Runaway von kleines_punkrockgirl ================================================================================ Getting away from all this... ----------------------------- Heute würde ich es endlich durchziehen… Ich konnte es noch gar nicht glauben, dass ich den ersten Schritt wirklich geschafft hatte… Mein Rucksack rutschte von einer meiner schmalen Schultern. Ich zog ihn wieder nach oben und ging weiter. Im Moment hatte ich noch kein konkretes Ziel, außer immer Weiterzugehen, einfach nur weit weg von hier. Die Sonne zeigte sich an diesem Tag bis jetzt kaum, weshalb einem nicht mal auffiel, dass sie langsam schon aufgegangen war. Eine Masse aus grauen Wolken verdeckte sie komplett. Mein Blick wandert vom Himmel auf meine Füße. Meine Chucks waren schon ziemlich abgewetzt, aber das störte mich eigentlich recht wenig… In der nächsten Zeit würden sie wohl noch mehr beansprucht werden und danach deutlich schlimmer aussehen… Dann richtete sich mein Blick starr geradeaus die Straße entlang. Bald hatte ich den Bahnhof erreicht, mein erstes Ziel dieser Reise. Mal sehen, wohin es mich dann verschlagen würde… Irgendeine große Stadt, das wäre wohl das Beste. Dort kannte nicht jeder jeden, und man würde in der Masse von Menschen einfach nicht auffallen. Vielleicht würde ich ja in Köln landen, oder doch Berlin? Ich beschloss einfach den Zug zu nehmen, der als erstes hier weg fahren würde und mich in eine Großstadt brächte. Eigentlich hatte ich noch viel Zeit, aber man wusste ja nie, was das Schicksal für ein Unglückskind wie mich bereit hält… Ich wollte mich nicht noch einmal umsehen… Bloß nicht zurückblicken… Meine Schritte wurden schneller. Wenn ich all das hier beenden wollte, dann müsste ich hier und heute damit anfangen. Das hatte ich mir doch fest vorgenommen. Doch wie immer gab es einen Teil von mir – ich nannte ihn immer meine schwache Seite -, welcher von mir verlangte, mich noch einmal umzudrehen. Und wenn ich diesem Drang nachgeben würde, so wusste ich, würde ich auch wieder zurückgehen. So war es schon etliche Male gewesen. Aber heute sollte es anders sein… Heute würde ich mich nicht noch ein letztes Mal umsehen, um am Ende doch wieder reumütig vor der Haustüre zu stehen, und mich rein zu schleichen… Genau weil ich mich so gut kannte, hatte ich auch diesmal nicht noch meinen Schlüssel mitgenommen. Er lag in dem kleinen Kuvert, welches ich in meinem Zimmer zurückgelassen hatte… Eine Art Abschiedsbrief für meine Mutter. Denn egal, was passiert war, und was er mir alles angetan hatte, ihr gab ich dafür nur eine Teilschuld. Sie war die Einzige gewesen, die mich Jahre lang dort gehalten hatte. Doch jetzt reichten nicht einmal ihre geflüsterten, beruhigenden Worte aus, um mich aufzuhalten… Ich betrat den Bahnhof, und zog mein dunkelgrünes Käppi tiefer ins Gesicht. Eigentlich kannten wir niemanden, der im Bahnhof arbeitete. Mein Glück sozusagen. Aber obwohl es noch sehr früh am Morgen war, wusste man nie, wer noch alles hier sein könnte. Und gesehen werden wollte ich auf keinen Fall. Schließlich sollten sie nicht gleich wissen, wo sie mich suchen müssten. Hoffentlich würden sie nicht einmal anfangen mich zu suchen. Aber Verstehen, das hatte noch nie zu einer seiner Eigenschaften gehört… Also erwartete ich dergleichen auch jetzt nicht. Es war um diese Uhrzeit nur ein Schalter am Bahnhof besetzt, und eigentlich stand dort kein Mensch an. Es wäre also ein leichtes gewesen ein Ticket dort zu lösen. Dennoch wandte ich mich vom Schalter ab, und trat vor einen der großen roten Automaten. Noch nie hatte ich mich mit solch einem Ding befasst, aber es gibt ja immer ein erstes Mal! Mein Blick schweifte zunächst auf die Anzeigetafel. Der nächste Zug ging nur in den Nachbarort – so hatte ich mir meine Reise nicht vorgestellt. Als ich aber meine Augen weiter über die aufgelisteten Abfahrten gleiten ließ, wusste ich, wohin ich fahren würde... Mein Blick heftete sich auf das Display des Automaten. Während ich darauf herum drückte, kaute ich auf meiner Unterkippe herum. Eine dumme Angewohnheit. Aber ich hatte das Gefühl, das mir das immer beim Nachdenken half. Im Endeffekt muss ich sagen, dass diese Automaten einfach zu bedienen sind, als ich gedacht hatte. Ein paar Minuten Herumdrücken, und schon stand meine gewünschte Reiseverbindung auf dem Bildschirm. Ich kramte meine Geldbörse heraus, welche gefüllt war mit dem spärlichen Inhalt meiner Spardose. Es handelte sich nicht um viel, das stand fest, auch wenn ich den Inhalt in der Hektik nicht gezählt hatte. Meine Schätzungen beliefen sich auf um die 150 Euro. Wobei jetzt schon 40 Euro für mein Zugticket drauf gingen… Der Automat druckte mir den Fahrschein und spuckte ihn schließlich in einen Schacht aus. Schnell nahm ich das Wechselgeld und die Karte und verstaute alles in meinem Rucksack. Mein Blick wanderte erneut auf die Anzeigetafel. Noch eine viertel Stunde, bis mein Zug losfahren würde. Ich blickte mich in der Eingangshalle des Bahnhofs um. Es war wirklich noch nicht sonderlich viel los, trotzdem hatte ich immer das Gefühl beobachtet zu werden. Na hoffentlich entwickelte ich jetzt nicht auch noch eine Zwangsneurose. Mit den Händen in den Hosentaschen durchquerte ich die Halle. Mein Gefühl hatte sich wohl getäuscht, denn die Leute hier schienen nur mit ihren eigenen Dingen befasst zu sein. Eine Frau las in einem Buch, und blickte nur ab und an auf die Anzeigetafel. Ein junger Mann, um die 20 Jahre alt, ließ sich gerade ein Ticket aus dem Automaten, an dem eben noch ich gestanden hatte. Und ein alter Typ lag auf einer der Bänke und schnarchte leise vor sich hin. Auf einmal kam mir hier drin alles viel zu stickig vor. Ich musste einfach raus… Also ging ich durch die Unterführung, die mich zu meinem Gleis – Gleis 4 – bringen sollte. Wieder oben angekommen, saugte ich zunächst die kühle und frische Morgenluft in meine Lungen ein. Fühlte sich so Freiheit an? Langsam begann ein Hochgefühl in mir aufzusteigen. Im Moment machte es sich nur als Kribbeln im Bauch bemerkbar. Aber schon jetzt wusste ich, dass es sich noch besser anfühlen würde, wenn ich im Zug saß. Seinen Höhepunkt erwartete ich dann in der anderen Stadt, wenn ich diese endlich erreicht hatte! Hier oben war noch niemand außer einer älteren Frau mit einem Stock, die auf einer der Bänke aus Metal saß. Ich ging in die entgegen gesetzte Richtung, lehnte mich an einen der Automaten, der hier herumstand und wartete. Wenigstens hielt mich mein Kapuzenpulli schön warm. Diesmal war der Herbst ziemlich früh gekommen, aber vielleicht schafften es ja noch die einen oder anderen Sonnenstrahlen zu uns herunter. Mit quietschenden Bremsen hielt der Zug eine Viertelstunde später neben mir an. Der Schaffner stieg aus und nahm sich kurz darauf der älteren Dame an, die es nicht schaffte alleine den Zug zu betreten. Für mich dagegen waren die zwei kleinen Stufen kein Problem. Im Gegenteil: Als ich den Zug betrat, fühlte ich mich wirklich noch ein Stückchen besser. Ich wusste gar nicht mehr wirklich, wie sich das eigentlich anfühlte! In einem noch recht leeren Abteil suchte ich mir ein gemütliches Plätzchen und lümmelte mich in den Stuhl. Mein Kopf ruhte an der kühlen Scheibe. Drinnen lief die Heizung auf Hochtouren. Über kurz oder lang würde es mir sicherlich ziemlich warm in dem Pulli werden. Aber ich war mir noch nicht sicher, ob ich ihn ausziehe würde… Wahrscheinlich nicht… Dann endlich nahm der Zug Fahrt auf. Langsam rollte er aus dem Bahnhof hinaus in Richtung Köln. Auch jetzt zwang ich mich aus dem Fenster nach vorne zu blicken, und mich nicht noch einmal umzusehen… Ich musste mich jetzt auf meine Zukunft konzentrieren, auf das, was vor mir lag. Da war meine Vergangenheit mir nur im Weg, und es war das Beste, wenn ich sie so schnell wie nur möglich verdrängen würde. Vergessen würde wohl nie möglich sein, aber es half ja wenigstens, wenn man einfach nicht so oft daran dachte… New life has just begun ----------------------- Ich musste wohl eingeschlafen sein, denn ich könnte mich an kaum ein Detail der bisherigen Zugfahrt erinnern. Nachdem immer wieder die übliche Mischung aus grau und grün an meinen Augen vorbeigezogen war, hatte ich diese anscheinend geschlossen und war eingenickt. Jetzt spürte ich auf einmal kurz hinter einander einen festen Druck an meinem Oberarm. Es tat ziemlich weh. Doch ich beherrschte mich - wie ich es immer tat - und schrie nicht los. Anstatt dessen riss ich die Augen auf, drückte mich gleich darauf soweit ich nur konnte in die Ecke und machte mich klein. Im ersten Moment wusste ich gar nicht mehr, wo ich eigentlich war. Hatte ich mich nur in einem Traum befunden? Lag ich etwa noch in meinem Bett und wurde gerade, wie immer, unsanft aus dem Schlaf gerissen? Nur ganz langsam kam mein Geist dorthin, wo sich mein Körper schon die ganze Zeit über befand, nämlich in dem Zug, in welchen ich gestiegen war. Und ich wurde nicht von ihm geweckt, sondern von einem Schaffner, zu welchem ich nun aufblickte. Der Mann – Mitte 40 würde ich sagen – schaute mich nicht wütend an, sondern eher besorgt, als er meinte: „Entschuldigen Sie, ich wollte nur ihre Fahrkarte sehen, wir hatten einen Personalwechsel…“ Zunächst blinzelte ich ihn noch ein wenig verwundert an, ehe ich merkte, wie mir langsam die Röte ins Gesicht stieg. Ich musste den armen Mann wirklich mit meiner seltsamen Reaktion ziemlich erschreckt haben, so wie dieser mich nun anblickte. „Ach so… meine Fahrkarte… ja klar… Hab geschlafen…“, stammelte ich, und kramte dann schnell aus der vorderen Tasche meines Rucksacks die Karte heraus, welche ich dem Schaffner dann reichte. Dieser stempelte den Fahrschein ab, warf mir dann noch einen kurzen Blick zu, während diesem er anscheinend überlegte, ob er mich fragen sollte, ob alles in Ordnung sei. Dann entschied er sich aber wohl doch anders, und setzte seine Kontrollgang mit den Worten: „Personalwechsel,… ihre Fahrkarten bitte!“ fort. Ich atmete zweimal tief durch und lehnte mich dann langsam wieder in meinem Sitz zurück. Gott sei dank war der Zug noch recht leer, und keiner sonst hatte meine komische Reaktion bemerkt. Hatte ich denn wirklich so tief geschlafen? Ich sollte mich besser etwas wach halten, nicht dass mir noch so etwas passieren konnte! Ich rieb mir meinen rechten Oberarm. Die Stellen, an denen mich der Mann angestubst hatte, taten immer noch etwas weh, aber dafür konnte er ja nichts. Der Schaffner wusste ja nichts von den blauen Flecken, die sich unter dem Ärmel versteckten, und für die ein Anderer die Schuld trug… Wieder lehnte ich meinen Kopf gegen die kühle Fensterscheibe und blickte nach draußen. Immer noch sauste an mir eine grau-grüne Masse vorbei, und dennoch hielt ich jetzt meine Augen mit Gewalt offen. Schlafen konnte ich mir einfach hier drin nicht mehr leisten… Anscheinend hatte ich nicht nur sehr tief, sondern auch recht lange geschlafen, denn schon eine halbe Stunde später gab der Schaffner durch den Lautsprecher bekannt, dass wir nun den Kölner Hautbahnhof in wenigen Minuten erreichen würden. Ich schaute noch einmal nach draußen. Das Wetter meinte es offenbar gut mit mir, denn hier schien etwas die Sonne und es gab keinen ekelhaften Nieselregen. Nachdem ich meinen Rucksack wieder geschultert hatte, ging ich zu einem der Ausgänge des Zuges. Ausgerechnet dort stand auch der Schaffner, bereit zum Aussteigen. Ich versuchte so wenig Blickkontakt wie möglich zu halten, und starrte deshalb lieber auf den grauen, schon etwas schmutzigen Teppich zu meinen Füßen. Gleichwohl spürte ich den Blick des Mannes auf mir haften. Wenn er mir einen Gefallen tun wollte, sollte er jetzt nicht sein Gewissen für sich entdecken, und mich ausfragen. Am besten war es für uns beide, wenn er sich schon heute Abend nicht mehr an dieses seltsame Mädchen aus dem Zug nach Köln erinnern würde. Meine Gebete würden allen Anscheins nach ausnahmsweise erhört, und der Schaffner blieb genauso stumm wie ich. Ich drückte auf den grün leuchtenden Knopf und die Türe vor mir öffnet sich langsam. Auch war ich die Erste, die ausstieg. Und bevor es sich der Mann noch einmal anderes überlegen konnte, war ich auch schon beim nächsten Abgang und eilte die Stufen hinunter. Unten angekommen blieb ich erst einmal stehen und blickte mich um. Schilder wiesen Reisenden den Weg. Nach rechts ging es zu den weiteren Gleisen. Wenn man links gehen würde,kam man letztendlich in der Bahnhofshalle an. Natürlich gab es für mich nur einen Weg. Doch ich zögerte das erste Mal seit heute Morgen. Eigentlich wusste ich gar nicht, wohin ich gehen sollte… Und irgendwie begann ich mich etwas verloren zu fühlen. War es ein Fehler gewesen, einfach ohne einen festen Plan hierher zu fahren? Gab es denn eine Alternative? Nein! Die gab es nicht, und würde es auch nicht geben… Das war eines der wenigen Dinge, die ich im Moment ganz sicher wusste. Egal, was ich hier aus meinem Leben machen würde, es war alles besser, als dort noch einen einzigen weiteren Tag zu bleiben! Mein Entschluss stand fest, und das wiederum beflügelte mich erneut. Wieder kam dieses Kribbeln in meinem Bauch hoch. ‚Was soll’s!’, dachte ich bei mir, ‚Dann lebst du eben auf der Straße… Das schaffen andere auch… Und besser als dort wo du herkommst ist es allemal!’ Mein Blick flog nach links und im nächsten Moment ging ich raschen Schrittes den unterirdischen Gang entlang, der mich zur Bahnhofshalle brachte. Obwohl diese wirklich groß war, im Vergleich zu der kleinen in der ich noch vor ein paar Stunden gestanden hatte, ließ ich mich nicht durch die Lichter anziehen wie eine Motte. Mein Ziel war der Ausgang. Endlich frische Luft atmen…! Endlich Freiheit spüren…! Ich trat nach draußen und blinzelte etwas aufgrund des Lichtes, welches die Sonne auf den Platz vor mir warf. Man merkte, dass die Zeit schon fortgeschrittener war, denn nun tummelten sich schon einige Leute mehr hier draußen. Viele trugen Anzüge und eine Aktentasche mit sich herum, und sahen schrecklich wichtig damit aus – sie kamen sich allen Anscheins nach auch genau so vor… Geschäftig eilten sie die Stufen hinauf, oder hinunter und in den Bahnhof hinein. Ich dagegen schlenderte langsam über den Platz vor dem Bahnhof. Es dauerte nur wenige Minuten und ich kam mir auch schon als eine Art Außenseiterin vor. Doch damit konnte ich wirklich gut leben, war ich das doch schon immer gewesen! In der Schule hatte mein Kleidungsstil nie wirklich zu dem der anderen, oder zu dem aus irgendwelchen Modezeitschriften gepasst. Ich trug am liebsten Jeans – je abgewetzter desto besser – und ein Tanktop oder ein T-Shirt. Eines meiner Lieblingskleidungsstücke war natürlich der graue Kapuzenpulli mit der weißen Aufschrift und der Bauchtasche. Das war wohl auch der Grund, warum ich diesen mitgenommen hatte, und fast alles andere zurück gelassen hatte… Meine Füße hatten noch nie in Pumps oder Sandaletten oder dergleichen gesteckt. Turnschuhe taten es auch, und am besten waren natürlich meine schwarzen Chucks, die ich jetzt schon seit einem Jahr mein Eigen nannte! Meine ziemlich kurzen, verwuschelten, dunkelbraunen Haare, welche ich ab und an rot gefärbt hatte, taten ihr übriges, damit ich von den Mädchen an meiner Schule schief von der Seite angesehen worden war. Tja, einen Jungen interessieren mit 16 Jahren meistens nicht mehr die Mädchen, mit denen man abhängen kann, sondern eher diejenigen, welche aussehen wie kleine Barbiepüppchen… Irgendwie ironisch, das Jungs irgendwann doch anfangen, mit Puppen zu spielen… Ich beschloss mir zuerst einmal etwas zu essen zu kaufen. Gerade eben hatte sich mein Magen nämlich lautstark zu Wort gemeldet. Ich könnte es ihm nicht vergönnen, schließlich war das Frühstück ausgefallen, und langsam wurde es Zeit fürs Mittagessen. Ich kaufte mir an einer Bude einen Hotdog und ließ mich dann auf die Treppenstufen nieder, den wirklich beeindruckenden Dom in meinem Rücken. Mein Rucksack ruhte fest zwischen meinen Beinen. Ich würde sicherlich nicht so dumm sein, und mir diesen schon an meinem ersten Tag hier klauen lassen. Als ich so an meinem Hotdog knabberte, bemerkte ich zunächst gar nicht, wie sich ein Schatten über mich legte. Ich maß dieser Tatsache auch noch keine große Bedeutung zu, als ich bemerkte, dass es um mich schattiger geworden war… Erst als eine tiefere Stimme in rauem Ton zu mir meinte: „Hey… was machst du denn da?“, blickte ich langsam auf. Vor mir stand ein Typ und blickte direkt auf mich hinunter. Schwarze Stiefel, zerrissene Hose, schwarzes T-Shirt und ehemals blonde, jetzt grün gefärbte Haare, welche auf einer Seite kaum mehr als 3 mm lang waren, auf der anderen dafür umso länger… Ich musterte den Kerl kurz. Ich schätzte ihn so auf 27 Jahre. Nicht wirklich alt, aber auch kein Teenager mehr. Auch wenn ich ganz genau wusste, wann es Zeit war den Schwanz einzuziehen und zu verschwinden, erwiderte ich seinen Blick und meinte mit starker Stimme und einer Spur Stursinn: „Na, ich sitze hier…“ Dann wandte ich mich wieder meinem halben Hotdog zu, und tat so, als würde ich den Fremden keines Blickes mehr würdigen. Dennoch bemerkte ich aus den Augenwinkeln, wie ein Grinsen über seine Lippen huschte. Im Anschluss daran trat der Typ mir aus der Sonne und setzte sich neben mich auf die Stufen. Immer noch konzentrierte ich mich darauf, nicht zu ihm zu sehen, auch wenn mein Herz zu rasen anfing. Das Schlimme war, dass ich nicht wusste, was dieser Kerl vorhatte… Und eines hatte ich gelernt, dass man niemandem, und damit meine ich auch wirklich niemandem, vertrauen konnte, nicht einmal denen, die sich Eltern nannten… Doch was mich echt verblüffte war, dass dieser Kerl neben mir einfach gar nichts machte. Er saß nur so da, neben mir, blickte ab und zu irgendwelchen Leuten hinterher, in den Himmel oder aus den Augenwinkeln zu mir. Wieder lenkte ich meine Aufmerksamkeit auf mein Mittagessen. Nach einer Weile hatte ich mein Essen beendet, blieb jedoch weiterhin sitzen und blickte nun auf den Platz zu meinen Füßen, welcher sich immer mehr mit Menschen zu füllen schien. Auf einmal hörte ich neben mir ein Klicken, und ohne es zu wollen, fuhr ich zusammen… Ich war eindeutig viel zu schreckhaft, und verfluchte mich dafür… Verstohlen blickte ich zu dem Typen neben mir, um herauszufinden, ob dieser etwas von meiner Reaktion mitbekommen hatte, doch als Antwort blies er nur den Rauch der Zigarette aus, welche er sich anscheinend mit einem Feuerzeug angezündet hatte. Dann hielt er mir die halb volle Schachtel mit einer heraus geklopften Zigarette unter die Nase. Ich kniff etwas meine Augen zusammen und betrachtete die Zigaretten. Dann nahm ich aber doch die mir angebotene Kippe an. Heimlich hatte ich auch schon öfter einmal eine geraucht. Das beruhigte einfach ungemein. Und war genau das Richtige nach einem Tag in der Hölle, wie er bei mir leider nur zu oft vorkam. Wieder dieses Klicken, als er sein Feuerzeug betätigte und meine Zigarette anzündete. Diesmal erschrak ich natürlich nicht, wusste ich doch nun, woher das Geräusch stammte. „Ich heiße Marcus… Und wer bist du?“, wollte der Typ dann von mir wissen. Noch einmal beäugte ich ihn skeptisch. Doch was sollte der schon mit meinem Vornamen anfangen? Also erwiderte ich leise: „Ich heiße Mia…“ „Bist wohl neu hier, was Mia? Gerade erst angekommen?“, fragte Marcus dann weiter und nickte in Richtung der Bahnhofshalle. Dieser Typ war eindeutig viel zu neugierig und stellte verdammt noch mal zu viele Fragen. „Kann sein…“, erwiderte ich deshalb nur mit einem Schulterzucken und nahm den zweiten Zug von der Zigarette. Wie wunderbar war es doch, wenn sich diese beruhigende Wirkung in meinem Körper ausbreitete. Langsam blies ich den Rauch zwischen meinen Lippen hervor. „Nicht noch ein bisschen zu jung zum Rauchen?“, wieder Marcus... Ich nahm demonstrativ noch einen Zug und blies den Rauch in seine Richtung, als ich mich zu ihm umwandte. „Alt genug, um das selbst zu entscheiden…“, konterte ich nun mit kühlem Blick in seine Richtung. Noch eine Frage und ich würde aufstehen, und diesen Kerl hier alleine sitzen lassen. Was war er denn? Einer vom Jugendamt oder was?! Allmählich schien ein gewisses Misstrauen wieder in mir aufzusteigen. „Dann weiß ich ja jetzt alles, was ich wissen muss…“, erwiderte Marcus aber nur knapp. Anscheinend hatte er meinen Blick richtig interpretiert, „Willkommen in Köln, Kleine!“ Nachdem er diese Worte gesagt hatte, nahm er einen letzten Zug von seiner Kippe, blies den Rauch nach vorne weg aus und ließ den Glimmstängel auf die Treppe fallen. Dann stand er auf, und zertrat die letzte Glut der Zigarette. „Man sieht sich bestimmt mal wieder, Mia…“, meinte Marcus mit einem leichten Grinsen auf den Lippen, dann ging er die Stufen hinauf, und verschwand hinter dem Dom. Ich wandte mich wieder dem Platz zu meinen Füßen zu. ‚Komischer Kerl’, dachte ich bei mir, tat es ihm dann aber nach ein bis zwei Minuten gleich und stand auf, trat meine Zigarette aus, und begab mich dann, nachdem ich meinen Rucksack um eine meiner Schulter gehängt hatte, nach oben zum Dom. Ich hatte mir vorgenommen erst einmal ein wenig die Stadt zu erkunden… Feeling Free for the First Time ------------------------------- Nach ein paar Stunden, in welchen ich etwas planlos durch die riesige Fußgängerzone der Innenstadt geschlendert war, setze ich mich im Schneidersitz auf die Wiese innerhalb eines kleinen Parks. Das Wetter hatte sich wirklich noch mal ziemlich zum Guten gewendet, und nun schien die Sonne mit all ihrer noch verbliebenen Kraft auf mich hinunter. Ich legte den Kopf in den Nacken und ließ mein Gesicht von den Sonnenstrahlen wärmen. Es tat wirklich gut, einfach nur hier zu sitzen, und den Moment zu genießen. Ein Moment der Freiheit, der nicht getrübt würde von irgendwelchen Ängsten. Langsam entwich die Luft aus meinen Lungen, als ich tief aus – und wieder einatmete. Dann schraubte ich den Deckel meiner Cola-Flasche auf, welche ich mir eben gekauft hatte, und nahm einen kräftigen Schluck daraus. Die gekühlte Flüssigkeit rann meine Speiseröhre hinab. Gab es ein besseres Gefühl? Leider war die Cola-Flasche alles gewesen, was ich mir erlaubt hatte zu kaufen. Mehr war einfach nicht drin bei meinem spärlichen Budget, schließlich wollte ich ja, dass das wenige Geld so lange wie möglich reichen sollte. Ein kleiner Notgroschen in der Tasche war immer gut, da war ich mir sicher. Im Moment kannte ich hier ja auch noch keine Menschenseele außer diesem seltsamen Marcus vom Dom… Ich ließ meinen Blick etwas schweifen. Etwas abseits saß eine Gruppe Jugendlicher, die mir allerdings kein großes Beachten zuzumessen schienen. Das war jedoch auch kein ungewöhnlicher Zustand für mich und störte mich nicht weiter… Schließlich sank mein Oberkörper nach hinten und ich streckte sowohl Beine als auch Arme von meinem Körper weg. Die Wiese lag etwas feucht und kühl unter mir, und die Sonne wärmte die andere Seite meines Körpers. Hoffentlich würde dieser Moment nicht zu schnell vergehen… Ich genoss ihn jedenfalls in vollen Zügen! Irgendwie musste mich anscheinend die Müdigkeit doch noch einmal übermannt haben, denn ich schreckte auf, als ich etwas ungewohnt Kühles an meiner Wange spürte. Zuerst registrierte ich das ungewohnte Gefühl gar nicht, doch dann reagierte mein Körper schneller, als mein Hirn. Ich schnellte nach oben, natürlich alarmiert und starrte rechts neben mich. Doch was ich dann sah, überraschte mich doch. Neben mir kniete Marcus, ein Grinsen auf den Lippen, und eine Bierflasche in der Hand. „Hey Schlafmütze, auch schon wach?“, fragte dieser dann und musterte mich etwas. Ich blinzelte zunächst etwas verwundert, doch allmählich schaffte ich es, mich wieder zu fangen, und eine Erwiderung zu geben. „Ja… jetzt schon…“, meinte ich mit einem Unterton, der meine geringe Begeisterung über sein Verhalten deutlich zum Ausdruck brachte. Eine Augenbraue des jungen Mannes wanderte nach oben. „Super, dann kannst du ja jetzt rüber kommen zu den Anderen, wenn du Lust hast“, kam es von dem ehemals Blonden. Ich musterte Marcus noch einmal, und mein Blick wanderte dann an ihm vorbei zu den ‚Anderen’. Die Einzigen, die außer mir und Marcus noch im Park waren, waren die Jugendlichen, die ich schon bei meiner Ankunft bemerkt hatte. Ein paar von ihnen blickten nun in unsere Richtung, allerdings mit keinem großen Interesse. Erst weckte mich dieser Idiot, und dann dachte er auch noch, dass ich nichts Besseres zu tun hätte, als mit ihm und seinen Freunden abzuhängen? Diesem Irrglauben wollte ich ihm keinesfalls aussetzen, also meinte ich mit gleichgültiger Stimme: „Ach weißt du, eigentlich hatte ich ja noch was anderes vor, jetzt da ich schon mal wach bin…“ Wieder erntete ich einen skeptischen Blick des Anderen, als dieser dann sagte: „Na dann,… Kann mir zwar nicht vorstellen, was es besseres gäbe, als ein paar nette Leute kennen zu lernen in einer Stadt, in der ich erst seit ein paar Stunden bin, aber das musst du ja wissen…“ Irgendwie war ich erstaunt, das musste ich zugeben. Er akzeptierte doch tatsächlich meine Entscheidung, obwohl er offen zugab, dass er sie eigentlich nicht verstehen konnte. Und das wieder rum verstand ich nicht. Ich kannte es nicht anderes, als dass man mir so lange eine Meinung vorlegte, bis ich sie annahm, sei es zu meinem Besten, oder aber weil ‚er’ natürlich der Einzige war, der Recht haben dürfte. Dachte ich anders, war es noch das Harmloseste angeschrieen zu werden… Diese Erkenntnis war dann wohl auch der Grund, warum ich etwas länger brauchte, bis ich ihm schließlich antwortete. „Na ja, so eilig habe ich es dann auch nicht… Weißt du was, ich schau einfach mal mit dir bei den Anderen vorbei…“, gab ich dann zurück. Ich genoss es ihm nicht vollkommen Recht zu geben, und dies auch nicht zu müssen. Anscheinend reichte auch Marcus die Tatsache, dass ich überhaupt eingelenkt hatte, und er nickte nur, leicht grinsend. Dann stand er auf, und ich tat es ihm gleich. Meinen Rucksack schulterte ich nur schnell über meine linke Schulter und nahm die Cola-Flasche in meine rechte Hand. Anschließend folgte ich Marcus zu seinen Freunden, die nun doch alle zu mir aufblickten, als wir bei ihnen angekommen waren. Marcus machte keinerlei Anstalten mich den Anderen vorzustellen und so war es an mir zu sagen: „Hey… ich bin Mia… Freut mich…“ Irgendwie kam ich mir dann doch etwas verloren vor, schließlich war ich es absolut nicht gewöhnt im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Doch das Gefühl legte sich schnell, als das Mädchen, neben dem ich nun stand, seine Hand hob, und an der meinen zog. Anzunehmen, dass es ein Signal war, um mich hinzusetzten. War ich damit schon in der Gruppe aufgenommen? Marcus hatte sich schon zuvor neben mich gesetzt. Jetzt ergriff das Mädchen, das mich neben sich gezogen hatte, das Wort. Sie sah auf ihre ganz eigene Art und Weise ziemlich hübsch aus. Rot gefärbte, schulterlange Dreadlocks, eine sehr helle Haut, braune Augen und schmale Lippen mit einem Piercing darin. Sie trug ein schwarzes Tanktop, einen ausgefransten Jeansrock und darunter eine löchrige Strumpfhose. Ihre Füße steckten in schwarzen Chucks. „Freut mich auch Mia, ich heiße Cora, das neben mir ist Emmi“, begann sie mir alle Leute nach einander vorzustellen. Emmi hatte schwarze schulterlange Haare, stark dunkel geschminkte Augen und die Augenfarbe blau, welche mich kühl und desinteressiert musterten. Ihre Kleidung bestand aus einem grauen löchrigen Pulli und ebenfalls mit Löchern versehenen Jeans. „…Dann haben wir da noch Just… „- ein hagerer schwarzhaariger Junge, mit leichten Augenringen und blassem Gesicht, der eine Jeans und einen Kapuzenpulli trug- „… Mephisto…“- ein Schäferhund, der allerdings gerade zu schlafen schien – „… und Marcus, aber den kennst du ja bereits!“, damit war ihre Vorstellungsrunde beendet. Ich nickte nur bei den Namen und versuchte jedem ein kurzes Lächeln zu schenken, doch vor allem Emmi und Just schienen nicht sonderlich darauf zu reagieren. Emmi hatte ihren kühlen durchdringenden Blick von mir abgewandt und zupfte gerade ihren Pulli zurecht. Und Just starrte eigentlich die ganze Zeit schon auf den Boden und kraulte den Schäferhund hinterm Ohr. Mir fiel es etwas schwer das genaue Alter der Leute um mich herum zu schätzen. Cora schien im selben Alter wie Marcus zu sein, bei ihm tippte ich aber nicht mehr auf die zu Anfang geschätzten 27 Jahre, sondern eher auf 20 – 22 Jahre. Ich hatte es immer als schwer empfunden als 17 – Jährige das richtige Alter von Älteren zu schätzen… Bei Just war es einfach: Er schien in meinem Alter zu sein. Und bei Emmi kam es mir fast vor, als wäre sie jünger als ich. Aber auch da konnte ich mich natürlich irren… „Marcus hat erwähnt, dass du neu hier bist!“, bemerkte Cora nach einer Weile des Schweigens. Nicht schon wieder! Ging die Fragerei denn jetzt gleich von vorne los?! Ich machte mich schon darauf gefasst, wieder abzublocken, doch Cora für anstatt dessen in unverfänglichem Ton fort: „Dann kennst du ja jetzt schon mal ein paar Leute… Is nie schlecht in so ner großen Stadt, das kannste mir glauben…“ Ihr Blick schweifte zu dem Kasten Bier, der in der Mitte von dem kleinen Grüppchen stand, und den ich bis jetzt noch nicht bemerkt hatte. „Magste auch eins?“, fügte sie dann hinzu, und wandte den Blick wieder in meine Richtung. Einen Moment zögerte ich noch, dann nickte ich aber. Genau wie bei Zigaretten hatte ich auch schon beim Alkohol festgestellt, dass dieser gut dabei half, etwas Unangenehmes zu verdrängen. Und da ich die Königin des Verdrängens werden wollte, war es nie schlecht, etwas nachzuhelfen… Schon reichte Marcus mir eine Flasche, welche er mit seinem Feuerzeug geöffnet hatte. Dankend nahm ich diese entgegen. Auch Cora nahm ihre halb leere Flasche zur Hand. „Leute, stoßen wir an….“, meinte die Rothaarige dann, wurde jedoch von Emmi unterbrochen, die in einem Ton, der zu ihren kalten Augen passte, meinte: „Und auf was bitte?“ Doch Cora ließ sich davon nicht beirren, sie schien Emmi’s Art – die mir zugegebenermaßen noch etwas Angst machte – gewohnt zu sein, und erwiderte deshalb: „Lassen wir Mia entscheiden, auf was wir anstoßen!“ Etwas überrumpelt blickte ich in die Runde. Alle Köpfe hatten sich gehoben, sogar dieser Just blickte nun in meine Richtung. Das erste Mal in meinem Leben kam ich mir nicht als Außenseiter vor. Ich schien diese mir noch Fremden anscheinend mein ganzes Leben lang gesucht zu haben, diese Leute, die mir ähnlich zu sein schienen, und jetzt hatte ich sie wohl endlich gefunden… Und dann sagte ich, was mir als aller Erstes in den Sinn kam: „Na dann… auf die Freiheit!“ Zunächst erntete ich für meine Aussage irritierte Blicke, doch dann huschte ein Lächeln über Cora’s schmale Lippen, und sie wiederholte: „Auf die Freiheit…“ Mit einem lauten Krachen stießen die fünf Bierflaschen aneinander, und wir tranken gemeinsam auf die Freiheit, egal, was sie für den Einzelnen bedeutete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)