Tiefrote Küsse von abgemeldet (An deiner Seite) ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Es war mal wieder spät geworden. Eigentlich wollte Leila schon viel früher nach Hause gehen. Aber im Labor hatte sich irgendwie mal wieder Arbeit angestaut, die irgendjemand erledigen musste. Und da wie so häufig in letzter Zeit wieder alle krank oder mit anderen Arbeiten beschäftigt waren, war dieser irgendjemand niemand anderes als sie. Nicht, dass es ihr etwas ausmachte. Sie arbeite gerne in dem Labor und ihre Arbeit machte ihr auch sehr viel Spaß, wirklich. Sie war gerne Chemielaborantin in dem Pharmaunternehmen und hatte nette Kollegen. Nur irgendwie hatte sie einfach den Drang dazu, sich die Fotos von gestern Abend noch einmal anzusehen. Es war ein Kribbeln, das in ihrem Körper war und mit Stunde zu Stunde stärker wurde. Etwas, dass sie unbedingt wissen wollte. Sie wollte wissen, ob sie vielleicht auf den Fotos Irgendetwas aufgenommen hatte, was sie so nicht gesehen hatte. Vielleicht hatte sie einen Drogendealer fotografiert oder vielleicht noch etwas Schlimmeres. Einen Mord. Eine schreckliche Tat. Und anhand des Fotos konnte man den Täter vielleicht ausfindig machen. Vielleicht war es sogar ein meistgesuchter Verbrecher. Sie wollte wirklich wissen, was auf den Fotos zu sehen war. Allerdings kam sie doch nicht so schnell nach Hause wie gedacht. Auf dem Parkplatz der Firma traf sie einen alten Freund, der mit ihr in der Ausbildung gewesen war. Und sie verquatschte sich, da sie sich ewig nicht gesehen hatten und sich so viel zu erzählen hatten. Sie vergaß dabei doch wirklich die Fotos, die ihr bis eben so wichtig gewesen waren. Warum musste sie immer dann alte Freunde treffen, wenn sie es ganz eilig hatte. Das war bestimmt auch eins von Murphys Gesetzen. Es war bereits dunkel als sie sich dann endlich voneinander verabschiedeten. Leila schaute auf die Uhr und musste feststellen, dass es schon halb acht war. Sie konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wann sie die letzten Tage mal pünktlich zu Hause gewesen war. Es war immer irgendetwas anderes, das sie davon abhielt. Entweder hatte sie bis spät eine Schulung oder hing in einer schier endlosen Besprechung oder sie musste noch einkaufen gehen. Aber als sie wieder in ihrem kleinen Wagen saß und auf dem Beifahrersitz die Kamera sah, fiel ihr wieder ein, warum sie so schnell nach Hause wollte. Sie hätte sie wirklich nicht so einfach hier liegen lassen sollen. Diese Kamera war ihr verdammt noch mal sehr kostbar. Deswegen beeilte sie sich auch besonders auf den Nachhause weg besonders. Eigentlich hatte sie noch vor gehabt, für „Tuxedo“ ihren dicken schwarzen Kater etwas zu Fressen zu kaufen. Doch das war nun zweitrangig geworden, da es für den Kater auch noch Futter zu Hause gab. Jetzt musste sie unbedingt wissen, was auf den Fotos zu sehen war. Sie fischte schnell die Post aus ihrem Briefkasten und eilte die Stufen zu ihrer Wohnung hinauf. Die Wohnung gehörte zu einem großen Weingut, welches im Jahre 1885 erbaut wurde. Ihre Wohnung war früher bestimmt eine Bedienstetenwohnung gewesen, aber sie mochte sie. Sie hatte genug Platz für sich und ihren eigenen Treppenaufgang. Nur 5 Wochen im Jahr lebte in dem kleinen Zimmer, ihrer Wohnung gegenüber ein polnischer Hilfsarbeiter, der bei der Weinlese half. Ihre Wohnung befand sich im ersten Stock und hatte einen wunderschönen Balkon mit einer hübschen Aussicht auf die Stadt. Die Balkontür war meistens immer offen, denn ihr Kater ging nun mal gerne auf Streife. Während sie nach oben eilte, ging Leila sorgfältig die Post durch. Leider war nichts Interessantes dabei. Wie so oft. Sie schloss wie von selbst die Wohnungstür auf und trat in ihre Wohnung und knipste das Licht im Flur an. Alles ging wie von selbst, so dass sie nicht von ihrer Post aufsehen musste. Es roch wie immer und sie stieß mit ihrem Fuß die Tür wieder zu, noch bevor sie von der Zeitung und ihrer Post aufblickte. Es war wieder verkaufsoffener Sonn… Plötzlich zuckte Leila zusammen, ließ ihre Post und ihren Schlüssel auf den Boden fallen und starrte erschrocken vor sich. In ihrem Flur saß ein Mann. Eindeutig ein Mann. Ein fremder Mann und er saß auf ihrem Parkett. Er trug einen dunklen Trenchcoat und regte sich nicht. Er saß auf den Boden, vor der Badezimmertür und sah sie nun erwartungsvoll an. Sie wusste gar nicht was sie sagen oder denken sollte. Nur kurze Gedanken kamen gerade bei ihr an. Dinge, die sie schnell verarbeiteten konnte. Er sah nicht bewaffnet aus, allerdings konnte sie dies nicht so gut erkennen. Er sah aber nicht wie ein Mörder aus. Gut, eigentlich konnte sie das auch nicht einschätzen, ihre bisherigen Erfahrungen mit Mördern spielten sich nur im Fernsehen oder in den Krimis ab, die sie las. Im echten Leben hatte sie – zum Glück – noch keinen getroffen. Was wollte er von ihr? Wie war er hier rein gekommen? Warum sah er sie so an? So viele Fragen gingen ihr durch den Kopf und sie wusste beim besten Willen nicht, mit welcher Frage sie anfangen sollte. Sie wollte schreien und sich mit irgendetwas bewaffnen, aber der Flur war schmal und außer dem Schuhschrank stand da nichts dort. Also gab es hier auch nichts, mit dem sie sich hätte bewaffnen konnte. Noch bevor sie etwas sagte oder tat, begann sie bereits damit, ihre Fluchtmöglichkeiten zu überdenken, die ihr zur Verfügung standen. Außer wieder nach draußen zu laufen, bot sich ihr hier gar nichts, da er mitten im Flur saß und ihre alle weiteren Fluchtmöglichkeiten versperrte. Außerdem sah er sie an, beobachtete sie und würde vermutlich schneller bei ihr sein und sie packen, bevor sie Irgendetwas als Waffe in den Händen halten konnte. Es war eindeutig aussichtslos. Sie spürte wie ihr Herz wild zu klopfen begann, versuchte jedoch ruhig zu bleiben. Was nicht ganz so leicht war, wie sie gehofft hatte. „Wer…“ „Sind Sie Leila Sullivan?“ Verwirrt blinzelte sie. „Ja“, erwiderte sie und fragte sich im nächsten Augenblick, warum er nun hier die Fragen stellte. „Nein… wer sind Sie?“ Sie presste sich mit dem Rücken gegen die Tür und bewegte sich keinen Schritt nach vorne. Denn ein Schritt nach vorne, hieß auch einen Schritt in seine Richtung. Und sie wollte so weit wie es nur ging von dem fremden Mann, der in ihrer Wohnung war, fern bleiben. Er hatte dunkle Haare. Ein dunkles Braun, wie sie erkennen konnte. Er sah sie an, aber sie hatte das Gefühl, dass er sie nicht direkt ansah. Dennoch sah sie seine blauen Augen. Sie waren wunderschön tiefblau, das konnte sie auch von hier aus erkennen. Aber eigentlich war die Augenfarbe ja wohl egal. Er war hier unerlaubt in ihrer Wohnung. „Wie sind Sie…?“ Weiter kam sie nicht, denn der Mann in seinem schwarzen Trenchcoat stand plötzlich auf und brachte sie vollkommen aus ihrem Konzept. Es überraschte sie, dass er den ganzen Flur mit seiner Statur ausfüllte. Er hatte ein breites Kreuz. Um seine Schultern spannte sich der Mantel etwas, sodass sie etwas von seinen Muskeln wahrnehmen konnte. Er schien ordentlich Muskeln zu haben, bestimmt trainierte er regelmäßig Und er war groß. Gut, sie war mit ihren 1,65 nicht gerade das, was man als groß bezeichnete. Da waren alle Leute, die größer als sie waren, groß. Was verdammt viele waren. Er hatte irgendwie einen interessanten Ausdruck auf seinem Gesicht. Seine Erscheinung wirkte überlegend und mächtig, als wusste er die ganze Zeit schon, dass er im Vorteil war. „Mein Name ist Liam.“ Liam Noxus sah die blonde Frau vor sich an. Er hatte nicht lange auf sie gewartet. Es wäre ihm vermutlich auch gar nicht so wichtig gewesen, wann sie hier aufgetaucht wäre. Solange es vor Morgengrauen war, war ihm alles Recht. Allerdings war er selber erst nach Einbruch der Dunkelheit hier her gekommen, zumal er vor gehabt hatte, sie bereits gestern zu überraschen. Da er allerdings noch andere Dinge zu erledigen hatte, hatte die ganze Sache auf heute Nacht warten müssen. Als er sie ansah, wirkte sie zwar unsicher, aber nicht unbedingt verängstigt. Er konnte zumindest nicht wahrnehmen, dass sie vor Angst in Schweiß ausbrach. Und seine Sinne waren sehr gut. Sie wollte sich bewaffnen, so weit konnte er ihre Gedanken erahnen, ohne sie lesen zu müssen. Sie sah ihn einfach nur an und wartete auf seine nächste Reaktion. Sie war vorsichtig, was natürlich durchaus berechtigt war. Allerdings hätte er es besser gefunden, wenn sie in Panik ausgebrochen wäre. Schließlich war in ihrer Wohnung ein fremder Mann. Er hörte das schnelle Pochen ihres Herzens. Zugegeben, vielleicht wäre es doch nicht so gut gewesen, wäre sie tatsächlich in Panik ausgebrochen. Womöglich hätte das Ganze dann noch länger gedauert, als er erwartet hatte. Sie nickte nur, als er sich ihr vorgestellt hatte, als wäre der Name für sie nicht wichtig. „Und wie kommen Sie hier rein?“, fragte sie ihn. Sie hatte eine schöne Stimme, musste er feststellen, auch wenn es ihn eigentlich nicht interessieren sollte. Er war nur aus einem bestimmten Grund hier. Diese Frau hatte ihn gestern erwischt, als er gerade dabei gewesen war einen Hostus zu erledigen. Einen seiner natürlichen Feinde. Und davon gab es nicht sehr viele. Das gestern Abend war seine Schuld gewesen. Er hätte sich versichern müssen, dass er unbeobachtet war. Liam hatte allerdings nicht gedacht, dass eine Frau mitten in der Nacht auf einem Berg stehen würde, um Irgendetwas zu fotografieren. Beim Nächsten Mal würde er schlauer sein. Oder er sollte sich einfach einen Platz suchen, wo er völlig ungestört war. Eine dunkle Gasse war eine gute Alternative. Er hatte sich ziemlich unbeobachtet gefühlt, bis ihm diese Frau in die Quere kam. Es war nicht schwer ihre Spur bis zu ihrer Wohnung aufzunehmen, wo er nun auf sie gewartet hatte. Der schwarze Kater hatte ihn regelrecht rein gelassen, indem er ihm gezeigt hatte, dass die Balkontür weit offen stand. Und zwar für jeden noch so ungebetenen Besucher. „Sie sollten ihre Balkontür nicht offen stehen lassen“, sagte Liam in ruhiger Stimme. Er wollte sie nicht unnötig aufregen. „Vor allem wenn Sie nicht da sind.“ „Ich…“, wollte sie ihn anfahren, was erlaubte sich dieser Typ eigentlich, doch sie riss sich zusammen. „Was wollen Sie?“, fragte sie sofort und wirkte nun doch etwas unsicher. „Wenn sie mich ausrauben wollen…“ „Dann hätte ich das schon lange getan“, beendete Liam ihren Satz. Sie sah ihn fragend an, nickte aber. „Ja, vermutlich. Also, was wollen Sie dann?“ Liam schaute auf die Kamera, die sie an einem Trageriemen um die Schulter trug. Und er war froh, dass sie diese um der Schulter hatte, wenn sie diese nämlich in den Händen gehalten hätte, wäre die Kamera vermutlich wie die Briefe und der Schlüssel auf den Boden gefallen, nachdem sie ihn gesehen hatte. „Ich brauche ihre Fotos.“ „Wie bitte?“ „Die Fotos.“ „Ich verstehe nicht was Sie meinen“, meinte Leila und verschränkte nun die Arme vor der Brust. Anscheinend schien die Frau nun keine Angst mehr vor ihm zu haben. Von Anfang an hatte man ihre derzeitige Gefühlslage nicht als ängstlich bezeichnen können. Sie war geschockt gewesen; verunsichert und verwirrt zugleich, doch jetzt schien sie selbst das vergessen zu haben. Dieser Mann war ungebeten in ihrer Wohnung und sie würde nicht zu lassen, dass er hier blieb. Es wurde eindeutig Zeit für ihn, zu gehen. Und zwar sofort. „Ich möchte, dass Sie nun gehen.“ „Das geht nicht.“ „Ich glaube ich habe mich wohl verhört. Sie sind in meine Wohnung eingebrochen…“ „Die Balkontür war offen, also bin ich nicht eingebrochen“, unterbrach er sie und musste etwas schmunzeln. Auch wenn er eigentlich keine Lust auf diesen Disput hatte, empfand er es sichtlich als amüsant. Die Wangen der Frau färbten sich vor Verärgerung rot, was ihr sehr gut stand. Nicht, dass sie sowieso schon eine wunderhübsche Frau gewesen war. Doch diese leichte Röte auf ihren erhitzten Wangen ließ sie noch viel schöner erscheinen. Leila war sauer. Was erlaubte sich dieser Kerl überhaupt? Erst betrat er einfach so ihre Wohnung, wartete hier anscheinend auf sie und nun wollte er ihre Fotos. Sie verstand rein gar nichts mehr. „Ich weiß nicht, was Sie wollen, aber…“ „Ich möchte ihre Fotos“, wiederholte der Mann mit den breiten Schultern mit ruhiger Stimme. „Was denn für Fotos? Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen. Das Einzige was ich will, ist, dass Sie hier verschwinden. Hauen Sie ab!“ Sie klang wütend und aufgebracht. Und genau das war sie auch. Sie wollte sich nicht mehr zusammen reißen. Ihr Geduldsfaden war endgültig gerissen. „Das ist meine Wohnung!“ „Leila…“, er sprach ihre Namen sanft aus und wollte sie vermutlich beruhigen. Doch das sah sie nicht ein. Erst Recht nicht, als dieser Typ einen Schritt auf sie zu ging. „Bleiben Sie stehen wo Sie sind! Keinen Schritt näher und nennen Sie mich nicht so!“ „Gut“, er trat wieder einen Schritt zurück und sie standen wieder mit der gleichen Entfernung zu einander wie zuvor. Das waren vielleicht gerade einmal anderthalb Meter, sie wusste es nicht genau. Was sie allerdings wusste, war, dass diese kurze Strecke ihr sicherlich nicht als Schutz dienen würden. Er würde sofort bei ihr sein, wenn sie auch nur einen falschen Schritt tat. „Ich will Ihnen nichts tun.“ „Ach ja? Sagt derjenige, der in meine Wohnung eingebrochen ist.“ „Noch mal, ich bin nicht eingebrochen. Ihre Katze hat mir gezeigt, dass die Balkontür offen ist.“ Leila seufzte und strich sich durch ihr blondes Haar. Der Tag war anstrengend gewesen und sie war jetzt wirklich nicht bereit, sich mit einem mutmaßlichen Mörder über irgendwelche Dinge zu streiten. Für sie war klar, dass er hier eingebrochen war. Unerlaubterweise. Da interessiert es sie nicht, ob er nun den Weg durch die offen stehende Tür benutzt hatte oder nicht. „Was wollen Sie?“, fragte sie ihn noch mal. „Hören Sie.“ Er ging einen Schritt auf sie zu. Und sie sah ihn sofort wütend an. Der Typ verstand einfach nicht, was sie wollte. „Gut.“ Er blieb stehen und sah, dass sie erst dann die Arme wieder runter nahm und ihn nicht ganz so verspannt ansah. „Sie haben gestern Nacht Fotos geschossen.“ Sie sah ihn fragend an und überlegte, was sie ihm sagen sollte. „Vielleicht“, erwiderte sie, da sie sah, dass er eine Antwort oder eine Bestätigung von ihr wollte. „Nicht vielleicht. Ich weiß, dass Sie gestern Nacht am Turm waren. Und zwar so gegen 23 Uhr.“ Sie biss sich auf die Unterlippe und überlegte, ob es wirklich so eine gute Idee war, ihm diese Aussage zu bestätigen. Was brachte ihm denn dieses Wissen? Leila wusste immer noch nicht auf was er hinaus wollte. „Ja, ich war da. Was geht es sie an?“ „Sie haben mich fotografiert.“ „Wie bitte“, meinte sie überrascht. Sie hatte ihn fotografiert? Ihn? Daran würde sie sich doch erinnern. Sie hatte die Stadt fotografiert und die Weinberge. Auch wenig versucht dem Mond näher zu kommen. Aber sie hatte doch nicht ihn fotografiert. Es sei denn… Liam sah, dass sie nachdachte. Er konnte regelrecht hören, wie ihr Gehirn auf Hochtouren lief uns sie versuchte sich an den gestrigen Abend zu erinnern. Anscheinend war ihr nicht bewusst gewesen, dass sie ihn fotografiert hatte. Hätte ihn auch gewundert. Dennoch brauchte er diese Fotos. Er musste sehen, ob man darauf Irgendetwas erkennen konnte; etwas, was ihm gefährlich werden konnte. Vermutlich hätte er ihr nicht sagen sollen, dass sie ihn fotografiert hatte. Er hätte auch seinen echten Namen nicht nennen sollen. Vielleicht hätte er sich irgendeine Lüge ausdenken sollen, doch als sie in ihre Wohnung gekommen war, war er selber überrascht gewesen und hatte seine zurechtgelegten Worte wieder vergessen. „Sie waren also dieser Drogendealer?“ „Bitte was?“, fragte er überrascht. Drogendealer? Hatte er Irgendetwas nicht mitbekommen? Wie kam sie denn bitte darauf? Er sah doch nicht aus wie ein Drogendealer. Gut, der schwarze Trenchcoat sorgte jetzt bestimmt nicht dafür, dass sie ihn für einen Anwalt hielt. „Ja, ich habe Sie wohl beim Dealen fotografiert.“ „Das wäre mir neu.“ „Ach so?“, fragte sie und zog die Augenbraue in die Höhe und sah ihn abschätzend an. „Oder sie haben sonst irgendetwas vertickt und ich habe sie dabei erwischt.“ „Nein, so was ist es nicht.“ Wie kam denn diese Frau auf so etwas? Wen die Situation nicht so ernst gewesen wäre, hätte er lachen müssen. Das war nun echt nicht der richtige Augenblick. Es war gar nicht so einfach, sich nach dieser Anmerkung zusammen zu reißen. Es war amüsant zu hören, was diese Frau glaubte gesehen zu haben. Sie hatte ja nicht einmal eine leiseste Ahnung davon, was sich in Wirklichkeit gestern Nacht zwischen ihm und seinem Feind abgespielt hatte. Und warum musste er sich vor ihr überhaupt rechtfertigen? Wenn sie diese Fotos nicht gemacht hätte, dann würde er jetzt hier auch nicht rum stehen und versuchen müssen, diese Fotos zu bekommen. „Nein?“ „Nein“, beharrte er mit Nachdruck. „Ich bin kein Drogendealer.“ „Und was haben Sie dann da gemacht?“ Liam sah sie überrascht an. Das war die Frage, die er nicht beantworten wollte und konnte. Wie sollte er ihr denn bitte erklären, was er da getan hatte. Vielleicht war Drogendealer ja doch nicht so schlecht. Bestimmt besser als das, was er ihr sonst geantwortet hätte. Was er natürlich nicht tun würde. Er konnte ihr ja wohl schlecht sagen, dass er einem Hostus den Kopf abgerissen hatte. Gut, ganz so blutig war es ja dann doch nicht gewesen. Er hatte den Hostus nur erledigt. Sein Körper war ja eh nur noch die Marionette eines Puppenspielers. Liam und seine Brüder jagten Hostus nun mal, weil Hostus seelenlose Wesen waren, die Menschen auf den Gewissen hatten. Sie begangen Morde um sich zu nähren. Blutige Morde. Morde die nie aufgeklärt werden würden. Nur Liam und seinesgleichen wussten davon Bescheid. Es gab diese Hostus nun mal und Liam hatte es sich, wie so manch anderer seiner Sippe, zur Aufgabe gemacht, einen Hostus zu erledigen, wenn er ihm über den Weg lief. Eigentlich war er gestern nicht einmal auf Jagd gewesen. Es war ein vollkommener Zufall gewesen, dass er den bitteren Geruch wahrgenommen hatte, den Hostus ausströmten. Es war wie mit dem Käse und der Maus. Wenn der Käse nicht so gut riechen würde, würde die Maus nicht auf die Idee kommen in die Falle zu tappen, von der sie nichts wusste. Und gestern war er nun mal dieser blonden Frau in die Falle getappt und irgendwie schien das hier nicht enden zu wollen. Er wollte sein Missgeschick von gestern wieder gerade biegen. Er wollte die Fotos vernichten und am besten auch die Erinnerungen dieser Frau. Aber diese Frau weigerte sich strickt. So hatte er sich dieses Unterfangen nun echt nicht vorgestellt. Liam seufzte und fuhr sich durch seine dunklen Haare. „Das kann ich Ihnen nicht sagen.“ Er konnte es wirklich nicht. Sie würde sofort die Polizei rufen, wenn Leila Sullivan nicht eh schon mit dem Gedanken gespielt hatte. Vermutlich hatte sie das sogar bereits. „Dann kann ich Ihnen auch nicht die Fotos zeigen.“ „Wie bitte? Leila!“, er trat auf sie zu und knurrte regelrecht ihren Namen aus. Er hatte nun echt keine Lust mehr auf dieses Spiel. Er wollte diese Fotos vernichten. Bisher hatte er geglaubt, dass er mit der einfachen, netten Art und Weise bei einer Frau weiterkommen würde. Okay, in die Wohnung einbrechen gehört nicht gerade zu seinen charmantesten Eigenschaften. Aber nun war er mit seiner Geduld echt am Ende. Er wollte höflich und freundlich sein. Mit ihr Reden. Verhandeln. Aber diese Frau lehnte jede mögliche Verhandlung ab. „Nein! Und nennen Sie mich nicht beim Vornamen. Ich kenne Sie nicht. Und ich will Sie nicht kennen lernen.“ Die blonde Frau, sah ihn verstimmt an und er fragte sich echt, woher sie diesen Mut nahm. Hatte sie nicht ein klein bisschen Angst vor ihm? Wenn er ihr sagte, was er gestern Nacht getan hatte oder was er war, dann würde sie Angst haben. Sie würde schreien und vermutlich die Polizei rufen. Vermutlich würden diese sie mitnehmen und für eine Nacht wegen Verdacht auf geistige Verwirrtheit dort festhalten. Wenn er genau darüber nachdachte, würde er so an die Fotos kommen. Aber das war ihm nun wirklich zu viel des Guten. Vermutlich war es eh zu dunkel gewesen und die Entfernung zu groß. Wahrscheinlich hatte sie gar nichts wirklich gesehen. Und wenn, dann wären die Fotos nicht scharf genug um etwas erkennen zu können. Wenn er sie ansah und diesen Gedanken auch zu ließ, dann sah Leila Sullivan gar nicht mal so schlecht aus. Vermutlich unterhielt er sich deswegen mit ihr und hatte versucht diese Sache auf ruhige Art und Weise zu klären. Er zeigte sehr viel Geduld mit ihr. Etwas, was er bei anderen schon längst nicht mehr hätte. „Sie gehen jetzt!“ Er hatte für einen kurzen Moment selber daran gedacht. Aber irgendwie störte es ihn, dass sie ihn auf diese bestimmende Art und Weise ansprach. Er war derjenige der hier Befehle erteilte. Und nicht sie. Sie war nur eine Frau und dazu noch ziemlich jung. Er schätzte sie gerade mal auf 22 Jahre alt und somit konnte sie mit seinen 453 Jahren nicht mithalten. Diese modernen Frauen von heute, gingen ihm wirklich gegen den Strich. In der Vergangenheit hatte es Epochen gegeben, in denen eine Frau niemals das Wort gegen einen Mann erhoben hatte. Sie hätte ganz sicherlich nicht so mit ihm gesprochen. Wie er diese Zeit doch vermisste. Allerdings wäre dann dieses Gespräch auch ziemlich langweilig geworden. Liam sah die Frau an und fragte sich warum er eigentlich so lange hier stand und sich mit ihr unterhielt. Sein Auftrag war doch ganz einfach gewesen. Er wollte sie aufsuchen und sich um das Problem mit den Fotos kümmern. Aber irgendwie verwirrte diese Frau ihn und er konnte noch nicht genau sagen warum das so war. Ja, vielleicht lag es daran, dass sie keine Angst vor ihm und seiner Erscheinung hatte. Es könnte natürlich auch sein, dass sie sich einfach durch nichts so schnell aus der Ruhe bringen ließ. Was ihn aber auch noch störte, war ihr Blick. Sie sah ihn irgendwie auf eine bestimmte Art und Weise an. Eine Art und Weise wie man ihn noch nie angesehen hatte. In ihren Augen war weder furcht noch Angst. Etwas dass ihn überraschte. Waren alle Frauen der Moderne so selbstbewusst? Oder hatte er hier nur einen besonders hartnäckigen Fall vor sich? Doch er wusste, dass er es hier und jetzt beenden musste. Das war das Beste für sie und für ihn. So einfach war das. Hoffentlich… Er trat auf sie zu und fing deswegen sofort ihren wütenden Blick ein. „Ich sagte, Sie sollen keinen weiteren Schritt in meine Richtung tun.“ Liam reagierte gar nicht auf ihre Worte, blieb aber dennoch stehen. „Ich habe nun keine Lust mehr auf dieses Gespräch.“ „Oh, dann geht es Ihnen wie mir“, gab sie spitz zurück. „Und da Sie mir keinen Grund nennen können, weswegen Sie die Fotos von mir haben wollen, ist dieses Gespräch hiermit auch wirklich beendet.“ Liam sah sie genervt an und wusste, dass er nun etwas anwenden musste, was er sonst nicht so gerne tat. Nicht bei Unschuldigen, wie er so gerne sagte. Aber hier war es nötig, sonst würde er noch ewig mit Leila Sullivan diskutieren. Liam konzentrierte sich auf ihren Geist und hoffte somit Eintritt in ihren Kopf zu erlangen, um ihre Gedanken zu beeinflussen. Das war so etwas, was er und seine Art gut konnten. Es half ihnen auch oft aus unangenehmen Situationen, aber Liam hielt das für unnötig und nicht fair. Aber jetzt wollte er es auch anwenden, um den Schaden an diesem Abend zu begrenzen. Er sprach ganz einfache mentale Befehle aus, zum Beispiel er die Kamera nun haben wollte und sie sich nicht mehr aufregen sollte. Liam Noxus war allerdings überrascht, dass er eine Mauer um ihre Gedanken fand. So etwas hatte er noch nie erlebt. Sie sperrte ihn regelrecht aus ihrem Kopf aus. Als hätte sie die Kontrolle darüber, wer in ihrem Kopf rumspuken durfte und wer nicht. Und er gehörte anscheinend zu der zweiten Kategorie. Verwirrt sah er sie an. „Wie…“ „Ich schlage vor, dass Sie jetzt gehen.“ Sie sprach ihre Worte mit einer Deutlichkeit aus, die Liam überraschte. Er sah sie an und fragte sich, wen er da vor sich hatte. Sie musste wirklich etwas besonderes sein, wenn sie so eine mentale Stärke besaß, dass sie ihren Geist vor ihm schützen konnte. Noch nie in seinem Leben war es ihm unter gekommen, dass er jemanden getroffen hatte, dessen Gedanken und Tun er nicht beeinflussen konnte. Gut, er hatte mal davon gehört. Allerdings hatte er es nie für möglich gehalten. Dieser Abend nahm einen Verlauf an, den er so ganz sicherlich nicht geplant hatte. Liam war sich seiner Fähigkeiten immer sehr bewusst gewesen. Er wusste welche Vorteile er in welcher Situation hatte und er hatte seine Vorteile in dieser Situation ziemlich hoch eingeschätzt. Anscheinend hatte sich in Bezug auf diese blonde Frau allerdings ein wenig geirrt. „Ich warte“, meinte Leila leicht gereizt. Sie wollte diesen unangemeldeten Gast so schnell wie möglich wieder los werden. Das hier ging ihr nun endgültig viel zu weit. Sie wollte, dass dieser Liam oder wie er auch immer hieß, ihre Wohnung verließ und sie wieder für sich alleine war. Allerdings überraschte es sie, dass er sie nicht mehr ganz so wutentbrannt anblickte wie noch zu Beginn des Gesprächs. Dennoch war es ihr egal. Sie wollte sich nun nicht auch noch um den Kummer eines Einbrechers kümmern. Drogendealer hin oder her. Irgendetwas hatte er schließlich ausgefressen und sie hatte ihn dabei erwischt, sonst würde er ja nicht die Fotos haben wollen. Aber die würde er nicht so einfach bekommen. Sie sah ihn erwartungsvoll an und sah, dass er ihrem Blick auswich. Was sie aber nun wirklich nicht kümmern sollte. „Ich sollte wirklich…“ Sie wollte ihm zustimmen, als sie sah wie er ihr den Rücken zuwandte und ins Wohnzimmer ging. „Hey… die Haustür ist…“, sie folgte ihm in raschen Schritten in ihr Wohnzimmer. „Hey!“ Sie schaltete das Licht an und konnte nur noch mit ansehen, wie Liam durch die Balkontür verschwand. Sie eilte zur Glastür, erkannte wie ein dunkler Schatten in der Nacht verschwand. „Liam…“ Sie sah fragend in die Nacht und wusste nicht was sie sagen sollte. Irgendwie war dieser Mann merkwürdig gewesen, auch wenn sie nicht genau sagen konnte, warum sie überhaupt darüber nachdachte. Er war schließlich einfach in ihre Wohnung eingebrochen und hatte etwas von ihr gefordert. Er war unverschämt gewesen und wirkte als trug er ein dunkles Geheimnis tief in seinem Inneren. Aber warum hatte er am Ende so verstört ausgesehen? Verdammt, jetzt machte sie sich auch noch Gedanken um den Einbrecher? Sie hatte wirklich ein gutes Herz. Eindeutig. Hatte sie keine anderen Sorgen? Sie vernahm das Miauen ihres Katers und lächelte, als sie sah, wie dieser sich an ihrem Bein entlang streichelte. „Du lässt also einfach fremde Leute in meine Wohnung?“, fragte sie ihren Kater und nahm ihn auf den Arm, nachdem sie die Balkontür geschlossen hatte. Sie kraulte dem schwarzen Kater hinterm Ohr, der sich an ihr Gesicht schmiegte und sah noch eine Weile aus dem Fenster. Er war ein Einbrecher gewesen. Sie sollte sich nicht um ihn Gedanken machen. Sondern eher darum, dass die Sicherheit ihrer selbst nicht vollkommen gewährleistet war, wenn hier einfach so einfach jemand herein spazieren konnte. Sie sollte sich ein neues Schloss für ihre Balkontür besorgen. Sofort morgen würde sie sich darum kümmern. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)