Kurzgeschichten von FroZnShiva ================================================================================ Kapitel 2: Vom Mond Berührt --------------------------- "Weißt du wie weit es dieses Mal ist?", fragte mich seine bekannte Stimme, die ich nie zuvor gehört hatte. "So weit wie es immer ist." antwortete ich ihm. Meine Stimme klang mir seltsam fremd, doch fand ich nicht das geringste daran anders, als sonst. Leise ächzte der Schnee unter unseren Schritten. Das Gewicht unserer Körper, konzentriert auf unsere Füße machte unsere stabilen Winterstiefel so schwer, dass der frisch gefallene Schnee stöhnend nachgeben musste. Unsere Spuren blieben wohl noch eine kleine Weile hinter uns erhalten, doch das kümmerte uns nicht. Ich war auf den Weg in die Schule. Begleitet von meinem besten Freund. Ich kenne ihn nicht. Er kennt mich nicht. Doch wir liefen gemeinsam durch unsere Heimatstadt. Es war eindeutig unsere Heimatstadt, nicht erkennbar als solche, da sie ihr keineswegs ähnelte. Aber ich bin mir da ganz sicher, es ist unsere Heimatstadt. Wir gingen dieses Mal in eine andere Richtung als sonst, aber wieder den gleichen Weg wie immer. Wir sind ihn schon oft zusammen gegangen, doch jedes Mal sind wir allein unterwegs gewesen. Wir kannten unseren Weg, wir wussten wo es lang ging; wie immer direkt durch den großen Torbogen neben dem Rathaus, welchen wir nie zuvor gesehen hatten, auf den Marktplatz. Trotz des mürrischen Wetters und des vielen Schnees, der die glatten Pflastersteine, welche den Boden des Marktplatzes ausmachten, in eine rutschige Oberfläche verwandelte - ohne Chance, sich darauf aufrecht zu halten, machte. Es ist Markttag, wie jeden Sonntag in der Woche. In der Mitte des Platzes war der große verzierte Brunnen gefroren. Sie hatten ihn dieses Jahr nicht abgelassen, so sah es aus, als würde die Skulptur darauf schmelzen und mit dem Marktplatz eins werden. Die Stände für den Wochenmarkt nahmen nach und nach mehr Gestalt an. Wenn wir aus der Schule kommen würden, so könnten wir durch die kleinen Gassen schlendern, die sich zwischen den Ständen gebildet hatten, wie jedes Mal. "Irgendwie kommt es mir heute so weit vor." - "Das sagst du doch jeden Tag, wir sind nicht jeden Tag ein Stück länger unterwegs. Wenn es mir nicht auch so vorkommen würde, würde ich meinen du seist Paranoid." Heißer Sand glitt durch unsere Zehen und massierte beim Gehen unsere nackten Füße. Wir waren nun endlich am Strand - an dem Strand ohne Meer. "Autsch!" Etwas traf ihn heftig am Kopf und er brach vor mir zusammen. Er war schwer verwundet und würde es nicht überleben. So wie jeden Tag. Ich sah, wie sein grünes dickes Blut aus der kleinen Schnittwunde quoll, die das Geschoss an seinem Arm hinterlassen hatte. Ich wendete meinen Blick von ihm ab und wusste dass ich den Rest des Weges von nun an allein gehen musste. "Ich muss mir das mit dieser Religion nicht länger anhören. Was Sie da erzählen ist doch der reinste Unsinn!" Die Lehrerin sah mich schweigend an. Der Wasserhahn, welcher das kleine Waschbecken vorne in der Ecke des Klassenzimmers zierte, tropfte monoton vor sich hin und schien seine Aufmerksamkeit von jedem im Raum zu erhalten. Er stand im Rampenlicht. Ich stand nur in seinem Schatten, obwohl ich derjenige war, der es gewagt hatte, unserer strengen Lehrerin zu widersprechen. Dabei war ich ein klein wenig laut geworden, hatte meinen Kopf gesenkt. Jetzt saß ich da mit erhobenem Kopf und schaute erzürnt auf den Hinterkopf dieser Person die es gewagt hat von Dingen zu reden, die keinen Sinn ergaben und damit auch noch alle in ihren Bann zu ziehen. Sie blickte vermutlich auf ihre lang einstudierten Zeichnungen, die sie vor Kurzem erst, kunstvoll den ganzen Körper schwungvoll bewegend, als sei es das Kernstück ihres kompletten bedeutungsvollen Lebens, auf die Tafel projizierte. Diese waren wohl so bedeutend, dass es unmöglich war, sie zu deuten und wohl nur ihr der Sinn dahinter vorbehalten blieb. Es war immer noch still, bis auf den Ohren-malträtierenden Ton der aus dem Aufprall der Wassertropfen, welche von dem Hahn auf die dreckige Keramik geschossen wurden, resultierte. Ich blickte mich etwas um, die Lehrerin immer in Sichtweite behaltend. An den Gesichtern meiner Mitschüler, die ich nie zuvor gesehen hatte, konnte ich erkennen, dass viele versuchten, etwas aus ihren Zeichnungen zu lesen, die anderen taten so als ob - um dem peinlichen Schweigen eine tiefere Bedeutung zu verleihen. Wieder andere schauten auf ihre Tische und jagten mit ihren Augen die feinen Linien auf ihren Blättern entlang, die sie brav abgezeichnet hatten, deren Sinn sie doch niemals ergründen würden. Die Lehrerin zuckte ein wenig. Sie überlegte wie sie reagieren sollte. Sie wusste bereits, dass ich es gerne auf eine Diskussion heraus laufen lies, in welcher ich ihre Argumente zu Boden ringen würde und in der ihre letzten Aussagen schon an der Glaubhaftigkeit zerschmettert würden, bevor sie überhaupt ihre Lippen erreicht hatten. Stupides Lautwerden, um mich leise zu kriegen, handelte ihr selbst mehr Ärger ein, als zu Schweigen. Angriff ist die beste Verteidigung? Nicht für mich. Des Gegners Verteidigung ist mein bester Angriff. Also dachte sie nach wie sie dies umgehen konnte. Kein Schüler traute sich einen einzigen Ton in den Raum zu schicken, der das monotone Tropfen übertönte und die Stille zum Bersten bringen könnte. So saßen alle still da und taten genau das, womit sie aufgehört hatten. Ein paar Mutige unter ihnen wagten Blicke zu anderen Mitschülern oder auf die Unterlagen des Sitznachbarn; die Mutigsten unter ihnen schickten sogar kurze Blicke zur Lehrerin selbst, die noch immer mit dem Rücken zur Klasse stand und nun mit erhöhtem Blutdruck eine Drehung auf ihren Absätzen machte und es wohl für das Beste hielt meine Anmerkung zu ignorieren. "Wo war ich stehen geblieben? Ich habe gerade den roten Faden verloren…". Ich hatte mich bei ihrer Bewegung wieder ihr zugewandt und suchte nach einer Lücke in ihrer neuen Strategie und wurde sehr schnell fündig. Ihr Blick strich für einen kurzen Augenblick meinen und es war sofort klar, dass sie sich unsicher war ob sie es nun geschafft hatte mir auszuweichen oder ob sie damit gescheitert war. Sie fürchtete meine Reaktion. Ich unterbrach sie in ihrem Satz mit dem sie versuchte die Aufmerksamkeit der Klasse wieder auf sich und vor allem dem Unterrichtsstoff zu ziehen. "Der rote Faden ist ein Strick. Der Strick der vielen Menschen wegen einer Sache um den Hals gelegt wurde, die Sie hier, wie viele andere Menschen auch, zelebrieren und gutheißen." Ich war aufgestanden. Die Blicke der Mitschüler wanderten langsam zwischen mir und der Lehrerin hin und her. Sie war erneut sprachlos und scheinbar nicht einmal in der Lage ihren Mund zu schließen. Ich nahm meine Tasche, hängte sie mir um und spazierte vor der erstarrten Lehrerin aus dem Zimmer. 'Mit so einem Unsinn vergeude ich meine Zeit…', dachte ich mir und machte mich auf den Heimweg. Der verschneite Weihnachtsmarkt war menschenleer. Die Verkäufer an den Ständen riefen ihre auswendig gelernten Parolen und priesen ihre Waren an. Jedoch war kein einziger Besucher weit und breit zu sehen. An den Straßen, die zum Marktplatz und davon weg führten waren Straßensperren aufgebaut. Bewaffnete Soldaten standen um jeden Stand, als würden sie den jeweiligen bewachen. Panzer fuhren durch die großen Gassen zwischen den Ständen. Ich blickte auf ihre schweren Ketten, die auf den Pflastersteinen schepperten und Einzelne davon zerquetschten und lauschte den lauten Motoren, die diesen unheimlichen Gefährten ihre Bewegungen verliehen. Riesige Lastwagen mit noch viel größeren Raketen versehen standen hinter den Straßensperren. Schutzwälle wurden dort aufgerichtet und mit Stacheldraht versehen. Die Einwohner in ihren Häusern beobachteten gespannt ein Fußballspiel welches vor ein paar Minuten begonnen haben musste. Die Soldaten mit ihren Maschinenpistolen, welche die Barrikaden an den Strassen bewachten, schien es nicht zu stören, dass ich an ihnen vorbei ging. Ich kletterte auf einen kleinen Truppentransporter, der neben einer dieser Schutzwälle stand, um daran vorbei zu kommen. Ich balancierte über den glatten Boden des Marktplatzes und war ganz froh darüber, dass einige der Pflastersteine zerbrochen waren. An einem Stand hielt ich an, kaufte mir ein kleines Stück Käse und an einem anderem ein paar Scheiben Wurst; an einem Dritten kaufte ich noch ein halbes Brot. Mein Kumpel hielt mir eine Waffe hin, die er sich gerade von einem der Trucks geklaut hatte. Ich verstaute meine Einkäufe in meinem Rucksack und nahm mir die Granate. Wir machten beide unsere Granaten scharf und warfen sie auf zwei verschiedene Straßensperren, die dicht beieinander lagen und gemeinsam flüchteten wir eine enge Gasse entlang und traten am Ende durch eine Tür. "Guten Appetit", wünschte ich allen und biss ein Stück von meiner Scheibe Brot ab. Ich mochte es am liebsten, wenn es frisch war und auf diesem lag eine Scheibe Wurst - köstlich. Ich legte eine Hand auf das linke Knie meiner Freundin, die zur Zeit bei mir zu Besuch war. Ich hatte sie eben erst meinen Eltern vorgestellt. Diese saßen auf der anderen Seite des Tisches mit der Fensterfront im Rücken. Meine Freundin schenkte mir ein Lächeln, als sie meine Hand bemerkte. Ich blickte an dem Kopf meiner kleinen Schwester vorbei durch das Fenster vor mir und sah die Dächer unserer Nachbarschaft. Es war noch hell, doch der Mond war schon am Himmel zu sehen. Immer schneller werdend kam er dem Horizont immer näher und er zog einen immer dicker werdenden schmalen senkrechten Streifen hinter sich her, wie der Kondensstreifen von einem Flugzeug, welches damit den Himmel teilte. Der Himmel war wolkenlos, das Wetter schön. Ich starrte darauf, das Brot noch in meiner Hand, den Mund geöffnet, zum Abbeißen bereit. Die Kugel verschwand hinter dem Horizont. Nicht realisierend, was ich da gerade gesehen hatte, blickte ich weiter auf den nun, bis auf den Streifen, der ihn teilte, komplett leeren Himmel - azurblau. Auf einmal wuchs ein Pilz aus Feuer auf der Stelle, wo der Mond verschwunden war. Bewegungsunfähig schaute ich dem Schauspiel zu, wohl wissend, dass dies unser aller Ende war. Dennoch fragte ich mich danach, warum starb ich ohne die Gelegenheit für meinen Abschied zu nutzen? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)