Schlaflos von Cookie-Hunter (Der Albtraum endet nie...) ================================================================================ Kapitel 14: Laufen lernen ------------------------- Das Konzert war bereits seit etwa einer Stunde zu Ende, doch der Laden war noch immer gut gefüllt. Die Gäste unterhielten sich angeregt mit der Band und feierten einfach den Abend. All dass bekam Kyo allerdings nur am Rande mit. Seit dem er 'The Final' gehört hatte, war ihm, als würde die Bühne versuchen ihn zu hypnotisieren und dadurch auf sie zu locken. Selbst als Nobu sich an ihn hängte und ungestraft herzte, schwirrte nichts anderes als diese Bühne durch seinen Kopf. Das Mikrofon schrie geradezu nach ihm. Wenn das Scheinwerferlicht doch wirklich eine reinigende Wirkung hätte... Nicht eine Sekunde würde er mehr zögern, dort hoch springen und sich alles von der Seele singen, schreien. „Was ist, Kyo-kun?“, versuchte Nobu ihn in ein Gespräch zu verwickeln, denn dessen, beinahe schon lethargisches, Verhalten war einfach zu seltsam. Sogar für einen wie Kyo. „Hey, was hältst du davon, wenn wir mal sowas wie einen Karaokeabend veranstalten? Wäre das nicht toll?“ Er stupste dem Schwarzhaarigen in die Seite, wollte eine Antwort von ihm hören. „Sag schon, was hältst du von meiner Idee?“ Kyo jedoch löste sich von dem fröhlichen Anhängsel und trat geradewegs auf das Podest zu. Noch immer hypnotisiert von dem Mikrofon und der Melodie in seinem Kopf. Angetrieben von seinem Herzen, welches die Worte schon bereit gelegt hatte. Die, Kaoru und Toshiya hielten in ihrem Tun inne und starrten ungläubig, beinahe fassungslos dem Freund nach, wie er sich auf die Bühne stellte. Auf den Platz, wo vor kurzem noch Sachiko gestanden hatte. Nach und nach wurde es still in dem Laden und alle Augen richteten sich auf Kyo. Seine allerdings konzentrierten sich nur auf das Mikrofon. In seinem Inneren erklang 'The Final', auf seiner Zunge tummelten sich bereits die Worte, drängten nach draußen. In seiner Brust schwoll sein Herz an, schlug gegen die Ketten an, in denen es seit dem Vorfall gefangen war. Es wünschte sich zu singen. Wünschte sich endlich all den Schmerz seiner geschundenen Seele hinaus zu schreien. Es zwang seinen Besitzer regelrecht dazu es zu tun, in dem es immer heftiger schlug und immer schwerer wurde. Abseits der Bühne konnten seine drei besten Freunde noch immer nicht glauben, was sich dort für ein Bild bot. Seinen Blick nicht abwendend, gab Kaoru einem Techniker ein kleines Zeichen, woraufhin dieser den Scheinwerfer anmachte, der auf die Position der Sängerin eingestellt worden war. Kurz zuckte Kyo zusammen, kam es doch überraschend, schien es dann aber zu genießen, richtig darin aufzugehen. Toshiya kam währenddessen nicht umhin ein Foto mit seinem Handy zu machen, sonst glaubte Shinya ihnen die Geschichte nicht oder schmollte, weil er nichts gesehen hatte. „Kaoru?“ „Hai?“ Die fing an zu zittern, genauso wie der Jüngere dort oben. „Wir müssen ihn da runter holen. Er kann das noch nicht.“ Kurz, tonlos und auch ein wenig sarkastisch lachte Kaoru auf. „Wer hat mich denn letztens angebrüllt, dass Kyo gefälligst wieder auf die Bühne zu gehen hat? Dass er wieder singen soll?“ Natürlich war ihm nicht entgangen, wie Kyo mit sich haderte. Wenn sie Pech hatten, dann brach der Kleinere gleich zusammen. Oder aber Glück und er fand wieder zu sich selbst zurück. „Bitte. Bitte, lass mich ihn da runter holen. Er leidet.“ „Nur einen Moment noch.“ Nur so lange es noch dieses kleine bisschen Hoffnung gab, dass es sich zum Positiven wenden konnte. Sie durften nur nicht diesen einen Moment verpassen, in dem es schief ging. Als das Zittern des Sängers jedoch stärker wurde, er anfing zu schwanken und sich fest in seine Haare krallte, stürmte Die auf das Podest zu und erreichte den Jüngeren in dem Moment, als er ohnmächtig wurde. Sofort ging das Licht wieder aus und Bewegung kam in die Menge. Viele der anwesenden Gäste kannten die Musik von Dir en Grey. Nicht zuletzt, weil ihr Erfolg auf der ganzen Welt Ansporn und Vorbild für so viele neue Musiker gewesen war. So auch für die Band um die junge Sachiko, 'Sugar Nightmare'. Warum sonst hätten sie eines der Lieder von ihnen in ihr Programm aufnehmen sollen? Während Die, mit Hilfe von Keisuke, Kyo nach hinten in die Garderobe trug, gefolgt von seinen beiden Freunden, sowie der Band, fing es an zu blitzen. Sie hatten ja völlig vergessen, dass einige Reporter und Fotografen anwesend waren, um von dem Konzert zu berichten und so die Popularität der drei Jungs und Sachiko zu steigern. Wenn die schon Fotos schossen, konnte man davon ausgehen, dass es ihnen auch eine Erwähnung oder gar einen eigenständigen Artikel wert war. In der Garderobe wurde Kyo erst einmal auf das Sofa gelegt. Toshiya eilte gleich wieder nach vorne, um dafür zu sorgen, dass sich alles wieder beruhigte und der Rest der Veranstaltung nicht den Bach runter ging. Schließlich sollte diese wegen der Musik und der Band in den Köpfen der Menschen hängen bleiben. Derweil kam Kyo bereits wieder zu sich. „Alles in Ordnung?“, wurde er auch gleich von Dai gefragt, der sich am Kopfende des Möbels hin gehockt hatte. Ihm war eben das Herz ganz schön tief in die Hose gerutscht, als der Andere einfach zusammen gebrochen war. Dieser brauchte jetzt erst einen Moment, um sich wieder vollends zu fassen, bevor er die an ihn gerichtete Frage mit einem Nicken beantwortete. Kaoru kniete sich neben das Sofa, musterte Kyo besorgt. „Was war denn los?“ Mit zittriger Stimme fing dieser an zu erzählen: „Ich wollte singen. So gerne wieder singen.“ Seine Augen bekamen einen sehnsüchtigen Blick, während er sich ans Herz fasste. Ganz, als wolle er verhindern, dass es wegen des Fehlschlages aus der Brust sprang oder gar zerbrach. „Beinahe hätte ich es getan. Und als der Scheinwerfer anging... Für einen Moment habe ich mich wieder so lebendig gefühlt, wie schon seit Jahren nicht mehr. Und so leicht. Frei von allen Sorgen, von jedweder Last.“ Die Erinnerung an diesen Moment tat ihm schon fast weh. „Aber dann war mir so, als stünde sie in der Menge. Genau vor mir. Sie zeigte anklagend auf mich und schrie mir entgegen: Mörder! Da konnte ich nicht mehr.“ Ein Schluchzen unterdrückend, schlug er die Hände vors Gesicht. Mitfühlend legte Die ihm eine Hand auf den Oberschenkel, kämpfte selbst ein wenig mit den Tränen. Was Kyo da sagte, wie er es sagte, das klang schon fast so poetisch wie von dem alten Kyo. „Du warst noch nicht so weit. Schon gar nicht mit Publikum.“ „Können wir irgendetwas tun?“, erkundigte sich Sachiko und sah von Kyo zu Kaoru. Dieser schüttelte jedoch nur den Kopf. „Das einzige , was ihr im Moment tun könnt, ist da wieder raus zu gehen und dafür zu sorgen, dass ihr wieder zum Mittelpunkt des Abends werdet. Sonst wäre das alles hier doch umsonst gewesen.“ Die Vier nickten und verließen, ein wenig betrübt, den Raum. „Ich sollte auch wieder zur Theke. Nobu-kun, Haraide und Toshiya- Sie brauchen mit Sicherheit Hilfe.“ „Nein, du bleibst hier“, widersprach Die vehement und drückte Kyo, der halb aufgestanden war wieder aufs Sofa zurück. „Wenn du jetzt nach vorne gehst, ziehst du die ganze Aufmerksamkeit auf dich. Du bist doch nur ungern im Mittelpunkt. Nicht wahr?“ Daraufhin nickte Kyo. Nein, im Mittelpunkt stehen war gerade das Letzte, was er wollte. Jedoch wollte er auch nicht, dass seine neuen Arbeitskollegen dachte, dass er eine Sonderbehandlung benötigte. Schließlich war es ja seine eigene Dummheit gewesen, die ihn in diese Situation gebracht hatte. „Tut mir Leid, Die.“ „Mach dir keine Vorwürfe. Ich müsste zwar lügen, wenn ich sagen würde, dass ich mich nicht gefreut hätte, wenn du wirklich gesungen hättest, aber ich freue mich auch schon darüber, dass du es zumindest versucht hast.“ Er schenkte dem Jüngeren ein aufmunterndes Lächeln, welches schwach erwidert wurde. „So, du bleibst jetzt hier sitzen und erholst dich erst einmal. Alles weitere kannst du ruhig uns überlassen.“ Doch der Kleinere schüttelte energisch den Kopf. „Ich will hier nicht einfach nur rum sitzen. Ihr habt schon so viel für mich getan. Das kann ich jetzt schon nicht mehr gut machen.“ Kaoru setzte sich neben Kyo und legte ihm einen Arm um die Schulter und drückte diesen ein wenig an sich. „Freunde können niemals zu viel füreinander tun. Kein Grund also, sich wegen irgendetwas verrückt zu machen. Immerhin würdest du uns doch auch helfen, hab ich recht?“ Ein zustimmendes Nicken. „Dann ist ja alles in Ordnung.“ Er stand auf, um mit Die wieder in den vorderen Teil des Ladens zu gehen, als der ehemalige Sänger sie noch mal aufhielt: „Sag, Kaoru: Wie viele Glückskekse musstest du essen, um so einen Spruch zu finden?“ „Stell dir vor, Warumono“, grinste Kaoru, „dafür musste nicht ein einziger sein Leben lassen.“ Es war reichlich spät, als sie endlich ganz zu machen konnten. Die Besucher hatten einiges an Chaos hinterlassen. Welches erst beseitigt wurde, wenn sie ein wenig geschlafen hatten. Zumindest was die Feinarbeiten anging. Zerbrochene Gläser und herrenlose Getränkeflaschen wurden allerdings jetzt schon weggeräumt, damit es später nicht ganz so viel wurde. Man verabredete sich für 10 Uhr in der Frühe, dann hatten auch die Techniker, die die Nacht über bleiben und das Bühnenequipment abbauen würden, genügend Zeit, um ihr Pensum zu erreichen. Akio blieb den Rest der Nacht über bei Die und dessen Verlobten. Wäre ja auch irrsinnig gewesen, den armen Jungen jetzt zu wecken. In der Wohnung von Toshiya angekommen, ging Kyo auch gleich in sein Zimmer, wünschte dem Bassisten, der Richtung Bad verschwand, vorher noch eine gute Nacht und setzte sich an den provisorischen Schreibtisch. Dort knipste er die kleine Lampe an und widmete sich dem schwarzen Notizbuch, um seine wirren Gedanken nieder zu schreiben und zu ordnen. Wie früher. Aus einer Schublade des Rollcontainers, den er früher schon im Arbeitszimmer stehen hatte, holte er seinen alten mp3-Player hervor. Darauf waren viele ihrer alten Songs gespeichert. Darum hatte er Toshiya gebeten, auch wenn dessen Computer leichte Schwierigkeiten wegen der veralteten Technik hatte. Aber er hing nun mal irgendwie an dem Ding, weswegen er auch den Vorschlag vorerst abgewiesen hatte sich ein neueres Modell zuzulegen. Je ein Ende der Kopfhörer fand seinen Platz in einem Ohr, dann schaltete er den Player an und suchte ihr 'The Final' heraus. Beinahe genießend schloss er die Augen und lehnte den Kopf nach hinten. Ja, genau so musste sich das Lied anhören. So und nicht anders. Kyo öffnete wieder die Augen und rief sich den Moment auf der Bühne in Erinnerung. Für einen kleinen Augenblick waren die vergangenen 15 Jahre wie weggefegt. Ausradiert. Aber dann hatte er ihre Stimme gehört und kurz darauf ihr blutiges Gesicht. Das war es dann gewesen mit der Leichtigkeit und er hatte sich wieder wie damals gefühlt, als er sich in seiner Wohnung eingeschlossen und geschworen hatte, sich dort nie wieder hinaus zu wagen. Würde er denn jemals dazu in der Lage sein, sich vergeben zu können? Es tat ihm noch immer Leid, dass er so gehandelt hatte und dafür gebüßt hatte er ja. Doch in ihm drin nagte noch immer das schlechte Gewissen. Wie hatten es nur all diese Schwerverbrecher geschafft ihren Verstand zu behalten? Nein, besser er wusste es nicht. Er wollte keinen Einblick in den kranken Kopf eines skrupellosen Mörders. So ein grausames Monster war er dann doch nicht. Das Lied fand sein Ende, woraufhin Kyo das Gerät und anschließend die Lampe ausmachte und ersteres wieder in der Schublade verstaute. Danach entledigte er sich seines Shirts und seiner Hose, warf beides achtlos auf den Boden. Völlig müde kroch er unter die Decke und verdrängte das Bild von Ayaka, um einigermaßen ungestört einschlafen zu können. Was sich dann aber doch als schwieriger erwies, als gedacht. Denn in seinem Kopf hörte er immer wieder ihre Stimme widerhallen, die ihn dazu brachte sich unruhig von einer Seite zur anderen zu wälzen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)