Der Pakt von abgemeldet (Weil ich dich liebe) ================================================================================ Prolog: Beschlossen ------------------- Gary saß auf einer der vielen Wiesen in Alabastia. Die meisten Mütter würden den Achtjährigen in seinem schicken Anzug zum schreien süß finden. Er saß einfach nur da, strahlend in die Ferne blickend. Es war ein angenehm freundlicher Tag, nicht zu kalt, nicht zu warm und eine milde Brise füllte die Luft mit dem süßlichen Duft der Frühlingsblumen. „Gary!“, ein zweiter Junge, nicht bedeutend älter, lief freudig auf Gary zu. Er lief in Windrichtung, sein etwas längeres schwarzes Haar flog ihm ins Gesicht, doch hielt ihn das nicht davon ab, weiter auf Gary zu zurennen. „Ash!“, Gary stand auf, wartete bis der gleichaltrige kleine Junge unmittelbar in seiner Nähe war und sie umarmten sich freudig. „Und, wie war's in Orania City? Ich will alles wissen, war's schön? Hast du ein Pokémon gesehen? Ich habe gehört, in Orania City sollen ziemlich viele Wasserpokémon leben. Ist ja auch logisch, da ist ja ein Hafen und das Meer und so“, Ash konnte vor Aufregung kaum mehr aufhören zu reden und Gary hatte sichtlich Mühen, alle Fragen bis ins kleinste Detail zu beantworten. „Es war wunderschön“, nach einiger Zeit kam Gary auch dazu, vom eigentlichen Grund seines Ausfluges nach Orania City – der Hochzeit – zu erzählen, „Tante Isa trug ein langes weißes Kleid und man musste immer aufpassen, dass man nicht drauf tritt, wenn man hinter ihr her gegangen ist. Und Onkel Henry hatte einen schwarzen Anzug an, er sah darin aus wie ein richtiger Geschäftsmann“, die beiden Jungen kicherten, „es war alles total hübsch, der ganze Saal war beschmückt mit irgendwelchen Bändern, Fahnen und mit so anderem Zeug, ich glaube, das nennt man Rüschen.“ „Das hört sich toll an“, bestätigte Ash mit glänzenden Augen, „ich wäre so gerne mitgekommen. Warum hab ich keine Tante Isa und keinen Onkel Henry?“ Das begeisterte Funkeln in seinem Blick wandelte sich schlagartig in kleine Tränen um. Tatsächlich kannte Ash, außer seiner Mutter Deliah, keinen aus seiner Familie. Seinen Vater hatte er nie gekannt, seine Großeltern das letzte Mal mit drei Jahren gesehen und von einer Tante oder einem Onkel konnte gar keine Rede sein. Ash war immer neidisch auf seinen besten Freund Gary gewesen, wenn dieser auf irgendwelche Familienausflüge war. Gary machte einen Schritt auf den traurig blickenden Ash zu und tröstete ihn einer sanften Umarmung und warmen Worten. „Mach dir nichts draus“, versprach er, „irgendwann wirst du auch mal auf einer Hochzeit sein. Allerspätestens auf meiner eigenen.“ „Bei deiner?“, fragte Ash, als er sich wieder gefangen hatte. „Jawohl“, erklärte Gary, „irgendwann werde ich auch wie ein Geschäftsmann aussehen, genauso wie Onkel Henry. Und ich werde in einem total toll geschmückten Raum stehen und meine eigene Hochzeit feiern. Das schwöre ich dir, Ash!“ „Weißt du was?“, Ash zog eine Kette von seinem Hals ab, „ich habe da eine Idee! Das hab ich mal im Fernsehen gesehen, bei irgendso 'ner Sendung die meine Mama geguckt hat.“ Gary zog ebenfalls eine Kette aus. Die beiden Anhänger, die jeweils an einem ledernen Band gebunden waren, sahen beinahe identisch aus und bildeten, wenn man sie richtig nebeneinander legte, ein kleines silbernes Herz. Das Symbol der ewigen Freundschaft zwischen Ash und Gary. „Wir schließen jetzt einen Pakt“, Ash streckte seine Hand, in der er den Anhänger hielt, aus, „wenn wir mit fünfzehn noch niemanden zum Heiraten gefunden haben, dann heiraten eben wir beide.“ „Mit Fünfzehn? Dürfen wir da überhaupt schon?“, Gary war ob des Vorschlags überrascht. „Bestimmt! Mit fünfzehn ist das Leben doch fast schon vorbei!“ „Aber es sind nur noch... neun, zehn“, Gary begann mit seinen Fingern zu zählen „vierzehn, fünfzehn... sieben Jahre! Dann haben wir ja schon die Hälfte hinter uns! Lass uns doch lieber etwas mehr Zeit.“ „Nun gut, dann eben mit zwanzig Jahren“, beschloss Ash. „Okay, abgemacht“, Gary schlug ein, ebenfalls mit seiner Kette in der Hand, „mit zwanzig werden wir heiraten, wenn wir bis da noch nicht verheiratet sind.“ Kapitel 1: Der Zwanzigste ------------------------- Sehr verehrter Herr Gary Eich, mit diesem Brief möchte ich Sie herzlich dazu einladen, vom 05.06.2007 bis zum voraussichtlich 05.07.2007 Passagier der schwimmenden Dodri zu sein. Auf dem luxuriösen Kreuzfahrtschiff findet in diesem Zeitraum ein Pokémonturnier der Superlative statt. Sie werden solch einem Wettbewerb gewiss noch nie beigewohnt haben. Für diesen Wettbewerb wurden nur die besten Trainer der umliegenden Regionen eingeladen und Sie dürfen sich glücklich schätzen, diese Einladung erhalten zu haben. Dem Gewinner winken attraktive Preise, unter anderem ein Exemplar des künstlich hergestellten Pokémons Porygon, welches wohl für Forscher wie Sie äußerst interessant sein dürfte. Seien Sie bitte am 05.06.2007 bis spätestens 22 Uhr am Hafen von Orania City und bringen Sie ihr Gepäck, ein von ihnen selbst erwähltes Pokémon, sowie die Boardcard, die diesem Schreiben beiliegt, mit. Wir freuen uns sie an Board begrüßen zu dürfen, Ihr Kapitän der schwimmenden Dodri. Gary warf das Schreiben, welches er vor ungefähr einer Woche erhalten hatte, achtlos auf sein Bett. Man konnte doch nicht ernsthaft von ihm erwarten, dass er bei solch einem Turnier mitmachen würde. Schließlich gehörte er keinesfalls zu den besten Trainern der umliegenden Regionen, wie er sich, seit seiner Niederlage in der Jotho-Liga vor acht Jahren, immer wieder eingestand. Er war Pokémonforscher, genau wie sein inzwischen verstorbener Großvater auch. Sie hätten sich das Papier und die Tinte sparen und lieber an wirklich große Trainer, wie etwa Ash Ketchum, schreiben sollen. Ash würde sicherlich auf diesem Schiff aufzufinden sein, sofern er – wovon Gary stets ausging – ebenfalls eine Einladung erhalten hatte. Er war einer der bekanntesten und vor allem besten Trainer, den die Welt in jüngerer Zeit hervorgebracht hatte und er würde sicherlich keine Herausforderung ausschlagen. Das wusste Gary, obgleich er nicht viel von Ashs Reisen mitbekam. Ash hatte nie besonders viel von seinen Reisen gesprochen. Zumindest nicht mit Gary. Auch, wenn sich beide beim Vorbeigehen weiterhin freundlich grüßten, ein besonders gutes Verhältnis hatten die ehemals besten Freunde seit ihren Pokémonreisen jedoch nicht mehr. Gary konnte zurecht sagen, dass ihr ewiger Konkurrenzkampf ihrer einstigen Freundschaft geschadet hatte und er war im Nachhinein froh darüber, dass er diesen nach seiner Reise durch Johto vorzeitig beendet hatte. Gary musste ehrlich zugeben, dass er Ash in manchen Situationen vermisste. Jedoch schob er jeden Gedanken an seinen ehemaligen Freund schnellstmöglich beiseite und widmete sich anderen Dingen, wie etwa der Forschung. Zu Beginn seines Vorhabens war der junge Professor nahezu ununterbrochen damit beschäftigt, Informationen über sämtliche Pokémon dieser Welt aus Büchern und dem Internet zu sammeln. Er wollte den Traum seines Großvaters verwirklichen und ein umfassendes Lexikon über alle bekannten Pokémon dieser Welt erstellen. Und es gab Hunderte von ihnen. Inzwischen trug Gary wegen des vielen Lesens eine modische Brille und lief oftmals mit einem sauberen Kittel durch die Straßen, bewahrte ansonsten allerdings seinen Jugendstil, wie etwa die leicht zerzausten braunen Haare und sein Faible für Ketten aller Art. Gary trug sämtliche Ketten, die ihm etwas bedeuteten, um seinen Hals. Mit der Zeit hatten sich ganze vier Anhänger darunter gesammelt. Lediglich eine Kette fehlte, die Kette mit dem Zeichen der Freundschaft zwischen Ash und Gary. Freunde waren die beiden schon lange nicht mehr. Alleine deshalb hatte seine einstige Lieblingskette ihren Wert inzwischen vollkommen verloren. Doch am heutigen Tage, an seinem zwanzigsten Geburtstag, holte Gary das Schmuckstück noch einmal aus seinem Nachtschrank hervor. Beim Anblick des Anhängers musste Gary schmunzeln. Es war die Hälfte eines Herzens und eigentlich würde Gary eine solche Kette nur seiner Angebeteten schenken. Als Zeichen dafür, dass ein Teil seines Herzens nur ihr gehörte. Auf diesen Zusammenhang kamen die beiden Jungen vor zwölf Jahren gar nicht. Vielleicht waren sie damals einfach nur zu unreif – sie glauben damals schließlich auch, mit fünfzehn Jahren wäre das Leben schon so gut wie vorbei – aber, dass sie ausgerechnet dieses Symbol für ihren Pakt wählten, war doch ein durchaus komischer Zufall. Schließlich besagte dieser Pakt, dass die beiden heiraten würden, sofern sie bis zu ihrem zwanzigsten Geburtstag keine Frau gefunden haben. Wie dumm es doch von ihnen war, so etwas zu vereinbaren. Doch waren sie Kinder, wie Gary sein damaliges Verhalten immer gerne entschuldigte. Sie wussten ja gar nicht, was sie da eigentlich taten. Gary musste tatsächlich anfangen zu prusten, als er sich an das anschließende Gespräch mit Ashs Mutter zurückerinnerte. Die Dame war sichtlich schockiert, nachdem die beiden Jungen über ihren Pakt berichtet hatten. Im Nachhinein war Gary nur froh darüber, dass Deliah Ketchum solch eine herzensgute Person war. Andere Mütter hätten ihrem Sohn bei der Nachricht, sie wollen heiraten, womöglich den Umgang mit Gary verboten. Dennoch hatten auch die Freunde gemerkt, dass sie wohl irgendetwas falsch gemacht hatten. Sie wussten zwar nicht, was es war, dennoch beschlossen sie anschließend, niemanden mehr etwas von diesem Pakt zu erzählen. An dieses Versprechen hatte sich Gary bis heute gehalten. Insgeheim war Gary froh darüber, dass Ash weiterhin auf Reisen war. Selbst, wenn Gary gerne mal wieder einen Geburtstag mit seinem besten Freund aus Kindheitstagen feiern wollte, er wollte gar nicht wissen, wie Ash heute zu diesem Pakt stand. Wahrscheinlich hatte er seinen Teil des Anhängers ebenfalls irgendwo in seinem Nachttisch verstaut. Wenn er die Kette überhaupt noch besaß. Auch glaubte Gary nicht daran, dass die beiden jemals heiraten mussten. Er war sich sicher, dass Ash bereits eine Herzdame hatte und selbst, wenn sie vielleicht nicht die Frau seines Lebens war, so war er sicherlich in jenem Moment glücklich mit ihr. Zumindest hoffte es Gary. Er selbst nämlich hatte zur Zeit seines zwanzigsten Geburtstags keine Freundin. Überhaupt hatte er, trotz unzähliger weiblicher Fans aus vergangenen Trainerzeiten, noch keine einzige Freundin gehabt. Somit war sein Teil des Pakts unfreiwillig 'erfüllt'. Natürlich fehlte Gary eine starke Frau an seiner Seite. Er hatte keine Person, der er sich bedingungslos anvertrauen konnte. Er hatte keine bessere Hälfte, keine Seelenverwandte. Er hatte nur sich selbst, seine Pokémon und seinen Assistenten Max, der sich allerdings eindeutig für Mädchen interessierte. Was aus Garys Sicht auch gut so war. Es klingelte an der Tür. Gary schreckte auf. Augenblicklich stand er auf und begab sich zu der Eingangstür seines Hauses. Er hatte gar nicht mehr auf die Zeit geachtet und sich stattdessen mit zweitrangigen Dingen, wie die ehemalige Freundschaft zu Ash, beschäftigt. Vorsichtig öffnete er die Tür. Ihm konnte beim besten Willen nicht einfallen, wer ihn zu Hause besuchen wollte. Abgesehen von Max, der sich zu dieser Zeit allerdings hundertprozentig im Labor aufhielt. „Gebt mir ein G! Gebt mit ein A! Gebt mir ein R! Gebt mir ein Y! Und was macht das? Gary!“, vier bildhübsche Cheerleader standen vor Garys Tür und feuerten ihn an, so als würde er soeben vor dem Finale eines wichtigen Turniers stehen. Mit einem belustigten Lächeln auf den schmalen Lippen bat er den vier Frauen stumm einzutreten. Sie waren der Rest seines einstigen Fanclubs gewesen, der zu seiner Zeit als Trainer immer mit ihm gereist war. Anfangs hatte er die weibliche Gesellschaft genossen, mit der Zeit jedoch wurden die Damen immer lästiger. Ein weiterer Grund, weshalb Gary vor acht Jahren beschlossen hatte, seine Karriere als Trainer an den Nagel zu hängen. Er hätte nicht gedacht, dass es jetzt immer noch eiserne Fans geben würde. Doch inzwischen hatte er wieder angefangen, die Gesellschaft zu genießen. Es waren ja schließlich nur noch vier Damen, die sich lediglich einmal im Monat bei ihm blicken ließen. Gary brauchte den Besucherinnen gar nicht erst den Weg zu weisen, ohne zu zögern gingen sie in das gemütliche Wohnzimmer und ließen sich allesamt auf einer rot gepolsterten Couch fallen. Garry setzte sich auf den Sessel gegenüber, sodass nur noch der kleine Glastisch mit den frischen Blumen zwischen ihnen stand. „Schön, dass ihr mich mal wieder besucht“, Gary sprang augenblicklich wieder auf, „Oh, wie unhöflich von mir. Jetzt habe ich ja ganz vergessen euch etwas zu Trinken anzubieten.“ „Ach, das ist schon in Ordnung“, die Dame mit den kurzen roten Haaren und dem 'R' auf ihrem weißen Shirt lächelte ihm sanft zu. Gary lächelte zurück und ging an den altmodischen Schrank, der sich schräg gegenüber von der Glastür zum kleinem Garten befand. Von dort holte er ein Glas heraus. „Und ihr wollt wirklich nichts trinken?“, Gary drehte sich zu den Mädchen um. „Nein, Danke!“, riefen diese im Chor. „Nun gut“, Gary schloss den Schrank wieder, mit einem Glas in der Hand, „Würdet ihr mich kurz entschuldigen? Ich habe nämlich Durst.“ Gary öffnete die Glastür und ihm kam eine erdrückende Hitze entgegen. Obwohl es erst Anfang Juni war, konnte man den kommenden Hochsommer bereits jetzt spüren. Die Sonne brannte auf der nackten Haut und blendete dabei einen jeden, der es wagte, zu ihr hinauf zu blicken. Gleichzeitig war die Luft so trocken, dass man, wie bei einer langen Wanderung durch die Wüste, dringend nach Wasser ringen wollte, wenn nicht gar musste. Zumindest erging es jenen so, die noch nie eine Wanderung durch die Wüste unternommen hatten und deshalb nicht wussten, wie unangenehm es dort wirklich werden konnte. Gary war beim Betreten seines Gartens froh, dass das Innere seines Hauses durch eine hochmoderne Klimaanlage auf angenehmere Temperaturen getrimmt wurde, schimpfte sich im gleichen Zuge jedoch einen Narr, da er die Getränke draußen aufbewahrt hatte. Einen Kühlschrank besaß der junge Professor nicht, deshalb kühlte er seinen Getränkevorrat immer in seinem Garten. Was logischerweise bei solch einer Hitze nicht so recht funktionieren würde. Eigentlich war Gary ziemlich einfach gestrickt, was die Wahl seiner Getränke anging. Oftmals reichte bereits ein kühles Glas Sprudelwasser, um ihn zu erfreuen und seinen Durst zu löschen. Doch an diesem Tage schien irgendetwas in ihm nach Zucker zu verlangen, Gary griff sich die Flasche Cola, die einsam zwischen dem reichlichen Depot an Wasser stand. Anschließend ging er wieder rein. Die restlichen Getränke würde er später reinbringen – sofern er daran denken würde. In seinem Wohnzimmer schienen die vier Cheerleader bereits sehnsüchtig auf Garys Rückkehr zu warten. Der Pokémonforscher warf ihnen erneut ein freundliches Lächeln zu, stellte sein Glas auf den kleinen Tisch ab und goss vorsichtig etwas Cola hinein. Die Flasche stellte er unter den Glastisch, sein Getränk dagegen erhob er. Dabei bemerkte er, wie die vier Damen ihn aufgeregt beobachteten. Das war so typisch für seinen persönlichen Fanclub. Jede einzelne Bewegung wurde genau gemustert. „Also, was gibt es heute so zu berichten?“, Gary ließ sich auf den Sessel fallen. Insgeheim hoffte er auf ein kleines Geburtstagsständchen, wie auch schon in den vorigen Jahren. Obwohl dieses letztes Jahr reichlich spät gekommen war. Mitten in der Nacht hatten die vier Damen bei ihm geklingelt, mit der Entschuldigung, dass sich der Magnetzug aus Dukatia City in der Jotho-Region erheblich verspätet hatte. Gary bezweifelte diese Aussage bis heute, waren die Damen doch nach eigener Aussage noch nie in Dukatia City gewesen – bis auf das eine Mal, als Gary im Zuge der Jotho-Liga die dort ansässige Arenaleiterin herausfordern wollte. Mal ganz davon abgesehen, dass Gary kein einziger Fall bekannt war, bei dem sich die sonst so pünktliche Magnetschwebebahn so erheblich verspätet hatte. Er fand sich recht schnell damit ab, dass die vier Frauen seinen Geburtstag im letzten Jahr schlicht vergessen hatten. „Wir haben gehört“, begann die Blonde mit dem großen 'A' auf der Brust, „du wurdest auf ein Pokémonturnier eingeladen.“ „Oh, ja“, Gary streifte mit einem alles andere als begeisterten Seufzen seine Brille ab. Er spürte sofort, wie sich die warmen und bewundernden Blicke der vier jungen Damen ihren ganz persönlichen Star gierig anstierten. „Wirst du hingehen?“, dieses Mal war er die kleine Schwarzhaarige mit den großen braunen Kulleraugen und dem 'G' auf ihrem Shirt, die gesprochen hatte. Gary schüttelte deutlich seinen Kopf, hielt es jedoch nicht für nötig, seine stumme Aussage zu erläutern. „Aber wieso denn nicht?“, natürlich musste diese Frage kommen, „wir sind uns sicher, dass dir dieses Turnier Spaß machen würde. Dir und deinen Pokémon. Den ganzen Tag nur im stickigen Labor zu verbringen ist doch auch kein Leben! Wo ist der alte Gary hin? Der Abenteurer, der Kämpfer, der Trainer?“ „Weg“, antwortete Gary kühl, „und er wird auch nicht wiederkehren.“ „Aber Gary –“ „Lasst ihn, Mädels“, die bisher so teilnahmslos wirkende Dame mit dem 'Y' auf ihrem Shirt unterbrach ihre blonde Freundin, „wenn er nicht will, dann können wir ihn auch nicht dazu zwingen. So traurig das auch sein mag.“ „Sina, gib die Hoffnung nicht auf! In ihm steckt bestimmt noch ein Funke Trainer. Wir müssen ihn eben nur irgendwie herauskitzeln.“ „Ich weiß“, die junge Frau – Sina – sprach nun wieder, „dass in ihm noch ein Funke Trainer steckt. Und ich weiß auch, dass wir ihn irgendwie wieder zum Vorschein bringen können. Aber, solange wir nicht genau wissen, wie wir das am besten anstellen, können wir ihn ja auch nicht zu irgendetwas zwingen, was er nicht tun will. Das wäre nicht fair ihm gegenüber.“ Sina war schon irgendwie süß. Sie hatte gepflegte blaue Haare, ähnlich große Kulleraugen, wie ihre blonde Kollegin, und war viel ruhiger und achtsamer, als die anderen drei. Irgendwie mochte Gary die junge Frau und er fand ihr ruhiges Wesen durchaus angenehm. Gary nahm einen kleinen Schluck von seiner Cola. Er wusste nicht, ob es am Getränk selbst oder an der Temperatur lag, jedenfalls schmeckte es scheußlich. Die vier Damen debattierten noch ein wenig darüber, wie sie Gary am besten dazu bringen konnten, wieder dem Trainergeschäft nachzugehen, was ihn die Zeit verschaffte, nochmals in Ruhe über das Turnier nachzudenken. Er wollte nicht hingehen, weil er sich selbst nicht mehr als Trainer sah und schon gar nicht zählte er sich zu den Besten. Andererseits, wenn sich auf jenem Turnier die besten Trainer der Region befangen, dann würde er mit großer Wahrscheinlichkeit auch Ash wieder sehen. Dem gegenüber stand jedoch immer noch der einstige Pakt, den die beiden geschlossen hatten, was in Wahrheit der Hauptgrund war, weshalb Gary Angst hatte, der Einladung nachzukommen. Auch, wenn er es sich selbst nicht eingestehen wollte. Wenn er jedoch darüber nachdachte, waren seine Ängste nahezu unbegründet. Schließlich war er sich sicher, dass Ash eine Freundin hatte und falls nicht, so konnte Gary immer noch behaupten, dass er etwas mit einer Frau am Laufen hatte. Mal ganz davon abgesehen, dass er sich nicht vorstellen konnte, dass Ash tatsächlich vorhatte den Pakt einzulösen. Selbst, wenn beide zu diesem Zeitpunkt keine Freundin haben sollten. „Okay, ich geh hin.“ Die vier Mädchen stoppten ihre hitzige Diskussion abrupt. Hatten sie gerade richtig gehört? Tatsächlich, Gary hatte soeben zugesagt, doch auf das Turnier zu gehen. Bei dem Anblick der fassungslosen Damen musste Gary sogleich belustigt lächeln. „D-Du gehst hin?“, es war die Rothaarige, die die Stille durchbrach. Gary nickte nur stumm. „Das bedeutet ja...“ „Oh mein Gott! Er geht hin!“, die Blonde sprang von der Couch auf und zwinkerte den drei anderen Cheerleadern zu, „Mädels, wir müssen noch packen! Wir dürfen bei solch einem Spektakel doch nicht fehlen, oder?“ Gary fühlte sich ein wenig überrumpelt. Die anderen drei sprangen nun ebenfalls auf, verabschiedeten sich nacheinander von ihrem persönlichen Star und verließen unverzüglich das Haus des jungen Professors. Dieser sah ihnen zunächst leicht verwundert nach, musste dann jedoch nur abermals lächeln. Wo hatte er sich da nur reingeritten? Gary nahm erneut einen Schluck von seinem ungenießbaren Getränk und erhob sich langsam von seiner gemütlichen Position. Wenn er es noch zum Turnier schaffen wollte, dann musste er anfangen zu packen und so schnell, wie es ihm nur möglich war nach Orania City gelangen. Gary ging zurück in sein Schlafzimmer. Unter dem Kleiderschrank befand sich eine große Sporttasche, die er immer zu längeren Forschungsreisen mitnahm. Er packte nur das Nötigste ein. Ein paar Klamotten, darunter ein feiner Anzug für abendliche Banketts, einige Aufzeichnungen, an denen er weiter arbeiten konnte, sollte er – wie er erwartete – bereits früh vom Wettbewerb ausscheiden sollte, den Pokéball in dem sein Nachtara für gewöhnlich seinen Platz fand, sowie die Kette des Pakts. Der Garten des Labors war wie gewohnt beinahe überfüllt mit Pokémon unterschiedlichster Art. Max kontrollierte gerade die Hufen eines kleinen Ponitas. In der Vergangenheit gab es immer mal wieder Probleme, letztendlich musste sogar ein Hufschmied die Ferse des Pferdepokémons verarzten, weil sich selbst Schwester Joy nicht mehr zu helfen wusste. Inzwischen ging es dem Ponita jedoch wieder weitestgehend gut, es hatte sich erstaunlich schnell erholt. „Ah, Professor Gary. Ich dachte, du wolltest heute nicht arbeiten“, Max hatte den jungen Forscher bemerkt. Dieser grüßte freundlich zurück. „Ich bin auch nicht zum arbeiten hier. Ich möchte mich lediglich von dir verabschieden.“ „Verabschieden?“ „Du kannst sich an den Brief erinnern, denn ich vor einer Woche erhalten habe?“ „Ja“, antwortete Max nur knapp. „Es war eine Einladung für ein Turnier auf einem Schiff. Ich habe mich dazu entschlossen, diesem beizuwohnen. Deshalb wirst du für den nächsten Monat das Labor alleine leiten müssen.“ „Ich? Alleine?“, Gary erwartete Freudensprünge. Seit Max dem Forscher bei der Arbeit unterstütze, träumte er davon, selbst ein Labor zu besitzen. Am liebsten, so erzählte er immer, wollte er dieses in Hoenn, seiner Heimatregion, aufbauen. Jedoch war das nicht immer so selbstverständlich für ihn gewesen. Sein eigentlicher Traum war es, Pokémontrainer zu werden. Doch hatte es mit dieser Karriere nicht ganz so geklappt, wie es sollte. Max schwärmte immer von Ash. Er empfand ihn als solch einen außergewöhnlich guten Trainer, dass es lange Zeit über sein oberstes Ziel war, genauso zu werden, wie Ash. Gary musste bei jenen Schwärmereien immer ein wenig Schmunzeln. „Wo ist eigentlich Nachtara?“, fragte Gary nach einiger Zeit. Auch, wenn sein Turtok oder sein Magmar wesentlich besser trainiert waren, hatte er von Anfang an beschlossen, sein Nachtara zum Wettbewerb mitzunehmen. Seit Gary das Unlichtpokémon als kleines Evoli gefangen hatte, verband die beiden eine freundschaftliche Beziehung. Es war überraschend für ihn und auch ein wenig schwer einzugestehen, allerdings liebte er sein Nachtara. Es war längst keine typische Beziehung zwischen Trainer und Pokémon und auch, wenn es sich nicht so gut entwickelt hatte, wie Gary es sich immer gewünscht hatte – Nachtara war sein bester Freund, so bemitleidenswert es auch klingen mochte. Max führte Gary in das Labor. Es war ein riesiger Raum, der reich beschmückten Eingangshalle eines prunkvollen Schlosses gleich. Lediglich mit dem Unterschied, dass sich statt Schmuck allerlei Maschinen im Laboratorium befanden. Max bog augenblicklich nach rechts ab und Gary wurde mulmig zu mute. Führte er ihn etwa? Tatsächlich. Die beiden jungen Männer kamen in der Krankenstation des Labors an. Auf einem der kleinen Bette schlief das gesuchte Nachtara, die rechte Pfote war mit einer Bandage verbunden. „Es ist gestern Nacht passiert“, erklärte Max mit ruhiger Stimme, „Nachtara ist nach einer kleinen Verfolgungsjagd in einem Busch hängen geblieben. Dabei hat es sich die Pfote leicht verstaucht.“ „Verstaucht? Sie ist also nicht gebrochen?“ „Ja. Nachtara dürfte eigentlich schon wieder einigermaßen gut laufen, es sollte sich allerdings noch ein wenig ausruhen.“ „Meinst du“, fragte Gary, „ich sollte es mit zum Turnier nehmen?“ „Sofern es nicht noch heute Abend kämpfen muss, will ich dir davon nicht abraten. Ich kann es dir allerdings genauso wenig empfehlen. Es ist dein Pokémon, du musst wissen, was das Richtige für Nachtara ist.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)