Nightmare von Daikanyama ================================================================================ Kapitel 1: Irrfahrt ------------------- Was seinen Herrn dazu bewegt hatte ausgerechnet jetzt, bei Wind und Wetter das warme Anwesen zu verlassen, würde Sebastian wahrscheinlich niemals verstehen. Möglich, das es denn Duke zu seiner bevorzugten Kurtisane trug, doch darüber zu urteilen, stand nicht in seinem Interesse. Er musste nur die zwei Gäule über das nasse Straßenpflaster lenken und hoffen das die Tiere nicht ausglitten und sich am Ende verletzten. Das wäre gerade das so ziemlich Ungünstigste, das passieren konnte. Außer ihnen schien jeder vernünftige Mensch zu hause zu bleiben und sich am Kaminfeuer zu wärmen. Der kalte Februarregen fraß sich sogar durch den festen Kutschermantel, in dem der blonde Droschkenführer eingewickelt war. Besser gesagt ließ er von seinem nassen Haar den Rücken herunter, denn der starke Wind hatte seinen Hut mit einer Böe mitgetragen. An einer Brücke, vor der sich eine riesige Pfütze gebildet hatte scheute Isabell. Erst hier bemerkte Sebastian das er trotz der brennenden Kälte beinahe eingenickt wäre. Sie waren seit gefühlten Stunden unterwegs ohne das sein Herr ihn über das Ziel aufgeklärt hätte. Sonst war er nie verschwenderisch mit seiner Zeit, kurz angebunden und alles andere als ein Nachtmensch. Umso eigenartiger diese Irrfahrt durch die nächtlichen Straßen Londons. Es kostete den jungen Kutscher imense einfühlsame Überredungskunst die Gäule zur Weiterfahrt zu bewegen und die Themse zu überqueren. Hier war das Kopfsteinpflaster so umspühlt, das es an ein Wunder grenzte, das die ganze Kutsche nicht dort herunter schlitterte, wo sich die Straße abwärts neigte. „Mylord...“ Sebastian hatte versucht laut und deutlich zu sprechen, doch als die Worte seinen Mund verließen, zitterte seine Stimme vor Kälte und er musste ein weiteres mal ansetzen, nahm jedoch vorher einen tiefen Schluck aus einem Flachmann der mit billigem Scotch aufgefüllt war, seinen Dienst aber tat, wenn es sein musste. „Mylord... wir sollten heim fahren. Diese Gegend ist nicht sicher.“ Sie kamen in die Arbeiterviertel und die waren um diese Uhrzeit bei weitem nicht so leer wie die Straßen der besseren Viertel. Schichtarbeit war seit Einführung der ersten Maschinen für die Unterschicht zu einem Kreuz geworden, das sie bis zum Ende ihres Lebens tragen würden. Schon huschte eine in schmuddelige Kleidung gehüllte Person schnell von einer Straßenseite zur anderen, hatte aber trotz des Sauwetters noch Zeit genug dem edlen Gefährt noch einen finsteren Blick zu zuwerfen und etwas zu murmeln, das Sebastian nicht zu verstehen wagte. Von hinten erhielt er keine Antwort. Vielleicht war der Duke bereits eingeschlafen, dann würde es nichts ausmachen, wenn er wendete, oder? Pflichtbewusst beschäftigte er sich zwar weitere zwanzig Minuten mit dem Gedanken, wich aber nicht vom Wege ab und ertrug auch das Wetter ohne murren. Dabei war der Abend so beschaulich gewesen und die Nacht hätte es ebenso werden sollen. Er hatte frei gehabt, auch wenn sein Herr ausgegangen war. Er war mit einem Freund gefahren und hatte offenbar auch nicht gewollt das jemand aus dem Hause wusste wo er sich diesen Abend um die Ohren schlug. Doch gegen Mitternacht, er hatte bereits sein Nachthemd getragen, war Madeleine in seine Kammer getreten. Er hatte schon Hoffnungen gehegt, das das schöne französisch-stämmige Ding sich ein Herz gefasst und zu ihm gekommen war um mit ihm das Bett zu teilen. Er hatte sie schon so oft umworben, das er hart daran war ihr an den Kopf zu werfen, welch grausames Spiel sie mit seinem Herzen trieb. Doch alles, was dieses reine Wesen ihn zu berichten hatte, war das der Duke bereits in der Droschke wartete und wünschte noch einmal das Haus zu verlassen. Wer die Pferde eingespannt hatte, war dem Blonden ein Rätsel gewesen, denn die kleine Madeleine war hierfür nicht kräftig genug und der Rest der Dienerschaft, vor allem die Stallknechte schliefen bereits im Bedienstetentrakt dem Morgen entgegen. Er hatte die Frage allerdings verworfen und beeilt seinen Mantel zu schließen um wenigstens zu wirken, als wäre er nicht gerade dem Bett entstiegen und mit dem Nachtrock auf den Bock geklettert. Wenigstens hatte ihm das Schicksal noch eingegeben seine Handschuhe anzuziehen und Schuhe mit dicken Socken. Wieder war er beim nachdenken beinahe eingeschlafen, er musste wirklich besser acht geben. Vielleicht war auch das trinken keine gute Sache gewesen. Die kleinen Sünden bestrafte der liebe Gott sofort, hatte Sebastian immer von seiner Mutter zu hören bekommen, wenn er früher nicht gespurt hatte und wie zum Beweis sofort auf die Nase gefallen war. „He da!“ rief eine Frauenstimme aus einem Hauseingang heraus und obwohl ihm seine Eingebung riet, schnell weiter zu fahren, ließen ihm die matschigen Wege hier - denn von gepflegter Straße konnte nicht die Rede sein – keine andere Wahl als langsam daran vorbei zu fahren. Eine Hure der schmutzigsten Art entblöste vor ihm ihre gelben Zähne zu einem seltsam unglaubwürdig wirkendem Lächeln. „Wer hocktn da in der Kutsche? Lohnt's sich da mal den Rock zu hebn oda is das nurn Aufschneider, der hier einen auf dicke Hose machen will und dann doch nur nen Hungerlohn zahlt.“ Oh Gott. Dieses Schreckensweib dachte er hätte seinen Herrn deswegen her kutschiert. Aber weshalb sonst sollte auch eine solche Droschke den weg in dieses armselige Loch finden? „Verzeiht Mme... aber mein Herr hat es eilig.“ Dieses Weib hatte die Dreistigkeit vor Ärger vor ihm auszuspucken und einen rüden Fluch auszustoßen. Jetzt trieb er die Gäule trotzdem an, ehe ihm die Peitsche noch ausrutschte. „Mylord ich wende jetzt...“ rief er bei der nächsten Möglichkeit nach hinten, in der Hoffnung doch noch die Zustimmung zu bekommen. Langsam hatte er ein seltsames Gefühl bei dieser Sache. Er wand sich auf dem Bock um und lugte nach hinten. Bei dem Geruckel konnte er zuerst nur Schemen erkennen, doch dann vertieften sich doch die Züge des Dukes. Und nicht nur das, seine Augen blickten ihn direkt an. Der Blick ließ ihm die Haare zu Berge stehen und ihn kurz die augen schließen. Als er ein weiteres Mal hin sah, waren die Augen seines Brotspenders allerdings geschlossen und seine Brust hob und senkte sich leicht. Sollte er wirklich wenden? Eines der Pferde wieherte unruhig und verweigerte kurz, trabte dann aber wieder an. Herrgott, hatte er sich das nur eingebildet, diesen stechenden Blick, als wollte der Alte ihn Tadeln für seinen Ungehorsam? Das musste er sich einbilden. Ja richtig, alles Einbildung durch die Müdigkeit. Eine Zigarette würde vielleicht helfen. Er hatte ein paar beim Würfeln gegen einen deutschen Migranten gewonnen. Bis datto hatte Sebastian nicht gewusst, das es diese günstige Version der Zigarre überhaupt gab. Das vierte oder fünfte Zündholz aus der Packung tat endlich seinen Dienst und warmer Rauch erfüllte bald seine Lippen, doch der Genuss war nur vorübergehend und inzwischen war es so kalt, das sich der junge Mann doch entschied den Duke heim zu bringen. Wer wusste schon, was ihn grämte, das er das Haus floh. An einem verdreckten Platz vor einer Webfabrik, wendete er und hielt auf einen Weg zu, der ihn wieder ans andere Ufer der Themse bringen sollte. Vor ihm im Dunkle schien diese Straße, wenn man sie so nennen wollte, uneben zu werden. Nein... jemand hatte Müll darauf geworfen. Je näher das Gefährt darauf zu kam, desto großer wurde der Schatten und nahm Formen an, die Sebastian ein ungutes Gefühl verursachten. „Herr im Himmel. Bitte sag das das nicht wahr ist.“ wenn jetzt auch noch ein Toter hier lag, würden sie auf die Polizei warten müssen um eine Aussage zu machen. Ein anderer Kutscher hätte einfach daran vorbei gelenkt und den Toten tot sein lassen. Einer der armen Schlucker hier würde sich schon am Morgen darum kümmern, aber der Blonde war nicht kaltherzig genug dafür. Er zügelte die Pferde und sprang vom Bock. „Verzeiht Mylord. Da liegt jemand auf der Straße. Ich sehe nur nach, ob er noch lebt.“ Als keine Antwort kam, lief der junge Waliser über die Straße und kniete sich neben die Gestalt. Er konnte keinen Puls spüren und keinen Atem, wollte schon wieder aufstehen um zur nächsten Gandarmerie zu fahren, als ihm ein Knopf am Boden auffiel, den er nicht an einem Arbeiter vermutet hatte. Nein eigentlich kannte er ihn sogar nur am besten Ausgehmantel seines Herren höchst selbst. Der Mantel den er am heutigen Abend getragen hatte. „Gütiger Gott...“ murmelte der Kutscher. Sein Herz schlug wie wild und ehe er es sich selbst bewusst war, wälzte er die Leiche auf den Rücken und starrte ins aschfahle Gesicht des Mannes, der eigentlich in der Kutsche sitzen sollte. Fassungslos und mit einem entsetzten Schrei, der allerdings vom Regen geschluckt wurde, stolperte der junge Mann rückwärts, fiel sogar noch auf den Hosenboden, bevor er sich aufraffte und zur Kutsche rannte, die Tür aufriss und in den leeren Innenraum starrte. Fast schon zu ruhig, schloss er wieder die Türe und lehnte sich an das Gefährt, während die Zugtiere unsicher wieherten und mit den Hufen im Dreck scharrten. Sebastian lachte leise und es klang in seinen eigenen Ohren wahnsinnig. Das war einfach zu makaber. Jetzt sah er auch das Messer in der Brust seines Herren. Madeleine... dieses gemeine kleine Biest. Das hätte er ihr niemals zugetraut. Wie hatte sie es nur geschafft ihn so in die Falle zu locken? Was hatte sie ihm in den Flachmann gefüllt, den die ihm mitgegeben hatte, das er sich das alles hatte einbilden können? Irgendwo in der Ferne hörte der junge Mann eine Stimme brüllen. Auch von Madeleine eingefädelt? „Was hab ich dir eigentlich getan, das du mich so verrätst mein Engel?“ murmelte er nachdenklich. Als er das Blut betrachtete, das an seinen Fingern klebte und seinen Mantel verdreckte, wurde ihm bewusst, das er für den Mord an seinem Herrn verurteilt werden würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)