Ausgeprinzt von mystique (∼ Das etwas andere Märchen ∼ SetoxJoey) ================================================================================ Kapitel 1: Es war einmal ein Prinz ... -------------------------------------- Titel: Ausgeprinzt Pairing: SetoxJoey Serie: Yu-Gi-Oh! Disclaimer: Würde Yu-Gi-Oh! mir gehören, müsste ich dies hier dann etwa schreiben?! Warnung: Diese Geschichte enthält nicht nur Anspielungen auf Märchen, sie beinhaltet auch Abschnitte, die abgeändert aus Büchern/Sagen/Fabeln stammen und euch deswegen bekannt vorkommen können. Das ist bewusst so gemacht, weil es ein Märchen ist. „Es war einmal ein junger Prinz in dem fernsten Königreich des Ostens. Sein Name war Joseph und sein Haar war golden wie die Sonne, seine Augen braun wie –“ „Das geht ja gar nicht.“ Der Schreiber verstummte und seine Feder verharrte auf dem Papier. Joseph, der Prinz des Ostens, hatte die Arme verschränkt und sich auf seinem Stuhl zurückgelehnt. „Wie darf ich das verstehen, Euer Hoheit?“ Der Prinz streckte die Hände gen Decke und gab ratlose Laute von sich. „Ich weiß auch nicht, aber auf jeden Fall nicht so. Das klingt nicht nach einem Prinzen, sondern nach einer Prinzessin. Meiner Schwester würde es vielleicht gefallen, aber ich möchte etwas anderes.“ Er erhob sich und begann, vor dem Schreiber auf und abzugehen. „Wie wäre es damit: Es war einmal ein stolzer Prinz des fernen Königreichs im Osten, dessen Anblick jeden seiner Feinde sich freiwillig ergeben – nein, streich das.“ Der Schreiber, der jedes der Worte mitgeschrieben hatte, machte eine rasche Bewegung. „Das klingt, als wäre ich so hässlich, dass sich meine Feinde freiwillig ergeben. Lieber so: Es war einmal ein strahlender Prinz aus dem östlichen Königreich, dessen Charme ihm die Herzen aller Prinzessinnen zufliegen ließ, dessen Stärke die Kapitulation seiner Feinde hervorrief und dessen –“ „Ego all seine Freunde in den Wahnsinn trieb.“ Prinz Joseph, von seinen Freunden Joey genannt, schnaubte. „Du verwechselst etwas, Tristan. Wenn ich von Ego sprechen würde, hätte ich nach einem Text über dich gebeten.“ Tristan, der beste Freund des Prinzen, war der Sohn einer Küchenhilfe und eines unbekannten Lords. Die königliche Familie hatte sich der Jungen Frau erbarmt, als sie hochschwanger vor neunzehn Jahren um Unterkunft gebeten hatte – die Königin, zu diesem Zeitpunkt ebenfalls kurz vor der Entbindung hatte diese Bitte aus Sympathie nicht abschlagen können - und Joey und Tristan waren gemeinsam aufgewachsen. Tristan war nicht nur Joeys bester Freund, er war auch sein Leibdiener, doch der junge Prinz machte niemals von dieser Hierarchie gebrauch. Tristan war viel zu sehr ein Bruder für ihn, als dass er ihn zum Diener degradieren konnte. „Ganz wie Ihr meint, oh unvergleichlicher Prinz mit goldenem Haar.“ Tristan feixte. Joey gab dem Schreiber einen Wink und dieser zog sich mit einer Verbeugung zurück, dann wandte er sich an seinen Freund. „Pass auf, werter Freund, sonst erzähle ich Serenity, dass du wieder versucht hast, die Küchenmädchen zu verführen.“ „Das ist nicht wahr!“ Tristan war bleich geworden. „Ich habe nicht – wer hat dir“ – Joey grinste ihn hämisch an – „du hinterhältiger Möchtegern-Prinz!“ Tristan stieß ihm halbherzig den Ellbogen in die Seite. „Denk dir nicht solche Märchen aus.“ „Täte ich nie.“ Beide setzten sich den Tisch in Joeys Gemach. Tristan griff nach einem Apfel in der gefüllten Obstschale. „Im Schloss herrscht Unruhe, Joey“, sagte er mit ernster Miene. „Die Dienerschaft ist aufgebracht und das liegt nicht an dem Festmahl, dass für heute Abend vorgesehen ist. Etwas anderes ... liegt in der Luft.“ Joey nickte. „Ich habe es auch gemerkt. Aber niemand spricht mit mir darüber. Ich habe den Schreiber herbestellt, weil ich mich ablenken wollte. Man hat mir untersagt, auszureiten und du warst nicht da.“ Tristan lächelte. „Du musst dich nicht verteidigen. Du bist der Prinz, es steht dir zu, die Zeilen, die dich bald definieren werden, selbst zu formulieren.“ „Ich weiß nicht, ob ich jemals Zeilen finde, die passend sind. Alles, was man sich ausdenken kann, klingt unecht.“ „Du wist deine Zeilen schon finden, Prinz des Ostens.“ Joey blickte verträumt nach draußen. „Zukünftiger König des Ostens.“ „Ganz wie du meinst.“ Der Abend brach an und es wurde zum Festmahl geladen. Die königliche Familie lud Adelige aus den umliegenden Ländereinen ins Schloss ein und während des Banketts amüsierten Tänzer und Gaukler die Anwesenden. Prinz Joey waren diese Festbankette lieber als politisch ausgerichtete Essen mit Adeligen oder Gesandten aus anderen Königreichen. Mit großem Interesse beobachtete er einen Jongleur und fragte sich, wie lange er brauchen würde, um dieselben Kunststücke ausführen zu können. Gleichzeitig sehnte er das Ende des Festmahls herbei, denn es begann ihn zu langweilen. Er warf seiner Schwester einen hilflosen Blick zu, welcher mit einem nachsichtigen Lächeln erwidert wurde. Ihr ging es nicht anders als ihm. Unvermittelt kehrte Stille im Festsaal ein. Der König hatte sich erhoben und alle Anwesenden waren verstummt, in Erwartung auf eine Ansprache. Der König hob die Arme und räusperte sich. „Ich danke euch dafür, dass ihr erschienen seid. Wie ihr wisst, erreicht mein Sohn, Joseph, im kommenden Monat sein zwanzigstes Lebensjahr.“ Joey horchte auf. Damit hatte er nicht gerechnet. „In diesem Königreich ist es seit jeher Brauch, dass der künftige Thronfolger zu Beginn seines zwanzigsten Lebensjahres eine Braut auswählt und ich bin erfreut, dass mich gestern ein Botschafter aus einem der Königreiche im Norden erreicht hat. Es ist dort die Rede von einer entführten Prinzessin in den Bergen, die von einem Drachen gefangen gehalten wird. Hiermit kündige ich an, dass mein Sohn, Prinz Joseph, sich auf die Reise begeben wird, die Prinzessin aus den Klauen des Drachen zu befreien, um sich dann mit ihr zu vermählen.“ Applaus erfüllte den Saal. Joey war aschfahl auf seinem Platz immer weiter in sich zusammen gesunken. Neben ihm griff seine Schwester besorgt nach seiner Hand. „Joey, komm zu dir.“ Der Blick des Königs ruhte voller Stolz auf seinem Sohn, die Anwesenden waren begeistert. Joey brauchte Minuten, um sich aus der Starre zu lösen. „Drache?!“, würgte er hervor, bevor er das Bewusstsein verlor und damit dafür sorgte, dass das Bankett in die Geschichte einging. oOo „Mach mich stolz, mein Sohn.“ „Pass auf dich auf, Bruderherz. Du wirst mir fehlen.“ „Tristan, ich schaffe das nicht.“ „Red keinen Unsinn, Joey. So schwer wird es schon nicht werden.“ Prinz Joseph umklammerte das Zaumzeug des Pferdes, hatte ganz vergessen aufzusteigen und führte stattdessen das Pferd hinter sich her. Sein bester Freund musterte ihn skeptisch. Die ganze letzte Woche, seitdem Joey von dem Plan seines Vaters erfahren hatte, hatte der Prinz sich anders als sonst verhalten. Seit er beim Bankett ohnmächtig geworden war, damit eine Panik ausgelöst hatte, die es lange nicht mehr am Hof des Königs gegeben hatte, und erst Stunden später wieder zu sich gekommen war, hatte er sich seltsam verhalten. Er war bei lauten Geräuschen zusammen gezuckt, hatte kein helles Tageslicht verkraftet und sich geweigert, sein Zimmer zu verlassen. Am Tag seines zwanzigsten Geburtstags war er in seinem Bett geblieben und hatte den König zutiefst erzürnt. Am Morgen des heutigen Tages waren Tristan und er aufgebrochen. Tristan hatte alles daran gesetzt, die Erlaubnis zu bekommen, mit Joey reisen zu dürfen. Joey hatte sich nicht um seine Reise gekümmert, so hatte es an Tristan gelegen, sie zu planen. Er hatte in der Stadt Karten des Nordreichs gekauft und durchreisende Kaufleute befragt, sodass er nun wusste, welchen Weg sie einschlagen mussten. Er hatte eine Liste mit Materialien und Proviant angefertigt und diese Dinge von anderen Dienen kaufen lassen und letztendlich die Waffen ausgesucht, die sie mitnehmen würden: Joeys bestes Schwert. Er selbst hatte Pfeil und Bogen dabei, außerdem besaß jeder von ihnen nun einen Dolch, den sie direkt am Körper trugen. „Tristan, ich soll gegen einen Drachen kämpfen!“ Dem besten Freund des Prinzen riss der Geduldsfaden. Er trieb seine braune Stute an, bis er auf gleicher Höhe mit dem Prinzen war, dann holte er aus und verpasste Joey eine Kopfnuss. Der Prinz schrie auf. „Verdammt, was soll das?!“ „Hör auf zu jammern und steig aufs Pferd“, fuhr Tristan ihn an und duldete keinen Widerspruch. Joey starrte ihn an, gehorchte jedoch wortlos und kam der Forderung nach, saß schließlich mitleiderregend kümmerlich auf dem Rücken seines Pferdes. Tristans Miene wurde weicher. „Beruhige dich, Joey. Du hattest eine Woche Zeit, dich mit dem Gedanken abzufinden. Ich bin sicher, du hast die letzten Tage nicht in deinem Zimmer verbracht, ohne über diese Reise nachzudenken und dich damit anzufreunden.“ Joey seufzte. „Natürlich nicht. Aber sieh mich doch mal an. Ich habe den Palast nie weiter als bis in die Stadt verlassen. Ich war nie außerhalb der Stadtgrenzen, geschweige denn der Grenzen unseres Königreichs!“ „Ja, ich weiß, du bist ein verwöhnter, verweichlichter Prinz.“ Die Worte erzielten die gewünschte Wirkung. Joeys Haltung straffte sich und der kämpferische Ausdruck kehrte in seine Augen zurück. „Was sagst du da? Verwöhnt und verweichlicht? Pah, das ich nicht lache! Ich bin Prinz Joey, meine Feinde werden vor meinem Namen erzittern! Ich werde diesen Drachen lehren, was für Folgen es hat, eine Prinzessin zu entführen!“ „Das will ich hören!“ Tristan lächelte ihn an. „Und jetzt hör auf dir Sorgen zu machen und freu dich lieber darauf, etwas mehr von der Welt zu sehen!“ „Die Welt wird sich an den Tag erinnern, an dem sie Prinz Joey erblickte!“ Der Prinz gab dem Pferd die Sporen, es bäumte sich auf und galloppierte los. Tristan hatte Mühe ihm zu folgen, war jedoch mehr als froh, Joey aus seiner Lethargie gerissen zu haben. Die folgenden Tage ihrer Reise über die Hochebenen des Königreichs waren ereignislos. Sie trafen auf reisende Kaufleute, die ihnen den Weg wiesen, kauften in Dörfern an ihrem Wegrand Proviant und sahen mehr von dem Königreich als jemals zuvor. Am fünften Tag ihrer Reise erreichten sie den Wald. Tristan hatte vor ihrer Abreise mit der Magierin des Königshauses gesprochen und erfahren, dass es ein magischer Wald war, der die Hochebene von den Bergen trennte. Ein dunkler, magischer Wald, nicht wie die Wälder im Süden, in denen Elfen und freundliche Kreaturen lebten. Tristan hatte bis jetzt nicht mit Joey über den Wald gesprochen, aus Sorge, Joey würde umgehend kehrt machen und ohne Rücksicht auf seinen Ruf zurück reiten. Doch nun, wo er den Wald am Horizont erkennen konnte und wusste, dass sie ihn bei Einbruch der Nacht erreichen würden, hatte er keine andere Wahl. Somit erzählte er es dem Prinzen. Welcher panisch wurde. „Was für ein Wald?!“ „Joey, beruhige dich!“ „Wie soll ich mich beruhigen, wenn wir einen Wald passieren müssen, in dem blutrünstige Monster wüten!“ „Das ist nicht bestätigt.“ „Aber nur weil die, die den Wald bis jetzt passieren wollten, nie wieder gesehen wurden!“ „Vielleicht haben sie einen anderen Weg genommen?“ „Das glaubst du doch selbst nicht! Gefressen wurden sie! Oder noch viel schlimmer – sie sind auch zu Monstern geworden!“ Tristan resignierte. Es machte keinen Sinn gegen Joey anzureden, wenn er panisch war. Er musste die andere Taktik wählen. „Schade, ich hatte gedacht, du wärst mutiger.“ „Ich bin mutig!“ Tristan lachte. „Davon zeigst du aber nichts. Wo ist dein viel besungener Mut? Wo ist deine Kämpfernatur? Joey, wenn du so weitermachst, wird nie ein anständiger König aus dir!“ Er wusste, dass Joey diese Worte verletzten, doch es musste sein, denn sonst würde er nie wieder vernünftig werden. Der Prinz zuckte zusammen und senkte den Blick. „Ich ... es ist nur ... Monster, Tristan. Ich habe noch nie ein echtes Monster gesehen.“ „Dann wird es höchste Zeit.“ Joey straffte seine Haltung und versuchte, optimistisch zu lächeln. „Wahrscheinlich hast du recht.“ Der Wald war düster. Und es beschrieb in diesem Fall nicht bloß die Lichtverhältnisse, düster beschrieb auch die Ausstrahlung des Waldes. Kaum dass sie ihn betreten hatten, hatten die Pferde begonnen, zu scheuen, doch mit viel guter Zuredung und besänftigenden Streicheleinheiten hatten sie die Tiere dazu bringen können, den Weg fortzusetzen. Noch immer waren sie unruhig, während sie durch den Wald geführt wurden. Ihre Ohren lagen waren nach vorne aufgestellt und ihre Nüstern waren aufgebläht. „Glaubst du, es gibt hier Chimären?“, flüsterte Joey, das Zaumzeug seines Hengstes in der einen, das gezückte Schwert in der anderen Hand. Er wusste, dass es ihm im Ernstfall kaum etwas nützen würde, da er sicherlich alles, was er während der Unterrichtsstunden am Schloss gelernt hatte, vergessen würde. Außerdem war das Schwert viel zu schwer für ihn. „Ich denke nicht. Chimären wurden bisher nur im Westen gesichtet. Hier im Norden gibt es höchstens Oger.“ „Na wunderbar. Jetzt fühle ich mich sicherer. Hätte man mir keinen Magier mit auf die Reise schicken können? Magie könnte mich besser beschützen als –“ „Als was?“, fragte Tristan gereizt. „Fängst du jetzt etwa an, dich zu beschweren? Ich fasse es nicht, wie kann man mich nur mit einem derart undankbaren ... Ignoranten strafen?“ Joey blieb stehen und wirbelte zu Tristan herum. „Ignoranten?! Was fällt dir ein!“ „Mir fällt ein, dass man mich mit einem nervigen, jammernden Kind auf eine Tortur von einer Reise geschickt hat!“ „Wenn es dich so sehr stört, dann geh doch zurück. Ich brauche dich nicht!“ „Du würdest keine Minute ohne mich überleben?“, gab Tristan aufgebracht zurück. „Ach ja? Ich werd’s dir zeigen: Ich werde den Drachen niederstrecken, die Prinzessin retten und glorreich zurückkehren und du wirst dir wünschen, ich hätte dich mitgenommen!“ Mit diesen Worten ließ Joey Tristan und die Pferde stehen und lief blind in den Wald hinein. Tristan rief ihm hinterher, versuchte ihn zur Rückkehr zu bewegen, doch Joey ignorierte ihn und lief weiter, bis die Stimme hinter ihm irgendwann verklang. Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, bis er stehen blieb. Er sah sich um und erblickte Schatten und Dunkelheit zwischen den Baumstämmen. Hinter ihm raschelte es und er wirbelte herum, doch da war nichts. Er lachte über seine eigene Angst. „Wie lächerlich. Als ob mir etwas passieren würde. Ich habe zwar nie das Schloss verlassen, aber ich habe unterricht im Schwertkampf bekommen und weiß mich zu verteidigen.“ Langsam setzte er seinen Weg fort. „Ich habe schon Männer im Schwertkampf besiegt, die größer und schwerer waren als ich und ich bin nicht nur geschickt, sondern auch schnell.“ Rechts neben ihm knurrte etwas, doch als er in die Richtung sah, konnte er nichts erkennen. Er wurde von den neuen Eindrücken überflutet, daran musste es liegen. Hier war nichts. Er war allein. Allein. Allein! „Verdammt“, flüsterte er und begann zu zittern. Er hatte Tristan, die Pferde und den Proviant zurückgelassen. Er hatte nichts, abgesehen von dem viel zu schweren Schwert. „Nur keine Sorge“, murmelte er sich selbst zu. „Dir wird nichts passieren. Du weißt dich zu verteidigen, du bist ausgebildeter Schwertkämpfer und du bist ein Prinz. Prinzen haben keine Angst. Prinzen bekämpfen Monster.“ „Wie interessant.“ Joey erstarrte bei der tiefen Stimme so dicht an seinem Ohr. Ein kalter Schauer lief seinen Rücken hinab und der Schreib blieb ihm in der Kehle stecken, als sich ein Arm um seine Hüfte schlang und ihn an einen Körper hinter sich zog. Er spürte heißen Atem an seinem Ohr. „Wie ist es jetzt? Hat der Prinz jetzt Angst?“ Joey schloss überwältigt von einer Panikwelle die Augen und versuchte, sich zu sammeln. So musste sich Todesangst anfühlen. Langsam wandte er den Kopf und auch wenn er wusste, dass er es eigentlich nicht sehen wollte, blickte er hinter sich. Rot glühende Augen funkelten ihn amüsiert an, spitze Zähne zeigten sich in einem tödlichen Lächeln. „Hallo, kleiner Prinz.“ Ein Ruck ging durch Joeys Körper und er stemmte sich gegen den Griff. Das Schwert, das bis dahin nutzlos in seiner Hand gehangen hatte, erhielt seine Funktion zurück und er wollte damit nach dem Monster schlagen, doch ein fester Griff, der Knochen brechen konnte, hinderte ihn daran, den Hieb auszuführen. „Aber, aber. Wir wollen doch vermeiden, dass jemand verletzt wird.“ Er wand sich in dem unnachgiebigen Griff und trat nach dem Wesen, doch es zeigte sich unbeeindruckt von den Befreiungsversuchen und presste sich sogar noch enger an Joey. „Du riechst wirklich verlockend, Prinz. Hast du etwas dagegen, wenn ich von dir koste?“ Das Schwert war längst seiner tauben Hand entglitten und als sich eine Klaue um seine Kehle legte, spürte der Prinz zum ersten Mal das Gefühl, das einen Menschen überkam, wenn er kurz vor seinem Tod stand. Seine Gegenwehr verebbte in dem Moment, als ein heller Blitz die Dunkelheit durchbrach und das Wesen hinter ihm aufschrie und ihn losließ. Joey stolperte und hielt sich mit Mühe auf den Beinen. Als er sich umdrehte erblickte er einen in sich zusammengesunkenen Schatten auf dem Boden. Sein Atem ging stoßweise und sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Neben ihm raschelte es und er zuckte zusammen, wich zurück und stieß mit dem Rücken gegen einen dicken Stamm. „Alles in Ordnung?“ Die Stimme war viel zu freundlich, als dass sie zu einem weiteren Monster gehören konnte. Vielleicht war es aber auch nur eine Falle und Joey sollte sich sicher fühlen, damit das Wesen leichteres Spiel hatte. Er öffnete den Mund, doch kein Laut entwich seinen Lippen, während er langsam zu Boden sackte. Dann trat eine Gestalt vor ihn und Erleichterung erfüllte ihn. Vor ihm stand ein Junge, der keinesfalls in diesen Wald gehören konnte. Er hatte so helle Haut, dass sie beinahe in der Dunkelheit zu glänzen schien, zackige Haare in drei verschiedenen Farben und freundliche Augen. Joey atmete die angehaltene Luft aus. „Geht es dir gut?“, fragte der Junge und ging vor ihm in die Hocke. Er hielt einen Stab in der Hand, den Joey nun als Waffe eines Magiers erkannt. „Hat er dir etwas getan?“ Joey schüttelte den Kopf und die Sorge wich aus den halb im Schatten liegenden Zügen des Jungen. „Gott sei dank. Mit diesen Wesen ist nicht zu Spaßen. Es hätte dir die Kehle aufgebissen und deine Stimmbänder verspeist. Anschließend hätte es dir das Herz aus der Brust gerissen ...“ Ewas in Joeys Gesichts brachte den Jungen zum Schweigen. „Entschuldige, wie unhöflich von mir.“ Er griff nach Joeys Arm und zog ihn hoch. „Das ist bestimmt das Letzte, was du jetzt hören möchtest. Mein Name ist Yugi. Ich bin Magier, wie du bestimmt schon bemerk hast.“ „Joey“, krächzte der Prinz, räusperte sich verlegen und wagte einen erneuten Versuch: „Mein Name ist Joey.“ „Schön dich kennen zu lernen, Joey!“ Yugi lächelte und Joey kam nicht umhin, den Jungen sofort zu mögen. Es mochte allerdings auch daran liegen, dass Yugi ihm gerade das Leben gerettet hatte. „Danke, Yugi. Ohne dich ...“ „Wärst du jetzt Futter, ich weiß. Keine Ursache.“ Joey drängte die Übelkeit zurück, die sich bei den Worten in ihm ausbreitete. Er hatte noch immer ein flaues Gefühl im Magen. Was man darauf zurückführen konnte, dass es seine erste Nahtod-Erfahrung gewesen war. „Wie kommt es, dass du alleine im Wald bist, Joey? Hast du dich verlaufen?“ Nicht verlaufen. Weggelaufen hatte er sich. Er war der einzigen Person weggelaufen, die sein tagelanges Gejammer ausgehalten hatte. Seinem besten Freund. Wie konnte man so dumm sein?! „Das kann man so sagen“, murmelte er und blickte zu Boden. Er kam sich so kindisch vor. „Ich will dir keine Vorwürfe machen“, bemerkte Yugi nachdenklich, „aber es ist sehr unklug, alleine in diesen Wäldern herum zu wandern. Hier leben zu viele Wesen mit Bösem im Sinn.“ „Ich war mit jemandem unterwegs, aber wir wurden –“ Er unterbrach sich. Lügen brachten ihn nicht weiter. „Ich wollte ihm zeigen, dass ich ohne ihn zurecht komme und bin blindlings losgelaufen. Das war dumm.“ Er schüttelte den Kopf. Yugi musterte ihn aufmerksam, dann klopfte er ihm auf die Schulter. „Mach dir nichts draus, jeder möchte sich irgendwann beweisen. Leider ist dieser Wald nur der denkbar schlechteste Ort dafür. Weißt du, in welcher Richtung dein Weggefährte ist?“ Joey schüttelte den Kopf und Yugi hielt den Stab vor sich. „Auch nicht schlimm.“ Der Stab begann zu glühen und eine Lichtkugel brach aus seiner Spitze hervor, verharrte einige Sekunden in der Luft und flog dann nach rechts. „Das ist ein Fährtenleser“, erklärte Yugi und bedeutete Joey, ihm zu folgen. „Er wird deine Spuren finden und uns auf deinem Weg zurückführen.“ Nie war Joey dankbarer gewesen, dass es Magier gab. Sie folgten der Lichtkugel und arbeiteten sich durch dunkles Dickicht. Nun erst fiel Joey auf, was ihn die ganze Zeit gestört hatte. „Yugi, was machst du in diesem Wald? Du bist alleine – hast du dich auch verlaufen?“ Yugi lachte. „Nein, habe ich nicht. Dank meines Fährtenlesers und anderer nützlicher Tricks kann ich mich davor bewahren. Was mich betrifft: Ich wurde von einem Dorf hinter dem Wald am Fuß der Berge beauftragt, in dem Wald nach zwei verlorenen Kindern zu suchen.“ „Zwei Kinder? In dem Wald?“ Ein erwachsener Mann hatte in diesem Wald schon um sein Leben zu kämpfen, wie musste es dann Kindern gehen? Joey traute sich kaum, zu fragen. „Wie lange suchst du sie schon?“ Yugis Gesichtsausdruck verfinsterte sich. „Drei Tage.“ „Oh nein.“ „Man sollte die Hoffnung noch nicht aufgeben. Kinder haben bessere Möglichkeiten, sich zu verstecken, außerdem sind sie zu zweit.“ Das gab Joey nicht viel mehr Hoffnung, doch er schwieg. Sie setzten den Weg fort und nach etlichen Minuten hörten sie eine Stimme vor sich. „Joey?! Joey, hörst du mich? Hör auf damit, es reicht, wir haben ein Problem!“ „Das ist Tristan!“, entwich es Joey und er beschleunigte seine Schritte. Er wurde immer schneller, brach schließlich durch einen besonders dichten Strauch und stolperte auf eine Lichtung. Dort stand sein bester Freund. „Tristan!“ Mit wenigen Schritten war er bei ihm und zog ihn fest an sich. „Es tut mir Leid, ich war so unglaublich dumm. Ich schwöre dir, ich werde nie wieder so unüberlegt handeln, ich werde das nächste Mal meinen Kopf benutzen und mich nicht mehr kindisch benehmen.“ „Joey, beruhig dich. Zum Glück ist dir nichts passiert – jag mir nie wieder so einen Schrecken ein, verstanden?!“ Joey nickte und spürte, wie Tristan ihn von sich drückte. „Aber etwas ganz anderes. Wir haben ein Problem.“ „Problem?“, wiederholte der Prinz und blinzelte. „Was ist passiert? Sind die Pferde weggelaufen? Ist der Proviant ...“ Seine Stimme verklang als seine Blick auf zwei in Umhänge gehüllte kleine Gestalten fiel. Es stellte sich heraus, dass Tristan auf der Suche nach Joey beinahe über zwei am Boden kauernde Kinder gestolpert wäre. Rasch stellte sich heraus, dass die Kinder sich im Wald verlaufen hatten und seit mehreren Tagen nach einem Weg nach Hause suchten. Tristan hatte den hungrigen Kindern Essen und Trinken gegeben und ihnen versprochen, sie nach Hause zu führen, doch zuerst müsste er seinen Begleiter finden. Yugi war hellauf begeistert, die beiden Kinder zu sehen und erzählte ihnen, dass ihr Dorf ihn beauftragt hatte, sie zurück zu bringen. Joey hatte Tristan von seiner Rettung vor dem Monster berichtet und Yugi als seinen Retter vorgestellt. Nach einer Rast mit allgemeiner Stärkung waren sie aufgebrochen und hatten ihren Weg fortgesetzt, geleitet von einem Richtungsweiser Yugis, der sie genau nach Norden führte. Am Abend des nächsten Tages erreichten sie den Waldrand. Auf ihrem Weg war ihnen außer einer Riesechse, die sich als besonders friedlich herausgestellt hatte, kein weiteres Wesen über den Weg gelaufen. Vielleicht lag es an Yugis Ausstrahlung. Joey war es mehr als nur recht. In der letzten Nacht hatte er lebhaft von dem rotäugigen Wesen des vergangenen Tages geträumt und in seinem Traum war ihm Yugi nicht zu Hilfe gekommen. Beim Einbruch der Dunkelheit erblickten sie das Dorf und brachten den Jungen und das Mädchen ihren Eltern zurück. Die beiden Kinder hatten den mehrtätigen Aufenthalt im Wald gut überstanden – offenbar war ihnen kein dunkles Wesen über den Weg gelaufen, stattdessen berichteten sie von einem bizarren Haus aus Süßigkeiten. Es mochte an den Beeren liegen, die sie zum Überleben im Wald gegessen hatten ... Yugi, Tristan und Joey übernachteten in einem Gasthaus im Dorf und als die Sonne am nächsten Tag aufging, waren die Pferde gesattelt, die Wasser- und Essensvorräte aufgefüllt und Tristan und Joey aufbruchbereit. „Dürfte ich euch vielleicht begleiten?“, fragte Yugi, der mit ihnen vor dem Gasthaus stand. „Ihr sagtet, ihr müsst weiter in den Norden, in die Berge. Ich muss selbst in diese Richtung und alleine reisen ist doch etwas einsam.“ Er lächelte und weder Joey noch Tristan hatten irgendwelche Einwände. Yugis Stab begann zu glühen und der Magier wurde von einer lilafarbenen Aura umgeben, bevor seine Gestalt begann, sich zu verformen. Zwei Flügel brachen aus der Aura hervor und vor ihnen landete ein schwarz-gelb-roter Vogel von der Größe eines Falken. Es war das erste Mal, dass die jungen Männer eine Gestaltwandlung sahen. „Wow“, entwich es Tristan und er beugte sich auf dem Pferd vor, um einen besseren Blick auf Yugi zu erhaschen. „Kannst du auch andere Formen annehmen?“ Yugi erhob sich mit leichten Flügelschlägen und landete auf Tristans Schulter. „Ja, ich kann andere Formen annehmen, aber nicht viele. Ich habe mich auf zwei Tiere spezialisiert, nur hohe Magier schaffen mehr als drei verschiedene Gestaltwandlungen.“ „Was kannst du sonst noch werden?“ „Ein Hase, aber ich dachte, ein Tier mit Flügeln wäre angebrachter.“ „Du darfst gerne vorerst sitzen bleiben. Es gib so viel, was du uns noch erzählen kannst.“ Yugi klackerte mit dem Schnabel. „Das kann ich nur erwidern.“ So setzten der Prinz und sein Reisegefährte die Reise mit einem neuen Begleiter fort. Sie bemerkten nicht, dass sie verfolgt wurden. Kapitel 2: ... der loszog ... ----------------------------- „Ich möchte mit euch reisen.“ Joey warf Tristan aus den Augenwinkeln einen flüchtigen Blick zu. Zu seiner Erleichterung stellte er fest, dass sein bester Freund ebenso ratlos war, wie er selbst. Yugi ließ sich langsam sinken und landete sachte auf dem Kopf von Joeys Pferd. Es ließ sich davon nicht stören, hatte sich schon längst an den neuesten Begleiter und seine Präsenz gewöhnt. An den jetzt offenbar zweitneuen Begleiter, denn der Neueste ... stand gerade offenbar vor ihnen. Tristan räusperte sich. „Und dein Name ist?“ „Duke. Duke Devlin.“ „Freund oder Feind?“ Tristan warf Joey einen verwirrten Blick zu. Joey zuckte die Achseln. „Ich dachte, dass sollten wir vorher klarstellen.“ „Wenn er ein Feind wäre, würde er kaum danach fragen, mit uns reisen zu können.“ „Es könnte eine Falle sein.“ „Von welchem Feind reden wir eigentlich?“ „Was weiß ich? Prinzen haben immer Feinde.“ „Äh ... ich bin kein Feind“, mischte Duke sich ein. „Ich bin ein Freund, wenn ihr es so sehen wollt. Ich habe gesehen, wie ihr die Kinder zurückgebracht habt und da ich auf der Durchreise bin und früh festgestellt habe, dass das Reisen alleine zu ... abenteuerlich ist, dachte ich, ich könnte mich euch vielleicht anschließen?“ Yugis Blick war ernst. „Man hat dich ausgeraubt.“ Es war eine Feststellung, die Duke zusammenzucken und nickend zu Boden blicken ließ. „Hast du noch irgendeinen Besitz?“ „Nein.“ „Oje, ein Mittelloser“, seufzte Joey und bekam Tristans Ellbogen in die Seite. „Ich meinte das nicht als Beleidigung“, verteidigte er sich und rieb sich die Rippen. „Und ja, du darfst mitkommen. Aber du musst dich nützlich machen, wenn du mit uns reisen willst.“ Duke wirkte erleichtert. „Danke.“ Tristan hielt ihm die Hand entgegen und Duke stieg zögernd hinter ihm aufs Pferd. „So sind wir schneller“, rechtfertigte Tristan seine Geste. Yugi erhob sich in die Luft und sie setzten ihre Reise fort. Auf dem Weg zum nächsten Ort erfuhren sie, dass Duke der Sohn eines Herzogs der Umgebung war. Er hatte genug von dem Hofleben, wollte die Welt sehen und war darum mit einigen Habseligkeiten aus der Burg geflohen, in der Hoffnung, eine abenteuerliche Reise zu bestreiten. In der ersten Nacht außerhalb der Hofmauern war er von Banditen ausgeraubt worden und seitdem schlug er sich durch, nicht gewillt, sich geschlagen zu geben und zurückzukehren. Tristan war sichtlich beeindruckt von Dukes Mut und Joey registrierte das Interesse einerseits mit Belustigung und andererseits mit einem Stich Eifersucht. Was war er albern. Um sich die Zeit zu vertreiben sprach er mit Yugi und erfuhr, dass der nächste Ort nur noch wenige Stunden von ihnen entfernt war und dass ein etwas breiterer Fluss vor ihnen lag. Es stellte sich heraus, dass es nur eine Brücke gab, die über den Fluss führte und dass sie Zoll zahlen mussten, um diese Brücke zu passieren. Sehr, sehr hohen Zoll. „Die Hälfte eures Geldes“, verlangte der bärtige Halbriese mit finsterer Miene. „Sonst kommt ihr nicht rüber.“ Joey versucht, mit ihm zu verhandeln, bot ihm zehn Goldstücke an, doch der Mann wies sie ab. Die Hälfte ihres Geldes oder nichts. Joey beriet sich mit Tristan und sie kamen zu der Übereinkunft, dass die Hälfte des Geldes ein viel zu hoher Preis war. Sie mussten mit dem Geld noch mehr als einen Monat auskommen. Sie folgten dem Fluss weiter flussabwärts und suchten nach einer schmalen, flachen Stelle, die sie direkt überqueren konnten. Schließlich wurden sie fündig und stiegen von den Pferden. Yugi überflog prüfend den Fluss und warnte sie, dass die Strömung zu stark sein konnte, woraufhin Joey beschloss, sie zu testen. Er griff in eine der Reisetaschen, in der sie Werkzeug und Seil aufbewahrten. Er band sich das Seil um den Bauch und drückte Tristan das andere Ende in die Hand. „Halt mich fest“, befahr er, zog seine Stiefel aus und wagte sich in den Fluss. Am Ufer war die Strömung kaum zu spüren und als er sich weiter vorwagte wurde das Ziehen an seinen Beinen zwar stärker, doch nicht übermäßig. Als er die Hälfte der Distanz hinter sich hatte, stand er bis zu den Schenkeln im Wasser und Tristan hatte ihn noch nicht am Seil stabilisieren müssen. Joey gab den anderen ein Zeichen und kehrte zum Ufer zurück. „Die Strömung ist nicht zu stark und für die Pferde ist es nicht zu tief.“ Die anderen nickten und sie begannen die Überführung. Joey ging mit seinem Hengst vor, führte ihn behutsam und mit beruhigenden Worten durch den Fluss. Tristan und Duke folgten ihnen mit der braunen Stute. Duke hielt das Halfter, Tristan hatte dem Pferd einige Taschen abgenommen, damit es nicht zusätzliches Gewicht tragen musste. Joey hatte das andere Ufer erreicht, als ein Schrei hinter ihm erklang. Er wirbelte herum und sah gerade noch, wie Tristan von etwas unter Wasser gezogen wurde. Er ließ die Zügel los. „Tristan!“ Duke war mitten im See erstarrt, die Augen schreckensgeweitet auf die Stelle gerichtet, an der Tristan verschwunden war. Yugi hatte sich zurückverwandelt. „Duke, komm aus dem Wasser!“, rief er dem Langhaarigen zu und dieser löste sich schließlich aus der Starre. Wasser spritzte auf, als er mit dem Pferd zu ihrem Ufer eilte. Tristans Kopf brach durch die Wasseroberfläche und er schnappte nach Luft. Er streckte den Arm nach ihnen aus, dann verschwand er aufkeuchend wieder im Wasser. Joey griff nach seinem Schwert und wartete ins Wasser. „Tristan! Tristan!“ Eine Hand erschien an der Wasseroberfläche und Joey griff nach ihr. Im selben Moment schlang sich etwas um seinen Knöchel und ihm wurde bewusst, dass er vergessen hatte sich das Seil umzubinden und es Yugi zu geben. Dann war er unter Wasser und das Schwert entglitt seinen Händen. Die Luft wurde ihm durch den Ruck aus den Lungen gepresst und er kämpfte darum, an die Oberfläche zu kommen. Schließlich gelang es ihm, doch er wurde, ohne dass er die Möglichkeit hatte, Luft zu holen, wieder nach unten gezogen. Seine Hände ertasteten etwas Festes und er wusste sofort, dass es sein Schwert war. Blind hackte er auf das ein, was seinen Knöchel umschlungen hatte und auch wenn er im Wasser nicht mehr so viel Kraft hatte, erzielte es doch Wirkung. Der Griff löste er sich und er konnte sich befreien. Er stemmte sich nach oben und schnappte nach Luft, als er wieder oben war. „Tris-tristan!“, hustete er und sah sich um. Er tauschte unter Wasser und suchte nach seinem Freund. Er sah einen Schemen vor sich und packte danach, ertastete nassen Stoff und zog, bis seine Arme sich um Tristans Oberkörper schlangen. Er zog ihn nach oben und kämpfte gegen die Kraft, die Tristan aus seinen Armen reißen wollte. „Yugi, Seil!“, rief er, als er wieder atmen konnte und etwas fiel neben ihm ins Wasser. Er griff danach und wickelte das Seil um seinen freien Arm. „Ihr müsst ziehen.“ Vor ihnen brachen pflanzenähnliche Schlingen durch die Wasseroberfläche und Joey bekam einen ungefähren Eindruck, was genau sie nicht gehen lassen wollte. Das Wissen verstärkte nur den Wunsch, so schnell wie möglich das Wasser zu verlassen. Er hatte das Schwert zwar noch in der Hand, aber er musste gleichzeitig mit dem Arm Tristan umklammern und stellte zu seinem Schrecken fest, dass der reglose Körper ihm zu entgleiten drohte. Auf einmal ging ein Ruck durch seinen Körper und er fand sich rücklings am Ufer des Flusses wieder. Mit nun festerem Boden unter den Füßen und mit der Möglichkeit, Tristan loszulassen, ohne ihn wieder im Wasser zu verlieren, konnte er mit dem Schwert nach den Schlingen schlagen. Ein Zittern ging durch den Fluss und die Pflanze zog sich zurück. Keuchend ließ sich Joey nach hinten fallen, alle Viere von sich gestreckt. Er blickte zur Seite. „Wie geht es ihm?“ „Er ist bewusstlos“, erklärte Yugi und überprüfte Tristans Puls. „Aber nicht in Lebensgefahr. Sein Atem hat sich bereits erholt. Er brauch nur etwas Ruhe.“ Bei Joey traf diese Bemerkung auf Zustimmung und er rappelte sich langsam auf. In sicherer Entfernung zum Fluss schlugen sie ihr Lager auf, denn sie hatten beschlossen, dass es zum Dorf zu weit war. Joey ließ sich müde ins Gras fallen. „Was haben wir verloren?“ Duke suchte Feuerholz und Yugi hatte die Pferde an einen nahestehenden Baum gebunden. Er überprüfte die Taschen. „Es scheint als würde ein Beutel mit Proviant fehlen. Außerdem ist die Geldbörse nicht mehr an Tristans Gürtel.“ Das war wie ein Schlag ins Gesicht. In dem Geldbeutel war beinahe ihr gesamtes Geld gewesen! „Uns bleibt auch nichts erspart!“ Joey spürte sämtliche Kraft aus seinen Gliedern weichen uns fiel schlaff nach hinten. „Hätten wir doch die elende Brücke genommen.“ „Jetzt können wir es nicht mehr ändern“, seufzte Yugi und nachdem Duke mit dem Feuerholz zurückgekehrt war, entzündete er es mit einem Funken aus seinem Stab. Langsam begann Joey, sich aus seiner Kleidung zu schälen, hielt jedoch auf ein Zeichen von Yugi hin inne. Der Magier wirbelte seinen Stab dreimal im Kreis, dann erfasste eine Warme Brise Joeys und Tristans Kleidung. Nach wenigen Sekunden war sie trocken. Dankbar lächelte Joey den Magier an. „Du weißt nicht, wie sehr ich dich gerade liebe, Yugi.“ „Ruh dich aus, Joey“, sagte Yugi leise und erwiderte das Lächeln freundlich. „Das wäre besser.“ „Ich übernehme die Wache“, bot Duke an und Joey fehlte die Kraft, irgendwas zu erwidern. „Du warst ziemlich mutig, Joey“, hörte er Yugi aus weiter Ferne sagen. „Das sollten wir Tristan erzählen ... wenn ... wieder .... zu sich ...“ Als Joey erwachte, stand die Sonne hoch am Himmel. Tristan saß neben ihm und betrachtete ihn ernst. Als Joey sich halbwegs aufgerichtet hatte, packte Tristan ihn an der Schulter und presste ihn in einer Knochen brechenden Umarmung an sich. „Danke, Joey.“ Joey erwiderte die Umarmung. „Wofür?“ „Dafür, dass du mein Leben gerettet hast.“ Joey gab Tristan einen unvermittelten Schubs. „Spinnst du?! Dafür sollst du dich nicht bedanken, Tristan! Du hättest dasselbe für mich getan.“ „Da hast du wohl recht.“ Tristan grinste ihn an. „Danke trotzdem, oh ehrenwerter Prinz.“ „Idiot.“ Als die Sonne den höchsten Stand überschritt brachen sie auf. Der Prinz, sein bester Freund, der Magier und der Herzogssohn setzten ihre Reise fort und erreichten schließlich die Ausläufer der Berge. Mehrere Tage verstrichen ereignislos (sah man davon ab, dass sie nur durch Zufall verhindert hatten, dass ihnen ein kleines Mädchen mit rotem Umhang und einem Weidenkorb sich in einem Kornfeld verlief), doch schließlich wurde ihr Proviant weniger und sie mussten in dem nächste Dorf auf ihrem Weg Rast machen. Da sie abgesehen von einigen letzten Goldmünzen kein Geld mehr besaßen, hatten sie in den vergangenen Nächten in keinem Gasthaus übernachtet, doch die Auffüllung ihres Proviants war unumgänglich. Yugi bot an, den Dorfbewohnen gegen Geld mit seiner Magie bei beschwerlicher Arbeit zu helfen, doch der Prinz weigerte sich, einen Freund für sie alle schuften zu lassen. Somit begannen sie, sich umzuhören, ob jemand die Dienste von einem Schwertkämpfer oder Magier benötigte - und sie wurden rasch fündig. Ein Bauer vermisste eine ganz besonders wertvolle Gans und nahm an, dass sie ihm gestohlen worden war. Er zeigte ihnen die Einbruchspuren an dem Stall und mithilfe von Yugis Fährtenleser konnten sie den Spuren der Gans folgen. Diese führten sie in einen angrenzenden Steinbruch. Prinz Joey war frustriert. „Nichts als Steine, wohin man sieht aber keine Gans!“ „Hab Geduld, Joey“, rief Yugi ihn zur Ruhe. „Wir werden sie finden, ganz sicher. Sie muss hier irgendwo sein.“ „Ich hab etwas gefunden!“, rief Duke, der hinter einem besonders großen Stein verschwunden war. Sein dunkler Schopf erschien in ihrem Blickfeld. In der Hand hielt er einige goldene Federn. Fasziniert versammelten sie sich um den Fund. Joey pfiff anerkennend. „Wow, ob man die wohl verkaufen kann? Damit käme sicher schon einiges an Geld zusammen.“ „Wir haben einen Auftrag, mein Prinz“, ermahnte Tristan ihn nachdrücklich und Joey murrte. Die Pferde wieherten hinter ihnen nervös und sie horchten auf. Joey hob die Hand. „Habt ihr das gehört?“ Yugi wandte den Kopf, den Stab gehoben. „Jemand ist hier“, flüsterte er und Joey zog bei diesen Worten sein Schwert. Dann erklang das Geräusch wieder, dieses Mal lauter. Die Pferde scharrten mit den Hufen. Ein Knurren. Unmittelbar in der Nähe. Dann schoss unvermittelt ein goldener Schatten an ihnen vorbei, begleitet von einem hektischen Flügelschlagen und einem Aufwirbeln der Luft. Der Prinz verlor den Halt und stolperte zurück, wäre beinahe über den Rand des Felsvorsprungs gefallen, hinter dem es einige Meter weiter in den Steinbruch hinab führte, hätte er sich nicht geistesgegenwärtig an Tristan festgehalten. „Was zum Teufel war das?!“ Ein tiefes Grollen erfüllte die Luft und sie erstarrten. „Bleib endlich stehen, die nutzloses Federvieh!“ Die Stimme war nicht menschlich und begleitet wurde sie von einem weißen Schemen, der an ihnen vorbeijagte und hinter einem Felsen verschwand. Schnatternd flog die goldene Gans auf den Felsen, außer Reichweite seines Verfolgers, doch dieser ließ sich nicht so schnell abschütteln. Er folgte seiner Beute, sprang mit einem Satz hinterher, woraufhin die Gans panisch flatternd losflog und seinen Jäger machtlos und wütend hinter sich ließ. „Komm gefälligst zurück! Du bist mein Mittagessen!“ Tristan hielt seinen Bogen bereits in der Hand und zielte mit einem Pfeil auf das Wesen. „Was bist du?“, rief er ihm zu und es wirbelte auf dem Felsen herum. Joey trat unwillkürlich näher. Vor ihnen stand ein ausgewachsener, schneeweißer Wolf. Der sprach. Und fluchte. „Tze, nervige Menschen haben mir gerade noch gefehlt. Haut ab, das ist mein Revier. Ihr habt mein Mittagessen verjagt.“ Joey konnte sich kaum von dem Anblick lösen. „Du bist ein Wolf.“ Das Tier richtete seine stechenden Augen auf ihn. „Und du bist ein besonders scharfsinniger Menschen.“ „Du kannst sprechen.“ „Du auch. Hörst du, dass ich mich beschwere?“ „Bist du ein Magier?“ Ein Knurren drang aus der Kehle des Wolfes. „Ein Magier?“, schnappte er. „Zeigt mir einen Magier und ich werde ihn bei lebendigem Leib verschlingen.“ Yugi wich einen Schritt zurück und Wolf fixierte ihn, verzog die Schnauze zu etwas, das man beinahe schon als ein hungriges Grinsen bezeichnen konnte. „Scheint als hätte ich mein Mittagessen gefunden.“ Er duckte sich und setzte zum Sprung an. Noch ehe der Prinz oder einer der anderen reagieren konnte, hatte der Wolf Yugi zu Boden gerissen und presste eine Pfote auf die Kehle des Magiers. „Und ich bin mir sicher, du wist köstlich schmecken.“ Der Wolf schnurrte regelrecht. Yugi zitterte. „Was ha-hast du für scharfe Z-zähne?“, flüsterte er erstickt. „Damit ich dich besser –„ „Runter von ihm!“, unterbrach ihn der Prinz und hielt dem Wolf sein Schwert an die Kehle. Rote Augen trafen auf wütende braune. Der Schweif des Wolfes schlug einer Peitsche gleich nach Joey und traf den Prinzen am Arm, doch dieser zuckte nicht zurück. „Nimm deine Pfoten von ihm“, wiederholte er drohender und presste die Klinge mit deutlichem Nachdruck gegen die Kehle. „Sonst was, kleiner Mensch?“, neckte der Wolf mit einem amüsierten Funkeln in den Augen. „Erlegst du dann den großen bösen Wolf?“ „Wenn es sein muss. Nimm deine Pfoten von meinem Freund.“ „Schon gut, Joey. Nicht nötig.“ Ein Donnern erschütterte die Steine um sie herum und ein Beben ergriff den Boden. Risse bildeten sich krachend in den Felsen und ein plötzlicher Hagel von Steinen prasselte auf den Wolf nieder. Aufjaulend ließ dieser von dem Magier ab, welcher in einer Staubwolke verschwunden war. Der Prinz und seine Gefährten hielten sich schützend die Arme vor die Augen. Schließlich lichtete sich der Dunst und die Umrisse einer Gestalt wurden erkennbar. Einer Gestalt, die viel größer war als Yugi. Der Wolf duckte sich, sein Nackenfell war gesträubt. „Wer bist du?“, grollte er. Die Stimme, die ihm antwortete war tiefer als Yugis. Gefährlicher. „Du solltest vorsichtiger sein, welchen Magier du dir als Beute aussuchst, Wolf. Er könnte sich als zu stark für dich erweisen.“ Die Sicht klärte sich und gab den Blick auf die Person frei. Sie ähnelte Yugi stark, doch die Gesichtszüge waren schärfer und der Blick kälter. „Das werden wir ja sehen.“ Der Wolf fuhr die Krallen aus und bleckte die Zähne. „Ich werde meinen Spaß dabei haben, es zu testen.“ Und er griff an. „Bakura!“ Eine Gestalt war aus dem Nichts zwischen ihnen erschienen, hatte den Wolf am Schweif gepackt und grob zurückgezogen. Das Tier gab einen gepeinigten Laut von sich und landete mit einem dumpfen Aufprall winselnd auf dem Boden. „Verdammt, Marik!“, fluchte er und wollte sich aufrappeln, wurde jedoch von einem Fuß auf seinem Rücken daran gehindert. Über ihm stand ein Mann mit bronzener Haut, sandfarbenem Haar und violetten Augen. „Idiotischer Wolf“, knurrte er und verschränkte die Arme. „Lern gefälligst, Gefahren zu erkennen, wenn sie vor der stehen.“ „Gefahren “, spottete Bakura. „Gib mir zwei Minuten und ich werden diesen Möchtegern-“ Der Druck auf seinen Rücken wurde unvermittelt verstärkt und brachte den Wolf zum verstummen. „Red keinen Unsinn oder hast du nicht gemerkt, dass du vor einem dunklen Meister stehst?“, fuhr der fremde Mann Bakura an und verlagerte seine Haltung so, dass er mit seinem vollen Gewicht auf dem Wolf stand. „Lebensmüde Flohtöle.“ „Eingebildete Elfe!“, zischte Bakura, unfähig gegen den anderen aufzubegehren. Der Mann ging nicht darauf ein und richtete seinen Blick stattdessen auf den fremden, wie Yugi aussehenden, Magier. „Mein Name ist Marik, ich bin ein Sandelf aus den Wüsten im Süden. Und dieses unerzogene Biest ist Bakura, Mitglied der Waldbestien und leider mein Weggefährte. Entschuldigt seinen Übereifer.“ „Mein Name ist Atemu“, stellte sich der fremde Magier vor und Marik neigte respektvoll den Kopf. „Ich bin tatsächlich ein dunkler Meister und teile meinen Körper mit einem anderen Magier.“ „Dann bist du ein Freund von Yugi“, mischte Joey sich ein und ließ das Schwert langsam sinken. Atemu lächelte ihn an. „Yugi und ich haben einen Körper, doch in diesem Körper leben zwei Seelen. Was er erlebt, erlebe ich auch und auch wenn es nach außen hin Yugi war, mit dem ihr in den vergangenen Tagen gereist seid, so reiste ich ebenfalls mit euch.“ „Das kommt ziemlich überraschend“, bemerkte Duke, der sich hingesetzt und an einem Felsen gelehnt hatte. „Warum hast du dich nicht schon früher gezeigt?“ „Ich habe gemerkt, dass er euch mochte und wollte ihm diese Erfahrung nicht nehmen. Außerdem bin ich Yugis Beschützer. Ich treten in Erscheinung, wenn er mich braucht.“ „So wie jetzt.“ „Offenbar war meine Hilfe nicht vonnöten.“ Atemu hob den Arm mit dem Stab. „Es war nett, mich euch endlich vorstellen zu können. Wir werden uns vielleicht wiedersehen.“ Dann begann der Körper des Magiers zu glühen und als das Licht verlosch stand Yugi wieder vor ihnen. „Ich habe Kopfschmerzen bei so vielen Wendungen“, murmelte Tristan neben Joey und ließ sich ebenfalls auf den Boden sinken. Der Prinz richtete sich an den Sandelf. „Was verschlägt euch in diesen Teil des Landes?“ Bakura schnappte nach Mariks Bein und dieser ließ von ihm ab, woraufhin der Wolf sich grollend aufrichtete. „Wir wurden verstoßen“, antwortete er mit finsterem Blick. „Warum?“ „Findest du nicht, dass du etwas zu persönlich wirst, nachdem wir uns erst seit wenigen Minuten kennen, Mensch?“ „Sei nicht so, Bakura.“ Marik gab dem Wolf einen genervten Klaps auf den Kopf. „Wir haben schon genug Probleme. Du hast eine Gans gestohlen!“ „Ich war hungrig.“ „Dann friss Beeren.“ „Ich bin ein Wolf. Wölfe fressen Fleisch, keine Beeren, einfältige Elfe.“ „Ich bin ein Elf, keine Elfe!“ „Na und?!“ „Wenn du so weiter machst, mache ich aus deinem Fell einen Winterumhang!“ „Versuch es.“ „Das werde ich auch!“ Joey setzte sich neben seine Freunde auf den Boden und legte das Schwert beiseite. Dann lehnte er sich grinsend zurück, verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und schloss die Augen. „Die zwei sind witzig.“ oOo Und somit hatte ihre Gruppe zwei weitere Mitglieder gefunden. Wie sich herausstellte hatten die beiden Weggefährten kein besonderes Ziel und so beschloss der Sandelf, dass sie sich genauso gut den Reisenden anschließen konnten – ignorierte die Proteste des Wolfes – und half dem Prinzen und seinen Freunden gerne, die entflohene Gans wieder einzufangen. Sie brachten das Tier seinem rechtmäßigen Besitzer zurück und dieser schenkte ihnen einige der goldenen Federn als Dank für ihre Mühe. Damit hatten sie genug Geld um Nahrungsmittel und Wasser zu kaufen und um ihre Reise fortzusetzen. Der Prinz, sein bester Freund, der Magier, der junge Herzogsohn, der Sandelf und der Wolf erreichten das Gebirge und begannen den nächsten Abschnitt ihrer Reise. oOo „Und wo genau liegt letzt dieses Schloss?“ „Schloss? Ich dachte, es sei eine Höhle?“ „Warum sollten Drachen in Höhlen wohnen? Das sind schlaue Wesen, die sicherlich höhere Ansprüche haben.“ „Natürlich. Und abends trinken sie Wein und betrachten den Sonnenuntergang, weil sie so hohe Ansprüche haben.“ Joey lehnte sich auf dem Sattel zurück und gab einen gequälten Laut von sich. „Ob Schloss oder Höhle ist mir egal, viel mehr interessiert mich, wie die Prinzessin aussieht.“ „Wunderschön natürlich“, sinnierte Yugi, der in der Gestalt des Vogels auf Joey Schulter saß, um sich kurz auszuruhen. „Und ganz sicher harrt sie deiner und kann es kaum erwarten.“ „Solange sie hübsch ist.“ „Typisch“, murmelte Tristan und studierte aufmerksam die Karte in seinen Händen. Bakura lief unruhig vor den Pferden, die nicht mehr so nervös auf seine Anwesenheit reagierten, auf und ab. „Beeil dich Mensch, welchen Weg sollen wir nehmen?“ „Laut der Karte“, begann Tristan mit gerunzelter Stirn, „müssen wir nach rechts.“ „Dann gehen wir nach rechts.“ „Die Ausschilderung sagt aber etwas anderes.“ „Man sollte meinen, dass es keine Ausschilderung dafür geben sollte, wie man zu dem Drachen kommt“, bemerkte Joey, noch immer verwundert. Zwischen den beiden Gabellungen stand ein Wegweiser, der sie rechts in das Feental und links Zum Drachen führen würde. „Dann werfen wir eben eine Münze“, schlug Duke vor und kramte in seiner Tasche. Tristan ließ die Karte sinken und sagte: „Wir haben kein Geld mehr.“ „Daran ist der dumme Prinz schuld“, warf der Bakura dazwischen. „Er musste sich ja unbedingt im letzten Dorf in der Taverne betrügen lassen.“ „Zuhause am Hof war ich der beste Kartenspieler“, verteidigte sich Joey und funkelte den Wolf wütend an. „Und wer konnte ahnen, dass er Magie benutzt, um zu betrügen?!“ „Wir haben dir gesagt, dass es riskant ist, aber du wolltest nicht hören.“ „Wieso muss ich mir von einem Hund eine Standpauke anhören?“ „Ich bin ein Wolf, kleiner Prinz!“ „Dann benimm dich wie ein Wolf und hör auf zu reden!“ „Bakura. Joey. Hört auf.“ Marik ließ sich elegant von einem Felsvorsprung, mehrere Meter über ihnen, nach unten fallen und landete lautlos. „Ich konnte nichts erkennen“, berichtete er Tristan. „Eine Falle scheint es nicht zu sein.“ „Yugi, kannst du mit dem Fährtenleser etwas bewirken?“ Der junge Magier schüttelte den Kopf. „Solange ich nicht weiß, was ich suche, ist er nutzlos. Und Drachenspuren finde ich nicht.“ Tristan seufzte, dann sah er den Prinzen an und hob ratlos die Schultern. „Deine Mission, deine Entscheidung. Welcher Weg?“ Joey hatte es befürchtet und jetzt lag die Entscheidung bei ihm. Sein Blick schweifte von der rechten zur linken Abzweigung und wieder zurück. Dann fiel sein Blick auf ein weißes Kaninchen, das wie aus dem Nichts auf dem rechten Weg erschienen war und sein Herz begann, heftig zu schlagen. Das war ein Zeichen! Joey richtete sich auf. „Ich wähle den rechten Weg. Folgen wir dem weißen Kaninchen.“ Damit war die Entscheidung getroffen. Dass es die Falsche war, würden sie noch früh genug erkennen. Dass tatsächlich keiner der beiden Wege sie an ihr eigentliches Ziel gebracht hätte, sollten sie nie erfahren. Kapitel 3: ... um gegen einen Drachen zu kämpfen ... ---------------------------------------------------- Sie waren getrennt worden. Der Prinz und seine Gefährten hatten ihre Reise fortgesetzt, nachdem Joey seine Wahl getroffen und sie den rechten Weg genommen hatten. Bereits nach wenigen Stunden wurde ihnen die Waghalsigkeit dieses Unterfanges bewusst. Der Weg auf dem sie gegangen waren wurde zunehmend schmaler und während neben ihnen eine Felswand in die Höhe ragte, führte auf der anderen Seite der einzige Weg nach unten – in einen Fluss, der gemächlich zwischen den Bergen hindurchschlängelte. Es traf sie überraschend und unvorbereitet: Ein Steinschlag. Ein Felsen hatte sich weit über ihnen gelöst, hatte andere Gesteinsbrocken mit sich gerissen und wurde zu einer regelrechten Gerölllawine, die ihre Gruppe trennte. Yugi und Marik waren damit beschäftigt gewesen, die Pferde davon zu überzeugen, weiter zu gehen und waren etwas zurückgefallen. Als die Steine begannen, auf sie niederzuprasseln, versuchten die anderen, zurückzulaufen, doch es war zu spät. Bakura und Joey wurden von der Lawine mitgerissen und stürzten in die Tiefe, während Tristan und Duke von Marik, Yugi und den Pferden abgeschnitten wurden. Der Wolf und der Prinz landeten unsanft im Wasser und Joey verloren bei dem Aufprall das Bewusstsein. Joey kam zu sich, als er ein wütendes Grollen neben sich vernahm. Er blinzelte gegen das grelle Sonnenlicht, das ihn blendete und richtete sich desorientiert auf. „Was ist passiert?“ „Wir sind in den Fluss gefallen.“ Bakura stand neben ihm, das Fell durchnässt, die Haltung angespannt. „Und du wärst beinahe ertrunken, wenn ich dich nicht aus dem Wasser gefischt hätte wie einen nutzlosen Frosch.“ Der Vergleich hinkte, doch Joey verkniff es sich angesichts Bakuras Stimmung, den Wolf darauf aufmerksam zu machen. „Wo sind wir?“, fragte er stattdessen und bereute die Frage beinahe, da Bakuras Ausdruck sich noch weiter verfinsterte. „Irgendwo.“ Er schüttelte sich und Wassertropfen prasselten auf Joey, der sich fluchend abwandte. Bakura schien das zu amüsieren und etwas weniger schlecht gelaunt fuhr er fort: „Wir müssen die anderen finden.“ Joey rappelte sich auf und bedauerte, dass Yugi nicht bei ihnen war. So musste er wohl oder übel mit nasser Kleidung weitergehen und hoffen, dass die Sonne ihn weitgehend trocknete. Er sah sich um. Sie waren noch immer in der schluchtähnlichen Schneise, die sich der Fluss mit den vergangenen Jahrtausenden geschaffen hatte, nur war an der Stelle, wo sie sich befanden der Fluss nicht so breit „Weiter flussaufwärts ist eine Höhle“, bemerkte Bakura und streckte seinen Nacken, als versuche er, Witterung aufzunehmen. „Ich weiß nicht, wo sie hinführt, aber einen anderen Weg nach oben habe ich bis jetzt nicht gefunden. Ich kann zwar höher und weiter springen als jedes gewöhnliche Tier, aber mit Ballast wie dir kann ich unmöglich diese Distanz überwinden.“ Joey überging den Seitenhieb, denn er erkannte den wahren Grund in dieser Aussage: „Danke“, sagte er darum und lächelte den Wolf an. „Ich weiß zu schätzen, dass du bei mir bleibst.“ „Bilde dir nichts ein, Mensch“, knurrte Bakura und wandte sich ab. „Ich tue das nur, weil Marik mir sonst den Kopf abreißen würde.“ „Ich verstehe.“ Joey grinste. Wenn es um Marik ging, war Bakura trotz seiner bissigen Kommentare zahm wie ein Hund. Der Prinz folgte Bakura und sie betraten die Höhle. Rasch wurde Joey bewusst, dass er sich nur auf Bakuras scharfe Augen, die im Gegensatz zu seinen auch im Dunkeln noch Konturen wahrnehmen konnten, verlassen musste. Joey empfand es als schrecklich unfair und entwürdigend, sich an Bakura festhalten zu müssen, um nicht gegen die Wände der Höhle zu laufen oder den Wolf zu verlieren. „Wir bewegen uns nach oben und es gibt noch einen anderen Ausgang“, sagte Bakura schließlich nach, wie es Joey vorkam, einer Ewigkeit. „Ich wittere frische Luft, außerdem wird es langsam wärmer.“ Nichts davon war Joey aufgefallen. Eine Weile gingen sie weiter und Joey kämpfte damit, nicht über Steine auf seinem Weg zu stolpern und das Gefühl der Hilflosigkeit zurückzudrängen, das in ihm aufkam, je länger sie in der Höhle waren. Hinter ihnen schabte etwas über Gestein. Unvermittelt blieb der Wolf stehen und sein Körper spannte sich an. „Jemand ist hier“, sagte er leise und Joey erstarrte. Dann sprang ihn etwas von hinten an und er schrie auf. In seiner Panik schlug er nach dem Unbekannten und registrierte erst nach einigen Sekunden, dass Bakura lachte. Der Wolf hatte die Nerven, zu lachen! „Hilf mir gefälligst!“, befahr der Prinz und versuchte, das Wesen zu packen, dass über seine Beine sprang und schließlich auf seiner Brust landete. „Tu etwas!“ „Du kämpfst gegen ein verirrtes Wiesel, oh furchtloser Prinz“, spöttelte der Wolf und Joey wäre ihm am liebsten an die Kehle gegangen. Ein bedrohliches Knurren des Wolfes schlug das Wiesel (wenn es denn tatsächlich eins war) in die Flucht und ließ einen schwer atmenden und nach Luft ringenden Prinzen zurück. „Idiot“, schimpfte er und strafte den Wolf für den Rest ihres Weges durch die Höhle mit Schweigen. Als sie schließlich wieder das Tageslicht erreichten, hatten Joeys Augen sich so an die Dunkelheit gewöhnt, dass er im ersten Moment nichts sah. Dann verschärfte sich seine Sicht und es verschlug den Prinzen förmlich die Sprache. Vor ihnen ragte ein in den Berg geschlagenes Schloss in die Höhe. Das einzige, was sie von dem Schloss trennte war eine alte und höchstwahrscheinlich morsche Hängebrücke. Nie im Leben würde Joey auch nur einen Fuß auf das Gestell setzen. Er warf Bakura einen vielsagenden Blick zu. Der Wolf sträubte sich, doch Joey ließ so lange nicht locker, bis Bakura knurrend einwilligte und den Menschen auf seinen Rücken steigen ließ. Dann nahm er Anlauf, spannte die Muskeln und sprang über den Abgrund. Joey stufte dieses Erlebnis als mindestens so traumatisierend ein, wie das Überqueren der Brücke gewesen wäre. Nie hatte er mehr um sein Leben gebangt als in dem Moment, in dem er auf dem Rücken eines zwielichtigen Wolfes über einen schwarzen Abgrund flog. Mit zitternden Beinen stieg er von Bakuras Rücken und ignorierte den hämischen Kommentar, konzentrierte sich stattdessen auf das Schloss. Es musste das Schloss sein, das er gesucht hatte. Es konnte kein anderes sein. Er war an seinem Ziel. Er warf einen Blick über die Schulter. „Vielleicht sind die anderen ja auch schon hier.“ Bakura wirkte skeptisch und auch Joey wollte seinen Worten nicht ganz glauben, doch er hegte die Hoffnung, die anderen hätten es vor ihnen geschafft und würden hinter dem Portal auf sie warten. Gemeinsam schoben sie die Portaltür auf, die ins Schloss führte und dicht gefolgt von Bakura betrat Joey das Schloss. Er fand sich in einer steinernen Eingangshalle wieder, die der seines Zuhause sehr nahe kam, mit dem einzigen Unterschied, dass alles in dem Schloss von einem dunklen Grau war – der gleichen Farbe wie der Berg, dem das Schloss entsprungen war. Sonnenlicht schien durch die Fester, erhellte das Gestein jedoch nur wenig und spendete lediglich gedämmtes Licht. Das Schloss war heruntergekommen, die roten Teppiche auf dem Boden verstaubt, die Kerzenleuchter und Fackelhalter matt und voller Spinnenweben. Joey durchschritt die Halle und folgte den Treppen mit den Augen in die erste Etage, wo er die weitere Aufteilung aus den Augen verlor. Der Prinz ließ die Halle hinter sich und betrat den Raum, der dem Portal gegenüber lag. Es war ein Festsaal mit einem langen Tisch für Bankette in der Mitte. Die Portraits an der Wand waren mit der Zeit blasser geworden und ließen nur noch mühsam auf die Personen schließen, welche sie abbildeten. Joey sah sich aufmerksam um und kam zu einem logischen Schluss: „Hier lebt niemand.“ Er drehte sich zu Bakura um, nur um festzustellen, dass er alleine war. „Bakura?“ Er erhielt keine Antwort. Auch als er in die erste Halle zurückkehrte fehlte jede Spur von dem Wolf. „Bakura?“, wiederholte er und erklomm die Treppe, auf der Suche nach dem Wolf. In der ersten Etage waren Privatgemächer an langen Korridoren eines Flügels nebeneinander aufgereiht. Joey entschied sich für den Westflügel. „Bakura, das ist nicht witzig.“ Der Prinz wurde zunehmend ungeduldiger. Schließlich erreichte er das Ende des Korridors und stand vor einer weiteren verschlossenen Tür. Er öffnete sie und fand sich in einer alten Bibliothek wieder. „Wow“, entfuhr es ihm, während er eintrat und er sah sich fasziniert um. Meterhohe Regale säumten die Wände und es gab nicht nur eine, sondern gleich drei Ebenen innerhalb der Bibliothek, sodass der Raum mindestens so hoch war wie die Eingangshalle. Am Ende des Raumes führten große Flügeltüren auf einen weiten Balkon. Joey trat an eines der Bücherregale und zog wahllos ein Buch aus der Reihe. Es war so alt, dass er die Schrift nicht verstand, denn sie stammte aus einer anderen Ära. Voller Ehrfurcht blätterte er durch den Band und zuckte zusammen, als sich ein kleineres Blatt aus dem Buch löste und zu Boden segelte. Rasch bückte er sich danach. Noch bevor er sich aufrichtete, merkte er, dass sich etwas geändert hatte. Viel langsamer als er es unter gewöhnlichen Umständen getan hätte, richtete er sich wieder auf. Ein Schauer lief über seinen Rücken. „Was tust du hier?“, fragte eine unbekannte und zweifellos männliche Stimme. Joey spürte die Präsenz der anderen Person dicht hinter such und seine freie Hand wanderte langsam zu dem Schwert an seinem Gürtel. „Versuch es gar nicht erst.“ Der Tonfall war eine spur dunkler geworden, was der Stimme einen drohenden Unterton verlieh. „Eine falsche Bewegung und es wird deine Letzte sein.“ Joey hatte in den vergangenen Wochen so viele Dinge erlebt und hatte so viele gefährliche Situationen durchgestanden, dass er nicht mehr mit der anfänglichen Panik auf derartige Worte reagierte. Mit scheinbarer Gelassenheit straffte er seine Haltung und ließ die Hand, die nach dem Schwert hatte greifen wollen, sinken. Als jedoch kalter Atem von oben seinen Nacken streifte, geriet seine Ruhe ins Wanken. Er drehte sich langsam um. Das Buch entglitt seinen kraftlosen Fingern und landete mit den Seiten voran auf dem Boden. Joey fand sich Angesicht zu Angesicht mit einem schneeweißen Drachen wieder. Einem mindestens sechs Meter hohen Drachen. Er war im richtigen Schloss. Es bestand kein Zweifel daran, dass er das richtige Schloss gefunden hatte. Nur wusste er in diesem Moment absolut nicht mehr, warum er überhaupt hierher gekommen war. Alle Gedanken schienen wie ausgelöscht, alles, was er tun konnte, war starren. Der Drache hatte sich zu ihm heruntergebeugt, sodass sein Kopf auf Joeys Augenhöhe war. Der Blick des Wesens war durchdringend, Joey fühlte sich, als würde man ihm bis ins tiefste Innere seiner Seele blicken, was an dem klaren Saphirblau der Augen liegen konnte. Der Drache betrachtete ihn argwöhnisch. „Es scheint, als wäre ich einem langsamen Exemplar von einem Menschen begegnet.“ Joey öffnete den Mund, doch kein Laut entwich seiner Kehle. Der Blick des Drachens verfinsterte sich. „Ich habe dich gefragt, was du hier tust, Mensch“, wiederholte er seine Frage und obwohl Joey den gefährlichen Klang der Stimme genau hörte, konnte er nicht antworten. Seine Stimme versagte ihm den Dienst. „Ich stelle dir die Frage zum letzten Mal“, knurrte der Drache und spreizte leicht die Flügel, was ihn nur noch bedrohlicher wirken ließ. „Was tust –“ „Du sprichst!“, stieß Joey hervor, als seine Stimme ihm endlich – endlich! – wieder gehorchte. Der Drache verstummte und Joey hatte den Eindruck, die Mimik des Wesen veränderte sich auf die gleiche Art, wie bei einem Menschen, der die Augenbrauen hob. „Ein besonders langsames Exemplar, in der Tat“, sagte er schließlich mehr zu sich selbst als zu Joey. Diese Worte weckten den Prinzen aus seiner Paralyse. „Du bist ein Drache!“ „Du bewegst dich in deinen Erkenntnissen rückwärts, Mensch“, klärte ihn der Drache mit deutlicher Ungeduld auf. „Ich bin ein Drache. Ich spreche. Ich kann fliegen. Und ich frage dich, was du hier tust.“ In diesem Moment erinnerte sich Joey an seine Mission. Seine Hand schloss sich um den Griff des Schwertes und er zog es aus der Scheide, umgriff es mit beiden Händen und stellte sich in Kampfposition. „Ich bin hier, um dich zu erlegen.“ Der Drache grinste ihn tatsächlich höhnisch an, zeigte dabei eine Reihe scharfer Zähne. „Mich erlegen?“, wiederholte er und ein befremdlicher Laut, der beinahe wie ein Lachen klang, drang aus den Tiefen seiner Kehle, ließ Joeys erzittern. Das war das grausame Lachen eines Wesens, das bereits Menschen getötet hatte. „Du willst mich erlegen?“ Das amüsierte Funkeln in den Augen des Drachen wich kalter Berechnung. „Versuch es, Mensch.“ Und der junge Prinz, der sich in den letzten Tagen immer wieder die Worte seines Vaters, die Erwartungen, die an ihn gestellt wurden und die Geschichten über tapfere Helden aus seiner Kindheit in Erinnerung gerufen hatte, griff den Drachen an. Obwohl er wusste, dass er keine Chance hatte. Sein Angriff war der größte Vorteil, den er sich in dieser Situation sichern konnte. Der Drache, zu sehr von der offensichtlichen Waghalsigkeit des Menschen überrascht war, reagierte einen Moment später als gewöhnlich und dieser Moment reichte Joey, um mit dem Schwert auszuholen und es - mit dem Drachen als sein Ziel - niederfahren zu lassen. Die Klinge des Schwertes zerbrach bei dem Aufprall von Metall auf Schuppen. Joey hatte keine Möglichkeit, schockiert auf sein zerstörtes Schwert zu starren, da musste er bereits der Klaue des Drachen ausweichen, die nach ihm schlug. Er erkannte schnell, dass seine einzige Möglichkeit, von dem Drachen nicht auf der Stelle zertreten oder erschlagen zu werden, im direkten Nahkampf lag. So griff er, nachdem er sich unter einem weiteren Hieb mit der Klaue weggeduckt hatte, nach dem Arm des Drachen und hielt sich mit aller Kraft daran fest. Die Bewegung des Schlages half ihm, sich auf den Arm zu schwingen und mit einem Satz den Hals des Drachen zu erreichen. Jedoch war der Hals des Tieres so lang, dass der Drache trotz allem nach ihm schnappen konnte und Joey nur mit viel Glück seinen rechten Arm behalten konnte. Der Drache knurrte und fauchte und Joey wäre von einem Hieb, der seine Schulter streifte, beinahe auf den Boden geschleudert worden, hätten die Flügel des Drachen nicht seine Bewegung gestoppt. Seine Schulter schrie vor Schmerzen und Joey hatte kaum Zeit zu reagieren, da schnellte der Kopf des Drachen zu ihm herum und die blauen Augen fixierten ihn tödlich. Der Prinz reagierte geistesgegenwärtig und tat das einzige, was ihm in seiner Lage noch geblieben war: Er trat zu. Der Zufall wollte es, dass er den Drachen dicht unterhalb seines linken Auges und damit an einem der wenigen ungeschützten Bereiche des Drachenkörpers traf. Ein Ruck ging durch den Körper des Drachen und mit einem wütenden Grollen stolperte das Wesen zurück. Joey verlor den Halt und landete auf einem Tisch, der trotz ihres Kampfes noch ganz geblieben war. Bei seinem Aufprall gab der Tisch nach und Joey brach sich nur deshalb nicht das Rückgrad, weil der Tisch den Großteil der Wucht abgefangen hatte. Trotz allem schossen Schmerzwellen durch seinen Körper, während er stöhnend zur Seite blickte. Mit einem Poltern, begleitet von dem Bersten von Holz und einem Regen von Büchern begrub der Drache eines der Bücherregale unter sich und wirbelte Staubwolken auf. Hustend und nach Luft schnappend rappelte Joey sich auf. Der Drache rührte sich, auch er löste sich langsam aus den Trümmern und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Menschen. Joey wich zurück. „Äh ... Waffenstillstand?“, fragte er hoffnungsvoll. Der Drache knurrte. „Du hast mich zuerst angegriffen, Mensch.“ Ein animalisches Funkeln trat in seine Augen. „Für diese Dummheit wirst du dein Leben lassen.“ Joey erschauderte und folgte dem ersten Reflex. Er sprang auf – ignorierte die Schmerzen – und rannte um sein Leben. Der Drache war direkt hinter ihm, gleich würde er ihn haben, er spürte seinen Atem ... nicht. Der Prinz blieb stehen und drehte sich um. Der Drache war ihm nicht gefolgt. Er hatte sich aus den Trümmern, die einst ein Bücherregal gewesen waren, erhoben, doch machte er keine Anstalten, Joey zu verfolgen. Etwas stimmte nicht. Joey machte einen Schritt auf das Wesen zu. Der Drache hatte seine vordere Klaue angehoben und betrachtete ihre Innenfläche. Als Joey einen weiteren Schritt auf den Drachen zumachte und die Augen konzentriert verengte, sah er den Grund: Ein Splitter. Genauer gesagt ein Stück Holz von der Größe einer menschlichen Hand. Der Drache führte die Klaue zu seinem Maul und versuchte, den Splitter mit den Zähnen zu entfernen, nachdem seine andere Klaue sich als zu groß für den Splitter erwiesen hatte. Erfolglos. Der Drache gab einen wütenden Laut von sich und versuchte es erneut. Je länger der Prinz den Drachen betrachtete, desto mehr bereute er sein unbedachtes Handeln. Die Schuppen des Drachen waren einerseits von einem unnatürlichen Weiß, doch unter den wenigen Strahlen der Sonne, die durch die hohen Fenster fielen, schimmerten sie gleichsam eisblau. Joey trat unbewusst einen weiteren Schritt näher, von der Erscheinung des Drachen mehr und mehr in seinen Bann gezogen. Er hatte versucht, den Drachen zu töten. Wie hatte er so dumm sein können? Ein so .... außergewöhnliches Geschöpf einfach töten zu wollen. Der Drache hatte ihn nicht von sich aus angegriffen, er hatte lediglich auf Joeys Gewalt mit der entsprechenden Menge reagiert. Joey hatte den Drachen provoziert und wenn er ihm auf seine eigentliche Frage geantwortet hätte, hätte der Drache auch nicht versucht ihn zu töten. Zumindest nicht sofort. Joey stellte wieder einmal fest, dass Tristan Recht behalten hatte: Er handelte viel zu unüberlegt, viel zu sehr aus dem Bauch heraus und vor allen Dingen viel zu überstürzt. Das führte zu Situationen wie dieser. Er räusperte sich. „Ich kann dir helfen.“ Der Blick des Drachen richtete sich auf ihn. Joey fragte sich, ob er für einen Moment vergessen hatte, dass er noch im Raum war oder ob er beschlossen hatte, Joey später zu holen. Der Drache verengte die Augen. „Was tust du noch hier?“ „Ich kann dir helfen“, wiederholte Joey seine Worte und hob zur Demonstration des gemeinten seine Hände. „Ich kann den Splitter entfernen.“ „Ich brauche deine Hilfe nicht, Mensch“, fauchte der Drache und ignorierte Joey, nahm stattdessen wieder den Versuch auf, den Splitter mit den Zähnen zu entfernen. Mit wenigen Schritten stand Joey unmittelbar vor dem Drachen. Alle Warnungen seines Verstandes ignorierend legte er eine Hand auf den beschuppten Arm vor sich Der Schwanz des Drachen Schlug krachend neben Joey auf dem Boden. Der Prinz zuckte nicht einmal. „Lass mich dir helfen.“ Es war einer dieser Momente, in denen man trotz der Gefahr, in der man sich befand, mit einem Mal vollkommen klar denken konnte und instinktiv wusste, was man tun musste. „Warum sollte ich dich lassen?“, zischte der Drache, den Kopf nur wenige Zentimeter von Joey entfernt. Joey stand Auge um Auge dem Wesen gegenüber, das vor wenigen Minuten noch mit tödlichen Hieben nach ihm geschlagen hatte. „Du hast mich angegriffen.“ Joey erwiderte den Blick des Drachen fest. „Dafür entschuldige ich mich. Es war in keinster Weise gerechtfertigt, deine Verhandlungsversuche so respektlos zunichte zu machen.“ Der Drache wirkte tatsächlich überrascht. „Aus diesem Grund möchte ich dir helfen. Als Wiedergutmachung.“ Joey versuchte zu lächeln, obwohl er wusste, dass es ihm misslang. Misstrauen lag im Blick des Drachen. „Nenne mir einen Grund, warum ich dir trauen sollte“, fragte er feindselig. „Den gibt es nicht.“ Joey verstärkte den Druck seiner Hand auf den Arm des Drachen und wusste aus irgendeinem Grund, dass dieser es trotz der Schuppen spüren konnte. „Du sollst mich nur lassen. Ich habe keine Waffen und ich bin kein Magier, wie du sicher bemerkt hast. Ich kann dir nicht gefährlich werden.“ Der Drache schien seine Aussage abzuwägen und schließlich beruhigte sich sein peitschender Schwanz und er legte die Flügel an. „Nun gut, Mensch, ich stimme dir zu.“ Joey entspannte sich merklich. „Aber sei gewarnt: Eine falsche Bewegung und du bist Geschichte.“ „Das ist mir klar.“ Der Drache streckte seine Klaue mit nach oben zeigender Innenfläche aus und Joey betrachtete die Wunde. Der Splitter saß tief, doch als er ihn prüfend umfasste stellte er zu seiner Zufriedenheit fest, dass er nicht zu tief saß und Joey noch gut mit einer Hand nach dem Stück Holz greifen konnte. Er hob den Blick und sah den Drachen an, der ihn keinen Moment aus den Augen ließ. „Das wird jetzt etwas wehtun.“ Das Wesen schnaubte abfällig und erwiderte Joeys Blick provozierend. „Wohl eher nicht.“ Joey zuckte die Schultern, umschloss den Splitter und zog ihn in einer schnellen Bewegung aus der Klaue. Auch Drachenblut war rot ... oOo „Mein Name ist Joey.“ Er erhielt keine Antwort. „Ich komme aus dem Königreich des Ostens.“ Nicht einmal ein Blick, der ihn streifte. „Ich bin ein Prinz.“ Nichts. „Sind alle Drachen so stur?“ Ein kurzes Zucken über dem Auge. Treffer. „Sie mich an, wenn ich mit dir rede!“ Der Kopf des Tieres fuhr zu ihm herum. „Hab ich dich gebeten, mich mit deiner Anwesenheit zu strafen?“ Joey verschränkte die Arme. „Du hast mich ignoriert. Ich habe dir mit dem Splitter geholfen, da kann ich doch erwarten, dass du mir Beachtung schenkst.“ Die Miene des Drachen blieb versteinert. „Du hast mich mit deinem Schwert angegriffen und auch wenn von vornherein klar war, dass dieser Versuch ohne sichtbaren Erfolg bleiben würde, so hast du doch vorgehabt, mich zu töten. Erwarte also keine übermäßige Gastfreundschaft von mir.“ „Ich habe mich doch schon dafür entschuldigt.“ „Aber natürlich.“ Der Drache verdrehte die Augen. „Wie unhöflich von mir. Ich verzeihe dir vollauf.“ „Wirklich?“ „Nein.“ „Ach komm schon.“ Der Schwanz des Drachen verfehlte ihn nur um Haaresbreite. Der Prinz zuckte zusammen. „Du bist hier eingedrungen, hast mich angegriffen und strapazierst meine Geduld“, sagte der Drache und breitete die Flügel aus. Im Angesicht der beeindruckenden Spannweite musste Joey schwer schlucken. „Du bist hier nicht willkommen, Mensch. Verlasse umgehend dieses Schloss oder ich werde nicht so nachsichtig sein und dich eigenhändig entfernen.“ Er senkte angriffslustig den Kopf. „Wenn es sein muss, auch in Stücken.“ „Nein.“ „Wie war das?“ Joey wusste nicht genau, woher er den plötzlichen Mut nahm, aber er hatte keine Angst vor dem Drachen. „Nein“, wiederholte er und verschränkte die Arme. „Ich verlasse das Schloss nicht.“ Der Drache schnaubte. „Du missverstehst etwas. Ich habe dir nicht die Wahl gelassen. Du wirst das Schloss so oder so verlassen. Nur etwas weniger lebendig, wenn du nicht von dir aus umdrehst und gehst.“ Die Krallen des Drachen kratzten über den Boden, als er auf Joey zukam. Der Prinz wich keinen Meter zurück, blickte dem Drachen voller Sturheit entgegen. „Wir sind quitt. Ich habe dir geholfen und meine Schuld beglichen. Du hast keinen Grund, mir etwas anzutun.“ „Du wolltest mich töten, Mensch. Als Gegenleistung hast du mir einen Splitter entfernt. Wenn du das als angemessene Gegenleistung siehst, dann hinkt deine Urteilskraft.“ „Du wirst mir nichts antun.“ Der Drache bleckte die Zähne. „Lass es ruhig drauf ankommen.“ Er stand nun unmittelbar vor Joey. Der Prinz spürte den kalten Atem des Drachen auf seinem Gesicht. „Das werde ich.“ Der Drache verlor merklich die Geduld. Er gab einen gereizten Laut von sich. „Fehlt dir jeglicher Überlebenswillen? Ich bin viermal so groß wie du, meine Klauen können dich mühelos zerdrücken.“ Er beugte sich vor, sein Kopf war nun auf einer Höhe mit Joeys. „Was stimmt mit dir nicht?“ „Mit mir ist alles in bester Ordnung.“ Joey spürte ein unwohles Gefühl, als er Auge um Auge dem Drachen gegenüberstand. Er hatte vor dem heutigen Tag noch nie einen echten Drachen gesehen, geschweige denn vor ihm gestanden. Das war erschreckend. Und ebenso faszinierend. „Dann geh.“ „Nein.“ Schneller, als er hätte reagieren können, hatte der Schwanz des Drachen sich um ihn geschlungen. Joey wollte die Arme hochreißen, doch der Druck des Griffs machte ihn bewegungsunfähig. „Dann werde ich dafür sorgen, dass du gehst.“ Joey spürte mit wachsender Beklemmung, wie er den Boden unter den Füßen verlor, angehoben wurde, und sich gemeinsam mit dem Drachen den Flügeltüren näherte. Sie waren breit genug für den Drachen und nun erkannte der Prinz, wie das Wesen überhaupt in die Bibliothek hatte kommen können. Dann standen sie im Tageslicht – vielmehr hing Joey im Tageslicht, nicht in der Lage, sich zu bewegen. Und nicht nur im Tageslicht. Über der Brüstung des Balkons. „Was soll das?!“, fuhr er den Drachen an und musste seinen Kopf so sehr verrenken, um den Drachen entsetzt anstarren zu können, dass er sich sicher war, sein Blick würde die gewünschte Wirkung verfehlen. Was er auch tat. Der Drache feixte. „Wonach sieht es aus?“ „Was immer es werden soll, lass es!“ „Du befindest dich in keiner Position“, zur Verdeutlichung seiner Worte ließ der Drache Joey hin und herschaukeln, ohne dass der Prinz etwas dagegen tun konnte, „um Forderungen zu stellen.“ „Las mich los!“ „Ganz wie du willst.“ Und mit einem entsetzten Aufschrei spürte Joey, wie der Drache den Griff lockerte und ihn fallen ließ. „So habe ich das nicht gemeint!“, schrie Joey den Drachen an, während der Wind ihm in den Ohren rauschte und das Wesen über der Brüstung mit zunehmender Geschwindigkeit immer kleiner wurde. Wenn der Prinz es nicht besser gewusst hätte, hätte er geschworen, den Drachen winken zu sehen. Kapitel 4: ... der dem Drachen unterlag ... ------------------------------------------- Prinz Joey hatte sich das Ende seiner Reise auf viele Arten vorgestellt. Aber seinen eigenen Fall in die bodenlose Tiefe der Schlucht hatte er in seiner Vorstellung nicht gesehen. Ganz und gar nicht. „Ich bin ein Prinz!“, schrie er im Fallen, in der Hoffnung, seine Worte würde den Drachen irgendwie doch noch beeindrucken und ihn dazu bewegen, ihn aufzufangen. Jedoch war der Drache bereits so weit aus seinem Sichtfeld verschwunden, dass er selbst in seiner Panik daran zweifelte, von ihm gerettet zu werden. So hatte er sich sein Ende nicht vorgestellt! Sein Fall verlangsamte sich unvermittelt. „Ich hab dich, Joey!“ „Yugi!“ In der Gestalt des Falken hatte Yugi die Krallen in Joeys Kragen geschlagen und seinen Fall gedrosselt. Ihn sofort stoppen zu wollen hätte Yugi nur mit ihm gerissen. Somit wurde Joey immer langsamer, bis der Punkt erreicht war, an dem der Fall endete und sie sich langsam aber stetig nach oben bewegten. „Yugi“, Joey standen Tränen der Erleichterung in den Augen. „Danke, Yugi. Danke! Du hast mir das Leben gerettet.“ „Dank mir nicht zu früh“, erwiderte Yugi und Joey bemerkte, wie sehr es den Magier anstrengte, zu reden. „Du bist kein Fliegengewicht.“ Der Prinz verfluchte sich für das Frühstück, dass er heute zu sich genommen hatte. Und dafür, dass er Yugi keine größere Hilfe sein konnte. Je mehr Minuten verstrichen, desto ernüchternder wurde die Situation. Yugi konnte ihn unmöglich den ganzen Weg nach oben bringen, dafür war er nicht groß genug und seine Kräfte neigten sich dem Ende. Joey resignierte. „Yugi, lass mich einfach –“ „Ich werde nicht fallen lassen!“ „Nein. Bring mich zur Felswand. Ich werde versuchen, hochzuklettern.“ Yugi wollte protestieren, doch in dem Moment sackten sie ein Stück hinab. Yugis Kraft versiegte. Auch er erkannte, dass es Joey einzige Möglichkeit war. „Es tut mir Leid, Joey.“ Als er nahe genug, an der Felswand der Schlucht war, suchte Joey mit den Händen und den Füßen nach Halt. „Das muss es nicht.“ Er lächelte über seine Schulter und versuchte so zuversichtlich wie möglich auszusehen. „Du hast mich vor einem unangenehmen Aufprall bewahrt. Dafür bin ich dir mehr als dankbar.“ Yugi setzte sich auf einen Felsvorsprung, ein Stück neben Joey. Er atmete schwer. „Ich werde bei dir bleiben, für den Fall das du abrutscht.“ „Danke. Komm erstmal wieder zu Luft.“ Joey begann vorsichtig seinen Aufstieg. Er war noch nie eine Felswand hinaufgeklettert – schon gar nicht mit einem schwarzen Abgrund unter sich. Er merkte schnell, dass er es ausblenden musste, um überhaupt voran zu kommen. Nur langsam kam er voran. Der einzige Trost war Yugis Anwesenheit und seine ermunternden Worte. Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war und wie wenige Meter er hinter sich gebracht hatte, als in dem Licht des Himmels weit über ihm auf einmal ein Schatten auftauchte. Ein Schatten, der schnell näher kam. Joey verspannte sich. Der Drache! „Yugi, versteck dich!“ „Was?“ Yugi hatte die Gestalt auch bemerkt und war in Kampfhaltung gegangen. „Gegen den kommst du nicht an, das ist ein –“ „Hallo, Mensch.“ „Drache“, atmete Joey leise aus. Das Wesen war unmittelbar vor ihm in der Luft. Mächtige Flügelschwingen hielten den Drachen auf der gleichen Höhe wie Joey. „Du bist hartnäckig. Ich hatte mich gewundert, deine Stimme noch hören zu können, aber jetzt sehe ich den Grund.“ „Du konntest mich hören? Auf die Distanz?“ „Meine Sinne sind nicht die eines Menschen.“ Es kostete Joey Überwindung, aber schließlich drehte er dem Drachen den Rücke wieder zu und setzte seinen Aufstieg fort. „Du hattest deine Rache. Du hast mich fallen lassen. Jetzt sind wir quitt.“ „Das bezweifle ich, Mensch.“ Joey sah über seine Schulter und funkelte den Drachen wütend an. „Wir sind mehr als quitt“, fauchte er. „Ich habe dich mit dem Schwert angegriffen und es ist zerbrochen. Du hast mich fallen gelassen und ich bekam Hilfe. Keiner von uns hat den anderen verletzt. Das sieht mir sehr nach quitt aus, Drache.“ Seine Hand tastete nach dem nächsten Felsvorsprung, doch er griff ins Leere. Wie auf ein Stichwort gab der Felsbrocken, auf dem er mit einem Fuß gestanden hatte, seine Funktion auf und brach ab. „Wa-“, versuchte der Prinz zu sagen, spürte jedoch, ohne dass er seine Frage beenden konnte, wie er wieder fiel. Yugi gab einen überraschten Laut von sich und wollte Joey bereits hinterher stürzen, doch der Schwanz des Drachen hatte sich um Joeys Bein geschlungen und einen tieferen Fall verhindert. Der Drache hob den Prinzen auf Augehöhe. Joeys Atem ging schnell und schwer, doch seine Lippen waren zu einem Grinsen verzogen. „Bin ich also doch zu dir durchgedrungen, dickköpfiger Drache?“ Das Wesen erwiderte die Mimik mit etwas, das einem wütenden Lächeln gleichkam. „So ungern ich es auch zugebe, Mensch, deine Argumentation ist stimmig.“ „Hat ja lange genug gedauert, bis du es gemerkt hast.“ „Vergiss nicht, in welcher Lage du dich befindest“, rief ihm der Drache genervt in Erinnerung. Der Prinz zeigte sich davon unbeeindruckt. „Wenn du mich jetzt fallen läst“, bemerkte er ernst, „dann stehst du in meiner Schuld.“ „Bloß, dass es dir nicht viel bringen wird, wenn ich dich erst fallen lasse.“ Joeys Lächeln verblasste. „Auch wieder wahr.“ Der Drache schüttelte den Kopf. „Du bist ein seltsames Exemplar, Mensch.“ Mit diesen Worten gewannen die Flügelschläge an Stärke und der gewaltige Drachenkörper begann zu steigen. Joey registrierte das alles mit einem Schaudern. Die Kraft, die diesen Körper in der Luft hielt, musste enorm sein. Das Licht über ihm wurde zunehmend größer und schließlich ließen sie die Schlucht hinter sich. Tageslicht blendete Joey und nie hatte er sich mehr gefreut, die Sonne zu sehen. Selbst der Umstand, dass er wie ein Sack Reis unter dem Drachen hin und her baumelte störte ihn nicht, denn er wusste, dass das Wesen ihn nicht fallen lassen würde. Sie umkreisten den höchsten Turm des Schlosses, dann setzte der Drache zur Landung an. Noch etwas mehr als einen Meter vom Boden entfernt, ließ er den Prinzen fallen. Mit einem erstickten Aufschrei machte Joey unsanfte Bekanntschaft mit dem Boden. Fluchend rappelte er sich auf. „Das wäre auch sanfter gegangen.“ Der Drache landete ohne die geringste Erschütterung des Bodens, obwohl er über sechs Meter groß war. „Das stimmt, aber sei lieber froh, dass du noch lebst.“ Obwohl Joey viele angemessene Erwiderungen auf der Zunge lagen, musste er zugeben, dass der Drache Recht hatte. Yugi war neben ihm gelandet und hatte wieder seine Menschengestalt angenommen. Joey zog den Jungen an sich. „Danke, Yugi.“ Yugi erwiderte die Umarmung. „Das machen Freunde, Joey. Du hättest dasselbe für mich getan.“ „Na ja, ohne das Verwandeln und Fliegen“, bemerkte Joey mit einem Lächeln. „Aber so in der Art schon.“ „Joey, Yugi!“ Sie standen vor dem Schloss und die Flügeltüren ins Innere waren geöffnet. Tristan, Duke, Marik und Bakura eilten auf sie zu. Tristans erleichterter Ausdruck wich blankem Entsetzen, als er den Drachen erblickte. „Pass auf, Joey, hinter dir!“ Joey folgte seinem Blick, dann winkte er ab. „Beruhige dich Tristan, er wird uns nichts tun. Wirst du nicht, oder?“, richtete er sich direkt an den Drachen, dessen Ausdruck sich angesichts der nahenden Gesellschaft zunehmend verdüstert hatte. „Ich wäge die Optionen ab. Momentan steht alles dafür, Mensch.“ Saphirblaue Augen richteten sich auf Joey. Dieser seufzte. „Wir haben nicht vor, dir irgendwas anzutun. Ich habe aus meinem Fehler gelernt, weißt du?“ „Deckung, Joey!“ Jemand packte ihn und riss ihn zu Boden. Schützend baute Tristan sich vor ihm auf, Pfeil und Bogen gezückt und auf den Drachen gerichtet. „Bleib dem Prinzen fern, du Ungeheuer!“ Knurrend stellte Bakura sich neben Tristan, zum Angriff bereit, und auch Marik hielt einen Dolch in der Hand. Joey, der von Duke zu Boden gerissen worden war, versuchte sich aus dem festen Griff des Mannes zu befreien. „Lass mich los, Duke!“ Nur mit viel Kraft schaffte er es und Duke versuchte sofort, ihn wieder zurück zu ziehen. „Tristan, hör auf! Lass ihn, er wird uns nichts tun.“ Der Drache spreizte die Schwingen und stellte sich auf die Hinterbeine. „Ich revidiere meine Aussage, Mensch“, sagte er kalt. „Wir sind nicht mehr quitt.“ Joey stolperte zu Tristan und packte den Bogen, riss ihm seinen Freund aus der Hand. Tristan starrte ihn entsetzt an. „Was ist in dich gefahren? Er wird uns umbringen, wenn wir ihn nicht so schnell wie möglich –“ „Das wird er nicht“, fuhr Joey ihm dazwischen und wusste nicht, woher er die Sicherheit nahm. Der Drache wirkte mehr als nur angriffslustig angesichts der Bedrohung. „Wenn wir ihm nicht drohen, dann greift er uns nicht an.“ „Er hat dich entführt“, warf Bakura dazwischen, das Nackenfell gesträubt. „Und dich durch die Luft gewirbelt, wie einen Stein.“ „Er hatte seine Gründe, aber jetzt haben wir Waffenstillstand.“ Joey trat vor seine Freunde, sodass er zwischen ihnen und dem Drachen stand. „Es sei denn, ihr provoziert ihn.“ „Es stimmt, was Joey sagt“, pflichtete Yugi ihm bei und trat neben ihn. „Ich bin sein Zeuge.“ Nur langsam ließ Marik den Dolch sinken und auch Bakura entspannte sich nicht, gab aber die Kampfhaltung auf. Tristans Blick wanderte skeptisch von dem Drachen zu Joey und wieder zurück. „Bist du dir sicher, Joey? Du weißt, warum wir hierher gekommen sind? Ist dir bewusst, was du sagst?“ Der Prinz nickte. „Das bin ich. Wir greifen ihn nicht an.“ Der Drache schnaubte. „Ihr hättet ohnehin keine Chance. Hör auf das, was dein Prinz sagt“, sagte er spöttisch. „Er spricht“, entfuhr es Tristan, ähnlich wie Joey als er den Drachen zum ersten Mal hatte sprechen hören. „Und er nervt“, fügte Joey mit einem belustigten Blick auf das Wesen hinzu. „Ganz wie ein Mensch.“ „Vergleiche mich nicht mit euch“, knurrte der Drache und ließ sich wieder auf alle Viere hinab, faltete dabei die Flügel. Nun war er nicht mehr ganz so monströs, aber immer noch respekteinflößend. „Ich teile keine Eigenschaft der Menschen.“ „Ach so, dann bist du also nur reptilienhaft nervig, Echse?“ Der Blick des Drachen verfinsterte sich. „Wie hast du mich genannt?“ „Echse.“ Der Kopf des Drachen war nun dicht vor Joeys Gesicht. „Ich an deiner Stelle wäre vorsichtig, Mensch. Nur, weil ich dich jetzt nicht angreife, heißt das nicht, dass ich meine Meinung nicht noch einmal überdenke.“ „Das wirst du nicht.“ „Woher nimmst du die Sicherheit?“ „Ich hab es im Gefühl, Echse.“ Ein Knurren erklang aus den Untriefen des Drachenmauls. „Joey“, mahnte Tristan ihn von hinten, doch der Prinz blieb unbeeindruckt. „Ich höre auf, dich so zu nennen, wenn du mir deinen Namen verrätst.“ Der Drache gab widerwillig nach. „Mein Name ist Seto.“ Joeys Gesichtszüge hellten sich auf. „Seto. Mein Name ist Joey.“ „Das sagtest du bereits, Mensch. Es interessiert mich in keinster Weise.“ „Möchtest du uns nicht rein bitten?“ „Nein.“ „Ach komm schon.“ „Nein.“ „Seto.“ „Habe ich dir erlaubt, mich bei meinem Namen zu nennen?“ „Du hast ihn mir genannt. Das ist mir Erlaubnis genug.“ „Du nervst, Mensch.“ „Dann bitte uns in dein Schloss.“ „Du hast es bereits unerlaubt betreten. Warum legst du jetzt so einen Wert auf meine Einladung?“ „Weil wir jetzt einander vorgestellt wurden.“ Der Drache seufzte tief. „Jemandem wie dir bin ich noch nicht begegnet.“ Duke beugte sich zu Tristan. „Joey redet mit dem Drachen wie mit einem alten Freund.“ Tristan nickte abwesend, konnte dem Gespräch bis jetzt nur mit offenem Mund lauschen. „Was ist in ihn gefahren?“ Yugi lächelte bloß stumm. oOo „Es gibt hier keine Prinzessin.“ Prinz Joey hatte bereits damit gerechnet. Er wusste nicht wieso, aber in dem Moment, in dem der Drache sich ihm offenbart hatte, hatte er diese Vorahnung gehabt. Dass er Seto trotzdem angegriffen hatte, war auf die unvorhergesehene Situation zurückzuführen. Er hatte aus Reflex gehandelt, hatte lediglich das tun können, was er wochenlang immer und immer wieder im Kopf durchgegangen war. Doch jetzt, im Nachhinein, konnte er ehrlich sagen, dass er geahnt hatte, dass es keine Prinzessin gab. Es wäre ja auch zu einfach gewesen ... „Bist du sicher?“, harkte Tristan mit ernster Miene nach. Joey musste bei diesen Worte lächeln. Wenn Tristan nicht gewesen wäre, hätte er die Reise bis heute nicht überstanden. Auch jetzt zeigte sein bester Freund wieder, wie viel ihm an seinem Wohl lag. Die Augen des Drachen richteten sich auf Tristan. Er schien beinahe wieder spöttisch zu lächeln. „Glaube mir, ich wüsste es, wenn ich eine Prinzessin entführt hätte.“ Er schnaubte. „Außerdem wäre es der Mühe nicht wert.“ „Was meinst du damit?“, fragte Joey neugierig. Seto streckte sich. „Glaubst du, es wurde nicht schon getan? Natürlich haben Drachen bereits Menschenfrauen entführt. Nicht immer waren es Prinzessinnen.“ Er sprach das Wort auf eine Art aus, als würde es ihn anwidern. „Doch die Bemühungen sind es nicht wert.“ „Aber wieso?“, fragte nun Duke. „Na weil es sinnlos ist“, gab Seto zurück. „Glaubt ihr, sie lassen das einfach so mit sich machen? Ihr Menschen.“ Er verdrehte die Augen. „Verherrlicht die Geschichten, obwohl es nichts Glorreiches daran gibt. Ein Drache entführt eine Prinzessin und hält sie gefangen, bis ein Ritter kommt, um sie zu retten. Die Mädchen, die von den liebestollen Drachen verschleppt wurden, haben das nicht gemocht. Ganz und gar nicht. Sie waren nicht in der Stimmung, jahrelang ihres Retters zu harren – in der Gesellschaft eines von Liebe verblendeten Drachens. Und sie hatten auch keine Lust, um des Drachens willen in dem Schloss zu bleiben.“ „Ist es denn nie vorgekommen, dass die Liebe eines Drachens erwidert wurde?“ Setos Blick verdüsterte sich. „Nein.“ „Das klingt traurig“, sagte Yugi leise. „Es ist keine Überraschung“, entgegnete Seto kalt. „Die Drachen wurden von ihren Gefühlen übermannt und verschleppen die Menschenfrauen. Sie vergaßen, welchen Eindruck das erweckt und nicht wenige Drachen wurden von Rittern erlegt, die nicht danach gefragt haben, ob sie den Frauen schaden wollten oder nicht. Es hat niemanden interessiert.“ Ihnen entging nicht der bittere Ausdruck in den Augen des Drachen. „Freunde von dir?“, fragte Joey schließlich. Der Ausdruck in den blauen Augen verschwand. „Das ist unwesentlich. Sie waren naiv genug, anzunehmen, ihre Gefühle würden erwidert werden. Sie sind selbst schuld.“ „Du klingst, als würdest du aus Erfahrung sprechen.“ „Verwechsele mich nicht mit einem einfältigen Drachen. Ich bin nicht so dumm, mich einer von vornherein zum Scheitern verurteilten Liebe hinzugeben.“ „Hm.“ Joey lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, die Arme verschränkt. „Das erklärt nicht, wie das Gerücht entstand, in dieser Burg würde sich eine Prinzessin befinden.“ „Das spielt keine Rolle. Hier befindet sich keine Prinzessin. Ihr könnt wieder umkehren.“ „Nicht wirklich“, seufzte der Prinz. „Ohne Prinzessin kann ich nicht zurückkehren.“ „Hier wirst du jedenfalls keine finden, Mensch.“ Seto blickte nach draußen. „Ihr müsst woanders suchen.“ „Das stimmt nicht ganz.“ Alle Blicke richteten sich auf Bakura, der bis dahin geschwiegen hatte. Der Wolf fixierte den Drachen. Seto verengte die Augen. „Was willst du damit sagen?“ „Es hat mich schon die ganze Zeit gestört.“ Bakura bleckte die Zähne. „Aber in der Luft liegt noch ein anderer Geruch. Deinen erkenne ich, Drache, denn er ist unmissverständlich. Aber dieser andere Geruch“, Bakura legte die Ohren an und verzog das Maul, „ist eindeutig menschlich.“ Ein Grollen erfüllte den Raum, als der Drache sich erhob. „Und was willst du damit sagen? Hast du vergessen, dass ihr durch mein Schloss gestreift seid?“ „Der Geruch passt zu keinem von uns. Außerdem traue ich dir nicht, Drache. Woher wissen wir, dass du uns nicht anlügst und in dem höchsten Turm des Schlosses eine Prinzessin gefangen hältst?“ „Ich sagte bereits –“ „Dein Wort ist mir nichts wert. Darum sieht Marik auch gerade nach.“ Erst jetzt bemerkten sie, dass Marik nicht mehr da war. Seto richtete sich zu seiner vollen Größe auf, das Grollen schwoll an. Dann wirbelte er herum und verließ den Raum. Der Boden erbebte unter seinen schnellen Schritten. Joey sprang auf und eilte Seto hinterher. Der Drache hatte die Eingangshalle durchquert und sie durch die Portaltür verlassen. Als Joey ins Freie lief, flog ein Schatten über ihn hinweg. Seto hatte sich in die Lüfte erhoben und steuerte den höchsten Turm des Schlosses an. „Joey, was sollen wir tun?“ Tristan und die anderen waren ihm gefolgt. Joey wirbelte zu Bakura herum. „Warum habt ihr das gemacht?“ „Wir können dem Drachen nicht trauen.“ „Doch, das können wir“, fuhr Joey den Wolf an. Er war aufgebracht. „Jetzt hat er jeden Grund uns zu misstrauen!“ „Das hat er vorher schon getan.“ „Aber jetzt haben wir ihn uns endgültig zum Fein gemacht!“ Der Prinz verspürte den unbändigen Wunsch, den Wolf zu würgen. „Du hast alles ruiniert, Bakura!“ „Krieg dich wieder ein, kleiner Prinz“, knurrte der Wolf. „Zeig mir den Weg“, befahl Joey und seine Stimme duldete keinen Widerspruch. Bakura gehorchte widerwillig und wies ihnen die Richtung. Sie eilten die Treppen hinauf, schlugen die Richtung zum westlichen Flügel des Schlosses ein und stießen schließlich auf eine Wendeltreppe, die den Turm hinaufführte. Joey rannte an Bakura vorbei die Stufen hinauf und nach einer Unendlichkeit – die anderen waren nach und nach zurückgefallen – stand er vor einer schweren Holztür. Sie war angelehnt. Er stieß sie auf. „Marik!“ „Ich habe deine Prinzessin gefunden, Joey.“ Marik lächelte ihn an und deutete auf ein von halbdurchsichtigen Vorhängen umgebenes Bett. „Marik, komm da weg!“ Joey winkte den Mann zu sich, doch als ein Beben den Turm erfasste, wusste er, dass es zu spät war. Staub und kleine Steinbrocken rieselten von der Decke und ein Knacken ging durch das Gebälk des Daches. Ein Brüllen durchbrach die Luft. „Was zum –“ Marik taumelte und Joey klammerte sich an den Türgriff. „Verdammt“, fluchte er. Hinter dem Vorhang bewegte sich eine Gestalt. Ihre Umrisse waren schemenhaft zu erkennen. „Joey, wir müssen sie hier raus bringen!“, rief Marik über den Lärm hinweg und machte Anstalten, die Vorhänge beiseite zu ziehen. Die Scheiben des Raumes barsten. Der Schwanz des Drachen verfehlte Marik, der im letzten Moment zurücksprang, nur knapp. Setos Kopf erschien in einem anderen Fenster, das Maul geöffnet und die messerscharfen Zähne gebleckt. „Tritt zurück, Mensch!“ „Seto“, setzte Joey an, „wir wollten nie –“ „Wir lassen nicht zu, dass du sie hier gegen ihren Willen gefangen hältst“, entgegnete Marik und packte die Vorhänge. Seto schnappte nach ihm, doch Marik war flink genug, auszuweichen. „Wage es nicht“, grollte der Drache und Joey wusste, er hätte Feuer gespiehen, wenn nicht die Gefahr bestanden hätte, das Mädchen zu verletzen. Unbeeindruckt von den Worten riss Marik an den Vorhängen. Flatternd fielen sie zu Boden. Der Drache brüllte. „Fass ihn nicht an!“ „Seto?“ Sämtliche Bewegungen kamen zum Erliegen, als die ängstliche Stimme erklang. Hätte Joey sich nicht am Türrahmen festgehalten, wäre er spätestens jetzt vor Überraschung hinten über gefallen. Auch Marik wirkte, als könnte er sich nur mit Mühe auf den Beinen halten. Hinter den Vorhängen zum Vorschein gekommen war keine Prinzessin. Schritte näherten sich ihnen und Joey wusste, dass die anderen zu ihnen aufgeschlossen hatten. Er hörte, wie sie scharf die Luft einzogen. Der Prinz schloss aufstöhnend die Augen. „Als ob es nicht schon kompliziert genug wäre.“ Es war ein kleiner Junge. Kapitel 5: ... sich mit ihm verbündete ... ------------------------------------------ Prinz Joey wusste nicht, wie ihm geschah. In einem Moment hatte er noch angenommen, der Drache würde seine geliebte Prinzessin beschützen und dann stellte sich plötzlich heraus, dass es kein Mädchen war, sondern ein kleiner Junge. Ein ängstlicher kleiner Junge. „Marik, komm zurück!“, rief er dem Sandelf zu, welcher nicht von dem Bett zurückgewichen war. Seto tobte vor dem Fenster, sein Schwanz peitschte wild durch das Zimmer, zertrümmerte die Einrichtung. Joey blickte über seine Schulter zu der Tür des Zimmers. Tristan und die anderen standen dort, Bakura vorweg. Joey sah das hungrige Glitzern in den Augen des Wolfes, angesichts eines bevorstehenden Kampfes. „Bleibt zurück“, sagte er eindringlich, sah jedoch nur den Wolf an. „Das ist ein Befehl.“ Dann wandte er sich um und tat das wohl Unüberlegteste, jedoch einzig für ihn logische in dieser Situation: Er stürzte sich mitten in das zerstörerische Getümmel. Marik wich den Schwanzhieben des Drachen aus und trat schließlich geschickt näher an das Bett. „W-wer bist du?“, hörte Joey den Jungen fragen, welcher vor dem Sandelf zurückwich, die Decke mit seinen kleinen Händen fest an sich pressend. Joey blickte zum Fenster, vor dem das Drachengesicht schwebte und sah einen mörderischen Ausdruck in den Augen des Wesens auftauchen. Das ganze würde mit Blut enden, wenn sie nicht eine Lösung fanden. „Marik!“, schrie er den Mann vor sich an, packte ihn am Arm und zog ihn zurück. „Geh weg von dem Jungen!“ „Wir müssen ihn hier raus bringen“, erwiderte Marik nicht minder laut über den Lärm hinweg. „Der Drache wird den Turm zum Einsturz bringen, wenn er so weiter macht.“ „Er wird uns töten, wenn wir noch länger bei dem Jungen bleiben!“ Sie duckten sich, als der Schwanz mit einem Brüllen Setos über sie hinwegfegte und einen Schrank zertrümmerte. Holzteile flogen durch die Luft. „Willst du ihn etwa hierlassen?“, fuhr Marik den Prinzen an. „Der Drache hält ihn hier fest! Nur weil er keine Prinzessin ist, muss er dir nicht egal sein!“ Diese Worte trafen Joey wie ein Schlag. Er schüttelte den Kopf und trat einen Schritt zurück. „Das ist überhaupt nicht –“ Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden, weil auf einmal seine Welt erschüttert wurde und er aus seinem Körper gerissen zu werden schien. Alles wurde schwarz. Als die Sicht zu ihm zurückkehrte, lag er inmitten der Trümmern eines Bettpfostens , am anderen Ende des Raumes. Sein Gehör war gedämpft, er nahm alles entfernt wahr. Sein ganzer Körper schmerzte. Der Drache , informierte ihn ein Teil seines kaum noch anwesenden Bewusstseins. Er stand kurz davor, es zu verlieren. Sein unfokussierter Blick richtete sich auf die schemenhafte Gestalt, nur wenige Meter von ihm entfernt. Ein Junge ... Junge ... Etwas in ihm bäumte sich auf. Junge. Es wurde stärker, bis die Erkenntnis schließlich zu ihm durchdrang: Der Junge! Seine Hände tasteten nach dem Untergrund, suchten Halt und langsam richtete er sich auf. Er bewegte sich wie in einem Traum, hockte schließlich am Boden und mobilisierte alle ihm verbliebenen Kräfte, die ihm geblieben waren, um einen Satz zu machen und mit einem dumpfen Geräusch vor dem Bett auf den Boden zu schlagen. Seine Fähigkeit, Distanzen einzuschätzen, war wohl mit dem Treffer des Drachen weggefegt worden. Er lag am Boden und blickte stöhnend nach oben. Er hatte keine Kraft mehr, aufzustehen. Ein Gesicht schob sich in sein Blickfeld. Ohne zu wissen, wieso, streckte er die Hand danach aus. Eine viel kleinere griff nach seiner. Schlagartig kam jede Bewegung im Raum zum Erliegen. Der Drache verstummte. Joey versuchte, seinen Blick zu schärfen, doch alles, was er sah, waren schwarze Haare, die überall zu sein schienen. Das Atmen tat ihm weh. „Mokuba.“ Eine Stimme, nicht die von Marik oder Tristan. Vielleicht Yugis? Nein, Yugi knurrte nicht. Dann musste es Bakura sein ...? „Lass ihn los.“ ... Seto? „Das ist er.“ Wer? „Er ist es, Seto.“ Er verstand nicht ... „Er?! Der Menschenprinz?“ Er gab es auf und sein Griff um die Realität lockerte sich. Er wurde bewusstlos. Ein Schlag gegen den Kopf holte ihn zurück. Er konnte keine Sekunde weggewesen sein. „Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, zu schlafen, Mensch.“ Der Drache. Natürlich. Joey knurrte, hob die freie, viel zu schwere Hand und griff sich an den pochenden Hinterkopf. Der Drache hatte die Frechheit besessen, ihn mit seinem Schwanz zu schlagen! Hatte er denn keinen Respekt vor bewusstlosen Menschen? „Mokuba, was hast du gesehen?“ Mokuba? Joey öffnete die Augen – es fiel ihm leichter als vor wenigen Sekunden. Der Schlag des Drachen schien wirklich etwas ausgerichtet zu haben. Vor ihm auf dem Boden hockte der Junge, Joeys Hand noch immer in seiner. Seine Augen waren Auf Joey gerichtet und etwas in ihnen ließ den Prinzen erschaudern. Das waren nicht die Augen eines Kindes. Es waren die Augen einer Person, die schon zuviel gesehen hatte. „Er ist es, Seto“, sagte der Junge und beugte sich vor, schien Joey mit seinem Blick bis auf die Seele sehen zu können. „Er kann mich retten.“ Joey, der die vergangenen Momente damit zugebracht hatte, seine Stimme wieder unter Kontrolle zu bringen und zu fragen, was bei allen Königen hier vor sich ging, sagte: „Hä?“ oOo „Keine gebrochenen Knochen, aber du wirst einige Prellungen davontragen. Und du hast dir den Kopf angeschlagen, deswegen ist dir schwindelig. Du hast Glück gehabt, dass der Bettpfosten deinen Flug abgebremst hat, sonst wärst du in die Mauer geflogen.“ „Was bin ich ein Glücksprinz“, entgegnete Joey laut. Dabei starrte er den Drachen die ganze Zeit über giftig an. Seto ließ sich davon nicht stören. Joey meinte sogar ein amüsiertes Funkeln in den Augen des Wesens wahrgenommen zu haben. Der Prinz war beleidigt. Er hatte die ganze Zeit versucht, diplomatisch zu bleiben und wie dankte der sture Drache es ihm? Mit einem Schwanzhieb und einem anschließenden Schlag auf den Kopf. „Heißt das jetzt soviel wie Waffenstillstand?“, knurrte Bakura, der sich angesichts der Situation merklich verstimmt gab. Marik saß mit verschränkten Armen auf einem Stuhl am Ende der Tafel, die Augen geschlossen und den Kopf in den Nacken gelegt und schwieg bereits seit mehreren Minuten. „Nicht, wenn du mich fragst“, erwiderten Seto und Joey gleichzeitig. Sie starrten sich böse an. Bakura verdrehte die Augen und streckte sich, bevor er sich hinlegte. „Na dann.“ „Es tut mir leid, Prinz.“ Bei den Worten wurden Joeys Gesichtszüge weicher und seine Miene schuldbewusst. Der Junge – Mokuba – saß, in einige Decken gewickelt, zwischen den Klauen des Drachen. Diese wirkten neben dem Jungen weniger bedrohlich als beschützend. Joey seufzte und gab Yugi mit einem vorsichtigen Nicken – begleitet von einer Welle Kopfschmerzen – zu verstehen, dass er ihn nicht weiter behandeln musste. „Schon gut. Wenn sich jemand entschuldigen muss, dann bin ich es. Und zwar für die Voreile von mir und meinen Freunden.“ Bakura gab einen abfälligen Laut von sich, rührte sich jedoch nicht weiter. Er hatte die Augen geschlossen, doch seine Ohren waren weiterhin wachsam aufgerichtet. Joey überging die Reaktion und fuhr fort: „Wir haben eure Privatsphäre verletzt und dafür entschuldige ich mich. Wenn es etwas gibt, was ich tun kann, um euch dafür zu entschädigen –“ „Joey“, sagte Tristan leise und mahnend. Er saß hinter dem Prinzen. „Handele dir nicht noch unnötige Aufgaben ein.“ Mokubas Gesichtszüge hellten sich auf. „Da gibt es etwas!“ Tristan ließ sich auf seinem Stuhl nach hinten fallen und legte die Hand an die Stirn. „Als hätte ich es nicht gesagt.“ „Mokuba“, mischte sich der Drache in das Gespräch ein, „überfordere den Menschen nicht.“ „Aber Seto, er ist es!“ „Was bin ich?“, fragte Joey. „Es gibt sicherlich noch andere Menschen, die dafür infrage kommen“, beharrte Seto. „Das wissen wir nicht. Seto, mir läuft die Zeit davon.“ Mit einem seltsamen Gefühl beobachtete Joey, wie ein dunkler Ausdruck in den Augen des Drachen erschien. Ein Ausdruck, der gezeichnet war von Schmerz. „Ich weiß.“ Joey räusperte sich. Als Prinz war er es nicht gewöhnt, dass man in seiner Gegenwart von ihm in der dritten Person sprach. „Darf ich erfahren, worum es geht?“ Alles in Setos Blick sprach Nein, darfst du nicht, doch Mokuba nahm ihm die Aufgabe des Antwortens ab. „Wir brauchen Eure Hilfe, Prinz.“ Joey straffte seine Haltung. „Nichts so förmlich. Ich heiße Joey. Und ich sagte bereits, dass ich euch etwas schuldig bin.“ Mokuba lächelte. „Ich bin sehr krank, Joey. Meine Kraft schwindet und bald habe ich keine Kontrolle mehr über meinen Körper.“ Längst hatten sich alle Blicke auf Mokuba gerichtet, selbst der von Bakura. Joey empfand Mitleid, aber auch Bewunderung, weil Mokuba es ihnen so unberührt schilderte, ohne eine Miene zu verziehen. „Wie kann ich dir helfen?“, fragte Joey schließlich ernst. Längst hatte er sich dazu entschlossen, dem Jungen jeden Wunsch zu erfüllen. Einer so starken Persönlichkeit konnte er keine Bitte abschlagen. „Es gibt eine Möglichkeit, ihn zu heilen“, sprach zu Joey Verwunderung nun Seto. „Auf einem Berg, einige Tagesmärsche von hier entfernt, wächst eine Pflanze. Sie kann die Krankheit heilen.“ „Und wozu braucht ihr mich?“ Seto konnte sie doch sicherlich viel schneller erreichen. „Sie ist zu klein“, sagte Seto mit finsterem Blick. „Bitte?“ „Sie ist zu klein für mich. Ich kann sie nicht transportieren, dazu brauche ich die Hände eines Menschen. Und Mokuba kann ich nicht mitnehmen, weil die Reise ihn sein Leben kosten könnte.“ Für Joey wollte das noch immer keinen Sinn ergeben. „Ja aber warum ich? Dazu könntet ihr auch Yugi, Marik oder Tristan mitnehmen.“ „Ich weiß es nicht, Mensch“, knurrte der Drache. „Mokuba hat seit einigen Jahren Visionen von einer Person, die kommt und uns hilft. Und offenbar –“ „Bist du es“, beendete Mokuba den Satz mit einem fröhlichen Lächeln. „Und da sich schon einige meiner Visionen erfüllt haben, glauben wir, dass es nur mit dir funktioniert. Kannst du uns helfen, Joey? Bitte!“ Wie konnte man bettelnden Kinderaugen einen Wunsch abschlagen? Joey hatte ohnehin nicht vorgehabt, abzulehnen. „Natürlich.“ „Vergisst du nicht etwas, Joey?“, meldete sich Marik unvermittelt zu Wort. Es war das erste Mal, seit sie den Turm hinter sich gelassen hatten, dass er sprach. Seine Augen waren auf den Prinzen gerichtet. „Deine Aufgabe? Der eigentliche Grund, weswegen du hergekommen bist.“ Joey seufzte. „Glaubst du wirklich, ich würde nach alldem noch den Wunsch verspüren, einen Drachen zu erlegen und eine Prinzessin zu suchen? Na ja, eine Prinzessin kann ich mir immer noch suchen, wenn wir Mokuba geholfen haben.“ Ganz so optimistisch war er eigentlich nicht mehr. Immerhin waren Prinzessinnen so leicht nun auch wieder nicht zu finden ... Damit müsste er sich später befassen. Marik zuckte die Schultern. „Deine Entscheidung, Prinz.“ „Ganz recht“, stimmte Bakura ihm zu und die beiden tauschten einen halb amüsierten Blick aus. Joey erhob sich, richtete sich an den Drachen. „Wollen wir?“ Überraschung zeichnete sich auf den Zügen des Drachen ab. „Jetzt? Hast du es so eilig, Mensch?“ „Du etwa nicht?“, fragte Joey provozierend. Er wusste, dass er damit bei dem Drachen einen wunden Punkt berührte. Seto reckte den Hals. „Wir können jederzeit aufbrechen. Von mir aus auch sofort.“ „Je schneller Mokuba geheilt ist, desto schneller kann ich mit eine Prinzessin suchen.“ „Ach darum geht es dir nur?“ „Natürlich nicht“, gab Joey genervt zurück. Seto erhob sich langsam, stand nun über Mokuba. Tristan trat an Joey heran. „Ich begleite, dich Prinz.“ Wie auf ein Kommando sprangen Bakura und Marik auf. „Wir auch!“ Joey schmunzelte und drehte sich zu seinen Freunden um. Sie alle waren bereit, mit ihm zu gehen – ihn auf eine Mission zu begleiten, für die er sich verpflichtet hatte. Er schüttelte den Kopf. „Nein, ich gehe alleine.“ Tristan runzelte die Stirn. „Bist du dir sicher?“ „Ja, Tristan. Jemand muss bei Mokuba bleiben. Und was euch betrifft“, er richtete sich an Marik und Bakura, „habe ich einen Auftrag für euch. Natürlich nur, wenn ihr einverstanden seid. Ich befinde mich in keiner Position, euch Befehle zu erteilen.“ Bakura gähnte. „Komm zu Sache, Mensch.“ Marik gab ihm einen Klaps auf den Kopf und Bakura knurrte. „Elfe“, zischte er. „Ich bitte euch darum, Nachforschungen anzustellen, ob es irgendwo in diesem Teil des Königreichs Prinzessinnen gibt. Prinzessinnen in Not ziehe ich natürlich vor, damit ich meiner Aufgabe gerecht werde.“ Marik lachte. „Ich verstehe.“ Er sah Bakura an, welcher mit den Schultern zuckte. „Von mir aus. Hauptsache Abwechslung.“ „Einverstanden, Prinz.“ „Danke. Und euch“, er sah Yugi, Tristan und Duke der Reihe nach an, „bitte ich, bei Mokuba zu bleiben und auf ihn aufzupassen.“ „Ich schätze, du lässt sich so oder so nicht umstimmen“, resignierte Tristan. „Solange du heile zurückkommst, tue ich alles, Joey.“ „Ich weiß.“ Joey sah zu dem Drachen auf. „Bist du damit einverstanden?“ „Mokuba?“, fragte Seto und auf ein Nicken des Jungen schien auch er halbwegs zufrieden. „Ja, Mensch, ich bin einverstanden.“ „Bringt Mokuba in eines der intakten Zimmer in der ersten Etage“, sagte er zu Yugi. „Er war schon viel zu lange hier unten und darf sich nicht überanstrengen.“ Joey hatte sich von ihnen entfernt und war zu der Ecke gegangen, in denen ihre Taschen standen. Er nahm eine der Reisertaschen und begann, Proviant, Verbandszeug und Seile umzusortieren, bis er alles Notwendige beisammen hatte. Dann richtete er sich auf. Reflexartig wanderte seine Hand zu seinem Gürtel, doch sie griff ins Leere. Joeys Blick glitt an seiner Rechten hinab und traf auf die leere Schwertscheide. „Ich brauche eine Waffe“, bemerkte er, überrascht, dass er den Verlust seines Schwertes ganz vergessen hatte. „Brauchst du nicht, Mensch“, gab Seto unbeeindruckt zurück. „Solange du an meiner Seite bleibst, wird dir nichts geschehen.“ Nur widerwillig stimmte der Prinz zu. Ohne Schwert fühlte er sich hilflos aber er würde es sich in der Gegenwart des Drachens nicht anmerken lassen. „Na gut. Lass uns aufbrechen.“ Er nickte seinen Freunden zu. Seto beugte sich hinab und Mokuba legte die Arme um seine Schnauze, eine Geste der Vertrautheit, bei der Joey sich vorkam, als würde er etwas beobachten, das eigentlich nur Mokuba und Seto zustand. Er wandte den Blick ab. Dann verließ er gemeinsam mit dem Drachen den Saal und anschließend das Schloss. Er schlug die Richtung der Ställe ein, in denen sie die Pferde abgestellt hatten, doch ein schwerer Drachenschwanz versperrte ihm unvermittelt den Weg. Joey sprang mit einem überraschten Ausruf einen Schritt zurück, dann funkelte er den Drachen an. „Was?!“ „Damit würdest du die Zeit unserer Reise nur unnötig verlängern“, gab Seto unbeeindruckt zurück. Er breitete die Schwingen aus und in einer flüssigen Bewegung beugte er seinen Oberkörper nach unten, legte eine Schwinge auf den Boden. Joey starrte sprachlos auf dieses Bild, unfähig sich zu rühren. Als einige ereignislose Momente verstrichen, verlor der Drache die Geduld. „Ich gebe dir fünf Sekunden, Mensch, dann packe ich dich und trage dich in meinen Klauen zu dem Berg.“ Sein Blick zeigte, dass er es absolut ernst meinte. Joey löste sich aus seiner Starre und stolperte auf den Drachen zu. Mit viel Überwindung – als würde er ein heiliges Objekt entweihen – brachte er sich dazu, Seto zu berühren. Als seine Hand sich auf die Schuppen des Drachen legten war er im ersten Moment überwältigt von der unbändigen Kraft, die unter ihnen zu liegen schien. Die Schuppen waren rau, doch gleichzeitig auch seltsam glatt und eben. Zaghaft hob er einen Fuß an und begann, auf Setos Rücken zu steigen. Auf halbem Weg ging ein Ruck durch den Flügel, der Joey ein Stück in die Luft katapultierte. Mit einem Ächzen landete er zwischen den Schultern des Wesens. „Dumme Echse“, murmelte er missgestimmt und rieb sich das schmerzende Gesäß. Belustigung lag in dem Blick des Drachen. „Bequem, Euer Hoheit?“ „Nun flieg schon los“, erwiderte Joey ungeduldig. Setos Feixen konnte er nicht länger aushalten. „Zu Befehl“, höhnte Seto und spannte seinen Körper an. Joey spürte jede Muskelbewegung unter sich und ein unbekanntes Gefühl bemächtigte sich seiner. War es Ehrfurcht? „Wartet!“ Seto verharrte. Tristan war in der Portaltür erschienen. Er blickte zu ihnen auf, doch nach einigen Augenblicken erkannte Joey, dass sein Blick ausschließlich auf Seto gerichtet war. „Bring mir meinen Prinzen heile zurück, Drache.“ Seto erwiderte den Blick ausdruckslos, dann nickte er kaum merklich. „Das werde ich.“ „Es wäre besser für dich.“ Wie Joey seinen Freund doch liebte. Da stand Tristan vor einem sechs Meter hohen Drachen und drohte ihm, sollte er den Prinzen nicht unbeschadet zurückbringen. Joey hob die Hand und winkte seinem besten Freund zu. „Mir wird nicht passieren, Tristan!“ Ein Ruck ging durch den Körper unter ihm, als die Schwingen zu schlagen begannen. Joey krallte sich in die Halsschuppen vor sich, um von den Bewegungen nicht vom Rücken des Drachen geworfen zu werden und fragte sich, ob er Tristan damit nicht doch zuviel versprochen hatte. Wenn er nicht aufpasste, würde er vielleicht noch unschöne und vor allem tödliche Bekanntschaft mit dem Boden machen. Der Moment, in dem der mächtige Drachenkörper sich in die Luft erhob und jeglicher Gegenkraft zum Trotz den Boden verließ, warf jegliche Sorgen des Prinzen über Bord. Vergessen war Tristan, der ihnen noch immer mit dem Blick folgte, vergessen seine Aufgabe, eine Prinzessin zu finden. Vergessen, dass er ein Prinz war. Als der Wind durch seine Haare rauschte und Seto sich mühelos in die Lüfte hinauf schwang, das Schloss unter ihnen kleiner und kleiner wurde, erlebte Joey ein bis dahin nie erlebtes Gefühl der Befreiung. Es war unbeschreiblich. Es war das Schönste. Mehrere Hundert Meter vom Boden entfernt löste er den Griff um die Schuppen und riss die Arme in die Luft und legte den Kopf in den Nacken, die Augen geschlossen. Er dachte nicht daran, dass er fallen könnte. Aus irgendeinem Grund wusste er, dass Seto ihn nicht fallen lassen würde. Er sah nicht, dass Seto ihn aus den Augenwinkeln immer wieder beobachtete – aufmerksam, beinahe schon neugierig. Was er bemerkte, war der provokante Flugstil des Drachens. Er flog so hoch, dass Joey meinte, die Wolken berühren zu können, flog Schlangenlinien, die den Magen des Prinzen Aufregungssaltos schlagen ließen. „Mehr hast du nicht zu bieten?!“, rief Joey über den Flugwind hinweg und wusste, dass Seto ihn gehört hatte. „Halt dich gut fest, Mensch“, erwiderte der Drache und Joey hatte gerade noch Zeit, sich flach mit dem Bauch an die Rückenschuppen des Drachen zu pressen und mit seinen Händen nach Halt zu suchen, da führte Seto bereits kunstvolle Flugmanöver durch, bei denen Joey für gewöhnlich durch das alleinige Zusehen übel geworden wäre. Jetzt versetzten sie ihn jedoch in einen nie gekannten Zustand der Euphorie und ließen ihn mit einem unbändigen Verlangen nach mehr zurück. Er liebte das Fliegen. Mit verstreichenden Stunden wurde der Flug ruhiger. Nach dem anfänglichen Hochgefühl kehrte der Prinz rasch auf den Boden der Tatsachen zurück. Dennoch verlor die Umgebung nicht an Reiz. Stundenlang beobachtete er die Welt aus einer Perspektive, die er zuvor nie erlebt hatte. Wälder, deren Durchqueren Tage gebraucht hätte, überflogen sie in wenigen Minuten. Flüsse wirkten wie Rinnsäle, die sich durch die Landschaft schlängelten. Dörfer wirkten wie Ansammlungen von Spielhäusern und Menschen wie Insekten. Der Himmel war endlos. Viele weitere Stunden blickte der Prinz abwesend in das unbegrenzte Blau über sich, verlor sich in den Wolken und in der Vorstellung, was hinter dem Blau liegen mochte und wie lange sie bräuchten, um die Sonne zu erreichen. Irgendwann spürte er, wie Müdigkeit ihn überkam. An das stetige Schlagen der Flügel hatte er sich gewöhnt, aber seine Muskeln begannen, sich zu beschweren und seine Aufmerksamkeit driftete ab. Wieder und wieder schreckte er auf, nachdem sein Kopf zur Seite gesunken war und sein Griff um die Schuppen sich gelockert hatte. Er konnte sich vorstellen, wie wichtig es für Seto war, die Pflanze für Mokuba zu finden und zu dem Jungen zu bringen, deshalb bat er nicht um eine Pause. Stattdessen tat er das einzige, um sich von der Müdigkeit abzulenken: Er begann, mit Seto zu sprechen. Oder zumindest versuchte er es, denn der Drache erwies sich als furchtbar unkommunikativ. „Ich bin noch nie zuvor geflogen.“ „...“ „Es ist unglaublich!“ „Ach.“ „Ich wünschte, ich hätte auch Flügel und könnte fliegen, wann ich wollte!“ „Hn.“ Joey riss der Geduldsfaden. „Herrgott, tu doch wenigstens so, als ob es dich interessiert!“ Seto blickte über seine Schulter. „Ich habe mich bereit erklärt, mit dir zu reisen, Mensch. Das bedeutet nicht, dass ich willens bin, mich in irgendeiner Weise auf dich einzulassen oder mit dir zu sprechen.“ Joey verschränkte die Arme. „Du bist langweilig.“ „Und diese Aussage – von dir gemacht – soll mich stören? Als ob es mich kümmern würde, was du von mir hältst.“ „Du bist unbeteiligt, gefühlskalt, stur und nervig.“ „Und du bist unbeherrscht, voreilig, sturer und nerviger. Hörst du vielleicht, dass ich mich beschwere?“ „Trotzdem scheint dir viel an Mokuba zu liegen“, fuhr Joey unbeirrt fort. Seto reagierte nicht. „Ich frage mich wieso. Ist er deine Prinzessin?“ „Er ist noch ein Junge“, knurrte Seto. Joey hob abwehrend die Hände. „Ich wollte dir ja gar nichts unterstellen, aber da du nicht mit mir redest, muss ich eben spekulieren. Wenn es dich stört, dann erzähl es mir und ich bin still.“ Seto musterte ihn skeptisch. „Und du bist dann wirklich still, Mensch?“ Joey hob die linke Hand. „Ich schwöre es. Bei meiner Prinzenehre.“ Seto verdrehte die Augen. „Wie auch immer.“ Er richtete seinen Blick nach vorne und einen Moment befürchtete Joey, er würde ihn jetzt nicht mehr beachten, doch dann begann er zu sprechen: „Ich kenne Mokuba, seit den Tag, an dem er geboren wurde. Ich war immer an seiner Seite und habe ihn beschützt. Als man ihn ver- ... als er krank wurde, habe ich mir geschworen, einen Weg zu finden, ihn zu heilen. Bis heute ist es mir nicht gelungen und mit jedem verstreichenden Tag sehe ich, wie er schwächer wird. Trotzdem versucht er alles, damit ich mich nicht um ihn sorge. Er bleibt optimistisch, und zuversichtlich – für uns beide - weil ich es seit vielen Jahren nicht mehr bin. Jetzt habe ich die Chance, mein Versprechen einzulösen und Mokuba für seine Geduld zu entlohnen.“ Joey lauschte Seto voller Faszination. Das Verhältnis, das Seto beschrieb, erinnerte ihn an das von Geschwistern. Es war wie bei ihm und Serenity. Er hatte auch immer versucht, sie zu beschützen – und sei es vor den Spinnen unter ihrem Bett. Was Seto schilderte, war – „Familie“, flüsterte Joey. Seto sah ihn an und für einen Augenblick lag Wohlwollen in seinem Blick, dann wich der Ausdruck so unvermittelt, wie er aufgetaucht war und der Drache blickte wieder nach vorne. „Du hast deine Antwort, Mensch. Nun schweig.“ Joey lag vieles auf der Zunge: Dass er in etwa nachempfinden konnte, wie Seto sich fühlte. Dass er das Verhaltend es Drachen ehrte. Dass er ihm unter allen Umständen – und nicht nur einer einfachen Verpflichtung wegen – helfen würde. Stattdessen schwieg er. Weil er merkte, dass es die beste Reaktion war, um Seto zu zeigen, dass er verstand. Kapitel 6: ... verloren ging ... -------------------------------- Vorwort(e): Es geht weiter. Danke für euer Interesse! *verbeug* Ich hoffe, ich werde ihm gerecht. Dieses mal gib es neue Figuren. Viele neue Figuren *zwinker* Sie flogen die Nacht durch und mehrfach war Joey auf dem Rücken des Drachen eingenickt. Als er schließlich wieder zu sich kam, dämmerte es und Joey erlebte aus schwindelerregender Höhe einen der schönsten Sonnenaufgänge. Der Prinz hatte die ganze Nacht nichts mehr gesagt und war Setos Aufforderung widerstandslos nachgekommen. Doch als der neue Tag einbrach sah er seine Aufgabe als erfüllt. „Wie weit ist es noch?“, rief er über das Rauschen des Windes hinweg. Der Wind war stärker als am Vortag und zerrte an seiner Kleidung. „Zwei Tage. Eineinhalb, wenn wir keine Rast machen.“ Setos Worte implizierten, dass er nur auf Joeys ausdrücklichen Wunsch eine Pause einlegen würde. Es war eine Herausforderung, stellte der Prinz mit einem grimmigen Lächeln fest. Seto wollte testen, wie viel er aushielt. Joey würde sich nicht so einfach geschlagen geben. „Ich brauche keine Rast“, gab er überheblich zurück und wusste im selben Moment, dass er log. Aber das würde er Seto nicht auf die Nase binden. Sie überflogen einen im Licht der aufgehenden Sonne rot funkelnden See und näherten sich einem Laubwald. Am Himmel waren nur wenige Wolken. Es war etwa auf der Höhe des Waldrandes, als das Geschoss Setos Schwinge traf und ein Loch in die Membran des Flügels riss. Seto stieß ein lautes Brüllen aus und sein Körper erschlaffte. Sie begannen rasch und mit zunehmender Geschwindigkeit zu sinken und schließlich zu fallen. „Seto!“, schrie Joey und klammerte sich hilflos an den Drachen. Der Blick des Wesens klärte sich und er breitete die Flügel aus. Obgleich der Schmerzen, die er haben musste, versuchte er durch feste Flügelschläge ihren Fall abzubremsen, doch es reichte nicht, um sie wieder in die Luft zu bringen. Mit Entsetzen sah der Prinz den Wald immer näher kommen und schließlich brachen sie durch die Kronen der Bäume. Dabei wurde Seto in der Luft umhergewirbelt und Joey rutschte von dem Rückend es Drachens. Er versuchte, sich festzuhalten, doch seine Hand fand keinen Halt. Er fiel und drehte sich, bis alles abrupt stoppte. Er öffnete zögernd die Augen und stellte fest, dass seine Welt noch immer Kopf stand. Er blickte nach oben – oder unten? – erkannte im gleichen Maße mit Erleichterung wie mit Schrecken, dass sein Bein sich in einer Kletterpflanze am Ast eines Baumes verfangen und seinen Sturz verhindert hatte. Ein Blick in die andere Richtung zeigte ihm jedoch, dass mehrere Meter zwischen ihm und dem Boden lagen. Langsam, und jede ruckartige Bewegung verhindernd, prüfte er den Zustand seines Körpers. Bis auf Herzrasen und unterschwellige Panik war er so unbeschadet, wie er vor dem Fall gewesen war. Die Prellungen, welche die Kollision mit Setos Schwanz und dem Bettpfosten vor einem Tag verursacht hatten, meldeten sich protestierend. Doch abgesehen davon, schien nichts Schlimmeres passiert zu sein. Zumindest ihm. Sein Blick fiel auf eine Gestalt, am Waldboden. Eine schneeweiße, bewegungslose Gestalt. Er streckte den Arm aus und griff nach dem Ast über sich. Als er einen sicheren Halt hatte, schwang er sich auf den Ast und verharrte einige Moment, um sicher zu gehen, dass sein Gewicht gehalten wurde. Dann machte er sich rasch an den Abstieg. Seine Tasche hatte er nicht mehr auf dem Rücken, er musste sie während des Falls verloren haben. Als er von dem niedrigsten Ast nach unten sprang, zögerte er keine Sekunde und eilte auf den Drachen zu. „Seto!“ Keine Reaktion. Die bis dahin zurückgehaltene Panik drohte auszubrechen. Joey drängte sie nur mit Mühe zurück. Er rief sich zur Ruhe und ging neben dem Kopf des Drachen auf die Knie. Er beugte sich vor, sodass sein Ohr dicht neben dem leicht geöffneten Maul war. Er wurde merklich ruhiger, als er regelmäßigen Atem hörte. Seto lebte, war aber offensichtlich bewusstlos. Joey richtete sich auf und stellte fest, dass seine Beine zitterten. Er taumelte um Seto herum und wäre beinahe über seine Tasche gestolpert, die halb von Seto begraben worden war. Er griff nach der Schlaufe und zog daran, bis er sie nach einem letzten Ruck in den Händen hielt. Dann hockte er sich vor den ausgestreckten Flügel des Drachens. Blut rann aus einem etwa handgroßen Riss in der Flügelmembran. Joey öffnete seine Tasche und begann darin zu wühlen, stellte jedoch bald fest, dass er nichts Brauchbares dabeihatte. Die Verbände waren alle zu kurz, um auch nur irgendwie von Nutzen zu sein. Fluchend blickte er nach oben und schloss für einen Moment die Augen. „Denk nach“, murmelte er. Was hatte Serenity dir über Heilkräuter erzählt? Während Joey neben dem allgemeinen Unterricht in der Schwertkunst und im Umgang mit anderen Waffen ausgebildet worden war, hatte eine Magierin seine Schwester Kräuter- und Pflanzenkunde gelernt. Nicht selten hatte sie Joey abends von den neuen Erkenntnissen des Tages berichtet, in der Hoffnung, dieses Wissen würde sich eines Tages als nützlich erweisen. Wieder zeigte sich, wie vorausschauend Serenity gewesen war. „Fuchskraut hat lange Blätter, eine rötliche Rostfärbung und ist gegen Unwohlsein“, begann er leise die Worte seiner Schwester zu zitieren. Er erhob sich und begann, die Umgebung zu erkunden. Er wusste nicht, ob überhaupt eine der Pflanzen, die er kannte, in diesem Wald zu finden war, aber er musste es zumindest versuchen. „Dampfmoos verhindert Entzündungen und schmeckt nach Kümmel, wenn man es probiert. Und Restikkraut ist blau und lindert Schmerzen.“ Sein Blick wanderte über den Waldboden und blieb an einem blauen Fleck hängen. Rasch bückte er sich und riss das Kraus auf dem Boden, betrachtete es prüfend und kam zu dem Schluss, dass es Restikkraut sein musste. Er setzte seine Suche fort und fand noch mehr davon, außerdem Moos, das ihn an Dampfmoos erinnerte. Es musste vorerst reichen und später würde er mehr sammeln. Er kehrte zu Seto zurück und breitete seinen Fund in dem Licht, das durch die hauptsächlich von Seto zerstörte Lücke zwischen den Baumkronen fiel, aus. Dann prüfte er, ob es sich bei dem Moos tatsächlich um das vermutete Dampfmoos handelte. Zu seiner Zufriedenheit schmeckte es nach Kümmel (hätte er Pech gehabt, wäre es vielleicht vergiftet gewesen, doch daran hatte er in all der Eile nicht gedacht). Anschließend tränkte er das Moos mit Wasser und legte es auf die Wunde im Flügel. Seto zuckte. Rasch kniete Joey sich auf Kopfhöhe neben ihn. „Seto?“ Die Augen des Drachen öffneten sich einen Spalt. „Was ist passiert?“ „Es wurde auf dich geschossen und wir sind abgestürzt.“ Die Wachsamkeit kehrte in Setos Blick zurück. Ein gutes Zeichen. „Bist du verletzt?“ Joey schüttelte den Kopf. „Nein, aber du. Eine Wunde in deinem Flügel.“ Als er es sagte, versuchte Seto seinen Flügel zu bewegen, doch der schwache Luftzug an der Wunde reichte aus, um ihn knurren zu lassen. Es schien sichtlich zu schmerzen. Joey deutete auf das blaue Kraut vor ihm. „Das ist gegen die Schmerzen. Und es beschleunigt die Heilung.“ Seto betrachtete die Pflanzen misstrauisch. „Woher weiß ich, dass es nicht giftig ist?“ Joey verschränkte die Arme und sah den Drachen ernst an. „Das weißt du nicht.“ Die saphirblauen Augen richteten sich auf den Prinzen, dann ließ Seto seinen Kopf zurücksinken und die Spannung wich aus seinem Körper. Joey schob den Drachen einige Pflanzen vor das Maul und nach einigen ereignislosen Sekunden fraß der Drache sie wortlos. Er hatte ihm vertraut. „Gib mir einige Stunden“, sagte Seto schließlich. „Die Fügelmembran ist eine der empfindlichsten Stellen eines Drachen und eine Verletzung verursacht sehr starke Schmerzen. Das liegt allerdings auch daran, dass der Heilungsprozess sofort eintritt, weil ein Drache mit verletzter Membran unmöglich fliegen kann.“ Joey nickte. „Ruh dich aus. Ich halte Wache.“ Seto funkelte ihn spöttisch an. „Als ob du uns bewachen könntest, Mensch.“ „Sei still, Echse.“ Seto widersprach nicht und als Joey ihn ansah, bemerkte er, dass er die Augen geschlossen hatte und sein Atem regelmäßig ging. Der Prinz lehnte sich zurück und versuchte, seine Gedanken zu sortieren. Man hatte auf sie geschossen. Nein, man hatte auf Seto geschossen. Seine Flügelmembran war verletzt. Er musste sich ausruhen und hatte nicht verlangt, sofort weiter zu reisen. Das bedeutete, dass die Verletzung ihn zu stark einschränken würde, wenn er sie nicht verheilen ließ. Wer hatte auf Seto geschossen? Waren diese Personen in der Nähe? Joey wagte nicht daran zu denken. Was, wenn diese Personen gesehen hatte, wo sie abgestürzt waren? Dann waren sie vielleicht schon auf dem Weg hierher. Und Seto schlief, war nicht bei voller Kraft. Joey verfluchte sich dafür, kein Schwert mitgenommen zu haben. Er richtete sich auf, und begann, mit Blätter bewachsene Äste von umliegenden Bäumen abzubrechen und diese um Seto herum anzuordnen. Seine weißen Schuppen schimmerten im Licht und waren sicherlich aus eine Entfernung von hundert Metern im Wald zu sehen. Auch wenn dieser Tarnungsversuch nicht viel half, so musste er doch wenigstens etwas tun, um beschäftigt zu sein und sich nicht weiter Gedanken zu machen. Schließlich, als er einsah, dass dieser Versuch kläglich scheitern würde – es war unmöglich, Seto ganz mit Laub zu bedecken, so groß, wie er war – begann er, nach einer Waffe zu suchen. Äste, so dick wie sein Arm als Keule oder schmal, lang und biegsam als Stock? Er wusste nicht, was effektiver wäre, aber Erinnerungen an langwierige Stunden des Stockkampfes mit seinem Lehrmeister ließen ihn letzteres wählen. Mit einer Waffe fühlte er sich besser. Da er sich nutzlos vorkam, ohne eine Aufgabe, beschloss er, etwas zu Essen zu suchen. Er durchstreifte die nähere Umgebung, auf der Suche nach Früchten, fand jedoch nur einige Pilze. Er traute seinem Erinnerungsvermögen nicht weit genug, um die Pilze zu probieren. Auf dem Weg durch den Wald lief ihm ein Kaninchen über den Weg und er machte Anstalten, es zu jagen – denn was außer frischem Fleisch würde der Drache wohl essen? – aber er brachte es nicht über sich, das Tier zu töten. Was für ein nobler Prinz er doch war. Jämmerlich. Ohne nennenswerte Erbeutungen kehrte er zu Seto zurück, der noch immer schlief. Der Stand der Sonne, verriet, dass in wenigen Stunden Mittag war. Wenn die Sonne ihren Zenith erreichte, würden sie vielleicht wieder aufbrechen können. Joey wechselte das Moos auf der Wunde aus und stellte fest, dass sie bereits sichtbar geheilt war. Dann ließ er sich neben dem Drachen auf den Boden fallen und legte sich rücklings auf den Boden, verschränkte die Arme hinter seinem Kopf. Er konnte nichts anderes tun als warten und zu wachen. Erst als er aufschreckte merkte er, dass er eingeschlafen war. Die Sonne stand etwas höher, doch das war es nicht, was ihn geweckt hatte. Es war das Bellen von Hunden. Sofort war der Prinz hellwach und saß kerzengerade. Er lauschte. Tatsächlich erfüllte das Bellen und Winseln von Hunden die Waldluft. Sein Herzschlag beschleunigte sich und er sprang auf. Ein Blick auf Setos Flügel verriet ihm, dass die Wunde noch nicht ganz verheilt war. Die Hunde schienen näher zu kommen. Man suchte sie. Man suchte den Drachen! Mit wenigen Schritten war er neben ihm. „Seto“, zischte er. Als der Drache nicht reagierte, streckte er die Hand aus und stieß den Drachenkopf zaghaft, dann mit zunehmender Sicherheit, an. Er wollte Seto nicht ohne seine Erlaubnis berühren, aber in dieser Situation konnte er darauf keine Rücksicht nehmen. „Drache, wach auf!“, wiederholte er eindringlicher. Der Drachenkörper regte sich. Die Augen öffneten sich. Bevor Joey etwas sagen konnte, hatte Seto die nahende Gefahr erkannt. Sein Blick verfinsterte sich und er richtete sich auf. Wenn er dabei Schmerz verspürte, so zeigte er dies mit keiner Regung. „Steig auf meinen Rücken“, sagte er leise und Joey wollte bereits protestieren, weil er Seto nicht noch zusätzliche Schmerzen bereiten wollte, doch der Drache hatte ihn bereits mit dem Schwanz gepackt und ehe Joey sich versah, saß er auf seinem Rücken. Er konnte Seto nicht darauf aufmerksam machen, dass sowohl seine Tasche, als auch seine „Waffe“ noch immer im Laub lagen, denn der Drache hatte sich bereits ohne die geringste Erschütterung des Bodens in Bewegung gesetzt. Einzig die aufgewirbelten Blätter zeugten von seiner Präsenz, sonst bewegte er sich weitgehend lautlos in die entgegen gesetzte Richtung der Hunde. „Wer verfolgt uns?“, fragte Joey, der noch immer nicht wusste, wer auf sie geschossen hatte. Seto sah ihn nicht an, als er antwortete: „Deinesgleichen.“ „Ich dachte mir schon, dass es Menschen sind, aber wer –“ „Ich sagte doch“, unterbrach Seto ihn kalt. „Deinesgleichen. Drachenjäger.“ Diese Worte schmerzten. Joey verstand nicht wirklich warum, aber dafür blieb ihm keine Zeit. Auch konnte er sich nicht rechtfertigen, denn ein Pfeil hatte sich dicht neben ihnen in einen Baum gebohrt. „Sie haben uns gefunden“, knurrte Seto und wechselte so abrupt die Richtung, dass Joey beinahe erschreckt aufgeschrien hätte und sich nur mit Mühe auf dem Rücken hielt. Immer mehr Pfeile verfehlten sie nur knapp, einige prallten an Setos Schuppenpanzer ab. Der Drache hatte die Flügel angelegt, um den Jägern keine mögliche Angriffsfläche zu bieten. Die Hunde kamen immer näher und menschliche Stimmen mischten sich bald unter das Bellen. Schließlich blieb Seto unvermittelt stehen. „Steig ab, Mensch“, befahl er und Joey kam der Aufforderung umgehend nach. Einen Moment lang befürchtete er, Seto würde ihn nun zurücklassen und als Köder benutzen, um selbst zu fliehen, doch dann baute sich der Drache vor ihm auf. Joey blickte sprachlos den ihm zugewandten schneeweißen, bepanzerten Rücken hinauf, als Seto sich auf seine Hinterbeine erhob. Die Bäume des Waldes waren so groß, dass Seto die Flügel spannen konnte und trotzdem die Baumkronen noch nicht berührt hätte. Doch auch ohne die ausgebreiteten Flügel musste er imposant aussehen. Selbst von hinten wirkte er majestätisch. Dann erklang ein für Joeys Ohren fremdes Geräusch. Es ähnelte dem Grollen von Donner oder einem Wasserfall und wurde lauter und lauter. Und dann tat Seto etwas, von dem der Prinz zwar bereits gehört und gelesen hatte, doch dessen Betrachtung alles Vorgestellte übertraf: Er spie Feuer. Und es war ein Anblick, der sich - wie die blauen Flammen in die Bäume - für immer in Joeys Gedächtnis brannte. Das kalte Funkeln in Setos Augen, die blauen Flammen, die seinen Schuppen einen beinahe schon gespenstigen Glanz verliehen und die Hitze, die von einem Moment auf den anderen den gesamten Wald zu verschlingen schien. Pferde wieherten panisch. Männer schrien. Der Wald loderte auf. Joey, gebannt von dem schrecklichen und zugleich faszinierenden Anblick, spürte plötzlich, wie er gepackt und mitgerissen wurde. Jemand begrub ihn unter sich und Joey erkannte, dass es nicht Seto war. Er versuchte, sich freizukämpfen, doch wer auch immer ihn zu Boden presste, war – zumindest für diesen Moment – stärker. Sein Gesicht wurde auf den Waldboden gedrückt und Joey konnte aus den Augenwinkeln eine schemenhafte Gestalt über sich erkennen, doch bevor er irgendetwas tun konnte, spürte er einen lodernden Schmerz in seinem Hinterkopf und er verlor das Bewusstsein. Er kam zu sich, als ein Schwall kalten Wassers sein Gesicht traf. Hustend und nach Luft schnappend kehrte er in die Realität zurück und wollte sich die nassen Strähnen aus der Stirn wischen, nur um mit zunehmender Beklemmung festzustellen, dass seine Hände hinter seinem Rücken gefesselt waren. Ein Räuspern lenkte seinen Blick auf die Person vor sich. Er verengte die Augen, da seine Sicht noch immer etwas verschwommen war. „Wo bin ich?“, fragte er lauernd. Der Mann, gekleidet in der Uniform der Soldaten, die sie überfallen hatten, warf die nasse Holzschale achtlos beiseite und verschränkte die Arme. „Du missverstehst deine Lage“, sagte er mit deutlicher Irritation in der Stimme. „Ich stelle die Fragen und du antwortest. Wie ist dein Name? Und was tust du in der Gesellschaft eines Drachens?“ Die Person vor ihm war näher getreten und hatte sich drohend vor ihm aufgebaut. Prinz Joey wusste, diese Geste sollte ihn einschüchtern, doch er war vielmehr damit beschäftigt, seine Lage zu verstehen. Sie befanden sich in einer Holzhütte, waren jedoch auch nicht mehr im Wald, denn draußen war es viel zu hell und kein Schatten von irgendwelchen Bäumen fiel ins Zimmer. Man hatte ihn gefangen genommen und Seto (hoffentlich) nicht. Zumindest konnte er nichts von den schimmernden, schneeweißen Drachenschuppen sehen und er vernahm auch kein Grollen. Also hatte man sie getrennt. Der Drache musste entkommen sein. Er selbst hatte weniger Glück gehabt. „Wie ist ... Euer Name?“, fragte er den unbekannten Mann und konnte sich nur mit Mühe überwinden, höflich zu bleiben. Allerdings wäre es nicht klug gewesen, seinen Entführer so schnell zu verärgern. „Ich bin Sir Valon, Ritter des Königs Dartz und ich frage dich erneut: Was tatest du in der Gesellschaft eines Drachens?“ Doch Joey hörte ihm bereits nicht mehr zu. Bei der Nennung des Namens Dartz hatte sich alles in ihm verkrampft. Der König Dartz regierte über das Königreich, welches nördlich an das Reich seines Vaters grenzte und war bekannt für seine unkonventionelle Art zu regieren. Dies bedeutete, dass in seinem Königreich die Bürger mehr Freiheiten besaßen, als anderswo, dafür jedoch auch einen Preis zahlen mussten: Hohe Steuern und weniger Sicherheit, angesichts der dafür fehlenden Gesetze. Das Königreich von Dartz war das Paradies für Gauner und Scharlatane und der König war nur deshalb noch an der Macht, weil er durch Verhaftungen (und Schlimmeres) von für ihn potentiell gefährlichen Personen seinen Position als Monarch sicherte. Joey erinnerte sich, wie sein Vater Jahr für Jahr von den Versammlungen der Könige zurückgekehrt war und den Starrsinn von Dartz verwünscht hatte. Er stellte mit seiner Art zu regieren sogar die Eitelkeit von König Pegasus in den Schatten. Ein Tritt in die Seite riss Joey aus seinen Gedanken. Er schluckte einen schmerzerfüllten Fluch. „Ich spreche mit dir“, knurrte Valon. „Wo ist der Drache?!“ „Wieso interessiert Euch das?“, fragte Joey und erntete für seine Frage einen weiteren Tritt in die Seite. Er nahm ihn in Kauf, denn er wollte Zeit schinden. Warum suchten diese Männer nach dem Drachen? Wollte Dartz eine neue Trophäe oder war er auch etwas Anderes aus? „Beantworte meine Frage!“ „Ich weiß es nicht.“ „Halte mich nicht zum Narren“, gab Valon erzürnt zurück und beugte sich zu Joey hinab. „Du bist auf seinem Rücken geflogen. Du reist mit einem Drachen zusammen, dann wirst du auch wissen, wo er sich jetzt befindet.“ Na der war witzig! Als ob Joey mit dem Drachen mental in Verbindung stehen würde. „Ich bin kein Hellseher“, antwortete er mit einem wütenden Lächeln. „Aber ich schätze, er ist nicht hier.“ Valon fluchte und setzte bereits zu einem weiteren Tritt an, als jemand hinter Joey zu sprechen begann: „Lass es, Valon. Es hat keinen Zweck.“ Joey hatte die andere Person bis jetzt nicht bemerkt. Er warf einen Blick über seine Schulter und erblickte einen weiteren Mann, der auf einem Stuhl am anderen Ende des Raumes saß und Einhalt gebietend die Hand gehoben hatte. Er war älter als Valon und strahlte weitaus mehr Autorität aus. „Aber er weiß etwas, Rafael!“, beharrte Valon und blickte verächtlich auf Joey hinab. „Er hält sich für einen besonders Klugen, aber er wird sehr bald verstehen, dass er sich in keiner Lage befindet, sich über uns lustig zu machen!“ „Zügele dein Temperament“, wies Rafael den Jüngeren scharf zurecht und erhob sich. „Nenne uns deinen Namen“, befahl er Joey und dieses Mal wagte der Prinz es nicht, der Aufforderung nicht nachzukommen. Etwas an Rafael sagte ihm, dass er bei einer verweigerten Antwort weit schlimmeres als einen einfachen Tritt würde einstecken müssen. „Jou“, log er darum. Er war nicht so töricht, ihnen seinen wahren Namen zu verraten. Dartz würde mit Freuden den Sohn seines benachbarten Rivalen im Austausch für lohnende Gegenleistungen als Geisel benutzen. Das konnte Joey nicht auch noch gebrauchen. „Nun denn, Jou, was macht ein einfacher Mann wie du gemeinsam mit einem Drachen?“ Joey hätte Rafael gerne gezeigt, dass er alles andere als ein einfacher Mann war, aber das blieb Wunschdenken. Stattdessen log er weiter: „Er hat mich gerettet, als ich beinahe mein Leben verloren hätte. Er wollte mich in meine Heimat zurückbringen.“ „Er hat dich gerettet?“ „Ja.“ „Und er wollte dich in deine Heimat zurückbringen?“ „Genau.“ „Interessant.“ Rafael griff sich ans Kinn. „Mir ist neu, dass Drachen Menschen retten. Und ihnen auch noch einen Gefallen tun.“ „Ich muss wohl ein Glückspilz sein.“ Glücksprinz wohl eher. In jeder Hinsicht. Joey wollte schreien. „Offenbar.“ Rafael hatte Joey umrundet und stand nun unmittelbar vor ihm. „Nur eine Sache erscheint mir unschlüssig.“ „Und das wäre?“ Joey beobachtete mit wachsender Unruhe, wie Rafael vor ihm in die Hocke ging. Seine Gesichtszüge waren entspannt, auch in seinen Augen konnte der Prinz nichts Unheilverkündendes entdecken. Er entspannte sich etwas. Als hätte Rafael auch diese Reaktion gewartet, schoss seine Hand hervor und er packte Joey am Kragen, zog ihn ruckartig zu sich. „Dieser Drache hat keine Zeit, Menschen zu retten und nach Hause zu bringen. Er ist viel zu sehr damit beschäftigt, jemand anderen zu retten, als irgendwelche ihm fremden Menschen.“ Joeys Gesicht wurden aschfahl. „Was nur eines bedeuten kann und zwar, dass er dich ausgewählt hat, ihm zu helfen. Was bedeutet, dass er auf dich nicht verzichten kann. Was dich, Jou, zu einem ausgezeichneten Köder macht.“ Er ließ den Prinzen los und Joey sank in sich zusammen, starrte voller Entsetzen zu Rafael hinauf. Er wusste über Seto bescheid? Und viel wichtiger – auch über Mokuba? Und er wusste, dass Joey derjenige war, der den beiden helfen konnte! Valon grinste hämisch angesichts Joeys Fassungslosigkeit und Rafael wandte sich ab. „Wir nehmen ihn mit auf die Burg. Der König wird hocherfreut sein, wenn er davon hört. Wir können davon ausgehen, dass der Drache uns“ – Rafale musterte Joey kurz – „oder vielmehr ihm, folgen wird. Wir können ihm eine Falle stellen.“ Joey schluckte. Wenn Rafael recht hatte, dann wäre Joey Schuld daran, dass Seto in einen Hinterhalt geriet. Valon nickte. „Jawohl. Wie werden wir ihn transportieren?“ Er betrachtete Joey mit Herablassung. „Wir haben kein zusätzliches Pferd für jemanden wie ihn. Soll er doch zu Fuß gehen.“ „Das dauert zu lange. Wir müssen die Burg so schnell wie möglich erreichen.“ Rafael stand an der Tür. „Wir brechen umgehend auf.“ Er verließ die Hütte. Valon blickte ihm nach, dann drehte er sich zu Joey um. Die unguten Vorahnungen des Prinzen bestätigten sich, als Valon sein Schwert aus der Scheide zog und sich ihm näherte. „Auch wenn du ein Pferd bekommen sollst, wurde nicht gesagt, dass du während der Reise bei Bewusstsein sein sollst.“ Als er Joey mit dem Griff seines Schwertes wieder bewusstlos schlug, legte Joey für sich fest, dass er Valon nicht ausstehen konnte. Er wusste nicht, wie lange die Reise dauerte, doch sie war erniedrigend und unbequem. Er kam immer wieder für kurze Zeit zu sich und wann immer sein Bewusstsein zurückkehrte, fand er sich bäuchlings quer über den Rücken eines Pferdes geworfen, wieder. Wie ein Sack Kartoffeln. Ich bin ein Prinz, sagte eine leise Stimme in seinem Hinterkopf voller Empörung, doch Joey fehlte die Kraft, um sich über diesen demütigenden Transport zu beschweren. Er hielt die Augen weitgehend geschlossen und wann immer er zu sich kam und in den Himmel blickte, bildete er sich ein, dort einen flüchtigen Schatten zu sehen. Nach unbestimmter Zeit hielten sie wieder und als Joey die Augen öffnete, ragte vor ihm ein Schloss, von der Größe seines eigenen Zuhauses, in die Höhe. Das Schloss von Dartz. Schlimmer konnte es nicht werden. Joey wurde rasch eines Besseren belehrt. Man hatte ihn in die Kerker abgeführt und in eine dunkle, feuchte Zelle gesperrt. Damit lernte er einen Teil eines Schlosses kennen, den er bis dahin nur aus den Gruselgeschichten seiner Kindheit kannte. Er war nie in den Kerkern des Schlosses seines Vaters gewesen, aber als er ein kleiner Junge gewesen war, hatte Tristan ihm regelmäßig Schauergeschichten erzählt. Von bösen Geistern der Verurteilten, die durch die Kerker spukten und jeden verfluchten, der ihnen begegnete. Joey blickte an die Decke der Zelle, lauschte dem Tropfen von Wasser irgendwo im Gewölbe und erinnerte sich an die Geistergeschichten, um wenigstens ein schwaches Gefühl von Vertrautheit zu erlangen. Wäre er doch als Magier geboren worden, dann würden ihn diese Steinmauern nicht halten können. Stattdessen war er ein einfacher Prinz, der, wenn es darauf ankam, kläglich darin scheiterte, sich zu verteidigen. Joey schüttelte den Kopf und rappelte sich auf. Dies war nicht die Zeit, um in Selbstmitleid zu versinken. Er hatte nicht alle Strapazen der Reise hinter sich gebracht, um in einem stinkenden Verlies vor sich hin zu vegetieren. Er war Prinz Joey und nicht auf die Hilfe anderer angewiesen! Er musste nur irgendwie diese Zelle verlassen und verhindern, dass Seto in eine Falle flog. Unruhig begann er, in der Zelle auf und ab zu gehen, doch er kam zu keiner Lösung. Wütend trat er gegen die Steinmauer neben sich. Staub rieselte auf den Boden. „Pass doch auf!“ Joey zuckte zusammen und machte einen Satz zurück. Was bei allen – „Hast du keine Augen im Kopf? Ich wäre beinahe erschlagen worden, du Idiot!“ Joey schüttelte ungläubig den Kopf. Er hörte die Stimme eindeutig, aber er sah niemanden. Er blickte sich in der Zelle um, doch es gab keine Spur von irgendjemandem. „Bist du ein Geist?“, fragte er schließlich zögerlich. „Ein Geist?“, wiederholte die Person, als wäre Joey von allen guten Geistern verlassen. „Sei nicht dumm und jetzt senke deinen Blick ein Stück nach unten. Genau so. Sehe ich etwa aus wie ein alberner Geist?!“ Joey schluckte, den Blick auf den Punkt zu seinen Füßen fixiert. „Nein.“ „Das hast du es. Also wirklich, ein Geist?! Ich hab ja schon viel Mist gehört, aber das übertrifft alles!“ „Du bist ein ... Käfer.“ „Ja, und?! Noch nie einen Käfer gesehen?“ „Ein sprechender Käfer.“ „Ja, und mein bester Freund ist eine sprechende Eidechse, aber das tut hier nichts zur Sache. Ich wäre eben beinahe von einem der Steine erschlagen worden! Pass gefälligst besser auf, wenn du das nächste Mal deinen Frust an der Wand auslassen willst.“ „Du bist ein sprechender Käfer!“, wiederholte Joey. „Ja“, bestätigte der Käfer zerknirscht. „Und du bist ein Mensch, der eindeutig zu lange braucht, um damit klarzukommen. Muss ich dich erst zwicken?“ „Nein!“, wehrte Joey rasch ab. „Ich bin nur noch nie einem –“ „Was du nicht sagst, wirklich äußerst interessant. Hm-hm. Und nun entschuldige mich, ich muss noch alle anderen Gefangenen nach ihrer Meinung bezüglich sprechender Käfer fragen.“ „Wirklich?“ „Natürlich nicht. Du bist wirklich schwer von Begriff. Ironie kennst du wohl nicht, was?“ „He, ich lasse mich nicht von einem ... Käfer beleidigen!“ „Tja, dann haben deine Vorsätze wohl versagt, denn genau das ist gerade passiert. Wie dem auch sei, es war wirklich nett, dich“, er unterbrach sich, „ach vergiss es, du kannst mit Sarkasmus ja nichts anfangen.“ Der Käfer machte Anstalten, davon zu krabbeln, doch Joey hatte sich endlich wieder im Griff. „Warte!“, rief er ihm hinterher. Das Insekt herharrte. „Du kannst mir helfen.“ „Das kann ich. Aber ich habe es nicht vor.“ „Bitte“, beharrte Joey. „Du kannst in das Schloss krabbeln und die Zelle bestimmt aufschließen. Ich würde mich auch erkenntlich zeigen.“ „Tatsächlich? Wie?“ Das Interesse des Käfers schien geweckt. Joey zuckte die Schultern. „Ich weiß nicht. Was willst du?“ Die Fühler des Insekts zuckten und es stellte sich auf seine Hinterbeine. „Da gäbe es etwas: Ich bin schon viel zu lange hier unten, aber um ans Tageslicht zu gelangen, muss ich durch das ganze Schloss, denn hier unten gib es nicht einmal eine Ritze nach draußen. Der Weg durch das Schloss ist jedoch für ein Wesen wie mich viel zu gefährlich. Wenn du es schaffst, mich nach oben zu bringen, nachdem ich dich befreit habe, öffne ich das Schloss für dich.“ „Abgemacht!“, stimmt Joey zu, der sein Glück kaum fassen konnte. „Ach so, ich vergaß. Es betrifft nicht nur mich, sondern auch einen Freund von mir.“ Der Käfer gab ein Geräusch von sich, dass einer Mischung aus Zirpen und Scharren gleichkam. Schließlich erklangen über Joey schnelle, tapsige Schritte und eine Eidechse kletterte die Zellenwand hinab. „Was ist?“ „Wir sind hier raus, Rex. Der da bringt uns ans Tageslicht.“ Die dunklen Augen der Eidechse richteten sich auf Joey. Der Prinz wunderte sich mittlerweile gar nicht mehr darüber, dass auch sie sprechen konnte. Er hatte eindeutig zu viele Jahre innerhalb der behüteten Mauern seines Zuhauses verbracht, wenn er überlegte, wie viel neu für ihn war. „Wirklich? Wir kommen endlich hier raus?“ Die Echse tanzte freudig im Kreis. „Das ich das noch erlebe! Weevil, du bist ein Genie!“ „Natürlich bin ich das“, entgegnete der Käfer selbstgefällig. Joey räusperte sich und die beiden unterbrachen ihre Unterhaltung. Der Prinz deutete auf das Schloss. „Könntest du dann bitte ...? Ich bin etwas in Eile.“ „Nur keine Hektik“, bemerkte Weevil genervt und erklomm die Tür, bis er schließlich im Schlüsselloch verschwand. Einige ereignislose Sekunden verstrichen, dann hörte Joey ein Klicken, das schöner nicht hätte klingen können. Er bückte sich, griff nach der überraschten Eidechse und setzte sie sich auf die Schulter. Dann hielt er seine Hand unter das Schlüsselloch und ließ den Käfer in sein Handfläche krabbeln. Anschließend hielt er die Hand an seiner Schulter, sodass Weevil nun neben Rex saß. „Haltet euch gut fest - es könnte etwas turbulent werden.“ Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: „Und bitte krabbelt nicht unter meine Kleidung. Das wäre ... krabbelig.“ „Schon verstanden. Jetzt lauf schon los, unsere Lebenszeit ist begrenzt“, knurrte Weevil und Joey sah dies als Zustimmung. Zumindest hoffte er, dass es eine war. Mit zwei ungewöhnlichen Begleitern auf der Schulter ließ er die Zelle hinter sich und erklomm die Stufen, die hinauf in das Schloss führte, aus dem es nun zu entkommen galt. Der Tag konnte nur noch besser werden. Nachwort(e): Danke fürs Lesen. Wie es weitergeht erfahrt ihr im nächsten Kapitel - aller Wahrscheinlichkeit nächste Woche X3 Kapitel 7: ... sich wiederfand ... ---------------------------------- Vorwort(e): Hier ist das versprochene neue Kapitel. Es freut mich ürbigens, dass die Figur Prinz Joey so gut bei euch ankommt - ich habe ihn auch sehr ins Herz geschlossen. Dass Dartz der "Böse" ist, war nicht geplant, denn eigentlich kann ich ihn und seine Leute gut leiden, aber er macht sich einfach zu gut auf einem Thron = ) Viel Spaß mit dem Kapitel! „Ein Orientierungssinn wie ein blinder Hund.“ „Nimm das zurück“, zischte Joey. „Dann beweise uns das Gegenteil“, entgegnete Wheevil provozierend. Er hatte begonnen, seine Fühler gelangweilt zu putzen. Rex gähnte. Joey verstand die bedien Tiere nicht. Sein Atem war beschleunigt und sein Herz raste. Mehrfach waren sie nur knapp den Wachen ausgewichen und hatten sich gerade noch rechtzeitig verstecken können, doch das war nicht ihr größtes Problem. „Ich habe mich nicht verlaufen“, knurrte der Prinz und sah sich mehrfach um. Dieser Gang sah genauso aus wie der letzte. Joey wurde mit jeder verstreichenden Minute wütender. „Dann macht ihr es doch besser!“ „Kein Interesse.“ Wenn Wheevil nicht so klein gewesen wäre – Joey hätte den elenden Käfer würgen können! Er drehte den Kopf und funkelte Wheevil an. „Jetzt hör mir mal zu“, sagte er leise, seine Geduld nur noch ein kümmerlicher Rest dessen, was sie vor dem Ausbruch gewesen war, „entweder du hörst auf, dich hier aufzuspielen und hilfst mir oder du und dein Freund hier könnt sehen, wie ihr nach draußen kommt.“ Wheevil zirpte gereizt. „Wir hatten eine Abmachung.“ „Und? Ihr seid außerhalb der Kerker. Abmachung erfüllt.“ „Starrsinniger Mensch.“ „Nerviges Insekt.“ Sie starrten sich an, wurden jedoch von dem Geräusch sich nahender Schritte aufgeschreckt. Wheevil gab nach. „Schon gut. Nimm den rechten Gang. Aber schnell, Mensch!“ „Na bitte“, seufzte Joey und folgte der Anweisung. Die Schritte hinter ihnen verklangen. „Jetzt links“, sagte Wheevil schließlich, doch Joey reagierte nicht, drehte sich stattdessen nach rechts und erklomm eine Treppe. Wheevil machte einen wütenden Satz auf seiner Schulter. „Ich sagte links! Was bitte ist daran so schwer zu verstehen?! Und wieso gehst du jetzt nach oben?“ „Ich habe meine Gründe“, erwiderte der Prinz, doch als er aus den Augenwinkeln registrierte, wie Wheevil seine Kauwerkzeuge drohend näher an seinen Hals brachte, fuhr er erklärend fort: „Jemand den ich kenne, ist mir gefolgt, als ich hierher gebracht wurde. Das Schloss durch einen der Ausgänge zu verlassen dürfte so gut wie unmöglich sein. Wenn ich aber auf einem Turm stehe, wird er mich sehen. Dann kann er uns mitnehmen.“ Joey erklomm weitere Stufen. „Auf einem Turm? Heißt das, er kann fliegen?“ „Genau.“ Wheevil schwieg. Joey war es recht. Nach etlichen Treppen öffnete sich ein Gang vor ihm. Joey erkannte, dass die königlichen Gemächer vor ihnen lagen, da die Einrichtung sich geändert hatte. Vorhänge an Fenstern des Flures waren nun kostbarer als das gesamte Hab und Gut eines gewöhnlichen Bauern und verschiedenste Vasen standen auf Ziertischen. Joey, der bereits den halben Flur hinter sich gebracht hatte, hielt inne. Irgendetwas stimmte nicht ... Leise schlich er über den mit rotem Teppich belegten Boden an schweren geschlossenen Holztüren vorbei. Dann erstarrte er. Er wusste, was ihn störte. Es fehlten Wachen! Er presste sich an die Wand neben einem schweren Vorhand, als erwartete er, dass man ihm eine Falle gestellt hatte, doch als nichts geschah, stieß er den angehaltenen Atem aus. Wheevil summte ungeduldig „Was wird das, Mensch?“ Rex hatte die Augen halb geschlossen und kümmerte sich um nichts, was um ihn herum geschah. Joey wollte gerade antworten, als Stimmen erklangen. Männerstimmen. Jemand kam die Treppen hinauf. Joey bekam Panik. Er sah sich um, doch sich hinter einem Vorhang zu verstecken, ohne bemerkt zu werden, war unmöglich. Blieb ihm nur noch die Tür unmittelbar neben ihm. Er drückte die Klinke nach unten und zwängte sich durch den Spalt in den Raum dahinter. Er schloss die Tür so lautlos wie möglich wieder hinter sich und verharrte. Die Stimmen kamen immer näher und passierten die Tür. Das mussten die Wachen sein, die er vermisst hatte. Sie gingen vorbei und ihre Stimmen wurden leiser. „Mensch.“ Das war knapp. „Mensch.“ „Ich heiße Joey“, gab der Prinz zurück und ließ die Klinke los. „Joey.“ Wheevil ließ nicht locker. Joey stöhnte genervt. „Was denn?!“ „Dreh dich lieber um“, sagte Wheevil leise und endlich bemerkte Joey, dass der Käfer viel zu angespannt für seine Verhältnisse klang. Schwer schluckend kam er der Aufforderung gleich und machte unwillkürlich einen Schritt zurück, sodass er mit dem Rücken gegen die Tür stieß. „Es gehört sich nicht, seinem Gastgeber den Rücken zu kehren.“ Der Prinz schwieg. Starrte. „Ihn noch dazu einfach zu ignorieren ist äußerst unhöflich. Geradezu taktlos.“ In der Mitte des Raumes, auf einem Satinsessel, sah der Mann, dem Joey am allerwenigsten hatte begegnen wollen. Der Mann, der als einziger in diesem Schloss wusste, wer er war. Joey erlangte nur schwerlich seine Fassung zurück. „Dartz“, sagte er. „König Dartz, mein lieber Prinz.“ Er hatte es befürchtet, aber es wäre auch naiv gewesen, anzunehmen, Dartz würde ihn nicht erkennen. As musste er sich auch ausgerechnet in diesem Zimmer verstecken? Es war tatsächlich so, als wäre ihm eine ganz besonders hinterhältige Falle gestellt worden. „Willst du dich nicht setzen, Joey?“ Dass Dartz ihn auf so vertraute Weise ansprach, behagte dem Prinzen ganz und gar nicht. Es verhieß nichts Gutes. Das Wheevil die ganze Zeit schwieg, machte die Sache auch nicht besser. Es war als würde er dem König dieser Burg alleine gegenüberstehen und das Gefühl war mehr als beunruhigend. „Nein danke. Ich ziehe es vor, zu stehen.“ „Immer so hektisch.“ Dartz schüttelte den Kopf. In seiner Art erinnerte er Joey nicht selten an König Pegasus. Er war zumindest vielfach genauso affektiert. „Aber wie ich hörte, bist du in Eile. Das mag an deinem Reisegefährten liegen. Dabei liegt es eigentlich nicht in der Natur der Drachen, hektisch zu sein.“ Joey verkrampfte sich, obwohl er hätte wissen müssen, dass Dartz über Seto informiert war. Wahrscheinlich hatte er vor wenigen Minuten seinen Männern noch die letzten Befehle für den Hinterhalt gegeben. Joey ballte die Fäuste. „Ich bin erstaunt über deine Naivität, Prinz“, sagt Dartz schließlich und Joey horchte auf. „Naivität?“, wiederholte er. „Eben diese. Anzunehmen, der Drache bräuchte dich, um ein Heilmittel zu finden für –“ „Woher weißt du das?!“, fuhr Joey den König an. Dartz sah ihn aus seinen türkisfarbenen Augen voller Belustigung an. Er schlug die Beine übereinander. „Ja glaubst du denn, ich wäre dumm? Mir scheint, dir ist deine Situation nicht bewusst, Prinz. Der Drache hat dich ganz schön getäuscht.“ Getäuscht? Joey verstand nicht. Dartz schien dies zu sehen und fuhr fort: „Lass mich dir eine Szenerie schildern, Prinz, und anschließend wirst du mir sagen, ob sie dir bekannt vorkommt oder nicht. Du begenest einem Drachen, dem du – aus welchen Gründen auch immer – etwas schuldig bist. Ob dieses Gefühl angebracht ist oder nicht sei dahin gestellt. Du erfährst, dass du auserwählt bist, um dem Jungen zu helfen, der dem Drachen sehr wichtig ist. Er erklärt dir, er bräuchte dich, um an eine Heilpflanze zu gelangen.“ Joey war sprachlos. Er brachte es lediglich fertig, zu nicken. Dartz lächelte süffisant. „Er zieht mit dir los, nur leider wird eure Reise vorzeitig beendet. Wie ich sehe, habe ich recht.“ „Aber wie -?“, setzte Joey an, konnte den Satz jedoch nicht beenden. „Ich bin schon lange auf der Jagd nach diesem Drachen. Und, mein lieber Prinz, nimm es mir nicht übel, aber dieses Wesen hat dich getäuscht. Auf dem beschriebenen Berg wirst du keine Heilpflanze finden. Dort steht ein Tempel mit einem Opferaltar. Und nun rate, wer für dieses Leben rettende Opfer vorgesehen ist?“ Der stechende Blick bohrte sich in Joeys. Der Prinz schüttelte den Kopf. „Das stimmt nicht. Was immer du da sagst ist nichts weiter als eine Lüge.“ Dartz legte die Armen auf die Sessellehnen. „Aber natürlich, Prinz. Ich belüge dich. Rede es dir ein, du wirst es einsehen müssen. Der Drache nutzt dich aus und was immer er dir erzählt hat – nichts entspricht der Wahrheit. Oh, nicht ganz“, Dartz lachte, „den Jungen will er tatsächlich retten. Nur wird er dabei über deine Leiche gehen.“ Mit wenigen Schritten war Joey bei Dartz und hatte den König an der Kehle gepackt. Dartz gab einen erstickten Laut von sich, hatte er doch nicht mit dieser plötzlichen Reaktion gerechnet, und wurde unnachgiebig gegen die Lehne des Sessels gepresst. Joey Gesicht schwebte dicht vor seinem, die Augen des Prinzen waren erfüllt von Zorn. „Sei still“, sagte er kalt. Mit einer nicht gekannten Kraft hielt er den König in Schach, machte ihn bewegungsunfähig. „Wenn ich noch ein falsches Wort von dir höre, dann wird es dein vorerst letztes sein.“ Dartz wollte etwas sagen, doch Joey verstärkte den Druck seiner Hand und lediglich ein gepresstes Röcheln drang an seine Ohren. „Ich sagte, kein Wort.“ In Dartz Blick mischten sich Wut und wachsende Panik. Joey beobachtete diese Emotionen mit zunehmendem Gefallen. „Du wirst mich gehen lassen. Und du wirst mir nicht folgen.“ Er ließ Dartz los, welcher sich an die Kehle fasste und nach Luft schnappte. Joey drehte sich um und ging zur Tür. Er wusste, dass der König ihm hinterher sah, doch er warf keinen Blick zurück. Er ließ den Raum hinter sich, eilte über den Flur und schließlich weitere Treppen hinauf. Einige Minuten später hörte er bereits seine Verfolger. Natürlich ließ Dartz ihn nicht einfach so gehen. Die Treppe vor ihm fand ein jähes Ende und Joey fand sich auf der Spitze eines Turmes wieder. Er schlug die Tür hinter sich zu und verriegelte sie, lehnte sich schwer atmend dagegen. „Du hast mich beeindruckt, Mensch.“ Joey hatte Wheevil und Rex vollkommen vergessen. Mit einem Anflug von schlechtem Gewissen blickte er auf seine Schulter. Zum Glück waren beide noch da. Joey lehnte den Kopf nach hinten an die Tür und schloss die Augen. Erst jetzt wurde er sich darüber bewusst, was er eben getan hatte. Er hatte Dartz angegriffen. Er hatte einen König bedroht. Er hatte die Kontrolle verloren, als Dartz behauptet hatte, Seto würde ihn täuschen. Im ersten Moment hatte Joey über seine Worte nachgedacht. Dann war das Bild von Mokuba vor seinem inneren Auge erschienen und er hatte sich an die Zuneigung erinnert, die Seto für ihn empfunden hatte. Eine Person wie Mokuba konnte unmöglich wollen, dass jemand geopfert wurde, damit er geheilt wurde. Diese Unterstellung hatte Joey die Kontrolle verlieren lassen. Wie dumm und unüberlegt. Jetzt musste er mit dem Zorn von Dartz rechnen. Außer er hatte ihn genug eingeschüchtert ... „Sie kommen.“ Wheevil riss ihn aus seinen Gedanken. Erst jetzt registrierte Joey die Präsenz von mehreren Personen, die die enge Wendeltreppe zum Turm hinaufeilten. Joey blickte in den Himmel, doch weit und breit war keine Spur von Seto zu sehen. Dann ging ein plötzlicher Ruck durch die Tür hinter ihm und er stolperte nach vorne. Jemand hatte sich von innen gegen die Tür geworfen. „Das sieht nicht gut aus“, bemerkte Joey, als er das Geräusch von nachgebendem Holz vernahm. „Wo ist dieser idiotische Drache, wenn man ihn braucht?“ Von irgendwoher erklang ein Aufschrei, dann flog ein Schatten über Joey. „Wer ist hier idiotisch, Mensch?“ Der Prinz blickte auf und seine Gesichtszüge erhellten sich. „Wurde auch Zeit“, gab er grinsend zurück und vergaß für einen Moment die Tür hinter sich. Ein Fehler, denn genau in diesem Moment hielt das Holz der Malträtierung nicht mehr stand und gab splitternd nach. Die Tür sprang auf und die Wachen stürzten hinaus. Joey wirbelte aufgeschreckt herum und sah bereits die Kling eines Schwertes auf sich niederfahren, als er gepackt und in die Luft gehoben wurde. Wind rauschte durch seine Haare, während der Turm und schließlich das ganze Schloss immer kleiner unter ihm wurden und in stetige Distanz rückten. Joey gab ein befreites Lachen von sich und erntete einen genervten Blick des Drachen. „Zügele deine Euphorie“, wies er Joey zurecht, „sonst könnte ich mich geneigt fühlen, dich versehentlich fallen zu lassen.“ Joey, der zwischen Setos Klauen hing und keinen Moment Angst um sein Leben gehabt hatte, seit er den Boden unter den Füßen verloren hatte, legte den Kopf in den Nacken und zog eine Fratze. „Als ob. Dafür hast du mich doch viel zu gerne.“ „Provoziere es nicht“, knurrte Seto und bei einer scharfen Linkskurve lockerte sich sein Griff um den Prinzen. Joey verzog das Gesicht. „Wenn du mich fallen lässt, werde ich dich auf ewig heimsuchen“, drohte er Seto, welcher ihn spöttisch musterte. „Das kann ja unter keinen Umständen noch nerviger sein als es jetzt schon ist.“ „Was kann ich dafür, wenn du zulässt, dass man mich mitnimmt?“, gab Joey mit wachsender Gereiztheit zurück. Er war froh gewesen, Seto zu sehen. Dem Drachen schien es da genau anders gegangen zu sein. Ignorante Echse. „Ist es etwa meine Schuld, dass du nicht in der Lage bist, dich angemessen zu verteidigen?“ „Das hätte ich ja, aber ich war zufällig mit den Gedanken bei deiner Verletzung.“ Der Flügel schien wieder ganz verheilt zu sein. Wenigstens etwas. „Ich brauche niemanden, der sich um mich sorgt.“ „Offensichtlich“, fauchte Joey, der von Sekunde zu Sekunde wütender wurde. „Du kommst wunderbar ohne eine Last wie mich zurecht, aber soll ich dir etwas sagen: Du brauchst mich.“ Er funkelte Seto triumphierend an. „Und dagegen bist du machtlos.“ Seto wollte etwas entgegnen, doch Joey bemerkte, dass er auf seine Worte keine Erwiderung hatte. Zufrieden verschränkte er die Arme. „Ich will nicht stören“, bemerkte Wheevil von der Seite, „aber mein Freund hat Höhenangst und offen gesagt traue ich dem Drachen nicht, dass er dich den Rest der Reise halten wird. Ich gehe davon aus, dass er dich spätestens in zwei Stunden fallen lässt. Könnten Rex und ich bitte vorher absteigen?“ „Tut euch keinen Zwang an“, bemerkte Seto kalt, dem die zusätzlichen Passagiere wenig willkommen schienen. Joey warf einen Blick auf Rex, der sich mit allen Beinen in sein Oberteil krallte und eine grüne Färbung aufwies, die er vor dem Flug noch nicht besessen hatte. Der Prinz seufzte und blickte nach oben. „Können wir kurz landen? Ich glaube wir sind weit genug vom Schloss weg. Außerdem habe ich nicht vor, den Rest der Reise wie ein Sack Kartoffeln transportiert zu werden.“ Der Drache schnaubte. „Man hat nichts als Scherereien mit dir, Mensch.“ Joey war zu wütend auf Seto, um etwas zu erwidern. Glücklicherweise schwieg der Drache und setzte zur Landung an. Unter ihnen hatte sich die Landschaft verändert. Sie überflogen keine Wälder mehr sondern weite Felder. Das Gras raschelte, als es von dem Wind der Flügelschläge erfasst wurde. Ohne den Drachen auch nur eines Blickes zu würdigen stieg er ab und kniete sich ins Gras. Dann ließ er Wheevil und Rex auf den Boden. „Ich hoffe, diese Gegend ist angemessen.“ Der Käfer gab ein Zirpen von sich, das Joey nicht als Zustimmung oder Ablehnung einstufen konnte. „Es ist ganz passabel. Genug Sträucher und Büsche gib es und ich bin sicher, Rex findet irgendwo einen Stein. Du hast deine Abmachung gehalten, Mensch.“ „Na das will ich doch hoffen.“ Trotz seiner schlechten Laune lächelte Joey, dann richtete er sich auf. „Passt auf euch auf.“ „Ihr solltet ein Stück zu Fuß weiterreisen“, sagte Rex. Joey musterte die Eidechse, die bis dahin kaum gesprochen hatte, überrascht. „Wieso?“, fragte er. Rex streckte sich und gähnte. „Kein wieso. Tut es, sonst werden sie euch finden.“ „Sie? Meinst du Dartz Männer?“ „Keine Ahnung.“ „Gib es auf“, bemerkte der Käfer in einem Tonfall, als sei er derlei Konversation gewohnt. „Es macht keinen Sinn, in zu fragen. Sein Verstand ist zu klein, um das zu erfassen.“ „Was redest du da, Wheevil? Ich bin größer als du also habe ich auch mehr Verstand!“ „Tatsächlich? Wer hat uns aus dem Kerker geholt?“ „Der Mensch.“ „Aber es war mein Plan!“ „So einfallsreich war er auch nicht.“ Joey richtete sich wieder auf. Er hatte das Gefühl, die beiden würden wunderbar zurecht kommen. „Passt auf euch auf“, sagte er grinsend, dann wandte er sich ab und ging. Der Drache stand einige Meter entfernt und breitete seinen Flügel aus, als Joey näher trat. Der Prinz beachtete ihn nicht und schritt an ihm vorbei. Die streitenden Stimmen hinter ihm wurden leiser. „Was soll das werden?“, hörte er Seto knurren. Joey drehte sich nicht um. „Wir gehen.“ Ein Schatten fiel über ihn. Seto war unmittelbar heben ihm. Der Prinz starrte stur geradeaus. „Wir fliegen, Mensch. Zu Fuß brauchen wir zu lange.“ „Wir gehen“, beharrte Joey und setzte seinen Weg fort. Eine Klaue versperrte ihm unvermittelt den Weg. Joey blieb stehen. „Wir haben keine Zeit, Mensch.“ Joey verlor die Geduld. „Es ist nicht Mensch, ich heiße Joey!“, fuhr er den Drachen an. „Was ist daran so schwer? Ich kann mir deinen Namen auch merken, Seto!“ Er wirbelte herum und starrte wutentbrannt in die kalten Augen des Wesens. „Ist mein Name so schrecklich oder wieso weigerst du dich, ihn auszusprechen?“ Seto musterte ihn schweigend. Sein Blick war distanziert. „Was ist los mit dir?“ „Gar nichts“, gab Joey zurück und verschränkte die Arme. „Aber lustig, dass du danach fragst, denn dieselbe Frage wollte ich dir stellen.“ „Mir?“ Seto stellte sich auf die Hinterbeine. „ich verhalte mich nicht aus heiterem Himmel vollkommen unprofessionell.“ „Zufällig habe ich aber den Rat bekommen, den nächsten Teil der Strecke zu Fuß zurückzulegen.“ „Von wem.“ „Von der Eidechse.“ Setos Augen blitzen höhnisch. „Von der Eidechse? Ich verstehe, Prinz. Wenn die Eidechse sagt, wir sollen zu Fuß gehen, dann tun wir das natürlich.“ „Halte mich nicht zum Narren, Drache“, knurrte Joey. „Und lass die Eidechse aus dem Spiel. Sie ist sicherlich dein nächster Verwandter, also solltest du sie ernst nehmen.“ Seto schnaubte. „Nächster Verwandter“, spottete er. „Sie ist viel eher mit dir verwandt, als mit mir.“ Der Prinz schwieg und Seto beugte sich vor. „Was ist los?“ „Wie ist es möglich, dass man mich gefangen genommen hat?“, platzte es aus Joey hervor, bevor er sich daran hindern konnte. Das hatte er sich die ganze Zeit schon gefragt. Der Drache neigte den Kopf. „Meinst du das ernst? Du hast nicht aufgepasst und man hat dich überwältigt.“ „Das meine ich nicht. Wieso hast du es zugelassen?“ „Ach. Jetzt ist es meine Schuld?“ „Du standest direkt vor mir“, beharrte Joey. „Man hat mich zu Boden gerissen und bewusstlos geschlagen. Sag nicht, dass wäre dir entgangen.“ Joey starrte Seto herausfordernd an. „Und wieso hat man uns eben einfach entkommen lassen? Man hat mir gesagt, man würde mich als Köder benutzen. Und überhaupt, warum wussten die Männer von Dartz darüber bescheid, dass du jemanden retten willst und mich dazu brauchst. Ich fürchte, du hast mir viele wichtige Informationen vorenthalten!“ Der Blick des Drachen war ausdruckslos. Joey wurde mit jeder in Stille verstreichenden Sekunde wütender. „Verdammt, Drache, ich kann dir nicht helfen, wenn du nicht ehrlich zu mir bist!“ „Warum bist du so sturköpfig“, grollte Seto und ließ sich wieder auf alle Viere hinab. Die Erde bebte für einen Moment, da der Drache seinen Unmut in diese Reaktion gelegt zu haben schien. „Stattdessen bringst du nichts als Probleme.“ „Sag es mir und ich gehe.“ Joey hatte die Stimme gesenkt. Er meinte es bitterernst. „Sag es mir und ich werde sofort umdrehen. Dann bist du die Probleme los.“ „Und was würde es mir bringen? Ich brauche dich, Mensch, so wenige es uns beiden auch gefällt.“ „Mir reicht’s.“ Joey drehte sich um und ging wirklich. Er wusste, dass Seto nicht damit gerechnet hatte, dass er seine Drohung wahr machen würde und genoss die Momente des perplexen Schweigens. „Sie wissen es, weil sie mitverantwortlich sind, für Mokubas Zustand.“ Joey blieb stehen. Er machte keine Anstalten, sich umzudrehen. „Es ist einige Jahre her, da suchte ein Ritter von Pegasus mich auf und erbat meine Stärke an seiner Seite im Kampf gegen Dartz. Ich wies ihn ab. Es blieb nicht bei diesem einen Ritter, denn Dartz hörte von meiner Entscheidung und machte mir ein anderes Angebot. Meine Kraft gegen Pegasus - im Austausch für einen Menschen meiner Wahl aus seinem Königreich. Auch seinen Boten schickte ich zurück.“ In Setos Stimme lag keinerlei Emotion. „Ich gab mich der trügerischen Annahme hin, sie würden meine Entscheidung akzeptieren. Ich lag falsch. Sie kehrten zurück. Gezeichnet von einem Krieg, aus dem kein Sieger hervorgegangen war, suchten sie einen Schuldigen für die Verluste ihrer Ehre und ihrer Männer. Ihren gemeinsamen Gegner fanden sie in mir.“ Joey hatte sich umgedreht. Der Krieg von dem Seto berichtete war ihm bekannt. Doch das lag mehr als zwei Jahrzehnte zurück. „Sie verbündeten sich gegen mich, doch sie hatten die Kraft von zwei Drachen unterschätzt.“ Joey hatte das Zögern in Setos Stimme gehört, bevor er es ausgesprochen hatte. Die Bedeutung der Worte ließ den Prinzen erschaudern. „Zwei Drachen“, entfuhr es ihm, doch Seto fuhr bereits fort: „Sie kamen nicht gegen mich an, denn Mokubas Präsenz stärkte mich. Drachen sind stärker, wenn Verwandte bei ihnen sind. Mokuba war noch zu jung, um selbst zu kämpfen und das erkannten sie. Sie lockten mich von ihm weg und in einem Moment meiner Unachtsamkeit belegten sie ihn mit einem Fluch. Die Folgen hast du selbst gesehen.“ „Dann war Mokuba ein Drache!“ „Er ist es noch“, korrigierte Seto ihn kalt. „Er hat nur nicht mehr das äußere Erscheinungsbild eines Drachen. Das stuft ihn nicht zu einem Menschen herab.“ Joey war viel zu überrascht, um von dieser Bemerkung gekränkt zu sein. Setos Worte ergaben für ihn plötzlich einen Sinn. „Ich kenne Mokuba seit dem Tag, an dem er geboren wurde. Ich war immer an seiner Seite und habe ihn beschützt.“ Und obwohl er Seto glauben wollte, waren da doch noch Dartz Worte, die ihn zweifeln ließen. Es war nur ein Funken Zweifel, aber er war präsent und hartnäckig. Joey schüttelte den Kopf und schob den Gedanken beiseite. „Es tut mir leid, dass ich mich habe gefangen nehmen lassen. Wie auch immer es jetzt geschehen ist.“ Tatsächlich konnte er sich noch immer nicht erklären, wie es den Soldaten gelungen war, ihn zu verschleppen, obwohl er direkt hinter dem Drachen gestanden hatte. Vielleicht war Seto zu schnell für sie gewesen und sie hatten keine Möglichkeit bekommen, ihn auch gefangen zu nehmen. Oder sie hatten gedroht, den Prinzen umzubringen, wenn Seto versuchen würde, ihn zu befreien. Er würde die Antwort wohl nie erhalten. „Aber lass uns ein Stück gehen. Ich denke, Rex hat mich nicht ohne Grund gewarnt. „Rex?“ „Die Eidechse.“ Seto schnaubte, widersprach jedoch nicht. „Dafür werde ich heute Nacht keine Rast einlegen“, bemerkte er schließlich, nachdem sie sich in Bewegung gesetzt hatten. Joey schlug den Kragen seines Oberteils hoch. „Das verlange ich auch gar nicht.“ Während sie gingen und ein Feld mit Sonnenblumen passierten dachte Joey daran, dass Seto ihn noch immer nicht bei seinem Namen genannt hatte. Es sollte ihn nicht weiter stören, er sollte es ignorieren und sich keine Gedanken darüber machen, aber so sehr er sich auch anstrengte, blieb da dieses ungute Gefühl in seinem Magen. „Ich bin schon lange auf der Jagd nach diesem Drachen. Und, mein lieber Prinz, nimm es mir nicht übel, aber dieses Wesen hat dich getäuscht.“ Joey seufzte. Vor ihm lag offensichtlich eine erneute schlaflose Nacht. Nachwort(e): Es wird jetzt mehr von dem Drachen und dem Prinzen geben - sie waren lange genug voneinander getrennt und Joey hat sich vorerst genug "klauen" lassen X3 Bis nächste Woche! Kapitel 8: ... zweifelte ... ---------------------------- „Oh holde Maid, ich bitte dich, lass dein prachtvolles Haar hinunter!“ „Wie lange braucht der denn noch?“ Prinz Joey war es leid, zu warten. „Wenn du mich lässt, brülle ich. Dann brauchst du nicht mehr zu warten.“ „Wenn er noch einmal Anstalten macht, zu singen, dann darfst du auch gerne Feuer speien. Die Kleidung von ihm ist ohnehin eine Zumutung.“ „Ich bitte dich, lass dein Haar hinunter!“ „Nein!“, fauchte eine weibliche, gereizte Stimme. „Aber ich bin derjenige, der –“ „Verschwinde!“ Der junge Mann am Fuß des Turmes zuckte zusammen und verzog das Gesicht. Dann wirbelte er herum. Er stapfte leise fluchend zu seinem Pferd und stieg auf. „Mit dem Benehmen wird dich niemand befreien wollen “, rief er hinauf, dann gab er seinem Pferd die Sporen und galoppierte er davon. Joey seufzte erleichtert und trat aus dem Dickicht heraus. Seto machte Anstalten ihm zu folgen, doch er wies ihn zurück. „Bleib hier. Ich kann es nicht gebrauchen, dass diese Frau noch Panik bekommt, wenn sie dich sieht.“ Seto knurrte. „Als ob ich so schlecht aussehen würde. Sie wird vielmehr die Angst ergreifen, wenn sie dich sieht, Mensch. Du hättest dich waschen sollen.“ „Wer konnte denn ahnen, dass mitten im Wald auf einmal ein Loch im Boden ist? Wer gräbt denn auch bitte mitten im Wald ein Loch - da muss man doch zwangsläufig hineinfallen!“ „Rede nicht, sondern beeil dich lieber. Wir müssen weiter.“ Joey murrte und wandte sich ab. Er umrundete den Turm und kam schließlich auf der Vorderseite zum Halt. Dass es die Vorderseite war konnte er lediglich daran erkennen, dass sich dort das Fenster befand. Er spürte Setos drängenden Blick auf sich. „Entschuldigung“, rief er nach oben. Es vergingen einige Momente, dann erschien eine Gestalt am Fenster. Eine junge Frau mit blonden Haaren blickte missgestimmt zu ihm hinab. Als sie Joey musterte verschränkte die Arme. „Und was willst du?“ Wenn das eine Prinzessin ist, dachte Joey, dann hoffe ich, dass nicht alle so sind wie sie. Joey zwang sich zur Freundlichkeit. „Entschuldige, aber hättest du etwas zu Essen für mich? Ich bin schon lange auf der Reise, habe aber leider mein Geld verloren und –“ Er brach ab, da die Frau sich längst abgewandt hatte und nicht mehr zu sehen war. Der Prinz starrte sprachlos zum Fenster hinauf. „He“, rief er empört. „Ich rede mit dir! Du kannst mich nicht einfach so stehen lassen!“ Niemand antwortete. Er konnte Seto bereits feixen hören. „Jetzt hör mir mal zu“, schimpfte er zum Fenster hinauf. „Ich versuche hier nicht, dich mit irgendwelchen albernen Balladen zu bezirzen. Alles was ich möchte, ist eine Kleinigkeit zu Essen. Ist das zuviel verlangt?!“ „Du nervst!“ Joey konnte knapp einem Schuh ausweichen, der aus dem Fenster geworfen wurde. Genug war genug. Diese Frau sollte ihn kennenlernen! Joey griff nach einem Tannenzapfen neben sich, holte aus und warf. Oben im Turm erklang ein schmerzhafter Ausruf. „Was zum –“ Die Frau erschien wieder am Fenster, doch dieses Mal strahlte sie eine Aura der absoluten Rage aus. „Du!“ „Genau, ich.“ Joey starrte sie nicht minder wütend an. „Und jetzt lass mich gefälligst rauf oder ich klettere den verdammten Turm hinauf.“ Lange starrten sie sich an, dann begann die Frau zu lachen. „Du gefällst mir“, sagte sie zwinkernd. „Du bist nicht so eine Jammergestalt wie die anderen Möchtegernretter, die mir schon den letzten Nerv geraubt haben. Kann man sich das vorstellen? Da möchte man seinen Schönheitsschlaf halten und unten beginnt irgendein Taugenichts vollkommen schief irgendwelche Balladen zu singen.“ Sie griff hinter sich und warf es über das Geländer. Erst als das Ende des Zopfes vor Joey hin und herpendelte erkannte er, dass es ihre Haare waren. Skeptisch blickte er zu ihr hinauf, doch sie winkte ab. „Nun mach schon, bevor ich es mir anders überlege.“ Joey griff nach dem Zopf und begann seinen Aufstieg. Als er das Fenster erreichte und in den Turm kletterte fand er sich einer jungen, attraktiven Frau gegenüber wieder. Sie musterte ihn von oben bis unten, dann zuckte sie die Schultern. „Du bist niedlich, aber nicht der, den ich erwarte.“ Auch wenn Joey nicht hier war, um sie zu retten, so fühlte er sich dennoch durch ihre Worte angegriffen. „Niedlich?“, wiederholte er und blickte an sich hinab. „Ich bin vieles, aber nicht niedlich.“ Die Frau lächelte neckisch. „Oh, du hast ja keine Ahnung.“ Sie betrachtete ihre Fingernägel. „Mein Name ist Mai. Du bist der erste, den ich hier herauflasse, aber du besitzt Schneid. Das gefällt mir. Dort hinten steht etwas zu Essen. Bediene dich.“ „Danke.“ Am anderen Ende des Raumes stand ein gedeckter Tisch. Joey, dem bereits seit Stunden der Magen knurrte, setzte sich und nahm sich ein Stück Brot. Seto hatte vorgeschlagen, er sollte sich seine Mahlzeit jagen – so wie der Drache es tat – aber Joey hatte sich geweigert, einen Hasen zu töten. Es war lächerlich von ihm gewesen, vor einigen Tagen noch geglaubt zu haben, einen Drachen erlegen zu können, wenn er nicht einmal einem Hasen etwas tun konnte. Seine Tasche mit Proviant und Geld hatte Joey bei dem Überfall der Soldaten verloren. Er war mittellos und mit Seto an seiner Seite konnte er keine Dörfer aufsuchen. Und alleine ließ der Drache ihn nicht mehr losziehen – als befürchtete, Joey würde sich wieder von jemandem gefangen nehmen lassen. Er übertrieb. „Du hast dich noch nicht vorgestellt.“ Der Prinz schreckte auf und verschluckte sich an dem Brot. Mai beobachtete belustigt, wie er versuchte, wieder Luft zu bekommen. „War meine Frage so unvorhersehbar?“ Joey schüttelte den Kopf. „Mein Name ist Joey.“ „Joey - und weiter?“ „Wie?“ „Na ein Zunahme.“ Sie begann vor ihm auf und ab zu gehen. „Joey, der Tapfere, der Unbestechliche, der Rittersohn, der Drachenbezwinger?“ Unwillkürlich war Joey bei dem letzten Namen zusammengezuckt. Er schüttelte den Kopf. „Nein. Nur Joey.“ Mai verschränkte die Arme. „Nun denn, Nur-Joey, was verschlägt dich hierhin? Um mich zu ‚retten’ bist du ja offensichtlich nicht gekommen.“ „Ich bin auf der Durchreise.“ „Tatsächlich. Wohin?“ Joey kaute langsamer. „Nun ja ...“ Wohin genau, das wusste er selbst nicht. „Zu einem Berg?“ „Wirklich sehr markant. Hoffentlich findest du ihn.“ „Und was ist mit dir?“ „Ich? Ich lebe hier so vor mich hin. Ich stehe auf, durchquere den Turm, schaue aus dem Fenster, durchquere den Turm, bewerfe nervige Trottel mit Schuhe. Nichts Besonderes.“ „Klingt nicht wirklich Abwechslungsreich.“ „Es ist auf seine eigene Art unterhaltsam.“ Joey griff nach einem Apfel. „Möchtest du nicht manchmal raus hier?“ Mai starrte ihn entsetzt an. „Damit mich dann gar nichts mehr von diesen liebestollen Idioten da draußen trennt? Der Turm ist mein Zufluchtsort!“ Joey lachte. „Da scheint was dran zu sein.“ Er biss in den Apfel. „Beeil dich, Mensch.“ Der Prinz ließ den Apfel fallen. Mai blickte überrascht zum Fenster. „Du bist nicht alleine?“ Joey sprang auf und warf den Stuhl um. „Nein, ich habe einen .... Begleiter. Ich dachte, du wolltest Wache halten“, rief er etwas lauter in Richtung Fenster. „Du brauchst zu lange“, sagte der Drache. Der Turm erzitterte und Joey eilte zu Mai, packte sie bei den Schultern und wirbelte sie herum, doch es war zu spät. Vor dem Fenster erschien das Drachengesicht. Seto betrachtete die beiden missbilligend. „Ich störe euch ja nur ungern, aber das ist nicht de richtige Zeitpunkt dafür, Prinz.“ „Hab ich dir nicht gesagt, du sollst warten?“, fuhr Joey Seto wütend an. „Du bist langsam. Und du verschwendest wichtige Zeit.“ Mai löste sich von Joey. „Du bist ein Drache.“ Bevor Seto sich über die Überflüssigkeit ihrer Aussage beschweren konnte, fuhr sie mit einem Lächeln fort: „Ich hatte schon befürchtet, nie einen zu sehen.“ Sie hatte keine Angst vor Seto. Das schien sogar den Drachen zu irritieren. „Du siehst mich jetzt.“ Seto wandte sich ab. „Wir gehen, Mensch.“ „Sind alle Drache so mürrisch?“ Mai hatte eine Hand an ihr Kinn gelegt und musterte Seto. „Ich hatte mir vorgestellt, ihr wärt viel –“ „Viel was?“ Seto blickte über seine Schulter. „Imposanter? Eingebildeter? Dümmer?“ Joey verdrehte die Augen. Mai verschränkte die Arme. „Sanfter.“ Der Prinz begann zu lachen. Mai sah ihn verwundert an und Joey hob die Hand. „Entschuldige, Mai“, sagte er glucksend, als er sich wieder mehr unter Kontrolle hatte. „Aber das ist gerade so überhaupt nicht Seto, dass es komisch ist.“ „Tatsächlich?“ Mai begann auf eine Art zu lächeln, die den Prinzen unweigerlich erschaudern ließ. Das war das Lächeln einer Frau, die mehr wusste, als andere. „Wie interessant.“ „Mai? Gibt es da etwas, dass du mir –“ „Nein, Joey. Das muss der Drache schon selber tun.“ Joey verstand sie nicht, doch als Mai beharrlich schwieg, richtete er seinen fragenden Blick auf Seto. Der Drache erwiderte den Blick einen Moment, dann verzog sich sein Maul zu einem spöttischen Lächeln. „Übersteigt das dein Verständnis?“ Joey verschränkte die Arme. „Was kann ich dafür, dass sie in Rätseln spricht.“ Seto schüttelte den Kopf. „Vergiss es, Mensch. Wir müssen weiter.“ Joey schnaubte. „Was ist los mit euch Frauen und euch Drachen? Hat man euch geschaffen, um Männer wie mich zu verwirren? Das macht euch Spaß oder?“ „Jetzt übertreibst du, Joey.“ Mai strich ihm spielerisch über die Wange. „Es ist amüsant, aber nicht unsere Lebensaufgabe.“ Joey machte einen Schritt zurück. „Und da wunderst du dich, dass der Richtige noch nicht erschienen ist? Du machst es den Männern aber auch nicht leicht!“ Mai zwinkerte ihm zu. „Und derjenige, der sich davon nicht täuschen lässt, ist der Richtige, mein lieber Joey.“ „Was ich nicht bin.“ „Das weiß ich. Keine Sorge, es wird sich schon die richtige Seele zu deiner finden, Prinz.“ Joey schluckte. „Woher weißt du –“ „Ich bin nicht dumm, Joey. Auch ich habe die Geschichten über den Prinzen gehört, der loszog um einen Drachen zu erlegen und das Herz einer Prinzessin für sich zu gewinnen. Allerdings scheint es nicht das Herz der Prinzessin zu sein, das du zu erobern suchst.“ Ihr Blick richtete sich auf Seto, welcher die Augen verdrehte. Joey hob abwehrend die Hände. „Das hast du falsch verstanden. Ich bin nicht mit ihm unterwegs –“ Zu seinem Entsetzen spürte der Prinz, wie seine Wangen sich röteten. „Wir – wir wollen seinem Bruder helfen! Wir haben ein Abkommen und ich werde ihm helfen, seinen Bruder zu retten – das ist alles!“ Joey stockte. „Mai?“ Die Frau hatte bei Joeys Worten den Mund wie zum Protest geöffnet, dann jedoch wieder geschlossen. Nun starrte sie Seto auf eine Art an, die Joey nicht von ihr erwartet hatte: Mit Geringschätzung. „Ist das so?“ Seto wandte sich ab. „Prinz, verlass den Turm. Wir haben schon viel zu viel kostbare Zeit verschwendet.“ Joey, der die plötzliche Kälte, die in der Luft lag, nicht verstand, nickte abwesend, nahm seinen Blick jedoch nach wie vor nicht von Mai. Er durchquerte den Raum, bis er am Fenster stand. „Entschuldige unsere Hektik, aber du siehst: Er hat es eilig.“ „Es verwundert mich nicht“, sagte Mai, die Seto hinterher blickte. Der Prinz zögerte. „Alles in Ordnung?“ Mai zuckte zusammen und löste sich aus der Starre. Joey wollte sich von ihr verabschieden, doch sie griff nach seinem Arm und zog ihn ruckartig zu sich. „Frag ihn, warum ausgerechnet du mit ihm reisen musst“, flüsterte sie ihm ins Ohr. „Aber das weiß ich doch schon –“ „Frag ihn!“, unterbrach sie ihn eindringlicher, dann griff sie neben sich und warf ihr langes Haar zum Fenster hinaus. Sie gab ihm einen Schubs, sodass Joey am Fenster stand. „Frag ihn, Joey.“ Der Prinz, zu überrascht von alldem, folgte ihrem Wink und schwang ein Bein aus dem Fenster. Auf dem Fensterrand sitzend drehte er sich zu Mai herum. „Mai, ich verstehe nicht, was du –“ Ein Blick in ihre Augen ließ ihn verstummen. „Befolge einfach meine Worte, Joey.“ Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Frag ihn und gib nicht locker, bis er es dir gesagt hat. Bis dahin ... lasse ihn nicht vergessen, dass du ein fühlendes Wesen bist. Genau wie er. Hast du das verstanden?“ Der Prinz nickte. Mai lächelte ihn an und dieses Mal lag eine Spur Trauer in ihren Zügen. „Es freut mich, deine Bekanntschaft gemacht zu haben, Joey. Ich verlange, dass wir uns wiedersehen.“ „Aber sicher doch, werte Prinzessin!“, erwiderte Joey grinsend und ließ sich mithilfe des Zopfes an der Turmmauer hinab. Unten angekommen winkte er Mai ein letztes Mal zu, bevor er dem Turm den Rücken kehrte und Seto folgte. Die folgenden Stunden verbrachten sie schweigend. Seto hatte sich wieder in die Lüfte erhoben und sie überflogen Felder und Wälder. Niemand folgte ihnen, das hatte der Drache mehrfach überprüft und bestätigt. Joey saß auf seinem Rücken und dachte über das nach, was Mai ihm gesagt hatte. Bei ihrer nächsten Rast fragte er Seto, wie weit es noch wäre, woraufhin der Drache antwortete, dass sie noch wenige Stunden Flug von ihrem Ziel trennen würde. Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto unruhiger wurde Joey. Er war nicht dumm. Seto nannte ihn noch immer Mensch. Er merkte, dass es Setos eigene Art war, sich von ihm zu distanzieren. Er merkte, dass der Drache ihn – wenn er dachte, Joey würde es nicht bemerken – oft musterte. Er nahm wahr, dass Seto unruhiger wurde, auch wenn er versuchte, es zu verbergen. Joey war kein dummer Prinz. Und er wusste, wann man ihn täuschte und wann es besser war, den Zweifeln, die man hatte, zu glauben. Am Ende des Tages erreichten sie die Berge von denen Seto gesprochen hatte. Es waren andere Berge als die, in denen sich Setos und Mokubas Burg befand, denn sie kündigten sich nicht an. Es gab keine Gebirgsausläufer - von einem Moment auf den anderen ragten in der Landschaft steile Felsen vor ihnen in die Höhe. Eine mehrere Meter breite Spalte zwischen den Felsen wies ihnen den Weg den Berg hinauf. Die Spitze des Berges war von diesem Punkt aus nicht zu erkennen, denn sie verschwand zwischen den Wolken. Als Seto nicht umgehend die Spitze des Berges anstrebte, sondern stattdessen vor der Felsspalte landete, waren alle dunklen Vorahnungen für Joey bestätigt. Dartz Worte, Mais Warnung und alle Auffälligkeiten der letzten Stunden wurden nun zuviel. Joey machte keine Anstalten, dem Weg vor ihnen zu folgen, sondern blieb stehen. Seto, der einige Meter vor ihm war und das unvermittelte Ausbleiben der Schritte hinter ihm bemerkte, drehte sich um. „Was ist, Mensch? Brauchst du eine Pause? Es ist nicht mehr weit.“ „Was befindet sich auf der Spitze des Berges?“, fragte Joey, ohne den Drachen anzusehen. Er kämpfte mit dem unbändigen Verlangen, kehrt zu machen und zu rennen, doch er war kein Feigling. Er würde Seto zur Rede stellen und egal, welche Antwort er erhalten würde, er würde nicht eher Ruhe geben bis er die Wahrheit wusste. „Ich habe es dir bereits gesagt“, gab Seto kalt zurück. „Was fragst du also noch?“ „Was ist auf der Spitze des Berges, Drache?“, wiederholte Joey und sah Seto nun direkt an. Der Drache wirkte überrascht angesichts des Zorns, der ihn aus den Augen des Prinzen traf. „Ich will, dass du die Worte wiederholst. Ich will sehen, ob du mich wieder eiskalt belügen kannst, ohne dir auch nur irgendetwas anmerken zu lassen.“ „Was redest du da?“ In Setos Stimme lag eindeutige Irritation. „Was befindet sich am Ende dieses Weges?“ „Unser Ziel, Mensch.“ „Was für ein Ziel, Drache?!“ Seto drehte sich vollständig zu ihm um. Seine Haltung hatte sich verändert, sie war nun nicht mehr gleichmütig sondern sichtlich angespannt. „Mokubas Rettung.“ „Und was bedeutet das für mich?“ Seto verengte die Augen. „Dass du bis zum Ende gehen musst, wenn du dein Versprechen einlösen willst.“ Joey verlor die Geduld. „Und was erwartet mich dort? Wachen mit Schwertern? Vielleicht ein Opferstein, auf dem man mir dann einen Dolch ins Herz rammt, um mein Blut zu vergießen?!“ Seto knurrte. „Red keinen Unsinn.“ Joey starrte ihn wutentbrannt an. So leicht würde Seto ihn nicht täuschen können. Er hatte das kurze Aufflackern in den Augen des Drachen beim erwähnen des Opfersteines deutlich gesehen, auch wenn Seto dachte, es überspielen zu können. „Denkst du ich merke nicht, dass du dich bewusst von mir zu distanzieren versuchst?! Glaubst du wirklich, ich wäre so dumm, nicht zu bemerken, dass du unruhiger wirst, je näher wir diesem Berg kommen? Was geschieht, wenn ich die Spitze des Berges erreiche? Was ist diese angebliche Blume tatsächlich? Ein Opferaltar, auf dem man mich wie ein naives Opferlamm hinrichtet, um Königsblut zu vergießen? Oder braucht ihr etwas anderes von mir? Hast du denn überhaupt keine Skrupel?“ Er war mit jedem Wort lauter geworden. „Ich habe dir angeboten, dich zu begleiten, du hast Tristan versprochen, mich heile zurückzubringen, aber das wird ja offenbar nicht passieren. Du versuchst mich nicht an dich heranzulassen, damit du im Nachhinein keine Schuldgefühle hast. Du bist grausam“, zischte er schließlich und Setos Blick sagte ihm, dass er recht gehabt hatte. Der Drache richtete sich zu seiner vollen Größe auf. „Was hättest du an meiner Stelle gemacht?“, grollte er. „Welche Stelle?!“, rief der Prinz aufgebracht. „Ich weiß ja nicht, in welcher Lage du dich befindest, weil du nicht mit mir sprichst. Vielleicht hätte ich dir helfen können, aber stattdessen fliegst du mich dorthin, wo man mich töten wird! Ich bin kein Objekt – ich bin ein lebendiges Wesen!“ „Es ist die einzige Möglichkeit, Mokuba von dem Fluch zu befreien!“ „Ach, und du willst jetzt meinen Segen haben, um mit reinem Gewissen mein Blut vergießen zu dürfen?!“, erwiderte Joey wutentbrannt. „Vergiss es! Ich habe dir vertraut, Seto, obwohl ich gemerkt habe, dass die ganze Zeit über etwas nicht stimmte. Ich wollte es nicht wahr haben, aber im Nachhinein hatten sie alle recht. Sogar Dartz war ehrlicher zu mir als du.“ Er wirbelte herum. „Wir sind hier fertig.“ Er hatte keine drei Schritte getan, da hörte er ein wütendes Brüllen hinter sich. Ein Blick über die Schulter verriet ihm, dass Seto die Flügel ausgebreitet hatte. „Und du denkst, dass du jetzt einfach so gehen kannst?!“ Joey beschleunigte seine Schritte, bis er rannte. Vor ihm sah er bereits die ersten Bäume des Waldes. Wenn er es in den Wald schaffte, dann könnte er sich dort verstecken. Irgendwo. Hinter sich erklangen schwere Schritte, die ebenfalls an Schnelligkeit gewannen und Joey wusste, dass Seto dicht hinter ihm war. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, sein Magen verkrampfte sich und er wollte würgen. Er fühlte sich hintergangen und betrogen und wenn er gekonnt hätte, hätte er den Drachen verwünscht. Er stolperte über einen Ast und fiel. Schwer atmend rappelte er sich auf und rannte weiter. „Bleib stehen!“, rief Seto dicht hinter ihm. Joey hatte keine Luft, um etwas zu erwidern, doch er kam nicht weit. Etwas schlang sich um seine Beine und riss ihn zu Boden. Sein Gesicht ladete im Laub und er wollte sich aufrichten, doch ein Luftzug in seinem Nacken ließ ihn erstarren. Seto war genau über ihm. Jegliche Spannung wich aus Joey Körper. Seto hatte ihn. Das war es dann wohl. Er drehte sich auf den Rücken und starrte hasserfüllt in die saphirblauen Augen über sich. Seto hatte ihn mithilfe seines Schwanzes von den Füßen gerissen und stand nun drohend über Joey. Seine Vorderklauen gruben sich links und rechts neben dem Prinzen in den Waldboden. „Sieht aus, als wäre es das für mich“, knurrte Joey. „Glückwunsch, Seto, jetzt hast du, was du wolltest. Du kannst mich zur Bergspitze bringen und das tun, was du schon seit Tagen vorhattest.“ Als wäre er nichts weiter als ein Mittel zum Zweck gewesen. „Wegrennen kann ich dir nicht.“ Nicht mehr als ein Opferlamm. „Du hättest mich auch gleich fressen können, wie deine Beute.“ Er lachte bitter. „Das wäre auf dasselbe hinausgekommen. Wahrscheinlich wäre es sogar weniger grausam gewesen, als mich so lange zu täuschen.“ Er holte mit der Faust aus und schlug Seto mit aller verbliebenen Kraft gegen die Schuppen des Vorderbeines. Ein stechender Schmerz fuhr dabei durch seine Hand doch er ignorierte es. Wahrscheinlich hatte Seto nicht mehr als einen leichten Stoß gespürt. Auch das war Joey egal. „Idiotischer Drache“, flüsterte er und auch wenn seine Augen brannten, schwor er sich, dass er vor Seto nicht zu weinen beginnen würde. Er war zwar verletzt, aber er hatte noch immer seine Würde. Seto würde ihn opfern, aber Joey war nach wie vor ein Prinz. Und Prinzen weinten nicht. Auch, wenn sie verletzt, betrogen und verraten worden waren. Seto seufzte. „Bist du dann fertig?“ Als Antwort erntete er einen weiteren Schlag gegen das Bein. Er zuckte nicht einmal, während Joey sich die Faust rieb. „Sei still!“, fauchte der Prinz wütend. Der Drache verdrehte die Augen, dann hob er eine der Klauen vom Waldboden und presste sie gegen Joeys Brust. Er beugte sich vor, bis sein Gesicht nur wenige Zentimeter über dem des Prinzen am Boden schwebte. „Wenn der Moment der Dramatik dann vorbei ist, kannst du mir ja deine volle Aufmerksamkeit schenken.“ Joey wollte etwas erwidern, doch der Druck auf seiner Brust verstärkte sich für einen Moment so sehr, dass er den Mund, ohne ein Wort gesagt zu haben, wieder schloss. Sofort ließ der Druck nach. Seto zeigte seine Zähne in einem Lächeln voller Genugtuung. Dann wurde er ernst. „Hör mir zu – und ich dulde es nicht, wenn du mich unterbrichst. Ich bin dir gegenüber nicht ehrlich gewesen, da hast du recht - und ich verstehe deine Reaktion. Oder zumindest den Teil der Reaktion, in dem du mich angeschrien hast. Was den Teil angeht, in dem du beinahe geweint hast, so –“ „Nimm das zurück!“, fuhr Joey ihn an. „Ich habe nicht beinahe geweint. Ich bin ein Prinz und Prin-“ Der Rest seiner Worte ging in einem Röcheln unter, als Seto den Druck seiner Klaue verstärkte. „Ich habe dich belogen und behauptet, auf der Spitze des Berges wäre eine Pflanze, die Mokuba retten würde. Ich habe dir verschwiegen, dass dort tatsächlich ein Tempel steht, in dem eine Priesterin lebt, die Mokuba im Austausch für ein anderes Leben retten kann. Ein anderes Leben als mein eigenes“, fügte er hinzu, als habe er die Frage in Joey Augen lesen können. „Mein Leben im Austausch für seins ist nicht möglich – Dartz und Pegasus wussten dies zu verhindern, da ihnen bewusst war, dass ich diese Möglichkeit sonst gewählt hätte. Ihnen war klar, dass sie mich damit mehr bestrafen würden als mit meinem Tod im Austausch für Mokubas Gesundheit. Tatsächlich ist auch nicht jedes Leben eintauschbar. Mokuba hat die Gabe, Menschen erkennen zu können und somit hat er deine adlige Herkunft gesehen. Nur das Leben einer Person mit königlichem Blut kann eingetauscht werden. Weil es am unwahrscheinlichsten ist, dass ein Adliger bereit ist, sein Leben für das eines Drachen zu lassen.“ Setos Blick bohrte sich in Joeys. „Ich habe dich hintergangen, das stimmt. Aber ich frage dich: Was hättest du an meiner Stelle getan.“ Joey öffnete den Mund, doch Seto war schneller und sagte eindringlich: „Was hättest du wirklich getan, Joey?“ Er hatte ihn beim Namen getan. „Wenn du ehrlich zu dir selbst bist.“ Und als Joey in Setos Augen blickte, in denen nun deutliche Reue und der Schmerz der vergangenen Jahre lag, wusste er, dass er – auch wenn er sich wünschte, edler zu sein und moralischer zu handeln als Seto – genau das Gleiche getan hätte, wenn es um das Leben seiner Schwester – das Leben seiner ganzen Familie – gegangen wäre. Das Gewicht verschwand von seiner Brust als Seto die Klaue hob, doch Joey blieb auf dem Boden liegen, einen Arm über die geschlossenen Augen gelegt. Und auch wenn er hoffte, dass es nicht so war, so wusste er doch, dass Seto seine Tränen gesehen hatte. Joey biss sich auf die Lippen und ballte die Fäuste, doch der Tränenstrom brach nicht ab. Heiß und verräterisch tränkte er den Ärmel und bahnte sich trotz des Hindernisses seinen Weg über die Wangen des Prinzen. „Verfluchter Drache“, würgte Joey hervor und war dankbar darüber, dass er zumindest nicht schluchzte. „Elender, verdammter Drache!“ Er schlug mit der anderen Faust auf den Waldboden und wirbelte einige Blätter auf. „Bist bereit mich zu opfern, schaffst es aber trotzdem, dass ich mich im Nachhinein schlecht fühle!“ Seto schnaufte, doch lag dieses Mal keine Genervtheit darin. Joey nahm eine Bewegung des Drachen wahr und als er aus den Augenwinkeln einen verschwommenen Blick zur Seite warf, erkannte er, dass Seto sich neben ihn gelegt hatte. Eine bepanzerte Vorderklaue lag unmittelbar neben Joeys Kopf und der Prinz dachte keinen Moment darüber nach, sondern drehte sich zur Seite und presste das Gesicht gegen die glatten, schneeweißen Drachenschuppen. Seto spottete nicht über sein Verhalten. Er drängte auch nicht zur Eile. Er lag neben Joey und duldete den Gefühlsausbruch des Prinzen. Und Joey glaubte – auch, wenn er es sich vielleicht nur wünschte – dass Seto es tat, weil er den Prinzen verstand. Und weil Joey ihm – auch wenn er eigentlich versucht hatte, es zu verhindern – doch nicht ganz egal war. Kapitel 9: ... sich wehrte ... ------------------------------ „Und was tun wir jetzt?“ Seto blickte in den Himmel. „Ich weiß es nicht.“ „Dann sind wir gleich schlau.“ „Ein überflüssiger Kommentar, Mensch.“ Joey schlug dem Drachen gegen die Seite. Seto richtete seinen Blick gereizt auf ihn. „Was?“ „Joey“, knurrte der Prinz und funkelte den Drachen wütend an. „Wir sind über die Ich-bringe-den-Menschen-zum-Berg-um-ihn-dort-zu-opfern-Phase hinaus. Du kannst mich jetzt bei meinem Namen nennen.“ „Und was, wenn mir nicht danach ist?“ Joey verschränkte die Arme. „Dann sollte dir besser bald danach sein, sonst überlege ich mir das mit dem Drachenerlegen noch mal – und dann werde ich nicht zu deinen Gunsten entscheiden.“ „Als ob du eine Gefahr für mich darstellen könntest.“ Joey schwang sich in einer – durch die mehrtägige Reise – geübten Bewegung auf den Drachenrücken und klammerte sich von hinten an Setos Hals. „Das werden wir ja sehen!“ Der Drache betrachtete die kläglichen Versuche des Prinzen über seine Schulter mit einem belustigten Funkeln in den Augen. „Tu dir keinen Zwang an.“ Joey lockerte seinen Griff kein bisschen. Auch wenn er mit beiden Armen nicht den Hals des Drachen umfassen konnte, würde er nicht so bald aufgeben. Er starrte Seto provozierend an, woraufhin der Drache mit den Schultern zuckte – eine erschreckend humane Geste – und ein einziges Mal kräftig mit den Flügeln schlug. Der Ruck, der dabei durch den Körper des Wesens ging reichte aus, um Joey in hohem Bogen in die Lüfte zu schicken. Er sah den Boden bereits in rascher Geschwindigkeit auf sich zukommen, als Seto mit seinem Schwanz Joeys Beine umschlang und den Aufprall verhinderte. Wieder einmal. Joey gab einen genervten Laut von sich und verschränkte die Arme, während er wenige Zentimeter vom Boden entfernt in der Luft hin und her pendelte. „Das wird langsam alt, Drache“, murrte er. „Lass dir mal was Neues einfallen.“ Seto schmunzelte. Er hob Joey weiter in die Lüfte und beugte sich vor, bis seine Augen auf gleicher Höhe mit denen des Prinzen waren. „Es verliert aber nie an Reiz.“ „Was du nicht sagst.“ Joey streckte die Hand aus und tätschelte die Drachenschnauze vor sich. „Ich dich auch, Drache.“ Als er die Hand zurückzog stockte er, da etwas in Setos Blick lag, was vorher nicht dagewesen war. Erst jetzt wurde Joey bewusst, wie vertraut diese Berührung gewirkt haben musste. Unweigerlich spürte er, wie ihm Blut ins Gesicht strömte, doch es musste daran liegen, dass er noch immer kopfüber in der Luft hing. Dann hielt ihn plötzlich nichts mehr und mit einem überraschten Ausruf fiel er. Doch wieder landete er nicht auf dem Boden – dieses Mal wurde es von einer Drachenklaue verhindert, die jedoch nicht weniger hart war als der Boden. Joey rieb sich sein schmerzendes Gesäß und fluchte leise (etwas, das er von Bakura gelernt hatte). Dann blickte er zu dem Drachen auf. „Wofür war das denn?“ „Ein ganz schön schmutziges Mundwerk für einen Prinzen, findest du nicht auch?“ Seto stand auf den Hinterbeinen, zu seiner vollen Größe aufgerichtet, und Joey saß in mehreren Metern Höhe auf seiner ausgestreckten Vorderklaue. Der Prinz rappelte sich auf. „Und du bist ziemlich unverschämt für einen Drachen – mich einfach herumzuwerfen, wie ein Stück Holz.“ „Ich werfe dich nicht. Ich habe dich aufgefangen.“ „Oh, vielen Dank auch.“ Joey wandte den Blick ab. Seto so lange in die Augen zu sehen verursachte noch immer ein Gefühl des Unwohlseins, wenn er daran dachte, dass der Drache bereit gewesen war, ihn einfach so zu opfern. Auch wenn er Setos Beweggründe verstand, änderte es nicht daran, dass er Seto gegenüber misstrauischer war als vorher. Dem Drachen entging dieser Stimmungswechsel nicht. „Joey“, setzte er an und die alleinige Nennung seines Namens ließ den Prinzen aufblicken. „Ich werde dich nicht opfern.“ Joey setzte bereits zu einer spöttischen Erwiderung an („Na das beruhigt mich ja“, „Wie überaus großzügig von dir“), doch er schloss den Mund wieder, als er sich in Erinnerung rief, wie viel diese Aussage eigentlich bedeutete. Es hieß, dass Seto Mokubas Rettung für ihn aufgab. Der Prinz vergrub die Hände in seinen Haaren und schüttelte den Kopf. „Was soll ich nur mit dir machen, du dummer Drache?“, klagte er und kam sich selbst überaus theatralisch vor. „Auf einmal bin ich es wieder ,der in deiner Schuld steht, obwohl du mich opfern wolltest! Kannst du mir mal sagen, wie du das immer wider schaffst?!“ „Drachencharme.“ Joey blinzelte. „Das meinst du jetzt nicht ernst oder?“ Seto verdrehte die Augen. „Natürlich nicht, naiver Mensch.“ Joey funkelte ihn an und der Drache korrigierte sich sichtlich genervt: „Naiver Prinz.“ „Das müssen wir wohl noch lernen, was?“ „Sei still.“ Seto setzte sich wieder und ließ Joey von seiner Klaue steigen. Der Prinz betrachtete den Berg, der vor ihnen in die Höhe ragte. „Da du es ja so meisterhaft beherrscht, die Verhältnisse zu deinen Gunsten stehen zu lassen, muss ich mir wohl etwas überlegen, um Mokuba zu helfen.“ Zu seiner Überraschung jedoch sagte Seto: „Das musst du nicht.“ „Was?“ Seto wich seinem Blick aus. „Ich sagte, du musst es nicht Me- Joey. Du hast deinen Teil der Abmachung erfüllt – du bist mit mir gekommen – aber ich habe mein Versprechen beinahe gebrochen. Ich hätte es gebrochen, wenn du mich nicht zur Rede gestellt hättest. Du bist frei von jeglicher Schuld und kannst gehen.“ „Entschuldigst du dich gerade bei mir?“ Seto knurrte. „Du überinterpretierst meine Worte.“ Joey beugte sich vor. „Nein, ich glaube nicht. Du hast zwar versucht, dich von mir zu distanzieren, aber wenn ich mir dich jetzt so ansehe, dann wäre es doch nicht einfach so an dir vorbeigegangen. Ich bin dir nämlich gar nicht so unsympathisch, kann das sein?“ „Jetzt übertreibst du, Prinz.“ Joey hatte längst zu grinsen begonnen. „Nein, nein, nein. Du kannst es nicht leugnen, du magst mich.“ Setos Blick lag mit einem Mal stechend auf ihm und Joey zuckte zusammen. „Irgendwie“, fügte der Prinz etwas kleinlauter hinzu. Seto sah aus, als würde er am liebsten vehement verneinen, doch schließlich verzog er missbilligend das Maul und sagte: „Irgendwie. Man kann sich mit allem arrangieren.“ Joeys Mundwinkel hoben sich und er strich sich durch die Haare. „Keine Sorge, ich werde niemandem erzählen, dass der stolze, kalte Drache ein Herz hat. Und falls es dich beruhigt.“ Er zwinkerte. „Ich mag dich auch. Irgendwie. Ein bisschen.“ „Es beruhigt mich nicht.“ „Na und? Mir doch egal.“ Joey seufzte. „Ich werde jetzt nicht gehen“, sagte er schließlich. „Ich bin den ganzen Weg mit dir gekommen und auch wenn du mich – “ Er konnte es nicht einmal aussprechen. „Enttäuscht hat es mich schon, weißt du? Aber du hast recht, ich hätte an deiner Stelle – so ungern ich das auch zugebe – genauso gehandelt. Deshalb verstehe ich dich und nehme es nicht so persönlich, wie ich das unter anderen Umständen getan hätte. Nehme ich zumindest an ... Ich bin noch nie verraten worden. Wie auch dem – dir sei verziehen.“ „Ich weiß nicht, ob ich das jetzt Optimismus oder Idiotie nennen soll.“ „Dann lass es doch einfach. Und wie wäre es, wenn du mich ausreden lassen würdest?“ „Bitte. Fahre fort – ich kann es kaum erwarten.“ „Natürlich, Echse. Also, ich schlage vor, dass wir zu diesem Tempel gehen und mit der Priesterin sprechen.“ „Und da bist du ganz alleine drauf gekommen?“ Joey zog es vor, nicht zu antworten. Stattdessen setzte er sich in Bewegung und ging bestimmten Schrittes an Seto vorbei. Seto blickte ihm nachdenklich hinterher. „Ich weiß, dass meine Kehrseite nett anzusehen ist, aber du könntest mir ruhig folgen, Seto“, rief Joey über die Schulter. Der Drache grollte. „Eingebildet bist du ja gar nicht?“ Er setzte sich in Bewegung und war mit wenigen Schritten neben Joey. Prinz Joey hatte auf seiner Reise viel gelernt. Er hatte gelernt, dass sprechende Wölfe nicht gerne ihr Abendessen teilten und dass Sandelfen nachts nicht geweckt werden durften, wenn man an seinem Leben hing. Er hatte gemerkt, dass Magier mit einer zweiten Persönlichkeit nicht selten mit sich selbst sprachen. Er hatte gelernt, dass weiße Drachen einen unausstehlichen Charakter hatten und unangebrachte, spöttische Kommentare von sich gaben. Er hatte nicht gelernt, dass man ein Gebäude nur dann betreten sollte, wenn man sich sicher war, nicht in Gefahr zu schweben. Er hatte überhaupt nicht gelernt, vorsichtiger zu sein, wenn man vor wenigen Stunden noch geopfert werden sollte. Joey starrte sprachlos die Außenwände des Tempels hinauf. Majestätisch ragten schneeweiße Säulen links und rechts neben dem Eingang in die Höhe und auf ihrer Spitze thronten die marmornen Abbilder von Drachen. Drachen wie Seto, stellte Joey mit einem Blick zur Seite fest. Prinz Joey machte den Fehler, vor Seto den Tempel zu betreten. Kaum dass er die letzte Stufe der Treppe hinter sich gelassen hatte, fand er sich umzingelt von weiß gekleideten Gestalten wieder. Man ließ ihm keine Zeit zu reagieren, da packte man den Prinzen an den Armen und riss ihn von den Füßen. Joey wollte protestieren, doch ein Knebel verhinderte jegliche Worte. Dann raubte man ihm mit einem weiteren Stück Stoff die Sicht. Er spürte, wie er angehoben und getragen wurde. Jegliche Versuche, sich zu wehren wurden von starken Griffen um seine Arme und Beine verhindert. Dann lag er auf einem kalten, glatten Untergrund und spürte, wie man seine Arme und Beine fesselte, ihn bewegungsunfähig machte. Panik erfasste ihn und er bäumte sich auf, doch erfolglos. Er gab gedämpfte Laute von sich, versuchte nach Seto zu rufen und fürchtete, der Drache hätte ihn letztendlich doch verraten. Kalte Wut erfüllte ihn, und sein Widerstand gegen die Fesseln ließ nicht nach, gewann nur noch an Intensität. Mit einem Mal spürte er eine Person dicht neben sich und etwas Kaltes presste sich gegen seinen Hals. Selbst in seiner Aufregung nahm er wahr, dass es sich dabei um ein Messer handelte. Er erstarrte. „Ein Leben für ein anderes “, sprach eine Frau dicht neben Joey und die Klinge an seinem Hals ritzte in seine Haut. Er spürte ein warmes Rinnsal seine Haut hinab laufen und dieses Gefühl weckte seinen erstarrten Kampfgeist zu neuem Leben. „Du, der du das adelige Blut der Könige in dir trägst sollst –“ „Isis, halt!“ Joey zerrte an seinen Fesseln und das Reißen von Stoff erfüllte die Luft. Er hatte eine Hand freibekommen und riss sich die Augenbinde und den Knebel vom Gesicht. „Was zum -?!“, rief er zornig und brach dann ab. Er blickte direkt in die überraschten Züge einer fremdländischen Frau, die das Messer zum finalen Stoß über ihren Kopf gehoben hatte. Joey rollte sich im letzten Moment zur Seite. Die Klinge schlug in den Marmor des Altars, auf den Joey – wie er nun erkannte – gebunden worden war. „Isis!“, rief Seto erneut – dieses Mal mit deutlich schärferem Ton - und ein tiefes Grollen ließ die Frau erzittern. Joey starrte entsetzt auf die Klinge, die sich so dicht neben ihn einige Zentimeter in den Marmor gebohrt hatte. Wenn das Messer so scharf war, dass es Marmor durchdrang, dann wollte er sich nicht vorstellen, was es mit ihm angestellt hätte. Erst, als Setos Kopf unmittelbar neben ihm erschien und nicht minder scharfe Drachenklauen die verbliebenen Fesseln zerschnitten, wagte es Joey, den Blick wieder auf die Frau zu richten. Sie hatte sich von ihrer Überraschung erholt und bedachte den Drachen mit einem skeptischen Blick. Dann griff sie nach dem Messer und zog es aus dem Stein. Joey zuckte zurück und Seto zog den Prinzen mit einer Klaue zu sich, behielt diese jedoch zur Sicherheit zwischen Joey und der Frau. „Er wird nicht geopfert“, sagte er leise und Joey meinte, einen drohenden Unterton in der Stimme gehört zu haben. Erst jetzt bemerkte er, dass sein Atem in schnellen Stößen ging und dass er zitterte. Seufzend lehnte er sich an die schützende Drachenklaue. „Ich verstehe nicht“, setzte Isis an und richtete ihren Blick auf Joey. „Er erfüllt alle Voraussetzungen. Er ist derjenige, den du gesucht hast.“ „Ich weiß.“ Seto zog Joey dichter zu sich und der Prinz hätte über diese Reaktion gelächelt, wenn sein Herz ihm nicht noch immer bis in den Hals geschlagen hätte. „Aber trotzdem wird er nicht geopfert.“ Sekunden, die wie eine Ewigkeit schienen, verstrichen, ohne dass Isis den Blick von Joey nahm, dann ließ sie die Hand mit dem Messer sinken und trat einen Schritt zurück. Sofort entspannte sich die Situation merklich. Joey sah auf und begegnete Setos Blick. „Du kannst mich jetzt loslassen, Prinz“, sagte der Drache spöttelnd. Joey wollte ihm widersprechen, doch dann bemerkte er, dass seine Hände sich an die weißen Drachenschuppen gekrallt hatten. Peinlich berührt ließ er den Drachen los, welcher sich von ihm abwandte. „Wieso bringst du einen Menschen hierher, wenn du nicht vorhast, ihn zu opfern?“, fragte Isis, die an Seto herangetreten war. Der Drache blickte auf die Priesterin hinab. Joey, der sich die von seinem Kampf gegen die Fesseln wunden Handgelenke rieb, meinte, ihn leise sagen zu hören: „Ich weiß es selbst nicht.“ Der Prinz verdrehte die Augen. „Wir suchen nach einer Möglichkeit, Mokuba zu helfen, ohne mein Blut zu vergießen“, antwortete er an Setos Stelle. Isis drehte sich zu ihm um. „Es gibt keine andere Möglichkeit.“ Sie warf einen Seitenblick auf den Drachen. „Die Könige Pegasus und Dartz haben dies zu verhindern gewusst.“ „Ich kenne Dartz und Pegasus“, erwiderte Joey und erhob sich von dem Altar. „Und die beiden sind selbst gemeinsam nicht schlau genug, um jede andere Möglichkeit zu verhindern.“ „Ein adeliges Leben für das des jungen Drachen “, zitierte Isis. „Diese Forderung ist simpel und unmissverständlich.“ „Kann man das nicht anders auslegen?“ „Nein“, mischte sich nun auch Seto ein. „Das kann man nicht. Ich habe bereits alles versucht.“ „Aber du bist nicht adelig“, gab Joey unbeeindruckt zurück. Er deutete auf den Altar. „Dort muss es passieren?“ Isis nickte. Der Prinz trat einige Schritte näher und streckte die Hand aus. „Das Messer, bitte.“ Isis zögerte. „Was hast du vor?“ „Das Messer“, wiederholte Joey und nahm es der Priesterin ab, bevor sie es sich anders überlegen konnte. Dann stellte er sich neben den Altar und streckte den Arm aus. „Vielleicht reicht das Blut eines Adeligen.“ Er legte die Klinge an seinen entblößten Arm und ohne auf die Mahnung von Seto zu hören, zog er sie mit leichtem Druck durch. Er zuckte beim dem Stechen, das seinen Arm durchfuhr und war froh darüber, dass er so zurückhaltend gewesen war. Er hatte Hemmungen gehabt und nicht so stark geschnitten, wie vorgehabt, doch die Messerklinge war noch schärfer als angenommen und der Schnitt in seinem Arm tief. „Ups“, entfuhr es Joey und er beobachtete gebannt, wie das Blut aus der Wunde drang, seinen Arm hinab lief und schließlich auf den weißen Marmor tropfte. Er wartete, doch nichts geschah, die Blutung ließ jedoch auch nicht nach. „Könnte ich ein Stück Stoff haben?“, fragte der Prinz in den Raum. Er hörte, wie Seto sich bewegte. „Törichter Mensch.“ Dann spürte er einen plötzlichen Windzug an seiner linken Wange und Setos Gesicht war unmittelbar neben seinem. Bevor Joey fragen konnte, was der Drache vorhatte, berührte die Spitze der Drachenschnauze die Wunde. Die Blutung stoppte augenblicklich. Seto zog sich zurück, sein Blick streifte den von Joey. „Was hast du damit jetzt bewiesen? Dass du erst handelst und dann denkst?“ „Nein“, entgegnete Joey und rieb sich die frisch verheilte Wunde. Sie kribbelte und überhaupt hatte er nicht gewusst, dass Seto diese Fähigkeit besaß. „Wie hast du das gemacht?“ „Drachenatem“, war Setos einzige Antwort, mit der Joey sich zufriedengeben musste. „Das Blut eines Adeligen allein reicht nicht aus.“ Isis war neben Joey getreten, den Blick auf die rubinroten Tropfen gerichtet. „Ein Leben im Austausch für ein anderes. Nicht mehr und nicht weniger.“ Joey atmete hörbar aus. „Dann waren die beiden Könige doch schlauer als angenommen.“ „Das habe ich dir gesagt“, bemerkte Seto von der Seite. „Du wolltest nicht hören.“ „Aber ich musste es ausprobieren, weil es vielleicht funktioniert hätte!“, fauchte der Prinz gereizt. Ihm gingen die Ideen aus. Er wusste nicht, was sie sonst probieren sollten. „Sieh es ein“, gab Seto gereizter als erwartet zurück. Joey zuckte bei dem wütenden Blick des Drachens zurück. „Es gibt keine andere Möglichkeit. Auch dir fällt nichts mehr ein.“ „Aber –“, setzte Joey an. „Hör auf“, befahl Seto ihm und der Prinz verstummte. Er ballte die Fäuste, brachte jedoch angesichts der Kälte in Setos Blick kein weiters Wort heraus. Der Drache wandte sich ab und verließ wortlos den Saal. Joey starrte ihm hinterher, dann wirbelte er leise fluchend herum und stürmte in die andere Richtung. Isis blickte ihnen stirnrunzelnd hinterher. „Was ist los mit mir?“, murmelte Joey und betrachtete wütend seine Hände. Der Drang, Seto wieder mit ihnen zu schlagen – auch, wenn der sturköpfige Drache es so gut wie gar nicht spüren würde - war stärker denn je und dennoch hatte er angesichts des wütenden Blickes nichts ausrichten können. Vor wenigen Tagen hätte es ihn nicht beeindruckt. Warum störte es ihn so sehr, dass Seto wütend auf ihn war? Er kam damit klar, wenn der Drache genervt von ihm war, sich über ihn beschwerte, aber angesichts dieser kalten Wut hatten ihm die Worte gefehlt. Warum war er so empfindlich? „Prinz?“ Er sah auf. Isis hatte ihn gefunden. Joey war blind in die entgegengesetzte Richtung von Seto gelaufen und hatte sich auf der anderen Seite des Tempels in einem hellen Garten wiedergefunden. Nun setzte sich die Priesterin neben ihm auf die ebenfalls weiße Bank. „Ich heiße Joey“, sagte er leise. „Ich entschuldige mich für mein Verhalten“, sagte Isis schließlich und als Joey sie ansah, lächelte sie. „Unsere erste Begegnung stand unter keinem guten Stern. Mein Name ist Isis, ich bin Magierin und die höchste Priesterin dieses Tempels. Ich bin diejenige, die Mokuba mit dem Fluch belegt hat.“ „Was?!“ Joey wich ungewollt vor ihr zurück. „Das warst du?! Aber ich - wie kann Seto -? Wie konntest du das tun?!“ Isis richtete ihren Blick in den roten Abendhimmel. „Ich stand in der Schuld der Könige, weil sie sich mir einst gnädig erwiesen haben und mich am Leben ließen. Mein Leben gehörte ihnen und ich hatte keine Wahl, als sie die Forderung stellen. Es war das schlimmste, was ich in meinem ganzen Leben getan habe und das mindeste, was ich tun kann, ist Seto zu helfen, seinen Bruder zu retten.“ „Oh. Ich verstehe.“ Tatsächlich verstand der Prinz gar nichts. Er wollte und konnte sich nicht vorstellen, wie es war, zu etwas gezwungen zu werden, dass schlecht war und von dem man wusste, wie schlecht es war. Grausam. „Tut mir leid.“ „Das muss es nicht. Seto hat sich mir gegenüber sehr verständlich gezeigt.“ Weil er sich in einer ähnlichen Situation befand. Auch er musste etwas tun, von dem er wusste, dass es moralisch falsch war. Dennoch war er bereit es zu tun. Er und Isis waren sich sehr ähnlich. „Ich komme mir so naiv vor“, sagte Joey so leise, dass er sich im ersten Moment nicht sicher wahr, ob Isis ihn gehört hatte. „Wie meinst du das?“ Er starrte auf den Boden. „Ich bin behütet im Schloss meines Vaters aufgewachsen, bekam immer, was ich mir gewünscht habe. Sorgen kannte ich nicht, ebenso wenig Leid. Als ich Seto und Mokuba kennenlernte und von Mokubas Schicksal erfuhr, verstand ich nicht, was das für die Seele von einer Perso-“, er korrigierte sich, „von einem Wesen bedeutet. Ich kann es selbst jetzt nur schemenhaft verstehen. Und dieses stückhafte Verständnis ist schon zu viel für mich. Wenn ich mir vorstelle, jemandem der mir nahesteht, ginge es so – ich würde nicht – ich könnte nicht ...“ Er brach ab. „Ich glaube, du missverstehst deine Empfindungen, Joey. Du behauptest, dass du nicht weißt, wie du dich fühlen würdest, wenn es jemandem so ginge, der dir nahesteht. Doch genau das tust du. Du weißt es. Seto und Mokuba geht es so und vielleicht kennst du die beiden nicht sehr lange, aber ihr Schicksal berührt dich. Es hat dich dazu gebracht, Seto hierhin zu begleiten. Du bist in diesen Tempel gekommen, obwohl du herausgefunden hast, dass er dich opfern wollte.“ „Woher weißt du das?“ „Er hat es mir gesagt.“ „Oh.“ „Du hast es ihm verziehen. Du verstehst sehr wohl, was es bedeutet, vor einer derartigen Entscheidung wie Seto zu stehen, obwohl du nicht selbst vor die Aufgabe gestellt bist. Also unterschätze dich nicht.“ „So, wie du es sagst, klingt es einleuchtend, dennoch glaube ich es nicht. Ich bin nichts weiter als ein verwöhnter Prinz, der die meisten Gefahren nicht erkennt, wenn sie vor ihm tanzen.“ „Ich kenne dich nicht lange genug, um das zu beurteilen. Doch als ich dir vorhin im Tempel zum ersten mal in die Augen geblickt habe, sah ich einen Mann, der zu allem entschlossen ist, um einem Freund von ihm zu helfen.“ „Nicht ganz. Ich hatte ziemlich Angst, als ich dich mit dem Messer gesehen habe.“ Isis schmunzelte. „Für diese Reaktion verurteile ich dich nicht.“ „Was ist mit Seto?“ „Er ist losgeflogen, um zu jagen. Er wirkte aufgewühlt.“ „Ich schätze, selbst er hat – auch wenn er es abstreiten würde - gehofft, ich würde noch eine andere Möglichkeit finden, Mokuba zu retten.“ Joey seufzte. „Ich habe ihn wohl ziemlich enttäuscht.“ „Du hast ihn beeindruckt, Joey.“ Der Prinz horchte auf. „Als du mit dem Messer an deinem Arm vor dem Altar gestanden hast, konnte Seto nicht den Blick von dir nehmen. Und als du dir den Schnitt zugefügt hast, hat er ihn für dich geheilt. Das tut er nicht für jemandem, der ihm egal ist.“ „Ich weiß, dass ich ihm nicht ganz egal bin. Dazu streitet er sich zu gerne mit mir.“ Joey grinste. „Wahrscheinlich hat er in den letzten Jahren niemanden gehabt, der ihm widersprochen hat. Ich schätze, ein Wesen mit einem Intellekt wie Seto sucht die Herausforderung. Und da ich ein geborener Dickkopf bin – wie ich sowohl von meiner Schwester als auch von meinen Freunden immer wieder zu hören bekomme – stoßen wir aneinander und es entsteht Spannung. Das reizt uns beide.“ Er wurde sich des aufmerksamen Blickes von Isis bewusst und errötete. „I-ich meine, das fordert uns heraus, weswegen wir miteinander – auf sprachlicher Ebene ...“ Er verhedderte sich in seinen Worten. „Interessant“, lächelte Isis. „Du verstehst das falsch“, wehrte Prinz Joey rasch ab und hätte sich eigentlich wundern sollen, weswegen er sich verteidigte. Doch er hatte das Gefühl, Isis würde annehmen er und Seto wären ... „Ich nehme einfach an, dass Seto nicht immer so genervt von mir ist, wie er tut und selbst wenn, dann stört es ihn nicht, weil er es eigentlich mag, dass ich ihm widerspreche.“ „Du musst dich nicht rechtfertigen. Ich verurteile nichts, Joey.“ „Da gibt es auch gar nichts zu verurteilen!“ „Wenn dem so ist.“ Isis erhob sich. „Seto wird bald zurückkehren. Gib ihm etwas Zeit.“ Sie wandte sich zum Gehen. „Joey.“ Der Prinz sah auf. Isis erwiderte seinen Blick amüsiert. „Unabhängig von dem, was er dir erzählt haben mag: Nicht selten sind entführte Prinzessinnen dem Charme der Drachen erlegen.“ Joey nahm an, dass sein Gesicht der Farbe der untergehenden Sonne entsprach und auch lange nachdem Isis verschwunden war, spürte er sein Herz schnell gegen seine Brust schlagen. Seto kehrte nicht bei Einbruch der Nacht zurück. Isis zeigte Joey die Gemächer, die für Gäste vorgesehen waren und der Prinz war mehr als dankbar über ein Bad und ein weiches Bett. Zum ersten Mal seit Tagen war er wieder ganz sauber. Von plötzlicher Müdigkeit überkommen ließ er sich auf das Schlaflager fallen und schlief sofort ein. Sein Schlaf war tief und traumlos. Er wurde durch die hastigen, panischen Worte von Isis geweckt. Als er die Augen aufschlug blickte er in das besorgte Gesicht der Priesterin, die sich über sein Bett gebeugt hatte und ihn schüttelte. „Joey – wach auf!“ Er richtete sich müde auf. Ihr Gesicht war in roten Glanz getaucht, doch als Joey sich umsah, erkannte er keine Fackel und auch keine Kerze. Das rote Licht stammte von einer anderen Quelle. Er wollte sie fragen, weswegen sie ihn weckte, doch als er zum Sprechen ansetzte, wurde sein Körper von einem Hustanfall geschüttelt. Die Luft war dick und schwer. Es roch verbrannt. Sofort war er hellwach. „Isis, was ist passiert?!“ „Sie sind hier“, flüsterte die Priesterin und in ihrem Blick lag für einen Moment Todesangst. „Wer?“, fragte Joey und sprang auf. Er griff nach seinem Hemd. „Die Könige. Sie sind gekommen. Sie haben den Tempel aus der Ferne angegriffen, doch nun kommen sie näher.“ Joey war zum Fenster geeilt und sein Blick fiel auf die brennenden Tempelgärten. Sie mussten unter den Beschuss von Feuerpfeilen geraten sein. „Wir müssen hier raus!“, rief er über das Geräusch der lodernden Flammen hinweg und eilte durch den Raum. Er griff nach Isis Arm und zog sie mit sich. Sie riss sich los. „Dann laufen wir ihnen in die Arme! Sie wollen, dass wir durch den Vordereingang fliehen.“ „Wenn wir es nicht tun, ersticken wir. Isis, ich brauche eine Waffe! Habt ihr Schwerter hier im Tempel?“ Die Priesterin nickte und Joey zog sie mit sich aus dem Raum. „Wo ist Seto?“, fragte er und presste sich im Laufen den Stoff seines Hemdes vor Mund und Nase. Es half nicht viel. „Er ist noch nicht zurückgekehrt“, antwortete Isis und hustete. Joey reichte ihr sein Hemd. Isis führte ihn zu einem verschlossenen Raum im Keller des Tempels. Sie murmelte einen Spruch und das Schloss prang auf. Joey erblickte einen Raum voller Waffen, von dem er nicht erwartet hätte, ihn in einem Tempel zu finden. „Was ist mit den anderen Priestern?“ „Es gibt einen geheimen Weg durch den Berg. Es haben sich alle im Kellergewölbe versammelt. Die Mädchen und Frauen werde ich anweisen, durch den Tunnel zu fliehen. Die Priester sind ausgebildet in der Waffenkunst.“ „Sie sind bestimmt wegen Seto und mir hier. Ihr müsst nicht kämpfen. Es ist nicht euer Kampf.“ Joey griff nach einem Schwert und wog es mit der Hand ab. Es war eine sehr gute Waffe. „Doch, das ist es.“ Als Joey ihr in die Augen blickte traf er auf Entschlossenheit und Kampfeswillen. „Wenn es Setos Kampf ist, ist es auch der meine!“ „Es wäre mir eine Ehre, eine Magierin zur Verbündeten zu haben.“ Joey neigte ehrbürtig den Kopf und Isis lächelte. Er verließ den Raum. „Ruf die kampfbereiten Priester zusammen. Ich werde vorgehen und versuche herauszufinden, wie viele es sind.“ Isis nickte und Joey eilte los. Er erklomm die Treppen in den Tempelsaal, versteckte sich im Schatten einer Säule und blickte nach draußen. Noch war niemand zu sehen. Er hörte das Knacken von brennendem Holz und das Züngeln der Flammen im Tempelgarten. Der Prinz atmete ein letztes Mal die brennende Luft ein, dann löste er sich von der Säule und verließ den Tempel. Als er die oberste Stufe der Tempeltreppe berührte, schlug ein Pfeil vor ihm in den Boden. Er machte einen Satz zurück und hob das Schwert. Links und rechts von ihm waren Soldaten erschienen. Einige Gestalten lösten sich aus den Reihen. Im Licht des Feuers hinter dem Tempel konnte er ihre Gesichter deutlich erkennen. Es waren König Dartz und König Pegasus. Jemand trat hinter ihn und schlang einen Arm um seinen Hals, drückte ihm die Luft ab. „So sieht man sich wieder, Prinz.“ Valon. Joey schloss die Augen. Jetzt hatte er ein Problem. tbc Kapitel 10: ... alles verlor ... -------------------------------- Vorwort(e): Jetzt wird's hart, Leute. Ich verrate nichts und warne nur vor X3 Es ist das kürzeste Kapitel (glaub ich). Aber dafür wird das nächste und definitiv Letzte deutlich länger. „Ich muss zugeben, es überrascht mich, dich hier zu sehen.“ Prinz Joey starrte den Mann, der gesprochen hatte, finster an. Er spürte, wie Valon den Druck seines Griffes verstärkte, doch er wollte ihm nicht die Genugtuung gönnen, nach Luft zu schnappen. Er hob die freie Hände und krallte sie in die ledernen Handschuhe des Soldaten – rührte sich jedoch ansonsten nicht. Dartz war von seinem Pferd gestiegen. Pegasus hatte es ihm nicht gleich getan und beobachtete wie alle anderen wie Dartz die Stufen zum Tempel hinauf schritt, bis er vor Joey stand. Der Prinz wich seinem Blick nicht aus, er verengte die Augen als Dartz unmittelbar vor ihn trat. „Ich gab dir den Hinweis, dein Leben zu retten, solange du noch konntest. Doch wie ich sehe, bist du meinem Ratschlag nicht gefolgt. Stattdessen finde ich dich in diesem Tempel. Was hat der Drache dir erzählt? Dass die gesuchte Blume auf dem Dach wächst?“ Dartz lächelte arrogant. Joey knurrte. „Sehr witzig. Stell dir vor, ich weiß, dass ich geopfert werden sollte, aber soll ich dir etwas sagen? Er hat mich nicht geopfert. Damit hast du nicht gerechnet, was?“ „Dann ist der Drache nicht nur weich geworden, sondern auch dumm.“ Joey bäumte sich gegen Valons Griff auf. „Wage es nicht, ihn zu beleidigen!“, fuhr er den vor ihm stehenden König an. Blanke Wut lag in seinen Augen. Dartz schmunzelte, während Valon Joey brutal zurückzog, ihm für einige lange Sekunden sämtliche Luft abschnitt. „Der Drache, also?“ Er streckte die Hand aus und packte Joey an den Haaren, zwang ihn auf gleiche Augenhöhe mit dem König. „Diese Zuneigung scheint ja offenbar beidseitig zu sein.“ Er musterte Joey abfällig. „Sag, Prinz, wie wirst du nach alldem deinem Vater noch in die Augen schauen können?“ Joey starrte Dartz ausdruckslos an. Dann Knurrte er und stieß seine Stirn in einer unvermittelten Bewegung gegen Dartz Gesicht. Der König ließ Joeys Haare los und stolperte mit einem überraschten Laut zurück. Der Prinz holte aus und trat mit aller Kraft hinter sich. Valon schrie auf und ließ ihn los. Joey nutzte diese Gelegenheit, wirbelte herum und verpasste dem Soldaten einen gezielten Schlag gegen den Hals. Valon sank in sich zusammen. Joey nahm das Schwert, das er auf den Boden hatte fallen lassen, wieder an sich und blickte herablassend auf Dartz, der sich eine Hand auf die blutende Nase presste. „Mein Vater“, sagte er und seine Stimme war ruhig und fest, „spielt hier nichts zur Sache. Vor dir stehe ich. Und bevor du nicht mit mir fertig wirst, nimmst du seinen Namen nicht in den Mund.“ „Du niederträchtiger –“, setzte Dartz erzürnt an, doch Joey unterbrach ihn mit einer scharfen Bewegung seines Schwertes. „Sieh dich um, Dartz.“ Er deutete auf die umstehenden Männer. „Du kommst auf diesen Berg mit unzähligen Soldaten, um einen Tempel einzunehmen. Einen Tempel mit Priestern.“ „Einen Tempel mit einem Drachen“, sagte Pegasus und sprach damit zum ersten Mal. Joey sah ihn nicht einmal an. „Einen Drachen sehe ich nicht. Sehr ihr ihn? Es sei denn, ihr nehme an, ich würde ihn verstecken. Ich vergaß, er liegt bestimmt unter meinem Gästebett und schläft noch.“ Er schnaubte verächtlich. „Ihr versucht doch nur eure Feigheit zu verbergen. Doch wenn ich euch ansehe“, und damit richtete sich sein Blick wieder auf Dartz, „dann sehe ich Feiglinge, die sich hinter einem Fluch und eine Reihe Soldaten verstecken.“ „Genug!“ Dartz hatte sich aufgerichtet und die Hand sinken lassen. Eine Blutspur zog sich über sein Gesicht und seine Züge waren vor Wut verzerrt. „Du hattest deine Chance, doch ich bedauere nicht, dass du sie verspielt hast, Prinz. Wir werden diesen Tempel mitsamt dir und dem Drachen niederbrennen.“ „Versucht es.“ Joey hob das Schwert und Dartz lachte. „Wer will uns aufhalten? Du alleine?“ „Wenn es sein muss.“ Dartz hob die Hand. „Tötet ihn.“ Die Soldaten zogen ihre Schwerter und griffen an. Joey hatte damit gerechnet – er hatte nur darauf gewartet. Er wich den Schwerthieben aus, holte zum Schlag aus und führte seinen ersten Kampf auf Leben und Tod. Als einer der Soldaten, von Joey getroffen, zu Boden ging, erfüllte ihn ein Gefühl der Abscheu. Dartz zwang ihn dazu, zu kämpfen - zu töten. Wenn er die Wahl gehabt hätte, wäre es nicht dazu gekommen. So blieb ihm nur die Gegenwehr, wenn er an seinem Leben hing. Und das tat er. „Joey, wir helfen dir!“ Dann stand Isis auf einmal mit einem Bogen neben ihm und in Priestergewänder gekleidete Männer eilten an seine Seite, griffen die Soldaten an, die von dieser plötzlichen Zunahme an Gegnern überrumpelt waren. Joey nickte der Priesterin zu und konzentrierte sich auf den Kampf. Er wurde von einem der Soldaten immer weiter an den Rand der Felsen gedrängt und als er zum Schlag ausholen wollte, um sich aus dieser misslichen Lage zu befreien, nahm er eine Bewegung aus den Augenwinkeln war. Er sprang rechtzeitig zur Seite, um dem Hieb eines Beils auszuweichen. Entsetzt starrte er auf die Waffe, die sich dort, wo er vor einem Moment noch gestanden hatte, tief in den Boden gebohrt hatte. Plötzlich traf ihn etwas im Gesicht und er ging zu Boden. Blut tropfte auf die Felsen unter ihm. Sein Blut. Dann erfüllte ein ohrenbetäubendes Brüllen die Luft und Joeys Herzschlag, der ohnehin schon stark beschleunigt war, nahm noch einmal zu. Trotz seiner Lage spürte er, wie er zu lächeln begann. Eine blaue Flammenwelle streckte eine Reihe Soldaten nieder. Die prickelnde Hitze sandte Schauer über den Rücken des Prinzen, der den Angriff des Drachens als Zeichen dafür sah, jetzt nicht aufzugeben. Er wich dem Schlag des Soldaten über ihm aus, dann schwang er sein Schwert und der Mann stürzte in die Tiefe. Joey sah ihm nicht nach. Das hätte er nicht gekonnt. Eine weitere Reihe Männer fiel und dann sah Joey ihn. Auf der spitze des Tempels saß Seto, den sichelförmigen Mond im Rücken. Das blasse Licht verlieh seinen Schuppen einen übernatürlichen Glanz und sein aufgerissenes Maul wirkte weniger bedrohlich denn imposant. Joey bemerkte zu spät, dass sein Starren ihn angreifbar machte. „Nicht so schnell, kleiner Prinz.“ Eine Stimme, dicht neben seinem Ohr ließ ihn erstarren. Er hatte Dartz vergessen. Nicht nur vergessen – er hatte angenommen, der König würde sich nicht zwischen die kämpfenden Männer trauen. Offenbar hatte er Dartz unterschätzt. Dabei hatte sein Vater ihm doch immer wieder gelehrt, einen Gegner niemals zu unterschätzen. Joey blieb keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Eine scharfe Klinge wurde an seine Kehle gepresst. Es war das zweite Mal, dass er mit einem Messer bedroht wurde, doch dieses Mal wusste er sofort, wer ihn bedrohte. Das Wissen half ihm jedoch nichts. „Halt!“, durchschnitt Dartz Stimme die von Schwerthieben und Schreien erfüllte Luft. Die Soldaten und Priester hielten inne. Vielleicht lag es an der Autorität einer Königsstimme, dass sie tatsächlich verharrten. Alle Blicke richteten sich auf Dartz und Joey. Dem König ging es jedoch nur um ein bestimmtes Augenpaar. Er lächelte Seto boshaft an. „Was tust du jetzt, Drache?“ Seto rührte sich nicht. Joeys Blick wanderte von der Hand mit dem Messer zu dem Drachen. Es gab nichts, das Dartz noch von Seto wollte. Seto hatte sein Angebot abgelehnt, ebenso das von Pegasus. Die beiden machten Seto dafür verantwortlich, dass niemand von ihnen als Sieger aus dem Kampf hervorgegangen war und beide Verluste hatten hinnehmen müssen. Das einzige, was sie wollten, war Rache. Dartz schien es noch mehr nach ihr zu dürsten als Pegasus. „Ich sollte dich fragen, was du tust, einfältiger König.“ „Du hast ihn nicht geopfert, obwohl du ihn so weit hattest, wie du ihn brauchtest. Ich habe den Fluch auf deinen Bruder legen lassen und wir beide wissen, dass königliches Blut durch seine Adern fließt. Königliches Blut, das du brauchst.“ In Setos Zügen lag keinerlei Regung. Auch störte es Joey, dass der Drache ihn keinen Moment lang direkt angesehen hatte. Sein Blick lag beharrlich auf Dartz. Wo war Seto die vergangenen Stunden gewesen? Sie hatten sich wütend getrennt – Seto sogar noch aufgebrachter als Joey. Wahrscheinlich hatte er die vergangenen Stunden vor sich hingebrütet und Joey wollte sich lieber nicht ausmalen, auf welche Gedanken der Drache dabei gekommen war. Hatte er vielleicht bereut, Joey nicht geopfert zu haben? Hatte er das Für und Wider abgewogen? Kam es ihm vielleicht sogar recht, dass Joey nun auf Dartz Gnade angewiesen war? Gnade, die er nicht bekommen würde, das wusste Joey. Seto vermutlich auch. „Wenn er jetzt stirbt, stirbt deine einzige Möglichkeit, den kleinen Drachen zu retten. Bist du bereit, dich von dieser einzigen Möglichkeit zu verabschieden?“ „Er steht nicht zur Option“, sagte Seto unbeeindruckt. „Er wird nicht geopfert. Darum ist er auch nicht meine einzige Möglichkeit.“ „Tatsächlich? Dann hast du ja keine Verwendung mehr für ihn.“ Zum zweiten Mal an diesem Tag ritzte eine Klinge in den Hals des Prinzen. Und es machte ihn nur umso wütender. Als ob er ein Verhandlungsobjekt wäre! Seit wann waren alle hinter ihm her?! „So ist es.“ Setos Bemerkungen trugen nicht unbedingt zur Besserung seiner Stimmung zu. Joey verzog wütend den Mund. „Dann verzeih, dass ich dir nicht glauben kann.“ Dartz Stimme hatte sich gesenkt, war nun drohend. „Aber mir ist nicht entgangen, dass du einen Narren an dem Prinzen gefressen hast.“ Joey hätte laut aufgelacht, wenn er nicht um seine Stimmbänder gefürchtet hätte. Genau genommen um seinen ganzen Hals. Seto? Einen Narren? Sehr witzig. Es war wohl eher umgekehrt. Er hatte einen viel zu großen Narren an Seto gefressen. Und es war mehr als nervig, wie er jetzt feststellte. Denn seit er Seto zum ersten Mal begegnet war, häuften sich die Momente, in denen er um sein Leben bangen musste. Ob das eine Warnung war? Zumindest war es jetzt zu spät. Er war lange genug passiv gewesen. „Entschuldigung.“ Er räusperte sich und endlich sah Seto ihn an. „Aber wenn ich das richtig verstehe, geht es hier um mich. Und wenn ich ehrlich bin, reicht es mir. Ich bin kein Opfer, ich bin aber auch kein Druckmittel oder was auch immer. Ich bin Prinz Joey und ich habe dir etwas zu sagen, Seto.“ Dartz unterbrach ihn nicht. Er ahnte offenbar gar nichts. Naiver König. Setos saphirblaue Augen schienen Joey zu durchbohren. Er hatte sich schon viel zu sehr an diesen Blick gewöhnt, um sich daran zu stören. Genauer gesagt freute es ihn sogar jedes Mal, wenn der Blick sich auf ihn richtete. „Und das wäre?“, fragte der Drache und etwas Lauerndes lag in seinem Ton. „Wehe du fängst mich nicht auf.“ Und mit diesen Worten warf Joey sich mit aller Kraft, die er hatte, nach hinten. Dartz hatte nah am Rand der Felsen gestanden. Zu nah, denn er hatte nicht damit gerechnet, dass Joey freiwillig in den sicheren Tod würde springen wollen. Der Prinz sah die Fassungslosigkeit auf den Zügen der Umstehenden, er hörte Pegasus etwas rufen, woraufhin die Soldaten auf den Felsrand zurannten, doch sie waren zu langsam. Als Seto aus Joeys Sichtfeld verschwand war keiner der Männer in Reichweite, um sie abzufangen. Dartz schrie panisch, doch er hielt Joey noch immer fest. Sie fielen, doch waren sie so dicht an den Felsen, dass Joey wieder und wieder einen scharfen Schmerz verspürte, wann immer er die Klippen streifte und einige Steine mit sich in die Tiefe riss. Dann erklang über ihnen ein wütendes Brüllen, das sogar den Flugwind übertönte und Seto sprang über den Felsrand. Ein heißer Schmerz erfüllte seine Rücken und fluchend gab Joey Dartz einen Tritt , der ihn gleichzeitig von dem König befreite und ihn von der Felswand entfernte. Der Schatten über ihnen kam näher und Joey schloss die Augen, da er nicht daran denken wollte, wie der Boden unter ihnen immer näher kam. Natürlich fing Seto ihn auf. Sogar erstaunlich sanft. Er griff ihn regelrecht aus der Luft und legte schützend die Klauen um ihn. Als Joey die Augen öffnete, sah er, dass Seto Dartz ebenfalls aufgefangen hatte. Der König hing bewusstlos im Griff von Setos Schwanz und schwang hinter ihnen hin und her. Je länger er dieser Bewegung folgte, desto schwindeliger wurde dem Prinzen. Der Schlag in die Rücken war ebenfalls fester als angenommen gewesen, denn es stach noch immer. Wahrscheinlich hatte er gleich mehrere Prellungen davongezogen, doch sie waren besser als ein gebrochenes Genick. Da nahm er sogar im schlimmsten Fall gebrochene Rippen in Kauf. „Was hast du dir dabei gedacht?“, fuhr Seto ihn an, während er mit raschen Flügelschlägen wieder an Höhe gewann. „Hast du überhaupt gedacht?“ „Natürlich!“, entgegnete Joey lächelnd und registrierte beim Sprechen, dass Seto ihn beinahe in einer Umarmung hielt. Sein Gesicht wurde gegen die Drachenschuppen gepresst und ein rhythmisches Pochen lenkte seine Aufmerksamkeit auf ihn. Er brauchte einige Sekunden, bevor er erkannte, dass es sich dabei um Setos Herz handelte. Und es schlug schnell. „Hast du dich erschreckt?“ Er legte den Kopf in den Nacken und blickte zu Setos Gesicht auf. Der Drache sah stur geradeaus. „Wie würdest du dich fühlen, wenn vor deinen Augen jemand von einer Klippe springt?“ „Wenn du es wärst, der springt, würde ich mir keine Sorgen machen. Du hast Flügel.“ Joey lächelte. Er war müde. Sie hatten die Spitze des Berges beinahe erreicht. „Du aber nicht. Du bist nur ein Mensch. Und Menschen können nur fallen.“ Seto sah ihn an und in seinen Augen lag eine Mischung aus Vorwurf und Erleichterung. Joey dachte im ersten Moment, er würde es sich nur einbilden, dann wurde der Ausdruck in den Drachenaugen von etwas Anderem ersetzt – und das beunruhigte Joey weit mehr: Entsetzen. „Was ist?“ Seto antwortete er nicht, stattdessen schlug er ein letztes Mal mit den Flügeln und landete inmitten der Menschen. Er warf den Soldaten den reglosen Körper ihres Königs zu Füßen, dann wirbelte er herum. „Isis!“, rief er und spätestens in diesem Moment wusste Joey, dass etwas nicht stimmte. Ganz und gar nicht. In Setos Stimme lag ein Beben - eine Emotion, die Joey erzittern ließ. Die Priesterin eilte an seine Seite. Ihre Gewänder hatten Risse und waren beschmutzt, doch sie schien unverletzt. „Geht es euch gut?“ Joey nickte, entschied jedoch rasch, dass er dies nicht noch einmal tun würde. Sein Umfeld hatte sich bei dieser Bewegung für einen Moment unnatürlich verzerrt und alles begann sich zu drehen. Er blinzelte und nur langsam schärfte sich sein Bild. „Einige Prellungen vielleicht“, fügte er schwach hinzu. Isis folgte Setos beunruhigtem Blick, der – wie der Prinz jetzt bemerkte – auf ihm lag. Joey sah von Seto zu Isis, die blasser zu werden schien als sie Joey musterte. Seto ließ Joey langsam sinken und legte ihn auf den Boden. Als er seine Klauen zurückzog, schimmerten sie im Mondlicht wie dunkle Saphire. Joey keuchte. „Seto, du blutest!“ Der Drache beugte sich hinab. „Nein, Joey. Du blutest.“ Und als Joey an sich hinabblickte, bemerkte er, dass das Blut nicht von Seto stammte, sondern von ihm. Er lag nicht mehr auf hellen Felsen. Eine dunkle Lache hatte sich unter ihm gebildet. Eine Lache, die zunehmend größer wurde und im Mondlicht matt glänzte. „Was zum –“, setzte Joey fassungslos an, doch Seto unterbrach ihn. „Sei still. Verschwende deine Kraft nicht.“ Joey ließ sich zurücksinken. Der Schmerz in seinem Rücken war keine einfache Prellung gewesen. Er hatte sich keine Rippe geprellt. Dartz Messer musste ihn beim Fall diese Wunde zugefügt haben. Als Dartz sich an ihn geklammert hatte oder vielleicht hatte der König sie ihm auch bewusst zugefügt ... Er konnte nicht mehr ganz klar denken. „Typisch“, murmelte Joey und lächelte Seto an, dessen Gesicht irgendwo über seinem schwebte. Er konnte es nicht mehr so genau erkennen. „Nicht einmal anständig retten lassen kann ich mich.“ Er spürte, wie er auf die Seite gedreht wurde, dann nahm der Schmerz mit einem Mal unerträglich zu. Er zischte schmerzerfüllt. „Die Wunde ist tief“, hörte er Isis entfernt neben sich sagen. „Ich fürchte, er hat innere Verletzungen.“ „Du bist Magierin“, erwiderte Seto. „Ich kann keine Wunder vollbringen, Seto.“ Joey wollte ihnen sagen, dass sie über ihn sprachen und dass er mitreden wollte, doch er verschluckte sich an seinen Worten und begann zu husten. Erst, als er seine Hand zurückzog, mit dem er sich den Mund bedeckt hatte, wurde ihm bewusst, dass Mitreden vielleicht gar keinen Sinn mehr hatte. Blut klebte an seiner Handinnenfläche. „Isis.“ Setos Stimme war dicht neben seinem Ohr. Dann wieder weit entfernt. „Seto, ich kann nicht.“ „Drache, wir –“ Eine fremde Stimme. Vertraut. Fremd. Eitel. Pegasus? „Bleibt zurück.“ Joey hatte Seto noch nie fauchen hören. Eindrucksvoll war es schon. „Wir ziehen uns zurück. Ich nehme die Soldaten und König Dartz. Wir werden dich nicht weiter –“ „Verschwindet einfach!“ Eindrucksvoller als bei jeder Katze, die ihn je angefaucht hatte. Ein blaues Licht und es dauerte lange, bis Joey registrierte, dass Seto Feuer gespien hatte. „Lass sie, Seto.“ Isis. Isis Hände an seinem Rücken. Schmerz. Kalt. Ein Knurren. „Oh, wie gerne würde ich sie ... „Nicht jetzt. Seto, er kann nicht mehr lange.“ Ebenso lange dauerte es, bis der Prinz verstand, dass Isis mit er ihn meinte. Er riss die Augen auf. „Nein!“, rief er und wurde augenblicklich von einer erneuten Welle Schmerz und starkem Husten geschüttelt. „Es tut mir leid, Joey. Die Wunde ist zu tief und ich weiß nicht, was für eine Art Messer der König verwendet hat, aber keiner meiner Zauber hilft. Verdammt sei dieser dumme König.“ Isis fluchte. Es musste ernst sein. Er würde es nicht schaffen? Er würde - „Werde ich ...“ Joeys Stimme verklang. „Sterben?“ „Ich weiß es nicht, Joey.“ „Isis.“ Seto dicht neben ihm. Seto. Blut. Sein Blut. Königliches Blut. Seto! „Blut“, sagte er und bemerkte mit wachsendem Entsetzen, dass seine Sicht schwand. Er streckte die Hand aus und berührte etwa Glattes. Drachenschuppen. „Blut.“ „Was meinst -? Nein. Joey!“ Er wurde angestoßen. Einmal. Zweimal. Stärker. „Prinz, sei nicht töricht.“ „Königliches Blut, Seto ...“ „Auf keinen Fall!“ Jetzt wehrte er sich. Das war regelrecht niedlich. Joey verzog den Mund. Er hatte offenbar schon zuviel Blut verloren. „Wenn du es nicht machst, werde ich ... werde ich dich ... heimsuchen ...“ „Sei nicht albern.“ „... heimsuchen!“ „Prinz! Joey!“ „Seto, erfülle ihm den Wunsch.“ „Isis!“ „Dann war es wenigstens nicht umsonst.“ Joey hörte sie nicht mehr. Er spürte, wie er bewusstlos wurde. Oder starb. Den Unterschied konnte er nicht genau ausmachen. Joey bewegte sich nicht mehr. Seto starrte fassungslos auf die leblose Gestalt am Boden, dann ging ein Ruck durch den Drachenkörper. Er gab keinen Laut von sich, doch Isis konnte in Setos Blick erkennen, was in dem Drachen vor sich ging. Sie legte ihm eine Hand auf die zitternden Schuppen. „Du hast seinen Wunsch gehört. Erweise ihm die letzte Ehre, indem du ihn erfüllst.“ Doch Seto hatte sich abgewandt. „Ich werde ihn nicht opfern.“ Isis verengte die Augen. „Dann werde ich es tun.“ Seto knurrte. „Niemand wird ihn opfern!“ „Er hat es sich gewünscht.“ „Er war voller Schmerzen und nicht bei sich!“ „Wenn er stirbt, war sein Tod umsonst!“ Seto richtete sich auf und stieß ein markerschütterndes Brüllen aus. Seine Flügel waren bedrohlich gespreizt. „Sein Tod war nicht umsonst!“ Isis schlang die Arme um Joey und hob ihn auf die Arme. Sie besaß nicht nur die Stärke einer Priesterin, sondern auch die einer Magierin. „Du wirst seinen letzten Wunsch akzeptieren müssen.“ Seto öffnete das Maul, drängte das Verlangen, Feuer zu speien jedoch zurück. Er konnte sie nicht aufhalten. Er wollte Mokuba retten, aber ... aber ... Nicht so. Nicht zu diesem Preis. Nicht bei Joeys Leben. Isis legte den Körper auf den Altar. Joey war blass. Sein Atem flach. Nicht lange, dann wäre sein Körper nicht mehr warm. Dann würde alle Wärme aus ihm weiche. Dann wäre es zu spät. Sie griff nach dem Dolch, den sie bei sich trug und begann, die rituellen Worte zu sprechen. Erst als etwas auf ihre Hände tropfte, bemerkte sie, dass sie weinte. Draußen vor dem Tempel erklang ein erneutes Brüllen. Dieses Mal war es nicht gezeichnet von Wut, sondern von Schmerz. Auch Seto hatte erkannt, dass ein Leben nicht gegen ein anderes eintauschbar war. Dass ein Leben keinen Handelswert besaß. Ein Leben war unersetzbar. Und dass es so unersetzbar war, schmerzte. Sein Verlust noch mehr. Der Dolch, den sie über ihren Kopf erhoben hatte, zitterte. Isis zitierte die letzten Zeilen. Ihre Stimme bebte, drohte zu brechen. Vor dem Tempel stand ein Wesen, das in den letzten Jahren gelernt hatte, zu erdulden. Doch es hatte nicht gelernt, zu verlieren. Es hatte nicht gelernt, Verlust zu ertragen. „So seied ihr frei.“ Der Dolch fuhr hinab, als Prinz Joey seinen letzten Atemzug tat. Nachwort(e): Grausam. Ich bin dann mal weg! *Koffer pack* Das letzte Kapitel lade ich heute Abend hoch, also wird es morgen auf jeden Fall online sein = ) Und wer Märchen mag darf sich gerne den One Shot Little Red Riding Hood durchlesen (Ist auch lustiger, versprochen *gg*). Nur so am Rande bemerkt. *Koffer nimmt und auswandert* Kapitel 11: ... und heimkehrte. ------------------------------- Vorwort(e): So, ihr habt es beinahe geschafft. Noch ein letztes Mal, dann seid ihr erlöst = ) Tristan. Yugi. Duke. Marik. Bakura. Mokuba. Wheevil. Rex. Mai. Isis. Seto. All diejenigen, die er kennengelernt hatte. Zu schätzen gelernt hatte. (Seto.) All diejenigen, die ihn auf seiner Reise begleitet hatten. Jeder auf seine eigene Art. (Seto.) Dartz. Pegasus. Männer, denen die Macht wichtiger war als alles andere. Die Leben zerstörten, die ihnen dabei im Weg standen. (Seto.) Sie zu hassen, reichte nicht aus. Diese Männer ließen töten und vernichten, weil sie es nicht besser wussten. Bemitleidenswerte Menschen. (Seto.) Er irrte. Wanderte. Wusste nicht, was er suchte. Der Schmerz war verschwunden, war nur noch ein dumpfes Pochen am Rande seines Seins. Schmerz darüber, etwas verloren zu haben. Er wusste nicht, was. Kein Licht. Niemand, der ihn führte. Mitnahm. Vielleicht war er nicht bereit. (Seto.) Erkenntnis. Er wollte nicht mitgenommen werden. Er wollte nicht gehen. Zur Hölle mit allem. oOo Joey schlug die Augen auf. In dem Moment, in dem sein Bewusstsein zurückkehrte, erzitterte er. Er schnappte nach Luft. Erfolglos. Ein weiteres Mal. Es brachte ebenso wenig. „Hör mir zu.“ Eine Stimme, dicht neben ihm. Sein Blick war unfokussiert, als er ihr mit dem Blick folgte. „Wir haben nicht viel Zeit.“ Er sah niemanden. Es war zu dunkel. „Lieg still, verdammt. Du schadest dir nur mehr und versuch nicht zu atmen. Das verkürzt alles.“ Der Prinz erstarrte und hielt den Atem an. Lauschte und erkannte. Wheevil. „Uns rennt die Zeit davon. Hör mir genau zu. Du bist gestorben, Mensch. Rex und ich sind hierher gekommen, als wir davon erfuhren. Eine ziemlich launische Frau war bereit, uns mitzunehmen.“ Launisch? Das klang wie Mai. „Du hast Rex und mich gerettet. Ohne nennenswerte Gegenleistung. Damit hast du dir einen Wunsch bei uns verdient. Da du zu dem Zeitpunkt zu sehr in Eile warst, habe ich es dir nicht sagen können. Der Wunsch ist jedoch an Bedingungen geknüpft. Er funktioniert nur, wenn er direkt mit dir verbunden ist.“ Er versuchte zu verstehen. „Wir haben deinen Geist für kurze Zeit zurückgeholt. Du irrtest herum. Nun ist die Zeit gekommen, deinen Wunsch zu äußern. Du hast eine Chance, Mensch. Willst du leben?“ Joey öffnete den Mund, doch kein Laut verließ ihn. Er spürte, wie sein Bewusstsein schwand. Wheevil sprach wieder. Eindringlicher. „Willst du leben? Du musst mir antworten. Verdammt, reiß dich ein bisschen zusammen!“ Ein wütendes Zirpen. Joey hätte geschmunzelt, wenn seine Muskeln ihm gehorcht hätten. Er schaffte es, seinen Kopf dazu zu bringen, leicht zu nicken. Dann löste sich der Griff, den sein Geist um seinen Körper hatte. „Du wirst leben, Mensch. Doch nicht in deinem Körper. Die Verletzungen sind zu schwer.“ Seto. Er spürte, wie er sich verlor. oOo „Hat er gerade den Drachen gerufen?“ Rex lag zusammengerollt neben dem Gesicht des Prinzen. Er hatte geschlafen und reckte sich müde. „Hast du was gesagt?“ Wheevil summte verärgert und zwickte die Eidechse. „Jetzt ist nicht die Zeit zu pennen!“ „Au! Wofür war das schon wieder?!“ „Wir haben etwas zu tun. Unsere Zeit ist gekommen. Wir erfüllen ihm seinen Wunsch und sind dann endlich frei.“ „Wirklich?!“ „Jetzt komm schon. Er hat nach dem Drachen gerufen. Was auch immer das heißt, dieses Königreich bekommt jetzt einen Prinzen der besonderen Art.“ oOo Mit einem Aufschrei richtete er sich auf. Ein Ruck ging durch seinen Körper und in seiner Nähe fiel etwas auf den Boden und zerbrach klirrend. Er blickte sich orientierungslos um, ein Beben erschütterte seine Umgebung, dann erklang ein markerschütterndes Brüllen. „Joey!“ Er suchte nach dem Ursprung des Lärms. Des Bebens. „Joey, beruhige dich!“ Er wollte aufstehen, stolperte und fiel der Länge nach hin. Sein Kopf stieß gegen etwas Festes und Sterne explodierten vor seinen geschlossenen Augen. Eine Hand berührte sein Gesicht. „Joey.“ Er riss de Augen auf und blickte in das Gesicht seiner Schwester. Hinter ihnen ging erneut etwas zu Bruch, doch er nahm es nur am Rande war. Seine gesamte Aufmerksamkeit war auf Serenity gerichtet, die ihn unter Tränen anlächelte. „Joey, ich bin’s.“ „Serenity.“ „Ach, Joey.“ Sie presste ihr Gesicht gegen seins und er spürte Nässe. Er wollte die Arme um sie legen, sie an sich drücken und ihr versichern, dass alles gut war, dass er da war, doch als er seine Hand heben wollte, erschien etwas Fremdes in seinem Blickfeld. Eine Klaue. „Was zum -?!“ Serenity löste sich von ihm als er versuchte, sich aufzurichten und erneut hinfiel. Er landete neben ihr auf dem Boden und erneut erbebte der Raum. Das Gewölbe, wie er nun feststellte. Und es erzitterte wegen ihm. Er blickte sich um und erkannte, dass er im Kellergewölbe des Schlosses war. Meterhoch ragten die steinernen Wände in die Höhe. „Joey, ganz ruhig. Richte dich langsam auf.“ Serenity hatte beschwichtigend die Arme gehoben. „Es ist alles in Ordnung.“ „In Ordnung?“ Joeys Beine hatten ihm endlich gehorcht und er stand. Nur blickte er aus über fünf Meter Höhe auf seine Schwester hinab. Als er an sich hinunter sah, erblickte er einen fremden Körper. Schwarze, glänzende Schuppen. Etwas bewegte sich plötzlich und schnell neben ihm und Joey wirbelte herum. Beinahe wäre er wieder gefallen, dann sah er den Ursprung der Bewegung. Ein schwarzer, meterlanger Schwanz. Er wollte danach greifen, doch er schlug unruhig auf den Boden und warf schließlich ein Weinregal um. Mit lautem Klirren zerbarsten die Flaschen auf dem Steinboden. „Was ist los mit mir?“, rief Joey mit wachsender Panik und drehte sich im Kreis. Dann schoss mit einem Mal ein scharfer Schmerz seine Schultern hinab und als er den Hals reckte und hinter sich sah, erkannte er zwei mächtige Schwingen auf seinen Rücken, die sich ohne sein Zutun ausgebreitet hatten und gegen die Decke schlugen. „Was bei allen -?! Was bin ich?!“ Sein Blick richtete sich voller Entsetzen auf Serenity, die besorgt zurückgewichen war, als das Weinregal neben ihr umgestoßen worden war. „Joey –“, setzte sie an, doch der Prinz ließ sie nicht ausreden. „Das muss ein Traum sein“, sprach er mehr zu sich selbst. „Ich bin bewusstlos und das ist nichts weiter als ein schräger Fiebertraum.“ Er wirbelte herum und erklomm mit unsicheren Schritten die Treppe. Doch er war zu groß, stieß sich den Kopf an der Decke und ließ sich schließlich auf alle Viere herab. Er dachte nur noch daran, zu rennen. Er hörte Serenitys Rufe hinter sich nicht, durchquerte die Eingangshalle seines Zuhauses und stieß die Portaltür nach draußen auf. Dann blendete ihn helles Sonnenlicht und er starrte in den blauen Himmel. Sein Atem ging schnell, er wandte den Kopf und blickte von allen Seiten an sich hinab. Das Bild hatte sich nicht geändert. Er setzte sich in Bewegung, ignorierte die besorgten Blicke der Diener und rannte durch den Schlossgarten, direkt auf den Schlossteich zu. Als er sein Spiegelbild im Wasser sah, verschlug es ihm die Sprache. Er blickte in das Gesicht eines Drachen. Eines schwarzen Drachen mit rubinroten Augen. Er spürte, wie die Panik zunahm, versuchte sich zu beruhigen, doch seine Sicht verschwamm bereits vor seinen Augen. „Ich bin ein Drache“, murmelte er fassungslos. Er streckte die Klaue aus und schlug in das Wasser. Es entstanden unruhige Wellen, doch als sie nachließen war das Spiegelbild noch immer das gleiche. „Ich bin ein Drache!“ „Joey.“ Er wirbelte herum. „Ich bin ein Drache! “ In einigen Bäumen um sie herum stoben die Vögel, aufgeschreckt von dem Brüllen – aus den Kronen. „Ja, Joey. Du bist ein Drache.“ Und Joey sah sich all seinen Freunden gegenüber. Nicht nur Serenity, auch Tristan, Duke, Yugi, Marik und Bakura waren da. Sogar Mai war unter ihnen. Sie hatte ihren Turm verlassen und stand nun vor ihm, lächelte ihn nachsichtig an. Neben ihr standen zwei Jungen, die Joey nicht kannte. Auch Isis war unter den Anwesenden und sie war es auch, die gesprochen hatte. „Du bist ein Drache. Und du lebst.“ „Wieso sagst du das? War ich tot?“ „Ja.“ Joey spürte, wie seine Beine unter ihm nachgaben und er plötzlich auf dem Gras saß. Isis Worte hatten gesessen. „Ich war tot?“ „Für mehr als fünf Tage hat dein Herz nicht mehr geschlagen.“ „Aber wie -? Und dieser Körper?“ Jemand räusperte sich. Es war einer der fremden Jungen. „Da kommen wir dann ins Spiel.“ Joey kannte den Jungen nicht, aber seine Stimme. „Wheevil?“, fragte er ungläubig. Wheevil grinste. „Ja, Prinz. Rex und ich“, er deutete auf den gähnenden Jungen neben sich, „waren bei dir, nachdem du gestorben warst. Gestern. Du erinnerst dich vielleicht nicht mehr daran, aber wir sprachen mit dir. Ich habe dir zu erklären versucht, dass du etwas bei uns gut hattest. Einen Wunsch, genauer gesagt.“ „Ich erinnere mich dunkel ...“, murmelte Joey. „Du sagtest, dass der Wunsch sich nur auf mich beziehen dürfte.“ „Genau. Du hättest dir also nicht wünschen können, dass das Ziel, das du und der Drache hattet, sich erfüllen würde, denn es musste mit dir zu tun haben. Und was hängt direkter mit dir zusammen als dein Leben? Also haben Rex und ich dich zurückgeholt. Oder vielmehr deine Seele, denn dein Körper war nicht mehr zu gebrauchen. Und im Austausch für unsere magischen Gestalten und sämtliche unserer Fähigkeiten haben wir dir diesen Körper geschaffen. Ziemlich cool, was?“ „Eure Gestalten /i]und eure Fähigkeiten?“, wiederholte Joey. „Das tut mir leid, Wheevil.“ „Es tut dir leid?“ Der Junge verschränkte die Arme. „Es ist das verdammt noch mal Beste, was Rex und mir passieren konnte! Vor dir haben wir ewig darauf gewartet, dass jemand uns irgendeinen Gefallen tut, damit wir endlich diese Bürde loswerden und du entschuldigst dich, weil du uns geholfen hast?! Wir können froh sein, dass es keine schwierigere Bedingung war. Stell dir vor, man hätte uns erst küssen müssen.“ Er schüttelte sich. „Und du besitzt den Nerv, dich auch noch dafür zu entschuldigen! Ich hätte dich in einen Hund verwandeln sollen ...“ „Was ist mit meinem Körper?“, fragte Joey und dieses Mal antwortete Serenity: „Wir haben ihn beerdigt. Vor einigen Tagen standen Isis und dein Freunde mit deinem leblosen Körper vor den Toren des Schlosses und –“ Ihre Worte verklangen, als Tränen über ihre Wangen liefen. Tristan legte tröstend einen Arm um sie und sprach weiter: „Isis brachte dich zu dem Schloss in den Bergen, nachdem Mokuba sich vor unseren Augen wieder in einen Drachen zurückverwandelt hat.“ „Das hättest du sehen müssen!“, warf Bakura dazwischen. „Unheimlich.“ Sagte der sprechende Wolf. „Zumal wir ja nicht wussten, dass er ursprünglich auch ein Drache war“, ergänzte Marik. „Und wir konnten nicht begreifen, was passiert war. Also hat sie uns alles erzählt und wir ... nun ja – wir waren geschockt und ...“ Tristan holte zitternd Atem. „Für uns war ein guter Freund gestorben.“ Joey nickte langsam. Tristan so zu sehen war nur schwer zu ertragen. „Jeder von uns brauchte seine Zeit, um damit fertig zu werden oder es zumindest zu begreifen. Schließlich beschlossen wir, dass es das Beste wäre, dich zurück zu bringen. Also haben wir uns verabschiedet und sind zurückgereist. Wir brauchten vier Tage und übergaben deiner Familie deinen Körper.“ „Ich bot an, eine Zeremonie zu halten“, fuhr Isis fort. „Aber in der Nacht vor deiner Beerdigung – gestern - geschah etwas mit dir und als wir die Zeremonie halten wollten, lag neben deinem toten Körper der eines schwarzen Drachen und der von zwei bewusstlosen Jungen.“ „Die Prozedur war aufwendig!“, beschwerte sich Wheevil. „Und ermüdend“, bemerkte Rex und lehnte sich mit halb geschlossenen Augen an Wheevil, der es genervt tolerierte. „Also ist meine Seele gewandert?“, fasste Joey alle Informationen zusammen. „Und ich bin jetzt ein Drache. Ist das nicht etwas ... na ja ... unglaubwürdig?“ „Dass du ein Drache bist?“, fragte Yugi lächelnd. „Aber du lebst. Ob es unglaubwürdig ist oder nicht spielt dabei doch keine Rolle.“ „Ich bin auch ein sprechender Wolf“, knurrte Bakura. „Willst du mir etwa jetzt sagen, dass du ein Problem mit sprechenden Wesen hast?“ „Nein“, widersprach Joey. „Aber was passiert jetzt? Gelte ich noch immer als Joey, wo mein menschlicher Körper doch begraben ist. Bei allen Göttern – ich war tot!“ Es zu begreifen war fast unmöglich. „Es fühlt sich an, als hätte ich nur geschlafen.“ „Du bist Joey“, sagte Mai und die anderen nickten zustimmend. „Auch wenn du nicht mehr deine einstige Gestalt hast, so kann jeder Einzelne von uns sehen, dass du es bist.“ Joey lächelte und senkte den Kopf. Dann stieß er sie mit der Schnauze liebevoll an. „Du bist extra aus deinem Turm gekommen?“, fragte er leise und sie streichelte ihm de Wange. „Als ich hörte, dass der vorlaute Prinz, der mich kürzlich noch mit meinem eigenen Schuh beworfen hat, gestorben war, konnte ich es nicht glauben. Ich musste es mit eigenen Augen sehen.“ Sie lächelte, doch ihre Augen waren feucht. „Erschrecke mich gefälligst nie wieder so, du Tölpel von einem Königssohn.“ „Versprochen, Mai.“ „Das gilt für uns alle.“ Tristan war neben ihn getreten und sah zu ihm auf. Auch er hatte vor einigen Tagen jemand wichtigen verloren: Seinen besten Freund. Und nun stand dieser als Drache wieder vor ihm. „Erschreck uns nie wieder so, Joey. Wir sind fast mit dir gestorben.“ „Es tut mir so leid.“ Joey blickte in die Runde. „Ihr seid meine Familie“, sagte er ernst. „Ihr bedeutet mir alle so viel und ich hatte nicht vor, euch zu sorgen. Ich kann nicht versprechen, dass es nie wieder passiert – wer bin ich, dass ich glaube, die Zukunft zu kennen? – aber ich werde in Zukunft besser auf mich acht geben.“ Bakura lachte dunkel. „Mit dem Schuppenpanzer und den Klauen sollte es schwer sein, dich zu verletzen.“ Joey betrachtete seine Klauen. „Das stimmt. Zumindest kann man mich jetzt nicht mehr so leicht entführen und Seto muss mich dann nicht immer retten.“ Er stutzte und dann fiel ihm endlich auf, was die ganze Zeit gestört hatte. Was ihm gefehlt hatte. „Seto“, sagte er leise und starrte gebannt auf die schwarzen Schuppen seiner Klauen. Er irrte. Wanderte. Wusste nicht, was er suchte. Der Schmerz war verschwunden, war nur noch ein dumpfes Pochen am Rande seines Seins. Schmerz darüber, etwas verloren zu haben. Er wusste nicht, was. „Seto“, wiederholte er, dieses Mal deutlicher und sah schließlich auf. „Was ist mit Seto und Mokuba? Mokuba hat sich zurück verwandelt? Aber wie? Was ist mit dem Fluch?“ „Er wurde gebrochen. Du hast ihn gebrochen, Joey“, sagte Isis. „Kurz bevor du schwer verletzt dein Bewusstsein verloren hast, sagtest du, wir sollten dich opfern. Du, Seto und ich – wir wussten, dass dir nicht mehr viel Zeit blieb und du wolltest, dass dein Blut nicht umsonst geflossen war. Seto weigerte sich, dich zu opfern, doch ich beharrte darauf, weil ich deinen Wunsch verstanden hatte. Und auch wenn Seto ihn ebenfalls verstanden hatte, weigerte er sich nach wie vor.“ „Er wollte mich nicht opfern? Obwohl er wusste, dass ich sterben würde?“ „Er sagte, dass dein Tod, selbst wenn du mit ihm nicht Mokuba retten würdest, nicht umsonst gewesen wäre.“ „Oh.“ Joey schluckte. Das, was Isis ihm erzählte, klang unglaublich. Seto hatte sich geweigert, sein Blut anzunehmen. „Aber du hast mein Blut genommen?“, fragte er Isis und die Priesterin nickte. „Joey, ich –“, setzte sie schuldbewusst an, doch der Prinz unterbrach sie. „Danke, Isis.“ Die Priesterin entspannte sich. „Du hast damit auch mich befreit, Prinz.“ „Prinz“, wiederholte Joey abwesend. „Ich bin jetzt ein Drache. Bin ich da noch ein Prinz?“ „Du bist noch immer Spross dieser Familie, Sohn.“ Joey stockte der Atem, als er seinen Vater, den König, erblickte. „Vater“, keuchte er und senkte den Blick. Er hatte war ohne Prinzessin zurückgekehrt. Er hatte keinen Drachen erlegt. Er war gestorben. „Es tut mir leid, wenn ich dich enttäuscht habe.“ „Sag, Prinz, wie wirst du nach alldem deinem Vater noch in die Augen schauen können?“ „Enttäuscht?“, wiederholte der König und schritt an Joeys Freunden vorbei, die respektvoll beiseite traten. Als der Mann unmittelbar vor Joey stand hob er eine Hand und legte sie auf den schuppenbesetzten Arm des Prinzen. „Mein Sohn hat sein Leben gegeben für einen Freund. Die Geschichten seiner Taten haben sich über die Grenzen unseres Landes verbreitet. Mein Sohn ist derjenige, der die Könige Dartz und Pegasus in ihre Schranken verwiesen hat. Wenn du etwas niemals getan hast, Joey, dann mich enttäuschen.“ Der König lächelte. „Und welche Königsfamilie gibt es, in der ein Drache verkehrt?“ Joey haderte mit sich selbst, dann verwarf er alle Bedenken, hob eine Klaue und drückte seinen Vater sachte an sich. „Danke.“ Der König erwiderte die Umarmung, dann löste er sich von Joey und räusperte sich. „Nun mein Sohn, was ist mit diesem Drachen namens Seto?“ „Wie meinst du das?“ „Nun, so wie dein Blick jedes Mal beim Nennen dieses Namens abschweift, scheint er dir nicht unwichtig zu sein. Und wenn ich deine Freunde richtig verstanden habe, weiß er nicht, dass du wohlauf bist.“ „Er weiß es nicht?!“, entfuhr es Joey und er blickte in die Runde. Die anderen schüttelten die Köpfe. „Wir reisten ohne ihn ab“, erklärte Isis. „Seto brachte mich und dich zurück zum Schloss und stellte Tristan und den anderen Rede und Antwort. Dann sah er nach Mokuba und noch in derselben Nacht verließen wir das Schloss ohne uns von ihm verabschieden zu können, da er unauffindbar war.“ „Oh Gott.“ Joey sah sich unruhig um. „Ich muss sofort zu ihm. Ich muss ihm sagen, dass es mir gut geht und –“ Seto hatte mit Tristan gesprochen. Er wollte sich nicht ausmalen, was in Seto vorgegangen war. „Tristan, was hat er gesagt? Wie sah er aus? Du hast ihn nicht verletzt oder?“ „Verletzt?“, wiederholte Tristan und in seinen Augen lag Schmerz „Joey“, sagte er und schien nach Worten zu ringen. „Joey, wie hätte ich ihn noch schwerer verletzen können als er es ohnehin schon war?“ Joey schluckte und ihm wurde kalt. Dann schüttelte er den Kopf. „Ich muss zu ihm.“ Er breitete die Flügel aus. „Warte, Joey. Beruhige dich.“ Wieder diese Worte. „Wie kann ich ruhig sein, wenn Seto mich für tot hält?! Ich habe ihm auf der ganzen reise mehr Probleme bereitet als jeder andere es gekonnt hätte. Und mein Tod hat alles nur noch schlimmer gemacht! Ich bin es ihm schuldig, mich zu entschuldigen!“ Sie schwiegen. Dann trat Serenity vor. „Joey“, sagte sie liebevoll und er senkte den Kopf. „Geh zu ihm. Aber übereile nichts, sonst brichst du dir den Hals.“ Joey wollte den Mund öffnen und sagen, dass er es in Kauf nehmen würde, wenn er dadurch nur zu Seto könnte, doch etwas in ihrem Blick ließ ihn verharren. Es war die Trauer, die in ihren Augen lag. Serenity hatte ihn schon einmal verloren. „Vielleicht kann Yugi dich einweisen – er ist der einzige von uns, der fliegen kann“, schlug Duke vor. Joey nickte und wechselte einen Blick mit Yugi. Der Magier lächelte und nahm seine Vogelgestalt an. „Der Körper eines Drachens ist anders ausbalanciert als der eines Vogels“, erklärte er, „aber die grundsätzlichen Dinge sind die gleichen.“ Joey nickte. „Dein Körper ist schwerer als der eines Vogels, dafür sind deine Schwingen stärker. Der Schlüssel liegt also darin, mit kräftigen Flügelschlägen in die Luft zu kommen. Hast du das geschafft, geht es darum, die richtige Lage zu finden. Drachen profitieren vom Wind. Sobald sie in der Luft sind, verbrauchen sie nur noch wenig Energie durch Flügelschläge. Und jetzt bekomme erst eine Gefühl für deine Flügel, Joey.“ Der Prinz war sich der interessierten Blicke, dich auf ihm lagen, bewusst. Serenity und sein Vater standen nebeneinander, Bakura hatte sich hingelegt und Marik lag an ihn gelehnt ebenfalls im Gras. Tristan und Duke saßen nebeneinander und Isis und Mai unterhielten sich leise. Joey konzentrierte sich auf seine Flügel und erkannte mit Erleichterung, dass es nicht schwer war, sie zu bewegen. Die ersten Flügelschläge rissen ihn beinahe zu Boden, da er mit der Kraft, die hinter ihnen lag, nicht gerechnet hatte. Er spürte, wie sein Körper durch die Schwingen bereits in die Höhe gezogen wurde. „Sehr gut, Joey. Und jetzt der nächste Punkt. Sich aus dem Stand in die Luft zu erheben ist für den Anfang zu kompliziert. Du solltest Anlauf nehmen.“ Joey sah sich im Garten um und als er eine Wiesenfläche ins Auge fasste, wo ihm kein Hindernis im Weg war, spannte er seine Muskeln an und rannte los. Seine Klauen schlugen auf den Boden und er wusste, dass er noch lange brauchen würde, bis er so lautlos wie Seto war. Dann erinnerte er sich daran, dass er mit den Flügeln schlagen musste, wenn er vorhatte zu fliegen und augenblicklich setzten die breiten Schwingen sich in Bewegung. Joey reckte den Hals und rannte noch etwas schneller. Er spürte, wie der Drachenkörper in die Höhe gehoben wurde und er den Boden unter den Klauen verlor. Er schlug noch etwas stärker mit den Flügeln und dann war er in der Luft. Er stieß einen euphorischen Ruf aus und stieg in die Höhe. Ein Blick nach unten zeigte ihm, dass seine Freunde immer kleiner wurden. „Genau so, Joey.“ Yugi flog neben ihm. „Und jetzt achte auf den Wind. Konzentrier dich auf die Böen, die dich umgeben.“ Joey folgte dem Rat und erst jetzt fiel ihm auf, dass der Wind nicht überall gleich war. Während er in einer Höhe noch seinen Flug beschleunigte, konnte er zehn Meter höher bereits aus der entgegengesetzten Richtung kommen. Joey genoss das Gefühl der Luft, die um seine Nase wehte und schloss einen Moment lang die Augen. Diese Übung setzte Yugi noch länger mit ihm fort, bis er der Meinung war, dass Joey die Grundzüge des Fliegens verstanden hatte. Schließlich setzten sie zur Landung an. Der König war wieder zu seiner Arbeit zurückgekehrt, richtete Serenity ihm aus. Sie fügte lächelnd hinzu, dass nun, wo die Könige Dartz und Pegasus im ganzen Land als Feiglinge verschrien waren, ihr Vater mehr zu tun hätte als sonst. Viele Bürger der anderen Reiche hätten bereits angekündigt, in ihr Königreich zu ziehen. Joey wollte noch am gleichen Tag aufbrechen. Tristan bot ihm an, ihn zu begleiten, doch Mai stieß ihm einen Ellbogen in die Seite und raunte ihm etwas zu. Tristan errötete und nahm sein Angebot zurück. Als Joey Mai fragte, was sie ihm gesagt hätte, zwinkerte ihm sie lediglich zu. Marik und Bakura eröffneten Joey, dass sie weiterreisen würden. Sie dankten dem Angebot des Königs, am Schloss bleiben zu dürfen, aber sie wollten nicht an einem Ort verweilen. Joey nahm ihnen das Versprechen ab, dass sie regelmäßig zurückkehren würden, um ihre Freunde hier im Schloss zu besuchen. Rex und Wheevil schlossen sich ihnen an, denn auch sie wollten sich nicht zur Ruhe setzen. Jetzt, wo sie von ihrer Bürde befreit waren, wollten sie die Welt sehen. Duke und Yugi hatten beschlossen, zu bleiben. Yugi würde im angrenzenden Dorf den Platz des Heilers übernehmen und Duke plante, bei dem Hofschmied in Lehre zu gehen. Joey war froh zu wissen, sie bei seiner Rückkehr wieder sehen zu können. Mai erklärte ihm, dass sie in ihren Turm zurückkehren würde. Jedoch verlangte sie von Joey, dass er sie dorthin brachte – als Gegenleistung dafür, dass er ihr mit seinem Tod höchstwahrscheinlich einige unschöne Sorgenfalten bereitet hatte. Isis lehnte es ab, dass er sie zu ihrem Tempel bringen würde. Sie wollte noch etwas länger im Schloss bleiben und die Rituale der Hofpriester studieren. Nachdem Joey bescheid wusste, wen er wiedersehen würde und wen erst nach einer längren Zeit, verabschiedete er sich von allen. Er begleitete die anderen Abreisenden zu Fuß auf einem Stück ihres Weges und als sich an einer Gabelung ihre Wege trennten, zog er Marik und Bakura – die geknurrten Proteste des Wolfes ignorierend – an sich. „Danke für alles, ihr beiden.“ „Werd nicht sentimental, Prinz“, grollte Bakura und schaffte es nur mit umständlichen Verrenkungen, sich frühzeitig aus dem Griff des Drachens zu befreien. „Es war ja nicht so, als ob es nicht spannend gewesen wäre.“ „Er hat Recht. Es war ein Vergnügen, mit dir zu reisen“, bemerkte Marik schmunzelnd und tätschelte Bakura den Kopf, nachdem Joey ihn losgelassen hatte. Der Wolf zog genervt seinen Kopf zurück. „Und wenn du die Bemerkung erlaubst, Prinz: Eine Prinzessin hätte nicht zu dir gepasst.“ „Da hast du wohl recht.“ J oey blickte Marik und Bakura nach, dann wandte er sich an Wheevil und Rex. „Auch euch beiden danke ich.“ „Oh bitte.“ Wheevil hob abwehrend die Hände. „Keine Abschiedsszene Men- ich meine Drache. Jeder von uns hat dem anderen geholfen. Wir sind quitt.“ „Wenn du das sagst. Ich wünsche euch viel Glück bei eurer Reise. Ihr seid jederzeit im Schloss meines Vaters willkommen.“ „Wir werden es uns merken“, sagte Wheevil grinsend und wandte sich ab. „Wir sehen uns.“ Rex hob die Hand und folgte ihm. Dann waren Mai und Joey alleine. Der Drache blickte auf die Prinzessin hinab. „Und du willst wirklich zurück in den Turm?“ Mai verschränkte die Arme. „Ja doch. Ich weiß, dass der Richtige eines Tages davor stehen wird. Und sieh dir doch nur mal meine Haare an!“ Sie deutete auf den langen Zopf, in dem Blätter und Äste hingen. „Das passiert mir immer, wenn ich den Turm verlasse. Grauenvoll. Jetzt lass mich schon aufsteigen, bevor noch Käfer und andere Krabbeltiere meine Haare als potentielles Nest entdecken!“ Joey gehorchte widerspruchslos und half ihr auf seinen Rücken. Dann nahm er Anlauf und erhob sich schon weitaus geübter in die Lüfte. „Weißt du, Joey“, sagte Mai irgendwann, während Felder und Wälder unter ihnen hinweg zogen. „Der Käferjunge hatte schon recht. Ein Prinzessin hätte nicht zu dir gepasst.“ „Was du nicht sagst. Das erklärt wohl auch, warum ich nach alldem keine für mich gefunden habe. Die einzige Prinzessin, der ich begegnet bin, sitzt jetzt auf meinem Rücken und kann es nicht erwarten, bis ich sie zurückgebracht habe.“ Mai lachte. „Es liegt nicht an dir, Schatz.“ Sie tätschelte seinen Hals. „Doch was ich meine ist etwas Anderes. Wenn es nach deinem Charme ginge, hättest du längst eine Prinzessin. Was sage ich – unzählige Prinzessinnen. Aber nein, das ist es nicht. Es liegt daran, dass dein Herz von Anfang an für jemand anderen geschlagen hat.“ „Wirklich?“ „Spiel nicht den Dummen. Seit dem ersten Moment, in dem du ihm begegnet bist, waren alle Prinzessinnen nebensächlich. Gib es zu: Der Prinz in dir ist dem Drachencharme verfallen.“ Joey blickte in den Sonnenuntergang vor sich und lächelte. „Hoffnungslos.“ „Aber es gibt kein Gesetz, dass besagt, dass Drachen gegen den Charme von gutaussehenden Prinzen immun sind, Joey“, fügte Mai hinzu und ihr Lachen vermischte sich mit dem Flugwind. Als die Sonne den Horizont überschritt, erreichten sie Mais Turm. Joey half ihr durch das Fenster und verabschiedete sich von ihr. Sie küsste seine Drachenschnauze. „Flieg zu ihm Joey“, sagte sie und betrachtete ihn zärtlich. „Flieg zu ihm und zeig ihm, dass du lebst. Und ehe du dich versiehst“, ein sachter Klaps auf seine Nase, „sind alle Sorgen verflogen.“ „Das hoffe ich.“ Und mit einem letzten Winken flog er los, den Bergen des Nordens entgegen. Lange Stunden flog er und war erstaunt über die Kraft, die sich in seinem neuen Körper verbarg. Er spürte keine Müdigkeit, aber vielleicht lag es auch einfach daran, dass er ein Ziel hatte. Als der Mond direkt über ihm stand erschienen die Bereg vor ihm. Seine Flügelschläge beschleunigten sich bei dem Anblick und schließlich sah er das Schloss unter sich. Er landete vor dem Eingang – um einiges leiser als bei seinem ersten Landeversuch – und sah sich um. Es war still und nichts rührte sich. Langsam näherte er sich dem offenen Eingangstor und betrat das Schloss. „Hallo?“, rief er in die Stille. „Ist jemand hier?“ Keine Antwort. Der Prinz durchquerte die Eingangshalle und warf einen Blick in den ehemaligen Thronsaal. „Hallo?“, rief er noch einmal. „Mokuba?“ „Wer bist du?“, fragte eine vertraute Stimme hinter ihm und er wirbelte herum. Überrascht blickte er auf die Gestalt eines weiteren Drachen, der jedoch nur etwa halb so groß war wie er selbst. Im Licht des Mondes, das durch die Fenster schien, erkannte Joey, dass sein Schuppen etwas heller waren als seine eigenen. Wenn er an Setos Äußeres dachte, dann hatten Mokubas Schuppen vielleicht eine tiefe Graublaufärbung. „Und woher kennst du meinen Namen?“ „Mokuba“, wiederholte Joey und begann zu lächeln. „Du bist nicht von hier. Aus welchem Teil des Landes kommst du?“ Der jüngere Drache hatte neugierig den Kopf geneigt. Seine Augen waren ebenso blau wie die seines Bruders. Joey machte einen Schritt auf Mokuba zu. „Mokuba, ich bin’s.“ Mokuba beugte sich vor und musterte Joey, dann weiteten sich seine Augen. „Joey?“ „Quicklebendig.“ Der junge Drache stellte sich auf seine Hinterbeine und reckte den Hals. „Aber wie -? Und diese Gestalt! Joey?!“ „Der strahlende Prinz Joey erblüht mit neuem Leben“, scherzte Joey und zwinkerte. Plötzlich stieß Mokuba einen lauten Jubelruf aus und stürzte sich auf ihn. Der größere Drache wurde zu Boden geworfen und fand sich in einer festen Umarmung Mokubas wieder. „Du bist es, Joey! Du siehst zwar aus wie ein Drache, aber es ist deine Stimme!“ „Ja Mokuba, ich bin es. Ich lebe und es geht mir gut. Ich hatte Hilfe von einigen guten Freunden.“ Der Kopf des kleineren Drachens presste sich gegen seine Brust. „Ich bin so froh, Joey! So froh. Als Seto mir - uns – erzählte, was geschehen war und ... du hättest ihn sehen müssen. Er war so ... seine Augen und – er war nicht mehr er selbst und es war so furchtbar. Und ich hatte nie geahnt, was es mit dem Fluch wirklich auf sich hatte, sonst hätte ich dich nie darum gebeten, Seto zu begeleiten und ich wäre nie so egoistisch gewesen ....“ Mokubas Worte verklangen in haltlosem Schluchzen. „Es tut mir so leid, Joey, das musst du mir glauben!“ „Ganz ruhig, Mokuba.“ Joey tätschelte dem Jungen den Kopf. „Mach dir bitte keine Vorwürfe. Du warst nicht egoistisch und ich nehme dir absolut gar nichts übel. Versprich mir, dass du so etwas nie wieder denkst, ja?“ Feuchte Drachenaugen sahen ihn an und Joey verspürte den unbändigen Drang, Mokuba so lange zu trösten, bis er wieder strahlte. Doch dann hoben sich die Mundwinkel des jüngeren Drachens zu einem verweinten Lächeln und er schniefte ein letztes Mal. „Versprochen“, sagte er leise und presste seine Nase gegen Joeys Hals. „Es ist schön dich zu sehen. Und dass du ein Drache bist, ist großartig!“ „Ich gewöhne mich langsam dran.“ Joey stand langsam auf. „Was sagst du zu unserem scharfen Sehvermögen?“ Mokuba sprang aufgeregt vor ihm auf und ab. „Oder dem Fliegen? Bist du schon viel geflogen? Ich kann leider noch nicht fliegen, aber Seto sagt, dass ich die Fähigkeiten innerhalb der nächsten Jahre erlernen werde und ich übe auch schon heimlich wenn er nicht da ist – das hat er mir nämlich eigentlich verboten ...“ So sehr Joey Mokuba auch mochte, aber bei dem Nennen von Setos Namen hatte er aufgehört zuzuhören. Er blickte aus dem Fenster. „Wo ist er, Mokuba?“ Der Jüngere verstummte augenblicklich. „Er ist auf der Bergspitze“, sagte er und folgte Joey Blick. „Und sieht in die Ferne. Die ganze Nacht. Das machte er seit er mit Isis und dir zurückgekehrt ist.“ Mokuba senkte den Blick. „Er vermisst dich, Joey. Als du gestorben bist, hat er etwas verloren. Etwas, von dem er bis dahin nicht gewusst hat, dass er es überhaupt besaß.“ „Ich hatte ein ähnliches Gefühl, als ich nicht bei Bewusstsein war“, murmelte Joey. „Als ich wieder zu mir kam, war es im ersten Moment so stark, dass ich befürchtete, es würde mich ersticken.“ „Ihr zwei habt so viel durchgemacht, um mir zu helfen. Joey, du weißt nicht, wie dankbar ich dir bin, dass du mich nicht aufgegeben hast. Aber ganz besonders dafür, dass du Seto nicht aufgegeben hast. Das hat ihn tief beeindruckt.“ Und Seto hatte ihn beeindruckt. Immer wieder. Seine Hingabe für Mokuba. Seine Bereitschaft, alles für ihn aufzugeben. „Ihr seid euch ähnlich.“ Mokuab sah Joey in die Augen. „Geh zu ihm, Joey. Zeig ihm, dass es kein Fehler war, sich durch die Gefühle, die er empfand, verletzbar zu machen. Denn so wie ich ihn kenne, wird er darüber nachdenken.“ „Er denkt zuviel“, bemerkte Joey schmunzelnd. „Viel zu viel“, stimmte Mokuba belustigt zu. „Aber versuch das mal einem alten Drachen beizubringen.“ Joey nickte, dann erhob er sich. Er stupste Mokuba ein letztes Mal sachte an. „Wir sehen uns.“ „Das will ich hoffen, großer Drache.“ Sie verließen das Schloss. Joey schüttelte den Kopf. „Daran muss ich mich erst noch gewöhnen.“ „Glaub mir, wenn du länger als Drache gelebt hast, wirst du es nicht mehr missen wollen.“ „Du musst es wissen.“ Und damit hob er ab. Die Bergspitze lag vor ihm, verborgen von einigen hohen Felsen, doch mit wenigen Flügelschlägen ließ er sie hinter sich. Dann sah er den Platz, den Mokuba gemeint hatte – eine ebene Fläche am höchsten Punkt des Berges – doch dort saß niemand. Joey blieb nicht die Möglichkeit, Enttäuschung zu empfinden, denn etwas fiel ihn von hinten an und riss ihn aus der Luft. Mit einem erstickten Schrei stürzte er ab und schlug schmerzhaft auf den Felsen. Ein ebenso großer Körper wie der seine presste ihn auf den Boden. Eine Klaue hielt seinen Kopf am Boden. „Wer bist du?“, erklang eine dunkle Stimme an seinem Ohr. Heißkalte Schauer liefen seinen Rücken hinab. „Was sucht ein Drache wie du in diesem Gebirge?“ „Seto“, keuchte Joey atemlos, doch der Druck auf seinen Rücken verstärkte sich. „Und woher kennst du meinen Namen, Drache?“ Joey verdrahte die Augen, dann holte er mit seinem Schwanz – den er in diesem Moment besser denn je unter Kontrolle hatte – aus und versetzte Seto einen harten Schlag in die Seite. Das lenkte den älteren Drachen einen Moment lang ab und diese kurze Unachtsamkeit nutzte Joey aus, um ihn von seinem Rücken zu stoßen, sich aufzurichten und sich auf Seto zu stürzen. Knurren und Fauchen erfüllte die Luft, dann kauerte er über Seto und presste dem weißen Drachen die Klauen auf die Brust. Kalte, im Mondlicht glänzende Augen trafen auf ihn und Joey war so erleichtert, Seto endlich wieder zu sehen, dass er nicht aufpasste. Plötzlich stieß Setos Kopf gegen seinen und Joey stolperte fluchend zurück. Es verging keine Sekunde, da stand Seto wieder über ihm, bereit, ihm mit seiner Klaue einen zerschmetternden Hieb zu versetzen, doch Joey rollte sich rechtzeitig zur Seite, packte Setos Schwanz mit den Zähnen und zog. Seto verlor den Halt und fiel rücklings zu Boden. Joey sprang auf ihn und presste ihn dieses Mal an den Schultern nach unten. Er atmete schwer und sein Maul war leicht geöffnet. Seto ließ sich seine Aufregung kaum anmerken. Er starrte kalt in Joeys Augen. „Wenn du mich töten willst, dann tu es“, sagte er leise und etwas in seiner Stimme ließ Joey erbeben. Das waren nicht die Worte, die er hören wollte. Das war nicht der Seto, den er sehen wollte. Er blickte in die Saphire des weißen Drachen unter sich und schüttelte den Kopf. Erst schwach, dann immer stärker. Seto wirkte, als hätte er sich aufgegeben. „Nein“, sagte er leise, dann beugte er sich vor und presste seinen Kopf gegen Setos Wange. „Nein, du dummer Drache. Du idiotische, starrsinnige Echse.“ Und als er diese Worte sagte, wich jegliche Spannung aus seinem Körper und er sank kraftlos auf Seto, krallte sich in die glatten Schuppen und presste sich dichter an den anderen Drachen. Es vergingen Sekunden, in denen Joey lediglich seinen und Setos Atem hörte, dann sprach Seto ein einziges, für ihn viel zu scheues Wort: „Joey?“ „Wer würde sonst den Nerv besitzen, einen Drachen mit messerscharfen Klauen zu umarmen? Natürlich bin ich es!“ Und ohne, dass er es gewollt hatte, überspülte ihn eine Woge der Verzweiflung. Darüber, dass er Seto beinahe verloren hatte. Darüber, dass es viel schlimmer hätte ausgehen können. Und Erleichterung. Er war wieder da. Bei Seto. Dort, wo er – wie er genau in diesem Moment, in dem Setos Klauen sich in seine Schultern gruben und ihn noch enger an den anderen Drachen zogen, in dem Seto sein Gesicht an Joeys rieb und die Augen schloss – hingehörte. „Joey.“ Joey öffnete die Augen und lächelte Seto neckisch an. Er traf auf ein Paar Augen, in die das vermisste, spöttische Funkeln zurückgekehrt war. Seto stellte keine Fragen. Joey gab keine Antworten. Stattdessen beugte er sich vor und berührte Setos Schnauze mit seiner. Am Rande nahm er wahr, dass ihre Schwänze sich längst verknotet hatten und ihre vom Mond geworfenen Schatten ineinander verschmolzen. „Seto.“ Er war Zuhause. Nachwort(e): Ja, Joey ist ein Drache. Ein schwarzer Rotaugendrache XP Und auch, wenn es nicht viel Shonen-Ai gab, so zeichnen Märchen sich doch dadurch aus, dass sie meistens mit dem gemeinsamen Kuss/ der Wiedervereinigung der Protagonisten und nicht mit heißem Sex enden *gg* So verlockend es auch bei Seto und Joey immer ist. Ach, irgendwann werd ich schon noch eine Lemon zu den beiden schreiben. Das bin ich es ihnen einfach schuldig *abschweif* Aber das ist ein anderes Thema X3 Wenn es euch nicht heiß genug herging, dann dürft ihr gerne meinen Märchen One Shot Litte Red Riding Hood lesen - da geht es schon ein bisschen mehr zur Sache*lach* Danke Fürs Lesen und Mata ne! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)