Tiefrote Küsse von abgemeldet (An deiner Seite) ================================================================================ Kapitel 9: Kapitel 9 -------------------- Liam Noxus hatte die Augen geschlossen und wusste nicht was mit ihm geschah. Gerade eben war er noch in dem Gästezimmer gewesen, hatte sich vor dem Bett gekniet, in dem Leila lag, und im nächsten Moment war alles dunkel um ihn herum geworden. Plötzlich sah er Millionen von Bildern vor seinem inneren Auge sah. Es waren so viele, dass er sich gar nicht wirklich auf eines konzentrieren konnte und sein Kopf anfing zu schmerzen. Zuerst waren die ganzen Bilder durcheinander, wirbelten in einem Chaos durch das Nichts, und er erkannte keinen Zusammenhang, doch dann schienen sich die Bilder zu sortieren und wollte ihm ihre Geschichte erzählen. Er sah Menschen auf den Bildern, die er nicht kannte und nicht zu ordnen kannte. Er hatte diese noch nie zu vor gesehen. Doch dann hörte er ein schönes Lachen, eins das er kannte. Es war die Stimme von Leila. Auch wenn er sie noch nie bewusst so lachen gehört hatte, sie hatte noch nie über einen seiner Scherze gelacht. Einfach auch deswegen, weil er keine Witze und Scherze machte. Aber er hatte sie lachen gehört, als sie mit ihrer Mutter telefoniert hatte. Er sah ein kleines Mädchen vor sich, dessen kurze blonde Haare wild vom Kopf standen und die ihn mit großen Augen ansah. Sie hatte wunderschöne tiefe blaue Augen, die in der Sonne strahlten. Nein, sie sah nicht ihn an, sie sah in die Ferne und rannte dann auf eine Frau zu, die er als ihre Mutter vermutete, da sie der heutigen Leila sehr ähnlich sah. Liam konnte nicht hören, was sie sagten, doch er hörte nur ihr Lachen. Es war glockenhell und schön. Es war der schönste Klang in seinen Ohren. Allerdings fragte er sich, wo Leilas Vater bei diesem Bild war? Auch die nächsten Bilder des Mädchens war sie nur mit ihrer Mutter und einem älteren Mann zusammen, der vermutlich ihr Großvater war. Liam musste Lachen als er sah, wie Leila im Matsch mit einem Jungen spielte oder wie sie mit ihren kleinen Füßen über eine Wiese rannte und hin und wieder mal ins Gras fiel. Doch sie stand immer wieder auf. Liam wusste nicht warum er diese Bilder sah, aber es waren die Erinnerungen von Leila. Erinnerungen die sie in ihrem Herzen aufbewahrt hatte. Leila war größer geworden, er schätzte sie auf drei Jahre und sie blickte ein Kinderbett, in dem ein Baby lag. Nun tauchte auch ein Mann neben ihrer Mutter auf. Irgendwie mochte Liam ihn vom ersten Augenblick an nicht, auch wenn er nicht wusste warum. Er kannte diesen Menschen doch gar nicht und dennoch sagte ihm sein Bauchgefühl, dass mit diesem Mann etwas nicht stimmte. Das Baby im Kinderbett war vermutlich ihr Bruder. Und wieder lachte das Mädchen. Sie schien glücklich darüber zu sein, einen Bruder zu haben und er wusste schon diesem Moment an, dass sie sich um ihren Bruder kümmern würde. Um ihre Brüder, denn dann sah er sie mit zwei Jungs. Der eine war nur etwas kleiner als der andere. Sie liefen durch die Wohnung und alle lachten. Leila schob den Kinderwagen. Nein sie rannte mit ihm und ihre Brüder lachten, wenn sie das tat. Die Kinder wurden älter und sie mochten sich immer noch sehr. Sie saßen zusammen in ihrem Spielzimmer an einem bunten Tisch und malten, tobten, bastelten oder lachten. Leila wurde eingeschult. Sie trug ein Kleid mit großen bunten Buchstaben darauf und es schien als sei die Schultüte ihr viel zu groß. Und zu schwer. Er verspürte schon fast das Bedürfnis, ihr die Tüte abzunehmen, doch sie schien sich darüber zu freuen, dass diese Tüte so schwer war. Sie lachte und er sah, dass ihre vordere Zahnreihe leer stand. So sah sie viel frecher aus. Das Mädchen schloss schnell Freundschaften, denn sie war ein offenes Kind, das gerne lachte und lernte. Die Schule schien ihr viel Spaß zu machen, doch am liebsten tobte sie zu Hause mit ihren Brüdern rum. Liam fühlte sich wie ein stiller Beobachter dabei, wie das Mädchen größer und größer wurde. Er wusste nicht warum er diese Bilder und Filme vor sich sah und was genau passierte, aber er genoss sie und schaute sich jede Szene genau an. Denn eigentlich wusste er gar nichts über diese junge Frau und nun hatte er zum ersten Mal einen Einblick in ihr Leben. Liam erlebte jeden ihrer Geburtstage. War dabei, als sie Fahrradfahren oder Schwimmen lernte. Wie sie ihren Brüdern vorlas oder wie sie ihre Hausaufgaben machte. Sah welchen Spaß sie in der Natur hatte und wie wissbegierig sie war. Sie wollte alles entdecken und erforschen. Leila war ein glückliches Mädchen, mit einer glücklichen Kindheit würde er sagen, wenn man ihn nach diesen Bildern fragen würde. Auch wenn ihre Eltern sich stritten, versuchte sie fröhlich zu sein. Immer wenn sie sich stritten war sie bei ihren Brüdern und versuchte sie zu beschäftigen. Sie wirkte sehr erwachsen, zu reif für ein Kind, wie er fand. Auch musste sie die beiden jüngeren Brüder aus dem Kindergarten holen, da ihre Mutter nun auch arbeitete, um Geld zu verdienen, da der Vater das Geld verspielt hatte, statt es seiner Familie nach Hause zu bringen. Die kleine Leila machte ihren Brüdern auch das Mittagessen, dabei war Leila erst 10 Jahre alt. Aber sie war immer noch fröhlich und ließ sich diese Heiterkeit nicht vermiesen. Doch dann wurden die Eindrücke dunkler und ernster. Sie war nun dreizehn Jahre alt und irgendetwas passierte mit dem Mädchen, das nicht mit dem glücklichen Mädchen übereinstimmte. Ihr Blick war trauriger. Ernster. Liam hatte das Gefühl etwas verpasst zu haben, doch dann sah er was passiert war oder was passierte. Es war der Blick ihres Vaters, der sich geändert hatte. Und allein dieser Blick reichte für Liam aus, diesen Mann verprügeln zu wollen. Er sah seine Tochter nicht mehr als Kind an. Nein, dieser Blick sagte so viel anderes. Und Leila wusste das. Sie spürte, dass etwas nicht stimmte und er wollte sie anschreien, dass sie um Hilfe rief. Doch ihre Lippen blieben verschlossen, zogen sich zu einer schmalen Linie, statt zu einem Lächeln. Der Vampir wollte wegsehen, als er sah was dieser Mann mit Leila tat, doch er konnte nicht wegsehen, denn er wollte sehen, wie es Leila ging. Wie sie litt. Er sah den tapferen Blick in Leilas Augen. Sie schrie nicht, weinte nicht. Sie sah nur weg und ließ es über sich geschehen, als wäre sie nicht da. Als wäre sie in diesem Moment nicht in ihrem Körper. Liam hörte die Geräusche, die auch sie in diesem Moment hörte und fühlte sich ihr sehr verbunden. Er wollte ihre Hand ergreifen, ihr beistehen, doch er war nur stiller Beobachter. Ihr Blick hatte sich innerhalb weniger Momente so sehr verändert, dass sie wie ein ganz anderes Kind wirkte. Wie eine andere Person. Von diesem Moment an, lachte Leila weniger. Sie war ernster, verbrachte viel mehr Zeit mit ihren Brüdern und verschanzte sich immer wieder in ihr Zimmer und las. Er hoffte sehr, dass Leila sich in diesen Büchern zurückziehen und sich ihre eigene kleine Welt aufbauen konnte. Doch der Moment war nicht der Einzige, der dunkel über ihre Jugend leuchtete. Es geschah immer wieder, dass der Vater sie anfasste und Liam verstand nicht, warum Leila nicht schrie. Warum sie nicht zu ihrer Mutter ging? Warum ließ sie das über sich ergehen? Er verstand sie nicht und wollte ihre Gedanken lesen, doch auch das konnte er nicht. Liam sah nur die Bilder, die in ihren Kopf war, hörte aber nicht die Gedanken die dazu gehörten. Er fühlte sich hilflos und wollte selber schreien. Er wollte seine Stimme für sie erheben. Doch aus seinem Mund kam kein einziger Ton. Liam dachte über diese Geschichte nach, versuchte daraus schlau zu werden, doch da kamen schon die nächsten Bilder. Ihre Mutter und ihr Vater stritten sich heftig und Leila mischte sich ein. Früher hatte sie sich nie eingemischt, doch inzwischen erhob sie ihre Stimme gegen diesen Mann, sagte aber nie, was er ihr antat, wenn ihre Mutter nicht hinsah. Er sah die Traurigkeit in ihren Augen, als sie die wütenden Worte ihres Vaters hörte, doch sie stand ihrer Mutter bei. Sie rief sogar die Polizei und erntete dafür nur wütende Worte von ihrem Vater und ihren Brüdern, die diese Situation nicht verstanden. Das Mädchen versteckte sich in seinem Zimmer und wollte nicht hören, dass es etwas Schlechtes getan hatte. Sie hatte doch nur helfen wollen, das Richtige tun wollen. Sie saß einfach nur da. Auch als die Polizei den Vater mitnahm. Es kam keiner zu ihr, der sich um sie kümmerte. Der sie tröstete und ihr sagte, dass alles gut werden würde. Sie war alleine. Liam spürte wie schrecklich hilflos sich dieses Mädchen gefühlt haben musste. Sie fühlte sich allein. Und wusste nur, dass es stark sein musste. Auch wenn am Ende keiner da war, der sie in den Arm nahm. Leila verließ ihre Heimatstadt mit einer Ernsthaftigkeit, die nichts mehr mit dem Mädchen von früher gemeinsam hatte. Sie fing eine Ausbildung an und lernte fleißig, machte ihr Abitur nach und lernte Sprachen. Sie fing an sich Freunden anzuvertrauen, hatte aber nie besonders viele Freunde. Sie suchte sich ihre besonderen Personen aus. Kate und Anne schienen ihr sehr gute Freundinnen zu sein. Liam hatte auch erlebt wie sie sich Männern anvertraut hatte und enttäuscht wurde. Schrecklich enttäuscht und doch hatte sie nie aufgegeben. Sie stand jeden Morgen auf ein Neues wieder auf und ging auf die Arbeit. Etwas das er bewunderte. Ja, sie war eine starke Frau, auch wenn er nicht ganz verstand, warum sie gewisse Dinge so entschieden hatte. Am Ende schien es zwei Leilas zu geben. Die Eine war die Heitere und Fröhliche, die gerne mit ihren Freunden Grillpartys veranstaltete, mit ihnen kochte oder ausging. Und dann gab es noch die Andere, die saß mit traurigen Augen in ihrer Wohnung und starrte auf Fotos. Fotos aus der Vergangenheit, als sie und ihre Brüder noch jünger waren und alles so einfach schien. Der Vampir kannte diese Frau bis vor kurzem gar nicht und nun hatte er mehr über sie erfahren, als er je geglaubt hätte. Er hatte ihr Leben gesehen. In wenigen Bildern hatte er gesehen wer Leila Sullivan war, wie sie bisher gelebt hatte. Der Vampir Hatte mit ihr Geburtstag gefeiert und war traurig, wenn sie es auch war. Hatte sich über ihre Erfolge und gute Noten gefreut und fand es toll, wenn sie anderen half. Ob es nun mit den Hausaufgaben war oder ihren Brüdern das schwimmen bei brachte. Er hatte geklatscht, als sie wieder aufgestanden war, als sie mit ihrem Fahrrad gestürzt war. Zuerst hatte er ihr helfen wollen, doch dann hatte er gesehen, dass sie von alleine wieder aufstand. Ja, sie stand immer wieder auf. Nun wusste er warum sie so stark war. Auch konnte er nun die Traurigkeit nachvollziehen, die er in ihren Augen gesehen hatte, als er ihr das erste Mal begegnet war. Sie war ein interessanter Mensch und diese Bilder haben dafür gesorgt, dass er sie näher kannte. Aber dennoch gab es so viele Fragen in seinem Kopf. Jetzt mehr als vorher. Und er hoffte, dass Leila Sullivan sie ihm irgendwann beantworten würde. Als er die Augen öffnete, wusste er zuerst nicht wo er war. Dann erkannte Liam das Zimmer als eines der Gästezimmer in seinem eigenen Haus wieder. Er war also immer noch im seinem Haus. Allerdings wusste er nicht, wie er hier hergekommen war und er was er hier wollte. Was hatte er denn bitte in dem Gästezimmer zu suchen? Hier hielt er sich doch sonst auch nicht auf. Dann fiel es ihm langsam wieder ein. „Er kommt wieder zu sich“, hörte er die Stimme seines Bruders und sofort trat seine Mutter in sein Blickfeld. Sie sah ihn besorgt an. Diesen Blick kannte er von ihr. Zu oft hatte er ihn in ihrem Gesicht gesehen, wenn sie ihn ansah. „Wie geht es dir, Schatz?“ Er registrierte, dass er auf dem Sessel im Gästezimmer lag und sah sich langsam im Zimmer um. Er sah seine Mutter und seinen Bruder. Aber irgendjemand fehlte in seinem Blick. Leila, fiel es ihm sofort ein und er wollte vom Sessel aufspringen, doch seine Mutter hielt ihn zurück. „Du solltest langsam machen.“ „Was…“ Doch er nickte schließlich. Irgendwie fühlte er sich etwas benommen und sein Kopf brummte. Waren das Kopfschmerzen? Er hatte in seinem ganzen Leben noch nie Kopfschmerzen gehabt. Gott, jetzt verstand er warum die Leute so sehr auf diese Kopfschmerztabletten bestanden und warum diese immer ein großer Renner in den Apotheken waren. Aber er wusste, dass er selber keine in seinem Haus finden würde. „Wie geht es ihr?“ Marissandra trat zur Seite und Liam konnte auf das Bett schauen. Leila lag unter der schweren Decke und sah immer noch sehr blass aus. Aber sie lebte. Er sah sie wie sich ihr Brustkorb hob und wieder senkte. Das erleichterte ihn wirklich ungemein und es war wie eine Last, die ihm von den Schultern genommen wurde. Ja, er bildete sich sogar ein, dass er nun selber etwas besser atmen konnte. Leila strampelte unter der Bettdecke und drehte sich wild zu Seite. Allerdings konnte sie das nicht so gut. Man hatte ihre Hände über den Kopf an den Pfosten gebunden und er fragte sich was das sollte. Er wollte schon seinen Bruder anschreien, doch er fand nicht die richtigen Worte. Dann sah er den Infusionsständer neben dem Bett. Liam erkannte sofort was sich in dem Beutel befand. Blut. „Sie ist mitten in der Wandlung.“ Er hörte die Worte seiner Mutter nur am Rand und nahm sie kaum wahr. „Wird Sie es überstehen?“, fragte Liam vorsichtig und erhob sich langsam vom Sessel. Das war die wichtigste Frage, die er sich stellte. Er wollte bei ihr sein und dazu musste er aufstehen. Seine Mutter stützte ihn etwas, ließ ihn aber so gleich wieder los, als er auf seinen eigenen Beinen stand. „Das wird sich noch zeigen.“ Ihr Blick fuhr nun selber zu Leila. Sie kannte diese junge Frau nicht und doch konnte sie ahnen, warum Liam so fasziniert von ihr war. „Ihr Körper war sehr geschwächt und ihr Körper kämpft immer noch gegen das Gift an.“ Liam nickte nur schwach und trat zu ihr. Er blieb vor dem Bett stehen und sah in ihr schmerzverzerrtes Gesicht. Es war ein Gift und der Körper versucht immer gegen ein Gift zu kämpfen. Allerdings hatte er ihr dieses Gift gegeben, damit sie überlebte. Was vollkommen ironisch war. „Sie hat Schmerzen“, stellte er fest und wollte ihr helfen. Er wollte ihr etwas von ihrem Leid nehmen. Ihren Schmerz stillen. Sich nützlich machen. „Wir haben ihr schon schmerzlindernde Medikamente zugeführt“, sagte Menas. „Es wird mit dem Blut direkt in ihren Körper gelangen.“ Liam sah seinen Bruder bei den Worten nicht an, sondern blickte nur Leila an. Er wollte sie berühren, wusste aber nicht, ob er das wirklich konnte. Er wollte über ihre Wange streicheln oder ihre Hand in die seine nehmen. Sie schien zu kämpfen und er fragte sich, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Was würde sein, wenn Leila gar keine von ihm sein wollte? Es war Seinesgleichen gestattet nur einen einzigen Menschen in ihrem Leben zu wandeln. Es war eine Regel die der oberste Orden vor langer Zeit ihrem Volk auferlegt hatte. Und das hatte er jetzt getan. Man hoffte natürlich dass man seine Seelenpartnerin wandelnde, damit man kein einsames Leben bis in die Ewigkeit führen musste. Aber er war nicht so naiv, zu glauben, dass Leila seine Partnerin werden würde. Sie mochte ihn schließlich nicht und er hatte sie auch nur gewandelt, weil er nicht zu lassen konnte, dass sie wegen seinem Fehler starb. Und es war sein Fehler gewesen. Kein anderer war an dem Unglück Schuld. Dennoch wollte er sie auch näher kennen lernen, sie faszinierte ihn einfach. „Liam“, er spürte die Hand seiner Mutter auf seinem Arm. Sie sah ihn besorgt an, wie es eben nur eine Mutter tun konnte. „Du solltest etwas zu dir nehmen. Du siehst nicht gut aus.“ „Ich möchte nichts.“ Marissandra nickte und seufzte. Er würde nichts Trinken, wenn er es nicht wollte, das wusste sie. Sie konnte ihn nicht dazu zwingen. Sie war zwar seine Mutter, aber die Jahre wo ihr Sohn wirklich noch auf sie gehört hatte, waren schon sehr lange vorbei. Aber er sah sehr mitgenommen und müde aus. Eine Wandlung war für beide Beteiligten nicht leicht und sie fragte sich, was ihr Sohn gesehen hatte. Sie hatte bisher zwei Wandlungen beobachtet und beide Vampire hatten etwas anderes gesehen. Es waren andere Geschichten und Emotionen gewesen. Und nun wollte sie wissen, was ihr Sohn gesehen hatte. Er war still gewesen, während er sich auf die Wandlung konzentriert hatte. Er hatte kein Stöhnen, noch sonst ein Laut von sich gegeben und sie hatte schon die Befürchtung gehabt, das Liam etwas Falsches getan hätte. Sie konnte nicht in seinen Kopf eindringen, wie sie es sonst immer geschafft hatte. Eine Wandlung war etwas Intimes. Etwas was nur den zwei Personen gehörte, deswegen waren seine Gedanken für sie während der Zeremonie tabu gewesen. Doch dann fing Leila an zu Krampfen und sie wusste das Liam doch das Richtige getan hatte auch wenn es für jemanden Unbeteiligten natürlich nicht so aussehen würde. Aber das Gift fing an sich in Leilas Körper auszubreiten. „Wir können jetzt nur noch warten“, sagte Marissandra und sah zu Menas, der an der anderen Seite des Zimmers stand. Sie wusste, dass er nicht damit einverstanden war, das Liam diese Frau gewandelt hatte. Aber es war die Entscheidung seines Bruders und nicht die seine. Menas steckte nicht in der Haut seines jüngeren Bruders und sollte nicht über ihn urteilen. Auch wenn Liam impulsiver als Menas war, so würde er keine unbedachten Entscheidungen treffen und Liam gehörte zu den Personen, die immer hinter ihren Entscheidungen standen. Er wusste für was er sich entschieden hatte und welche Konsequenzen es für ihn selber haben würde. Menas hatte dem Ganzen still beigewohnt, wollte nicht eingreifen und eigentlich auch gar nicht dabei sein. Doch hatte er das Zimmer nicht verlassen, denn er wusste, das seine Mutter seine Hilfe brauchen würde. Er hatte Liam auf den Sessel getragen, als er das Handgelenk der Frau losgelassen hatte und in sich zusammen gesackt war. Er hatte seinen Bruder nie bewusstlos oder ähnliches erlebt, es hatte immer kleine Wettkämpfe zwischen ihnen gegeben und keiner wollte der Schwächere sein. Und auch wenn Menas seinen Bruder auf den Sessel geholfen hatte, so hatte er sich nicht stärker gefühlt. Er spürte das Liam mit dieser Entscheidung weiter im Leben war, als Menas selber. Liam sah auf seine Armbanduhr und erkannte, dass die Sonne bald aufgehen würde. Die halbe Nacht war schon vorbei und er fragte sich wie lange er weg gewesen war. Er drehte sich um und sah seine Mutter an. „Ihr solltet Euch ausruhen…“ „Liam, du solltest nicht…“ „Mutter, bitte.“ Liam widersprach ihr sonst nicht, aber jetzt musste er es wirklich tun. „Ich bin dir wirklich sehr dankbar, dass du mich bis hierher geleitet hast. Ich bin froh, dass ihr hier seid. Danke. Aber nun solltet ihr schlafen gehen. Legt euch hin und ruht euch aus.“ „Er hat Recht“, stimmte Menas seinem Bruder zu und trat zu Marissandra und legte ihr seine Hand auf die Schulter. „Liam wird schon zu Recht kommen.“ „Du rufst, wenn etwas ist“, bat Marissandra ihren Sohn. Liam nickte. „Ja, das mache ich.“ Er sah nicht wie Marissandra von Menas aus dem Zimmer geführt wurde und die Tür zugezogen wurde. Er hörte auch nicht mehr ihre Stimmen im Flur, bevor sie sich verabschieden und in getrennte Schlafzimmer gingen. Liam kniete sich nur vor dem Bett in dem Leila lag und sah sie an. Sie war wunderschön, auch wenn ihr Gesicht schmerzverzerrt war und er in ihre Vergangenheit gesehen hatte. Leila war für ihn nach den Bildern aus ihrer Vergangenheit noch schöner als sie es vorher schon gewesen war. Liam löste die Stricke und legte ihre Hände an ihre Seite. Sie sollte nicht länger gefesselt sein, auch wenn er nicht wusste, was wirklich auf ihn zu kam. Er nahm ihre Hand in die seine und hielt sie einfach nur fest. Liam sah in ihr Gesicht und glaubte sich einzubilden, dass sie etwas entspannter aussah. Zumindest strampelte sie nicht mehr so sehr mit ihren Beinen. Der Braunhaarige legte den Kopf auf die Matratze und sah ihr ins Gesicht. Er wusste nicht was er nun tun sollte, sondern saß einfach nur da und sah sie an. Er hatte sich dazu entschieden gehabt, sie zu wandeln und er fragte sich ob sie ihn dafür hassen würde. Und wenn ja, wie lange? Er dachte an ihre rotgefärbten Wangen, als er sie das erste Mal gesehen hatte. Da war sie auch sauer auf ihn gewesen und diese Wangen hatten ihr sehr gut gestanden. Aber es lagen Welten zwischen jemanden zu hassen und nur auf jemand sauer zu sein. Aber auch wenn sie sauer auf ihn sein würde oder ihn auch hassen würde, so würde sie leben. Und sie konnte dann auch gerne hunderte von Jahre auf ihn wütend sein. Das wichtige war doch nur, dass sie so viele Jahre noch vor sich hatte. „Leila?“, fing er nach einer Weile an. Er konnte schon als Kind nicht lange ruhig sein und musste Musik hörten oder mit jemanden reden. Er hatte seine Mutter, seinen Vater und auch Menas immer mit unmöglichen Fragen gelöchert. Sie gaben meistens keinen Sinn und er wollte auch nicht unbedingt eine wirkliche Antwort auf diese Fragen, es war ihm einfach nur darum gegangen, dass jemand bei ihm war. Nein, er hatte sie genervt, er war garantiert ein sehr anstrengendes Kind gewesen. Er war schon ausgezogen als Ceallagh, sein zweiter Bruder geboren wurde, geschweige denn als Althaia auf die Welt gekommen war. Aber seine Mutter war mit ihnen bestimmt besser zu Recht gekommen, als mit ihm. Wenn er jetzt so darüber nachdachte, hatte er sich deswegen eigentlich nie Gedanken darüber gemacht. Er hatte es immer für selbstverständlich gehalten, dass seine Mutter für ihn da war und er sich immer an sie wenden konnte. Sie hatte auch immer versucht zu vermitteln, wenn Liam sich mal wieder mit seinem Vater in den Haaren hatte. Dabei ging es Marissandra mit ihrem Ehemann selber nicht so gut. Das wussten sie alle, doch sie konnten nie etwas gegen ihren Vater machen. Und Liam war sogar noch so feige gewesen und hatte früh das Elternhaus verlassen, weil er es nicht mehr ausgehalten hatte. Dabei hätte seine Mutter ihn sicherlich gebraucht. Liam dachte an das Bild des blonden Mädchens, welches alleine in seinem Zimmer saß und sich verkrochen hatte. Sie hatte die Welt nicht mehr verstanden. Hatte die üblen Taten ihres Vaters überstanden und hatte sich für ihre Mutter einsetzen wollen und doch war man ihr böse gewesen. Man hatte sie alleine gelassen, als sie die Polizei anrufen musste. Es muss einfach schrecklich sein, wenn ein Kind bei der Polizei anrief, weil es mit ansehen musste, wie der Vater der Mutter was antat. Liam drückte ihre Hand. „Leila, ich bin hier.“ Er stand auf, weil er sich überlegte, dass diese Position auf Dauer ziemlich unbequem für ihn sein würde. Nachdem er den Infusionsbeutel kontrolliert hatte, das Blut würde noch eine paar Stunden reichen, bevor er den Beutel wechseln werden müsse, ging er um das Bett herum und legte sich zu ihr. Er legte sich seitlich hin und nahm wieder ihre Hand in die seine und schaute noch mal zur Sicherheit nach, dass die Infusionsnadel nicht verrutscht war. Leila schien sich wirklich etwas beruhigt zu haben, was ihn selber auch etwas ruhiger werden ließ. Er hatte den inneren Kampf den sie führte nicht mehr lange mit ansehen können und fragte sich wie lange seine Mutter und sein Bruder ihn beobachten konnten, ohne sich schlecht zu fühlen. Er hatte sich von der ersten Sekunde an so schrecklich hilflos gefühlt, weil er ihr bei diesem Kampf nicht helfen konnte. Dabei kannte er das Kämpfen so gut und war mit jeder Waffe geübt. Und er wollte sie auch beschützen, doch er konnte ihr nicht helfen. Ihr nur bei stehen. „Ich werde nicht weggehen.“ Er hielt ihre Hand an seiner Brust und schloss die Augen. Ihr Puls war zu spüren und dieser Rhythmus beruhigte ihn sehr. Solange er ihn spürte, war sie noch bei ihm. Liam war müde, auch wenn er gar nicht so richtig wusste woher. Schließlich war er ja bis eben weggenickt gewesen. Aber solange er neben ihr lag, würde er sofort spüren, wenn sie sich bewegte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)