Zu tief, um loszulassen? von Stiffy ================================================================================ Kapitel 4: Kontakte ------------------- Kann ich sagen, dass es ein komisches Gefühl ist, an diesem Abend neben einem anderen Mann als Nate im Bett zu liegen? In der letzten Nacht habe ich nicht wirklich etwas davon mitbekommen, doch heute bin ich nüchtern, heute registriere ist sehr wohl, dass ich mich merkwürdig dabei fühle. Über zwei Jahre lang habe ich mit niemandem das Bett geteilt außer mit Nate... selbst dieses eine Mal vor einigen Wochen kann man nicht als solches bezeichnen. Es war Frust, es war Wut, Enttäuschung und Hoffnung. Ja, ich hatte tatsächlich gehofft, Nate aus der Reserve locken zu können, wenn ich ihm erzählen würde, dass ich mit einem anderen Mann geschlafen habe. Als er uns dann auch noch erwischte, hatte ich noch mehr daran geglaubt… doch es kam nichts, rein gar nichts von ihm… und jetzt, einige Wochen später weiß ich auch genau weshalb. Er hat nie so für mich gefühlt wie ich für ihn. Für mich wäre er niemals eifersüchtig geworden… und auch, dass ich heute neben Sam im Bett liege, hätte ihn wahrscheinlich nie gestört... Ich spüre, wie mir ein tiefes Seufzen entfährt. Ein fragender Blick trifft mich. Ich schweige. Bis vor ein paar Minuten noch haben wir über irgendwas Sinnloses geredet, doch dann verstummte unser Thema und seither kann ich nicht anders, als ihn anzusehen. Ihn, sein hübsches Gesicht und seine Hand, wie sie ruhig auf dem Laken ruht. Schon die ganze Zeit habe ich das Bedürfnis, meine Finger nach dem Ring auszustrecken. Es vergehen weitere Minuten, bis ich es schließlich tue. Ganz vorsichtig strecke ich meine Fingerspitzen aus, bis sie das warme Silber berühren. Ich streiche über den Glanz hinweg, berühre dabei auch Sams Haut. Ich sehe ihm in die Augen und er sieht zurück. Sein Blick strahlt Ruhe aus… Ich fühle mich darin geborgen. Über ihn und den Ring haben wir nicht noch einmal geredet, nur die paar Worte in der Küche. Sie sind ihm schwer gefallen, auch wenn er lächeln konnte. Doch es passte in die Situation hinein, ebenso wie die Tatsache, dass auch er Männer liebt. Nicht überraschend war es in jener Sekunde, auch wenn ich nicht damit gerechnet hatte. Es war nichts Absurdes daran, es passte einfach, ebenso wie auch das Lächeln zu den zitternden Fingern passte. Es muss noch immer weh tun – natürlich tut es das – aber wie er sagte: man kommt darüber hinweg. Zumindest bis zu einem bestimmten Punkt, an dem nun er sich wohl befindet… an dem er den Ring mit Sicherheit nicht nur aus bloßer Gewohnheit noch trägt. Irgendetwas bleibt wahrscheinlich immer zurück. „Hat er eine Gravur?“, flüstere ich nach einer Weile, in der mein Zeigefinger noch immer den Ring berührt. „Ja“, kommt es ebenso leise über das Bettlaken zurück. „Welche?“ Ich weiß, dass ich neugierig bin, aber aus irgendeinem Grund weiß ich auch, dass das nicht schlimm ist… und dass er mir sagen würde, wenn es ihn stören würde. Statt aber etwas zu sagen, kommt Sam in Bewegung. Er stützt sich auf, entzieht seine Hand der meinen und löst den Ring von seinem Finger. Als er ihn mir hinhält, ist es schwer, meine Hand danach auszustrecken. Auch ich richte mich nun auf, nehme den Ring entgegen. Er scheint schwer in meiner Hand zu wiegen. Vorsichtig drehe ich ihn ins Licht. Zunächst erkenne ich ein Datum und dann die Worte: Du berührst mein Herz. Ich öffne den Mund, um etwas zu sagen, doch letztendlich kommt kein Ton heraus. Mein Kopf ist vollkommen leer und ich tue schwer daran, wieder in Sams Gesicht zu blicken. Wie kann er bloß noch immer so ruhig lächeln? Wenn ich auch nur an Nate denke, habe ich das Gefühl, auf der Stelle heulen und schreien zu wollen... Muss es ihm nicht eigentlich noch viel schlimmer gehen? Zögernd strecke ich die Hand wieder aus. Seine kommt mir entgegen, ich lege den Ring hinein. Doch statt mich wieder zu entfernen, verweile ich. Und ich spüre, wie meine Fingerspitzen seine berühren, wie sie über die schlanken Finger hinab gleiten, wie sie seine Handfläche streicheln, wieder gegen den Ring stoßen, weiter berühren... Sein Lächeln wird breiter und ich werde mit Sicherheit rot. „Es macht Mut, dass du noch lachen kannst“, habe ich meine Stimme wiedergefunden. Aber sie klingt rau. „Es hat gedauert, aber ja…“, streifen seine Finger die meinen. „Er hat dein Lachen sicher geliebt.“ „Ja.“ „Ich mag es auch“, berührt mein Daumen den seinen. „Es macht es mir leichter...“ Seine Augen fixieren mich und ich glaube, dass er mir näher kommt. Ich spüre den Ring an meiner Handfläche, als er sie umgreift. „Nur deshalb?“, haucht seine Stimme mir zu. Im nächsten Moment ist er mir noch näher… und dann küsst er mich. Es ist ein sanfter Kuss mit nur ein bisschen Zunge… und dennoch liegt eine gewisse Spannung darin, Unruhe… „Du schmeckst besser ohne Alkohol…“, schlägt sein heißer Atem gegen meine Lippen, als er sich von mir trennt… und ehe er sich noch weiter zurückziehen kann, muss ich lachen und nach ihm greifen… und ihn näher an mich ziehen. „Du auch“, finden meine Lippen ihn wieder. Eine Hand greift nach mir, in mein Haar, zieht mich an den anderen Körper heran. Ich spüre seinen nackten Oberkörper an meinem, seine warme Haut. Ich presse meinen Lippen fester zu ihm, umfange seine Zunge mit meiner. Ich spüre, wie der Ring aus meiner Hand fällt. Irgendwohin. Und dann weiß ich nur noch, dass ich nicht mehr denken will… Irgendwann in dieser Nacht werde ich wach. Im Gegensatz zur letzten Nacht weiß ich dieses Mal genau wo ich bin. Langsam richte ich mich im Bett auf. Ich blinzle und blicke mich um. Durch das Fenster scheint der Mond hinein und auf der Bettdecke reflektieren die weißen Muster. Ich wandere von ihnen weiter hinauf, bis mein Blick in Sams Gesicht fällt. Ich kann es im Schein des Mondes sehr genau erkennen. Leicht sind die Lippen geöffnet, und als ich lausche, kann ich seinen Atem hören. Ich strecke meine Finger aus, und während sie sein Haar finden, zärtlich einzelne Strähnen zwirbeln, muss ich daran denken, wie oft ich dies bei Nate getan habe. Immer mal wieder ging die Nacht nicht unbemerkt an mir vorbei und ich leistete ihr Gesellschaft. Ich sah Nate gerne schlafen, sah gerne seine Lider zucken, wenn er in einem Traum gefangen war… oder wie er darin das Gesicht verzog. Es brachte mich so oft zum Schmunzeln und dazu, mich zu fragen, weshalb er so viele Gesichtsausdrücke nicht auch im wachen Zustand tragen konnte… wieso er nicht dann zuließ, dass ich seine Haare streichelte… wieso er nicht dann einfach so in Ruhe bei mir war. Ich verstand nie, dass er dies einfach nicht konnte, weil er es nicht fühlte… Hätte ich vielleicht einfach viel mehr auf ihn eingehen sollen, so wie Sam auf mich? Hätte ich Nate mehr Freiheit geben sollen? Hätte ich nehmen sollen, was ich bekam, anstatt ständig mehr zu wollen? Hätte ich vielleicht einfach abwarten sollen? Nun, hier im Mondlicht, ziehe ich meine Hand aus Sams Haaren hervor. Ich sehe sie an und frage mich, wie oft es eigentlich war, dass Nate sich wirklich von mir berühren ließ, auf zärtliche, liebevolle, verliebte Weise… wie selten war es, dass er meine Nähe ebenso wünschte wie ich seine? Wie oft habe ich mir nur eingebildet, dass er bei mir sein wollte? Und wieso habe ich es bis heute nicht verstanden, dass alles so ganz anders war als es so lange für mich schien? Ich ziehe die Decke etwas weiter zu mir hinauf, strecke meine Beine darunter ein wenig. Eines davon berührt nun Sams Bein und für eine Sekunde will ich mich wieder zurückziehen, bevor ich dem nachgebe und seine Wärme wahrnehme. In gewisser Weise fühle ich mich sehr wohl hier, in diesem Bett, fühle ich mich ruhig und vielleicht weniger ängstlich als in den vergangenen zwei Jahren. Ich habe weniger Sorge vor dem nächsten, neuen Tag, brauche mir nicht wünschen, morgen ein Lächeln geschenkt zu bekommen, da ich mir sicher bin, dass dort eins für mich sein wird. Abermals strecke ich meine Finger aus. Dieses Mal treffen sie Sams Wange und ich schiebe mich an ihn heran. Ich hauche einen Kuss auf die Lippen, welche ich vor nicht all zu langer Zeit in Hitze geküsst habe. Es hat sich gut angefühlt, anders als mit Nate, neu und unerfahren… Ja, ich muss mir eingestehen, dass es mir sehr gefallen hat, ihn zu küssen, und ja, ehrlich gesagt hätte ich auch gerne mehr getan als das, was es am Ende wurde. Mich zurückziehend, krieche ich noch etwas weiter unter die Decke. Mein Blick geht wieder gen Fenster, wo sich gerade eine Wolke am Mond vorbei schiebt. Ein Gähnen entweicht mir und wieder muss ich an Nate denken und mich fragen, was wohl mit ihm gerade ist. Ob ihm nun er durch die Haare streicht? Ob er es zulassen würde? Ob er… wirklich glücklich mit seiner Entscheidung ist? Ein tiefes Seufzen verlässt mich, ich schließe meine Augen… und ich spüre den festen Stich im Herzen, der mir die Fragen mit einem „Ja“ beantwortet. Ja. Und deshalb sollte ich jetzt ganz schnell wieder aufhören, daran zu denken. ~ * ~ Es ist das unglaublich laute Klingeln eines Weckers, das mich das nächste Mal in die Höhe fahren lässt. „Was ist das denn?“, bringe ich schlaftrunken hervor und blicke mich irritiert um, während Sam neben mir in Bewegung gerät. Sekunden später verklingt das Schrillen. „Gott, Horror!“, blicke ich ihn aus großen Augen an und grinsend blickt er zurück. Dann gähnt er und reibt sich die Augen. „Sorry! Hätte ich dich warnen sollen?“ „Davor, dass du eine Heilsarmee wecken willst?“, grinse ich ihm entgegen. „So schlimm?“ „Oh ja!“ Ich reibe mir demonstrativ die Ohren. „Ich hab den vor Jahren von meiner Schwester geschenkt bekommen… irgendwie gewöhnt man sich dran…“ „Kann ich mir gar nicht vorstellen“, gebe ich ehrlich zu. „Aber wenigstens bist du wach, oder?“ Er zwinkert mir zu und steigt aus dem Bett. Eine Sekunde lang nehme ich wahr, dass er nackt ist. Sofort wende ich meinen Blick ab. „Na, so genant am frühen Morgen?“, kommt jedoch auch sofort die Quittung darauf. Mir fällt keine coole Erwiderung darauf ein also zucke ich nur die Schultern. Im selben Moment fliegt mir meine Shorts entgegen. „Na komm, steh auf. Du kannst als erster ins Bad, ich mach so lang Frühstück…“ „Müssen wir echt schon aufstehen?“ „Also wenn du nicht zur Arbeit willst, kannst du natürlich gerne noch liegen bleiben…“ „Naja…“ Ich schäle mich aus dem Bett hervor und schlüpfe in meine Shorts. „Von wollen kann nun wirklich nicht die Rede sein…“ Ich strecke mich, gähne herzhaft. „Hast du wenigstens gut geschlafen?“, fragt Sam mich vom Türrahmen entgegen. „Ja.“ Ich nicke, folge ihm in den kleinen Flur. „Trinkst du Kaffee zum Frühstück?“ „Lieber Kakao.“ „Alles klar.“ Damit hebt er die Hand und verschwindet um die Ecke in der Küche. Ich für meinen Teil betrete das Bad. Sofort fällt mein Blick in den Spiegel und ich grinse mich selbst blöd an. Erst als ich wie aus Reflex nach Links zur Zahnbürste greifen will, verschwindet das Grinsen augenblicklich. Mein Herz tut einen dumpfen Schlag. Ich greife nach meiner Zahnbürste, welche in diesem Bad rechts vom Spiegel im Becher steht. Ich drehe sie in meinen Fingern. Wieso lässt mich erst eine solche Kleinigkeit wieder daran denken, dass ich noch etwas vor habe? Und wieso konnte ich es nicht noch etwas länger vergessen? „Sei besser weg, wenn ich meine Sachen holen komme“, scheint meine eigene Stimme in meinem Kopf wiederzuhallen. „Ich will dich nie wiedersehen!“ Das Frühstück vergeht recht ruhig, da unter anderem die Müdigkeit die Oberhand ergreift. Ich kaue mein Brot und höre meine eigenen, vergangenen Worte sich immer und immer wieder wiederholen. Außerdem rauscht mir mit einem Mal die Frage durch den Kopf, wann es wohl am besten sein wird, meine Sachen abzuholen. Wann wird er nicht da sein? Und will ich wirklich, dass er nicht da ist? Aber was tue ich, wenn er es ist? Oder gar, wenn er nicht alleine ist? Ihnen an die Gurgel springen und sie erwürgen? Ob Sam mich wohl im Gefängnis besuchen kommen würde? Als ich ihn angrinse, trifft mich ein fragender Blick, doch ich schüttle nur den Kopf und stecke mir den letzten Bissen meines Brotes in den Mund. Anschließend spüle ich es mit einem großen Schluck Kakao herunter. Irgendwie ist mir schlecht. Vielleicht macht es der unwohle Gedanke an meine ungewisse Zukunft, meinen fragwürdigen, noch nicht vorhandenen Plan. Heute während der Arbeitszeit wäre es wahrscheinlich günstig, wenn ich Nate wirklich nicht antreffen will… oder am Wochenende, welches er sicher bei ihm verbringt… Aber eigentlich sind mir beide Termine noch viel zu früh, alles ist noch viel zu frisch. Wenn ich heute hingehe, breche ich mit Sicherheit in Tränen aus… „Was ist los?“, werde ich von Sam noch fragender als zuvor angesehen. „Nichts“, schüttle ich den Kopf und stehe auf, um Teller und Tasse in die Spüle zu stellen. Wie habe ich gerade ausgesehen? „Aber ich glaube, wir sollten langsam los.“ „Da hast du wohl rech...“, erhebt auch er sich nun und bemerkt nicht, wie ich abermals zu ihm schiele. Irgendetwas in mir möchte ihn fragen, was er am Wochenende vor hat. Kommst du mit mir?, will ich fragen. Kannst du bei mir sein? Doch ich frage nicht, da ich weiß, wie dämlich das wäre… denn eigentlich kenne ich ihn kaum. Und selbst wenn ich es täte, selbst dann sollte ich ihn etwas Derartiges wohl dennoch nicht fragen. Es ist nicht seine Aufgabe, in einem solchen Moment bei mir zu sein. Also folge ich ihm aus der Küche heraus und ziehe mir ebenso schweigend wie er meine Jacke an. Währenddessen beobachte ich ihn weiterhin, ringe doch noch mit mir. Vielleicht würde er es tun… Vielleicht würde es mir helfen… würde die Situation leichter machen… Ich sehe ihn an, die Frage schon auf den Lippen, doch in dem Moment, als er nach dem Schlüssel im Schloss greift und ihn herauszieht, fällt mir ein bekanntes Glitzern ins Auge, das mir die Frage im Halse steckenbleiben lässt. Nein, ich kann ihn nicht fragen, nicht ihn, der selbst eine viel schlimmere Vergangenheit hat als ich. Er hat sie überwunden, zumindest einigermaßen… Ich muss meine eigene alleine bewältigen. Die Fahrt zur Arbeit vergeht ebenso still wie das Frühstück, die Fahrt in den zweiten Stock auch. Hier verabschiedet sich Sam mit einem Lächeln von mir und er wünscht mir einen schönen Tag. Ich erwidere es ebenso wie den intensiven Blick und fahre weiter in den vierten Stock. Die Tür öffnet sich und ich trete hinaus, schon mit dem Gedanken beginnend, was ich nun am besten als erstes mache, als ich plötzlich mitten im Schritt innehalte. Wie angewurzelt bleibe ich stehen. Ich drehe mich herum, sehe die wieder geschlossene Fahrstuhltür an, sehe an ihr herunter, hinauf, blicke wieder nach vorne in den Flur, in den Gang hinein… und dann auf den Schlüssel in meiner Hand. Plötzlich muss ich daran denken, wie ich gestern noch Sams Schlüssel in der Hand hielt, als ich hier ankam. Ich hatte den Plan, möglichst bald zu ihm zu gehen… doch was ist mit heute? Was mache ich nun? Zögernd setze ich mich in Bewegung, gehe weiter meinen geplanten Weg. Wieso holt mich plötzlich wieder das Gefühl der Einsamkeit ein? Wieso habe ich plötzlich das Gefühl, keinen Schimmer zu haben, wie ich weiter vorgehen soll? Wieso frage ich mich plötzlich, auf welche Weise ich Sam das nächste Mal wiedersehen werde? Und wann? Aus welchem Grund? Wann werde ich wieder mit ihm sprechen? Ich habe doch noch nicht mal seine Nummer. Nachdem ich mich, angekommen in meinem Büro, erst einmal für vollkommen verwirrt und irre erklärt habe, bleiben diese Gedanken dennoch in den nächsten Stunden wie viele andere in meinem Kopf hängen. Während ich noch immer grüble, wann ich am besten meine Sachen holen gehen sollte und dabei mit Schmerzen kämpfe, beginne ich mich auch zu fragen, was ich vor dieser Woche eigentlich mit Sam zu tun hatte. Ich beginne mich zu fragen, ob ich, wenn mir jemand seinen Namen genannt hätte, eigentlich gewusst hätte, von wem die Rede ist… Und während ich mir im Kopf durchzähle, was ich eigentlich alles bei Nate abholen muss, frage ich mich auch immer wieder, ob ich eigentlich je bewusst Notiz von Sam benommen habe. Aber wieso nicht? Wieso erst jetzt? Wieso erst als es mir so schlecht ging? Weil er einfach da war? Weil er mir die Wahrheit sagte? Weil er mich vor zwei Tagen nicht wie ein rohes Ei behandelt hat? Habe ich deshalb jetzt das Gefühl, am liebsten gleich wieder zu ihm zu gehen… ihn zu fragen, ob er heute Abend Lust hat, wieder etwas zu machen… weil ich weiß, dass er mir zwar zuhören wird, wenn ich reden oder weinen will, aber mich nicht verurteilt… und vor allem nicht bemitleidet? Ist es das, was mich gerade in seine Richtung zieht? Mir diese Fragen noch nicht beantwortet, stehe ich irgendwann gegen Nachmittag vor dem Büro mit der 231. Ich komme mir doof vor, als ich klopfe. Ein klein wenig aufdringlich, nein, eigentlich sogar ziemlich stark… und dennoch freut es mich, als ein Herein ertönt und beweist, dass er da ist. Also öffne ich die Tür und sehe ihn an. Und er lächelt sofort, als er mich sieht, bittet mich an seinen Tisch und sieht zufrieden aus, als ich mich daran niederlasse. „Ich hab mich schon gefragt, was du so machst…“, verkündet er ungeniert. „Weshalb?“, frage ich überrascht nach. „Weil du heute Morgen so schweigsam warst.“ „Warst du doch auch“, kontere ich, erwidere das lockere Grinsen. „Naja, ich hab beim Frühstück versucht, mit dir zu reden, aber du warst so kurz angebunden…“ „Wirklich?“ Ich habe das Gefühl, mich schon nicht mehr richtig an die Situation zu erinnern. „Das tut mir leid… mir ist sehr viel durch den Kopf gegangen…“ „Wegen Nate?“ Ich nicke. „Das verstehe ich.“ Er legt den Stift weg, mit welchem er die ganze Zeit gespielt hat. „Möchtest du darüber reden?“, kommt es ruhig, vollkommen wertungsfrei. „Nein.“, Ich schüttle den Kopf. „Okay.“ Ich nicke… und dann starre ich auf den Ring, der wieder an seinem Platz sitzt. „Gibst du mir deine Nummer“, fährt mein Blick zurück zu Sams Augen. „Welche?“, klingt es überrascht. „Alle.“ Ich zucke die Schultern. „Und deine Handynummer...“ „Klar.“ Er hebt den Stift wieder auf und hält ihn mir hin, als ich bereits nach einen Blatt Papier gegriffen habe. Dann diktiert er mir die Nummer. Als ich fertig bin und zu ihm hoch schaue, liegt ein breites Lachen auf seinem Gesicht. „Was ist?“, frage ich verwundert. „Nichts. Es freut mich nur, dass du dafür hergekommen bist...“ Er macht eine kurze Pause, deutet dann mit dem Kopf zu seinem Monitor. „Ich meine, du hättest auch einfach ins Intranet gucken können, da steht sie auch drin...“ Mir bleibt der Mund offen stehen, da mir keine Erwiderung einfällt. Nur so etwas wie ein Glockenläuten spielt in meinem Kopf. „Das stimmt…“, sage ich schließlich stockend und frage mich, weshalb ich nicht eine Sekunde lang daran gedacht habe. Dabei habe ich in den letzten Stunden noch mehrere Sachen im Intranet erledigt... „Ja.“ Er lächelt. „Aber wie gesagt, es freut mich… und nun hätte ich gerne auch deine Nummer, auch wenn sie sicher ebenfalls im Intranet steht...“ „Das tut sie.“ Den Stift noch in der Hand schreibe ich sie dennoch auf, schreibe noch etwas darunter, reiße das Stück Papier ab und halte es ihm zögernd hin. Schon als er danach greift, würde ich es ihm am liebsten wieder entreißen. Das Lächeln auf Sams Gesicht jedoch wird noch breiter, als er die Worte liest. „Natürlich“, ist seine Stimme fast sanft. „Danke.“ Ich stehe auf. „Ich danke dir!“, hebt er demonstrativ das Stück Papier in die Höhe, auf dem meine Nummer steht… und darunter nur ein paar Worte: Ist bei dir noch eine Nacht für mich Platz? Kapitel 4 - ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)