Der Schreiber... von Monsterseifenblase (...legt seine Seele ins Tintenfass) ================================================================================ Kapitel 39: 039 Wüste --------------------- 039 Wüste „Also, heute Abend um neun? Ich hol dich auch ab, damit du nicht laufen musst, wenn es immer noch regnet.“ Das angesprochene Mädchen mit den langen blonden Haaren, wandte sich hin und her. Sie wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht, klemmte sie hinters Ohr und schaute ihren Gegenüber nicht an. „Ich weiß nicht“, sagte sie schließlich. Jens, der ihr das Angebot gemacht hatte, beugte sich ein wenig über den Tisch und betrachtete sie stirnrunzelnd. Es war offensichtlich, dass er eine solche Antwort in letzter Zeit anscheinend häufiger bekommen hatte. „Alles in Ordnung?“, fragte er deshalb nur und das Mädchen nickte nur. „Warum sollte irgendetwas nicht in Ordnung sein?“ Der Gefragte lehnte sich wieder zurück und griff nach seinem Glas. Er zuckte mit den Schultern und trank einen Schluck. „Keine Ahnung. Ist schließlich total normal, dass du momentan jeden Abend alleine zu Hause sitzt, mit keinem mehr redest und ich doch schon zur Tür hinausschleifen musste, damit du mit mir frühstücken gehst und nicht verhungerst.“ Verärgert schaute das Mädchen, das Alisha hieß auf. „Ich verhungere schon nicht, ich bin durchaus in der Lage, mich mit Nahrungsmitteln zu versorgen.“ „Ja, das sehe ich. Was sagt die Waage den morgens zu dir? Fünfzig Kilo bei fast ein Meter achtzig? Oder sind es doch einundfünfzig?“ „Das geht dich einen Scheißdreck an“, fauchte Alisha und öffnete die Wasserflasche, die zwischen ihnen auf dem Tisch stand und ließ ihren inzwischen kalten Kaffee einfach unangerührt stehen. Die gequälte Miene von Jens registrierte sie gar nicht. Sie wusste nicht, dass ihre Clique sich Sorgen machte. Dass viele von ihren Freunden regelmäßig bei ihr vorbeischauten und anriefen, um zu fragen, ob es ihr gut ginge. Wie sollte sie es auch wissen? Das Telefon hatte sie ausgestöpselt, der Akku ihres Handys war kaputt und ihre Klingel hatte sie abgeschaltet. Einfach nur, um das zu bekommen, was sie haben wollte. Ein kleines bisschen Ruhe. Ein kleines bisschen Einsamkeit zum nachdenken. Alisha hatte das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimme, irgendetwas war nicht in Ordnung, auch wenn sie nicht sagen konnte, was es war. Sie konnte einfach nicht den Finger darauf legen, aber ohne zu wissen, wann es geschah, hatte sie die Entscheidung getroffen, dass sie diese Situation genauso handhaben würde, wie die Zeit, in der ihr Vater zum Alkoholiker geworden war. Sich zurückziehen und einschließen. Abwarten bis der Sturm vorbei war, bis die Sandkörner die alles Schöne in ihrem Leben unter sich zu begraben drohten, von einer sanften Brise wieder fort getragen worden war. Bis zum Morgen hatte es funktioniert sich zu verstecken, bis Jens angefangen hatte mit Steinen an ihr Fenster zu schmeißen und sie den Fehler begangen hatte, hinauszuschauen. Zwei Stockwerke unter ihr hatte er gestanden mit einem Gesichtsausdruck der zeigte, dass er sauer war und Alisha hatte es nicht fertig gebracht das Fenster einfach wieder zu schließen. Zwei Stunden hatte es gedauert, doch dann hatte sie sich eine Jacke übergezogen und war zu ihm hinunter gegangen. Und jetzt saßen sie hier, in einem Cafe zwei Straßen weiter. Anfangs war es so gewesen, als wäre alles wie immer. Er hatte ihr viel erzählt, von diesem und jenem, was sie verpasst hatte. Doch jetzt nahm alles eine Wendung, jetzt wollte er eine Erklärung. Alisha würde ihm gerne eine geben. Aber sie hatte keine. Nicht einmal eine kleine. „Es kommen auch nicht viele. Ich glaube, wir wären zu viert, maximal zu fünft mit dir. Nur zwei oder drei Stunden, länger geht ohnehin nicht weil Clara morgen früh Vorlesung und du weißt ja, wie sie dann ist.“ Er zog eine Grimasse, genauso wie früher und auf einmal hatte Alisha ein unglaublich schlechtes Gewissen. Gegenüber allen, die sie ihm Stich gelassen hatte. Einfach so und ohne Grund. Nur wegen diesem Sand, der ihr die Sicht nahm und den Weg versperrte. Sie antwortete nicht, sondern starrte Jens nur wortlos an. Liebend gerne hätte sie sich entschuldigt, bedankt, nein gesagt, ja gesagt. Sie wusste es nicht. Sie konnte es nicht. Sie hatte einfach nichts zu sagen. Und dann sah sie ihn. Diesen Kummer in seinen Augen. Und da wusste sie, dass sie am Abend nicht mitkommen würde. Sie würde es nicht ertragen, dass in allen zu sehen. Dieses Mitleid, dieses Bedauern. Sie wollte sich dem nicht stellen. Sie konnte sich ihm nicht stellen. Es ging einfach nicht. Und auf einmal kamen die Worte ganz einfach aus ihrem Mund. Fast ohne, dass sie es bemerkte. „Leihst du mir deinen Regenschirm? Ich geh nach Hause.“ Ein Teil von ihr bereute es, noch während sie es sagte und der andere redete ihr immer wieder ein, dass die das Richtige tat. „Nein“, antwortete er. Alisha zuckte mit den Achseln. Dann würde sie halt nass werden. Im Aufstehen schlüpfte sie in ihre dünne Jacke und hörte dann Jens Seufzen. „Es regnet wie aus Eimern. Ich fahr dich, warte eine Minute.“ Jetzt schien er nicht mehr sauer. Zumindest nicht darauf, dass sie gehen und sich all dem nicht stellen wollte. Nur darauf, dass sie scheinbar annahm, dass er sie allein durch den Regen laufen lassen würde. Gehorsam wartete das Mädchen. Jens bezahlte, dann gingen sie schweigend zum Auto. Minuten später standen sie vor dem Haus, in dem Alisha eine kleine Wohnung hatte. „Hier“, sagte Jens und drückte ihr eine kleine Packung in die Hand. Überrascht schaute sie auf. „Was ist das?“, fragte sie und er grinste. „Ein neuer Handyakku. Ich weiß doch, dass deiner ständig kaputt ist. Er ist ganz einfach einzubauen, das schaffst sogar du.“ Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie wusste auch nicht, ob sie sich freute, oder nicht. Deshalb nickte sie nur, steckte das kleine Packet in ihre Jackentasche und sagte: „Danke“, dann öffnete sie die Tür und stieg aus. „Alisha“, hörte sie ihn noch einmal und blieb stehen. Aber sie drehte sich nicht um, um Jens anzusehen. „Heute Abend. Um Acht. Wenn ich nichts mehr von dir höre, hole ich dich ab. Und wag es nicht, mich wieder zwei Stunden vor deinem blöden Fenster stehen zu lassen.“ Dann hörte sie, wie die Fensterscheibe wieder nach unten gedreht wurde. Kurz darauf heulte der Motor leise auf und das Auto verschwand. Mitsamt Jens. Erst jetzt konnte sie wieder tief durchatmen. Jetzt war wieder alles gut. Nur noch sie und der Sand. Dann befühlte sie das Packet in ihrer Tasche. Der Handyakku. Irgendwie wollte sie mitgehen, sie wollte so gerne mitgehen, aber ein Teil von ihr wusste, dass sie doch nur zuhause sitzen würde, auch wenn sie es gar nicht wollte. Aber der Sand, er hielt sie einfach fest. Und dann kam es ihr in den Sinn. Sie musste nicht abwarten, bis die laue Brise kam, die ihn langsam, gang langsam wieder wegwehte. Sie musste ihn selbst beseitigen. Sie hatte keine Ahnung wie, nicht einmal eine Idee, aber mit einem Mal war ihr klar, dass nicht einfach so alles werden würde wie früher, wenn sie abwartete. Sie musste etwas tun, irgendwas. Irgendwie musste sie eine Schaufel und genügend Kraft finden, damit sie den Sand beiseite schippte. Eigenhändig. Sie musste zu einem Bagger werden, der sich nicht aufhalten ließ, ganz egal wie groß die Dünen waren, die ihm die Sicht nahmen. Und mit einem Mal war sie dankbar. Obwohl sie ihn nicht hatte sehen wollte, war sie Jens dankbar dafür, dass er zwei Stunden vor ihrem Fenster gestanden und gewartet hatte. Dass er ihr gesagt hatte, er würde sie heute Abend abholen, während ihm wahrscheinlich klar war, dass sie nicht kommen würde. Aber sie hatte einfach keine Zeit. Sie musste eine Schippe suchen. Eine große. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)