicht vielleicht“, unterbrach Marissandra sie sofort. „Von mir aus.“ Leila seufzte. „Aber was hat das alles mit mir zu tun? Irgendwie verstehe ich das alles noch nicht. Ich wollte doch nur wissen, warum ich keine Narbe oder eine Wunde habe.“ „Ja, das weiß ich doch, Schatz. Das weiß ich doch“, sagte Marissandra besänftigend. Liam konnte es dir anscheinend nicht so richtig erklären und dann ist euer Gespräch in einer so heftigen Diskussion ausgebrochen.“ „Es tut mir Leid, wenn wir so laut waren“, entschuldigte sich Leila. Sie hasste solche Situationen und errötete etwas. Und schon gar nicht mochte sie es, gehört zu werden, wenn sie sich gerade mit irgendjemand stritt. Gut, eigentlich stritt sie sich nie. Auch wenn sie vielleicht impulsiv war, stritt sie sich nie, denn sie konnte immer sehr schnell klar machen, was ihr auf dem Herzen lag. „Du musst dich nicht entschuldigen. Ich fand es sogar ziemlich interessant, zu hören wie man Liam mal die Stirn bietet. Das hat er nicht oft.“ „Das habe ich gemerkt.“ „Du aber anscheinend auch nicht“, sagte Marissandra sofort und sah Leila fragend an. Sie wusste immer noch nicht was Liam gesehen hatte, als er mit der Wandlung angefangen hatte. Er wollte es ihr nicht sagen und diesen Teil seiner Gedanken verschloss er vor ihr. Da konnte sie auch nicht so einfach eindringen. Was auch immer er gesehen hatte, hatte er in seinem Inneren in eine Truhe verschlossen und ließ niemand an den Schlüssel. Diese Gedanken schienen Liam sehr wichtig sein, was sie natürlich als Mutter sehr schön fand. „Nein. Nicht so auf jeden Fall.“ Sie seufzte auf und strich über die Tischdecke, die Marissandra vorgestern gekauft hatte. Liam hatte nicht wirklich ein Auge fürs Detail gehabt und sie musste hier wirklich erst mal Klarschiff machen. Liam lebte in einem reinen Männerhaushalt. Er war ordentlich und tat viel im Haus selber, doch für mehr hatte er kein Interesse. „Es war sogar ganz lustig.“ Sie lächelte etwas. Auch wenn es weh getan hatte so mit Liam zu reden, hatte es sie auch irgendwie erleichtert. Aber dieses Gefühl konnte sie nicht beschreiben. Nicht dass sie gerne streiten würde, sie diskutierte gerne, aber das war eher einem Streit näher gekommen als sonst was. Und als Marissandra und Menas den Raum betreten hatten, war sie wirklich aus der Puste gewesen und hatte eine Pause gebraucht. „Das glaube ich dir, Leila.“ Marissandra stellte die Tasse auf den Tisch. „Aber du solltest Liam und dem was er dir erzählen wollte eine Chance geben. Er hat wirklich sein Bestes gegeben, aber er ist in so etwas nun mal nicht gerade gut.“ Sie lächelte etwas. Leila sah Marissandra an und nickte. „Vielleicht habe ich ihn auf dem falschen Fuß erwischt, oder so.“ „Ja, vielleicht.“ Sie stand nun auf. „Was hältst du davon, wenn du nun nach oben gehst und dir ein Bad einlässt oder duschst und dann sehen wir weiter.“ „Ich soll baden oder duschen?“ „Ja, möchtest du das nicht?“ Marissandra stellte die Kaffeetasse in den Geschirrspüler. „Doch. Ja. Natürlich.“ Auch wenn Leila irgendwie gehofft hatte, von diesem Gespräch mehr zu erfahren. Aber vielleicht war das auch nicht so schlimm. Liam hatte gemeint, dass es seine Aufgabe war, es ihr zu erklären. Also würde er das früher oder später bestimmt tun. Ein Bad war wirklich eine gute Idee, dann wäre sie etwas entspannt und würde Liam wirklich eine Chance geben. „Ich werde mich dann um das Abendessen kümmern. Lass dir Zeit.“ „Danke“, sagte Leila und schlürfte dann immer noch in der Decke eingewickelt aus die Küche nach oben in das Gästezimmer, in dem sie aufgewacht war. Sie schloss die Tür hinter sich und lehnte sich gegen das Holz. Ein Seufzer verließ ihre Lippen, als sie den Kopf in den Nacken gelegt hatte. In was sie nur hier herein geraten? Und warum hatte sie eben nicht weiter darauf bestanden, dass Marissandra ihr alles erklärte, da Liam das anscheinend nicht konnte. Sie fuhr sich durch ihre Haare, ließ die Decke schließlich fallen und ging zum angrenzenden Badezimmer. „Du bist das anscheinend völlig falsch angegangen“, meinte Menas zu seinem Bruder. Sie waren immer noch im Wohnzimmer und während Marissandra Leila aus dem Raum geholt hatte, war Menas dafür zu seinem Bruder gekommen. Auch wenn Menas sich aus dieser Sache eigentlich komplett raus lassen wollte, hatte er dann einfach nicht mehr widerstehen können, als sein Bruder angefangen hatte zu reden und seinen älteren Bruder um Rat gefragt hatte. „Ach, was du nicht sagst. Das weiß ich jetzt auch“, murmelte Liam vor sich hin und trank die dickflüssige rote Flüssigkeit aus dem Glas. Als Marissandra Leila aus dem Raum gezogen hatte, war er direkt zur Bar gegangen und hatte sich dann zwischen einem Blutbeutel und dem Cognac entscheiden müssen. Am Ende war es dann aber so ausgegangen, dass er erst vom Alkohol getrunken hatte und sich dann das Blut ins Glas gekippt hatte. Er brauchte beides. Das erste vermutlich mehr als das zweite. Aber da war er sich eigentlich gar nicht mehr so sicher. „Und was willst du nun tun?“ „Keine Ahnung“, gab Liam nur von sich und schwenkte das Glas etwas. Den Cognac hatte man besser schwenken können, vielleicht sollte er wieder wechseln. „Das solltest du nicht tun“, meinte Menas nur mit einem Lächeln und erntete dafür von Liam nur ein Grunzen, er war sich nicht ob es wegen der Aussage war oder weil Menas die Gedanken seines Bruder gelesen hatte. Vermutlich wegen beiden. „Gut, also was hast du dir für Überlegungen gemacht.“ „Gar keine.“ „Was meinst du mit ‚Gar keine‘? Du musst dir doch Gedanken gemacht haben, wie du das Problem nun angehen willst?“ „Menas, falls es dir noch nicht aufgefallen ist, du bist der Denker von uns beiden. Ich bin derjenige, der ohne nachdenken handelt. Deswegen bist du auch derjenige der die Firma leitet.“ Liam sah durchs Glas zum Kamin und musste an Leila denken. Das Gespräch mit ihr war vollkommen aus dem Ruder gelaufen. Er hatte eigentlich vorgehabt es ihr in ruhiger Atmosphäre zu erklären, doch dann waren sie an dieser Sache mit dem homo sapiens stecken geblieben. Er war gar nicht weiter gekommen und ihr zu erklären, was er war. Sie hatte ihm gar nicht die Chance gegeben. Gut, er hatte sich auch in dieser Diskussion mit ihr festgesetzt. Er war in diesem Gespräch wie auf einer Eisfläche geschlittert und hatte nicht mehr gewusst, wo die Rettungsleine war. Und dann hatten sie sich einfach nur angesehen, beide mit roten Kopf und er war kurz und dran gewesen über die Couch zu springen, welche die ganze Zeit die Sicherheitsbarriere zwischen ihnen war und sie zu küssen. „Naja, aber das bringt dir jetzt auch nichts. Es sei denn du handelst jetzt einfach mal.“ „Danke für den Rat. Nichts für ungut, Bruder, aber du hast schon mal bessere Kommentare von dir gegeben.“ „Und du hast dich auch schon mal in bessere Situationen gebracht.“ Liam musste schmunzeln. „Ja, das stimmt wohl.“ Das hier war wirklich eine interessante und vollkommene neue Situation für ihn. Vermutlich auch genauso für seine Mutter und Menas. Vor allem aber auch für Leila. Für sie musste es vollkommen verrückt sein. Daran hatte er eigentlich noch gar nicht gedacht. Sie war hier in einem fremden Haus und alles stimmte nicht zusammen und der, der ihr die Antworten geben sollte, konnte es nicht tun, weil... er hatte keine Ahnung, warum er ihr nicht einfach sagen konnte. „Weil du sie magst.“ Liam rollte mit den Augen. „Danke, für diese Information.“ Für solche qualifizierten Kommentare brauchte er seinen Bruder nun wirklich nicht. Er sah wieder das Glas an und trank einen Schluck daraus. Für ihn war es vollkommen normal, Blut aus einem Glas zu trinken. Natürlich würde er sich überlegen müssen, wie er diese Angewohnheit Leila erzählen sollte. Er könnte natürlich sagen, dass es sich dabei um Tomatensaft handelte. Aber was wäre, wenn sie probieren wollte oder auch ein Glas haben wollte und er eigentlich gar keinen Tomatensaft im Haus hatte. „Dann sagst du ihr, dass du das letzte Glas getrunken hast.“ Liam legte den Kopf in den Nacken und seufzte frustriert auf. Er war ja gerade nicht mal dazu fähig, seinen Bruder aus seinem Kopf zu verbannen, wie sollte er da einen klaren Kopf kriegen, um mit Leila zu reden. Es war auch sinnlos Menas daran zu erinnern, dass er in seinem Kopf nichts zu suchen hatte. Das würde ihn wohl kaum davon abhalten. Also sagte er auch gar nichts mehr dazu. Er musste über Leila nachdenken. Wie sollte er ihr nur klar machen, dass er anders war, als Menschen. Das seine Rasse in der Evolutionsgeschichte eben eine andere Richtung eingeschlagen hatten, medizinisch dem Körper des homo sapiens in nichts nachstanden. Gut, mal von den Reißzähnen abgesehen oder von ihrer Stärke. Ihren Augen und ihrer guten Sehkraft. Der schnellen Regeneration. Und eben all den anderen kleinen Besonderheiten, die sie auch benötigten. Das war alles schwierig in Worte zu fassen. Vor allem wusste er nicht, wie er ihr dann auch noch sagen sollte, dass sie nun wie er war. Anders. Anders war ja nicht unbedingt schlecht. Aber es war gewöhnungsbedürftig. Aber war nicht alles, was eine Veränderung bedurfte gewöhnungsbedürftig? „Willst du ihr das so erklären?“ „Weißt du, wenn du hier schon den großen Bruder raus hängen willst, dann gibt wenigstens mal ein paar Vernünftige Ratschläge von dir, statt die ganze Zeit meinen Gedanken zu lauschen“, meinte Liam, trank den letzten Schluck aus seinem Glas und ging damit wieder zur Bar. Vielleicht brauchte er noch etwas Alkohol. Das würde ihn vielleicht etwas lockerer machen. „Gut, als erstes, solltest du keinen Alkohol mehr trinken. Du weißt sehr wohl, dass wir nicht so viel vertragen und wenn du noch ein Glas trinkst, wird das mit dem Gespräch nichts mehr.“ Er sah zu wie Liam nickte und das Glas schließlich auf den Schrank stellte. Liam setzte sich allerdings nicht wieder hin, sondern lief nun vor dem Kamin auf und ab. „Vielleicht solltet du ihr die ganzen Vorteilte nennen?“ „Vorteile?“ „Na ja, das sie nun keinen Tag älter werden würde. Sie würde keine Grippe mehr bekommen oder sonst eine Krankheit. Sie kann nun ungeschützten Geschlechtsverkehr haben, denn sie kann sich weder mit Hepatitis noch mit HIV anstecken.“ „Ist das etwa das Einzige, das dir unter den Vorteilen einfällt?“ „Na ja, du kannst ihr schließlich auch sagen, dass sie von nun an ihr Leben lang an dich gebunden sein wird. Aber glaubst du das überzeugt sie mehr?“ „Wohl kaum“, gab Liam mit einem Seufzen zu. Nein, das würde sie wohl kaum davon überzeugen nicht ausrasten und mit ihm wieder in eine heftige Diskussion zu verfallen. Auch wenn er es genossen hatte mit ihr zu diskutieren. Dieses Wortgefecht hat ihm richtig Spaß gemacht. Das nächste Mal sollten sie vielleicht ein einfacheres Thema nehmen. Politik. Wirtschaft. Umwelt. Die Emanzipation der Frauen. Oder was auch immer. „Könntest du dich vielleicht wieder hinsetzen?“ „Nein“, gab Liam nur von sich und ging weiterhin in seinem Auf und Ab. Er musste eine Lösung finden. Einen Ansatz. Aber er war in so was nun mal nicht gut. Warum war er kein Kopfmensch, sondern eher ein Bauchmensch? Das brachte ihm jetzt gerade mal gar nichts. Er musste an diese Sache klug rangehen, er wollte es nicht noch schlimmer machen – auch wenn das vermutlich eh nicht mehr zu toppen war. Aber warum die Hoffnung aufgeben. Der Tag war ja noch nicht zu Ende. „Vielleicht solltest du nicht ganz so verkrampft an diese Sache rangehen?“ Liam drehte sich um und sah seinen Bruder sauer an. „Menas. Noch mal, wenn du hier sitzen willst, dann gib Kommentare von dir, mit denen ich was anfangen kann oder die mir die Situation in irgendeine Art und Weise erträglicher macht.“ „Das ist also deine Ansicht von der Aufgabe eines großen Bruder?“ „Herr Gott, Menas. Ich will jetzt keine Grundsatzdiskussion über unsere Beziehung zu einander führen.“ „Genau, denn du hattest ja dein Maß an Grundsatzdiskussion für heute schon voll.“ Liam seufzte und lehnte sich mit der Hand gegen die Wand. „So in etwa.“ Aber das brachte jetzt gar nichts. Er saß irgendwie fest. „Mutter meinte, ich solle dir gut zu reden.“ „Und warum machst du das dann nicht?“, fragte Liam ihn und wusste nun wieder, warum er mit Menas so selten telefonierte. Sie hatten sich eigentlich nie wirklich was zu sagen und wenn dann stritten sie oder waren einfach nicht der gleichen Meinung. Egal über was. Über Politik oder über eine Entscheidung die die Firma betraf. Vermutlich lag es einfach daran, dass sie Brüder waren und der eine den anderen übertrumpfen wollte. Dabei war immer klar, das Menas der Erstgeborene war, doch das hatte Liam nie entmutigt. Er hatte sich immer weiter mit ihm duelliert und gemessen, egal um was es ging. Es klopfte an der Tür zum Wohnzimmer und beide sahen sofort zur Flügeltür. „Ja?“, fragte Liam vorsichtig. Er war es nicht gewohnt, dass irgendjemand anklopfte. Sonst war er immer alleine im Haus oder seine Haushälterin war da. Aber auch seine Familie würde nicht anklopfen, um ins Wohnzimmer zu kommen. Beim Schlafzimmer oder den Badezimmer war es etwas anderes, aber doch noch nicht beim Wohnzimmer. Liam war überrascht, als Leila ins Wohnzimmer trat. Sie hatte sich eine Jeanshose und ein Shirt angezogen und anscheinend war sie auch Duschen oder so gewesen, denn die Spitzen ihres blonden Haars war noch feucht. Ihre Haare lagen ihr glatt auf den Schultern und er nahm den Duft war, der sie umgab. Sie musste das Duschgel verwendet haben, dass seine Schwester auch immer nahm, denn sie roch wie Althaia, wenn sie hier war. Doch er war der festen Überzeugung, dass Leila dieser Duft von Rosenblüten viel besser als seiner Schwester stand. Sie lief nur Barfuß auf dem Parkett und er hoffte, dass sie sich nicht erkältete. Da fiel ihm wieder ein, dass sie sich ja gar nicht mehr erkälten konnte. Nur, dass sie das selber noch nicht wusste. „Leila“, brachte Liam schließlich über seine Lippen. Das war das einzige, was er hätte sagen können. Das Einzige was in seinem Kopf war. Da war nur sie. Sofort sah Liam zu Menas und warf ihm unaufgefordert aus dem Wohnzimmer. Leila wollte mit ihm Reden und das sollte ohne die Anwesenheit seines Bruders passieren. Doch Menas war eh schon aufgestanden. „Seid dieses Mal etwas netter zu einander.“ Er lächelte Leila beim Vorbeigehen an und verließ dann das Wohnzimmer, bevor Liam seinem Bruder noch irgendetwas hinterher werfen konnte. Liam blickte wieder zu Leila, die immer noch an der Tür stand, während er immer noch vorm Kamin stand. Keiner bewegte sich einen Stück oder traut sich die ersten Worte zu sagen. „Ich dachte mir, dass wir vielleicht noch mal reden sollten“, meinte Leila schließlich und strich sich eine ihrer blonden Strähnen hinters Ohr. Liam hatte das schon öfters bei ihr bemerkt und er fand diese Angewohnheit irgendwie süß. Er wollte noch mehr von diesen Angewohnheiten an ihr entdecken und sie sich merken. „Ja. Das sollten wir“, stimmte er ihr zu. Sie sahen sich beide an und es war offensichtlich, dass sie sich etwas unwohl in ihrem Körper fühlten und vor allem in dieser Situation. Da waren diese unschönen Worte, die sie sich vorhin an den Kopf geworfen hatten. Natürlich waren die im Eifer des Gefechts zustande gekommen und beide wussten, dass sie gar nicht so gemeint waren, dennoch hingen sie im Raum. „Wir sollten uns vielleicht setzen“, schlug Liam schließlich vor, als sich keiner irgendwie auf den anderen zu bewegt hatte. Er deutete auf die Couch, auf der sie auch vorhin gesessen hatte und sah zu, wie sie sich hinsetze. Er zögerte einen Moment setzte sich dann wieder neben sie. Er hätte auch den Sessel nehmen können, aber irgendwie hoffte er, dass es so etwas besser laufen würde. Natürlich war es nicht gerade toll, wenn er seine Erfolgschancen von der Qualität seiner Couch abhängig machte. „Marissandra meinte, ich soll dir und deiner Erklärungen noch mal eine Chance geben.“ Liam sah sie an und lächelte. Ja, er wusste dass seine Mutter eine gute Seele war und dass sie sich immer um ihre Kinder zu kümmern versuchte. Sie wollte ihnen helfen wo sie nur konnte. Und oft war es schwierig die Grenze zwischen Einmischen und mütterliche Fürsorge zu ziehen, ohne dass eine der beiden Seite am Ende gekränkt war. Aber er war doch hin und wieder froh, dass er sich auf seine Mutter verlassen konnte. „Gut, also ich bin ganz offen für dieses Gespräch und ich will dir wirklich zuhören. Vorhin war das irgendwie nicht ganz so gut gelaufen. Ich wusste nicht was kommt und irgendwie… ach ich weiß ja auch nicht. Es tut mir jedenfalls Leid. Nun aber möchte ich mir anhören, was du mir zu sagen hast“, erzählte Leila ihm und Liam lächelte, weil sie wieder anfing einfach loszureden. Doch es war ihm egal. Es war schön, dass sie überhaupt noch mit ihm sprach. „Aber bevor du mit deinen Erklärungen weiter machst oder neu anfängst – was auch immer – möchte ich gerne wissen, ob du meine Gedanken lesen kannst?“ „Was?“, fragte er überrascht. Wie kam sie denn auf das Gedanken lesen? Woher hatte sie denn das nun wieder her? Gut eigentlich fielen ihnen nur zwei Personen ein. Und da sein Bruder bei ihm gewesen war, wurde der Kreis der Verdächtigen noch kleiner. „Na ja, Marissandra kann anscheinend meine Gedanken lesen.“ Leila lächelte etwas verlegen. Anscheinend war sie über ihre Worte selber etwas überrascht. „Und nun will ich wissen ob du auch meine lesen kannst.“ Gut, vielleicht war seine Mutter ihm doch nicht immer so eine gute Hilfe. Sollte dass ein Einstieg in das Gespräch für ihn sein? Irgendwie konnte er diese Überleitung nicht so wirklich ergreifen. Ob das so eine gute Einleitung war bezweifelte er wirklich. „Nein, ich kann deine Gedanken nicht lesen.“ Er hatte sich schließlich geschworen, ehrlich zu Leila zu sein. Und diese Frage konnte er ganz leicht beantworten. Sie brauchte sich keine Sorgen machen, dass er ihre Gedanken lesen konnte. Allerdings würde er das schon gerne können. Doch vielleicht hatte seine Mutter recht, dass es eben nicht immer gut war, wenn man die Gedanken seines Gegenübers lesen konnte. „Aber Marissandra kann das?“ „Ja, das kann sie“, beantwortete er wieder wahrheitsgemäß. Das lief doch bisher eigentlich ziemlich gut, auch wenn sie noch nicht beim eigentlichen Thema angekommen waren. „Okay. Gut zu wissen. Glaub ich“, meinte Leila. Eigentlich wusste sie gar nicht so recht was sie davon halten sollte, dass Marissandra ihre Gedanken lesen konnte. War das etwas Gutes? Sie konnte sich das gar nicht vorstellen, deswegen konnte sie nicht sagen, ob es was Gutes war oder nicht. Vielleicht war es das. Vielleicht aber auch nicht. Sie sollte Marissandra vielleicht selber fragen. „Also ich kann auch Gedanken lesen.“ „Wie?“, fragte sie überrascht, als Liam ihn mit diesen Worten aus ihren Gedanken riss. „Ich dachte, du kannst meine nicht lesen.“ Nun war sie vollkommen verwirrt. Erst sagte er, er kann ihre Gedanken nicht lesen und jetzt sagte, dass er das doch konnte. „Ich kann Gedanken lesen.“ Er sah sie ruhig an und irgendwie war da wieder die Wärme, wenn sie in seinen Augen sah. Sie hatte diese Wärme schon einmal in seinen Augen gesehen. Diese Wärme suchte sie überall und in seinen Augen fand sie diese. Vielleicht lag es auch am Knistern des Feuers, dass sie sich gerade so wohl fühlte und nicht nur an seinen Augen. „Nur nicht deine.“ Sie zwinkerte etwas und versuchte das zu verstehen. „Moment. Du kannst Gedanken lesen. Aber nicht meine.“ Das verwirrte sie nun doch noch mehr. Eigentlich hatte sie bezweifelt dass man dieses Stadion noch übersteigen konnte, aber Liam lehrte sie eines besseren. Sie sah wie er ihr mit einem Nicken zustimmte. „Okay. Das heißt du kannst die Gedanken von allen anderen hören, außer von mir?“ „Ja. Es sei denn man versperrt sie mir.“ „Ja. Okay. Alles klar.“ Sie hatte vorgenommen sich das was Liam ihr zu sagen hatte anzuhören. Ohne Vorurteile und ohne gleich wieder ausrasten, nur weil es verrückt klang. Und das tat es. Es war vollkommen verrückt, doch sie wollte ihm ja eine Chance geben. Aber das wurde immer schwieriger. Okay, versuch sachlich zu bleiben, versuchte sie sich selber zu ermahnen und wollte diese Sache so objektiv wie nur möglich betrachten. Gut, Marissandra und Liam waren also der festen Überzeugung, dass sie Gedanken lesen konnten. Das konnte sie so hinnehmen. Aber warum konnte Marissandra Leilas Gedanken lesen und Liam ihre nicht. „Gut. Ähm, warum kann Marissandra meine Gedanken lesen und du nicht? Stimmt etwas mit mir nicht?“ „Nein, Leila mit dir stimmt alles“, meinte er mit einem Lächeln. „Gut, dann stimmt also mit dir was nicht? Du kannst schließlich meine Gedanken nicht lesen. Nicht, dass ich das nicht gut heißen würde – aber dann muss ja mit dir was nicht stimmen.“ Liam sah sie an und wollte aufstöhnen. Ja, das war wirklich nicht die Einleitung für das Gespräch, die er haben wollte. Aber nun hatte er den Salat und musste das gerade biegen. Irgendwie. „Leila, lassen wir das mal und kommen wir auf unser Gespräch von vorhin zurück.“ „Du meinst den Streit.“ „Wie?“, fragte er etwas verwirrt, als sie ihn wieder unterbrochen hatte. Mal wieder. Er bekam das Gefühl, dass sie ihn sehr gerne unterbrach. „Naja, du hast Gespräch gesagt. Ich würde es eher Streit nennen. Wir haben uns eindeutig gestritten. Das war ja nicht mal mehr eine Diskussion.“ „Okay. Alles klar, das war ein Streit“, stimmte er ihr zu und versuchte wieder zu seinem eigentlichen Gedankengang zurück zu kommen. „Leila, ich bin anders als Du. Nein, anders als du warst. Gott, das ist so schwierig. Ich finde einfach nicht die richtigen Worte und ich will das jetzt nicht schon wieder versauen. Einmal langt wirklich.“ Sie sah ihn ein wenig amüsiert von der Seite an. „Warum ist es dir so wichtig, es nicht zu versauen?“, fragte sie ihn mit einem Lächeln. Irgendwie fand sie es süß von ihm, auch er bestimmt zu den Männern gehörte, die es nicht tollen fanden, wenn man sagte, sie wären süß. Aber sie lächelte, weil er eben genau jetzt süß war. Er stammelte und suchte nach Worten. Er wollte es nicht versauen, warum auch immer und das fand sie süß. „Warum?“, Liam sah sie fragend an. Als er bemerkte, dass sie lächelte, schmunzelte er ohne darüber zu denken. Es war ihr Lächeln, das ihn dazu ansteckte. „Weil… weil… du mir wichtig bist.“ Himmel, was stammelte er da bloß. Sie würde ihn garantiert auslachen. „Aber du kennst mich doch gar nicht.“ Er sah sie an und war etwas überrascht, dass die Blonde ihn nicht auslachte. Sie schien sogar ernst zu sein. „Doch ich glaube ich kenne dich schon sehr gut und ich weiß, dass ich dich mag.“ Ja, er hatte ihre Vergangenheit gesehen, ihren Schmerz und ihre Traurigkeit gefühlt. Er kannte sie. Zumindest einen Teil von ihr. „Gut, du magst mich. Aber das sagt dir nicht, dass ich dich auch mögen könnte“, meinte sie sofort zu ihm und musste lächeln. Eigentlich wollte sie Antworten auf ihre vielen Fragen, aber diese Wärme in seinen Augen sagte ihr, dass sie ihm doch irgendwie vertrauen konnte. Natürlich könnte diese Wärme auch vom Kamin kommen, aber es waren seine Augen, die sie fesselten. Die sie die ganze Zeit ansehen musste. Es war ein Gefühl aus ihrem Bauch heraus, welches ihr sagte, dass er doch zu den Guten gehörte. Sie sah sein Gesicht an und es wirkte gar nicht so rau, wie sie es bei ihrer ersten Begegnung gedacht hatte. Er hatte diese sanften blau-silbernen Augen. Seine Unterlippe war voll, die Oberlippe etwas schmaler, doch sie sahen zum Anbeißen aus. Sie biss sich selber für diesen Gedanken auf die Unterlippe. Was dachte sie denn da bitte? Seine Lippen waren zum Anbeißen? „Nein, das stimmt wohl“, meinte Liam und kam ihr irgendwie ein wenig näher. „Das heißt nicht, dass du mich auch magst.“ Leila lächelte und sie sah das Schmunzeln um seine Mundwinkel. Sie sahen sich in die Augen und irgendwie, auf seltsame Weise, kamen ihre Gesichter sich immer näher. Es schien wie ein Zauber zu sein, der ihre Gesichter immer näher zusammen kommen ließ. Sie tat es nicht bewusst und Liam genauso wenig. „Nein, das heißt es nicht“, stimmte sie ihm noch mal zu und dann berührten sich ihre Lippen. Zuerst nur für einen kurzen Augenblick. Sie sahen sich in die Augen und registrierten, dass der andere gar kein Problem damit zu haben schien, also fanden sich ihre Lippen sofort wieder, formten sich zu einem Kuss. Und es schien so, als hätten sie ewig nach diesem anderen Lippenpaar gesucht, denn sie schienen sich mit einer sanften Leidenschaft willkommen zu heißen. „Leila“, stöhnte er, als sein Daumen über ihre Wange streichelte. Seine Hand hielt sie im Nacken fest, zwischen seinen Fingern waren Strähnen ihrer blonden Haare. Sie schmeckte köstlich, süß und himmlisch. Er hatte schon oft Frauen geküsst, doch dieser Kuss war etwas anderes. Leila war etwas anderes. Seine zweite Hand fand nun auch den Weg zu ihrem Kopf, wollte sie festhalten und nie mehr los lassen. Leilas Hand fuhr währenddessen durch seine Haare und hielt sich dort ebenso fest. „Ich bin das…“, brachte er über seine Lippen, wenn diese sich von ihren hin und wieder lösten, um Luft zu schnappen. „Was du…“ Gott, er musste es ihr sagen. Aber warum mussten ihre Lippen nur so lecker sein. „einen Vampir nennst.“ Kapitel 14: Kapitel 14 ---------------------- „Hast du sie noch alle?“ „Leila, beruhig dich doch. Es ist nicht so schlimm, wie du…“ „Nicht so schlimm?“, unterbrach Leila Sullivan ihn sofort, denn sie wollte nichts mehr davon hören. „Nicht so schlimm? Ist das dein Ernst?“ „Ja, es ist mein Ernst. Lass es mich dir doch erklären.“ „Nein! Du hast mir schon genug erklärt“, schrie Leila Liam an, welcher versuchte sie zu beschwichtigen, aber ziemlich erfolglos erschien. „Ich habe genug von deinen Erklärungen!“ Marissandra stellte gerade in aller Seelenruhe die Teller auf den Küchentisch und sah, das Menas sie erwartungsvoll anblickte. „Möchtest du mir etwas sagen?“ „Hörst du das nicht?“, fragte Menas seine Mutter. „Doch, Menas ich höre, das Liam und Leila sich wieder unterhalten.“ „Das nennst du unterhalten?“ Irgendwie überraschte ihn diese Aussage seiner Mutter nicht mal. „Ich habe mir ehrlich gesagt schon Sorgen gemacht, als es so leise war.“ Sie war mit ihrem Essen sehr zufrieden und hoffte, dass es Leila auch schmecken würde. Sie hatte schon lange nicht mehr für einen Frischling gekocht. Sie hatte generell schon lange nicht mehr gekocht. Die meisten ihrer Familie ernährten sich nur noch von Blut oder wenn es sich nicht vermeiden ließ, eben auch Nahrung. Zum Beispiel bei einem Geschäftsessen. Und da ihre Söhne und ihre Tochter bisher nicht die Anstalten gemacht hatten, sich in einen Menschen zu verlieben, der dann eventuell gewandelt werden könnte, gab es auch keine Notwendigkeit zu kochen. Sie hatte allerdings nicht gedacht, das Liam der Erste sein würde, der sich seine Seelenpartnerin suchen würde. Besser gesagt finden würde. „Du meinst, sie hätten sich vielleicht erwürgt?“ Zuzutrauen wäre es den beiden. Denn Menas war der Überzeugung, dass die beiden dazu im Stande wären. So wie sie sich anschrieen. Doch seine Mutter schien das irgendwie egal zu sein. Vor allem da Liam nicht der Mann großer Worte war, aber wenn es um diese Leila ging, konnte er sogar die Stimme erheben. Marissandra rollte mit den Augen und ging zur Schublade mit dem Besteck. „Nein, Menas das hätte ich garantiert nicht gemeint.“ Sie sah ihn an und fragte sich wie sie ihre Kinder überhaupt erzogen hatte. Eigentlich war sie sich sicher, dass ihre Sprösslinge eine sehr gute Erziehung von ihr bekommen hatten. „Menas, ich frage mich gerade, wie du erzogen wurdest. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass ich nicht deine Mutter war. Würdest du mir vielleicht mal helfen? Tischdecken kannst du doch noch?“ Sie sah wie Menas sich mit einem Seufzer vom Stuhl erhob, nachdem dieser seine Zeitung zusammen faltete. „Natürlich doch.“ Er legte die Zeitung auf die Theke und hoffte, dass er später noch mal einen Blick hinein werfen konnte. „Glaubst du denn, Liam und Leila wollen überhaupt was Essen?“ „Vampir? Du hast wohl eher eine Schraube locker!“ „Leila, rede nicht so mit mir“, nun wurde auch Liam etwas lauter. „Ich rede mit dir wie ich will.“ „Garantiert nicht!“ „Willst du mir vielleicht den Mund zukleben?“ „Wenn mir nichts anderes übrig bleibt.“ „Na ja, wenigstens hat er ihr das mit der Vampirsache erzählt“, meinte Marissandra. Das war wenigstens etwas Gutes. Allerdings hatte er ihr noch nicht gesagt, dass Leila nun auch ein Vampir war. Sie selber bezeichneten sich ja nicht als Vampire. Aber es wäre die Bezeichnung die Leila wohl am geläufigsten war. Aber anscheinend war sie mit dieser Bezeichnung nicht so einverstanden, wie sie gedacht hatten. Vermutlich kannte diese junge Frau nur die Beschreibungen aus Büchern und Filmen. Beschreibungen, die mit der Realität nicht wirklich was gemein hatte. Ein paar Übereinstimmungen gab es schon. Zum Beispiel die Empfindlichkeit gegenüber UV-Strahlen, allerdings würden sie nicht verbrennen. Eine Sonnenbrille reichte eigentlich aus, da vor allem ihre Augen sehr sensibel auf das Licht reagierten. Die Reißzähne, das Markenzeichen der Vampire, war auch nicht gelogen. Aber sie liefen damit nicht die ganze Zeit rum. Dann die Tatsache, dass sie nachts lebten, stimmte auch nicht so richtig. Gut, es gab die Krieger, solche wie Liam, die in der Nacht jagten. Aber das taten sie nur, weil es am Tag soviel Aufsehen erregte. Und all die Jahre hatte das ja auch einsamfrei funktioniert, bis Liam Leila begegnet war. Die meisten anderen arbeiteten tagsüber, auch wenn sie Nachtschichten vorzogen. Eine Sache die ihre Rasse von den Menschen besonders unterschied, war das Faktum, dass sie sich nur einmal mit jemand anderen binden. Sie waren sehr monogam und für sie gab es nur einen einzigen Partner. Wenn dieser verstarb, dann war man eben allein und man kümmerte sich um die Familie oder um Freunde. „Vampir? Nun komm schon, das kann doch wohl schlecht dein Ernst sein?“ „Leila… bitte“, sie hörte wie Liam regelrecht mit den Zähnen knirschte. Ihr armer Sohn. Aber nein, sie hatte noch nicht das Gefühl, dass sei eingreifen musste. Sie hatte ihm heute schon mal geholfen, als sie die beiden das erste Mal getrennt hat. Nun war sie der Meinung, dass es nicht schaden würde, dass sie alleine im Wohnzimmer waren. Irgendwann würden sie sich schon vertragen. „Hast du zu viele Schundromane gelesen?“ Leilas Stimme war immer noch laut und drohend. Aber was war dann mit dem Abendessen? Das würde garantiert noch etwas länger bei den beiden dauern. Sie drehte sich in der Küche um und sah zum Backofen. „Was hast du vor? Willst du noch etwas Backen?“ Marissandra schüttelte den Kopf. „Nein. Ich habe nur das Gefühl, dass es bei Leila und Liam noch etwas länger dauern könnte. Deswegen halte ich das Essen solange warm.“ Sie schaltete den Backofen ein, nicht zu heiß. Nur zum warm halten. „Vielleicht sollten wir zu den beiden gehen?“ „Nein, Menas. Sie sind beide alt genug.“ Sie griff nach dem ersten Topf und stellte ihn aufs Blech. „Das klingt aber nicht so.“ Sie stritten sich und würden sich vermutlich demnächst noch die Köpfe einschlagen. „Die kriegen das schon hin. Vertrau doch mal auf deinen Bruder.“ „Warum musst du nur so dickköpfig sein?“, schrie Liam Leila an und Menas zuckte mit den Schultern, als seine Mutter weiterhin in aller Ruhe die Schüsseln in den Backofen stellte. „Warum musst du nur so dickköpfig sein?“ Leila sah Liam wütend an, als er diese Worte von sich gab. Sie biss sich auf die Unterlippe und wusste nicht auf wen sie wütender war. Auf ihn, weil er so einen Stuss erzählte oder auf sich selber, weil sie ihn geküsst hatte. Und Gott, war dieser Kuss toll gewesen. Sie wurde schon lange nicht mehr so sinnlich geküsst. Eigentlich wurde sie noch nie so sinnlich geküsst. Dieser Kuss war irgendwie einmalig gewesen. Aber er hatte kein Recht sie dickköpfig zu nennen. Sie wusste selber dass sie es war, aber deswegen musste ihr das ja wohl kaum in einen Streit an den Kopf werfen. Vielleicht war sie wütender auf ihn, als auf sich. „Dann bin ich eben dickköpfig“, murmelte sie vor sich und drehte ihm mit verkreuzten Armen vor der Brust den Rücken zu. Ja, sie hatte schon immer seinen eigenen Kopf gehabt, aber so wie er es gesagt hatte, war es etwas Schlechtes gewesen. Nur sie selber wusste, dass sie diesen Dickkopf in der Vergangenheit gebraucht hatte, sonst würde sie nicht hier stehen. „Leila…“ „Nein, du hast genug gesagt“, unterbrach sie ihn wie so oft schon. „Wir haben genug gesagt.“ Liam sah wie sie seufzte und fuhr sich durchs Haar. Ja, sie hatte Recht. Sie hatten sich heute wirklich schon so viel an den Kopf geworfen. Mal schrieen sie sich an und dann sahen sie sich ruhig und verzweifelt an. Es war eine komische Situation und er wollte irgendetwas sagen, was diese Situation vereinfachen würde. Doch ihm fiel nichts ein. Leila hatte wieder einen roten Kopf und er hörte, dass ihre Atmung auch schnell ging. Beide hatten sich in Rage geredet, doch nun stand sie mit dem Rücken zu ihm. Etwas, was er so gar nicht von sich kannte. Die blonde Frau, schien aber Wesenzüge in ihm zu wecken, die lange geschlafen hatten. „Es tut mir Leid.“ Das war das erste was ihm einfiel, was in Frage kam nun ausgesprochen zu werden. Er wollte, sie wieder ansehen, wollte ihr Gesicht sehen, wenn er mit ihr sprach. „Mir auch“, hörte er ihre Stimme leise. Er spürte, dass sie versuchte ihre Stimme wieder zu besänftigen, ihren Körper damit eingeschlossen. „Ich weiß nicht, warum wir uns immer wieder anschreien müssen.“ Sie drehte sich zu ihm um und er sah, dass sie ihre Worte sehr ernst meinte. Ja, ihm würde auch etwas Besseres einfallen, als ihr harte Worte an den Kopf zu werfen. Er könnte wieder ihre Lippen küssen, ihren Duft wieder einatmen, der ihn benebelte. Er wollte sie spüren und sie umarmen, fest an sich drücken und gar nicht mehr loslassen. Doch warum mussten sie sich immer anschreien und damit jegliche Form von Romantik zerstören? Warum dachte er an Romantik? Es war ja nicht so, dass er den Streit hervorrief oder dass er sich gerne mit ihr stritt. Nein, er wollte diese Sache ruhig klären, doch sie gerieten immer wieder aneinander und er wusste nicht warum. „Ich auch nicht, Leila.“ „So, nun lasst uns mal was Essen“, meinte Marissandra, die plötzlich im Wohnzimmer stand. Liam hatte gar nicht mitbekommen, dass seine Mutter herein gekommen war. Er wusste auch nicht, ob er froh darüber sein sollte oder nicht. Auch wenn sie sich eben gestritten hatten, so hob sich die Stimmung wieder etwas an. Eigentlich schrieen sie ja nur nicht mehr. „Ich habe Kartoffelauflauf gekocht. Leckeren Rosenkohl gibt es auch, der soll ja sehr gesund sein. Sie mögen doch so was, Leila?“ Marissandra sah Leila fragend an und auch Liam sah wieder zu Blonden. Leila sah Liam an, sie wollte ihm noch so Vieles sagen, nickte dann aber Marissandra zu. „Ja, das klingt sehr lecker.“ Sie wollte ihr Gespräch nicht so im Raum stehen lassen, aber nun wurde es anscheinend von Marissandra erst mal beendet. Vielleicht würde sie ja noch mal die Gelegenheit kriegen, mit Liam darüber zu reden. Über diese Vampirsache. Natürlich glaubte sie nicht an Vampire oder an sonstige mystische Lebewesen, denn das war es für sie. Mystische Lebewesen, die der Fantasie entsprachen. So wie Werwölfe, Hexen die auf Besen reiten, Tiere die sprechen und andere Fabelwesen. An all das glaubte sie nicht. Sie glaubte eigentlich an kaum etwas, außer an das was sie selber erreichen konnte, wenn sie es nur wollte. Sie glaubte an sich selber. Den Glauben zu allem anderen hatte sie verloren. Kapitel 15: Kapitel 15 ---------------------- Leila saß auf dem Bett, in dem sie heute aufgewacht war und starrte die blütenweiße Decke vor sich an. Sie hatte die Knie an sich gezogen und hielt sie mit den Armen an ihrer Brust fest, ihr Kopf ruhte auf den Knien. In ihrem Kopf schwirrten so viele verschiedene Gedanken, dass ihr davon fast schwindelig wurde. Irgendwie hatte sie Hunger auch wenn sie ihren Teller vorhin aufgegessen hatte. Das Essen was Marissandra gekocht hatte, war sehr köstlich gewesen. Ihr war allerdings aufgefallen, dass sie die Einzige am Tisch war, die so zulangte. Menas, Marissandra und Liam hielten sich mit dem Essen sehr zurück. Aber ihr hatte es sehr geschmeckt und das hatte sie der Köchin auch gesagt. Aber dieses Hungergefühl, war anders, sie konnte es nicht recht beschreiben oder zuordnen. Es war ein neues und fremdes Gefühl, auch wenn es aus ihrem Magen kam. Sie dachte an Liam und an das was er ihr heute erzählt hatte. All die Worte, die sie verwirrten. Teilweise verletzt hatten. Aber sie hatte ihn auch verletzt, verbal. Aber egal wie lange sie nachgrübelte, kam sie auf keine Lösung. Sie wusste nicht was sie eher glaubte, dass Liam verrückt war, vielleicht auch Marissandra und Menas oder das sie seinen Worten vertrauen sollte. Aber Vampire? Das ging nun echt nicht. Die Worte die er gewählt hatte, verwirrten sie. Zuerst hatte er von einer anderen Rasse als dem homo sapiens gesprochen. Dann hatte er was von Vampiren erzählt und sie fand darin nun wirklich keinen Zusammenhang. Beides klang verrückt, aber es konnte natürlich auch sein, dass das eine die Erklärung für das andere war. Seufzend ließ sie sich nach hinten auf die Kissen fallen. Ihr Kopf funktionierte wieder, ohne ihr weh zu tun und dennoch kam sie auf keine gute Antwort, die all das, was sie heute erlebt hatte, erklären würde. Eigentlich hätte sie Liam ja mit der Aussage, dass er verrückt ist abstempeln können. Aber ein Teil in ihr wollte das nicht. Dieser Teil in ihr wollte eine Lösung dafür finden. Einen Zusammenhang, der alles klärte. Eine wissenschaftliche Erklärung, mit der sie einfach was anfangen konnte. Doch fehlte ihr das Verbindungsstück zwischen beiden Theorien. Ganz wie von selbst fuhr ihr Zeigefinger die Konturen ihrer Lippen nach und sie hatte das Gefühl, das Liam sie wieder küssen würde. Dieser Kuss war wie der aus einem Film gewesen. Hingebungsvoll und leidenschaftlich. Er hatte mit seinen Lippen ihre in Beschlag genommen, als konnten sie nichts anderes küssen. Er war ein guter Küsser. Dieser Kuss war so real und echt, dass Liam einfach nicht verrückt sein konnte. Okay, die Aussage dass Verrückte nicht so gut küssen können, wie Liam es tat, war nicht wirklich hilfreich. Darauf konnte sie sich niemals festlegen. Aber es war ja nicht nur der Kuss gewesen. Hinzu kamen noch seine Augen, die zwar anders wirkten, aber ihr auch eine Wärme zeigten, die so nie gesehen hatte. Sie waren blau und hin und wieder lag ein silberner Schimmer über diesem Blau. Sie sahen besonders aus, genauso wie seine Geschichten. Dann war da auch noch dieser Akzent. Auch wenn Liam ihr sagte, er hatte lange in England gelebt, glaubte sie nicht, dass dies ein britischer Akzent war. Allerdings konnte sie auch nicht sagen, woher dieser kam. Ein großer Punkt der zu bedenken war, war die Sache mit der Waffe. Säbel hin oder her. Marissandra hatte seine Worte bestätigt, dass er damit etwas Gutes tat, aber war Selbstjustiz wirklich etwas Gutes? Wenn diese Menschen schlecht waren, die er jagte, warum konnte sich die Polizei nicht darum kümmern? Ein Undercover-Polizist auf geheimer Mission war er offensichtlich auch nicht. Warum musste er es tun? Riskierte er dabei nicht sein Leben? Gab er sich nicht in Gefahr, wenn er die jagte, die er nun mal jagte? Leila seufzte auf und fuhr sich durchs blonde Haar. Das Nachdenken schien sie sogar noch mehr zu verwirren, als sie ohne hin schon war. Sie sollte einfach ihre Sachen packen und nach Hause gehen. Sie vermisste ihre Wohnung und Tuxedo. Der Kater war noch nie so lange alleine gewesen. Wenn sie verreiste, dann sorgte sie immer dafür dass wenigstens jemand für eine Stunde bei ihrem Kater war. Er sollte was zum Essen bekommen und noch ein paar Streicheleinheiten. Dass sie ihren Kater so verwöhnte, war ihr vollkommen klar, aber es machte ihr nichts aus. Warum sollte sie das Tier nicht verwöhnen, sie mochte ihn doch sehr. Außerdem kam er immer zu ihr, wenn ihr kalt war und legte sich auf ihre Füße. So gaben sie sich doch gegenseitig etwas zurück. Sie hatte doch auch sonst keinen, den sie verwöhnen konnte. Factum war, dass egal wie lange sie noch nachdachte, sie würde nicht schlauer werden. Sie saß hier mit ihren Gedanken fest. Während ihr Kater alleine zu Hause war. Sie sollte sich auch bei ihrer Mutter melden, sie würde sich sicherlich schon Sorgen machen. Ihre Freunde auch. Sie musste eindeutig mal nach Hause, nach dem Rechten sehen, kontrollieren ob die Wohnung nicht abgebrannt war und das es allen gut ging. Sich ihren Gedanken vollkommen bewusst, setzte sie sich wieder auf und sah sich im Zimmer um. Es war kalt draußen und sie brauchte einen Mantel. Nicht, dass sie glaubte, dass Liam sie so einfach gehen lassen würde. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass man sie hier festhielt. Und wenn das nicht, dann war man bestimmt nicht begeistert, wenn Leila einfach einen Abgang machte. Aber sie musste hier raus. Die Decke fiel ihr so langsam auf den Kopf, außerdem konnte sie schon immer besser nachdenken, wenn sie im Freien war. Beim Fotografieren zum Beispiel oder wenn sie joggen ging und die Luft in ihrer Lunge brannte. Schnell huschte sie aus dem Bett und ging zu dem Wandschrank. Da hatte jemand einen Teil ihrer Kleidung hingehängt. Wie auch immer sie daran kamen. Aber leider fand sie keinen Mantel darin. Also griff sie nach einem Pullover, den sie sich überzog. Würde schon langen. Vermutlich war sie eh gar nicht so weit von ihrer Wohnung entfernt. Schlüssel, kam es ihr in den Sinn. Wo hatte sie nur ihren Haustürschlüssel? In ihrer Handtasche. Dort durften neben ihrem Schlüssel auch ihr Handy und ein paar Schminkutensilien zu finden sein. Aber sie hatte ihre Handtasche noch gar nicht gesehen. Sie lag nicht auf dem Nachtisch, auf dem Schreibtisch, im Schrank oder unterm Bett. Vielleicht brauchte sie ihren Schlüssel gar nicht, wenn ihr Vermieter da war, würde dieser sie schon in ihre Wohnung lassen. Sie konnte ja sagen, dass sie schnell bei einem Nachbar war und dann die Tür zugefallen war, deswegen hatte sie auch keinen Mantel an. Ja, das würde als Lüge durchgehen. Sie war nämlich keine gute Lügnerin. Aber das war ja nur eine Notlüge, das würde sie schon hinkriegen. Sie schlüpfte in ihre Schuhe, die im Schrank standen. Das waren die, die sie am Samstag angezogen hatte. Aber anscheinend hatte man sie in die Waschmaschine gesteckt, denn sie waren eindeutig weißer, als vorher. Warum sollte man ihre Schuhe in die Waschmaschine stecken? Noch mehr Fragen, auf die sie keine Antworten bekam und die sie auch jetzt nicht mehr bekommen wollte. Sie wollte nach Hause und sich in ihr Bett kuscheln. Hoffentlich ließ man sie gehen oder, man bemerkte nicht, dass sie gerade abhaute. Sie hoffte sehr auf das Zweite. Sie drehte sich noch mal um und sah sich im Zimmer um. Dieses Zimmer war ihr fremd und doch fühlte sie sich hier wohl. Es war ein komisches Gefühl und irgendwie hatte sie ein schlechtes Gewissen, wenn sie nun einfach so gehen würde. Also ging sie noch mal zum Schreibtisch, zog den Schreibblock zu sich heran, der dort lag und nahm einen Stift zur Hand. Sie sollte Liam wenigstens eine Nachricht hinterlassen. Wenigstens etwas. Leise öffnete sie die Tür und starrte in den Flur. Menas war ihr nach dem Abendessen nach oben gefolgt und sie sah, das Licht durch den Türschlitz leuchtete, wo sein Zimmer lag. Alle anderen Zimmer waren dunkel und still. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie war noch nie so aufgeregt gewesen und sie hoffte, dass man ihren Herzschlag nicht hören würde, denn dann war diese Aktion wirklich für den Eimer. Wie groß war die Wahrscheinlichkeit das Marissandra ihren Herzschlag hören konnte, wenn sie auch ihre Gedanken lesen konnte? Diese Frage wollte sich Leila selber lieber nicht beantworten, sonst wäre sie nämlich auf der Stelle wieder umgekehrt. Doch nun hatte sie es schon bis zur Treppe geschafft. Sie lauschte wieder und hielt dabei ohne es zu merken, den Atem an. Sie hörte Stimmen, allerdings glaubte sie, dass diese aus einem Radio kamen. Dann hörte sie das Klappern von Töpfen. Leila vermutete, das Marissandra in der Küche war, das Geschirr vom Abendessen einräumte und dabei das Radio laufen ließ. Sie konnte aber nicht sagen, wo Liam war. Die Tür zum Wohnzimmer stand offen und sie sah nur das Flackern des Kamins, ansonsten war es dort drinnen dunkel. Eigentlich sollte es ihr auch egal sein, wo Liam sich aufhielt. Er würde sie doch eh nur von ihrem Plan, hier raus zu kommen, aufhalten. Schnell eilte sie die Treppe herunter, sie war die Stufen nun schon so oft heute gegangen und wusste deswegen, dass keine einzige quietschte. Man hatte sie bestimmt vor kurzem erst neu eingesetzt. Wie auch immer, sie sollte sich aufs wesentliche konzentrieren. Und das tat sie auch in dem sie mit zwei weiteren Schritten vor der Haustür stand und die Klinke in der Hand hielt. Einen Moment überlegte sie, ob sie nicht wieder umdrehen sollte. Schließlich hatten sich alle rührend um sie gekümmert, sie war für sie da gewesen und hatten ihre Wunden versorgt. Sie sah auf das Pflaster, in dem die Infusionsnadel gesteckt hatte. Sie hatte sie sich vorm Baden herausgezogen und ein Pflaster drauf geklebt, welches sie in einer Schublade im luxuriösen Badezimmer gefunden hatte. Marissandra war sehr freundlich zu ihr gewesen und Liam auch. Liam würde bestimmt böse sein, wenn er feststellte, dass sie nicht mehr in ihrem Zimmer war. Aber sie musste hier raus und in ihre eigene Wohnung zurück. Sie brauchte einen Stück Normalität, sonst würde sie sich selber wirklich noch für verrückt erklären. Das Gerade von Gedanken lesen, einer weiteren Spezies neben dem homo sapiens und Vampiren wurde ihr so langsam zu viel. Sie öffnete die Tür und bekam genau das, was sie brauchte. Frische Luft. Auch wenn sie ihr kalt ins Gesicht peitschte, war es doch angenehm. Sie zögerte nicht mehr lange und trat über die Schwelle, zog die Tür hinter sich zu. Sie dachte nur daran, dass sie nach Hause wollte und bekam nicht mit, wie man sie aus dem Fenster der Küche beobachtete. Ihr war seltsamerweise schwindelig. Es roch merkwürdig und sie konnte nicht sagen woher dieser Geruch kam. Es roch nach gekochter Suppe, die das Abendessen einer Familie darstellte. Dann roch sie Parfüm und Hundekot, dabei sah sie ringsum sich herum gar keinen. Sie hörte auch Stimmen und andere Geräusche. Dabei war gar keiner in ihrer Nähe. Sie starrte auf die Häuser, sah die beleuchteten Fenster, doch alle waren geschlossen. Man stritt sich darum, dass der Geschirrspieler ausgeräumt werden sollte. In einem Haus wurde eine politische Diskussion über die momentane Regierung gehalten. Wieder ein Haus weiter, hörte sie jemanden telefonieren. Und sie verstand einfach nicht warum. Als sie dann auch noch eine Katze miauen hörte, wusste sie, dass sie echt einen an der Waffel haben musste oder dass sie sich das alles nur einbildete. Vielleicht lag es auch an den Medikamenten, die man ihr mit Sicherheit gegeben hatte. Es könnte ja gut möglich sein, dass die Nebenwirkungen darin bestanden, dass Leilas Sinne nun geschärft waren. Um wie viel Prozent auch immer. Leila hatte gehofft, als sie das Haus verlassen hatte, das Liam direkt in ihrer Nähe wohnen würde und sie einfach ein paar Straßen entlang gehen müsste, um direkt zu ihrer Wohnung zu gelangen. Doch die Hoffnung entsprach nicht der Wirklichkeit. Leider. Die ersten Straßen die sie durchquerte kannte sie gar nicht und auch jetzt wusste sie nicht wo sie war. Die Abenddämmerung war schon angebrochen, die Straßenlaternen wiesen ihr einen Weg ins Unbekannte. Sie würde ja einen Bus nehmen, aber erstens hatte sie kein Geld, zweitens hatte sie auch noch keine Bushaltestellte gesehen. Es kam ihr auch keiner entgegen. „Das ist doch mal wieder typisch. Da brauchte man mal jemanden, den man nach dem Weg fragen konnte und es kommt keiner.“ Das war bestimmt auch eines von Murphys Gesetzen. Wenn man jemanden nach den Weg fragen will, ist keiner da. Leila gehörte eigentlich nicht zu den pessimistischen Menschen, aber jetzt gerade in dieser Situation war sie es sehr gerne. Außerdem bekam sie wieder Kopfschmerzen, was sie allerdings ihren Sinnen zuschrieb, die gerade die Welt erkundeten. Irgendwie war sie auch der Überzeugung, dass sie nun besser sah als vorher. Nicht, dass sie vorher auf die Hilfe von Kontaktlinsen oder einer Brille zurückgreifen musste. Aber ihr Kopf brummte enorm. Dann hörte sie Stimmen und sie glaubte, erahnen zu können, dass diese nicht aus einem Haus kamen. Sie klangen freier, als würden diese Menschen eben nicht zu Hause stehen. Aber sie brauchte eindeutig eine Kopfschmerztablette und wenn da so weiter ging eine ziemlich starke. Alles versuchte sich in ihren Kopf zu drängen, Geräusche und Gerüche. Wie bunte, wirre Farben schwirrten sie in ihrem Kopf herum und machten nichts als Unfug, bereiteten ihr Schmerzen. Sie hielt sich die Stirn und fühlte, wie kalt ihre Hände waren. Es war frischer als sie vermutet hatte. Vermutlich war in den Tagen, die sie bei Liam verbracht hatte, ein Kälteeinbruch über die Gegend gekommen. Vielleicht war eine kalte Polarluft übers Land gekommen und sie hatte es nicht mitbekommen. Hoffentlich ging es Tuxedo gut und er hatte sich bei der Kälte nicht ausgesperrt. Doch die vielen Gerüche, Geräusche die sie vernahm, ließen sie taumeln. Das alles überwältigte sie vollkommen. Sie stützte sich gegen die Hauswand, weil ihr etwas schwindelig wurde. Da war dieser Geruch, der köstlich roch und sie anzog. Sie konnte ihn nicht zu ordnen, wusste aber, dass dieser Geruch von den Menschen kamen, die sie hörte. Es war ein Zwang, der in ihr erweckt wurde, dass sie zu diesen Menschen gehen wollte. Etwas in ihr wollte zu diesem Geruch, diesem Duft, der sie umhaute. „Du hast zugesehen?“ „Ja, Liam, ich stand am Fenster als Leila das Haus verlassen hat.“ Marissandra war mal wieder die Ruhe in Person. Sie war nicht so leicht aus der Fassung zu bringen und es schien so, als würde Liam auch jetzt auf Granit beißen. Eine Tugend, die er an ihr immer geschätzt hatte, doch jetzt in diesem Moment wünschte er, sie würde ihn wenigstens etwas verstehen. Liam war aufgebracht. Leila war verschwunden. Nein, abgehauen. Sie war einfach abgehauen und seine Mutter hatte zu gesehen. „Und was hast du gemacht, während sie das Haus verlassen hat?“ „Abgetrocknet. Du hast ja keinen Geschirrspüler und ihr beiden wolltet mir ja mit dem Abwasch nicht helfen. Also musste ich alles alleine machen.“ „Mutter“, er starrte sie überrascht an. „Ich glaube, du verstehst nicht ganz. Leila ist verschwunden.“ Sie schien es wirklich nicht zu verstehen und erzählte ihm irgendetwas, davon, dass sie das Geschirr abgetrocknet hatte. So langsam fiel ihm ein, dass sie wirklich in vollkommen verschiedenen Welten zu leben schienen. „Doch, Liam. Ich habe ja mit angesehen, wie Leila das Haus verlassen hat. Was hätte ich denn machen sollen? Sie ist keine Gefangene, soweit ich mich erinnere.“ Sie legte das Handtuch über die Heizung, damit es trocknen konnte, denn ihr Sohn schien davon nicht sehr viele zu besitzen. Und wenn sie hier täglich kochen sollte, musste sie sich etwas einfallen lassen und sie war gerade erst einkaufen gewesen. Wer hätte denn ahnen können, das Liam nur zwei Geschirrtücher besaß. Niemand besaß nur zwei Geschirrtücher. „Nein, sie ist keine Gefangene“, meinte er und seufzte auf. Er fuhr sich durchs Haar und versuchte klar zu denken. Was aber gar nicht so leicht war, was ihn wiederrum fertig machte. Er konnte doch immer nüchtern Dinge betrachten, objektiv bleiben und klar denken. Warum konnte er es nicht, wenn es um Leila ging. Er musste sich doch nun überlegen, was sein nächster Schritt sein sollte. „Was ist denn los?“, fragte Menas, der nun in die Küche kam und beide fragend ansah. Er hatte ihre Stimmen gehört. Eher Liam, der mit seiner Mutter laut gesprochen hatte. „Leila ist gegangen und dein Bruder gibt mir die Schuld.“ „Du willst mir also sagen, es ist nicht deine Schuld? Du hast ja nur tatenlos zugesehen wie sie das Haus verlässt“, meinte er mit lauter Stimme zu ihr. Er erhob nie die Stimme, schon gar nicht gegen seine Mutter, doch jetzt verlor er gerade die Beherrschung. Marissandra sah ihren Sohn sauer an. Nein, es war garantiert nicht ihre Schuld. Es gab nur einem, den sie die Schuld in die Schuhe schob. Sie hatte das den ganzen Tag lang still mit angesehen, doch nun hatte sie eindeutig die Schnauze voll. „Wovor hast du Angst, Liam? Was soll ihr denn passieren?“ Er hatte keine Lust sich mit seiner Mutter zu unterhalten. Er sollte sich auf die Suche nach Leila machen. Sie brauchte seine Hilfe, dessen war er sich sicher. „Sie ist gerade erst gewandelt worden. Sie wird sich schrecklich fühlen.“ „Nur, dass sie nicht weiß, dass sie gewandelt worden ist“, stellte seine Mutter klar. „Und wessen Schuld ist das?“ „Ich hatte es doch versucht.“ „Versucht? Tja, dann hast du dir wohl nicht genug Mühe gegeben, Liam“, sagte sie sauer. „Du hättest es ihr sagen müssen. Das war deine Aufgabe.“ „Das weiß ich.“ Natürlich wusste er das. Es war ja auch sein Ziel gewesen, aber Leila hatte ihn einfach zu sehr abgelenkt. Ihre blauen Augen. Ihr Lächeln. Ihre sanften Lippen, ja vor allem die. Aber er hatte gedacht, dass er noch Zeit hatte. Woher hätte er denn wissen sollen, dass sie abhauen würde? „Was ist das?“, hörte er Menas hinter sich fragen. Er sah sich zu seinem Bruder um und der deutete auf den Zettel, den Liam in den Händen hielt. Liam sah wieder auf die Worte und die schöne Schrift. Das war die Nachricht, die Leila ihm hinterlassen machte. Es war wirklich freundlich, dass sie wenigstens einen Zettel schrieb, aber das machte die Situation eindeutig nicht besser. Sie war nicht da und da konnten ihm diese Abschiedsworte auch gestohlen bleiben. „Leilas Abschiedsbrief“, antwortete Marissandra, da Liam nichts gesagt hatte. „Das ist kein Abschiedsbrief“, knirschte er mit den Zähnen. Man schrieb einen Abschiedsbrief, wenn man sich nie wieder sah und das akzeptierte er nicht. Er würde einfach nicht zu lassen, dass sie sich nie wieder sahen, denn er wollte sie sehen. Er musste sie einfach sehen. „Und was hat sie geschrieben?“, fragte Menas interessiert. Liam seufzte und reichte Menas den Brief. Er wollte ihm diesen eigentlich weder geben noch vorlesen, er war schließlich an ihn selber geschrieben. Sein Name stand oben drauf. Doch vielleicht fiel seinem Bruder ja ein, wie Liam nun vorgehen sollte. „Danke Liam, dass Du, Marissandra und Menas sich so gut um mich gekümmert habt. Auch wenn ich immer noch nicht weiß, was mit mir passiert ist. Aber das soll nicht heißen, dass ich Euch nicht dankbar bin. Vielen Dank für die Gastfreundschaft, ich hatte jedoch das dringende Bedürfnis wieder nach Hause zu gehen. Leila“, las Menas die Nachricht Leilas vor. Liam hatte die Worte immer und immer wieder gelesen und hatte sich dabei die ganze Zeit gefragt, warum sie denn abhauen sollte. Er konnte sich nicht vorstellen, er war doch freundlich gewesen, hatte sich um sie gekümmert. Er war die Tage gar nicht mehr von ihrer Seite gewichen und wenn es nach ihm gegangen wäre, wäre er nicht mal duschen gegangen. Es war eher so gewesen, dass er ihre Nähe gebraucht hatte, ihre Wärme. Er hatte einfach bei ihr sein wollen. Die Stunden mit ihr waren schön gewesen, er mochte Leila. Die sprechende mehr, als die schlafende. „Was willst du nun tun?“, fragte Menas seinen Bruder. „Was soll Liam schon groß tun“, meinte Marissandra und sah die Beiden an. Liam nahm Menas den Zettel wieder ab und verließ die Küche. Es gab nur eines, was er jetzt tun konnte. Er wollte bei ihr sein, sehen, dass es ihr gut ging. „Wo willst du hin, Liam?“, fragte Marissandra, als Liam schon die Treppe ins Untergeschoss runtereilte. „Das Einzige, was ich tun kann.“ Sie suchen. Er riss die Tür zur Garage auf und sprang in seinen Wagen. Liam hämmerte auf sein Lenkrad, während sich das Tor seiner Meinung nach viel zu langsam öffnete. Diese ganze Diskussion mit seiner Mutter hätte eben nicht sein müssen. Er hätte direkt nach dem er den Brief in den Händen hielt, ins Auto springen müssen. Das war doch das einzige, an das er die ganze Zeit gedacht hatte. An Leila und die Frage, ob es ihr gut ging schwirrte nervend wie eine Wespe in seinem Kopf herum. Der Gedanke, sie wieder mit nach Hause zunehmen, war gar nicht so überragend. Viel wichtiger war ihm ihr Wohlbefinden. Kapitel 16: Kapitel 16 ---------------------- Sie wollte hier weg, wusste aber nicht wohin sie gehen sollte. Überall waren Gerüche oder Geräusche die sie zu bedrängen schienen. Sie hielten sie fest und drückten sie regelrecht gegen eine unsichtbare Wand. Leila konnte nicht mehr und dieses Gefühl war schrecklich. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so gefühlt wie jetzt. Sie war den Stimmen entgegen gegangen, die sie gehört hatte, doch mit jedem Schritt den sie näher ging, schrie eine Stimme in ihr, dass sie nicht weiter gehen sollte. In ihrem Körper schien es einen Kampf zu geben, den sie sich nicht erklären konnte und auch nicht verstand. Sie hatte nur nach den Weg fragen wollen, doch sie konnte keinen Schritt mehr gehen. Schreie und Hundegebell drang in ihre Ohren und schien ihr das Trommelfeld zerreisen zu wollen. ‚Stopp‘, hatte sie geschrien, doch keiner war in ihrer Nähe, der ihr helfen konnte. Ihr Kopf schien zu platzen, zu explodieren und sie taumelte nur vor sich hin. Doch neben den Geräuschen und den Gerüchen, war da auch dieses Gefühl, das aus ihrem Magen kam. Es sagte ihr, dass sie Hunger hatte und sie deswegen zu den Stimmen gehen wollte. Doch das konnte sie nicht. Die Stimme aus ihrem Inneren, sagte ihr, dass sie das nicht durfte. Es war ein schreckliches Gefühl, wenn man seinen eigenen Körper nicht mehr verstand. Wen etwas in einem passierte und man die Ursache nicht kannte. Es wurde alles zu viel und Leila drückte ihre Hände auf ihre Ohren. Sie wollte nichts mehr hören und alleine sein. Natürlich war ihr bewusst, dass sie sich auf irgendeiner Straße befand und eigentlich nach Hause wollte. Doch sie konnte weder weiter gehen noch wieder zurück laufen. Sie wollte einfach nur hier sitzen. Langsam sackte sie zu Boden, die Hände immer noch an den Ohren. Sie summte eine Melodie, dabei hoffend, keine anderen Geräusche mehr zu hören. Doch das half nicht wirklich. Sie hatte keine Ahnung was mit sich los war. Warum sie plötzlich Dinge hörte, die sie früher nie gehört hatte, warum sie Dinge roch und warum sie so weit sehen konnte. Sie verstand das alles nicht und es machte ihr schrecklich Angst. Vielleicht war sie wirklich verrückt und nicht Liam. Nein, sie war es. Die Theorie, dass es an irgendwelchen Medikamenten lag oder das eine Überreaktion war, hatte sie schon längst zur Seite geschoben. Warum sagte ihr niemand, was mit ihr los war? Hatte das etwa auch etwas mit der Wunde zu tun, die nicht mehr da war? Und letztendlich auch mit Liam, weil er ihr irgendetwas erklären wollte. Sie erstarrte, als etwas über ihre Wange lief und beruhigte sich erst etwas, als sie realisierte, dass es eine Träne war. Sie weinte und erschrak vor ihren Tränen? Das war alles zu viel. Es beruhigte sie nicht, als sie das vertraute Gefühl kannte, als die Träne über ihre Wange ihren Weg suchte. Es gab mal eine Zeit, da hatten ihre eigenen Tränen eine beruhigende Wirkung auf sie gehabt. Das war immer der Moment, im den sie realisierte, dass sie noch lebte. Doch jetzt beruhigten ihre Tränen sie nicht. Alles schien wirr und verhext, sie verstand weder sich noch ihre Umgebung. Sie zuckte zusammen, als sie das Klacken von Schuhen hörte. Zuerst leise, doch dann immer lauter werden. Sie hasste diese Frauen, die solche Schuhe trugen. Die legten es doch gerade mit diesen Schuhen drauf an, dass man sie anstarrte. Aber vielleicht brauchten diese Frauen diese Bestätigung, weil man sie vielleicht sonst nicht anstarrte. Doch dann wurde das Geräusch wieder leiser, die Frau kam also nicht hier entlang und Leila saß immer noch zusammengekauert an der Straße. Sie umfasste ihre Knie, ließ also die Hände von ihren Ohren und wusste nicht weiter. Ihr zu Hause schien ihr zu weit entfernt zu sein, als dass sie es heute noch erreichen konnte. Und zurückgehen konnte sie auch nicht mehr. Den Weg hatte sie sich ohnehin nicht gemerkt und wusste nicht mal, wie das Haus von Liam von außen aussah. Sie saß hier fest. Wieder lief eine Träne über ihre Wange. Es war eine stumme Träne, die sie aufwühlte. Sie wollte Hilfe, aber sie konnte doch nicht einfach so um Hilfe rufen. Eigentlich hoffte sie, dass jemand vorbei kam und sie fragen würde, ob mit ihr alles okay war. Doch dann hoffte sie wieder, dass keiner kommen würde, denn dieses Hungergefühl war immer noch sehr präsent. Ihr Magen verknotete und verkrampfte sich, machte wütende Geräusche. Sie keuchte nach Luft. Ihr Herzschlag stieg ins Unermessliche. Sie spürte das alles viel intensiver, als würde sie in einem fremden Körper stecken, da ihr das alles fremd war. Von den Sohlen aufwärts bis zum Kopf schien alles zu zittern. Sie fühlte sich hilflos. Ein Gefühl, dass sie hasste. Ein Gefühl, dass sie in ihrer Jugend lange genug erfahren musste und sie hatte sich damals geschworen, sich nie wieder in so eine Situation zu bringen. Hilflosigkeit war der Untergang ihres neuen Lebens, für das sie sich mit 16 Jahren entschieden hatte, als sie ihre Familie und ihre Heimatstadt verlassen hatte. Sie hörte ein Auto. Es schien immer näher zu kommen, doch es war ihr egal. Gerade wurde ihr alles egal. Sie nahm den Gedanken an, dass sie nie wieder mit ihrem Kater kuscheln würde, nie wieder mit ihrer Mutter telefonieren würde, geschweige denn sie zu sehen. Sie würde hier für immer sitzen bleiben und sterben. Irgendwie schaffte sie es sich in ihre Gedanken zu verlieren, vergaß dabei auch die Welt um sie herum. Sie realisierte nicht was um sie geschah, da es ihr unwichtig erschien. Liam wusste das sie noch nicht weit sein konnte, es sei denn sie hatte ein Handy gefunden und sich ein Taxi gerufen. Die nächste Bushaltestelle, war gut 15 Minuten entfernt und Leila wusste garantiert nicht, wo diese war. Er vermutete allerdings auch, dass sie gar nicht wusste wo sie war. Sein Haus befand sich in einem anderen Stadtteil als ihre Wohnung und er wusste nicht, wie gut Leila sich hier auskannte. Er machte sich Sorgen um sie. Schreckliche Sorgen sogar. Seine Mutter hatte ihm gesagt gehabt, dass die ersten Wochen eines Frischgewandelten am Schlimmsten waren. Sie hingen dann in einer Art Zwischenwelt, zwischen ihrem Leben als Mensch und dem neuen Leben. Doch die Sache mit Leila war um einiges komplizierter, da sie eben nicht wusste, dass ihr Leben als Mensch nun beendet war. Sie war nun eine von ihnen. Auch wenn nur in Form einer Gewandelten. Jedoch wusste sie das alles nicht. Und warum? Weil er ein Feigling gewesen war. Es war seine Aufgabe gewesen, es Leila zu erzählen und er hatte gezögert. Liam fuhr durch die Gassen um sein Haus herum und hoffte, dass er sie irgendwo finden würde. Doch die Gassen waren leer, da waren keine Menschen, aber auch keine Leila. Vielleicht hatte jemand sie mitgenommen und sie war in Gefahr. Sofort packten ihn Panik und Schuldgefühle. Er hätte auf sie aufpassen müssen. Er hatte sie gewandelt und war für sie verantwortlich. Nur das er das gründlich versaut hatte. Seine Pflicht hatte darin bestanden, sie zu beschützen, denn die neuen Eindrücke würden sie überwältigen, außerdem hätte er ihr sagen müssen, dass sie nun kein Mensch mehr war. Kein richtiger zumindest. Sie war nun eine, wie die Menschen sagen würden, Vampirin. Er hatte immer wieder versucht es ihr zu erklären, doch war kläglich daran gescheitert. Liam trat überstürzt auf die Bremse als er eine Frau sah, diese saß zusammengekauert am Boden und wiegte sich selber hin und her. Erst nach zwei maligen Hinschauen, wusste er, dass es Leila war. Sie war also wirklich noch nicht weit gekommen. Doch so wie sie aussah, ging es ihr gar nicht gut. Er drehte den Zündschlüssel wieder um und schaltete den Motor aus, bevor er aus dem Auto stieg. Leila schien ihn nicht zu bemerken, zumindest reagierte sie nicht. Und er wusste nicht, ob das etwas Gutes war oder eher das Gegenteil. Sie wirkte vollkommen apathisch. Zuerst waren seine Schritte zögernd, doch dann wurden sie schneller. Er musste sie spüren, wollte sie einfach nur in die Arme nehmen und sich versichern, dass alles gut war. Er hob sie ohne ein Wort zu sagen hoch und drückte sie an sich. Sie verkrampfte sich zuerst und schlug gegen seine Brust und versuchte sich aus seiner Umarmung zu winden. Doch Liam ließ sie kämpfen und tat nichts dagegen, außer sie festzuhalten. „Leila“, er sprach ihren Namen leise aus. Er war froh, dass er sie gefunden hat, aber er wusste noch nicht wie er mit ihrem momentan Zustand umgehen sollte, wie er ihr helfen konnte. Sie war widerspenstig und immer noch apathisch, er wusste, dass sie schreckliche Angst hatte. Sie schien einen Moment seiner Stimme zu lauschen, schien nach zu denken, doch dann schlug sie wieder gegen seine Brust ein. Er hätte ihre kleinen Fäuste so leicht fest- und aufhalten können, doch er wollte es nicht. Sie hatte jedes Recht dazu, ihn zu schlagen, sauer auf ihn zu sein. Und vielleicht half es ihr, wenn sie ein Ventil hatte, an dem sie sich auslassen konnte. „Ich habe Angst…“ Liam sah sie überrascht an. Er hätte jetzt mit Worten gerechnet, wie sehr sie ihn hasste. Doch das hier überraschte ihn wirklich. In seiner Brust wuchs ein Gefühl, dass er so noch nie für jemanden empfunden hatte. Er empfand Mitgefühl für sie, wollte ihr unbedingt helfen. Er wollte sie von ihrer Angst befreien, ihr versichern, dass sie nun keine Angst mehr zu haben brauchte. Nun wo er sie gefunden hatte. Leila schien generell Emotionen bei ihm auszulösen, die ihm fremd waren. „Leila, schon gut“, er wollte sie beruhigen, die richtigen Worte finden. Doch das war verdammt schwer. „Ich habe Angst vor mir selber.“ Diese Worte kamen nur stockend über ihre Lippen. Sie fielen ihr so schwer und doch wusste sie, das Liam ihr helfen konnte. Er schluckte schwer, als er das hörte. Liam hörte, dass sie schluchzte, ihre Stimme zitterte. Erst jetzt griff er nach ihren Händen, hielt sie fest und drückte sie dann an seine Brust. Sie ergab sich ihm ohne weiteren Widerstand und ließ sich an ihn drücken. Er merkte, wie sie laut und holprig versuchte nach Luft zu schnappen. Ihr ganzer Körper bebte und schüttelte sich in seinen Armen. Sie hyperventilierte und Liam wusste nicht was er tun sollte. Das Beben in ihrem Körper war so heftig, dass er sie los ließ und ihr Gesicht in seine Hände nahm. Er wollte, dass sie ihn ansah. „Leila“, sprach er ernst. Doch sie wich seinem Blick aus. „Sieh mich an“, doch sie tat es nicht und das Beben in ihrem Körper schien noch stärker zu werden. Sie schien in seinen Armen keine Luft mehr zu bekommen und das ließ ihn vollkommen hilflos erscheinen. Er streichelte mit seinem Daumen über ihre Wange und erst dann, sah sie ihn an. „Ich weiß es ist zu viel verlangt, aber du musst mir vertrauen, wenn ich dir sage, dass alles gut wird.“ Leila sah ihn einen Moment lang still an, so gut das während ihrem hysterischen Anfall ging, doch dann wurde ihre Atmung ruhiger. Sie sah ihn die ganze Zeit an, verlor sich in seinen Augen und das schien sie zu beruhigen. „Gut“, meinte Liam erleichtert, als sie wieder normal atmete und ihr Herzschlag wieder in normalen Rhythmus schlug. Leilas Blick war nun auch ruhiger geworden, ihre ganzen Gesichtszüge entspannten sich nun etwas. Sie sah wunderschön aus. Sie war etwas Besonderes und er würde nicht zu lassen, dass ihr irgendetwas passierte. Er hatte es einmal zugelassen, doch dieses Mal würde er besser aufpassen. Unbewusst streichelte Liam immer noch mit seinen Daumen über ihre Wangen, es war ein schönes Gefühl, auch wenn ihre Wangen gerötet waren. Sie hatte geweint und sie weinte immer noch. Er sah zu wie eine Träne über ihre Wange lief und bevor er nachdenken konnte, was er da eigentlich tat, beugte er sich nach vorne und küsste diese einzelne Träne weg. Er spürte Leilas warmen Atem auf seiner Haut und das bereitete ihm Gänsehaut. Sie schien auch etwas zu seufzen, als seine Lippen ihre Haut berührten. „Es tut mir Leid“, brachte sie schließlich über die Lippen, als er sie wieder ansah. Liam nickte nur. „Es ist okay.“ Er würde ihr vermutlich alles verzeihen, solange sie nur bei ihm blieb. „Wie geht es dir?“ Aber würde sie ihm alles verzeihen, so dass sie überhaupt bei ihm bleiben wollte? „Ich weiß es nicht.“ Liam nickte wieder. Natürlich wusste sie das nicht. Ihr ganzer Körper hatte gerade erst eine Wandlung durchgestanden, dass da alles noch konfus war, war klar. Für sie musste alles vollkommen wirr erscheinen, da er ihr noch nicht die Antworten gegeben hatte, die sie eben benötigte. „Ich wollte nicht abhauen. Ich wollte nach Hause. Zu Tuxedo.“ „Okay“, sagte Liam mit ruhiger Stimme und sah sie einfach nur an. Er war ihr nicht mehr böse, weil sie einfach das Haus verlassen hatte. Das hatte er ihr schon verziehen, als er sie auf den Boden sitzen saß. „Darf ich dir einen Vorschlag machen?“ „Ich denke schon“, meinte sie. Das war eine Antwort, die Liam lächeln ließ. Warum konnte diese Frau nicht einfach ‚Ja’ oder ‚Nein‘ sagen. Aber dann würde er sie vielleicht nicht mehr so hinreißend finden. „Wir fahren wieder zu mir und du legst dich erst mal hin. Dann werden wir reden.“ Sie sah nicht gerade begeistert von diesem Vorschlag aus. „Tuxedo geht es sehr gut. Und wenn wir gesprochen haben, nachdem du geschlafen hast, fahre ich dich gerne zu deiner Wohnung.“ „Versprochen?“, fragte sie und schien sich mit dem Vorschlag nun doch anzufreunden. „Versprochen. Ich würde dich nicht anlügen.“ Nur, dass er ihr einen Teil der ganzen Wahrheit verheimlichte. Aber das war ja etwas anderes. Die Sache war komplizierter. Und wenn man es als Lüge zählen würde, dann war es eine Notlüge. Doch bevor er sich weitere Gedanken darüber machen konnte, ob es sich in diesem Fall um eine Notlüge halten würde, griff er nach Leilas Hand und führte sie zu seinem Auto. Er hielt ihr die Beifahrertür auf, wartete bis sie sich hingesetzt hatte und schloss sie dann wieder, bevor er um das Auto ging und sich hinters Lenkrad setzte. Liam sah noch mal kurz zu Leila, stellte fest dass sie ihn nicht ansah, aber angeschnallt war und fuhr dann los. Der Tag war für sie wirklich sehr anstrengend gewesen und er wollte einfach nur, dass sie sich jetzt ausruhte. „Ich glaube nicht, dass du mich angelogen hast“, meinte Leila zu Liam, als sie in die Garage einfuhren. Sie saßen noch im Auto, während das Tor wieder runter fuhr. Keiner der Beiden hatte es eilig, das Auto zu verlassen. Liam hatte den Motor schon ausgeschaltet und sah Leila überrascht an. Beide hatten die Fahrt über nichts gesagt, die ganze Zeit hatte er überlegt was er ihr sagen sollte, doch nun fand sie die ersten Worte. Sie sah ihn bei diesen Worten nicht an, sondern starrte auf ihre Hände die in ihrem Schoss ruhten. „Aber ich glaubte dir auch nicht. Es ist so schwer.“ „Ich weiß, Leila.“ Natürlich verstand er sie. Aber er wusste nun, dass sie ihm wenigstens glauben wollte oder zumindest dass sie wusste, dass sie nicht anlog oder ihr Märchen auftischte. Das war schon mal ein guter Anfang. Alles andere würde sich noch mit der Zeit ergeben. „Ich bin müde und ich weiß gar nicht warum. Mir tut mein Kopf so weh und irgendwie ist alles anders.“ Ihre Worte klangen traurig, als nahm sie das schrecklich mit. Liam wusste inzwischen, dass sie nicht immer so stark war, wie sie schien, sondern vor allem sehr sensibel war. Er spürte wie sein Herz schwer wurde, ein tieferes Gefühl hatte er noch nie gefühlt. Er wollte sie umarmen, sie an sich drücken, Leila trösten. Doch er konnte nicht. Er wusste wie. Noch nie hatte er sich jemanden so nah gefühlt, wie Leila. Sie war eine wundervolle Person. Liebenswürdig, sensibel, stark, impulsiv und ehrlich. Sie sagte, was ihr im Kopf rum ging, sie sprach Dinge direkt heraus an, ohne lange um den heißen Brei zu reden. „Du solltest dich ausruhen gehen.“ Überrascht über diese Worte sah sie ihn an. Sie hatte andere Worte von ihm erwartet. Tröstende Worte. Aber vielleicht hatte er Recht und sie sollte sich nun einfach nur hinlegen und dann würde alles gleich viel besser aussehen. Das hatte ihre Mutter ihr auch immer gesagt, wenn sie abends Kummer gehabt hatte. Ihre Mutter hatte damit auch meistens Recht gehabt. Viele ihrer Probleme verschwanden über Nacht. Manche nicht. Manche blieben ihr bis heute erhalten. Doch es gab eben nicht für alles eine wundersame Heilung. Es gab nun mal einfach Dinge auf der Welt die man nicht beenden konnte, in dem man ins Bett ging. Das war eine schreckliche Erkenntnis für sie als Kind gewesen. Die Realität hatte ihr ihre Kindheit genommen. „Ja, du hast wohl Recht“, meinte sie schließlich zu ihm und schnallte sich ab. „Leila, ich…“ Er griff nach ihrer Hand, als diese den Gurt löste. Sie sah ihn an und fragte sich wer dieser Liam eigentlich war. Mal war er zurückhaltend und schüchtern und dann wieder direkt und impulsiv wie sie. Es schien mehrere Fassetten von ihm zu geben und alle schienen zu diesem Rundumpaket zu gehören. Aber sie hatte schließlich auch ihre verschiedenen Seiten, die hatte wohl jeder Mensch. „Es tut mir Leid, dass ich nicht auf dich aufgepasst habe.“ Sie lächelte kurz und fragte sich von welchem Moment er sprach. Vom Samstag, den sie immer noch nicht ganz verstand oder von eben. „Liam, ich habe früh gelernt, dass mich niemand beschützen kann.“ Er ließ ihre Hand los und versuchte ihre Worte zu verarbeiten. Er dachte an die Bilder, die er gesehen hatte, als er sie gewandelt hatte. An diesen Menschen, der ihr Stiefvater sein sollte und den er aus tiefsten Herzen hasste. Ja, sie hatte wirklich früh lernen müssen, dass niemand einen anderen Menschen schützen konnte. Es passierte immer etwas, mit dem man nicht rechnete und man konnte auch nicht den 24-h-Babysitter spielen. „Du musst dich also nicht entschuldigen.“ Sie öffnete die Tür und stieg aus. Er sah ihr hinterher, als sie die Tür zuschmiss und erst dann stieg er aus. Leila wirkte wieder vollkommen ernst. Sie war nicht mehr das fröhliche Kind, dass mit ihrem Cousin im großen Garten des Großvaters rumspielte, das auf Bäume kletterte und sogar noch lachte, wenn es hinfiel. Aber er wollte ihr Lachen hören. Er wollte sich zur Aufgabe machen, Leila wieder Lachen zu hören. Ja, er wollte sie aus reinem Herzen lachen hören, dieses glockenhelle Geräusch. Es war wie die schönste Melodie gewiesen, die er gehört hatte und immer wenn er eingeschlafen war, bettete dieses Lachen ihn in den schönsten Traum. Liam schloss das Auto mit der Fernbedienung ab und legte Leila die Hand auf dem Rücken um mit ihr wieder ins Haus zu gehen. Kapitel 17: Kapitel 17 ---------------------- Sie erwachte, doch öffnete sie nicht sofort ihre Augen. Langsam erinnerte sie sich wieder daran, dass sie im Haus von Liam Noxus war. Sie hatte sich sofort wieder hingelegt, als Liam sie wieder hier her gebracht hatte und der Schlaf hatte ihr offensichtlich gut getan, denn die Kopfschmerzen waren vollkommen verschwunden. Außerdem war das Hungergefühl, welches sie vorhin empfunden hatte ebenfalls wie ausgelöscht. Leila legte sich zur Seite und kuschelte sich wieder in das Kissen, als sie eine Melodie hörte. Sie klang wunderschön und drang sehr leise zu ihr. Sie konnte diese Melodie keinem ihr bekannten Lied zu ordnen, aber es klang wunderschön. Sie wusste, dass sie nicht eher einschlafen würde, bevor sie wusste, wer diese Musik machte. Also schob sie die Bettdecke zur Seite und stand auf. Sie zog sich über ihr Nachthemd ihren Pullover, mit dem sie heute das Haus verlassen hatte und bemerkte dabei, dass sie ein Pflaster auf dem Handrücken hatte. Hatte man ihr, während sie geschlafen hatte, wieder eine Infusion gegeben und die Nadel selber wieder rausgezogen? Das alles wurde immer verwirrender. Sie wollte nun aber erst mal den wundervollen Klängen auf den Grund gehen, die sie hörte. Der Flur war still und kein Licht brannte. Sie nahm an, dass alle schliefen, bis auf die Person die diese Klänge machte. Sie glaubte nicht, dass sie von einer CD stammen. Es klang so, als würde jemand selber diese Klänge produzieren. Sie tapste barfuß die Treppe herunter und sah, dass im Wohnzimmer Licht brannte. Das Licht trat den Türspalt und die tiefen, aber sehr schönen Klänge, kamen eindeutig aus dem Wohnzimmer. Leila zögerte trat dann die letzten Stufen aber auch noch herunter und stand vor der Flügeltür der Wohnzimmers. Sie legte ihr Kopf gegen die Tür und lauschte den Klängen. Es war eine wundervolle Musik. Jemand konnte dieses Musikinstrument verdammt gut spielen. Sie selber hatte nie eins gelernt, ihre Mutter hatte es gerne gewollt, aber sie war zu unmusikalisch gewesen. Man konnte aber auch sagen, dass sie einfach nicht die Geduld dazu gehabt hatte. Mehr als drei Lieder auf der Blockflöte konnte sie nicht und Notenlesen konnte sie noch nie. Sie hatte im Nachhinein keine Ahnung davon, wie sie sich durch den Musikunterricht gemogelt hatte. Aber anscheinend hatte das ziemlich gut geklappt, denn sie hatte immer gute Noten gehabt, in jedem Fach. Sie musste bei den Klängen lächeln. Es war eine wundervolle Melodie, auch wenn sie ihr vollkommen fremd war. Die Töne klangen tiefer als eine Violine. Sie würde allerdings nicht versprechen wollen, dass diese Aussage stimmte. Sie wusste nicht, ob sie einfach das Wohnzimmer betreten konnte, aber schließlich hatte sie die Hand auf die goldene Klinke gelegt, bevor sie noch länger darüber nach dachte. Sie trat ins Wohnzimmer und war überrascht, als sie Liam sah. Sie hätte nicht gedacht, das Liam ein Musikinstrument spielte. Und wenn dann hätte sie ihn nicht mit einem Cello erwartet. Er saß in einer Ecke auf einem Stuhl und nur das Kaminfeuer spendete ihm Licht. Er bewegte den Kopf leicht hin und her, während er den Bogen über die Saiten strich. Liam schien sie noch nicht bemerkt zu haben, zumindest hörte er nicht auf mit seiner Musik. Sie fand, dass er unglaublich sexy aussah, auch wenn das vermutlich verrückt war, wenn man wusste, dass er hier mit einem Instrument musizierte, das bestimmt schon verdammt alt war. Er trug ein schwarzes, langärmeliges Hemd und eine schwarze Hose, was ein starker Kontrast zu der weißen Wand hinter ihm darstellte. Er sah so modern und doch so antik aus. Als wäre er eigentlich schon verdammt alt und doch war er nur ein paar Jahre älter als sie. Genauso leise wie sie die Tür geöffnet hatte, versuchte sie die Tür wieder zu schließen. Erleichtert stellte sie fest, dass das auch klappte, doch dann hob Liam den Kopf und sah sie an. Er hielt den Bogen an und die Musik stoppte. „Hör bitte nicht auf“, bat sie ihn mit einem Lächeln. „Ich möchte mich nur zu dir setzen und dir zuhören.“ Liam sah sie fragend an, sagte aber nichts, sondern sah wieder auf das Cello und fing wieder an mit dem Bogen über die Saiten zu streichen. Sie lächelte und setzte sich auf die Couch und sah ihm zu. Irgendwie fand sie es wundervoll ihm einfach zuzuhören. Sie war schon immer eine gute Zuhörerin gewesen und das war sie jetzt auch. Das Stück das Liam spielte, kannte sie nicht, aber es war einfach nur schön mit anzuhören. Er wirkte voll und ganz konzentriert, sah sie nicht an, sondern spielte nur seine Musik. Die warmen Klänge die eine wundervolle Melodie ergaben, fühlten sich schön an, als wären sie aus einer besseren Welt. Wütend starrte sie zum Kamin, als sie von dort ein Ticken vernahm. Doch es war nur die Uhr und die zeigte ihr, dass es gerade mal fünf Uhr in der früh war. Warum war er wach? Und warum spielte er um diese Uhrzeit Cello? Sie lächelte und schloss die Augen um die Klänge noch mehr zu genießen. Sie war Liam dankbar, dass er ihr erlaubte, dass sie hier sein konnte. Sie stellte sich vor wie diese Klänge sie umarmten oder sie zudeckten. „Leila, es tut mir Leid, dass es mir so schwer fällt, dir zu sagen was mit dir los ist.“ Leila öffnete überrascht die Augen wieder sah, das Liam sie anblickte, aber dennoch weiter musizierte. „Ich habe Angst vor deiner Reaktion.“ Seine Worte wurden von seiner Musik regelrecht unterstrichen. „Ich habe Angst davor, dass du dich von mir abwenden wirst. Du bist mir sehr wichtig, auch wenn ich das nicht so richtig in Worte fassen kann.“ Seine Worte überraschten sie vollkommen, trafen sie unerwartet. Sie hätte nie gedacht, dass er so etwas für sie empfand. Natürlich war da dieser Kuss, den es zwischen ihnen gegeben hatte. Aber keiner von beiden hatte bisher darüber gesprochen, was das nun eigentlich zu bedeuten hatte. Der Kuss war im Eifer des Gefechts entstanden, zumindest hatte sie das sich eingeredet, wenn sie daran gedacht hatte. Doch seine Worte sagten ihr nun etwas ganz anderes und sie selber fand gar keine Worte dafür. Liam stand auf und lehnte das Cello an die Wand, legte den Bogen auf den Stuhl und trat auf Leila zu, die auf der Couch saß und ihn mit großen Augen ansah. „Doch ich weiß, dass ich jetzt alles riskieren muss. Dass du heute einfach gegangen bist, hat es mir gezeigt. Ich muss jetzt alles auf eine Karte setzen und darauf hoffen, dass du dich nicht von mir anwenden wirst.“ Er setzte sich neben sie und ergriff ihre Hand. „Wenn ich dich aber ansehe, vergesse ich jedes Wort, dass ich mir zu Recht gelegt habe.“ Sie hatte schließlich nur ein Nachthemd an, auch wenn sie einen Pullover drüber gezogen hatte, ihre Beine waren deswegen dennoch ziemlich nackt. „Ich verwirre dich also?“, fragte sie ihn und versuchte sich selber nicht von seinem Daumen, der ihren Handrücken streichelte, verrückt werden zu lassen. Doch das war verdammt schwer. „So könnte man es auch sagen“, meinte Liam mit einem Lächeln und streichelte mit der anderen Hand über ihre Wange. Ja, er hatte sich vorgenommen mit ihr Tacheles zu reden, wenn sie aufgewacht war. Allerdings wurde dieser Gedanke in seinem Kopf immer kleiner und zerplatzte in einer Seifenblase. Sie hatte eine rosige und weiche Haut und seine Augen wanderten von ihren himmelblauen Augen zu ihren vollen Lippen. „Was… hast du vor?“ „Weißt du das nicht?“, fragte er sie mit einem Lächeln. „Ich habe dich für intelligenter gehalten.“ Liam grinste frech und sie mochte dieses Lächeln. Diesen frechen Blick in seinen Augen, die sie aufblitzen ließ. Sie sah ihr Gesicht in seinen Augen, was irgendwie komisch war. Aber auch verdammt schön. Er kam näher mit seinem Gesicht auf das von Leila zu und ihre Lippen trafen sich darauf sehnsüchtig. Liam unterbrach den Kuss und stütze seine Stirn gegen Leilas. Beide sahen sich tief in die Augen. Leila wollte gerade was sagen, aber Liam legte seinen Finger auf ihren Lippen und brachte sie so zum Schweigen. „Bitte sag nichts. Mir ist aufgefallen, dass du ziemlich viel redest.“ Leila musste bei diesen Worten grinsen. Sie nahm sie ihm nicht übel. Sie hatte sich ihren Traummann schon immer so vorgestellt, dass er sie küsste, um ihre unnötigen Worte zu stoppen und genau das tat Liam. Das waren immer die besten Szenen in Filmen. Sanft begann Liam mit seinen warmen Lippen, kleine Küsse auf ihrem Mund zu verteilen. Er streifte, ganz zärtlich mit seiner Zunge über ihre Lippen und bat somit um Einlass. Leila schlang ihre Arme um seinen Nacken und öffnete langsam ihren Mund. Sie wusste nicht was sie hier tat, aber das brauchte sie auch gar nicht. Sie wollte nur ihn. Als sich ihre Zungen trafen zuckten beide leicht zusammen, denn es fühlte sich an, als ob tausend Blitze durch ihre Körper fahren würden. Sie küssten sich ganz sanft, erforschten gegenseitig ihre Mundhöhlen, denn es war ihr erster Kuss. Liams Hände wanderten von ihren Wangen hinunter zu ihrer Hüfte. Er zog Leila fester an sich und ihre Küsse wurden leidenschaftlicher und wilder. Sie lösten sich immer wieder, um dann erneut zusammen zu finden. Beide vergaßen alles um sich herum, es gab nur noch sie und ihn. „Ich habe mal davon gelesen, das Vampire gut küssen sollen, aber das hier… Wow“, meinte Leila mit einem Grinsen auf dem Gesicht. Liam legte den Arm um sie, grinste breit und zog sie an sich, so dass sie mit ihrem Kopf auf seiner Schulter ruhte. „Du glaubst mir also nun?“ War es denn wirklich so wichtig, dass er ihr alles bis ins kleinste Detail heute sagte? „Ich weiß nicht. Vielleicht.“ „Vielleicht?“ Ein Grinsen machte sich auf ihrem Gesicht breit, sie sah auf ihre Hand, die mit seiner verschränkt war. Sie wusste ehrlich gesagt nicht so recht, warum sie hier auf der Couch saß. Mit einem Vampir. Zumindest einem, der glaubt ein Vampir zu sein. Es gab doch auch die Menschen, die glaubten Werwölfe zu sein. Wie hieß dieses Krankheit noch mal. Lykanthropie, genau. Vielleicht gab es so was ja auch als Vampir-Version. Werwölfe und Vampire lagen doch gar nicht so weit voneinander entfernt. „Na ja, du musst schon zu geben, dass es ziemlich verrückt klingt.“ „Vieles im Leben klingt verrückt“, erwiderte er mit ruhiger Stimme. „Das mag stimmen.“ Diese Aussage war gar nicht so verkehrt, dennoch grinste sie immer noch. Es war schön sich mit Liam zu unterhalten. Sie hatte sich immer einen Partner gewünscht, der sie verstand, mit dem sie reden konnte, der ihr zuhörte. Natürlich hatte sie im Verlauf eines Tages einen großen Verschleiß an Wörter, es sei denn ihre Stimme war mal nicht da. Aber Liam schien ihr dennoch zuzuhören. „Und du bist sicher, dass du nicht so was wie Lykanthropie hast?“ Sie musste diese Frage einfach stellen. „Nein, da bin ich mir ziemlich sicher.“ „Na ja nicht direkt Lykanthropie. Eher die Vampir-Version davon.“ Er küsste sie auf den Kopf und ihre blonden Haare kitzelten angenehm an seiner Lippe. „Nein, Leila. Ich leide nicht darunter, weder an Lykanthropie, noch an der Vampir-Version davon.“ „Verstehe“, meinte sie nur und sah ihre Hände an, sie verspürte absolut nicht den Drang, seine Hand loszulassen oder ihn von sich zu schieben. Dieser Kuss war absoluter Wahnsinn. Sie war sich hundertprozentig sicher, dass sie noch nie in ihrem Leben so geküsst wurde. Von keinem Mann. Liam war so sanft zu ihr und doch wusste sie, dass es auch eine wilde, animalische Seite an ihm gab, die sie aber nicht abschreckte. Nicht mehr zumindest. „Wir haben uns geküsst“, warf sie dann schließlich einfach in den Raum. Sie hasste ihre Gedanken und ihre Sorgen und sie machte sich nun mal wegen alles Gedanken. Aber sie wollte darüber reden und wer war dafür besser geeignet, als derjenige, den sie geküsst hat. „Ja, das haben wir.“ Ein Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht wieder. „Und es war ein sehr schöner Kuss.“ Sie konnte ihn nicht ansehen, denn obwohl sie den Drang hatte, mit ihm darüber zu reden, war sie doch etwas peinlich berührt. Sie konnte ihn aber auch nicht ansehen, weil sie Angst hatte, dass er sah, wie unsicher sie war. Unsicherheit war kein gutes Zeichen, nicht ihrer Meinung nach. Also versuchte sie es so gut es ging von ihm zu verbergen, „Ja, das würde ich auch nie abstreiten…“ „Nein?“ Irgendwie wurde er das Grinsen gar nicht wieder los und das konnte nur an Leila liegen. Es fühlte sich wundervoll an, sie in seinen Armen zu haben. Aber es war schön zu wissen, das Leila den Kuss nicht abstreiten würde und sie ihn auch genauso intensiv und aufregend fand wie er. Leila senkte den Kopf und wendete ihr Gesicht seinem Blick ab, weil ihre Wangen erröteten. „Nein. Es war sehr schön.“ „Ja, das fand ich auch“, stimmte er ihr zu. Natürlich sah Liam, dass Leilas Wangen sich rot färbten und er liebte diesen Anblick. Nun wusste er zumindest auch schon mal, dass er sie nicht immer aufregen musste, um diese gefärbten Wangen zu Gesicht zu bekommen. Er sah wie Leila den Kopf hob und an ihm vorbei sah, er folgte ihrem Blick, als er ihre Frage hörte. „Sag mal, was ist das für ein Instrument, was du da eben gespielt hast? Wenn ich mich richtig erinnere ist es ein Cello. Aber ich würde mich nicht so sehr auf diese Aussage verlassen, da ich in Musik eine Niete war.“ Eigentlich wollte sie über den Kuss reden und über das was es nun bedeutete. Wenn es überhaupt etwas bedeutete. Es würde ihm doch etwas bedeuten, oder? Sie erkannte sich aber nicht wieder, wusste nicht, warum sie unbedingt mit Liam über diesen Kuss reden, es verstehen wollte. Also sollte sie eindeutig das Thema wechseln, wenn sie sich nicht vollkommen zum Narren machen wollte. Liam war etwas überrascht als Leila das Thema wechselte, er hatte gedacht, dass sie nun über sich reden wollte. Aber er ließ diese Ablenkung ruhig zu und schaute zu seinem Instrument. „Genau das ist ein Violoncello. Die Kurzform dazu ist Cello.“ „Es klang echt toll.“ Sie sah ihm kurz in die Augen und dann wieder zu dem Instrument. „Wie lange spielst du das Cello schon?“ „Seit dem es das Violoncello außerhalb von Norditalien gibt.“ Leila sah ihn fragend an. „Was meinst du damit?“ Liam holte Luft und wusste, dass er damit wieder auf das Thema kam, was schwer zwischen ihnen lag. „Dieses Instrument entstand nach 1535 in Norditalien. Allerdings gab es mit der Zeit kleine Korrekturen an dem Gerät. Zum Beispiel bekam das Cello erst um die 1850 herum den Stachel, auf dem es heute steht.“ Die Blonde sah ihn immer noch skeptisch an. „Du meinst das mit der Vampir-Sache also ernst.“ Liam nahm ihre Hand und führte sie zu seinen Lippen, um ihren Handrücken zu küssen. „Leila, ich bin ehrlich zu dir und ja, es ist mein Ernst.“ „Aber es klingt so absonderlich.“ „Ich weiß“, stimmte er ihr zu und legte ihre Hand an seine Wange. „Aber ich bin echt. Genauso wie meine Geschichte.“ Leila seufzte und sah ihn. Sie würde ihn verdammt gerne für verrückt erklären, aber sie konnte es nicht. Nicht mehr. Alles um sie war verrückt geworden, doch irgendwie gab es zwischen all dem eine Verbindung. „Es ist schwer zu verstehen und ich verlange auch gar nicht, dass du es sofort verstehst, aber akzeptiere es zuerst ein Mal.“ „Akzeptieren?“, fragte Leila ruhig. Liam sah in ihren Augen Verzweiflung. Aber sie schien sich nicht mehr über seine Worte so dermaßen aufzuregen, wie es bei den vorigen Gesprächen der Fall gewesen war. Dennoch schien ‚akzeptieren’ auch ein zu großes Wort in dieser Angelegenheit zu sein. Es schien ihr sichtlich schwer, doch schien sie es zu versuchen. Sie hätte schreien, ihn ohrfeigen oder auch einfach nur den Raum verlassen können. Doch saß sie hier immer noch bei ihm und sah ihn mit großen Augen an. „Wie alt bist du?“ „453 Jahre“, antwortete er ihr schließlich. „Wow.“ In ihrem Kopf fing es an zu rattern. Sie rechnete rückwärts und wollte herausfinden, wann er dann geboren war. „Dann hast du ja den zweiten und den ersten Weltkrieg, den dreißigjährigen Krieg… oh Gott, das ist verdammt alt“, meinte sie zu ihm. „Mein Alter hat dich aber eben beim Küssen nicht abgeschreckt.“ Er lächelte und strich ihr eine Strähne hinters Ohr. Sie zuckte nicht zurück, was für ihn ein gutes Zeichen war. „Da hast du es mir aber auch noch nicht verraten. Du bist also im Jahr…“ Sie war immer noch am Rechnen. „Ich wurde im Jahr 1556 geboren.“ „Verstehe.“ Dabei war sie sich gar nicht so sicher, ob sie verstand, was er ihr damit sagte. „Hat sich denn der Kuss angefühlt als hättest du einen alten Greis geküsst?“ „Erstens weiß ich nicht wie es ist, einen alten Greis zu küssen.“ Liam grinste bei dieser Aussage. „Und nein, deine Lippen waren…“ Sie starrte auf seinen Lippen und ein Seufzer trat über ihre eigenen. „Erzähl mir etwas, was in dem Jahr passier ist. Damit ich ein Gespür für das Jahr kriege.“ „Ein Gespür?“, fragte er Leila mit einem Lächeln und küsste sie nun auf die Stirn. Er ahnte, dass es jetzt etwas unangebracht war, sie auf die Lippen zu küssen, auch wenn sie verführerisch auf ihrer Unterlippe biss, was ihm nicht entgangen war. Er musste nicht lange überlegen, was in dem Jahr passiert war, als er geboren wurde. Es hatte ihn selber einmal sehr interessiert, deswegen erinnerte er sich noch sehr gut daran. „In diesem Jahr wurde der Erzbischof von Canterbury, Thomas Cranmer, wegen Ketzerei auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Der Geistliche hatte sich Jahre zuvor päpstlichem Willen widersetzt und die Ehe von König Heinrich VIII. mit Katharina von Aragon als geschieden erklärt und dessen Ehe mit Anna Boleyn akzeptiert. Die Geschichte kennst du bestimmt oder?“ „Ja, ich habe das Buch gelesen und den Film gesehen“, antwortete sie grinsend und lehnte sich gegen seinen Oberkörper. „Lass mich mal überlegen, was noch passier ist.“ Er versuchte sich wirklich zu konzentrieren, was angesichts des süßen Dufts der von Leila kam, nicht so einfach war. Aber sie versuchte ihn zu verstehen, das alles zu akzeptieren, also sollte er es nicht gleich wieder kaputt machen. Ein Glück, dass er gar nicht wirklich nachdenken musste, bis ihm die nächste Sache einfiel. „Karl V. trat von all seinen Ämtern zurück und übergab das habsburgische Erbe seinem Sohn Philipp II. und das Heilige Römische Reich seinem jüngeren Bruder Ferdinand I. während er sich ins Kloster von Yuste in der spanischen Extremadura zurückzog.“ Leila reagierte nicht, deswegen sprach er direkt weiter: „Oh, das ist vielleicht etwas für dich: Georgius Agricola verfasst in Chemnitz das Werk De re metallica libri XII über die Chemie der Metalle.“ „Ich habe davon zwar noch nie gehört, aber es klingt interessant. Du weißt richtig viel über dieses Jahr. Selber viel davon mitbekommen hast du aber nicht, oder?“ „Nein, ich war ja noch ein Baby.“ Sie musste etwas schmunzeln, als sie sich Liam als Baby vorstellte. „Es gibt also bei Vampire auch so was wie Babys?“ Dieses Gespräch lief besser als er erhofft hatte. Dennoch fiel es ihm nicht so einfach. Es war schwierig die richtigen Worte zu finden um sie langsam in diese Welt, die ihr so fremd war hineinzubringen. Er wollte es einfach nicht noch mal vermasseln. „Ja, Leila. Ich war auch mal ein Baby gewesen. Genauso wie du.“ „Ich dachte Vampire werden durch einen Biss zu einem.“ Sie sah ihn fragend an. „Ich habe ja auch nur gesagt, dass ich das bin, was du einen Vampir nennen würdest. Ich habe nicht gesagt, dass ich der Beschreibung, die ihr dafür habt, komplett entspreche. Ich habe zum Beispiel kein Problem mit Weihwasser, Knoblauch oder christlichen Kreuzen. Außerdem verpuffe ich nicht zu Staub wenn ich ins Tageslicht gehe. Ich ernähre mich auch nicht nur von Blut, sondern auch von anderen Lebensmitteln.“ Auch wenn er das kaum tat. Blut langte meistens um ihn fit zu halten, deswegen hielt er sich meistens nur daran. Da Liam schon lange keine normalen Lebensmittel mehr gegessen hatte, war auch nichts im Haus gewesen, deswegen hatte seine Mutter auch einkaufen gehen müssen. Für Leila war es nicht leicht, jedem seiner Worte zu folgen. Es war interessant und sie wollte noch mehr hören, von ihm und von seiner Familie, von seinem Leben als Vampir. Sie freute sich sehr darüber, das Liam ihr soviel darüber erzählte. So langsam glaubte sie seinen Worten, zumindest akzeptierte sie diese. Verstehen war noch eine andere Sache. Dafür gab es einfach noch zu viele unbeantwortete Fragen. Ihre Augen wanderten von seinem Gesicht zu ihrer Hand, die auf seiner Brust lag, unbewusst war diese dort wohl hingewandert. Sie sah das Pflaster darauf und schon kam ihr eine Frage in den Kopf. „Liam, hat man mir während ich geschlafen habe, wieder eine Infusion gegeben?“ Er sah auf ihren Handrücken, die auf seiner Brust ruhte, nahm sie in die Hand und küsste sie auf das Pflaster. „Ich muss dir ehrlich gesagt noch mehr sagen.“ „Oh“, gab Leila nur von sich, als seine Lippen vom Pflaster zu ihren Fingern wanderte und er jede einzelne Fingerkuppel küsste. Es fühlte sich wundervoll an und in ihrem Bauch fing es an zu flattern. Sie hatte dieses Gefühl das letzte Mal vor sehr langer Zeit gespürt. Es fühlte sich einfach wundervoll an. Es kam ihr so vor, ein Summen zu hören, dass aus ihrem Inneren kam. Ein Summen, das einer fröhlichen Melodie gleich kam. Sie fühlte sich in Liams Nähe wirklich wohl. Sie schloss die Augen und kuschelte sich wieder an seine Brust, dabei rutschte sie etwas nach hinten um bequemer zu liegen. Liam legte wie automatisch den Arm um sie und hielt sie fest. „Ich fühle mich in deiner Nähe sehr wohl, Liam“, gab sie flüsternd zu und hatte das Pflaster vollkommen vergessen. „Das freut mich.“ Es freute ihn wirklich. Sie war ehrlich, deswegen wusste er, dass ihre Worte nicht gelogen waren. Er griff nach der Wolldecke, welche über der Lehne lag, zog sie zu sich und legte sie über Leila. Sie hatte die Augen geschlossen und fühlte sich bei ihm sehr wohl. Liam fand diese Situation sehr schön, es war ein wundervolles Gefühl Leila in seinen Armen zu haben und zu sehen zu können, wie sie langsam in den Schlaf dämmerte. Er konnte ihr alles auch noch später erklären, nun sollte sie sich erst mal ausruhen. „Ich bin müde. Es tut mir Leid.“ Liam musste über diese Entschuldigung lachen. Er fand sie einfach süß und dass sie sich dafür entschuldigte, dass sie müde war, sorgte nicht gerade dafür, dass er von dieser Überzeugung abwich. Sie war eine wundervolle Person und er mochte sie sehr. Ja, dessen war er sich inzwischen nur zu genau bewusst. Er mochte ihr Lachen und das Glitzern in ihren Augen, ihre impulsive Art und wie sie nun so friedlich neben ihm liegen konnte, ihre Klugheit genauso wie ihre Sturheit. Der Hausherr küsste Leila auf den Haarschopf und ließ sie an seiner Brust weiter einnicken. Er hatte nicht vor sich auch nur einen Zentimeter von ihr zu rühren, sich von der Stelle zu bewegen. Irgendetwas in ihm befahl ihm einfach, dass er diesen Platz nie wieder verließ. Besser gesagt, den Platz an ihrer Seite. Kapitel 18: Kapitel 18 ---------------------- Noch bevor sie die Augen öffnete, wusste sie, dass sie nicht in ihrem Bett lag. Weder in dem Bett in ihrer Wohnung, noch in dem Bett in Liams Gästezimmer, aber sie hörte das sanfte Knistern, das sie einem Feuer zuschrieb. Also befand sie sich im Wohnzimmer, dort wo sie an Liams Seite eingeschlafen war. Wohl eher an seiner Brust, erinnerte sie sich. Sie zog die Decke, die über ihren Körper lag peinlich berührt über ihren Kopf, damit niemand sehen konnte, wie rot dieser gerade anlief. Sie grinste als sie daran dachte, dass sie auf seiner Brust eingeschlafen war und dass sie sich jetzt wie ein Teenager benahm, der erwischt wurde. Die Frage war nur, bei was sie sich ertappt hatte? Sie fühlte sich zu Liam hingezogen, egal wie verkorkst die Sache war und in ihren Augen war das alles ziemlich verkorkst. Hier ging es um Vampire oder zumindest etwas in der Art, um Leute die nachts mit Säbel durch die Nacht zogen, um wundervolle Lippen. Sie musste schon wieder grinsen, weil sie mit den Gedanken abgedriftet war. Doch ihre Gedanken lenkten sie immer wieder zu Liam. Zu seinen Augen. Zu seinen Lippen. Zu seinem Lächeln. Zu seinem Körper. Seine Schultern waren sehr breit und wenn er sie ansah, war da diese Wärme in seinen Augen. Inzwischen war sie sich ziemlich sicher, dass er zu den Guten gehörte. Leila öffnete die Augen und fand sich wirklich im Wohnzimmer wieder. Allerdings war sie alleine, vom Liam weit und breit keine Spur. Sie blieb auf der Couch liegen und starrte ins Feuer. Es war schön hier einfach liegen zu können, sie konnte sich nun vorstellen wie das Leben ihres Katers verlief. Schlafen. Essen. Ein wenig Kuscheln und wieder schlafen. Eigentlich war das nicht so ihre Art, aber sie fühlte sich immer wieder müde und erschöpft. „Du bist schon wach. Sehr schön“, hörte sie die Stimme von Marissandra. Leila setzte sich sofort auf, als sie sah, das Marissandra mit einem Tablett rein kam. „Ich muss hier eingeschlafen sein.“ „Das ist doch schon okay. Liam hat mir gesagt, dass ich dich hier finde.“ Sie legte Leila das Tablett auf den Schoss. „Ich habe Frühstück für dich, Liebes.“ „Das wäre doch nicht nötig gewesen.“ Doch just in dem Moment knurrte ihr Magen und erinnerte sie daran, dass sie Hunger hatte. Er rebellierte regelrecht gegen ihre eigene Aussage. Sie sah zur Uhr und war überrascht, dass es schon halb zwölf war. Noch nie hatte sie so lange geschlafen, aber der Schlaf hatte ihr gut getan, sie fühlte sich wie neugeboren. Das Essen sah auch zu verlockend aus und mit ihrem Magen eine längere Diskussion zu führen. „Das sieht sehr lecker aus. Vielen Dank.“ Marissandra setzte sich neben Leila auf die Couch und sah ins Feuer. Leila fühlte sich beim ersten Bissen vom Croissant ein wenig unwohl, da Marissandra neben ihr saß und nichts aß. Sie hatte ihr Frühstück gemach, es ihr ans Bett gebracht und aß selber nichts. „Liebes, iss du nur. Liam, Menas und ich haben vorhin schon gegessen. Liam wollte aber nicht, dass wir dich wecken.“ „Der Schlaf hat mir sehr gut getan“, meinte sie lächelnd. Das Croissant war innen noch warm. Es war weich und der himmlische Geschmack machte sich in ihrem Mund breit, fast so als hätte sie noch nie in ihrem Leben ein Croissant gegessen. „Ja, Schlaf ist immer die beste Medizin“, fügte Marissandra hinzu und lächelte, während sie weiterhin in den Kamin sah. Leila nahm die Gabel in die Hand und spießte ein Stück Kiwi auf. Marissandra hatte sich sichtlich viel Mühe gegeben, mit dem Frühstück. Leila versuchte daran zu denken, wie lange es her war, dass ihr jemand Frühstück gemacht hatte. Vermutlich war es das letzte Mal gewesen, als sie noch bei ihrer Mutter und ihren Brüdern gewohnt hatte. „Liam ist ein guter Junge.“ Ja, das ist er, stimmte Leila Marissandra in Gedanken zu, allerdings würde ich ihn nicht mehr als Junge bezeichnen. Für Leila war Liam ein Mann, wie er im Buche stand. Breite Schultern, ernster, aber warmer Blick. Bevor sie weiter an Liam dachte, erinnerte sie sich wieder, das Marissandra ja ihre Gedanken lesen konnte. Sie sollte mit ihren Gedanken etwas vorsichtiger sein, schließlich hatte sie immer noch keine Ahnung in welcher Verbindung Marissandra zu Liam stand „Liebes, du musst dir um mich nun wirklich keine Sorgen machen. Ich will nur das Liam glücklich ist, was er in deiner Nähe ist.“ Leila lief wieder rot an, zumindest glaubte sie, dass sie jetzt gerade knallrot wurde und einer Tomate Konkurrenz sein konnte, denn einen Spiegel hatte sie nicht gerade zur Hand. Ihre Wangen fühlten sich aber deutlich wärmer an. Liam war ihr auch wichtig geworden, sie mochte ihn und das lag nicht nur alleine daran, dass er so wahnsinnig gut küssen konnte. Es war einfach seine Art. Sie vertraute ihm und das war etwas vollkommen verrücktes, wenn man Leila besser kannte. Es war sehr schwer ihr Vertrauen zu bekommen, vor allem wenn man ein Mann war, zu oft war sie einfach enttäuscht und verletzt worden. Ihr Herz fühlte sich erhitzt an, als ihr bewusst wurde, dass sie ihm wirklich vertraute. Sie sah wie Marissandra neben ihr lächelte, bevor sie aufstand. „Ich gehe dann mal nach den Jungs sehen.“ „Was machen sie denn?“, fragte Leila sofort. „Sie gehen ein paar Dinge, wegen der Firma durch, die besprochen werden müssen.“ „Verstehe.“ Also was Geschäftliches, da wollte sie Liam nun wirklich nicht stören, dachte sie. Aber sie konnte auch nicht hier einfach auf der faulen Haut liegen und in den Kamin starren. „Liam meinte, du möchtest dir vielleicht ein paar der Bücher ansehen“, schlug Marissandra ihr vor. „Du hast draußen eine große Auswahl. Vielleicht findest du ja ein paar Antworten.“ Bevor Leila die Frau fragen konnte, auf welche Fragen sie Antworten finden könnte, schloss diese auch schon die Flügeltür und ließ Leila wieder vollkommen alleine. Auch wenn Menas und Marissandra ihr ein wenig sonderbar erschienen, mochte sie die beiden. Vielleicht auch nur deswegen, weil Liam sie mochte. Sie biss in ein weiteres Stück Kiwi, dass auf den Teller lag und trank einen Schluck vom Orangensaft. Alles schmeckte ihr außerordentlich gut und sie fragte sich, ob es sich irgendwie um besondere Früchte handeln müsste, da es ihr so gut bekam. Doch im nächsten Moment dachte Leila nicht mehr an ihre Geschmacksnerven, sondern an das was Marissandra gesagt hatte. Die Bücher. Liam hatte mal erwähnt gehabt, dass in diesen Büchern Dinge standen, die sie sonst noch nicht gelesen hatte, dass seine Spezies dokumentiert war und je länger sie darüber nachdachte, umso neugieriger wurde sie. Eigentlich hätte sie schon viel früher darauf gekommen sein, sie gehörte doch sonst auch immer zu den ganz Neugierigen. Leila stellte das Tablett auf den Wohnzimmertisch und schob die Decke von sich, in die Liam sie gebettet hatte. Sie hatte jetzt wirklich Lust auf ein Buch und sie wusste nicht was sie erwartete, als sie das Wohnzimmer verließ und in den Flur trat. Die Lampe an der Decke leuchtete, auch wenn sie alleine war und das Licht nicht angeschaltet hatte. Vermutlich wusste Marissandra, dass sie nicht lange auf sich warten würde um ihre Neugier nach den Büchern zu stillen. Bevor sie jedoch die einzelnen Regale ansah, lauschte sie und fragte sich wo Liam gerade mit seinem Bruder war. Das Haus war still, sie hörte gar nicht. Die Dämmung der einzelnen Zimmer musste hier perfekt sein, vielleicht hatte man hier einfach Geheimnisse vor einander, so wie er ihr immer noch nicht alles gesagt hatte. Aber heute Morgen war sie auch zu müde gewesen. Sie hätte sich eh nicht auf seine Worte konzentrieren können. Als sie sich den Bücherregalen zu wandte, die alle bis oben hin mit dicken Büchern vollstanden, strich sie mit den Spitzen ihrer Finger über die Buchrücken. Früher war sie viel in der Bibliothek gewesen. Sie hatte als Kind einen sehr großen Verschleiß an Büchern gehabt und war deswegen oft in der städtischen Bücherei gewesen. Ihre Mutter konnte ihr nicht jedes Buch kaufen, aber die Mitgliedskarte der Bücherei. Irgendwie hatte sich Leila immer vorgestellt, dass in jedem Buch eine magische Geschichte steckte, die nur darauf wartete, von ihr verschlungen zu werden. Eine Geschichte von einer fremden Welt in der sie eintauchen konnte, wieder Kind sein durfte und ihre eigene schmerzende Welt vergessen konnte. An Fantasie hatte es ihr noch nie geschadet, auch wenn sie heute für alles nach einer wissenschaftlichen Erklärung suchte. Aber für das was Liam ihr erzählt hatte, dafür hatte sie noch keine Erklärung gefunden, doch vielleicht fand sie ihre Antworten wirklich auf den Seiten dieser vieler Bücher. Manche Titel konnte sie nicht lesen, sie erkannte die Schrift nicht. Manche Titel waren in Latein gehalten, manche schienen arabisch oder chinesisch zu sein. Es überraschte sie wie viele Bücher hier in dem Flur standen, das war ihr vorher gar nicht so sehr aufgefallen. Manche Bücher waren dicker als andere, die meisten Einbände wirkten alt und viele waren in Leder gebunden. Sie rochen nach altem Wissen und überwältigen Leila im ersten Moment, sie war sich sicher, dass es sich hier nicht um irgendwelche Romane handelte. Es waren Sammlungen, Sammlungen von Berichten und Erklärungen. Manche Bücher hatten Jahreszahlen auf ihrem Rücken stehen, zumindest nahm sie das an, das letzte in der Reihe mit das die Zahl ‚2008‘ auf dem Rücken hatte. Das war letztes Jahr gewesen. Es gab nicht von jedem Jahr ein Buch, aber es schien als wurde diese Reihe alle fünf bis zehn Jahre mit einem neuen Buch in der Reihe vervollständigt, wenn sich überhaupt um eine Reihe handelte. Schließlich zog sie dieses Buch heraus, nahm noch das mit dem Jahr ‚1895‘ auf dem Buchrücken heraus und dann noch zwei weitere. Mit den vier Büchern in den Armen ging sie wieder ins Wohnzimmer, schloss die Tür hinter sich und setzte sich mit den Büchern wieder auf die Couch. Bevor sie das erste aufschlug, kuschelte sie sich wieder in die Decke. Aufregung und Neugier hatte sie gepackt, denn sie wollte unbedingt wissen, was sie auf den Seiten lesen würde. Welche Geheimnisse man ihr offenbarte. Welche Antworten sie finden würde. Sie nahm sich das erste Buch auf den Schoss, auf der auf dem Deckblatt ins Leder ein großes „E“ eingebrannt war und sie fragte sich, was es mit diesem „E“ auf sich hatte. Wenig später war sie überrascht davon, welche Geheimnisse wirklich in diesem Buch steckten. Es erzählte ihr von der Spezies, von der ihr auch Liam erzählt hatte. Einer Spezies von der sie noch nie etwas gehört hatte, aber von der auch dieses Buch zu sein schien. Kein Mensch hätte es so erzählen können. Es gab anscheinend Geheimnisse auf der Welt, von der sie nie etwas geahnt hatte. Eine andere Spezies. Die Erklärungen, Sätze, Erläuterungen klangen plausibel, waren mit wissenschaftlichem Hintergrund erklärt. Es stand geschrieben, wann sich ihre Spezies vom homo sapiens getrennt hatte und ihren eigenen Weg gegangen waren. Leila konnte nicht glauben, dass diese Spezies eine so lange Zeit schon mit ihr auf dem gleichen Planeten lebten und keiner davon eine Ahnung zu haben schien, dass es sie gab. Die Unterschiede wurden deutlich erklärt, an Hand von Bildern, beider Skelette konnte sie die Unterschiede selber erkennen. Sie waren nicht besonders ausgeprägt, aber der Oberkiefer war anders geformt. „Vampirzähne“, meinte sie überrascht und strich mit ihrer Fingerspitze über das Foto, auf dem der Kiefer dieser Spezies genauer erläutert wurde. Dieses Zahnpaar war mit einem Muskel versehen, den es beim homo sapiens gar nicht gab, deswegen konnte sie die Zähne aus und einziehen. Es gab Beschreibungen über die Augen, ihre Iris hatte eine andere Struktur. Außerdem wurde auf mehreren Seiten erklärt, dass die Sinne anders funktionierten, viel ausgeprägter kam. In dem Buch stand sogar beschrieben, dass sie Gedanken lesen konnte, was aber nur daher rührte, dass sie einen größeren Teil im Gehirn benutzen. Leila lehnte sich mit geschlossenen Augen und einem schweren Seufzer zurück in die Lehne fallen. Sie hatte noch nicht mal alles gelesen und war jetzt schon völlig verwirrt. Wobei Verwirrung ihrer Meinung nach, nicht mal der richtige Ausdruck dafür war. Sie überrascht, von dieser Welt, die ihr so fremd war. „Wow“, war das einzige was sie in diesem Moment von sich geben konnte. Sie hatte so viel von dieser anderen Spezies gelesen, dass sie es gar nicht mehr bezweifelte, dass Liam Recht hatte. Es stimmte so sehr mit den Aussagen von Liam und Marissandra überein, dass es einfach nur die Wahrheit sein musste. Liam war nicht verrückt, nein, er hatte ihr die Wahrheit erzählt. Sie hatte ihr ganzes Leben nur in einer vollkommenen Unwissenheit gelebt. Das war ein schwerer Schlag. Sie fühlte sich hintergangen oder etwas das diesem Gefühl ähnlich kam. „Ist bei dir alles in Ordnung?“, Marissandra steckte den Kopf ins Zimmer und Leila nickte. Ihr fiel es schwer irgendwas zu sagen, es kam eh kein Laut über ihre Lippen. „Gut, wenn was ist, ruf einfach nach mir, Liebes.“ Und da hatte sich die Tür auch schon wieder geschlossen und Leila war wieder allein im Wohnzimmer, mit all ihren Fragen. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass dieses Buch ihr nicht wirklich Antworten gegeben hatte, nein, eher noch viel mehr Fragen. Also legte sie es zur Seite und griff nach dem nächsten Buch und hoffte darin, zumindest die Antworten finden zu können, die ihr das erste Buch nun gegeben hatte. Sie musste es einfach wissen, deswegen öffnete sie auch sofort den Deckel des Buches und fing an die Zeilen zu lesen. Manche schienen schon etwas ausgeblichen, als hätten schon so viele Hände über diese Seiten gestrichen. Als sie noch klein war, hatte sie sich immer vorgestellt, dass sie die Geschichte intensiver lesen und verstehen würde, wenn sie dabei über die Seiten strich. Natürlich war das Schachwinn, aber kindlicher Glaube konnte Berge versetzen und sie hatte damals nur daran geglaubt. Ihre Fantasie war das Einzige gewesen, an das sie damals noch glauben konnte, alles andere hatte sie verlassen und enttäuscht. Liam und Menas Noxus waren in dem großen Raum im Keller, ein Raum der nur selten genutzt wurde, außer als Waffensammlung. Sie kümmerten sich nicht wirklich um das Familiengeschäft, das war in guten Händen. Es ging um andere Dinge, um die sie sich gerade kümmerten. Dinge, die jetzt wichtiger waren, als die Führung des Geschäfts. Liam hatte es sich in den Kopf gesetzt, dass er den Hostus finden würde, der Leila angeschossen hatte. Für ihn gab es in seinen Gedanken nicht mal die Alternative, dass sich jemand anderes schon um diesen Hostus früher oder später kümmern würde. Allerdings würde die Suche nicht einfach sein, das wusste er. Aber mit Menas an seiner Seite, würden seine Chancen gar nicht mal so schlecht sein. Menas saß vor dem großen Bildschirm und tippte Befehle auf die Tastatur. Liam stand hinter ihm, sah auf den Monitor und gab Anweisungen oder Tipps. Für ihn ging es jetzt nur darum, dass er diesen Seelenlosen jagte und sich rächte. Leila hatte leiden müssen, obwohl der Anschlag gar nicht ihr galt. Der Hostus wollte nur Liam schaden und das hatte er getan. Der Hostus hatte noch vor Liam selbst gewusst, dass Leila seine Achillesferse war. Sie war das was ihm lieb und teuer war und er hatte sie nicht richtig beschützen können. Die Tatsache dass es nun etwas gab, was er zu beschützen wollte, außer seiner Familie, war neu vor ihm, aber es stärkte ihn auch. Menas hatte es geschafft, die paar Videokameras der Stadt dazu zu bringen, ihnen zu zeigen, was sie am Samstag aufgenommen hatten. „Man sieht gar nichts“, fuhr Liam ihn an. „Das war auf der anderen Straßenseite. Kannst du die Kamera nicht drehen?“ „Liam“, knirschte Menas mit den Zähnen. Er konnte es nun mal gar nicht haben, wenn man ihm in seine Arbeit reinredete. Aber er tat sein Bestes und verstand die Ungeduld Liams. Noch nie hatte er seinen Bruder so gesehen, geschweige das Liam um die Hilfe seines Bruders bat. „Schon gut“, meinte sein Bruder und trat einen Schritt zurück, doch das machte die Sache nicht besser, zumindest nicht für Liam. Menas gab sein bestes und das wusste Liam auch, doch für ihn stand hier eine Menge auf dem Spiel und er war seinem Bruder schon sehr dankbar, dass er bei dieser Sache überhaupt mitmachte, dass hätte er ihm nämlich gar nicht zugetraut. Menas schaffte es mit weiteren Befehlen, dass der Blickwinkel der Kamera sich änderte. Ein Glück war es eine Rundumkamera gewesen, die alles aufnahm, man musste nur den richtigen Blickwinkel einstellen, den man sehen wollte. „Super. Jetzt spul mal etwas vor“, schlug Liam vor und Menas tat das auch sofort. „Stopp“, schrie Liam sofort als er Leila entdeckte. Sie kam die Straße entlang und schien sich ihrer Gefahr absolut nicht bewusst zu sein. Liam seufzte, als sie direkt an der Gasse stehen blieb, wo er sie schließlich entdeckt hatte. Er hatte schon den Drang, den Film anzuschreien, um ihr zu sagen, dass sie weg gehen sollte. Doch dann fiel ihm wieder ein, dass das lächerlich war. Erstens weil es eine Videoaufzeichnung war und zweitens, weil das alles, was sie gleich mehr oder weniger sehen würden schon passiert war. Während er nicht dabei gewesen war, dachte er weiter. Seine Schultern sackten nach unten und seine Hände ballten sich an seiner Seite zu Fäusten. Liam und Menas starrten wie gebannt auf den Bildschirm, der einen Großteil der Wand einnahm. Liam benutzte den PC hier unten nie, aber jetzt war er dankbar, dass Menas ihn vor langer Zeit angeschafft hatte. Es war besser, als wenn sie oben in Liams Büro vor dem kleinen Bildschirm saßen. Hier hatten sie eine bessere Sicht und bessere Technik. Er schluckte schwer, als er sah, wie Leila gepackt wurde und in die Gasse gezogen wurde. Man sah sie nicht mehr und er war froh, dass es keinen Ton gab, denn ihre entsetzlichen Schreie wollte er nicht hören. Das würde das Fass zum überlaufen bringen und er würde sich nicht mehr auf den eigentlichen Zweck der Sache konzentrieren können. Er war unbewusst einen Schritt nach vorne gegangen, auf den großen Bildschirm hinzu. „Vielleicht kriege ich einen Ton hin“, meinte Menas und tippte so schnell auf die Tastatur ein, dass Liam beim Anblick schwindelig wurde. Menas hatte bestimmt mit diesem Anschlag mit den besten Sekretärinnen mithalten. „Ich glaube, jetzt müssten wir was…“ Noch bevor Menas das Wort ‚hören‘ aussprechen konnte, hörten beide einen lauten Knall. Zuerst wussten beide nicht, was das gewesen war, sahen sich fragend an. Doch dann fiel es ihnen wieder ein. Leila wurde gerade eben angeschossen. Liams Faust machte sich selbstständig und schlug auf den Schreibtisch. Er erwartete ihre Schreie zu hören, doch er hörte nichts. Irgendwie war diese Stille unerträglicher für ihn, als wenn er ihren Schrei gehört hätte. Sie sagte doch sonst immer so viel, warum gab sie in dieser Situation keinen Laut von sich. Doch dann war er sich nicht sicher, ob er ein Murmeln vernahm. Ein Flüstern, er sah Menas an und bevor er etwas sagen konnte, wusste sein Bruder schon, was Liam von ihm wollte. „Vielleicht geht es etwas Lauter.“ Er drehte die Lautstärkeregelung bis zum Anschlag auf und dann hörten sie eine Stimme. Es war aber nicht die von Leila, sofort wussten Sie, dass es nur die vom Hostus sein konnte. „Ich nehme die Stimme auf, vielleicht bringt sie uns etwas.“ Er wollte gerade das nächste Programm laden, als sie sahen, dass eine Person die Gasse verließ. Eine Person, die nicht Leila war. Menas stoppte das Video und starrte auf die Person, die gerade die Gasse verließ, als wäre nichts passiert. Er hielt keine Waffe in der Hand, vermutlich hatte dieser sie wegschmissen. Die Frage war nur wohin. Menas war in der Nacht von Samstag auf Sonntag noch mal zu dem Ort gefahren, um Spuren zu verwischen und vielleicht etwas vom Täter herauszufinden. Doch von einer Waffe war keine Spur gewesen. Es konnte natürlich sein, dass noch vor Menas jemand am Tatort gewesen war, der die Waffe mitgenommen hatte. Bewusst oder weil er sie einfach gefunden hatte. Aber das was sie nun hatten, langte ihnen. Menas zoomte das Gesicht des Mannes heran, sie warteten einen Moment, bis die Qualität etwas besser wurde und prägten sich das Gesicht sofort ein. Das hier würde Liams Ziel Nummer Eins sein. Er würde nicht eher Ruhe geben, bis er wusste, dass dieser Hostus vernichtet war und er niemanden mehr schaden konnte. Menas kopierte das Bild vom Gesicht des Hostus, in ein anderen Programm und ließ dann die Videosequenz wieder laufen. „Li…am…“ Liam erstarrte, als er Leilas Stimme hörte und sie seinen Namen rief. Ihre Stimme war schwach und man vernahm sie auch nur sehr leise. Sie hatte ihn angerufen, das war das einzige, was sie ihm sagen konnte, zu mehr hatte sie keine Kraft mehr gehabt. Er war froh gewesen, dass sie ihn anrief. Niemand anderes hätte sie sonst so schnell finden können. Bis jemand anderes sie gefunden hätte, wäre sie vermutlich gestorben und das war sie in seinen Armen auch fast. Ein schwerer Stein schien in seinem Magen zu liegen, als er ihre Stimme noch mal gehört hatte. „Ist alles okay mit dir?“ Liam nickte nur. „Ja. Aber wir müssen diesen Typen finden.“ Seine Stimme war geladen mit Wut, klang dunkel und kämpferisch. Er würde Leila rächen, das wusste Menas. Diesen Ausdruck hatte er noch nie im Gesicht von seinem Bruder gesehen, er erschreckte ihn sogar etwas. Liam und er waren vollkommen verschieden. Menas ging es eher um Taktik, er überlegte sich einen Plan bevor er etwas in Angriff nahm. Liam dagegen würde mit dem Kopf einfach durch die Wand rennen, wenn er glaubte, so schneller ans Ziel zu kommen. Menas starrte an die Wand neben sich, an der Liam viele seiner Waffen gehängt hatte. Es hätten Dekorationsstücke sein können, nur Schaustücke, doch Menas wusste es besser. Dolche, Messer einklingig oder mit zwei Klingen, Sperre, Spieße, Dreizacke, Partisane, Dolche, Lanze, Degen, Bajonette, Palasche. Die Wand war mit allen möglichen Stichwaffen verhängt und sie erinnerten an alte Zeiten. Die meisten Waffen war schon verdammt alt, hatten eine Menge Kämpfe hinter sich gebracht. Blut hing an jeder dieser Klingen, doch von sich zu trennen war schwerer als gedacht. Es waren Waffen eines Krieges, den die Menschen nicht verstanden und nie verstehen werden, da er vor ihnen geheim gehalten werden muss. Es ging dabei nur um ihre Sicherheit. Kapitel 19: Kapitel 19 ---------------------- „Liebes, was hältst du davon, wenn du mal eine Pause einlegst?“ Marissandra war mal wieder ins Wohnzimmer zu Leila gekommen und sah diese mit einem freundlichen Lächeln an. Leila saß immer noch auf der Couch, in die Decke gewickelt und durchstöberte ein Buch nach dem anderen. Inzwischen hatte sie sich noch drei andere geholt um dieses Mysterium etwas zu verstehen, dass da vor ihr lag. Aber dieses Mysterium schien ihr zu groß zu sein, als dass sie es in wenigen Stunden verstehen konnte. Sie war aber erleichtert als Marissandra ihr eine Pause anbot, denn sie kam nicht wirklich weiter. Ihre Fragen waren nicht weniger geworden, nicht wirklich. Die meisten Fragen kannte sie nicht mal, geschweige denn von den Antworten. Auch wenn in diesen Büchern eine Menge Informationen gestanden hatten, verwirrt war sie immer noch. „Das ist eine gute Idee.“ „Ich würde mich freuen, wenn du mir beim Kochen helfen würdest.“ Leila schob Bücher und Decke von sich und stand auf. „Das mache ich doch gerne. Aber ich bin glaub ich keine große Hilfe.“ „Das werden wir ja noch sehen“, meinte Marissandra mit einem sanften Lächeln, legte den Arm auf Leilas Rücken und führte sie aus dem Wohnzimmer in die Küche. „Liam und Menas sind noch beschäftigt.“ „Ja, mein Herz.“ Leila war etwas über die Wärme in der Küche überrascht. Wenn sie in ihre eigene Küche trat, gab es nie diese wollige Wärme, die Gerüche, die zeigten, dass dort jemand lebte. Wenn sie ihren Kater nicht hätte, würde sie sich verdammt einsam fühlen. „Würdest du das Gemüse schneiden?“, fragte Marissandra und deutete auf das Gemüse, das schon auf der Küchentheke bereit stand. Davor lagen schon ein Schneidebrett und ein Küchenmesser. Als hätte Marissandra gewusst, das Leila zusagen würde. Vielleicht hatte Marissandra auch zuerst alleine anfangen wollen, doch dann hatte sie sich vielleicht an den Gast Leila erinnert und wollte sie etwas in die häusliche Arbeit mit einspannen. Was Leila sehr schön fand. Früher hatte sie mit ihrer Mutter auch oft gekocht. Aber das war schon sehr lange her und sie war damals noch ein sehr kleines Mädchen gewesen. Aber die Erinnerungen an die gemeinsamen Stunden beim Kochen oder Backen, bedeuteten ihr viel. Leila nickte, für sie war es in Ordnung Gemüse zu schnippeln. Für sich selber kochte sie nie wirklich. Aber ihre Freundinnen kamen oft zu ihr und ließen sich dann von ihr bekochen. Was Leila sehr gerne tat. „Ich finde es schön dass du mir hilfst, Leila. Mir hat lange keiner mehr in der Küche geholfen.“ „Darf ich etwas fragen? Ich hoffe aber, es ist nicht unhöflich.“ „Nur zu, Liebes.“ Leila sah von ihrem Gemüse zu Marissandra, welche gerade den Herd einschaltete und eine Pfanne auf die Ceran-Platte stellte. Leila starte auf das Messer in ihrer Hand, welches gerade still stand. „Liam hat es mir erzählt.“ Alles, hatte er ihr erzählt. So glaubte sie. Alles über ihn. „Ich weiß, mein Kind. Er hat dir endlich erklärt wer wir sind.“ Leila nickte, ohne Marissandra anzusehen. „Er hat mir gesagt, dass er 578 Jahre alt ist. Wie…“ Doch irgendwie kam es ihr doch unhöflich vor, die Frau nach ihrem Alter zu fragen. Auch wenn sie so verdammt neugierig war. „Ich bin 814 Jahre alt.“ In der Stimme Marissandras lag ein Lächeln. Sie nahm es ihr also nicht übel, dass sie nach dem Alter der Frau fragen wollte. „Liebes, du kannst mich alles fragen, was dir auf dem Herzen liegt.“ Leila lächelte in sich hinein und fing wieder an, das Gemüse zu schälen und in kleine Stücke zu schneiden. Sie fand es wirklich schön bei Marissandra zu sein, vernahm das Lied das die Frau summte und fand es irgendwie sehr vertraut, als hätte sie es in ihrem Leben schon mal gehört, wusste aber nicht woher. Es kam ihr vertraut und doch fremd vor. Wie irgendwie alles, was sie bisher hier in diesem Haus erlebt hatte. Es waren so viele neue Dinge, die sie erlebte, ihr aber kaum Angst einjagten. Liam war bei ihr und es schien, als würde er sie beschütze wollen, als wolle er einfach auf sie aufpassen und alles Unheil von ihr forthalten. Au, wollte sie sagen und sah auf Hand herunter. Sie hatte sich mit dem Messer in den Finger geschnitten. Es hatte wehgetan, doch das war es nicht was sie jetzt verwunderte. Völlig gebannt sah sie ihrem eigenen Blut zu, welches am Messer klebte und auch auf das Schneidebrett getropft war. Irgendwie fesselte sie die rote Flüssigkeit vollkommen, als hätte sie Blut noch nie zu vor gesehen. Der metallische Geruch stach ihr sofort in die Nase und schien sich bis tief in ihrer Lunge auszubreiten, bis der Geruch jede ihrer Zelle erreicht hatte. Sie konnte mit eigenen Augen mit ansehen, wie sich diese Wunde wieder verschloss. Das konnte nicht wahr sein. Ihre Wunde schloss sich vor ihren Augen? „Was…“ Sie wusste nicht was sie sagen wollte, sie wollte aufschreien und es nicht wahrhaben. „Liebes, was…“ Doch dann stoppte Marissandra ihre Worte sofort wieder, denn sie vernahm ebenfalls den Geruch von Blut. Leila drehte sich um und sah Marissandra überrascht an. In der einen Hand hielt sie das Messer. Sie wollte etwas sagen, fragen, doch alles war vollkommen verwirrt. In ihrem Kopf war ein einziges Chaos und sie wusste einfach nicht was jetzt stimmte. Sie war sich nicht sicher, was sie da eben gesehen hatte. Noch mal starrte sie auf ihren Finger, doch die Wunde war nun vollkommen verschlossen. Wenn das Blut auf der Klinge des Messers nicht zu sehen war, würde sie nicht glauben, dass sie das wirklich eben gesehen hatte. „Leila, das…“ Leilas Atmung ging hektisch, in ihren Augen erkannte Marissandra pures Entsetzen. „Was ist mit mir los?“ Sie blickte auf das Messer in ihre Hand und glaubte nicht, was sie eben gesehen hatte. Vielleicht… „Tu das nicht, Liebes.“ Doch da hatte Leila sich mit voller Kraft das Messer in die Hand gerammt. Sie stockte, denn vor Schmerz hatte es ihr den Atem verschlagen. Es tat höllisch weh, doch der Schmerz verschwand wieder schnell und sie beobachtete mit wachen Augen, wie sie sich das Küchenmesser wieder aus der Hand zog. Sie sah die Wunde an, ignorierte all das Blut und sah wie sich die Wunde langsam, aber dennoch wieder schloss. Verwirrt schüttelte sie den Kopf, ihre Hand umklammerte das Messer so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Das alles verwirrte sie. Sie wusste nicht mehr was stimmte und was nicht. Was war richtig und was falsch? Wer war sie? „LIAM!“, schrie Marissandra als sie bemerkte, dass sie Leila selber nicht beruhigen konnte. Sie schien gerade vollkommen in ihre eigene verwirrte kleine Welt versunken zu sein. In diese Welt konnte Marissandra auch nicht eindringen, denn Leila verschloss ihr Wesen vor der Fähigkeit Marissandras. Liam hörte den Schrei seiner Mutter nur zu deutlich. Sie hatte ein sehr gutes Organ, darauf konnte er sich immer verlassen, allerdings wusste er jetzt gerade nicht warum sie nach ihm schrie. Menas und er waren gerade dabei ihre Sachen zu packen, Taschen mit Waffen zu beladen, die sie dann ins Auto legen würde. Heute würden sie auf Jagd gehen. Sie würden diesen Typen fassen. Er würde nicht eher schlafen können, bevor er diesen Hostus vernichtet hätte. „Geh du hoch, ich mach das…“, meinte Menas, doch da war Liam schon aus dem Zimmer, die Treppe nach oben gestürmt. Wenn seine Mutter so schrie, war es kein gutes Zeichen. Irgendetwas Schlimmes war geschehen oder stand ihnen noch bevor. Er riss die Tür zur Küche auf, wo der Schrei hergekommen war. Vor ihm standen Marissandra und Leila. Leila sah ihn vollkommen entsetzt an. Marissandra stand neben ihr, wirkte hilflos und wütend zu gleich und so wie seine Mutter ihn ansah, wusste er sofort, dass sie wütend auf ihn war. Sie hatte dann immer diesen einen bestimmten Blick drauf, den kannte er schon als er noch ein Kind war. Gott, wie lange war das nun schon her, doch an diesem Blick hatte sich nichts geändert. Irgendetwas hatte er wieder angestellt, was ihr gar nicht gefiel. Doch etwas stimmte an diesem Bild der beiden Frauen in der Küche nicht. Vielleicht das kein Wort gesprochen wurde. Oder das Messer, welches Leila in der Hand hielt. „Liam, sie…“ „Schon gut“, meinte er zu seiner Mutter, stoppte ihre Worte und öffnete ihr die Küchentür. „Ich kümmere mich darum.“ „Das will ich auch hoffen“, sagte sie, legte das Küchentuch zur Seite und verließ die Küche ohne ihren Sohn oder Leila noch mal anzusehen. Sie gehörte ja nun wirklich zu den verständnisvollen Wesen ihrer Art, sie war ruhig und besonnen, kümmerte sich um ihre Kinder, doch sie wusste nicht wie sie eben hätte reagieren sollen, als Leila sich provokativ in den Arm stach. So was konnte sie sich nun wirklich nicht ruhig mit ansehen. Darum sollte sich Liam kümmern, er hatte sich für diese Frau entschieden und er sollte Leila alles erklären, ihr beistehen und ihr helfen. Leila hatte Angst, deswegen war sie wütend auf Liam. Sie hatte eine Angst, die Marissandra kannte. Angst vor etwas Neuen, vor etwas Unbekannten. Liam sah Leila ruhig an, sah auch das Messer in ihrer Hand und war kein Schritt weiter in ihre Richtung gegangen, er blieb einfach stehen und hoffte, dass Leila sich von selber wieder beruhigen würde. Allerdings war es der wütende Blick, der ihn zurückhielt. Doch er erkannte noch mehr in ihren Augen. War es Furcht? Ganz eindeutig hatte sie Angst vor etwas und sofort spürte er das Verlangen in sich, dass er sie an sich drücken und ihr die Furcht nehmen wollte. „Leila, lass es mich erklären.“ Er wusste was passiert war, ohne dass es ihm jemand gesagt hatte. Er hätte es kommen sehen müssen, doch er war zu sehr mit der Suche dieses Hostus beschäftigt gewesen. Leila hatte er dabei vollkommen vergessen, dabei sollte er sich doch vor allem ihr verpflichtete fühlen. Doch die ganze Zeit spuckte ihm diese Rache im Kopf herum. „Was…“ Ihre Lippen bebte und sie schaffte es nicht die richtigen Worte zu finden, also nahm sie das Messer fester in ihre Hand, die Knöchel traten an ihrem Handrücken weiß hervor. Sie sah Liam fragend an, als sie sich das Messer langsam über ihren Unterarm zog. Als sie die rote Linie sah, das Blut das tropfte, fiel ihr wieder ein, dass ihr von Blut schwindelig wurde. Der Griff um das Messer wurde lockerer und es flog klirrend auf die Fließen. „Leila, verdammt…“ Liam war nun ebenfalls wütend, griff nach einem Küchentuch und wickelte es ihr um den Arm. Er konnte sie nicht bluten sehen. Das eine Mal hatte ihm wirklich gelangt. Er wollte nicht dass sie je wider verletzt wurde, dabei war es egal, ob sie sich diese Wunden selber zufügte. „Was hat das zu bedeuten?“, fragte sie ihn wütend. „Warum musst du nur so melodramatisch sein?“, fragte er sie und sah sie ebenfalls wütend an. Da standen sie beide eine Weile in der Küche und sahen sich beide wütend an und beide wussten, dass sie jetzt nichts Falsches sagen wollten. Denn wenn sie etwas sagen würden, wäre es auf jeden Fall unangebracht, da beide wütend waren. Liam bückte sich, hob das Messer wieder auf und legte es in die Spüle. „War es das wirklich wert?“, fragte er murmelnd, denn die Frage galt eher ihm selber. Er hätte konsequent bleiben müssen und ihr alles erzählen müssen. Doch die Momente mit ihr, die schöne Stunde gemeinsam im Wohnzimmer auf der Couch waren sehr schön gewesen. So schön, dass er diesen Moment einfach nicht zerstören wollte. Bevor er ihr noch etwas sagen konnte, nahm er ihre Hand und zog sie mit aus der Küche. Warum musste Leila sich gerade jetzt in den Arm schneiden? Er hatte gerade ganz andere Dinge im Kopf. Dieser Hostus spukte in seinem Kopf herum. Er wollte sich darum kümmern, ihn vernichten. Denn dann war Leila gerächt, denn das war es er wollte. Rache. Rache, für das was man ihr angetan hatte, wobei sie gar nichts dafür konnte. Aber nein, Leila musste sich ja unbedingt in dem Arm schneiden. Melodramatischer ging es nun echt nicht und er hasste Szenen und das hier war eine der schlimmsten Sorte. „Liam, du tust mir weh“, murmelte sie leise, doch da hatten sie schon sein Schlafzimmer erreicht und er ließ ihre Hand los. Er seufzte und sah sie entschuldigend an, doch sie schaute sich in seinem Zimmer etwas um, ignorierte seinen harten Blick. Sie war noch nie in seinem Schlafzimmer gewesen, fiel es ihm ein. Er brauchte sie und wollte ihr ganz bestimmt nicht weh tun, das war das Letzte was er wollte. Manchmal hatte er seine unmenschliche Stärke aber einfach nicht unter Kontrolle, vor allem wenn er wütend war. Er hatte zu wenig mit Menschen eigentlich zu tun und anderen würde es nicht so leicht weh tun. Doch da fiel ihm ein, dass Leila ja nun auch nicht mehr sterblich war. Er sah sie an und wollte ihr irgendetwas sagen, wusste selber noch nicht genau was, doch in ihren Augen stand immer noch die Wut, aber sie loderte nicht mehr so sehr wie in der Küche. Die Flammen waren etwas erloschen, wenn auch immer noch vorhanden. „Ich will Antworten.“ „Und ich habe eigentlich was anderes zu tun“, bedeutete er ihr und versuchte dabei ruhig zu klingen. „Ich…“ Doch dann sah er sie wieder an, wie sie auf ihrer Unterlippe biss und sich einen wüsten Kommentar unterdrückte. Nein, er würde ihr nicht von seiner Jagd nach dem Hostus erzählen. Er wollte sie nicht noch mehr mit hineinziehen. Leila steckte wegen seiner Unachtsamkeit schon viel zu tief in dieser Sache. Nun musste er sie beschützen, endlich einmal. Er trat näher an sie ran und griff nach ihren beiden Händen. „Leila, Liebes“, fing er sanft an. „Ich werde dir all deine Fragen beantworten.“ Sie nickte, denn sie wusste das eigentlich. Liam hielt seine Versprechen, das spürte sie instinktiv. Sie mochte das Gefühl, wenn er sie berührte, wie sanft sein Daumen über ihren Handrücken streichelte. Der Blick, mit dem er sie ansah, war gütig, sanft und zärtlich. Aber dennoch wollte sie endlich Antworten haben. Sie wollte wissen, was hier los war. Was mit ihr los war. „Ich weiß. Aber…“ Dennoch war sie ungeduldig, neugierig. Sie hatte vielleicht schon viel zu lange gewartet. Wie lange würde er sie noch in seinem Haus haben wollen, ohne dass sie endlich die Antworten bekam, die sie brauchte. Sie löste den Blick von seinen Augen und sah auf die Hand, die ihre streichelte. Sie sah die Wunde an, das was noch von der Wunde übrig war, denn sogar die rosafarbene Narbe, die sie jetzt dort sah, verblich langsam. Nein, sie wollte nicht länger warten. Sie wollte jetzt antworten. Sie war Wissenschaftlerin und sie brauchte diese Antworten einfach jetzt, warum verstand Liam das einfach nicht. Sie entzog ihm ihre Hand und ging einen Schritt zurück, blickte ihn wieder an. Er sah sofort, dass sie wieder ernst war und sich nicht so einfach besänftigen ließ. „Verdammt, Liam… ich will Antworten… Was bin ich… wer bin ich… was bist du… Ich verstehe das einfach nicht und du bist anscheinend der Einzige in diesem Haus, der mir meine Fragen beantworten kann“, sagte sie aufgebracht. Sie wollte nicht so klingen, aber die Worte kamen ihr einfach über die Lippen. Er sah sie an und nickte. Sie hatte Recht, das wusste er und er sollte ihr die Antworten geben, doch er hatte es nicht übers Herz gebracht, ihr das alles zu sagen. Ja, er hatte Angst. Er, der Krieger hatte einfach Angst vor ihrer Reaktion. Er wollte nicht dass sie von ihm zurückwich, so wie sie es jetzt tat. Auch wenn er nicht daran denken, sondern bei der Sache bleiben sollte, fand er, dass sie mal wieder unglaublich hinreizend aussah, wie sie sich vor ihm aufregte. „Aber du tust es nicht.“ Sie schüttelte den Kopf, um ihre Worte zu verdeutlichen. „Nein. Du siehst anscheinend keinen Grund darin, mir zu sagen…“ Doch weiter kam sie nicht. Liam hatte ihren Wortschwall gestoppt, in dem er sie einfach geküsst hatte. Er hatte seine Lippen auf die ihren gedrückt und somit ihre Worte gestoppt. Seine Hand lag auf ihrem Hinterkopf und er hielt sie dort leicht fest. Er lächelte, streichelte ihr sanft über die Wange, als sich die Lippen voneinander hörten. Seine Stirn lehnte gegen ihre und sein warmer Atem streichelte ihre Lippe. „Ich bin im Reden nicht so gut, wie du sicherlich schon gemerkt hast“, gestand er ihr. „Meine Spezialität ist es nun mal Taten sprechen zu lassen.“ Er leckte mit seiner Zunge über ihre Unterlippe, bevor er sie noch mal küsste. „Das ist nicht fair“, meinte sie zu ihm und spürte wie ihre Knie weich wurden. Liam lächelte und hielt sie weiterhin in seinen Armen fest. „Leila, ich muss jetzt los. Aber ich verspreche dir, wenn ich wieder komme, wirst du alles erfahren.“ „Alles?“, fragte sie ihn zögernd. Er nickte und lächelte, küsste sie auf die Stirn. „Ja, ich werde dir all die Antworten geben, die du haben willst. Wir werden nicht eine Frage auslassen.“ Er verließ sie, ließ sie wirklich alleine zurück. Sie blieb in seinem Zimmer und sah sich alles genau an. Es sah toll aus, antike Möbelstücke standen in dem weißgestrichenen Zimmer. Das Parkett war dunkel, fast schwarz, hin und wieder sah man ein paar hellere Kerben. Das große antike Himmelbett war der Mittelpunkt des Schlafzimmers. Dunkelrote Vorhänge hingen an dem dunklen Holz herunter. Sie schob sie zur Seite und schneeweiße Bettwäsche fand sie darin. Irgendwie überraschte sie das, sie hätte nicht gedacht bei ihm schneeweiße Bettwäsche zu finden. Vielleicht weil er ein Vampir war oder wie auch immer er das selber nannte. Neben dem Bett standen an beiden Seiten Nachtische, auf denen Lampen im Tiffany-Stil standen. An der anderen Seite des Raumes, stand eine Kommode, mit großen breiten Schubladen. Es sah aus wie ein alter Apothekerschrank. Sie konnte dem nicht widerstehen und setzte sich auf den Rand des Bettes. Die Laken unter ihren Händen waren verdammt weich. Das hier war Liams Schlafzimmer und sie war hier drinnen. Sie wusste nicht ob er sie hier eingesperrt hatte, damit sie hier wirklich drinnen blieb. Es war ihr auch egal, denn eigentlich wollte sie gar nicht weggehen. Sie würde hier warten bis Liam mit ihren Antworten kam. Sie brauchte diese Antworten und sie hoffte, dass er sie ihr endlich gab. Sie lehnte sich nach hinten, kuschelte sich in die weichen Laken und schloss die Augen. Sie wollte die Augen nur für einen Moment schließen. Doch als sie die Augen wieder öffnete, hörte sie Lärm im Flur. Sofort schreckte sie auf, da sie zuerst nicht wusste, wo sie sich befand. Dann fiel ihr wieder ein wo sie sich befand, in Liams Schlafzimmer. Der Lärm im Flur hörte nicht auf und dann wurde die Tür aufgerissen. Sie stand kerzengerade vor dem Zimmer und blickte Liam an, der von Menas ins Zimmer gebracht wurde. Sein Bruder stützte ihm und beide sahen ziemlich fertig aus. Dann sah Leila dass Liams Shirt blutgetränkt war. Blut tropfte auch seinen Arm herab auf das dunkle Parkett des Zimmers. „Was ist passiert?“, fragte sie vollkommen geschockt. „Leila…“, stöhnte Liam. Menas brachte Liam zum Bett, ließ ihn sich jedoch nicht hinlegen. Er hielt ihn fest und zog ihm seine Lederjacke aus. „Was ist passiert?“, fragte sie außer sich. Sie verstand nicht, warum Liam blutete. Seine Wunden mussten doch auch heilen, so wie ihre vor ein paar Stunden. Sie wusste gar nicht wie spät es war, wie lange hatte sie in seinem Bett gelegen, seinen Geruch eingeatmet. Die schwere Jacke fiel auf den Boden, dem folgte das T-Shirt. Liam stöhne bei jeder Bewegung auf. Erst dann ließ Menas seinen Bruder auf das Bett fallen. „Was ist… was ist passiert?“, fragte Leila und trat vorsichtig an seine Seite. „Leila… ich... es tut mir Leid…“ Kapitel 20: Kapitel 20 ---------------------- Leila sah ihn an und wusste nicht was sie denken sollte. In ihrem Kopf war gerade absoluten Chaos, die Gedanken schwirrten wirr in ihrem Kopf herum und sie konnte einfach keinen klaren Gedanken fassen. Liam sah fertig aus, als wäre er unter einer Dampfwalze gekommen. Auf seinem Brustkorb konnte sie dunkle Blutergüsse erkennen, doch die schockten sie nicht so sehr, wie das Blut das von seinem Arm tropfte. Am Oberarm hatte er eine schlimme Verletzung und sie fragte sich, warum sie nicht heilte? Bei ihr hatte doch auch sofort die Heilung stattgefunden? Auf seinem nackten Oberkörper und auf der Haut in seinem Gesicht bildete sich ein leichter Schweißfilm ab. Seine Atmung ging hektisch und er hatte offensichtlich bei jeder Bewegung Schmerzen, als wäre ein oder zwei Rippen gebrochen. Doch am meisten wollte sie wissen, wie das passiert war. Was hatten die beiden gemacht? Waren sie vor einen Zug gesprungen, damit er so hier ankam? Er war doch ein Vampir unsterblich, unverwundbar. Zumindest hatte sie das bisher gedacht. Vielleicht hatte sie auch etwas in den Büchern übersehen, sie hatte ja auch nicht alle Seiten gelesen. „Was ist passiert?“, wiederholte sie ihre Frage noch mal und merkte erst jetzt, dass sie sich am Bettpfosten geklammert hatte. Ihr Blick war nur auf Liam gerichtet und sie hatte Angst, dass er gleich vor ihren Augen sterben würde. „Wir haben Besuch bekommen“, meinte Menas nur und blickte fragend zur Tür. „Da bin ich“, sagte Marissandra und kam mit zwei Blutbeuteln in Liams Schlafzimmer. Leila kannte diese Beutel, es waren die Beutel die sie beim Blutspenden immer sah, aber warum brauchte Marissandra diese nun her. Sie sah Leila gar nicht an, ging direkt an ihr vorbei und setzte sich ans Bett ihres Sohnes. „Hier Liam. Nimm die.“ Sie reichte Liam einen der Beutel, doch als sie sah, dass er Schmerzen hatte seinen Arm zu heben, legte sie ihm den Beutel direkt an den Mund. „Moment. Was machst du da?“, schrie Leila außer sich, doch da sah sie schon wie Liams Zähne spitzer wurden. Zwei spitze Zähne drückten sich aus seinem Mund hervor und stachen in das Plastik. Leila zitterte etwas, als sie sah, wie schnell die rote Flüssigkeit im Beutel weniger wurde. „Leila, das hilft Liam wieder zu Kräften zu kommen“, erklärte Marissandra der jungen blonden Frau, welche blass aussah. Sie wollte sich nicht auch noch um eine andere Person kümmern. Das Liam so mitgenommen aussah hatte er sich vermutlich selber zuzuschreiben. Aber es schockte sie auch, denn Liam war immer ein sehr guter Kämpfer gewesen. Entweder waren sie überrascht worden oder Liam war unachtsam gewesen. Vermutlich war er wieder im Alleingang gegen die Hostus getreten, denn Menas hatte nicht einen Kratzer abbekommen. Manchmal hatte sie echt das Verlangen, Liam mal über das Knie zu legen, denn solche Alleingänge mussten absolut nicht sein, wenn es da noch jemanden gab, der ihm vielleicht helfen konnte. Sie blickte wieder auf ihren Sohn, der im Bett lag und zitternd an dem Blutbeutel saugte. Seine Augen öffneten sich wieder und er blickte zu Leila. Marissandra seufzte. Die beiden waren wirklich ein wenig kompliziert oder sie machten es einfach nur komplizierter als es eigentlich war. Warum konnte Liam Leila nicht alles sagen? Gut, die junge Frau war einmal abgehauen, aber das auch nur weil ihr lieber Sohn nicht den Mumm hatte Leila alles zu erzählen. Dass sie nicht weit gekommen war, war klar, denn die ersten Eindrücke nach einer Wandlung waren erschreckend. Sie mussten langsam Schritt für Schritt an ihre neuen Fähigkeiten herangeführt werden, doch Leila war einfach zu impulsiv und ungeduldig und hatte es eben ohne Liam versucht. Liam war ein guter Junge, das wusste Marissandra und er gab sein Bestes für ihre Spezies, er kämpfte und das mit einer Leidenschaft die sie selten in anderen Augen gesehen hatte. Das Kämpfen gegen Hostus war Liams Aufgabe, er hatte es sich einfach zur Lebensaufgabe gemacht und lebte während dessen ein zurückgezogenes Leben, ließ keinen so wirklich an ihn heran. Gut, er war schon immer etwas eigen und wollte die Dinge auf seine Art und Weise angehen. Das Leila ihn dabei nun vollkommen von der Rolle brachte, war irgendwie sogar verständlich. Liam wusste nicht wie man mit anderen Personen umging, die nicht zur Familie gehörten, schon gar nicht wusste er wie man mit Frauen umging. Aber dass er Leila mochte konnte sie an diesem Blick erkennen, hätte sie es nicht schon vorher gewusst. „Leila…“, brachte Liam schließlich vor und reichte seiner Mutter den leeren Blutbeutel wieder. Marissandra blickte zu Leila, doch diese stand nicht mehr am Bettpfosten sondern ging nun um das Himmelbett herum, trat auf die andere Seite und blieb eine Weile dort stehen. Sie sah Liam traurig an und Marissandra stand ohne ein weiteres Wort auf, schob Menas aus dem Raum heraus und verließ das Schlafzimmer ebenfalls. Die Beiden hatten noch eine Menge zu klären, zu besprechen und vielleicht würden sie sich endlich mal eingestehen, dass sie für einander bestimmt war. Als Liam ihr gesagt hatte, das er Leila wandeln würde, hatte sie panische Angst gehabt, das Liam die falsche Entscheidung treffen würde, dass er diese Frau vielleicht gar nicht liebte und nur wegen seinem schlechten Gewissen diese Entscheidung von sich forderte. Er und diese Frau würden dann immer miteinander verbunden sein, für immer und diese schwere Entscheidung sollte man wirklich nur treffen, wenn man die Person wirklich liebte und das hatte sie zuerst bezweifelt. Doch dann hatte sie in Liams Gesicht gesehen, seinen ernsten Blick wahrgenommen und wusste dass es hier nicht nur um Schuldgefühle ging. Er liebte diese blonde Frau, auch wenn er sich dessen selber noch gar nicht bewusst gewesen war. Leila stand immer noch an der Seite des Bettes, blickte auf Liam hinab und wusste nicht was sie sagen wollte. Sie fühlte sich komisch, unwohl und irgendwie machte es ihr Angst, Liam so zu sehen. Seine Wunde am Arm war inzwischen fast verheilt, heilte von innen heraus. Sogar die blauen Flecke auf seinem Brustkorb färbten sich nun von blau zu einem Grün und dann zu einem Gelb weiter. Das Atmen schien ihn nun auch leichter zu fallen, sein Brustkorb hob und senkte sich, ohne dass er das Gesicht vor Schmerzen verziehen musste. „Leila…“, sagte er sanft. Seine Stimme klang nicht mehr brüchig, aber auch noch nicht wieder so stark wie sie es von ihm kannte. Er hob seine linke Hand und streckte sie nach ihr aus. Das Bett war breit genug, dass er sie nicht erreichen konnte. Doch Leila setzte sich auf die Kante des Bettes und griff nach seiner Hand, sie umschloss sie mit beiden Händen. Als sie sich etwas beruhigt hatte, spürte sie ein anderes gewaltiges Gefühl in ihrer Brust, das ihr schmerzte. Sorge. Ja, verdammt sie machte sich Sorgen um Liam. Sie kannte ihn noch nicht gut und auch noch nicht sehr lange, er manchmal ein wenig arrogant und überheblich, aber dennoch hatte er auch eine sanfte Seite an sich. Sie musste daran denken, wie er Cello gespielt hatte, wie wundervoll sanft die Klänge kamen und das durch seine Bewegungen. Diese sanfte Seite schien er gut zu verbergen, doch Leila hatte er sie gezeigt, ob er es gewollt hatte oder nicht, sie hatte von dieser anderen Seite erfahren. Sie strich vorsichtig über die Narbe, die nun entstanden an seinem Oberarm war, vermutlich aber selber gleich verschwinden würde. Der kalte Schweiß auf seiner Haut war auch nicht mehr zu spüren und er hatte wieder Farbe im Gesicht bekommen. Sie sagte kein Wort und zuckte zusammen, als sie spürte wie Liam ihr über die Wange strich. Er hatte seine Hand aus ihren gelöst und streichelte ihr über die Wange. Er zog seine Hand zurück und sie konnte eine Träne auf seinem Zeigefinger erkennen. Sie weinte? Sie hatte es gar nicht gespürt. In ihrer Brust war nur dieses erdrückende Gefühl, dass sie das Atmen erschwerte. Doch die Tränen hatte sie nicht gespürt. Er blickte die Träne an und seufzte. „Es tut mir Leid“, sagte er sanft. Ihr Blick wanderte von seinem Arm, seine Brust entlang zu seinem Gesicht, wo sie seinen Blick erwiderte. In seinen Augen stand Mitgefühl geschrieben und ihre Brust schwoll etwas an, als sie das sah. Sie hatte es gehasst, wenn man sie früher mitleidig angesehen hatte. Sie wollte kein Mitleid von anderen haben, denn es ging ihr gut. Sie war ein Stehaufmännchen, das immer wieder auf den Füßen landete egal wie tief sei fiel. Vielleicht mochte sie ihren Kater deshalb so gerne, weil Katzen auch immer auf den Füßen landeten. „Ich habe nicht aufgepasst und das tut mir leid.“ Fragend blickte sie ihn an, atmete langsam aus und spürte, dass der Schmerz in ihrem Brustkorb verschwand. Sie hatte dieses Gefühl noch nie so intensiv gespürt. Gott, sie fühlte sich zu ihm hingezogen und wollte nicht, dass ihm etwas passiert. Gut, er war ein Krieger, aber bisher hatte sie einfach nicht gewusst was das bedeutete. Sie hatte nicht daran gedacht, dass er schwer verwundet nach Hause kommen würde, sich kaum auf den Beinen halten konnte. Sie hatte nicht daran gedacht, weil sie gedacht hätte, er wäre unverwundbar. „Vampire sind doch unverwundbar“, sagte sie schließlich. Ihre Stimme hörte sich etwas kratzig an, belegt von den Tränen die nun aber versiegt waren. Vorwurfsvoll sah sie ihn an, weil sie das Gefühl hatte, dass er sie angelogen hatte. Er war nicht unverwundbar wie es schien, warum war es dann so toll ein Vampir zu sein? Dann waren sie nicht besser als Menschen. Gut, vielleicht war er ein paar Jahre älter als sie, aber wenn er genauso durch einen Unfall sterben konnte wie sie, was machte dass dann schon? „Aber wir können auch verletzt werden“, sagte er mit ruhiger Stimme. Er sah sie an, zog sie nicht an sich, auch wenn er das wollte. Sein Körper schrie danach, dass sie sich an ihn kuschelte, er sie festhalten konnte. Er wollte wieder ihren warmen Körper an sich spüren, so wie unten an der Couch. Er wollte mit ihr einschlafen und einfach alles vergessen, nur noch sie bei sich haben. „Es kommt darauf an, wie schlimm die Verletzungen sind.“ „Kannst du… kannst du so… getötet werden?“ Die Worte kamen ihr schwer über die Lippen und sie wollte es nicht hören, wenn er es bejahen würde. Sie wollte nicht, dass er sterben konnte. Sie wollte keine Beziehung bei der man sie verlassen konnte. Sie wollte das jemand bei ihr war, immer. Doch irgendwie kam es ihr so vor als hätte er sie angelogen. Irgendetwas sagte ihr, dass er ihr nicht versprechen konnte, dass er für immer bei ihr blieb. Irgendwie hatte sie in ihrem Kopf, dass er es ihr gesagt hatte. Wieder spürte sie die Tränen kommen, doch es waren keine Tränen der Sorgen, sondern der Wut. Sie war sauer auf ihn und biss sich auf die Unterlippe. „Du hast mich angelogen“, sagte sie aufgebracht und versuchte ihre Wut herunterzuschlucken. „Leila, ich habe dich nicht angelogen.“ Er richtete sich etwas auf, stützte sich mit seiner rechten Hand ab und beugte sich etwas nach vorne. „Ich könnte getötet werden, aber dazu braucht es schon mehr als das man mir meinen Arm halb abschneidet, wobei das auch nicht so gut ist, denn ich weiß gar nicht ob der nachwachsen würde.“ „Das ist nicht witzig“, sagte sie bissig, denn sie hatte seinen humorvollen Ton aus seinen Worten herausgeholt. Vermutlich machte er sich gerade über sie lustig. Etwas was sie gar nicht haben konnte. „Leila“, sagte er sanft, jeder Ton von Witz war verschwunden, als er sah, dass sie wirklich aufgebracht war. „Lass es mich dir erklären.“ „Das kannst du doch gar nicht.“ Sie verschränkte die Arme von ihrer Brust, ihre Atmung war durch die Wut in ihrem Blut kräftiger und sie versuchte ihn nicht anzuschauen. Denn sie wusste, wenn sie ihn ansehen würde und sich in seinen warmen Augen verlieren würde, würde die Wut sich in Luft auflösen. „Du konntest es mir bisher auch nicht erklären.“ Er atmete leise aus und sah sie an, er verstand warum sie wütend auf ihn war und irgendwie machte ihn das traurig. „Und auch das tut mir leid.“ „Tut dir irgendetwas denn nicht Leid.“ Sie machte ihm hier eine Szene und eigentlich hasste sie so ein Verhalten. Aber sie waren unter sich und es war ihr gerade auch mal egal, ob sie nun zickig, kindisch oder wie auch immer er dieses Verhalten bezeichnen würde. „Ja, es tut mir nicht Leid, dass ich dein Leben gerettet habe. Es tut mir nicht Leid, dass ich nun immer an dich gebunden bin, egal ob du mich lieben würdest oder nicht. Es tut mir nicht Leid, dass du hier bist, denn ich will dich bei mir haben. Ich kann es nicht so gut erklären, wie du es vielleicht gerne hättest.“ Sie sah ihn überrascht an. Sie hatte vieles erwartet, aber nicht diese Worte. Ihre Wut wurde im Keim erstickt, seine Worte waren die Löschdecke, die er auf die Flammen ihrer Wut warf und alles löschte. Sie saß einfach nur da und wusste nicht was sie sagen sollte. Eben war sie noch wütend gewesen, doch nun war dieses Gefühl weg und sie fühlte sich irgendwie taub. Als würde sie unter Wasser sein und alles nur durch ein Rauschen wahrnehmen. „Ich habe von all so etwas keine Ahnung, Leila. Aber ich weiß was ich für dich empfinde.“ Sie saß immer noch da, ruhig, erstarrt und sah ihn einfach nur an. Worte waren immer ihre Waffe gewesen, mit ihnen hatte sie sich gegen die Welt gewehrt. Sie wusste immer was sie wann sagen sollte – meistens zumindest. Doch nun wusste sie gar nichts. Ihr Kopf war leer, noch vor ein paar Minuten war in ihrem Kopf ein Chaos voller konfuser Gedanken gewesen und nun war da nur eine Stille. Sie sah überrascht aus, löste sich aus ihrer Starre als sie seine Berührung an ihrer Wange spürte, er streichelte über ihre Haut, strich dieses Mal keine Tränen aus ihrem Gesicht. Er lächelte und zog sie einfach an sich. Er sagte kein Wort mehr, sondern ließ Taten sprechen, denn das war nun mal das was er konnte. Er war nun mal nicht der große Redner, konnte nicht mit großen Worten beeindrucken, aber er konnte Taten sprechen lassen. Das war nun mal sein stärkster Charakterzug. Leila ließ sich an ihn ziehen, betete ihren Kopf auf seinen nackten Oberkörper, lauschte den Rhythmus seines Herzens, spürte das Heben und Senken seines Brustkorbes. Sie wusste nicht was sie wollte, ob sie ihn wollte. Denn das war doch verrückt, sie kannte ihn doch gar nicht. Aber er küsste einfach so wundervoll und auch wenn er nicht gut im Reden war, gab er ihr das Gefühl etwas Besonderes zu sein. Wenn er sie ansah, fühlte sie sich einfach wie etwas Besonderes, so etwas hatte sie noch nie gespürt. Es war ein schönes und sicheres Gefühl, ja, es gab ihr Sicherheit. Sicherheit die sie früher nie hatte. Wie oft hatte sie kämpfen müssen um von den Männern, die sie eigentlich lieben sollten, die Aufmerksamkeit zu bekommen die sie brauchte. Da war ihr Erzeuger, der ihre Mutter verlassen hatte als sie mit ihr schwanger war. Dann war da der Vater ihrer Brüder, den sie wie nichts sonst hasste. Sie hasste diesen Menschen, sie hasste es, was er mit ihr gemacht hatte. Er hatte einen Teil in ihr kaputt gemacht, hatte das Vertrauen in die Männer zerstört. Sie wusste nicht, ob sie das alles irgendwann mal Liam erzählen sollte oder musste. Aber sie wusste nicht wie er reagieren würde. Sie hatte schon oft die Reaktionen von Männern erlebt und die meisten hatten dann Angst, etwas falsch zu tun. Und genau das war es, was sie nicht brauchte, nicht wollte. Sie wollte nicht mit mitleidsvollen Augen angesehen oder mit Samthandschuhen angefasst werden, sie war keine kleine Prinzessin, sie war einfach sie. Das Heben und Senken seines Brustkorbes, ebenso das gleichmäßige Schlagen seines Herzens beruhigte sie ungemein. Sie sah auf zu ihrer linken Hand, die neben ihrem Gesicht auf seinem Körper ruhte und welche nun sanft über seine Haut fuhr. Nur ihre Fingerspitzen berührten seine Haut, doch kribbelte es immens, als würde sie etwas Geladenes streicheln und nicht Liam Noxus’ nackten Oberkörper. Das er gut gebaut war, wusste sie von Anfang an, hatte es gespürt, wenn er sie umarmt und sie fest an sich drückte. Seine Muskeln waren deutlich unter seiner Haut erkennbar, als wäre dort kein Gramm Fett wo es nicht hingehörte. Sie errötete und wusste nicht einmal genau warum, vielleicht auch einfach nur, weil ihr bewusst wurde, dass sie auf Liams nackten Oberkörper lag. „Mache ich dich nervös?“ Sie wusste dass er bei dieser Frage grinste und sie konnte einfach nicht widerstehen und zwickte ihm dafür in die Haut. „Hey“, meinte Liam wehleidig und griff sofort nach ihrer Hand, hielt sie fest. Sie blickte auf seine Hand, die ihre umfasste, beobachtete wie ihre Finger sich miteinander verschränkten, ihre Hände somit die Distanz größtmöglich aussperrten. „Du machst mich nicht unbedingt nervös“, antwortete sie schließlich. „Eigentlich hast du eine beruhigende Wirkung auf mich, was echt verrückt ist.“ „Es ist nicht verrückt“, warf er ein, doch sie überging diesen Einwurf von ihm. Sie war noch nicht bereit, darüber zu reden. „Nervös macht mich nur, dass du eigentlich fast nackt bist.“ Sie wusste dass er wieder lächelte. „Ja, das bin ich wohl“, stimmte er ihr zu und er hatte damit absolut kein Problem. Er fühlte sich nicht unwohl oder vor ihr entblößt. Er war einfach nur froh, dass sie bei ihm war und er wollte sie einfach nicht mehr loslassen, wollte sie immer in seinen Armen haben und nie wieder gehen lassen. Aber er wusste selber, dass er dafür noch einen steinigen Weg vor sich hatte. Dennoch war er froh, dass sie hier war, sich nicht von ihm wegdrückte und einfach bei ihm liegen blieb. Wenn ihm vor ein paar Wochen noch jemand gesagt hätte, dass er mit einer Frau in einem Bett liegen würde und einfach nur den Moment genießen würde, nicht ans Kämpfen oder Hostus dachte, dann hätte er ihn mit Sicherheit ausgelacht. Doch Leila veränderte einfach alles. Sie war wundervoll, schön, klug und verdammt noch mal eine starke Persönlichkeit. Sie war mutiger und tapferer als er es selber war. Natürlich ging er jede Nacht nach draußen zum Kämpfen, aber er war bewaffnet und Leila hatte nie Waffen gehabt. Sie hatte nur sich selber gehabt und einen Krieg gewonnen, der so schwer und grausam war, dass er selber nicht mal hinsehen konnte, dabei kannte er den Krieg nur zu gut. Er hatte schon oft an der Front gestanden, mit einer Waffe in der Hand, egal ob Schwert oder eine Schusswaffe. Sie waren beide todbringend, die eine kaltblütiger als die andere. Er ging nie unbewaffnet los, doch sie war es. Sie hatte weder Schwert noch Schild. Er hatte Respekt vor dieser Frau und das wo er von den meisten Menschen keinen Respekt hatte, sie waren umsichtig und kaltblütig, töteten ohne Grund. Doch Leila war auf ihre starke Art und Weise auch sanft, wenn auch hin und wieder sehr impulsiv. „Wirst du mir sagen, was passiert ist, wenn ich dich frage.“ Liam blickte zu Leila runter, sah auf ihren Kopf und lächelte. Er wollte sie nicht mehr anlügen, er wollte ihr nichts mehr verheimlich. Er wollte von nun an ehrlich zu ihr sein, denn er spürte dieses stechende Gefühl in seiner Brust, sobald er daran dachte, dass Leila ihn vielleicht verlassen konnte. Sie war schon einmal gegangen, weil er nicht ehrlich gewesen war, weil er ihr nicht alles von Anfang an gesagt hatte. Nun hatte er eine zweite Chance und wollte es richtig machen und nicht mehr zögern, weil er Angst hatte. „Lass es uns ausprobieren.“ Sie nickte. „Was ist passiert? Warum bist du so verletzt worden? Ich dachte du wärst ein Krieger. Ich dachte sogar, du wärst der Beste. Warum wurdest du verletzt?“ „Ich bin der Beste in meinem Job Leila Sullivan“, sagte er mit Nachdruck, seine Stimme beruhigte sich aber wieder, wurde sanfter. „Ich war unachtsam, etwas was mir sonst nicht passiert. Doch etwas hatte mich abgelenkt.“ „Was?“ „Du.“ „Ich?“ Sie hob den Kopf und sah ihn fragend an. In ihren Augen erkannte er Verwirrung, war vielleicht auch überrascht, dass er bei der Antwort nicht einen Moment gezögert hatte. „Ich war doch gar nicht da.“ „Oh und wie du da warst“, widersprach er und lächelte sie an. „Du warst in meinem Kopf und in…“ Sie mochte dieses Schmunzeln in seinen Augen, es war frech und keck. Sie mochte seine ernste und kalte Seite nicht, die Seite die gerne über andere bestimmte. Sie war aber einfach schon zu lange für sich selber verantwortlich gewesen, als dass sie sich von irgendjemand etwas sagen ließ. Am Anfang hatte sie Angst vor ihm gehabt, da er mit seinen breiten Schultern ein wenig beängstigend wirkte. Aber dass seine freie Hand nun zärtlich über ihren Rücken strich, zeigte ihr nur noch mal, dass er nicht nur der Krieger war. „Und in was?“ Sie sah ihn fragend an, keine Spur von Angst erkannte er in ihrem Blick. Sie fühlte sich bei ihm wohl. Am liebsten würde er die dunkelroten Vorhänge des Betthimmels zuziehen, damit er sie wirklich für sich hatte und sie absolut ungestört waren. Er wollte dieses wundervolle Wesen vor allem beschützen, auch wenn er wusste, dass sie sich sehr gut selber schützen konnte. Vermutlich war ihre Geist stärker als der seine. Er kämpfte weil er es als seine Berufung ansah, Leila kämpfte damals um zu überleben, sie wollte sich nicht klein kriegen lassen, wollte nicht zulassen dass dieser Mann, der ihr Vater sein sollte, ihre kleine Seele tötete. „In meinem Herzen Leila.“ Sie hörte auf zu atmen, als sie das hörte und sie hatte das Gefühl, das ihr Herz anschwoll, schneller pumpte und größer wurde, als hätten seine Worte direkt ihr Herz berührt. Er hatte ihr gerade mehr oder weniger ihn verschlüsselten Worten gesagt, dass er sie liebte, dass er sie sehr mochte und sie in seinem Herzen einen Platz eingenommen hatte. Sie wollte den Kopf schütteln, sich von ihm lösen, weil eine Stimme in ihrem Kopf ihr sagte, dass das nur gelogen war, dass er sie eh wieder verlassen würde. So waren doch alle Kerle, die sie bisher kennen gelernt hatte, entweder logen sie sie an, spielten mit ihren Gefühlen oder verließen sie einfach wieder. Und immer wieder stand sie dann im Regen, Trauer und Verzweiflung perlten wieder auf ihr Gesicht herab und durchnässten sie mit Selbstzweifel. „Du musst atmen, Leila“, sagte er und erst als sie ihn ansah, seine Worte ihr Gehirn erreichten, sie diese verarbeiten konnte, merkte sie, dass sie wirklich die Luft angehalten hatte. Ihr Brustkorb bewegte sich wieder und ihre Lungen füllten sich wieder mit Luft. Seine Hand streichelte wieder über ihren Rücken und sie legte ihren Kopf wieder auf seinen Brustkorb, lauschte seinem Herzen und sie prägte sich diesen Rhythmus ein. So sehr sehnte sie sich danach, dass ihre beiden Herzen gemeinsam im gleichen Takt schlagen würden. Sie blickte auf ihre Hand, wanderte mit ihren Augen ihr Handgelenk hinab und erstarrte augenblicklich. Die Narbe war verschwunden. An der Stelle wo sie sich vorhin in der Küche mit dem Messer in den Arm geschnitten hatte, war nichts mehr zu sehen. Die rosafarbene Narbe war vollkommen verschwunden und dann fiel ihr wieder ein, dass sie nicht einfach mit irgendjemanden hier im Bett lag, sondern mit Liam, einem Vampir, der offensichtlich irgendetwas mit ihr angestellt hatte. Er hatte ihr versprochen ihre Fragen zu beantworten, wenn er wieder kommen würde, doch bisher hatte sie keine der wichtigen Fragen gestellt. „Als ich angeschossen wurde“, fing sie langsam an, sie sah ihm nicht ins Gesicht, sondern lauschte seinem Herzschlag. Sie hatte mal gehört, das man anhand des Pulses eine Lüge erkennen würde, als würde sie die Lüge auch erkennen, wenn sie mit ihrem Kopf auf seiner Brust lag. „Da bin ich gestorben, oder?“ Liam wartete einen Moment bis er zu sprechen anfing. Er wollte diesem Gespräch nicht weiter aus dem Weg gehen, dennoch fiel es ihm einfach schwer. Die Angst, dass sie sich von ihm zurückziehen würde, war zu groß und dabei hatte er sonst vor gar nichts Angst. Doch die Furcht Leila zu verlieren, war unerträglich, schlimmer als jedes Schwert mit dem man ihn durchbohrt hatte. Schlimmer als jede Kugel, die ihn getroffen hatte. „Nein, das bist du nicht.“ Sie spürte, dass er nicht log, doch es war alles so wirr und unlogisch. Sie wusste nicht was sie war und wusste auch nicht, ob sie akzeptieren konnte, was Liam ihr sagen würde, wer sie nun war. Vielleicht war sie ein Monster, eine tickende Zeitbombe, eine Gefahr für die Menschheit. Woher sollte sie das denn auch wissen? Allerdings war es nicht ihre Art so pessimistisch zu sein. Vielleicht hatte man sie ja auch mit einer Art Unversehrtbarkeits-Zauber belegt, wie in Harry Potter. „Du bist nicht gestorben. Aber fast.“ Er zog sie fester an sich, roch an ihrem Haar und sog ihren Duft ein. „Und das ist meine Schuld, Leila. Ich habe nicht auf dich aufgepasst, ich hätte dich besser beschützen müssen. Ich…“ „Liam, ich habe dir schon mal gesagt, ich habe früh gelernt, dass man mich nicht immer vor allem beschützen kann.“ Sie sah nun auf, blickte ihn an und registrierte dass er sich das wirklich zu Herzen nahm, es ihn quälte und fertig machte. Schmerz stand ihm ins Gesicht und das war kein körperlicher Schmerz, denn seine Wunden waren inzwischen verheilt. „Ja, das mag vielleicht stimmen und vermutlich brauchst keinen Beschützer oder Ähnliches, aber ich sehe es als meine Aufgabe.“ „Du siehst es als deine Aufgabe an, mich zu beschützen?“ Sie rollte mit den Augen, das klang voll machohaft. Natürlich fand sie es toll, dass er sie beschützen wollte, aber es gab nun mal Dinge auf der Welt vor denen man einander nicht beschützen konnte. Schlimme Dinge, da half auch keine Schusswaffe oder ein Schwert, kein Schild oder ein Panzer. Niemand hätte sie vor dem schützen können, was dieser Mann ihr angetan hatte. Sogar ihr Vertrauen in die Polizei hatte sie damals verloren. Was sollte sie denn auch schon vom Freund und Helfer denken, wenn sie den Mann der ihr und ihrer Mutter so schrecklich weh getan hatte, auf unterschiedliche Art und Weise, nicht mal festnahmen. „Leila, es ist meine Aufgabe dich zu beschützen, ob du das nun auch so siehst oder nicht, ist zweitrangig. Es ist meine Entscheidung dich zu beschützen.“ „Du bist sehr von dir überzeugt“, meinte sie zu ihm und seufzte. Sie wollte nicht bissig zu ihm sein, doch manchmal kamen Worte über ihre Lippen, ohne dass sie über diese nachdachte. „Ja, vielleicht bin ich das.“ Er war ihr nicht böse, sonder lächelte sogar, denn er mochte ihre impulsive Art. Er führte ihre Hände zu seinem Mund und küsste ihren Handrücken. „Lass mir dir einfach zeigen, dass man dich beschützen kann.“ Sie seufzte, blickte aber auf ihre Hand, die er immer noch mit Küssen benetzte. Sie wollte ihm ja vertrauen, ihm glauben, dass er sie beschützen wollte. Aber wie oft hatte sie solche Worte schon gehört. Wie oft hatte man ihr Dinge versprochen und sie wurden dann doch nicht eingehalten. Sie musste ihm vertrauen und sie war sich nicht sicher, ob sie schon dazu bereit war. Instinktiv wusste sie aber, dass sie ihm schon längst vertraute. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)